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War ihr Liebesschwur nur eine Lüge? Der historische Liebesroman »Das Sehnen des Highlanders« von Hannah Howell als eBook bei dotbooks. Die schottischen Highlands im Jahre 1481: Sir Lucas Murray ist Schreckliches widerfahren – nun ist er zurückgekehrt, um Rache zu nehmen an dem Clan, der ihm seine Ehre nahm … und an Lady Katherine, die er liebte, bis sie ihn grausam verriet. Oder ist auch sie das unschuldige Opfer eines heimtückischen Spiels? Während Lucas nach einem Weg sucht, um seinen Feinden die gerechte Strafe zukommen zu lassen, ist er hin- und hergerissen zwischen der Frage, ob er der leidenschaftlichen Schönen je wieder vertrauen kann – und dem unbändigen Wunsch, sie an sich zu reißen und alles zu vergessen, was zwischen ihnen steht … »Niemand erzählt schottische Sagas so wie Hannah Howell!« Romantic Times Jetzt als eBook kaufen und genießen: Das Romance-Highlight »Das Sehnen des Highlanders« von New-York-Times-Bestsellerautorin Hannah Howell. Wer liest, hat mehr vom Leben! dotbooks – der eBook-Verlag.
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Seitenzahl: 440
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Epilog
Lesetipps
Über dieses Buch:
Die schottischen Highlands im Jahre 1481: Sir Lucas Murray ist Schreckliches widerfahren – nun ist er zurückgekehrt, um Rache zu nehmen an dem Clan, der ihm seine Ehre nahm … und an Lady Katherine, die er liebte, bis sie ihn grausam verriet. Oder ist auch sie das unschuldige Opfer eines heimtückischen Spiels? Während Lucas nach einem Weg sucht, um seinen Feinden die gerechte Strafe zukommen zu lassen, ist er hin- und hergerissen zwischen der Frage, ob er der leidenschaftlichen Schönen je wieder vertrauen kann – und dem unbändigen Wunsch, sie an sich zu reißen und alles zu vergessen, was zwischen ihnen steht …
Über die Autorin:
Hannah Howell, geboren 1950 in Massachusetts, kann ihren amerikanischen Familienstammbaum bis in das frühe 17. Jahrhundert zurückverfolgen – liebt aber vor allem die Geschichte Englands und Schottlands; auf einer Reise dorthin lernte sie auch ihren späteren Ehemann kennen. Hannah Howell hat in ihrer schriftstellerischen Karriere über 60 Liebesromane veröffentlicht, darunter den großangelegten Zyklus über die Familie Murray, in dem sie mitreißend vom Schicksal mehrerer Generationen einer weitverzweigten schottischen Highlander-Dynastie erzählt. Hannah Howell wurde für ihr Werk mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Golden Leaf Award und dem Preis des Romantic Times Bookclub Magazine.
Bei dotbooks erschienen die folgenden Romane von Hannah Howell:
HIGHLAND HEROES
Das Schicksal des Highlanders
Die Lust des Highlanders
Das Schwert des Highlanders
HIGHLAND DESIRE
Die Hoffnung des Highlanders
Der Wunsch des Highlanders
Das Herz des Highlanders
HIGHLAND ROSES
Im Zeichen des Highlanders
Die Spur des Highlanders
Die Sehnsucht des Highlanders
HIGHLAND LOVERS
Der Fürst der Highlander
Der ungezähmte Highlander
Der Held der Highlands
HIGHLAND DREAMS
Das Begehren des Highlanders
Das Sehnen des Highlanders
Der Stolz des Highlanders
Die Versuchung des Highlanders
Der Mut des Highlanders
Der Traum des Highlanders
Bei den folgenden beiden Romanen handelt es sich um Einzelbände:
Der Kuss des Schotten
Die Geliebte des Earls
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eBook-Neuausgabe August 2022
Dieses Buch erschien bereits 2007 unter dem Titel »Highland Savage« bei Kensington Publishing Corp., New York und 2013 unter dem Titel »Mein wilder Highlander« bei Weltbild.
Copyright © der Originalausgabe 2007 by Hannah Howell; published by Arrangement with KENSINGTON PUBLISHING CORP., New York, NY, USA
Copyright © der deutschsprachigen Erstausgabe 2013 by Verlagsgruppe Weltbild GmbH, Steinerne Furt, 86167 Augsburg
Copyright © der Neuausgabe 2019 dotbooks GmbH, München
Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück, 30161 Hannover.
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive von shutterstock.com
eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ts)
ISBN 978-3-98690-322-0
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Hannah Howell
Das Sehnen des Highlanders
Roman
Aus dem Englischen von Angela Schumitz
dotbooks.
Schottland, im Frühjahr 1481
Die Mönchskutte juckte höllisch. Lucas biss die Zähne zusammen. Am liebsten hätte er sich das Ding vom Leib gerissen und sich an jeder erreichbaren Stelle heftig gekratzt. Wie schaffte es sein Cousin Matthew nur, tagaus, tagein in so etwas herumzulaufen? Solch eine schreckliche Buße hatte der Ärmste wahrhaftig nicht verdient. Schließlich hatte er sein Leben hingebungsvoll in den Dienst Gottes gestellt. Ein Mann, der Gott so viel opferte, sollte dies in einem etwas bequemeren Gewand tun dürfen.
»Vielleicht war das doch keine so gute Idee, Eachann«, murmelte Lucas und tätschelte sein Pferd. Er hielt auf einem kleinen Hügel an und starrte auf den Weiler Dunlochan.
»Sei’s drum, jetzt gibt es kein Zurück mehr. Nay, mich hat bloß ein leiser Zweifel geplagt, wofür ich mich aufrichtig schäme. Mir liegt die List nicht besonders. Ich bin ein sehr direkter Mann. Aber hier muss ich verschlagen und raffiniert vorgehen. Nun, immerhin habe ich das nun schon ein Weilchen geübt.«
Lucas betrachtete sein Pferd stirnrunzelnd und sagte sich streng, dass es nur geschnaubt habe. Doch falls Eachann ihn tatsächlich verstanden hatte, wäre ein Schnauben die passendste Antwort gewesen. Dennoch blieb ihm nichts anderes übrig – er musste sich rächen.
In ihm wütete ein Hunger, der gestillt werden wollte. Seine Verwandten konnte er nicht bitten, diese Aufgabe für ihn zu übernehmen, auch wenn sie es gern getan hätten. Ihre Bereitwilligkeit war einer der Gründe gewesen, warum er sich mitten in der Nacht davongeschlichen hatte. Er hatte niemandem gesagt, was er vorhatte, nicht einmal seinem Zwillingsbruder. Dies war sein Kampf, einzig und allein der seine. Umringt von den starken, geschickten Kämpfern seines Clans, hätte er den Heißhunger, der in ihm nagte, nicht stillen können. Er musste sich selbst beweisen, dass seine Verletzungen ihn nicht um das Geschick gebracht hatten, das er gehabt hatte, bevor er beinahe erschlagen worden war. Er musste die Männer bezwingen, die versucht hatten, ihn zu vernichten, und zwar allein.
Seine Familie hatte nicht verstanden, warum dieser Drang in ihm so stark war. Sie hatten auch nicht verstanden, warum er so hart und unablässig daran gearbeitet hatte, wieder seine frühere Form zu erlangen, nachdem er sich von seinen Verletzungen erholt hatte. In der Zeit, in der er sich langsam von einem Invaliden zu einem Kämpfer zurückarbeitete, überhäuften sie ihn mit Lob. Zum Teil wollten sie ihn damit wohl nur davon abhalten, sich allzu sehr ins Zeug zu legen, um seine einstigen Fähigkeiten zurückzuerlangen und die Schmerzen und die Steifheit in seinem Bein zu überwinden. Jetzt wollte er sich unbedingt beweisen, dass er so geschickt und stark war wie früher. Er musste seinen Wert als Erbe von Dunncoill unter Beweis stellen.
»Artan würde es verstehen«, murmelte er und tätschelte noch einmal Eachanns starken Hals, während er langsam zum Dorf hinunter ritt.
Er verspürte den kleinen Stich einer wohlbekannten Trauer. Sein Zwillingsbruder hatte jetzt ein eigenes Leben, getrennt von dem, das sie seit ihrer gemeinsamen Zeit im Mutterleib geteilt hatten. Artan hatte eine Gemahlin, sein eigenes Land und eine eigene Familie. Lucas freute sich für seinen Bruder, doch er war noch immer betrübt über den Verlust seiner zweiten Hälfte. In seinem Herzen wusste er zwar, dass er und Artan nie völlig getrennt sein würden, aber jetzt teilte Artan sein Leben mit anderen Menschen. Daran musste sich Lucas erst noch gewöhnen.
»Und ich habe niemanden.«
Lucas verzog das Gesicht, weil er sich wie ein schmollendes Kind vorkam. Aber das Gefühl des Alleinseins ließ sich nicht abschütteln. Es ärgerte ihn zwar, doch er wusste, dass nicht nur der Verlust von Artan daran schuld war. Er hatte auch Katerina verloren. Sie hatte ihn hintergangen und verdiente seinen Kummer nicht. Dennoch stimmte es ihn immer noch traurig. Keine andere Frau konnte die Leere vertreiben, die sie in ihm hinterlassen hatte. Keine andere Frau konnte die Kälte lindern, die seit ihrem üblen Verrat in ihm herrschte. Er sah sie noch immer deutlich vor Augen, wie sie daneben stand, als er fast totgeprügelt wurde. Sie hatte keinen Laut von sich gegeben und keinen Finger gerührt, um ihn zu retten. Sie hatte nicht einmal eine Träne vergossen.
Er schüttelte die düsteren Erinnerungen ab und auch den Schmerz, der immer noch damit einherging. Gleich nachdem er sich bewiesen hatte, dass er der Mann war, der er einst gewesen war, würde er sich eine Frau suchen und es nach Kräften mit ihr treiben. Er wollte Katerinas Gift in den weichen, willigen Armen einer anderen ausschwitzen und sie bis zur Erschöpfung lieben. In letzter Zeit hatte er völlig enthaltsam gelebt, auch wenn seine Treue zu Katerina nicht der einzige Grund dafür war. Doch er verspürte noch immer ein gewisses Verlangen nach ihr und nach der Leidenschaft, die sie geteilt hatten. Deshalb fiel es ihm schwer, sein Verlangen bei einer anderen Frau zu stillen. Sein Kopf sagte ihm zwar, dass er mit Katerina abgeschlossen hatte, sein Herz und sein restlicher Körper jedoch hatten sich offenbar noch immer nicht von ihr gelöst. Nun nahm er sich fest vor, sich eine Geliebte zu nehmen, sobald er wieder in Donncoill war – ungeachtet seiner Narben und gelegentlichen Einschränkungen, die er sich und anderen gegenüber nur zögernd zugab. Vielleicht nehme ich mir sogar eine Gemahlin, überlegte er, als er vor der kleinen Taverne in der Mitte des Weilers anhielt. Auf alle Fälle soll es eine dunkelhaarige Frau sein, beschloss er. Viel zu deutlich waren ihm noch Katerinas dunkelblaue Augen und ihr honigblondes Haar in Erinnerung. Es war höchste Zeit, einen endgültigen Schnitt zu machen.
Er stieg aus dem Sattel und überließ Eachann einem schmächtigen Jungen, der neben ihm aufgetaucht war. Der Bursche starrte ihn aus großen blauen Augen an – gerade so, als sähe er ein Gespenst. Das beunruhigte Lucas. Möglichst unauffällig überprüfte er die Kapuze seiner Kutte, unter der sich seine langen Haare verbargen. Er hatte es nicht über sich gebracht, sie abzuschneiden. Die Kapuze streifte er zwar nie ab, weil er darunter auch sein viel zu leicht erkennbares Gesicht verbarg, doch sein langes schwarzes Haar und die Kriegerzöpfe hatte er aus Eitelkeit nicht abgeschnitten. Nun dachte er sich, dass der Junge vielleicht auch nur ein bisschen einfältig war. Er hob seine Satteltaschen auf, drückte dem Burschen eine Münze in die Hand und ging in die Taverne.
Schon nach zwei Schritten spürte er, wie ihm die Angst über den Rücken kroch. Eigentlich hatte er gedacht, dass er diese Angst bezwungen hatte, auch wenn ihn gelegentlich noch Albträume plagten. Er blieb stehen und sah sich um. Aus diesem Ort war er verschleppt worden. Man hatte ihn übel zugerichtet, eine Klippe hinuntergestoßen und am Ufer eines Sees liegen lassen, wohl in der Annahme, dass er nicht mehr am Leben war.
Doch der Ärger über seine Schwäche half ihm, die Angst zu überwinden. Entschlossen straffte er die Schultern und begab sich zu einem Tisch in einer düsteren Ecke im hinteren Bereich des Schankraums. Kaum hatte er sich hingesetzt, eilte schon eine vollbusige junge Frau mit hellen Haaren zu ihm. Wenn er sich recht erinnerte, hieß sie Annie.
»Pater …«, fing sie an.
»Nay«, fiel er ihr ins Wort. »Ich habe noch keine Tonsur.« Er hoffte, mit dieser Geschichte eventuelle Fehler erklären zu können. »Ich befinde mich auf einer Pilgerreise. Erst danach werde ich in mein Kloster zurückkehren und die letzten Gelübde ablegen.«
»Ach so.« Annie seufzte. »Ich hatte gehofft, Ihr würdet nach einem Ort suchen, an dem Ihr dem Willen Gottes dienen könnt.« Sie warf einen kurzen Blick auf die Männer, die um eine große Feuerstelle versammelt waren und Ale tranken. »Wir könnten einen Mann der Kirche gut gebrauchen. Dunlochan ist durchdrungen von Sünde.«
»Ich werde meinen Ordensbrüdern davon berichten, wenn ich zu ihnen zurückkehre, mein Kind.«
»Danke, Pater – äh, ich meine Sir. Womit kann ich Euch dienen?«
»Mit Essen, einem Ale und einem Bett für diese Nacht.«
Kurz darauf labte sich Lucas an einem süffigen Ale, einem herzhaften Lammeintopf und einem warmen Brotlaib. Das gute Essen in dieser Taverne war einer der Gründe gewesen, warum er so lange in Dunlochan geblieben war. Der Hauptgrund war jedoch ein bestimmter Körperteil gewesen, der ihn in die Irre geführt hatte. Ein Blick auf Katerinas geschmeidigen Körper, ihre langen dichten Haare in der Farbe süßen Kleehonigs und ihre großen, tiefblauen Augen hatte ihn nur noch mit diesem Körperteil denken lassen. Er hatte geglaubt, seine Schicksalsgefährtin gefunden zu haben. Doch in Wahrheit hatte sie ihm nur Verrat und Leid eingebracht.
Grimmig gestand sich Lucas ein, dass er diese Frau einfach nicht aus seinem Leben, seinem Kopf und seinem Herzen vertreiben konnte. Doch das sollte ihn nicht daran hindern, sich an ihr zu rächen, auch wenn er sich noch nicht ganz sicher war, wie er dabei vorgehen sollte. Jetzt waren erst einmal die Männer an der Reihe, die versucht hatten, ihn zu töten, und dann die Frau, die ihnen diesen Befehl erteilt hatte.
Sein Vertrauen in die Menschen und in seine Fähigkeit, sie als Freunde oder Feinde zu erkennen, waren ihm in jener finsteren Nacht ebenfalls abhanden gekommen. Lucas hatte geglaubt, dass Katerina seine Gefährtin sei, die Frau, die ihm das Schicksal bestimmt hatte. Stattdessen war sie beinahe sein Tod gewesen. Nach einem solchen fast tödlichen Irrtum fiel es ihm schwer, sich auf seine Urteilskraft zu verlassen. Dabei war die Fähigkeit, zu erkennen, wem man vertrauen konnte, für einen Krieger überaus wichtig. Wie sollte er den Menschen in Donncoill je ein guter Laird sein, wenn er einen Freund nicht von einem Feind unterscheiden konnte?
Bedächtig trank er sein Ale und musterte die Männer an der Feuerstelle. Mindestens einer von ihnen war in jener Nacht bestimmt dabei gewesen, doch die Gesichter verbargen sich in den Schatten, die die Flammen warfen. Lucas konnte sich noch deutlich daran erinnern, dass kaum einer von ihnen blond gewesen war, anders als die meisten Leute in Haldane. Es hatte ihn gewundert, dass Katerina Söldner eingestellt hatte. Aber vielleicht hätten ihre eigenen Leute einen solchen Befehl nicht ausgeführt. Falls diese Männer nur angeheuert waren, würde es leichter sein, sie zu töten; denn der Tod eines solchen Mannes wurde nur selten gerächt.
Plötzlich traten sechs Männer in den Schankraum. Lucas erstarrte. Auf ihre Gesichter fiel kein Schatten. Er erkannte jeden einzelnen. Er musste an sich halten, um nicht sein Schwert zu zücken und sich sofort auf sie zu stürzen. Auf einmal fing er an zu zittern. Die Erinnerung an die Misshandlungen stieg klar und deutlich in ihm auf und überflutete seinen ganzen Körper. Er rieb sein linkes Bein. Die düsteren Gedanken verschärften den Schmerz der gebrochenen Knochen. Seine rechte Hand pochte, als erlebe er jeden Stiefeltritt noch einmal. Die Narbe, die seine rechte Wange verunstaltete, juckte, und Lucas war, als spürte er deutlich, wie die Messerschneide erneut durch sein Fleisch fuhr.
Er atmete tief durch, wohl wissend, dass er diese Bilder wegschieben musste, wenn er klar denken wollte. Eine unüberlegte Tat würde die Rache, nach der ihn dürstete, vereiteln. Aber er konnte sich auch deshalb recht gut zügeln, weil er nicht glaubte, sechs Männer in einem direkten Angriff besiegen zu können.
Als ihm seine Zweifel bewusst wurden, fluchte er leise. Das Vertrauen in sein wiedergewonnenes Kampfgeschick war offenbar doch nicht so stark, wie er gehofft hatte.
»Annie!«, grölte einer der Kerle, während sie sich an einen Tisch setzten. »Schaff deinen Hintern her und bring uns Ale, du Hure!«
Annie wirkte wachsam, als sie einen Krug Ale und Becher vor die Männer stellte. »Du brauchst nicht so zu brüllen, Ranald«, sagte sie. »Ich sah euch hereinkommen und habe schon alles vorbereitet.«
Lucas beobachtete die junge Frau, die sich bemühte, den Männern Ale einzugießen und gleichzeitig ihren grapschenden Händen auszuweichen. Im Gegensatz zu vielen Frauen, die an solchen Orten arbeiteten, war Annie keine Hure, auch wenn die Männer sie so behandelten. Als sie den Kerlen endlich entkam, war ihr Gesicht hochrot vor Zorn, und in ihren Augen standen Tränen der Scham. In einem großen Schluck ertränkte Lucas den Drang, aufzuspringen und die junge Frau zu verteidigen. Er schenkte ihr ein kleines, aufmunterndes Lächeln, als sie an seinen Tisch kam, um seinen Becher wieder zu füllen. Sofort verengten sich ihre Augen argwöhnisch, und ihre vollen Lippen wurden schmal.
»Wart Ihr schon einmal hier, Sir?«, fragte sie und setzte sich ihm gegenüber an den zerkratzten Tisch.
»Nay, wie kommst du denn darauf, mein Kind?«, fragte er.
»Euer Lächeln kommt mir bekannt vor«, sagte sie schulterzuckend.
Lucas nahm sich vor, in Zukunft nicht mehr zu lächeln. »Vielleicht bekommst du nur selten ein Lächeln zu sehen?«
»Nahezu nie eines, bei dem sich solch schöne, weiße Zähne zeigen.«
»Ein Segen, den ich meiner Familie und Gott zu verdanken habe. Und nicht zuletzt der Tatsache, dass ich mir die Zähne regelmäßig putze.«
Sie nickte. »Lady Katerina hat mir beigebracht, dass es gut ist, wenn man seine Zähne säubert.«
»Sie ist wohl eine gute, gottesfürchtige Frau?«
»Aye, das war sie.«
»Lebt sie denn nicht mehr?«
»Sie starb im letzten Frühjahr, die Ärmste.« Annie starrte böse auf die Männer, die sie so schlecht behandelt hatten. »Diese Leute und die Dame in der Burg behaupten, dass meine Lady sich umgebracht hat. Aber das kann ich nicht glauben. So etwas hätte sie nie getan. Und am selben Tag ist auch noch der stattliche junge Mann verschwunden, der ihr den Hof gemacht hat. Keiner weiß, was aus ihm geworden ist.« Plötzlich sah sie Lucas direkt in die Augen. »Ich glaube, Euer Lächeln hat mich an ihn erinnert. Er war ein hübscher Bursche. Und er hat meine Lady glücklich gemacht.«
Lucas war so verblüfft, dass er nur wortlos nicken konnte. Ihm fiel nichts ein, was er hätte sagen können, um Annies gefährlichen Vergleich zu entkräften. Katerina war tot! Diese Nachricht traf ihn wie ein Schlag gegen die Brust. Sie raubte ihm sogar kurz den Atem. Die heftige Trauer, die in ihm aufwallte, erklärte er sich damit, dass er nun keine Gelegenheit mehr hatte, sich an der Frau zu rächen. Eine leise Stimme in seinem Kopf sagte ihm zwar, dass diese Erklärung töricht war, doch er brachte sie sofort zum Schweigen.
»Ist es eine Sünde, ihr Grab zu besuchen, obwohl sie nicht in geweihter Erde bestattet wurde?«, wollte Annie wissen.
»Nay, Mädchen«, erwiderte er. All die Gefühle, gegen die er ankämpfte, ließen seine Stimme ein wenig rau klingen. »Ihre Seele benötigt deine Gebete sogar noch dringender als andere Seelen.«
Lucas konnte den Gedanken, dass Katerina in einem kalten Grab lag, nicht ertragen. Hastig schob er ihn zur Seite. Er wollte nicht weiter über all die Fragen nachdenken, die ihm durch den Kopf schwirrten und eine Antwort forderten. Auch er konnte kaum glauben, dass Katerina sich umgebracht hatte, aber für die Lösung dieses Rätsels blieb ihm jetzt keine Zeit. Wenn er sich an den Männern rächte, die ihn verprügelt hatten, konnte er ihnen ein paar Fragen stellen. Einstweilen aber musste er sich ausschließlich mit seiner Rache beschäftigen. Wenn er seine Genugtuung hatte, konnte er die Wahrheit über Katerinas Tod herausfinden. Egal, was sie ihm angetan hatte, er wusste, dass er nie mehr ruhig würde schlafen können, wenn er an ihren schönen Körper dachte, der in ungeweihtem Boden verrottete.
»Glaubt Ihr, Ihr könntet für sie beten, Sir? Oder wäre das eine Sünde?«
Lucas hatte keine Ahnung. Er suchte krampfhaft nach einer passenden Antwort. »Es ist meine Pflicht, für verlorene Seelen zu beten, Kind.«
»Ich könnte Euch zu dem Ort führen, an dem sie begraben wurde«, schlug Annie vor. Dann verdüsterte sich ihr Blick, denn Ranald und zwei seiner Kumpane näherten sich dem Tisch. »Wenn ihr noch einen Krug Ale haben wollt, braucht ihr es mir nur zu sagen.«
»Ich bin hergekommen, weil ich wissen will, warum du hier herumsitzt und mit diesem Mönch plauderst«, sagte Ranald.
»Was geht dich das an?«
»Du vergeudest deine Zeit, wenn du mit einem Mönch schäkerst. Wenn du Lust auf einen Mann hast, kannst du dich getrost an mich wenden.« Er grinste, als seine Kumpane lauthals wieherten.
»Ich wollte nur gern mit jemandem reden, der über die Grenzen von Haldane hinausgekommen ist«, erklärte sie unwirsch. »Jemand, der nicht stinkt, flucht oder versucht, mir die Röcke hochzuheben.« Sie errötete und wandte sich entschuldigend an Lucas. »Verzeiht, dass ich so offen rede, Sir.«
»Nicht du musst um Verzeihung bitten, Kind, sondern der Mann, der dich zu solchen Worten verleitet hat«, meinte Lucas und beobachtete Ranald genau.
»Was soll das denn? Ich werbe um dieses Mädchen«, erwiderte Ranald aufgebracht.
»Ach, so nennst du das?«
»Was wisst Ihr schon davon? Ihr habt der Fleischeslust doch Gott zuliebe abgeschworen, oder etwa nicht? Gehört Ihr vielleicht zu denen, die mit dem einen Mundwinkel Gott ein Gelübde ablegen und mit dem anderen mit den Mädchen schäkern?«
»Du rührst an meine Ehre«, sagte Lucas kalt. Er betete, dass der Kerl endlich ging, denn der Drang, ihn sofort büßen zu lassen für die Schmerzen, die ihn im vergangenen Jahr gequält hatten, wurde schier übermächtig. »Ich hingegen habe nur dein Geschick bei der Werbung in Frage gestellt.«
»Ach so? Was wollt Ihr überhaupt in Dunlochan? Hier in der Nähe gibt es kein Kloster.«
»Er macht eine Pilgerreise, bevor er seine Gelübde ablegt«, erklärte Annie. »Lass ihn in Frieden und kehr zu deinen Freunden und deinem Ale zurück.«
»Du verteidigst ihn ausgesprochen eifrig, Mädchen. Warum tust du das?« Ranald starrte Lucas böse an. »Was verbirgt sich denn unter seiner Kutte?«
Bevor sich Lucas der Gefahr richtig bewusst wurde, riss ihm Ranald die Kapuze vom Kopf und enthüllte die Haare, die Lucas aus Eitelkeit nicht hatte abschneiden wollen. Einen Moment lang starrten alle mit weit aufgerissenen Augen und offenem Mund auf Lucas. Der überlegte kurz, ob er sich nicht doch gleich auf Ranald stürzen sollte, dann siegte seine Vernunft. Die Freunde des Kerls waren aufgesprungen und versammelten sich um seinen Tisch.
Lucas nützte die Bestürzung seiner Gegner, die ihn offenbar für ein Gespenst hielten.
Er sprang hoch, packte seine Satteltaschen und machte sich eilig aus dem Staub. Doch kaum war er aus der Tür heraus, da packte ihn jemand von hinten. Fluchend drehte sich Lucas um und drosch dem Mann die Faust ins Gesicht. Ihm war klar, dass er es nicht mehr bis zu seinem Pferd schaffen würde. Er warf seine Satteltaschen weg und riss sich die Kutte vom Leib. Als Ranald und seine Kumpane aus der Taverne polterten, stand Lucas schon mit dem Schwert in der einen und einem Dolch in der anderen Hand bereit.
»Ihr seid es also tatsächlich«, grunzte Ranald und zückte sein Schwert. »Wir dachten, Ihr wärt tot. Wir haben Euch doch in einen Abgrund geworfen, wo Ihr reglos liegen geblieben seid.«
»Aber ihr seid nicht zurückgekommen, um nachzusehen, ob ich noch immer dort war«, stellte Lucas verächtlich fest.
»Warum sollten wir uns die Mühe machen? Wir hatten Euch tüchtig verprügelt, und Ihr habt aus mehreren Wunden geblutet, bevor wir Euch über die Klippe warfen.«
Lucas zuckte mit den Schultern. »Ich bin aufgestanden und heimgegangen.« Er wusste, dass seine Verwandten aufgestöhnt hätten, wenn sie gehört hätten, wie er die vielen Mühen auf seinem Heimweg nach Donncoil mit derart schlichten Worten beschrieb.
»Nun, diesmal werdet Ihr nicht mehr heimkriechen, Bursche.«
»Nay, ich habe vor, siegreich nach Hause zu reiten und eure Leichen zurückzulassen.«
»Das kann ich mir kaum vorstellen.« Ranald warf einen höhnischen Blick auf Lucas’ linkes Bein. »Ich habe gesehen, wie Ihr aus der Taverne gerannt seid. Ihr hinkt und stolpert wie ein alter Mann. Wir haben Euch verkrüppelt, stimmt’s?«
Lucas kämpfte die Wut nieder, die ihn zu verzehren drohte. Er musste seine Rache kühl vollstrecken, er musste mit einem klaren Kopf kämpfen und sich jede Bewegung genau überlegen. Dieser Kerl war daran schuld, dass er sich nicht mehr so rasch und behände bewegen konnte wie früher. Am liebsten hätte er sich auf ihn gestürzt und ihn in Stücke gehauen. Früher hätten ihn die anderen Männer kaum beunruhigt. Damals hätte er sich eine gute Chance ausgerechnet, sie alle zu vernichten. Doch jetzt musste er jede einzelne Bewegung genau planen, wenn er diesen Kampf überleben wollte.
»Diese kleine Verletzung wird mich nicht daran hindern, euch zu töten«, konterte Lucas, und seine Stimme klang beinahe munter, auch wenn er leicht beunruhigt feststellte, dass die Männer ihn langsam einkreisten.
»Noch immer so eingebildet wie früher«, sagte Ranald und grinste kopfschüttelnd. »Aber bald werdet Ihr Euch zu Eurer kleinen Hure in den kalten Lehm legen.«
»Also hat Annie die Wahrheit gesagt. Lady Katerina ist tot.«
»Aye. Wir dachten, sie hätte sich zu Euch gesellt. Wir haben sie zu Euch in den Abgrund geworfen, und sie fiel ins Wasser.«
Darauf konnte sich Lucas keinen Reim machen, doch er schob seine Verwirrung und all die Fragen, die nun in ihm aufstiegen, resolut zur Seite. Wie und warum Katerina gestorben war, spielte im Moment keine Rolle. Jetzt galt es nur, am Leben zu bleiben. Ein rascher Blick auf die Taverne zeigte ihm, dass eine kreidebleiche Annie und mehrere andere Leute aus Haldane entsetzt zusahen und die Ohren aufsperrten. Ranald sprach jedoch so leise, dass sie seine Worte, die ein klares Geständnis waren, nicht hören konnten. Lucas konnte nur hoffen, dass sie herausfinden würden, was mit Katerina passiert war, falls er diesen Kampf nicht gewann. Warum ihm dies ein Anliegen war, wusste er nicht. Doch auch für die Lösung dieses Rätsels blieb ihm jetzt keine Zeit.
»Ich nehme an, du bist nicht mutig genug, um alleine gegen mich anzutreten, ohne dass deine Männer deine wertlose Haut beschützen«, sagte Lucas und wappnete sich für den kommenden Kampf.
»Wollt Ihr damit sagen, dass ich ein Feigling bin?«, fauchte Ranald.
»Du hast knapp ein Dutzend Männer gebraucht, um mich zu fangen, mich fast tot zu schlagen und mich in eine Schlucht zu werfen. Danach habt ihr auch noch ein wehrloses, unbewaffnetes Mädchen ermordet. Aye, ich halte dich für einen Feigling. Als etwas anderes kann ich dich nicht bezeichnen.«
»Es wird mir ein großes Vergnügen sein, Euch zu töten, Ihr Narr.«
Als Lucas die Männer musterte, die ihn umkreisten, beschlich ihn das ungute Gefühl, dass die Kerle keine große Mühe mit ihm haben würden. Dennoch straffte er die Schultern. Er hatte sich bereits etliche Male in scheinbar ausweglosen Situationen befunden, und sie jedes Mal mit nahezu heiler Haut überstanden. Er musste nur sein früheres Selbstbewusstsein wiederfinden, über das sich Ranald so geärgert hatte. Dass ihm das womöglich nicht gelingen würde, machte ihm die größten Sorgen. Sein Herz pochte so heftig und schnell, dass er es hören konnte. Streng mahnte er sich, dass er sich das nur einbildete, und bereitete sich darauf vor, zu siegen. Falls ihm dies nicht gelang, wollte er wenigstens möglichst viele Gegner mit in den Tod reißen. Diesmal würde er es ihnen nicht so leicht machen, ihn zu bezwingen.
»Er lebt?«
Katerina starrte den jungen Thomas an. Sie ging davon aus, dass sie ihn falsch verstanden hatte, weil er so atemlos war. Lucas konnte nicht am Leben sein. Er hatte aus zahllosen Wunden geblutet, als Ranald und seine Männer ihn in den Abgrund geworfen hatten. Der Sturz hatte seinen Zustand bestimmt noch verschlimmert. Kurz bevor die Männer auch sie über die Klippe geworfen hatten, hatte sie noch einen flüchtigen Blick auf Lucas’ reglosen Körper erhascht, der von den rauen, windgepeitschten Wellen des Sees vom steinigen Ufer ins Wasser gezerrt wurde. Sie selbst hatte den Sturz in die eiskalten Fluten nur mit knapper Not überlebt, und sie war davor nicht verprügelt worden. Während sie in dem dunklen, kalten Wasser um ihr Leben gekämpft hatte, hatte sie nach Lucas Ausschau gehalten, ihn jedoch nirgends entdeckt.
»Dieser Mann hat dieselben Augen, M’lady«, sagte Thomas. »Und auch dieselbe Stimme. Ich erinnere mich an beides noch ganz genau, auch wenn er sich wohl nicht an mich erinnert hat. Er muss es sein.«
»Du bist im letzten Jahr ziemlich gewachsen«, murmelte sie mit bebender Stimme. Sie konnte sich kaum von ihrer Überraschung erholen.
»Hat uns Sir Lucas nicht gesagt, dass er einen Zwillingsbruder hat?«, fragte William. Er trat zu Katerina und legte ihr beruhigend die Hand auf die Schulter.
Bei diesen Worten schlug eine Welle abgrundtiefer Enttäuschung über Katerina zusammen, doch sie nickte. »Aye, Cousin, das hat er. Sein Zwillingsbruder heißt Artan, und Lucas meinte, sie ähnelten sich stark im Aussehen, in der Stimme und in ihrem Kampfgeschick. Es muss sein Zwillingsbruder sein. Endlich ist seine Familie gekommen, um ihn zu suchen oder ihn zu rächen.«
»Aber M’lady – habt Ihr uns nicht erzählt, dass Ranald und seine Kumpane Sir Lucas das Gesicht zerschnitten haben?«, fragte Thomas.
»Aye«, wisperte Katerina, gequält von den schrecklichen Erinnerungen an jenen Tag.
»Nun, dieser Mann hat eine Narbe im Gesicht, und er hinkt auch ein wenig. Sein rechtes Bein scheint etwas steif zu sein.«
»Trotzdem könnte es sein Zwillingsbruder sein.« Dass beide Männer ähnliche Verwundungen davongetragen hatten, war zwar höchst unwahrscheinlich, aber Katerina wagte es trotzdem kaum zu hoffen, dass Lucas lebte und zu ihr zurückgekehrt war.
»Ranald und seine Kumpane glauben, dass es Sir Lucas ist. Und diesmal wollen sie dafür sorgen, dass er wirklich stirbt.«
»Dann ist es wohl besser, wenn wir dem Mann zur Hilfe eilen, bevor ihn diese Mistkerle umbringen. Das Rätsel, um wen es sich handelt, müssen wir später lösen. Thomas, hol unsere Pferde.«
Katerina schob die wirren Gefühle, die an ihr zerrten, zur Seite. Sie wählte sechs Begleiter aus. Alle warfen sich lange, schwarze Umhänge über, verbargen Mund und Nase unter breiten dunkelblauen Leinenstreifen und zogen die Kapuzen tief ins Gesicht. Dann bestiegen sie die Pferde, die bereits auf sie warteten. Als sie sich an diesem Abend trafen, hatten sie andere Pläne gehabt, doch diese Pläne mussten warten. Erst einmal mussten Ranald und seine Männer daran gehindert werden, einen weiteren Unschuldigen zu ermorden.
Während der Trupp ins Dorf preschte, rang Katerina mit der Hoffnung, die die Worte des jungen Thomas in ihrem Herzen geweckt hatten. Als Lucas’ Leichnam nicht ans Ufer des Sees angeschwemmt worden war, und sie ihm nicht einmal ein ordentliches Begräbnis hatte geben können, war jede Hoffnung in ihr erloschen. Es folgte eine lange, qualvolle Zeit, in der sie versuchte, sich mit seinem Verlust abzufinden. All die Fragen, die sie daran hinderten, hatte sie entschlossen zum Schweigen gebracht. Warum waren zum Beispiel seine Verwandten nie gekommen, um ihn zu suchen? Nun regten sich wieder die vielen ungelösten Rätsel in ihr, und sie bemühte sich abermals, sie einfach zu vergessen. Wichtig war im Moment nur, dass Ranald und seine Spießgesellen kurz davor standen, einen weiteren Mord zu begehen. Und sie hatte bei der Seele ihres Vaters geschworen, Ranalds brutalem Treiben ein Ende zu setzen.
Und noch wichtiger – sie musste beweisen, wer dem Mann die Befehle erteilte. Katerina war sich sicher, dass es ihre Halbschwester Agnes war. Aber sie brauchte unwiderlegbare Beweise für die Schandtaten dieser Frau, und das erwies sich als sehr schwierig. Sie hätte ihrer Halbschwester nie zugetraut, so schlau und gerissen zu sein. Katerina spürte nur dann eine gewisse Befriedigung, wenn sie daran dachte, dass Agnes sich bestimmt ebenso gefangen fühlte wie sie selbst. Agnes war es noch nicht geglückt, ihren leichtfertigen Gemahl aufzustöbern, der sich aus dem Staub gemacht hatte – einen Mann, den ihr Vater abgelehnt hatte. Solange der Mann nicht gefunden und Agnes nicht zur Witwe erklärt war, konnte Katerina keinen Anspruch auf Dunlochan erheben. Sie waren beide in diesen Kampf verstrickt, der all die Freude und den Wohlstand aus Dunlochan heraussaugte.
Ihr Vater hatte in seinem Testament sehr harte Bedingungen gestellt – mit verheerenden Folgen. Katerina gefiel es gar nicht, dass fünf alte Männer, die ihr Vater ausgesucht hatte, das letzte Wort zur Wahl ihres Gemahls hatten. Es verletzte ihren Stolz zutiefst. Was hatte sich ihr Vater bloß dabei gedacht? Denn damit hatte er sie und ihre Unterstützer dem Tod geweiht. Entweder war er völlig blind gewesen gegenüber Agnes’ wahrem Wesen und hatte deshalb keine Gefahr gesehen, oder er hatte die Möglichkeit, dass es zu einem Kampf um sein Land und sein Vermögen kommen würde, gar nicht in Betracht gezogen. Ihr Vater war kein sehr liebevoller Mann gewesen, und er hatte Frauen nicht viel zugetraut, ja, sie mehr oder weniger verachtet. Trotzdem hatte Katerina hatte ihn immer für einen guten und klugen Laird gehalten. Aber seine Anweisungen, was nach seinem Tod aus Dunlochan werden sollte, waren so unklug, dass sich Katerina fragte, ob seine Krankheit seinen Verstand getrübt hatte.
Das Klirren von Schwerten riss sie aus ihren Gedanken. Sie gab ihren Leuten das Signal, die Pferde zu zügeln. Im grauen Licht des Spätnachmittags konnte man Männer vor der Taverne erkennen – ein Mann, der von sieben umkreist war. Ranald hielt wie üblich nichts von einem fairen Kampf. Katerina bedeutete ihren Männern mit Gesten, wie sie vorgehen sollten. Ihr größter Vorteil bei der bevorstehenden Auseinandersetzung waren die Pferde. Nur wenige Menschen schafften es, einem heranpreschenden Pferd standzuhalten. Zufrieden, dass ihre Leute verstanden hatten, was sie vorhatte, richtete Katerina den Blick auf den Mann in der Mitte und bemühte sich, zu übersehen, wie sehr seine langen schwarzen Haare sie an Lucas erinnerten. Dann trieb sie ihr Pferd zum Galopp an.
Lucas fluchte, als es einer der Männer hinter ihm schaffte, ihm so nahe zu kommen, dass er mit dem Schwert sein Hinterteil streifen konnte. Mit knapper Not entkam er einer schwereren Verletzung. Er hatte zwar die Genugtuung, einige seiner Feinde zum Bluten gebracht zu haben, aber er selbst blutete ebenfalls. Dass er noch am Leben war, bewies immerhin, dass er einen Großteil seines einstigen Geschicks wiedererlangt hatte. Doch das reichte nicht.
Als er einem seiner Gegner das Schwert aus der Hand schlug, merkte Lucas plötzlich, dass das Pochen, das er vernommen hatte, nicht von seinem Kopf oder seinem Herzen stammte. Der Mann, den er soeben entwaffnet hatte, wollte gerade seine Waffe zurückholen, doch plötzlich blieb er wie angewurzelt stehen und riss die Augen auf. Kreidebleich starrte er auf etwas hinter Lucas. Auch die Männer, die ihn eingekreist hatten, waren stehen geblieben. Ohne seine Gegner ganz aus dem Blick zu verlieren, drehte sich Lucas ein wenig um. Dann riss auch er die Augen auf.
Sieben Reiter auf großen, starken Rössern galoppierten geradewegs auf sie zu. Einer hatte die Führung übernommen, die anderen bildeten eine Linie direkt hinter ihm. Lucas sah, wie sich diese Linie langsam zu einem Kreis formte. Offenbar wollten die Reiter seine Angreifer umzingeln und ihnen den Fluchtweg abschneiden. Bei diesem Ehrfurcht erregenden Manöver scherte nur ein einziger kurz aus, beugte sich hinab und hob Lucas’ Beutel auf. Der Anführer setzte seinen Weg fort, der ihn direkt zu Lucas zu führen schien.
Einen Moment lang war es, als bliebe die Zeit stehen. Lucas sah, dass seine Feinde auf den Angriff reagierten, doch sie bewegten sich so langsam, als wateten sie durch tiefen Schlamm. Er nahm alles ganz deutlich wahr, sogar, dass der Anführer kleiner war als die übrigen. Sie trugen schwarze Umhänge, die sie gespenstisch umwehten, und hatten die Gesichter mit einem dunkelblauen Tuch verhüllt. Es war ein herrlicher und gleichzeitig entsetzlicher Anblick. Dann begannen Lucas’ Gegner zu fliehen, und in seinen Ohren dröhnte das Geklirr von Schwertern.
Auch Lucas sah sich nach einem Fluchtweg um, doch dann merkte er, dass der Anführer sein Pferd gezügelt hatte. Der riesige schwarze Wallach kam direkt neben ihm zum Stehen, und der Reiter streckte ihm eine überraschend kleine Hand entgegen. Offenbar wollte er ihn retten.
»Steig auf, bevor einer dieser Feiglinge merkt, dass ich ein sehr leichtes Ziel bin«, herrschte der Reiter ihn an.
Unter dem Tuch, das der Reiter um sein Gesicht geschlungen hatte, klang seine Stimme gedämpft. Dennoch kam sie Lucas bekannt vor. Er versuchte, einen Blick auf die Augen des Reiters zu erhaschen, aber die Kapuze des schwarzen Umgangs warf einen Schatten auf alles, was nicht von dem blauen Tuch bedeckt war. Er packte den ausgestreckten Arm des Reiters und schwang sich mit dessen Unterstützung hinter ihm in den Sattel. Der Reiter ächzte ein wenig auf und schien etwas Mühe zu haben, im Sattel zu bleiben, doch Lucas war beeindruckt von seiner Stärke. Mittlerweile ging er davon aus, dass es sich um einen ziemlich jungen Burschen handeln musste.
»Mein Pferd …«, fing er an.
»Wird versorgt«, erwiderte der Reiter und trieb seinen Wallach zum Galopp an.
Lucas schlang die Arme um die erstaunlich schlanke Taille seines Retters und klammerte sich an ihm fest. Er verzog das Gesicht. Dieser Junge wirkte betörend vertraut. Selbst der Geruch des schlanken Reiters weckte Erinnerungen in ihm. Er konnte nur hoffen, dass dieses Rätsel bald gelöst wurde.
Einen Moment lang befürchtete Lucas, von einer Gefahr blind in die nächste gestolpert zu sein. Doch er schüttelte seinen Argwohn rasch ab. Hätten diese Leute ihm schaden wollen, hätten sie ihn seinen Feinden überlassen. Warum sie sich so bemüht hatten, ihn zu retten, wusste er zwar nicht, doch das würde er sicher bald herausfinden. Vielleicht hatte er sogar ein paar Verbündete gefunden, die ihm bei seiner Rache beistehen würden. Er hatte seine Familie nicht in dieses Unterfangen verwickeln wollen, aber da diese Leute offenbar die Feinde seiner Feinde waren, sah er keinen Grund, sich nicht mit ihnen zu verbünden oder ihre Hilfe anzunehmen.
Katerina versuchte, sich im schwindenden Licht des Tages ausschließlich auf den Ritt durch die Bäume zu konzentrieren. Ihre gesamte Aufmerksamkeit auf diese Aufgabe zu richten, war der einzige Weg, um den Gefühlen zu entkommen, die sie erschütterten. Hätte sie es nicht geschafft, wäre sie stehen geblieben, um sich zu vergewissern, dass es wirklich Lucas war, der hinter ihr saß. Doch das konnte sie sich nicht leisten. So ein Aufenthalt hätte sie alle in Gefahr gebracht. Ranald und seine Männer hatten bestimmt schon die Verfolgung aufgenommen.
Als sie Lucas entdeckt hatte, hätte sie beinahe einen Freudenschrei ausgestoßen. Zum Glück hatte ihre Vernunft gesiegt. Ranald wusste jetzt zwar, dass Lucas überlebt hatte, doch der Kerl glaubte immer noch, dass sie tot war. Dies verlieh ihr eine wenn auch geringe Chance, den Krieg gegen Agnes zu gewinnen.
In ihrem Kopf und auch in ihrem Herzen nagten jedoch immer noch starke Zweifel. Sie konnte es kaum fassen, dass Lucas die damaligen Misshandlungen durch seine Feinde überlebt hatte. Sie hatten ihm unter anderem ein Bein gebrochen. Wie hatte er sich vor dem Ertrinken retten können? Doch allem Anschein nach war es wirklich Lucas Murray, den sie soeben aus Ranalds tödlichen Klauen befreit hatte. Alles – vom Klang seiner Stimme hin zu dem Gefühl seines Körpers, der sich eng an sie presste – sagte ihr, dass er es war.
Mittlerweile hatten Katerina und ihre Männer unterschiedliche Wege eingeschlagen, um ihren Verfolgern ein halbes Dutzend Spuren zu liefern und sie damit zu verwirren. Nur William ritt weiter hinter ihr. Inzwischen quälte Katerina hauptsächlich eine Frage: Warum hatte Lucas nicht versucht, sie zu finden oder zumindest zu benachrichtigen, dass er lebte? Der kurze Blick, den sie auf ihn erhascht hatte, hatte ihr zwar verraten, dass er bestimmt ziemlich lange gebraucht hatte, um sich von seinen Verletzungen zu erholen. Doch das erklärte nur, warum er erst jetzt nach Dunlochan zurückgekehrt war. Es erklärte nicht, warum er es so lange zugelassen hatte, dass sie um ihn trauerte. Dass sie das tun würde, hatte er bestimmt gewusst. Die mögliche Antwort auf diese Frage war so beängstigend, dass sie die Vermutung sofort wieder verwarf, wann immer sie sich in ihre Gedanken drängte. Lucas kannte sie, er kannte sie recht gut. Er konnte unmöglich glauben, dass sie etwas mit dem Angriff auf ihn zu tun gehabt hatte.
Als sie den alten Ian auftauchen sah, zügelte Katerina ihr Pferd und stieg ab. Sie musste dem Drang widerstehen, Lucas zu helfen, der etwas ungelenk aus dem Sattel stieg. Stattdessen richtete sie ihre volle Aufmerksamkeit auf Ian. Sie reichte ihm die Zügel, und William tat es auch.
»Ich habe gehört, dass er zurückgekehrt ist«, sagte der Alte und musterte Lucas.
»Aye. Er hat Ranald noch eine Chance gegeben, ihn zu töten«, erwiderte Katerina. Dann verzog sie das Gesicht. »Deshalb brauchen wir dich heute Nacht. Hoffentlich haben wir dich nicht um dein Abendessen gebracht.«
»Meine Frau hält es für mich warm. Und jetzt verschwindet, bevor diese Schurken euch entdecken.«
William hatte bereits begonnen, ihre Spuren mit einem dicht belaubten Ast zu verwischen. Katerina nickte. »Sobald sie die Verfolgung aufgegeben haben, wird jemand kommen, um die Pferde zu holen.«
»Keine Sorge. Ich habe genug Futter für sie. Und jetzt beeilt euch!«
»Und du auch.«
Der alte Ian führte ihre Pferde weg, und William ging ihm nach, um die Spuren zu verwischen. Katerina winkte Lucas stumm, ihr zu folgen, und machte sich auf den Weg zu der alten Kirche, die ihnen schon viel zu lang als eines ihrer Verstecke diente. Nur ein einziges Mal wagte sie, einen Blick auf Lucas zu werfen, um sich zu vergewissern, dass er mit ihr Schritt halten konnte. Sein Gang wirkte ein wenig seltsam, doch er bewegte sich rasch und schien keine Schmerzen zu haben. Es sah so aus, als könnten sie ihr Wiedersehen gebührend feiern.
Lucas war tief beeindruckt von dieser Gruppe: Sie legten mehrere Spuren, um ihre Feinde zu verwirren; es standen Leute bereit, um ihre Pferde zu verstecken; sie verwischten ihre Spuren, und sie schwiegen die meiste Zeit. Offenbar betrieben diese Leute ihr Werk – um was es sich auch handeln mochte – schon eine ganze Weile. Darüber hinaus schienen die meisten Menschen in Dunlochan sie zu unterstützen. Lucas hatte den Eindruck, dass er in etwas ziemlich Umfassendes verwickelt worden war. Vielleicht hatte sogar der Versuch vor einem Jahr, ihn zu töten, ebenfalls etwas damit zu tun. Diese Leute konnten keine einfachen Strauchdiebe sein, sonst hätten sie sich nicht in der Nähe derer aufgehalten, die sie überfielen und mit denen sie kämpften. Es musste ihnen um etwas weit Gefährlicheres gehen als um den Raub von Lebensmitteln und ein paar Münzen.
Seine Augen wurden groß, als sie sich einer verfallenen Kirche näherten. Er blickte zurück auf den Mann, der ihnen folgte und einen Ast hinter sich herzog, um ihre Spuren zu verwischen. Der Mann hatte den Blick auf die Kirche gerichtet. Offenbar war das dachlose steinerne Gebäude ihr Ziel. Lucas musste zugeben, dass diese Leute ihn mit beeindruckendem Geschick aus Ranalds mörderischen Klauen gerettet hatten. In ihrem ganzen Tun hatte sich bislang eine sorgfältige Planung gezeigt. Solche Leute wählten natürlich auch Verstecke aus, die nicht zu offenkundig und auch nicht zu schwer zu verteidigen waren. Und von solchen Orten konnte man bestimmt auch unschwer entkommen.
Sobald sie die Kirche betreten hatten, blieben seine Begleiter stehen. Lucas war froh über diese Atempause. Sein Bein pochte schmerzhaft, doch er zwang sich, es zu ignorieren. Als er seine Umgebung musterte, sah er, dass die Kirche uralt, doch offenbar so stabil gebaut war, dass sie selbst ohne Dach lange überdauert hatte. Die steinernen Wände waren mit Reliefs und Statuen verziert. Die Motive waren eindeutig christlichen Ursprungs, auch wenn manchen von ihnen noch etwas leicht Heidnisches anhaftete. Lucas sah, wie der größere der zwei Männer in eine dunkle Ecke trat und die Hand auf das Gesicht einer Statue presste, die wie einer der zwölf Apostel aussah. Es knirschte laut, und die Statue begann sich zu bewegen. Sie ging nach innen auf wie eine Tür. Dahinter befand sich jedoch kein Raum, sondern nur ein großes schwarzes Loch im Boden.
»Katakomben?«, fragte Lucas leise und trat näher.
»Aye«, erwiderte der Kleinere und entzündete eine Fackel. »Ein wahres Labyrinth.«
»Ist das der einzige Weg dorthin?«, wollte Lucas wissen.
»Nay, es gibt noch zwei weitere.«
Das waren gute Nachrichten, aber sie beschwichtigten das Unbehagen, das Lucas befallen hatte, nicht ganz. Er hasste kleine, geschlossene Räume. Selbst in größeren Räumen, aus denen es keinen schnellen Fluchtweg gab, war ihm nicht wohl. Doch ihm blieb nichts anderes übrig, als die Schultern zu straffen und seinem Retter in die Dunkelheit zu folgen. Er bemühte sich, die Holzleiter hinabzuklettern, ohne zu zeigen, wie schwer ihm das fiel. Als der größere Mann die Tür schloss und ihm folgte, musste Lucas gegen den Drang ankämpfen, die Leiter zurück und in die frische Luft hinauf zu klettern.
Die Fackel des Kleineren richtete kaum etwas gegen die Dunkelheit aus, die sie bald alle umfing. Lucas sprach ein stummes Dankgebet, als der Größere eine zweite Fackel entzündete. Als er sich umsah, musste er allerdings einen Fluch unterdrücken, denn er stellte fest, dass sie sich in einer großen Grabkammer befanden. Obwohl er nicht besonders abergläubisch war, hoffte er, dass sie hier nicht länger verweilen würden. Beinahe war er erleichtert, als eine weitere geheime Tür geöffnet wurde und sie auf steilen, schmalen Steinstufen weiter nach unten kletterten.
Am Fuß dieser Treppe durchquerten sie einen engen Gang, der sie zu einer weiteren Kammer führte. Hier befanden sich Tische und Stühle, eine Feuerstätte und Schlafgelegenheiten. Während seine Begleiter mehrere Wandfackeln entzündeten, sah Lucas sich um und entdeckte zwei Löcher in der Felsendecke, durch die der Rauch nach außen und frische Luft nach innen dringen konnten. Entweder hatten diese Leute sich sehr ins Zeug gelegt, um hier ein gemütliches Lager einzurichten, oder die früheren Besitzer der Kirche hatten es getan.
Sobald Lucas den Blick auf seine Begleiter richtete, vergaß er zu fragen, wo sich die anderen Wege aus diesem Grab befanden. Die beiden hatten die Umhänge und die Tücher abgenommen, mit denen sie ihre Gesichter verhüllt hatten. Der Kleinere der beiden war kein junger Mann. Lucas kannte die langen, dichten, honiggoldenen Haare nur allzu gut. Einen Moment lang hüpfte sein Herz vor Freude, als er in Katerinas süßes Antlitz blickte und sie lächeln sah. Ihre großen, dunkelblauen Augen strahlten vor Glück. Erinnerungen an ihre gemeinsame Zeit, an die Wärme ihrer Küsse, die Weichheit ihrer Haut überfluteten Lucas. Doch dann fiel ihm ein, dass alles eine Lüge gewesen war, und sofort verbannte er die Freude, die in ihm aufgestiegen war. Hier stand sie – gesund und quicklebendig, und tat so, als freue sie sich, dass er lebte.
»Man hat mir berichtet, du wärst tot«, sagte er.
Etwas Kaltes und Hartes in seiner Stimme hinderte Katerina daran, ihn in die Arme zu schließen. Einen Moment lang waren in seinen wundervollen silberblauen Augen freudige Überraschung und ein warmes Willkommen aufgeflackert, doch beides war rasch verflogen. Jetzt wirkte Lucas fern, kühl und sogar zornig. Katerina wurde mulmig zumute. Dieses Wiedersehen verlief ganz anders, als sie es sich vorgestellt hatte.
»Aye, aber diese Mistkerle haben auch mich nicht umbringen können«, sagte sie.
»Warum hätten sie das denn tun sollen? Hast du dich etwa geweigert, ihnen den Lohn für ihre gute Arbeit auszuhändigen?«
»Ihre gute Arbeit? Glaubst du etwa, ich hätte ihnen das befohlen?«
Lucas zuckte die Schultern. »Du schienst jedenfalls deinen Spaß daran zu haben.«
»Sie haben mich verschleppt, wie sie es auch mit dir getan haben. Sie haben mir gesagt, wenn ich still und stumm dastehen würde, würden sie dich nicht töten.« Sein verächtliches Schnauben versetzte ihr einen Stich.
»Du hast nicht einmal leise protestiert, als sie mich über die Klippe warfen.«
»Ich war völlig entsetzt! Als mir aufging, dass sie dich töten wollten, egal, was ich tat oder nicht, war es zu spät. Du warst verschwunden.«
Ihre rauchige Stimme hatte etwas an sich, das durch seine Wut drang, doch das brachte Lucas nur noch mehr auf. Er wollte nicht mehr schwach werden, er wollte sich von den Tränen, die in ihre wunderschönen Augen stiegen, nicht rühren lassen, sich nicht mehr zum Narren machen lassen. Wichtig war jetzt nur, herauszufinden, warum sie vor einem Jahr versucht hatte, ihn umzubringen, ihn diesmal jedoch gerettet hatte.
»Ich fasse es nicht, dass du glaubst, ich hätte irgendetwas mit dem Angriff auf dich zu tun gehabt. Welchen Grund sollte ich denn für so etwas haben?«
»Den üblichen – Eifersucht.«
»Eifersucht? Glaubst du etwa, ich würde einen Mann deswegen umbringen lassen?«
»Wenige Stunden zuvor hast du keinen Hehl aus deinem Zorn gemacht, weil Agnes mich nicht in Ruhe lassen wollte. Du hast geglaubt, dass ich mich über ihre Zudringlichkeiten freute.«
»Aber deshalb hätte ich dich doch niemals umbringen lassen!«
»Aus welchem Grund dann?«
Katerina starrte ihn wortlos an. Es war ihr unbegreiflich, dass er ihr so etwas zutraute. Dann verwandelte sich der Schmerz, den sein Verdacht in ihr auslöste, in Zorn. Sie hatte um diesen Mann getrauert. In all der Zeit hatte sie sich die Augen aus dem Kopf geweint und war ganz krank vor Kummer gewesen war. Und er hatte gedacht, dass sie an all seinem Leid schuld war, ohne den geringsten Beweis dafür in der Hand zu haben.
»Ich werde dir jetzt zum letzten Mal die Wahrheit sagen, auch wenn du es nicht verdient hast. Ich hatte rein gar nichts mit dem zu tun, was dir widerfahren ist. Agnes hat den Männern befohlen, dich zu verfolgen. Mir haben sie gesagt, wenn ich mich still verhalte, wenn ich nicht bettle, weine oder irgendetwas mache, um dir zu helfen, würden sie dich am Leben lassen. Ich habe mich entsprechend verhalten, weil ich nicht wollte, dass sie dich töten. Dann haben sie dich über die Klippen geworfen. Bevor ich richtig begriffen hatte, dass sie nie vorhatten, dich zu schonen, haben sie mich ebenfalls hinuntergeworfen. Agnes wollte nicht nur deinen Tod, weil du sie abgelehnt hast, sie wollte auch mich aus dem Weg räumen.«
»Du scheinst dich recht gut erholt zu haben.«
Katerina starrte ihn an wie einen Wildfremden. In ihm keimte das beunruhigende Gefühl auf, dass er ihr gerade einen schweren Schlag versetzt hatte, aber er begriff nicht, warum. Er hatte sie doch dastehen stehen, scheinbar völlig ungerührt, als er beinahe erschlagen wurde.
»Vielleicht ist die Sache ja nur etwas weiter gegangen, als du vorhattest«, meinte er, verstummte jedoch, als sie ihm mit einer heftigen Geste das Wort abschnitt.
»Vielleicht hast du mich nie richtig gekannt. Vielleicht habe ich all die Monate damit verbracht, den Verlust von etwas zu betrauern, was es nie gegeben hat.«
Bevor er noch etwas sagen und sie noch tiefer verletzen konnte, floh Katerina aus der Kammer. Lucas blieb mit ihrem Begleiter zurück, der ihn anstarrte, als hielte er ihn für völlig verrückt.
Verstimmt beobachtete Lucas den Mann, der ihm gegenüber am Feuer saß. Seit Katerina verschwunden war, hatte dieser nur einen einzigen Satz gesagt: »Ich heiße William, und ich fürchte, Ihr seid so töricht, dass Ihr es nicht verdient habt, zu leben.« Obwohl diese Beleidigung ihn kränkte, bewunderte Lucas die Loyalität des Mannes. Doch das anhaltende Schweigen wurde allmählich unerträglich. Lucas hatte drängende Fragen, und es sah nicht so aus, als würde Katerina in naher Zukunft zurückkehren, um sie zu beantworten.
»Wo ist sie hin?«, fragte er schließlich.
»Weg von Euch«, antwortete William, ohne von seiner Schnitzerei aufzublicken.
»Das weiß ich, aber wohin ist sie gegangen? Gibt es noch weitere Räume wie diesen?«
»Noch eine ganze Menge. Manche recht groß, andere kaum mehr als eine Nische im Fels. Gänge und Hohlräume durchziehen den ganzen Hügel bis hin zur Burg von Dunlochan.«
»Also ist das Ganze ein riesiger Fluchtweg.«
»Aye, sowohl für die früher hier lebenden Geistlichen als auch für die Burgbewohner. Ich glaube, es ist eine Mischung aus dem, was die Natur angelegt hat, und Jahrhunderte langer harter Arbeit. In diesem Land haben die Leuten viele Gründe für einen sicheren Ort, an dem sie sich ein Weilchen verstecken können«.
»Das stimmt. Und warum versteckt ihr euch hier?«
»Nun …« William sah ihn kurz an, und der Blick in seinen dunklen Augen wirkte nicht besonders freundlich. »Bestimmt nicht wegen Euch oder wegen dem, was Ihr meiner Herrin vorwerft.«
»Du hast sie an jenem Tag nicht gesehen. Du hast nicht gesehen, wie ruhig sie dastand, als Ranald und seine Spießgesellen mich geschlagen, getreten und mit Messern malträtiert haben. Sie haben mir gesagt, sie hätte ihnen das befohlen. Ranald persönlich hat es mir ins Ohr geflüstert, als er mir die Wange aufschlitzte. Er meinte, Katerina wolle sichergehen, dass ich nicht mehr so gut aussehe und es mir nicht mehr so leicht fällt, mit dem Herzen einer Frau zu spielen.«
»Und einem Mann wie Ranald glaubt Ihr eher als Katerina? Du meine Güte, ich fürchte, diese Mistkerle haben Euch einmal zu viel auf den Kopf getreten. Offenkundig seid Ihr völlig verwirrt.«
»Wenn Katerina unschuldig war, warum hat sie dann nicht meinem Clan berichtet, was mit mir passiert ist?«
»Damit hätte sie den Hass Eurer Familie auf die Menschen von Dunlochan gezogen. Die meisten von ihnen hatten aber nichts damit zu tun. Katerina ist davon ausgegangen, dass Ihr tot seid. Sie vermutete, dass der Clan der Murrays Euren Tod womöglich blutig rächen würde. Meine Herrin war ziemlich überrascht, als keiner hier auftauchte, um nach Euch zu suchen.« William musterte Lucas eingehender. »Wie habt Ihr es überhaupt geschafft, zu überleben und von hier wegzukommen?«
»Ich kann schwimmen.«
»Ach so. Meine Herrin war sich sicher, dass man Euch ein Bein gebrochen hatte.«