Das Sonnenschiff - Claudia Wädlich - E-Book

Das Sonnenschiff E-Book

Claudia Wädlich

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Beschreibung

Basierend auf der altägyptischen Fahrt des Sonnengottes durch die zwölf Stunden der Nacht, berichtet dieser literarische, vielschichtige, sprachgewaltige und politische Roman von einer Kreuzfahrt dreier Frauen auf dem Nil. Die intellektuelle Sabine, die lebenslusige Hanna und eine Namenlose (die Autorin selbst?) auf ihrem persönlichen Weg durch die ägyptologischen Bedeutungsschichten der Hinterlassenschaften der Alten Ägypter, zu den Ägyptern von heute, zu sich selbst und den politischen Ereignissen ... . Es führt sie geradewegs in den Anschlag von Luxor, den die Autorin 1997 überlebte. Entgegen einiger falscher Bewertung durch bestimmte Medien, verdeutlicht die Autorin als Zeitzeugin und Kennerin das Geschehen in einem Dokument von 1998 in seiner ganzen Brisanz. In der zweiten Auflage räumt sie mit den Lügen im antimainstream auf und präsentiert neue Ermittlungsergebnisse, bezieht sich in ihren Analysen auch auf den IS (Islamischer Staat). Das Buch geht in aller Tiefe auf die Kunstgeschichte des alten Ägyptens ein. Dr. Hans Jansen (WAZ) schrieb 2008 über ihren ersten Lyrikband: "Die Erfahrung mit den versunkenen Kulturen Nordafrikas spiegelt sich in ihren Gedichten, so sie im Rückgriff auf Mythos und Geschichte aktuelle Befindlichkeiten reflektiert." Der Kritiker Udo Hennenhöfer schrieb: "Mit großer Wortgewalt türmt Claudia Wädlich semantische Gebirge auf, deren Tektonik deutlich zu spüren ist."

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Einführung

Basierend auf der altägyptischen Fahrt des Sonnengottes durch die zwölf Stunden der Nacht, berichtet dieser literarische, vielschichtige und sprachgewaltige Ägyptenreiseroman von einer Kreuzfahrt dreier Frauen auf dem Nil in den Neunzigern.

Die intellektuelle Sabine, die lebenslustige Hanna und eine Namenlose ( die Autorin selbst ? ) auf ihrem persönlichen Weg durch die ägyptologischen Bedeutungsschichten der Monumente, zu den Ägyptern von heute und zu sich selbst.

Dabei führt sie ihre Reise durch uralte pittoreske Landschaften und die ungeheuren Zeiträume der Sahara, hin zu den Mythologien der Alten Ägypter. Immer stärker geraten sie in den Bann eines Labyrinths der historischen Vergangenheit, politischen Gegenwart und einer möglichen Zukunft.

Es führt sie geradewegs in den Anschlag von Luxor, den die Autorin 1997 überlebte. Wie ein bunter arabischer Teppich setzt sich der Roman aus zeitweiliger spannender Fiktion, politischen Zeitfenstern, Zitaten der Unterweltsbücher der Alten Ägypter, arabischer und eigener Lyrik zusammen.

Der Kritiker Udo Hennenhöfer schrieb : " Claudia Wädlich hat die Erlebnisse ihrer Reisen ins Niltal verbunden mit historischen Forschungen, neuzeitlicher Geopolitik, Religionsgeschichte, soziologischen Betrachtungen und literarischen Anteilen. Mit großer Wortgewalt türmt sie semantische Gebirge auf, deren Tektonik deutlich zu spüren ist. "

Die zweite Auflage trägt den aktuellen Ergebnissen ihrer Ermittlung hinsichtlich der Hintergründe des Anschlages Rechnung. Die gegenwärtigen Ereignisse seitens des IS ( Islamischer Staat ) werfen ein bezeichnendes Licht auf die Hintermänner der Tat, auf künftige Entwicklungen. Die Autorin räumt deshalb mit so mancher Desinformation im antimainstream auf.

Entgegen einiger falscher Bewertung durch die Medien, verdeutlicht Claudia Wädlich als Zeitzeugin und Kennerin das Geschehen in einem Dokument von 1998 in seiner ganzen Brisanz. Mit damaligen und heutigen politisch - juristischen Analysen bis zur politischen Entwicklung auf dem Tahrirplatz.

Ihre Voraussagen des Afghanistankrieges traten mit dem 11. September ein. Ebenso ihre Behauptungen 2011 hinsichtlich des Präsidenten Mubarak.

Ihre damaligen Schlußfolgerungen über die Zielrichtung des Anschlages veranlaßten sie zu einem folgenschweren Vorschlag, den Bundeskanzler Schröder 2003 umsetzte : Die Achse gegen den Irakkrieg.

Ihre Kenntnisse über die unbekannte Rolle Mubaraks im Kampf gegen die al Quaida um die Kontrolle der Ressourcen Nordafrikas und die Einbindung der Anschläge von Daressalam und Nairobi in die Terrortaten in Ägypten - geopolitische Spielarten in Nordafrika, Nahost und Mittlerer Osten - erhellen den Hintergrund von Einflußnahmen durch terrorbegleitende Erpressungen und Polarisierungen auf dem krisengeschüttelten Kontinent.

Denn “ Fiktion deckt Wahrheiten auf, die von der Realität verdeckt werden “, schrieb Jessamyn West.

Zur Autorin

Die studierte Juristin Claudia Wädlich mit Schwerpunkt Kriminologie, mit profunden Kenntnissen der Ägyptologie, der Politologie und Geschichte, veröffentlichte zwei Lyrikbände : “ Innere Zirkel “, dlv Aachen 2006 und “ Die Plünderung der Kulturschätze “ dlv Aachen 2009. “ Klang der Lyrik “, zwei CD `s mit ihrem Klangmaler Jörg Hüttemann 2011, Rocksong - und Bluestexte für das Studioprojekt danish2, 2013. Neben sporadischer politisch - juristischer Beratung zahlreiche Lesungen, Laudatien, Einführungsvorträge bei Vernissagen. 2011 ein Vortrag über den “ Anschlag von Luxor bis zum Tahrirplatz “ im babasu in Duisburg. Auf youtube das Video : “ Der Anschlag von Luxor und der 11. September ”, 2012. Die Autorin lebt in ihrer Heimatstadt Oberhausen.

Inhalt

Sonnenaufgang

1. Kapitel

Annäherung an ein unbekanntes Terrain

2. Kapitel

An Bord

3. Kapitel

Tor zur vierten Nachtstunde

In der geheimen Höhle des Sokar

4. Kapitel

Name der 6. Nachtstunde

Der Leichnam des Osiris / An Bord der Meretseger

5. Kapitel

7. Nachtstunde

Der Kampf gegen die Apophisschlange

Dokument und Analyse des Anschlages von Luxor am 17.11.1997

Südwärts

Literaturverzeichnis

Zur Autorin

Dem ägyptischen Volk

und meinen Eltern,

in liebender und dankbarer Erinnerung

Den Holocaust-Überlebenden ebenso wie den Opfern des Anschlages von

Luxor 1997

Ägyptische Liebe

Wärmend

Am lodernden Feuer

Deiner Seele

Querte ich unseren Himmel

Oh Du meine Sonne Herz

Der Sterne Abglanz

Tropft nun aus

Der Ferne

Als flößen Wasser

Aus erstickter Kehle

Der Ereignisse fühlbarer

Schmerz

" Die Urnen der Stille sind leer "

Paul Celan

" Die Vergangenheit ist jetzt, die Gegenwart ist jetzt, die Zukunft ist jetzt "

Carlos Fuentes

Sonnenaufgang

Finsternis, das war die Stimmung, als die Maschine in Düsseldorf mit Kurs auf Luxor abhob.

Finsternis überzog die bangen, von Müdigkeit gezeichneten Mienen der Wartenden in der Abflughalle.

Und die Dunkelheit um sechs Uhr morgens wurde noch verstärkt durch die Novembertrübe, die das Bewußtsein dem Nebel des Alltags, seinen Verpflichtungen und Bindungen nicht entreißen konnte.

Die wie ein Damoklesschwert über dem Moment des Aufbruchs hing, als tausende Zugvögel sich im Land in die Lüfte erhoben, der Sonne und den Erwartungen entgegen.

Eine undurchdringliche Ursuppe hängt vor dem Bug des Fliegers, als er steigt und steigt. In die Bahnen des Himmelswaßer gezogen wird, als würfe eine unsichtbare Hand das Schiff in den Äther.

Ihre Seelen bleiben darin gefangen, beschwert von der Müdherzigkeit der Nacht, der Schläfrigkeit ihres zurückgelassenen Lebens.

Ihrer gewohnten Umgebung entrissen und noch in sich gekehrt, hängen sie den ungeformten Fetzen ihrer zahlreichen Sorgen, Nöte und Einsamkeiten nach. Ahnen nichts in der Begrenzung ihres Kabineninnenraums von dem dunklen Antlitz der unter ihnen ruhenden Landschaft.

Von ihrem Erzählmodus, in die sie der schwarze Fluß hineinträgt, der sich flüsternd unter ihnen windet, wie eine Schlange, vom Zeitenwandel gehäutet.

Auf ihrem Schoß fühlt sie den Lesestoff, der ihr vor jedem Flug die Tore des Wissens eröffnet und den Zugang zu Ägypten erleichtert.

Ihr kurzer Blick aus dem Fenster in die Leere der Nacht spiegelt die Täuschung des strahlend künstlichen Lichts in der Kabine wider.

" Fasten your seat belts ". Das Licht erlischt. Hundertfaches Aufklicken der Sicherheitsgurte läßt sie zu ihren zwiespältigen Gedanken zurückkehren.

Ihre Sitznachbarn ergeben sich den Wiederholungen der passiven Dauerberieselung, den Verheißungen der Traumfabrik.

Von zurückgelassenen Fernsehsesseln zu Bordfilmen, sieht sie versunkene Gesichter vor hochgehaltenen Zeitungen.

Und das Bordpersonal trifft erste Vorkehrungen, den allseits gewünschten Kaffee auszuschenken.

Diese unendliche Nacht da draußen hat etwas Alptraumhaftes, zutiefst Gespenstisches. Ihre Dunkelheit kriecht aus tausend Lichtern des Ruhrgebiets und des Rheinlands hervor. Die Triebwerke der Maschine heulen auf, bevor der Pilot den Schub auf Umkehr einstellt.

Darunter scheinen die Leuchtfeuer der wirtschaftlichen und industriellen Moderne -wie Dioden - gleichförmig ausgerichtet zu sein. Auf Splittern von grünen Urlandschaften, Resten von Buchenwäldern, umgestaltet von metallenen Eiseszungen, die sich tief in die Böden bohren, sie aushöhlen und meterhoch aufschichten, zu türmenden bizarren Strukturen.

Ausgelaugten Gesichtern gleich, übersät mit Runzeln, Erhebungen, Buckeln, abgestorbenen Hautschichten, Entzündungszuständen, Geschwüren und giftigen Kloaken. Absonderungen der verarbeitenden Industrie. Restlandschaften.

Dagegen halten die grünen Oasen, die der Strukturwandel wie ein heilendes Tuch über die verwundete Erde ausbreitete. Kulturlandschaften. Im Stil des Tachismus, spontan gesetzte Farbflecken. Sie erobern in friedlicher Absicht verwüstete Flächen zurück, gestalten ihren Traum vom Glück als Rückfahrt in die Zukunft.

Wo sind sie geblieben, Varus, die Legionen Roms und ihre brachiale Landnahme ? Der Glücksritter, die ihren Speeren folgten, konnten sie ihren Traum leben oder entpuppte sich die Militarisierung des Nordens nur als der zu allen Zeiten geltende Sachzwang einer einseitigen Suche nach Ressourcen, nach Kontrolle ?

Unhörbar scheinen sich die verschwundenen Militärbasen der alten Macht in situ über gegenwärtige und zukünftige strategische Punkte auszutauschen, die ihre Nachfolger setzen werden. Die Fragen nach ihrem Antrieb, dem Sinn, ihrer Glücksfindung bleiben zu allen Zeiten unbeantwortet.

In der Schichtentiefe rheinischer Städte und geschrumpfter Rheinauen verschwand die Stoßkraft des römischen Adlers mit den undurchdringlichen Wäldern Germaniens im Abseits der Zeit.

Ihre architektonische Präsenz wurde auf geomantische Tafeln einer kleinen wissenschaftlichen Elite verschoben. Ihre Asche mag verweht, ihre Aura scheint noch immer präsent zu sein.

Die Legenden mehren sich, wuchern über Ausgrabungsstätten. Die Zeit verwandelt Geschichte in Fragmente.

An der Oberfläche der Wahrnehmung verbleiben nur zierliche Gegenstände des Luxus einer antiken upper class. Zu unterhaltsamen Zeugen eines schweren Erbes waren sie herabgesunken und werden nun museal verwahrt.

Ein Hauch von Magie schwebt noch in der tellurischen Erinnerung an die Eiszeit über den Einschnitten der Rheinschleife, des Ruhrtals, der Lippe und des Emscherkanals, mögen sie auch noch so verformt und verfremdet in ein Korsett gepresst sein, dank des Zangengriffs der Technologie, die dieses Jahrhundert eisenhart vereinnahmte.

Seit den Urzeiten hatte keine Klimaveränderung mehr mit solch einer Radikalität in die Flächengestaltung eingegriffen. In Form eines tief gehenden Holzschnitts.

Es entstanden Landschaften wie Kommentare einer Vergangenheit, die die Maske des Fortschritts zudeckt.

Und deren Bewohner von den Wechselfällen und Krisen eines Zeitalters der Kriege des zwanzigsten Jahrhunderts geschunden sind, die sie in ein Dantesches Inferno zwischen Hoffnung und Hoffnungslosigkeit stieß. Zur brennenden Stadt Dis, angezündet von den Fackeln des Hasses.

Erst brannten die Werke der Dichter und Denker. Dann verschlangen sie die Synagogen und rissen mit ihnen Tausende friedlicher Bürger aus ihren Existenzen, der Vernichtung preisgegeben. Mit ihrem Verschwinden taten sich im Rausch des Wiederaufbaus Krater von Monokultur auf. Darin lagen verstreut sprachliche Inseln, getrennt von den Quartieren der Armut.

Ihre Einwohner waren in der letzten Jahrhunderthälfte in einem immer schneller rotierenden Wirtschaftssystem durch die Wellen der ökonomischen Veränderungen an den Rand gedrängt worden, in einen dauerhaften Zustand perspektivloser schwindender Seinsgewißheiten.

Parallel dazu sind die Leuchttürme der Arrivierten, der Privilegierten angeordnet, die ein barbarischer totaler Krieg aus den Zerstörungen der Bombennächte in einem beispiellosen Aufschwung auf den Wellenkamm getragen hatte. Zum Ritt auf wechselnden Gewäßern anschwellender und abschwellender Konjunkturen.

Die Vergangenheit ruht nun herabgesunken unter den Hügeln der Nacht. Vor den Inseln des Schöpfungswillens, die aus der Urflut des Nichts auftauchen, im unendlichen Leib der Himmelsgöttin Nut.

In dieser Sphäre der verblassten Sterne, der schwindenden Erinnerung an ihren verstorbenen Vater, an seine Lebenszeit, die zurückbleibt, abgehängt ist, während sie sich selbst in einer Hülle der Lichtlosigkeit mutlos vorwärts bewegt, den ambivalenten Gefühlen eines abhanden gekommenen Sinns - in diesem Nichts treibt die Boeing dahin, sendet ihre Positionslichter aus, scheint in den unendlichen Weiten des Urozeans Nun aus der Zeit zu fallen, in einen Zustand vor ihrer Erschaffung.

Die Passagiere geben sich erneut dem Dämmerzustand hin. In ihrem Unterbewußtsein lauert ein Meer des Chaos, auf dem ihre diffusen Ängste und Befindlichkeiten treiben. Ein Zustand der Anarchie und des Unrechts, dem sie sich ausgeliefert fühlen.

Sie sind in diesen Orkus aus Träumen gestoßen, bleiben vorerst in der ihnen endgültig erscheinenden Einschränkung ihres Daseins gefangen.

Aber in dieser angsteinflößenden Welt der Düsternis, den Vernichtungsstätten dunkler Materie, im Zustand des ewigen Nichtseins, in diesem absoluten Tiefpunkt, in dem es keinerlei Grauzonen mehr gibt, weilen dennoch Urenergien. Bereit, die Reisenden neu zu formen, sie in dieser anfänglichen Ursuppe auflösend neu auszurichten.

So fahren sie auf null zurück, driften in diese unbekannte Welt vor der Schöpfung ab, die keine Zeit kennt.

Hinab zu den unbekannten Regionen des Todes, zu der Behausung der Seelen der Toten in Gestalt der Ba-Vögel.

Um regeneriert, aus den Tiefen der Nacht und verborgener Räume neue Eindrücke zu gewinnen. Sich zu öffnen und vielleicht sogar ein neues Leben zuzulassen.

" Machen Sie mehr aus Ihren Energien ! ".

Der Aufschrei ihres Sitznachbarn angesichts des Werbespruchs eines örtlichen Fitnesstudios in dem Magazin, das ausgebreitet auf seinen Knien liegt, läßt sie aus ihren Träumen hochschrecken. Kopfschüttelnd wendet sie sich wieder ihrer Lektüre zu.

Der Zustand der absoluten Leere soll ja laut Buddhismus der Weg zur Erleuchtung sein, denkt sie.

Davon kann in diesem Vogel keine Rede sein, sieht man sich mal hier den Durchschnittstouristen an.

Versammelt im Wartesaal des Glücks, verreisen sie auch zum Alltag anderer mit dem eigenen im Gepäck. Diese Erkenntnis läßt sie leise schmunzeln.

Welche Energien hatten sie eigentlich veranlaßt, solche Strapazen auf sich zu nehmen ?

In der Nacht aufzustehen, unausgeschlafen zum Flughafen zu fahren, ihren schweren Koffer aufzugeben und zwei Stunden lang gestresst auf den Abflug zu warten. Zumal es nicht ihre erste Reise nach Ägypten ist.

Und jeder Abflugtag sich zu einer Prüfung ihrer Ausdauer ausweitete, denn auf direktem Wege und bequem am Tage konnte man dieses Land nicht erreichen.

Die Flugpläne sahen viele Umwege, Geduldsproben und unzählige eigentlich überflüssige Belastungen vor.

Als sei man gezwungen, sich auf labyrinthischen Wegen diesem Land zu nähern, als sei dies ein Abbild der gewundenen Gänge in den Gräbern von Theben - West, zu einem unbekannten Ziel.

Oder sitzt sie als Königin Nefertari vor ihrem Brettspiel Senet, das auf Spruch 17 des Totenbuchs Bezug nimmt ? Das verschiedene verschlungene Wege zuläßt, aber nur ein Pfad den Gefahren im Jenseits ausweichen kann.

Die Anfänge ihrer biographischen Schnur waren in ihrer Kindheit gelegt worden, als ihre Tante von der Vierjährigen an der Hand ihres Vaters am Flughafen Düsseldorf abgeholt wurde. Beeindruckt von den einladenen Erzählungen über eine fremde und überaus geheimnisvolle Kultur, ließ sie ihr späteres Lebensziel schon früh ins Auge faßen. Nach Ägypten fliegen, wenn sie erwachsen sein würde.

Hatte diese Erinnerung an ihre frühen Jahre Wurzeln in dem Patchworkmuster ihres Studiums getrieben, auf diese Weise ihren Berufswunsch Diplomatin in ihr entstehen lassen ?

Oder ging sie nur stur ihrem Ziel entgegen, alle Ausgrabungsstätten aufzusuchen, um ihrer Pasion von Erkenntnis nach Wahrheit, nach Antworten auf die großen Menschheitsfragen in den abgelegten, beziehungsweise losgelösten Kulturen der Zeit zu suchen ?

Einer vom Menschen geschaffene Ewigkeit - auf altägyptisch neheh -nachzuspüren, die die Welt mit ihrem Eintritt in die Schöpfung bis hin zu ihrer Auflösung am Ende aller Zeiten umfaßt.

Gibt es in diesen Schichten Zwischenräume zu entdecken, die in direkter Verbindung mit jenem Kontinuum stehen, das Antworten in der Vergangenheit zu finden sucht, im Hinblick auf die alles entscheidenden Fragen nach der Zukunft?

Sie gerät in einen Zwiespalt bei einem der vielen ägyptischen Wortspiele, die die Erschaffung des Menschen in Verbindung zu seinem Schicksal setzen, " Mensch " und " Träne ".

Nun als Urgott spricht in den Sargtexten des Mittleren Reichs :

 " Weinen mußte ich wegen des Wütens gegen mich. Die Menschen gehören der Blindheit, die hinter mir ist. "

In dieser vorübergehenden Trübung ging die Menschheit aus dem vom Weinen verschleierten Götterauge hervor.

Dazu verdammt, in allem den Gefahren der Täuschung jederzeit zu erliegen und nie am klaren Götterblick teilzuhaben.

Das Rauschen der Turbinen in dieser scheinbar finsteren Endlosigkeit des Fluges ist alles, was sie abgekapselt von der Außenwelt wahrnimmt, während die Landschaft Süddeutschlands unter ihrem Luftschiff im Dunkel verharrt.

Die Maschine hatte in einer Kurve über Hessen Niederbayern erreicht, noch bevor die Dämmerung einsetzte. Eine rote Spur am Horizont verheißt ihr den bevorstehenden Sonnenaufgang.

Zeit für sie, ihr angefangenes Gedicht über den Sonnenuntergang unter dem Eindruck zurückbleibender dunkler Himmel abzuschließen, die ihr in ihrem bisherigen Leben näher zu sein schienen als jede Morgenröte und im voranschreitenden Tagesablauf ihrer Entwicklung verflachte, niederging, ihr das Licht stahl :

... Vor Toresschluß ein ohnmächtiges Staunen

obschon der Sonnenball in feuriger Blüte

hinter dem Horizont rang

mit seinem Untergang

verschallen wir im Raume

noch der mächt`ge Strom in unseren

Adern sang

Rosenfingrige Akzente durchziehen nach und nach das Firmament, setzen sich gegenüber den Mächten des Dunkels durch, kehren die Zeit von West nach Ost um. Die Schockerlebnisse der Vergangenheit, der Gegenwart, die unzähligen Tode, die sich in die Träume der Mitreisenden ins Buch der Nacht eingeschrieben haben, weichen einer Morgenröte, einer aufkeimenden Zuversicht.

Das Osttor von Sais wird aufgestoßen. Aus der morgendlichen Glut steigt verjüngt der Sonnengott, auf seiner Lotusblüte erscheinend.

Die Passagiere erwachen einer nach dem anderen aus ihrer Erstarrung, verfolgen, wie sich der Sonnenball aus der Insel des Aufflammens am Horizont erhebt und die Landschaft schlagartig vor ihren Augen belichtet. Voraus erstreckt sich schon das Panorama der leuchtenden Gipfelhöhen der Alpen.

Diese zerklüftete Felslandschaft befand sich in ihrem Uranfang seit etwa 135 Millionen Jahren in einem mehrstufigen Prozeß, wobei unvorstellbare Kräfte vor circa 45 Millionen Jahren die Meeresablagerungen, Korallenstöcke und abgestorbenen Tiefseebewohner des tropisch warmen Urmittelmeeres Thetys zum Hochgebirge aufgeschoben haben. Und die Bergrücken ihre heutige Gestalt durch Erosion annahmen.

Ein Prozeß im Schneckentempo, der bis in die Gegenwart anhält.

Lange Schatten kriechen über grüne Täler zwischen vergletscherten Höhen. Bekränzt mit Wölkchen aus Zuckerwatte, unter den Blicken der zu neuem Leben erwachten Fluggäste. Ihr Flüstern und ihre Ahs und Ohs über mystisch anmutende Kalksteinmaßive vor tief eingeschnittenen Schluchten mischen sich mit dem ruhigen Geräusch der Turbinen.

Grenzenlose Bilder der Archaik, entstanden in ungeheuren Zeiträumen, die jedes Vorstellungsvermögen der Passagiere übersteigt und sie die sichtbare Oberfläche als Teil eines Erlebnisparks Alpen wahrnehmen läßt, den sie genüßlich goutieren können.

Ein weiterer Meilenstein auf der Abhakliste ihrer touristischen Eroberungsversuche der Landkarte, die sich im ausgehenden 20. Jahrhundert unter ihnen dehnt. Um keine weißen Flecken in der eigenen Biographie aufkommen zu laßen.

Dieser Individualismus läßt den Himmel über dem Planeten zu dicht beflogenen und abgesteckten Routen verkommen.

Hustle in the air !

Der Kontrast zu dem von den Jahreszeiten abhängigen traditionellen Leben der Bergbauern könnte nicht größer erscheinen. Zeitzungen, die sich überlagern, aber kaum berühren.

Die Ankündigung des Flugkapitäns, daß der Krieg in Jugoslawien die übliche Flugroute nicht mehr zuläßt, sondern eine Kursänderung über Italien und den Peloponnes erzwingt, läßt nur einige wenige kurz aufhorchen.

Grandios, geheimnisvoll wie beim " ersten Mal " der Schöpfung, steigt die Sonne über die höchsten Gipfel empor, geboren aus dem Schoß der Nut, gehoben von den Armen Isis und Nephtys, dem

" Aufleuchten in der Türöffnung des Horizonts zur Stunde - die die Vollkommenheit des Re erscheinen läßt - um den Lebensunterhalt der Menschen zu schaffen, des Viehs und allen Gewürms, das er ( Re ) geschaffen hat ".

Auf einem Gleitstrahl zieht die Maschine dahin. Unter ihrem Bauch das träge Vorbeigleiten geschichteter jahrtausend alter Prägungen durch den homo sapiens sapiens. Parzellierte Flächen, eine Paul Klee - Landschaft.

Die Sicht bifokal, glitzert schon am fernen Ufer Afrika, steuert der Flieger erwartungsvoll neuen Horizonten entgegen, touristisch wohldosiert aber in Abstandshaltung. Im Gepäck den Erlebnishunger, der die Offenheit aus zurückgelassenen Taschen europäischer Bindung an materieller Raum - und Zeiterfahrung hervorkramt.

Ihre Sichtweisen wechseln noch im Stundentakt, mal mykenisch, dann dorisch streng, kyklopisch mauernd, rückblickend.

In weiten Bögen verstreut liegen die Trümmerellipsen, megalithisch aufgetürmt in beigen Abstufungen, kriecht die rossenährende Argolis staubverbrämt unter den Flugschatten. Im Geiste die Byzantinismen unter donnernde Hufe drückend.

Thirenisch trübe fischt sie anschließend über Santorin in alten Atlantisuntergangssagen, da sich der climax des Lebenszyklus jedes Mal in Richtung Sinkflug einpendelt, je mehr sich die inneren Uhren der Kulturen im Stundentakt umstellen.

Verheißungsvoller Dunst schiebt sich nun ans Zeitfenster der Flugkabine heran. Hier in der Troposphäre, im Luftraum des Schu, spielten sich alle Wetter der Gezeitenwenden des ägäischen Kulturkreises ab.

Übrig blieb, dank der Dürre, die der klimatische Schatten zum Totengräber des Alten Reichs auf ägyptischen Boden werden ließ, ein Palimpsest der Meereszivilisationen. Wiederkehrende Tsunamis schichteten die Kulturen auf, gaben Kreta und Alexandria den Todesstoß.

Tektonische Bruchkanten zogen unsichtbare Grenzen, stürzten jene auf dem Höhepunkt vom Sockel.

Äolus Winde nivellierten die klaren Umriße. Aufsteigende Luft läßt sie für einen Augenblick vor dem Sonnenflieger aufblitzen und dann in die Vergessenheit zurückfallen.

Anstelle der Morgenröte jener geheimnisvollen Bronzekultur regiert amorphe Kargheit die Inselwelt, die Eos mit ihren rosenfingrigen Strahlen wie einen Steinhaufen hingeworfen hatte.

Den Archipel der Kykladen, dessen innere Bezirke wie ein komplexer Nebenweg auf den Traumpfaden des Altertums erscheint. Ein Brückenpfeiler zum großen Tempel Ägyptens.

Inmitten des Kreises Delos, Geburtsstätte der griechischen Version des Sonnengottes, die Insel mutiert zu touristischen Dimensionen.

Seine Löwen blicken vergeblich in die sphinxartige Leere einer verstrahlten Gegenwart.

Das Sonnenlicht Apolls winkt unbemerkt herüber. Übertönt von dem Klappern der Kaffeetaßen, die lächelnde Flugbegleiterinnen im wiederkehrenden Reigen ausschenken, die Langeweile der Passagiere zu unterbrechen oder ihre Versenkung in farbige Magazine. Gegenwartskulten huldigend - Models, Fußballstars und Sternchen - dem Staccato der Tagespolitik. Dem Augenblick und keiner Ewigkeit geweiht.

The cycle of Osiris ... der Mummenschanz der Kykladenidole erhebt sich am Rande, überspringt die Zeiten plastisch skulptural ins 20. Jahrhundert, zu den Arbeiten eines Brancusi, Arp, Modigliani, Ernst oder Fritz Wotrubas.

Und sie begleiten sie unbemerkt auf ihrem Flug beim Herausgehen am Tage, verborgene Führer der Seelen im Totenreich ... .

Noch immer liegt ein Hauch von Magie und Schutz vor Unheil in Zeiten unerklärlicher Bedrohungen über den verstreuten Inselbergen. Von den Göttern scheinbar verlassen, aus den Untiefen neolithischer Vergangenheit aufsteigend.

Der Zauber der großen Göttin weht herüber, die Geburtshelferin der ersten kulturellen Blüte. Ihren geheimnisvollen Nimbus konnte auch Äolus nicht verwehen.

Doch das Licht des Orients, das am Horizont lockt, hat seinen Einfluß verloren, im großen Spiel des Auf - und Niedergangs zeitenwenderischer Kulturen. Verklungen ist der Harfenton angesichts atonaler Ausrichtung der Moderne.

Der erhöhte Standpunkt der Flugkabine gewährt ein all inclusive Programm : Tanker, Fähren und Seegelboote durchpflügen die See.

Doch noch andere Zugvögel durchstechen la mer. Fügen der maritimen Symphonie den Paukenschlag hinzu.

Im crescendo des dichten Gedränges der grimmige Trommelwirbel der Kriegsschiffe. Flugzeugträger, U - Boote, Zerstörer und Fregatten.

Sie ersetzten das antike Wanderungsbedürfnis im Zusammenspiel mit Handel und Konflikten und schliffen die Fruchtbarkeitsymbole durch das Meer ab, lange bevor der Schlußakkord die Insel Philae am Ende aller Pharaonenreiche erfaßte.

Zu Wasser und zu Lande weisen die Geometrien den Weg durch das Gewirr der Seevölker, wogt der Sturm einer Koalition von Städte - und Reichszerstörern heran, antwortet labyrinthisch das Echo der Peleset ( Philister ), Tjeker, Danuer und Ahawascha. Piraten, Mykener ?

Das Dunkel der Ereignisse wirft Theorien an den Strand, läßt den Strom des Geschehens in den erzählerischen Mythus einer sagenhaften Heldenzeit münden.

Die aufgewühlte See der Raubzüge und Umwälzungen, die Schaumkronen der Eroberungen, von Söldnern und Hilfstruppen getragen, deuten Geschichte in Sage um.

Und Ilias, Odyssee und Äneis lösen die ersten Seeblockaden im östlichen Mittelmeer ab. Die ägäischen Wanderungen wurden zur Bedrohung Ägyptens. Ihr Glaube an eine geordnete Welt geriet in gefährliche Fahrwasser.

Es berichtet Ramses III., Auszug aus seiner Inschrift im Totentempel Medinet Habu / Theben - West:

" Die Völker der Meere schlossen sich auf ihren Inseln zu einer Verschwörung zusammen. Sie hatten den Plan, die Hand auf alle Länder der Erde zu legen. Kein Land hielt ihren Angriffen stand. Von Hatti an wurden zu gleicher Zeit vernichtet: Qadi, Karkemis, Arzawa und Alasija. Ihr Lager schlugen sie an einem Ort in Amurru auf. Sie zerstörten die Länder so, als ob sie nie existiert hätten. Sie kamen, bereiteten ein Feuer vor und sagten: " Vorwärts nach Ägypten " . Ihre Herzen waren voller Vertrauen: " Unsere Pläne gelingen ", sagten sie zuversichtlich. "

So kam es zur Invasion Palästinas und dem Ende der ägyptischen Provinz Kanaan. Krethi und Plethi wurden nach vernichtender Schlacht als Militärkolonisten im heutigen Palästina angesiedelt und bildeten blühende Stadtstaaten.

Über der Ostküste Kretas fallen ihr die Augen zu. Die Dimensionen der Vorzeit werden von dem Abgrund der ineinander fließenden Wasser der Ägäis verschlungen.

Immer stärker verläßt sie die Wahrnehmung der äußerlichen Geschäftigkeit im Flieger. Getragen vom monotonem Brummen der Turbinen, gleitet sie hinab, in Regionen abgelegener Räume eines Labyrinths, dem Rauschen der Zeiten folgend.

Eine Flöte spielt auf. Sie erliegt ihrem antiken Zauber, lauscht den bekannten Tönen.

" Mein Gott, die Melodie ist eine Reminiszenz an Mozarts Zauberflöte. "

In den letzten Monaten hatte sie die neu erworbene CD zweimal abgespielt.

Am jeweils darauf folgenden Morgen erfuhr sie vom Tod der Princess Diana und vom Anschlag vor dem ägyptischen Museum in Kairo, der mehrere Todesopfer in einem Touristenbus forderte. Mit Schaudern erinnert sie sich an beide zurückliegende Ereignisse.

Eine plötzliche Turbulenz reißt sie aus ihrer Erstarrung hoch. Kaffeetassen scheppern über dem Boden. Der junge Mann in der vorderen Reihe hält seinen Pappbecher fest. Die übrigen Passagiere versuchen ihr Gleichgewicht zu halten. Dann verschwindet der Spuk genauso schnell wie er gekommen ist. Die Müdigkeit übermannt sie. Und sie sinkt zurück in einen dunklen Wachzustand, oder ist es eher ein heller Schlaf ?

Von diesem beispiellosen Gefühl der Zeitlosigkeit eingenommen, an einem Standort außerhalb gekaufter Wirklichkeiten im Jetzeitalter, fühlt sie sich tiefer und tiefer in einen Strudel hinabgezogen, bis Inselberge aus glänzenden Fluten inmitten der grünen See vor ihrem inneren Auge auftauchen.

Die fernen Klänge der Flöte, Paukenschläge und das Zirpen der Zikaden treten erneut in ihr Bewußtsein, unterbrechen für einen Augenblick den Eindruck unendlichen Fallens durch ein schwarzes Loch ihres Traums.

Oder erlebt sie gerade, wie ihre Sinne, an steinernen Wänden vorbei, in einen langen Schacht trudeln, anderen Denkweisen, Wahrnehmungen entgegen ? Steht sie außerhalb der Zeit oder bewegt sie sich auf eine andere Dimension, ein anderes Universum als den Himmelsozean zu ?

Die Schleier heben sich. Sie nimmt verschiedene Frequenzen wahr, Stimmen, Geräusche, fremdartige Klänge.

In einem unübersichtlichen Labyrinth von Sinneseindrücken, Bilderfluten, die keine klare Sicht zulassen, versucht sie sich zurecht zu finden. Grenzenlose Fluchten in Geschichtsräumen, gewundene Gänge vergangener und gegenwärtiger Politik, Bruchstücke von Epochen, die aufblitzen und abrupt verschwinden. Wie beim Drehen des Knopfes am Radio, man kann den Sender nicht einstellen.

Kafkaeske Momente des Suchens und Fragens, auf die sie keine Antworten erhält. Die immer schnelleren Sinnesüberreizungen erfüllen sie mit Angst, während sie durch unbekannte Gänge hastet, ohne den tröstlichen Faden einer Ariadne.

" Knossos ", fällt ihr plötzlich ein. " Bin ich etwa im Labyrinth des Minotaurus gelandet, im Haus der Doppelaxt ? "

Aber da ist noch mehr. Verwundert nimmt sie wahr, daß sie plötzlich vor einem Feuersee zu stehen scheint.

Von dem zwei Wege abgehen. Einer zu Lande, einer zu Wasser. Die geknickten zwei Wege in der Unterwelt. Als befände sie sich inmitten eines Initiationstextes des Zweiwegebuchs des Mittleren Reiches.

Nach dem verheerenden Untergang des Alten Reiches durch eine extreme Dürreperiode, ausgehend von einem Klimaschock bei gleichzeitigem Autoritätsverlust des Pharaos und seiner Priester, entstand im Volk die Furcht vor den Gefahren im Jenseits, den Gefahren unter und auf der Erde.

Vulkanismus in grauer Vorzeit brachte die dunklen Kegel der Schwarzen Wüste in einem Gürtel von der Oase El-Baharija bis nach Memphis hervor. Alle geologischen Schrecken der Plattentektonik im Roten Meer taten ihr übriges, um die Jenseitsbeschreibungen zu " demokratisieren " und nicht länger auf Pyramidentexte der solaren Himmelfahrt eines Pharaos zu beschränken.

Die Angst vor den rohen und vernichtenden Kräften der Natur, denen die alten Ägypter sich am Ende des Alten Reichs ausgesetzt sahen, beherrschten nun mit aller Macht ihr Weltbild. Eines, das nicht nur den toten Pharao betraf, sondern alle anging. Und es förderte die Entstehung des Zweiwegebuchs, der Sargtexte.

Vor den sperrenden Toren, bewacht von blockierenden Dämonen, die die Weiterfahrt der Toten zu verhindern suchen und nur durch mitgegebene Sprüche und Warnungen in den Sargtexten abgewehrt werden können, tut sich immer wieder die Gefahr der Irrwege auf, die in den Feuerstrom führen.

Eine Landschaftskarte wird sichtbar, Wegweiser für die Toten zum Gefilde des Osiris, nach Rosetau. Dessen Eingang sich unter dem Plateau von Giza befinden soll.

Sie fragt sich, ob sie in das berühmte Labyrinth des Amenemhet III. katapultiert wurde. In jenes von Hawara, das Herodot beschreibt, es überträfe noch die gewaltigen Pyramiden ?

Von dem Strabo behauptete, daß man den Weg durch die Gänge und Höfe nicht ohne Hilfe eines Führers finden könne ?

In dem es 1.500 ober- und 1.500 unterirdische Kammern gäbe und Pyramiden an jeder der vier Ecken des Labyrinths mit unterirdischen Gängen ? Und das als Verehrungstempel des toten Pharaos diene ?

Doch diese Labyrinthe scheinen nur nach und nach die architektonische Hülle für die Abfolge zeitlicher Kammern zu sein, die an ihr wie ein Kaleidoskop des Aufstiegs und Falls der Kulturen vorüberziehen. Seit der Seßhaftwerdung des Menschen im Neolithikum, bis zur Wiege europäischer Kultur der Minoer.

Die auf geheimnisvolle Weise alle untereinander verbunden zu sein scheinen.

Sie folgt der aufspielenden Flöte, gelangt zu Bergheiligtümern wie dem Berge Ida mit gewundenen Gängen, symbolischen Doppeläxten und magischen Felsbildern des Latmos im wilden Karien. Frühe Heimat der Minoer und letzter Fluchtpunkt nach dem Untergang ihrer Kultur.

In der Morgenröte der Menschheit tritt die Welt der Höhlen rund um die Ägäis in ihrer Form als Gebärmutter hervor. Als Iniationsort der sich täglich wiederholenden Geburt der Natur, der Entstehung ihres Lebens nach der vorangegangenen heiligen Hochzeit.

Ihre verzweigten Wege erweisen sich als Sinnbild der unbewußten Suche nach dem richtigen Weg. Nach dem Weg aller Menschen und auch dem ihren, der ihr verheißungsvoll, aber noch labyrinthisch verborgen erscheint.

Da gab es in der Menschheitsgeschichte so viele Vorstellungen. Einige sind ihr geläufig.

So Platons Höhlengeheimnis und die Wahrnehmung der ideellen Welt hinter der sichtbaren.

Leonardo da Vincis Ölgemälde Maria in der Felsengrotte.

Das Höhlenbuch der Alten Ägypter, Aufzeichnungsschrift der Fahrt der Barke des Sonnengottes auf dem Urstrom des Jenseits. Vorbei an hohen Ufern, auf denen die Höhlen oder Grüfte der seligen Toten liegen, bis zum Sonnenaufgang und dem Aufstieg ins Licht der täglichen Wiedergeburt.

Mozarts Zauberflöte; die Königin der Nacht entpuppt sich überraschenderweise im Laufe der Handlung als Gegenpol zu Sarastros Weisheit. Der immer währende Kampf des Schattens entspinnt sich gegen das Licht.

Und die Welt der Freimaurer, " per aspera ad astra ", ein Ringen um den mühseligen Aufstieg aus der sie umgebenden Welt des Chaos und der Unwissenheit. Die das Dunkel verkörpern, hin zur erobernden Erkenntnis im Gewande des Lichts.

Pythagoreer, Eleusinische Mysterien.

Illuminaten, komplex aufgebaut in ihren Iniationsgraden, die den Aspiranten im Gegensatz zum Aberglauben des Volkes in die Staatsausübung und in Kenntnis eines Weltbildes durch Desillusionierung einweihen sollten, entziehen sich einer rationalen Einordnung. Eindrücke und Erkenntnisse über die wahre Identität der Illuminaten verdichten sich zu einem undurchsichtigen Brei, der keine logischen Schlüsse mehr zuläßt.

Dem Volk diese geheimnisvollen Wahrheiten in Form großer Mysterien vorzuenthalten, war Ziel und Angelpunkt, um umstürzlerische Konsequenzen fernzuhalten.

" Kurz gesagt, es geht immer um Informationsvorsprung und die Möglichkeit der machtpolitischen Pervertierung großer Menschheitsideale, vorbildliche Modelle ins Gegenteil zu kehren, " fällt ihr dazu ein.

Aber dies sind Seitenwege, die zum Feuerstrom abzweigen.

Die Phantasie der Menschen scheint mit der fortschreitenden Geschichte die Räume des Labyrinths immer weiter auszudehnen, bis zur Größe und Unermeßlichkeit des Alls.

" Einerlei ", ihre Gedanken vertiefend, " ob mir eine Illuminatenhöhle von Aigen bei Salzburg im Umkreis von Mozart und seiner Weisheitsreligion erscheint, die Ägypten darstellen sollte. Oder ob es sich um den unbekannten Kult entlegener thrakischer und phrygischer Felsheiligtümer handelt, um den Sitz der Großen Göttin und das symbolische Grab des Herrschers zu verkörpern.

Oder der Zauberflöte phrygischer Geist innewohnt, beziehungsweise auf alte ägyptische Mysterien zurückzuführen ist, wie es Schikaneder in seinem Libretto niederlegte. "

Der Ausgangspunkt bleibt für sie das Echo der Höhlen der letzten Jahrtausende rund ums Mittelmeer.

Kultplätze der Jäger und Sammler. Ihre verinnerlichten Erfahrungen auf dem Pfad der Angst, dem täglichen Überlebenskampf. Dahin scheinen sie alle Wege zurückzuführen. Die Dissonanz der bedrohten Schöpfung, hervorgerufen durch unvernünftiges Verhalten und ein entsprechender Lernprozeß durch Schocktherapie. Ein immerwährendes auch aktuelles Problem. "

Dazu brauche ich keinen Initiationsweg eines Neophyten der Illuminaten in der Höhle von Felberbach zu beschreiten.

Und ob es im wirklichen Leben zu einer guten Wendung kommt wie in der Zauberflöte, mag dahin gestellt sein ", meint sie in einem Anfall prophetischer Vorhersage kundzutun.

Weitere dunkle Höhlen durchquert sie, die sie nicht einordnen kann. Sie scheinen außerhalb des ägäischen Kulturkreises zu liegen ... .

Sie erwacht und starrt aus dem Fenster. Die glitzernden Fluten verwischen die letzten Spuren ihres seltsamen Traums.

In Sichtweite erscheint eine unbekannte Küste, die ihr Herz höher schlagen läßt.

1. Kapitel

Annäherung an ein unbekanntes Terrain

" umschifft der Nachen

die Papyrushaine vieler Seelen Fährten

durchzieht ihre inneren Gärten

der nachglühenden Landschaft

arabisches Lied "

Die Gestade öffnen den Blick auf endloses arides Gebiet.

Entfachen ein Feuerwerk informeller Malerei auf der überbelichteten Netzhaut des Betrachters. Zu einem öden Geröll - und Sandreich, das die Wasserfluten des Mittelmeeres abrupt abschneidet.

Leise vibriert der Flieger beim Einflug in das Wüstenreich des uralten memphitischen Totengottes Sokar aus der Schrift des verborgenen Raumes, dem Unterweltsbuch Amduat.

Vor dem Feuerhauch der Göttin Isis und der Ungewißheit sich schlängelnder Pfade durch die Schluchten der sandigen Wadis in der libyschen Wüste, den tiefer liegenden Schichten der fossilen Wasser des entschwundenen Thetysmeeres und den steil abfallenden Depressionen eingebrochener Sedimentschichten unter Meeresniveau.

Mondgesichter, so weit das Auge reicht. Eine Momentaufnahme, die die Zeit anhält, zur Rückbesinnung auf üppig grünende Flußtäler.

Versiegte Lebensadern, deren Vergänglichkeit sich tief in das Gedächtnis der Menschheitsgeschichte eingruben.

Die Chiffren des stetigen Klimawechsels gruben den muschelbedeckten Sandregionen und dem Nachhall großer Herden in den verblassenden Felszeichnungen der Früh- und Vorgeschichte buchstäblich das Wasser ab, die auf ihren Nordwanderungen auf den entschwundenen Savannen grasten. Verschluckt von einem Ozean der Zeit.

Hier scheint alles auf Anfang, der Mensch und die Landschaft.

Ihren Extremen ausgeliefert, prägte sie nachhaltig seine Entwicklung und Kultur. Und dennoch gibt sie Einblicke in den Zenit der ältesten Erdzeitalter, bis zum homo erectus, den Menschenaffen und den Zeiten des Kambriums.

Endlose Dünenlandschaften ziehen unter dem Flieger dahin, wellig wie die Haut einer Schlange, durchzogen von erodierten Gebirgszügen, geologischen Extremformationen, schwarzen, weißen Geröll -, Kalkwüsten. Ihre Entwicklung vollzog sich unter der Herrschaft des feurigen Sonnenauges, die Ägypten Jahrtausende vor den Feinden im Westen abschirmten.

Afrika, das ist das Flimmern eines ganzen Kontinents beim Flug über die Wüste, in die Verwüstungen unserer Zeit.

Das ist das Reisen, das die fremden Heere herantrug, die Eroberer und Söldner. Und mit ihnen kam das Plündern der Bodenschätze, der Kulturgüter, der Beginn von Abhängigkeiten. Die Aufteilung in eine erste und eine dritte Welt, die Versklavung, das Kapital, das Erwachen der Begehrlichkeiten.

Ihr folgte die Abholzung von Lebensgrundlagen, die Entwurzelung seiner Bewohner. Dieses Drama eines reichen Kontinents, der im Dunst der Fata Morgana westlicher Berichterstattung verschwand, schwimmt unter den Fieberschüben hoher Temperaturen.

Und auf politischen Tafelbergen vor dem fernen Auge des Betrachters zu verflachen droht, zunehmend reduziert auf seine schwitzenden Landschaften, seine Konflikte, seine schwelenden aber untergegangenen Kulturen, an denen die strategischen Punkte der Tourismusindustrie aufgereiht sind. Dazu als Kontrapunkt - seine vom täglichen Existenzkampf beherrschte Übervölkerung - ausharrend in den Sandstürmen der Jetztzeit.

Eine ehrliche Annäherung erweist sich für den westlichen Leser als schwierig, weil er an der Hürde der schlichten Unkenntnis der arabischen Sprache und Kultur scheitert. Unfähig, die lyrischen Gesänge des Orients in ihrer Schönheit und wehmütigen Klage wahrzunehmen.

Eine zunehmend unüberwindliche Barriere baut sich aufgrund einseitiger Ausrichtung auf, die durch unbewußte Voreingenommenheit und latente Ablehnung infolge negativer Beeinflußung dank eines einseitigen Katastrophenjournalismus seit Jahrzehnten entstanden ist, wobei ein vermeintlich westliches Überlegenheitsgefühl evoziert wird.

Und Mißverständnisse auf beiden Seiten fördert.

" Aufgeweicht der Weg im Morgen,

die Pfade zugedeckt

vom Marktgeschrei

Dagegen setzt sich die Magie eines Erdteils, der in den Abbrüchen seiner Geschichte und seiner Erosion den Reisenden wie in einen Zeitfächer in seinen Bann schlägt.

Eine Topographie der Ereignisse, die es zu entdecken gilt, sich dabei monetären Betrachtungsweisen aufs angenehmste entzieht und seine Ströme die Phantasie entzündet und belebt.

Das Blendwerk westlicher Zivilisation zurücklassend, erscheint uns das afrikanische Festland im Anflug in seiner ganzen Kargheit und Blöße. Man stößt darauf hinab, geht ihm unter die Haut. Als stöße man auf den Grund des Unbewußten vor, zum Kern unseres Seelenursprungs.

Als spräche man zu den Flüssen, zu der Erde, zu der Wüste, zu einer inneren Landschaft.

Ausgeformt in Jahrmillionen, die ein Gefühl des Staunens hinterläßt, angesichts des unendlichen Horizontes vor der Dualität der Verhältnisse : Himmel und Erde, Fruchtland und Wüste, Nilschwemme und Dürre.

Und was im Himmel ist, ist auf Erden oder in altägyptisch: Was oben ist, ist gleich dem, was unten ist.

Das nervöse Zucken der Sonnenstrahlen auf ihrer Haut beendet ihren Schlummer. Wohlig rekelt sie sich, sichtlich amüsiert über eine Touristin mit offenkundigem Ziel Hurghada, die im Bikini vor der Toilette steht.

Andere, nur Badestrandziele anstrebende Passagiere, lachen angeheitert auf. Den langen Flug überstehen manche dieser bizarren Gäste im Zustande der Abfüllung mit Whisky und anderem Hochprozentigen, der großzügig angeboten wird. Von einhergehender Randale wie auf vielen anderen Flügen zu den Stränden des Mittelmeeres ist hier nichts zu spüren. Dafür rumpelt die Maschine ständig. Turbulenzen. Die Flugbegleiter im Dauerstreß jonglieren gekonnt mit Tassen und Tabletts.

Der Sonnengott hat seinen bisher höchsten Stand erreicht. Blendend schüttet er seine Strahlen vor den Bordfenstern aus.

Wie durch einen archaischen Vorhang aus tausenden Glassplittern blinzeln die verlassen wirkenden Kalksteinmaßive vor dem auftauchenden schmalen Band des Fruchtlandes, das sich wie ein Kragen um das tiefblaue schlingernde Band des Nils legt. Seitwärts das Delta, der ausladene Papyruskopf, an dem der Urstrom in Form eines schlanken Stiels hängt.

Die Maschine ruckt beim Flug über die Wüste.

Die Pärchen in den vorderen Sitzreihen kleben dennoch an den Fenstern. Das Tableau dieser leblos wirkenden Sand- und Steinebenen elektrisiert sie wie ein riesiger Eisenmagnet. Unüberhörbar das hundertfache Summen der Auslöser ihrer Kameras. Aber auch die Flüche über verwackelte Aufnahmen erfüllen die Maschine. Eine sonore Stimme ertönt, euphorisch.

" Hier spricht Ihr Kapitän. Wir haben gerade die westliche Wüste erobert, befinden uns in 10.000 Metern Höhe mit Kurs auf Luxor, Südsüdost, visieren Theben-West an, drehen in Richtung Süden eine große Schleife über den Nil und erreichen den Flughafen voraussichtlich in ca. zwanzig Minuten. Dank der Wetterlage ist weiterhin mit Turbulenzen zu rechnen.

Ich hoffe, Sie genießen unseren Flug, " meint er lachend. Im Lautsprecher klickt es heftig.

Die westliche Wüste ! Der Zutritt zum Totenreich ! The way to eternity !

Für Europäer aus der Sicht der sicheren Bordsessel sind dies philosophische Einblicke in eine Welt, die therapeutischen Charakter haben könnte. Ihre Weite scheint die Knoten ihrer inneren Bindungen aufzulösen. Ihre Schau läßt alles hinter sich. Sie wird zum Fixpunkt der Bedürfnislosigkeit.

Ihre Leere führt auf den Ursprung allen Seins zurück. Sie steht für die Auflösung des Seins im Meer der Zeit und ist aus menschlicher Sicht der Tod. Ein Nullmeridian auf einer Skala von Möglichkeiten. Ein Atemzug in Jahrmillionen, der alles verschlingt. In ihr verblassen alle menschlichen Lebensentwürfe, denkt man an die verstreut herum liegenden Ruinen. Eine Metamorphose des Lebens hin zum Tod.

Ein Ödland, über das ein Hauch von Abschied liegt. In das sie eintaucht, sich zu erinnern. An zu früh gegangene Freunde, an ihren Vater. An verinnerlichte Orte, die sie verlassen mußte, der clash ihrer Gefühle.

Selbst die Pyramiden, von der Zeit gefürchtet, sind als kleine Hügel weit unten aus zehntausend Metern Höhe auszumachen. Ihre Kalksteine, extremen Temperaturen ausgesetzt, bröckeln unaufhörlich.

Eine tickende Sanduhr, die in Jahrtausenden misst und nur Grundrisse hinterläßt. Auch von den Emotionen ihrer Erbauer, die sich buchstäblich in Luft aufgelöst haben.

Diese Sandleere, die immer da zu sein scheint, während alles Materielle schwindet. Verneinend steht sie als Symbol für die Fortdauer der Schöpfung, hebt die Vermessung der Zeiten auf.

Die Wüste ist die Wahrnehmung des Jenseits.

Archaisch, streng, grausam vernichtend. So sehen sie die Wüstenvölker. Und so mußte es auch Kambyses erfahren, den das Sandmeer mit seinem Heer verschluckte und nie wieder ausspie. Und der vorher selbst eine Spur der kriegerischen Verwüstung in Heliopolis hinterließ, dem heutigen Kairo.

Wüste, das kann auch einen Charakterzug ausmachen, der innerlich unbewußt oder bewußt Menschen steuert. Ihr destruktives herauskehrt, sei es gegen andere oder gegen sich selbst. Und in der Wesenslandschaft von vornherein angelegt zu sein scheint. Eine Landschaft der gekonnten Verdrängung. Des Verschluckens dessen, was unter den Teppich gekehrt werden soll.

" Und die Wüsten der Plätze, der stummen,

Wo man Menschen gehängt noch vorm Morgen. "

Innokenti Fjodorowitsch Annenski

So bleibt ein Gewirr aus Wegen und Seitenwegen übrig, die sich als Irrwege herausstellen, aus denen man nicht ohne Hilfe herausfindet. Und die unendlich mit dem östlichen Horizont verschwimmen, Himmelsgöttin Nut und Erdgott Geb in innigster Umarmung.

Die Spuren der Reisenden, wo sind sie, wie die eines Ibn Battata aus dem 11. Jahrhundert ? Verschwunden, wie die sich kreuzenden Wege der Karawanen, Pilger, Heere, Einheimischen und Touristen. Ein unsichtbares Labyrinth der verschiedenen Stränge menschlicher Biographien, die ineinander greifen und sich wieder auflösen.

Für die damalige islamische Welt bedeutete Napoleon und sein Feldzug in Ägypten - im Schlepptau seine Forscher und seine Wissenschaftler - ein Umbruch ihres Selbstverständnisses und ihres Weltbildes. Der Einbruch der Moderne blieb in den Netzen der geschichtlichen Vergangenheit hängen, berührt die langatmigen geologischen Prozeße der libyschen Wüste nicht.

Zumindest sind sie in dieser Höhe nicht auszumachen. Auch nicht jene störenden Strommasten, die Paradoxon für jeden altertumsverliebten Reisenden hinter den Monumenten darstellen.

Ansonsten lebt die Wüste. Von den Mythen der Alten Ägypter, die in jener geheimnisvollen Leere zwischen Himmel und Erde mitschwingen, die den Namen des Gottes Schu trägt. Sie lebt aufgrund der dem Boden verhafteten anspruchslosen Vegetation. Aufgrund der Tierwelt, die sich in den flachen Einsenkungen vor der tödlichen Mittagsglut verbirgt, bei Nacht erwacht oder nach einem kurzen und heftigen Regenschauer.

Aus der Sicht der Unterweltsbücher ist die karge Flora und Fauna Teil des Jenseits, also nicht existent. Zum Reich des Seth gehört, des Brudermörders des Osiris.

Gebeugt sitzt sie reflektierend über ihrem Fachbuch, das auf ihrem Schoß liegt. Klingt sich vom Alltag an Bord einfach aus.

Für sie hat das Land des Schweigens, in das Re mit seiner Barke bei Sonnenuntergang einfährt, eine bizarre Ähnlichkeit mit den Wüstennestern westlicher Metropolen, die sie an Joseph Brodsky erinnern, der aus seelenlosen Stadtlandschaften " Briefe in die Oase " schrieb.

Steinwüsten, wie sie in der " barren landscape" des Anselm Kiefers zu finden sind, deren Erbauer babylonische Türme hinsetzten. Eine anonyme atheistische Stätte ohne Wertvorstellungen und nach merkantilen Gesichtspunkten ausgerichtet, die in ferner Zukunft vom Sand der Vergänglichkeit zugedeckt sein wird. Eine Architektur aus Stein, die jedweder Spiritualität entbehrt und ausgewogene soziale Systeme ausblendet.

Der zwar immerhin gleich der ägyptischen Maat ethische Werte und Gerechtigkeit zugrundeliegen, die aber gestraft zu sein scheinen mit einer bleiernen Lilith über den Städten.

Nicht zu vergessen die geistige Wüste gewisser Vorstädte, kurz Kaff genannt. Aus dem sie und viele Touristen kommen.

" Einsamkeit / flüstern die Kulturen den Steinwüsten /

nimm meinen Traumpfaden die Nachtschwere / vor dunkelnder

Kulisse der Vertikalen / Verschattung der Gefühle "

Ein urban bluestext, den sie verfaßt hat, mit jazzigen Anklängen.

Das Mittagessen wird ausgeteilt. Die heftigen Turbulenzen haben nachgelassen. Sie legt ihre Lektüre beiseite, versucht sich zu entspannen. Es gibt Fisch mit Spinat, nicht gerade ihr Lieblingsessen.

Plötzlich scheint die Maschine wieder stärker zu vibrieren.

Sie heftet ihren Blick auf rechteckige grüne Parzellen. Auf sandige Nilinseln, die wie große Wale im Wasser zu schwimmen scheinen. Hier und da sind Dorfflecken in dieses Patchworkmuster aus Grünstreifen eingearbeitet, durchzogen von schnurgeraden Bewässerungskanälen.

Wie ein unüberwindlicher Wall treten die Kalksteinmassive festungsartig, in ihrer Form wie Baiser wirkend, an den Nil heran.

Sie passieren gerade Mittelägypten.

" Take me back to the rivers of belief, my friend ", summt ihr Nachbar vor sich hin.

" Irgendwie ist die Wüste nicht tot, sie vitalisiert, finden Sie nicht auch ?"

" Stimmt, " erwidert sie und nimmt jetzt erst wahr, daß einige ihrer Sitznachbarn Kopfhörer aufgesetzt haben, um sich in die fremden Rhythmen dieses Landes einzufühlen.

" Aber nur von hier oben. Ich möchte jetzt nicht in einem dieser heißen Canyons sein. Ohne Wasser und abgeschnitten von jeglicher Zivilisation, " sinniert sie vor sich hin.

Dabei waren die lebensfeindlichen östlichen und westlichen Wüsten seitlich des Niltals jahrtausendelang bewohnbare Kulturräume gewesen, deren einschneidende klimatische Wechsel Krisen herbei beschworen hatten, die Folge aber auch die Weiterentwicklung neolithischer Techniken vorantrieb.

Man darf nicht vergessen, daß die schmale Niloase als Teil eines großen Raumes Nordostafrikas zu betrachten ist, in den auch das Becken um den Paläo-Tchadsee eingebettet ist.

Die Entwicklung machte aufgrund der Austrocknung der Sahara eine Besiedlung des Niltales notwendig, die die Bildung frühstaatlicher Formen bis hin zur Hochkultur des altägyptischen Nilstaates aus dem Zusammenschluß regionaler Kulturen ermöglichte und förderte. Und schließlich in der Vereinigung Ober- mit Unterägypten unter dem Pharao Narmer mündete, so schildert es die Überlieferung.

Im 6. Jahrtausend entstand das ägyptische Neolithikum, das deshalb so einzigartig darsteht, weil aus afrikanischen, orientalischen und mittelmeerischen Einflüssen ein die Entstehung von Kultur befruchtender Schmelztiegel stattfand, neben den Jägern und Sammlern, die die Sahara durchstreiften.

Der Reisende fliegt daher über den vorläufigen Zustand dieser Entwicklung wie ein Raumschiff durch die Wirbel der Zeit. Erspäht in dieser Zeitreise die Sonnenflecken auf der Haut des Orients.

Im Laufe von über 600 Millionen Jahren Erdgeschichte hatte sich in der westlichen Sahara durch Senkungen und Hebungen ein riesiges Plateau gebildet, aus Schichtungen maritimer Ablagerungen und Sedimenten. Südlich des Deltas gliederten Faltungen und Erosion weite Becken, die schroffe Gebirgsränder umschlossen.

Der Nil grub sich sein endgültiges Bett in dem angeschwemmten Boden gegen Ende des Pliozäns. Das ausgehende Pleistozän vor ca. 27.000 Jahren brachte der Sahara vermehrte Feuchtigkeit durch Niederschläge aufgrund des Rückzugs der europäischen Würm/ Weichseleiszeit.

Der feuchtwarme Monsungürtel verschob sich mit dem beginnenden Holozän allmählich in Richtung Norden. Das Gebiet um den Tchadsee verfügte dank des Wassers von oben und Nilzuflüssen über gute Lebensbedingungen.

Kontinuierliche Besiedlung und Kulturen konnten nachgewiesen werden.

Den Tchadsee und das Niltal verbanden zudem uralte Karawanenwege. In späteren pharaonischen Hochkulturzeiten gelangten Rohstoffe wie seltenes Wüstenglas und wertvolle Edelsteine über solche alten Verbindungen.

" Und was gelangt heute über diese uralten Trampelpfade ? " fragt sie sich.

" Legt Durst nach Ressourcen ausschließlich positive Energien frei oder ist nach modernen Gesichtspunkten angesichts des Elends der Sahelzone, den vermuteten Öl - und Erdgasvorkommen in der Quattarasenke, dem Sirtebecken, dem Tchad, dem Sudan, nicht genau das Gegenteil der Fall ? Über den Lilith wie ein Fluch schwebt ?

Asymetrische Rhythmen der Förderung womöglich, " läßt sie säuerlich aufstoßen, " die Böden aufreißen, d.h. beschädigen werden, zur Gestaltung eines kommenden Musters, das sich einprägsam in den Alltag des afrikanischen Teppichs auf Jahrzehnte einweben wird. Mit allen negativen Konsequenzen für die ansässige Bevölkerung und die Landschaft ?

Denn das Gespenst der globalen Förderer von Öl und Gas kommt im Gewande der erneuten Kolonialisierung in Form von Abhängigkeitsstrukturen und bietet wenig Perspektiven für die Einheimischen.

"Der Sand, der keinen mehr überrascht,

von uns, seinen Söhnen,

dieser Sand schickt uns

immer noch seine Monster,

Festungen,

die sich heimlich weiter fortbewegen,

um sich, eines fernen Tages,

höher als die höchste Palme

gegen unsere Gärten zu erheben. ... "

Sa ´di Yusuf, irakischer Dichter

Oder wird sich erneut die Wiederkehr des Phönix, des Vogels benu, ankündigen ?

Wie beim ersten Mal, als er sich bei Urbeginn auf dem entstehenden Land, dem Urhügel von Heliopolis niederließ. Der sich aus den Wassermassen des Urozeans Nun erhob. Und der den Vogel Phönix, damit die Zeit, die Sonne und die Sterne in Gang gesetzt hatte ?

Und alle 1460 Jahre wiederkehren wird, was die Pyramidentexte verkünden.

Benu ist aus einem Wortstamm abgeleitet, das " aufgehen " bedeutet. Und Phönix benu, zusammen mit Re, erscheint in der morgendlichen Flammeninsel. Was wohl auf seine Verbrennung hindeutet.

The dawning of a new age? The age of aquarius ?

" I`ve promised you I will return ... " ( Enigma ) klingt es aus den Kopfhörern.

Am Nil entstand durch Regenfälle nach und nach eine üppige Sumpflandschaft, die dem Gebiet im heutigen oberen Sudan, dem Bahr al - Ghazal mit seinen dichten Papyrushainen und wilden Tieren, Krokodilen und Sumpfvögeln ähnelte.

Ein dichtes unüberwindliches Gestrüpp, in dem die Malaria lauerte. Das aber unerschrockene weibliche Reisende aus England wie Alexine und Harriet Tinne nicht daran hinderten, im 19. Jahrhundert eine gefährliche Expedition in diesen Sumpf zu wagen. Weitere opferten Gesundheit und Leben für die Erkundung dieser Gebiete. Solche Unternehmungen waren wohl Teil der in Mode gekommenen Reisen der upper class im viktorianischen England, die sich im Rahmen des kolonialen Strebens des Empire abspielten, ob gewollt oder nicht.

Negroide Bevölkerung wanderte seit dem 10. Jahrhundert v. Chr. von Süden her den Nil herunter und besiedelte die östliche Sahara, das Schwemmland von Nabta Playa, ca. 100 km westlich von Abu Simbel, des Fayyums und der Oase Bir Kseiba. Sie errichteten das älteste megalithische Kreismonument zur Bestimmung der Sommersonnenwende. 1000 Jahre älter als Stonehenge.

Es diente ihnen zur Aufspürung des Zeitpunkts ihres Aufbruchs in die Winterquartiere, hatte sie gelesen.

Ob von hier aus erste kosmologische Vorgänge ergründet wurden, die zum Wissen der Alten Ägypter über die Sterne und ihre mythologischen Modelle führten, mag die Zukunft zeigen.

Robert Bauval veröffentlichte kürzlich ein Buch über die " Black Genesis ". Viele Fragen sind noch offen. Jedenfalls gab es hier auch einen uralten Karawanenwegvon Ennedi ( Tchad ) über Nabta Playa ... .

Orte, die die Leere und das Schweigen wie ein Grabtuch bedecken, die Teil des Vergessens wurden.

In den Falten des Unterbewußtseins der Menschheit verschwanden, den unteren Kammern des Labyrinths. Die nicht mehr zu verorten, Ursprünge, die abgekoppelt sind.

" Aber mit GPS zu lokalisieren ", meint ihr Sitznachbar.

" Sicher doch, erhebt sich nur die Frage, wem man seinen Standort auf diese Weise auch noch offenbart ? .... " dieser Sand schickt uns noch immer seine Monster " .... . Die Entführungen und Anschläge in der Sahara geben Rätsel auf.

Mit der Austrocknung der Tchadregion wurde das Wirken ihrer verschwundenen Bewohner ohne hinterlassene Schrift zum Geheimnis der Nachwelt. Wie Wasser, das verdunstet. Und hier und da bleiben Tümpel einer Ahnung zurück, der Zusammenhang aber gleichzeitig Opfer eines Prozesses wird, der Kulturen zermahlt und damit ihre Gedächtnisspur verhindert.

Orte, die nur noch flüstern, die Tümpel ihrer Vergangenheit unentschlüsselt über den verlassenen Wadis hängen.

Ihre wenigen Hinterlassenschaften fanden Ausdruck in der verstreuten Felsmalerei und in steinernen Gerippen am Boden.

Mit der Darstellung von Giraffen, Antilopen, Straußen, Elefanten und Rinderherden wurde Zeugnis von einem Klima des Gedeihens abgelegt, das sich noch nicht gegen sie gewendet hatte. In einer berückenden Prächtigkeit, als seien sie erst gestern ausgestorben.

Dem heutigen Blick sind die ältesten Steinwerkzeuge der Menschheit freigegeben, ihre Keramik. Schamanenkulte in Form aufgedrückter Hände werden sichtbar. Da sind Höhlen wie die der Schwimmer im Gilf Kebir.

Trotz aller Artefakte Orte, deren geschichtliche Zusammenhänge man vergeblich sucht, ihre Spuren für immer ausgelöscht scheinen. Rätselhaft bleiben die Ursprünge, die vermuteten Verbindungen von Nabta Playa zum Geheimnis des Siriuskults der Dogon in Mali, dem Mythos von Isis und ihrem Sohn Horus in dem Sternbild des Sirius mit seinem unsichtbaren Zwerg Sirius B.

Gab es Gründe, die Seile zu kappen, oder gingen sie tatsächlich in der schnellen Abfolge eines geschichtlichen Kaleidoskops verloren ?

" What`s been lost, must be found, " kommt ihr in den Sinn. Alan Parson` s Project brachte es für sie auf den Punkt. "

What goes up, must come down. "

Ein virtuelles Karussell läßt die prähistorischen Kulturen Nordostafrikas und ihre Brennpunkte an ihr vorüberziehen.

Vor ihrem inneren Auge rollt ein sekundenschneller Aufstieg und Untergang ab, mit steigendem Tempo.

Eine wechselnde Karte der Erhöhung und Verflachung, der Verschiebung wechselnder Orte.

Wo nichts war, sind heute Zentren. Wo Hauptstädte lagen, dehnen sich Ackerbau oder Wüste. Gleich den Entwicklungen der geologischen Zeitkarte der Sahara.

" Der Mensch erscheint im Holozän", verortete Max Frisch.

Und er sprach von der " Melancholie der gemeinsamen Ortlosigkeit. "

Was richtete diese tiefgreifende Klimaveränderung der Sahara in den Seelen der Menschen an, die gezwungen waren, ins Niltal abzuwandern ?

Waren diese tiefen Ängste der Ägypter vor der drohenden Verwüstung ihres schmalen Fruchtlandes ein Anzeichen für die verinnerlichte, nie verarbeitete Katastrophe der Vorzeit ?

Des Wissens um die Gefahren des empfindlichen Gleichgewichts, dem die Schöpfung fortwährend durch die angrenzende Wüste im Niltal ausgesetzt ist ? Wie kann sie sich in diese Situation hineinversetzen ? Ein Blick aus dem Flieger liefert ihr die schlagartige Bestätigung.

Diese Bedrohungszenarien müssen sich in den Mythen der Hochkultur niedergeschlagen haben, weil die Wüste etwas rebellisches an sich hat, sich in den ungezügelten Kräften des Seth wiederspiegelt. Oder noch umfassender, in dem der drohende Schöpfungsfeind, die Apophisschlange, die duch die Götter zwar gebunden, aber nie vernichtet werden kann, ihr allumfassendes Vernichtungswerk fortsetzen will und damit den Bestand dieses Planeten in Frage stellt. "

Könnte sie ein Meteorit oder Asteroid sein, wie jener mit Namen Apophis ? " Sie weiß darauf keine Antwort zu geben.

Nicht zu vergessen der Mythos von Hathor-Tefnut. Eine Göttin mit Kuhgehörn und Sonnenscheibe, die aus den südlichen Gefilden stammt. "

Herrin der südlichen Sykomore ".

Und deren Verehrung sich hauptsächlich auf die Tempel Oberägyptens und Nubiens konzentrierte.

Tefnut als Sonnenauge, als wilde blutdürstige Löwin, die in den südöstlichen Wüstentälern haust.

Re verlangt nach ihr, seiner Tochter. Sie soll ihm mit ihrer unbändigen Kraft gegen seine Feinde am Nil helfen.

Von den Göttern Schu und Thot mit besänftigem Reden nach Ägypten gelockt, wandelt sie sich durch Abkühlung in den Fluten zum Wesen der Hathor. Und im Mythos von der Himmelskuh wurde sie sogar zum kosmischen Modell der Ursprünge der Welt.

In weiterem ist sie die Verkörperung der Mutterschaft und Fruchtbarkeit, die anfängliche Mutter des Horuskindes im Dickicht, der Kinderstube von Chemnis in Unterägypten, später im Mythos durch Isis verdrängt.

In Nabta Playa fanden sich ab dem 6. Jahrtausend Spuren eines Kultes der Opferung von Rindern und ihrer Domestizierung. Und noch heute verehren die nilotischen Stämme am weißen Nil im Sudan Rinder.

Es muß etwas iniationshaftes in den Menschen der Vorzeit vor sich gegangen sein. In dieser erschütternden existentiellen Erfahrung der Austrocknung der nordöstlichen Wüste.

Der Bestand der Schöpfung bedeutete im gefährdeten Niltal Leben, das heißt Überleben.

Und Rebellion war nichts positives, was Europäer voraussetzen würden, sondern Umsturz bedeutete für die Ägypter Chaos, die Entfesselung der unheilvollen Kräfte der Wüste. Eine todsichere Konsequenz, die durchaus im übertragenden Sinne gemeint ist. Die Stimme des Ipuwers verdeutlicht ihr diese Einstellung:

"Wahrlich, Wüste ist durch die Welt hin ausgebreitet, die Gaue sind zerstört, und fremde Barbaren sind nach Ägypten gekommen. "

In den 90zigern gaben die Zeitungen einer islamistischen Gruppierung eine Plattform, um ihre Ziele und Drohungen einer breiten Leserschaft kundtun zu können. In Leserbriefen an ihre örtliche Allgemeine hatte sie sich gegen diese Einseitigkeit ausgesprochen, waren ihr doch in den Lehmhütten der Pyramidenwächter zwischen Abusir und Meidum Beschwerden über die falsche Berichterstattung der Medien im Zusammenhang mit dem Auftreten von Islamismus und Terrorismus vorgetragen worden, der Ägypten ab 1992 Jahr für Jahr erschütterte. Seit 1994 war die Durchfahrt für deutsche Kreuzfahrtschiffe auf dem Nil im Bereich zwischen Kairo und Nag Hammadi gesperrt, 1997 wieder passierbar.

Zu ihrer Überraschung begründete eine französische Reiseleiterin, es läge an einem deutschen Versicherungskonzern in München mit Sitz in New York, der von deutschen Reisegesellschaften gecharterte Schiffe nicht mehr versichern würde, weil eine Touristin sich entgegen des Verbots aus dem hell erleuchteten Bordfenster gelehnt hatte und vom Ufer aus mit einem gezielten Schuß in der Nähe von Assiut getötet worden war. Englische Schiffe konnten weiterhin passieren.

Aus der Höhe ihres Fliegers versucht sie, Schiffsbewegungen in den Windungen des Nils ausfindig zu machen.

Tatsächlich scheint der Nil von einigen der über tausend Kreuzfahrtschiffe befahren zu sein.

" Das Geheimnis der heutigen Politik und ihre geheimen Pfade in die Wirtschaft. Wie soll man dieses Labyrinth aus Verflechtungen durchschauen, wenn die Medien falsche Fährten auslegen. Noch dazu in unmittelbarer Nachbarschaft eines Pharaos, der eine neue Religion einführte, die des Aton. Die konsequente Umsetzung seines neuen Glaubens seinen Ruf als umstürzlerischer Fanatiker und Fundamentalist begründete.

Echnaton, der erste Monotheist. "

Seine Vorgänger pflegten die Gründungsmythen, wie das Dickicht von Chemnis, in dem Isis nach Hathor ihren Sohn Horus vor den Nachstellungen des Seth aufzog. Des Gottes, der mit der Wüste gleichgesetzt wurde.

Aus dem Symbol des Papyrusdickichts erwuchs das pharaonische Königstum.

Ein Symbol, das wohl die vielen Kämpfe darstellte, bevor ein erster Anwärter in der Vorzeit sich auf den Thron durchsetzen konnte.

Der antike Mensch kleidet sein Gesellschaftssystem, seine Herkunft in Mythologien, um den Nachfahren verstehen zu geben, daß er von den Göttern, dem Kosmos, im Rahmen der Naturgesetze einen heilbringenden Auftrag hat, den es zu erfüllen gilt.

Ging das Königstum doch aus der vorzeitlichen dichten Sumpflandschaft des Niltals hervor, die Leben bedeutete und heute verschwunden ist. Man sieht die an die Stelle des Sumpfes getretenen fruchtbaren rechteckig kultivierten Flächen sich zum Nil hinziehen.

Gleichzeitig galt ihnen der Sumpf als eine Schwelle zwischen der Welt der Toten und der Lebenden, eine Art Grenzregion, in der bedrohliche Tiere lauern.

Der Sumpf als imaginäres Bild eines religiös kosmischen Modells, eine Art ägyptisches Weltkonzept.

Sie versucht, dort unten inmitten des Gewirrs von geometrisch angelegter landwirtschaftlicher Nutzung Amarna auszumachen, die ehemalige Hauptstadt Echnatons.

Bezaubernde Szenen von Vögeln und Fischen in Sumpflandschaften in realistischer Technik schmückten die Böden der Paläste. Sie bilden einen mythischem Ort der Fruchtbarkeit und Regeneration ab, der Jagd als Sieg über die chaotischen, die göttliche Weltordnung bedrohenden Kräfte. Verkörpert in der Sonnenscheibe des Aton. Der Papyrushain ist der paradiesische Ort, aus dem Wildgänse auffliegen. Es ist der Ort des Entstehens der ägyptischen Landschaft, aber auch der Wiedergeburt. Mit der voranschreitenden Austrocknung der Wüste im Neolithikum erfolgt dann die schrittweise Umwandlung in fruchtbare Äcker. Selbst in den Unterweltstexten ist das Binsengefilde spiegelbildlich Sehnsuchtsort geblieben, in dem der verklärte Tote, säen und ernten kann.

Der Reichtum altägyptischer Dichtkunst nimmt sich des Themas an. Anchesenamun zeigt in einer Bilderfolge auf dem Goldenen Schrein ihres Gatten Tutenchamun auf die Jagd im Papyrusdickicht, zugleich ein Symbol der Zeugung neuen Lebens. Denn er ist sinnbildlich auch der Ort der Liebe und der Vereinigung. Ein Liebeslied aus dem Papyrus Harris 500 bringt es zum Ausdruck:

" ...

Die Pflanzen des Sumpflandes (?) sind betörend:

( Der Mund )der Geliebten ist ( wie ) ein Lotos,

ihre Brüste sind Liebesäpfel,

ihre Arme sind feste Ranken.

Ihre Stirn ist eine Vogelfalle,

und ich bin die Wildgans !

Meine ( Augen ) nehmen ihre Haare als Köder

in der schlagbereiten Falle. "

Das Anschnallzeichen ertönt, im Lautsprecher klickt es erneut.

" Meine Damen und Herren, wir sind im Sinkflug begriffen, werden in Kürze Luxor erreichen. Bitte bleiben Sie angeschnallt. "

Die Maschine legt sich in die Kurve. Graubeige Massive wachsen den Passagieren entgegen. Sie starren wie gebannt auf das gewaltige Panorama des westlichen Gebirges von Theben - West.

Vor ihnen dehnen sich die tiefen Einschnitte des Tals der Könige, die Pforten zum Eintritt ins Jenseits.

Der Klang der Leere in dieser Wüstenei hält sie in jenem Zwischenreich gefangen, das der Sonnengott quert.

In Meilen gemessen, vom Delta bis zum 3. Katarakt in Nubien, nachdem er unter dem westlichen Horizont gesunken ist.

Die Silhouette der Maschine hebt sich gegen die schroffen Faltungen ab, in die Re in der 1. Nachtstunde in die Zeit der Entstehung des Westgebirges zurückfährt, das wie nach oben und unten aufgeklappt erscheint. In die Zeit des Beginns vor der Schöpfung, vor dem Ersten Mal, die sie beim Flug über die Wüste und ihrer Enstehung geistig nachvollzogen hat.

Unter ihrem Bauch spielt sich nach Sonnenuntergang die virtuelle Nachtfahrt Res in seiner Barke der Millionen Toten ab, wie sie auf endlosen Tableaus an den Wänden der langen Grabschächte der Pharaonen aufgezeichnet sind, den Unterweltsbüchern in Form der Schriften des verborgenen Raums, des Amduats und des Pfortenbuchs mit seinen sperrenden Toren.

In einer Welt voller Ängste das Licht der Auferstehung zu schauen, um wiedergeboren mit Re in seiner Tagesbarke über den Himmel zu fahren, das waren die Hoffnungen dieser Könige.

Andererseits aber auch den Vernichtungstätten zu entkommen. Und das im schützenden Rahmen der göttlichen Weltordnung Maat, um nicht der Willkür und dem Recht des Stärkeren ausgeliefert zu sein. Der Wüste, den chaotischen Kräften der Isfet, so daß sich die Baseele des Re ungehindert mit dem Leib des Osiris in der tiefsten Nachtstunde vereinigen konnte.

Die einbalsamierten Körper der Könige, die in den Sargkammern ihrer gekrümmtem oder schnurgeraden Schachtgräber ruhten, sollten diese Vereinigung mit ihrer Baseele kultisch nachahmen.

Innerlich wohnt sie den Prozessionen der pompösen Begräbnisse bei, die in den Schoß der Götter führen. Dem Jubel der Sonnenpaviane, die den Abstieg Res mit Musik und Tanz begrüßen und ihm die verschlossenen Tore des Horizonts durch die Macht ihrer Worte öffnen.

Tiefer und tiefer muß die Fahrt gehen, bis der Sonnengott die Bewohner der urzeitlichen Unterwelt erreicht hat.

Aus den seitlichen Tälern der Königinnen, der Handwerker, dem Schech Abdel Kurna mit seinen Beamtengräbern, steigt eine Melodie. Die Flötentöne rühren sie seltsam an.

Große Höhen erklimmt sie und gähnende Tiefen, durchfliegt rotierende Sonnensysteme, durchstößt ganze Universen, bis sie endlich ans Licht gelangt.

" Peeeeeeenng ! " Der Schreck geht ihr durch Mark und Bein.

" Der die Erde versiegelt ", hat das Tor zur Unterwelt zugeknallt, um keine störenden Einflüße mehr von außen zuzulassen, das Sonnenschiff beim Abstieg in die Welt vor der Schöpfung und dem Wiederbelebungsprozeß nicht zu gefährden.

Sie lauscht den Streichern in Alan Parsons Project "In the Lap of the Gods ", die wild aufspielen. Wie ein bleierner Reifen legen sich die Gedanken auf ihre Stimmung. Das fahle Licht der Unterwelt läßt nicht locker.

Abrupt breitet sich vor ihnen die weite grüne Ebene des Niltals aus. Der Wiedereintritt in die Welt der Lebenden klingt wie eine Verheißung. Nochmals beschreibt die Maschine über dem glitzernden Strom eine steile Linkskurve.

Auf dem Ostufer scheint der Boden den Bordfenstern immer näher zu kommen. Und gerade noch rechtzeitig schwenken sie auf die Landebahn ein, eine Wüstenpiste im Osten der Stadt. Setzen hart auf, sogleich beginnt der Pilot mit dem starken Bremsvorgang. Beifall brandet auf. Die Kulisse Theben-Wests in ihrem Wechsellicht der Schatten lauert hinter der Betonhalle des Flughafens, die vorüberfliegt. Ausgefahren rollt die Maschine auf ihre Halteposition zu.

Wie ein Hefeteig quillen die Touristen aus dem klimatisierten Bauch der Boeing, der in der heißen Backröhre der Mittagsglut aufgeht, in die bereitstehenden Shuttlebusse. Die 50 Grad Celsius auf dem Rollfeld erschlagen jeden europäischen Neuankömmling.

" Gott, noch heißer gehts wohl nicht ! " Hier und da laute Aufschreie.

Ächzend schleppen sie ihr Handgepäck zu den Schlangen vor den Paßkontrollen, den Wechselstuben und den Gepäckbändern in der schwitzenden Halle, in der unabläßig kreisende Ventilatoren vergeblich gegen die Hitze und den heiteren Lärmpegel des arabischen Stimmengewirrs ankämpfen.

Es herrscht eine Betriebsamkeit wie auf einer Messe. An verschiedenen Ständen in der Ankunft bahnt sie sich ihren Weg an Ägyptern und Touristen aus allen Herren Ländern vorbei, hin zum Ausgang.