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Eduard Mörikes klassische Märchennovelle "Das Stuttgarter Hutzelmännlein" (1853) besticht durch ihre kunstvolle Erzählstruktur und den raffinierten Einsatz dialektaler Ausdrücke und Regionalismen. In die Haupterzählung um den Schustergesellen Seppe sind zahlreiche Binnengeschichten eingewoben, von denen die "Historie von der schönen Lau" die berühmteste ist. Die Ausgabe bietet den Text nach der zweiten Auflage von 1855. E-Book mit Seitenzählung der gedruckten Ausgabe: Buch und E-Book können parallel verwendet werden.
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Seitenzahl: 166
Eduard Mörike
Das Stuttgarter Hutzelmännlein
Märchen
Reclam
1970, 2020 Philipp Reclam jun. Verlag GmbH & Co. KG, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen
Covergestaltung: Cornelia Feyll, Friedrich Forssman
Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen
Made in Germany 2020
RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart
ISBN 978-3-15-961727-5
ISBN der Buchausgabe 978-3-15-014021-5
www.reclam.de
Die gegenwärtige Erzählung war schon längst, als Seitenstück zu einer ähnlichen1, entworfen und blieb unausgeführt, bis dem Verfasser neuerdings die Skizze wieder in die Hände fiel und ihn zur guten Stunde an eine fast vergessene kleine Schuld erinnerte.
Indem dies Märchen ganz den schwäbischen Charakter tragen, und dieser seinen Ausdruck so viel möglich auch in der Sprache finden sollte, kam dem Verfasser der Umstand zugute, dass ihm von einem frühern, mehrjährigen Verkehr mit unserm Volke viele Eigentümlichkeiten derselben, einzelne Wörter und Redensarten vollkommen gegenwärtig geblieben waren. Manches floss ihm auf anderm Wege zu, vornehmlich aus einer genauern Bekanntschaft mit Joh. Chr. v. Schmids schwäbischem Wörterbuch, einer in Schwaben viel zu wenig verbreiteten, unschätzbaren Arbeit. Die Worterklärungen und was dazu gehört, im Anhang der Erzählung, sind, mit wenigen Ausnahmen, dem eben genannten Werke entnommen.
Stuttgart, im Dezember 1852 Mörike
[6]Ein Kobold gut bin ich bekannt
In dieser Stadt und weit im Land;
Meines Handwerks ein Schuster war
Gewiss vor siebenhundert Jahr.
Das Hutzelbrot ich hab erdacht,
Auch viel seltsame Streich gemacht.
[7]Wohl vor fünfhundert und mehr Jahren, zu denen Zeiten, als Graf Eberhard von Wirtemberg, ein tapferer Kriegsheld und ruhmvoller Herr, nach langen, schrecklichen Fehden mit des deutschen Reichs Häuptern, mit dem Habsburger Rudolph und dessen Nachfolgern, zumal auch mit den Städten, das Schwabenland nun wieder zu Ruh und Frieden kommen ließ, befand sich in Stuttgart ein Schustergesell, namens Seppe, bei einem Meister, der ihm nicht gefiel, deshalb er ihm aufsagte; und weil er nie gar weit vor seine Vaterstadt hinausgekommen, nicht Eltern, noch Geschwister mehr hatte, so war er jetzt willens zu wandern.
Die letzte Nacht, bevor er reiste, saß er allein in der Gesellenkammer auf (die andern waren noch beim Wein oder sonst zu Besuch), sein Ranzen lag geschnürt vor ihm, sein Wanderstab daneben, der hübsche Bursche aber hing den Kopf, er wusste nicht so recht warum, und auf dem Tisch die Ampel brannte einen großen großen Butzen. Indem er jetzt aufschaute und nach dem Klämmchen griff, dem Zochen zu helfen, sah er auf seiner leeren Truche ein fremdes Männlein sitzen, kurz und stumpig, es hätte ihm nicht bis zum Gürtel gereicht. Es hatte ein schmutziges Schurzfell um, Pantoffeln an den Füßen, pechschwarze Haare, dazu aber hellblaue, freundliche Augen.
Gott grüß dich, Seppe! Kennst mich nit? Ich bin der Pechschwitzer, das Hutzelmännlein, der Tröster. Ich weiß, du bist ein braves Burgerskind, sorgst immerdar für anderer Leute Fußwerk und gehst doch selbst nicht auf dem besten Zeug. Da du nun morgen reisen willt, so hab ich dir statt einem Wanderpfennig etwas mitgebracht von meiner [8]eignen Arbeit: sind Glücksschuh, zwei Paar, schau her. Die einen legst du an, gleich morgen; sie ziehen sich nach dem Fuß und reißen nicht dein Leben lang; die andern aber nimm und stell sie unterwegs an eine Straße, versteh mich, unbeschrien, wo niemand zusieht. Vielleicht dass dir dein Glück nach Jahr und Tag einmal auf Füßen begegnet. Auch hast du hier noch obendrein etwas zum Naschen, ein Laiblein Hutzelbrot. So viel du davon schneidst, so viel wachst immer wieder nach im Ranzen oder Kasten, wenn du auch nur ein Ränftlein fingersbreit übrig behältst. Ganz sollt du’s nie aufzehren, sonst ist es gar. Behüt dich Gott, und tu in allem wie ich sagte. Noch eins: kommst du etwa ins Oberland, Ulm zu und gen Blaubeuren, und findst von ungefähr ein Klötzlein Blei, nimm es zuhanden und bring’s mir. – Der Seppe versprach’s und dankte geziemend für alles; das Männlein aber war in einem Hui verschwunden.
Nun jauchzte der Geselle überlaut, beschmeckte bald das Brot, beschaute bald die zwei Paar Schuhe. Sie sahen ziemlich aus wie er sie selber machte, nur dass sie feine wunderliche Stiche hatten und hübsch mit einem zarten, roten Leder ausgefüttert waren. Er zog sie an, spazierte so ein Dutzend Mal die Kammer auf und ab, da ihm denn in der Kürze freilich nichts Besonderes von Glück passieren wollte. Darnach ging er zu Bett und schlief bis der Morgen rot wurde. Da deucht’ es ihn, als wenn ihm jemand klopfte, zwei-, dreimal, recht vernehmlich, dass er jählings erwachte. Die andern hörten’s auch, doch schliefen sie gleich wieder ein. Das haben meine vier Rappen getan! dachte er und horchte hin, allein es rührte und regte sich nichts mehr.
Als er nun fix und fertig angezogen stand und gar vergnügt auf seine Füße niedersah, sprach er: jetzt laufen wir [9]dem Teufel ein Bein weg! jetzt tausche ich mit keinem Grafen! – Wohl und gut; nur eine Kleinigkeit hat er versehen: er hat den einen Schuh von seinem Paar mit dem einen vom andern verwechselt. Ach wer ihm das gesagt hätte!
So schlich er denn leis die Stiege hinunter, die Meistersleute nicht zu wecken; denn Abschied hatte er gestern genommen, und statt der Suppe aß er gleich ein tüchtiges Stück Schnitzbrot in währendem Gehen. So etwas hatte er noch niemals über seinen Mund gebracht, wohl aber oft von seiner Großmutter gehört, dass sie einmal in ihrer Jugend bei einer Nachbarsfrau ein Stücklein vom echten bekommen, und dass es eine Ungüte von Brot drum sei.
Wie er jetzt vor dem oberen Tor draußen war, zween Bogenschüsse oder drei, kam er an eine Brücke: da musste er ein wenig niedersitzen, die Türme seiner Vaterstadt, das Grafenschloss, die Häuser und Mauern noch einmal in der Morgensonne besehen; dann, eh er weiterging, fiel ihm noch ein: hier könnt ich das Paar Schuh auf den Brückenrand stellen. Er tat’s und zog fürbass. – Eine Stunde über die Weinsteig hinaus kommt er in einen grünen Wald. Von ungefähr hört er auf einer Eiche den blauen Montag schreien, welches ein kurzweiliger Vogel ist, der seinen Namen davon hat, dass er immer einen Tag in der Woche mit der Arbeit aussetzt; da singt er nichts als Schelmenlieder und schaut gemächlich zu, wie andere Vögel ihre Nester richten, brüten und ihre Jungen ätzen; die seinigen krepieren ihm auch ordinär, deswegen er ein Raritätsvogel ist. So einen muss ich haben! denkt der Seppe: ich biet ihn einem großen Herrn an unterwegs. Ein sonderer Vogel ist oft gern zwei Kälber wert, die Hepsisauer haben ihre Kirchweih um einen Guckigauch verkauft: wenn ich nur einen Taler löse, [10]tut mir’s wohl. Wie komm ich nur gleich da hinauf? – Seiner Lebtage hat er nie klettern können, diesmal aber ging’s, als hätten ihrer Sechs an ihm geschoben, und wie er droben ist, da sieht er sieben Junge flügg, mit blauen Köpfen im Nest! Er streckt schon eine Hand darnach – krach! bricht ein fauler Ast, und drunten liegt der Schuster – dass er nicht Hals und Bein brach, war ein Wunder. Ich weiß nicht, sagte er, indem er aufstand und die Platte rieb, was ich von dem Pechschwitzer denken soll; das ist kein mutiger Anfang!
Zu seinem Trost zog er sein Schnitzbrot aus dem Ranzen und fand dasselbe wahrlich beinah schon wieder rund und ganz gewachsen. Er sprach dem Laiblein aber im Marschieren so lang zu, bis ihm ganz übel ward, und deuchte ihn, er habe sich für alle Zeit Urdrutz daran gegessen. Sei’s drum! ein Sprüchlein sagt: es ist nur geschlecket, das nimmer klecket.
Sein Sinn war allermeist auf Augsburg oder Regensburg gerichtet, denn diese Städte hatte er vor manchen andern rühmen hören; zuvörderst wollte er aber nach Ulm.
Mit großen Freuden sah er bald von der Bempflinger Höhe die Alb, als eine wundersame blaue Mauer ausgestreckt. Nicht anders hatte er sich immer die schönen blauen Glasberge gedacht, dahinter, wie man ihm als Kind gesagt, der Königin von Saba Schneckengärten liegen. Doch war ihm wohl bekannt, dass oben weithin wieder Dörfer seien, als: Böhringen, Zainingen, Feldstetten, Suppingen, durch welche sämtlich nacheinander er passieren musste.
Jetzt hing sich auf der Straße ein Schönfärbergesell an ihn, gar sehr ein naseweises Bürschchen, spitzig und witzig, mit Backen rosenrot, Glitzäugelein, ein schwarzes [11]Kräuselhaar dazu, und schwatzte oder pfiff in einem weg. Der Seppe achtete nicht viel auf ihn, zumal ihm eben jetzt etwas im Kopf umging, das hätte er sich gern allein im Stillen überlegt. Am Weg stand eine Kelter, mit einem umgelegten Trog davor, auf diesen setzt’ er sich, der Meinung, sein Weggenoss soll weitergehen. Der aber warf sich seitwärts hinter ihm ins Gras und schien bald eingeschlafen, von der Hitze müd. Da war es still umher; ein einziges Heimlein sang am staubigen Rain so seine Weise ohn Aufhören fort.
Endlich da fing der Seppe vor sich selbst, doch laut genug, zu sprechen an: Jetzt weiß ich was ich tu: ich werd ein Scherenschleifer! Wo ich halt geh und steh, juckt’s mich, ein Rad zu treten, und sollt’s ein Spinnrad sein! (Dem war auch richtig so und konnte gar nicht anders sein, denn einer seiner Schuhe war für ein Mädchen gefeit und gesegnet.) Die Art von Schleiferei – so sprach der Seppe weiter – muss einer doch bald können, und so ein Kerl führt seine Werkstatt lustig auf einem Schubkarrn durch die Welt, sieht alle Tage eine andre Stadt, da pflanzt er sich im Schatten an einem Markteck auf und dreht seinen Stein, dass die Funken wegfliegen. Die Leute mögen sprechen was sie wollen, das ist jetzt einmal mein Beruf und mein Genie, ich spür’s in allen Gliedern; und wo mir recht ist hat mein Ehni seliger einmal gesagt: der Seppe ist unter dem Zeichen des Wetzsteins geboren.
Bei diesen Reden richtete sich das Färberlein halb in die Höh: der ist ein Letzkopf! dachte es: und ich bin meines Lebens neben ihm nicht eines Glaubens Länge sicher; – stand sachte auf, schlich sich hinweg, in einem guten Bogen über das Ackerfeld, und fußete sodann der graden Straße nach, [12]als brennte ihm der Steiß, Metzingen zu. Der Schuster, welcher endlich auch aufbrach, sah ihn von Weitem rennen, argwöhnte aber nichts und zog seines Vorsatzes herzlich vergnügt demselben Flecken zu. Allein wie schaute er hoch auf, da alle Leute dort die Köpfe nach ihm aus den Fenstern streckten und ihm die Kinder auf der Gasse, an zwanzig, mit Geschrei nachsprangen und sangen:
Scheraschleifer, wetz, wetz, wetz,
Lass dei Rädle schnurra!
Stuagart ist a grauße Stadt,
Lauft a Gänsbach dura.
Der Seppe hatte einen Stiefelszorn, schwang öfter seinen Knotenstock gegen den Schwarm, sie schrien aber nur um desto ärger, und also macht’ er sich so hurtig er nur konnte aus dem Wespennest hinaus. Noch vor der letzten Hütte draußen hörte er ein Stimmlein verhallend im Wind:
Scheraschleifer, wetz, wetz, wetz!
Er hätte für sein Leben gern den Färber, welcher ihm den Possen spielte, dagehabt und ihm das Fell geruckt, wie er’s verdiente, der aber blieb im Ort zurück, wo er in Arbeit stand. Sonst war der Wicht in Büßingen daheim, wie er dem Seppe sagte.
Derselbe ließ sich den erlittenen Schimpf nicht allzu lang anfechten, noch seinen Vorsatz dadurch beugen. Er machte seinen Trott so fort, und widerfuhr ihm diesen Tag nichts weiter von Bedeutung, als dass er etlichmal rechts ging, wo er links gesollt hätte, und hinwiederum links, wo [13]es rechts gemeint war; das freilich nach dem Zeugnis aller Reis’beschreiber schon gar die Art nicht ist, um zeitig und mit wenig Kosten an einen Ort zu kommen.
Einstweilen langte es doch eben noch bis Urach, wo er zur Nachtherberge blieb. Am Morgen ging’s hinauf die hohe Steig auf das Gebirg, nicht ohne vieles Stöhnen, denn sein einer Schuh – er merkte es schon gestern – hatte ihm ein Hühneraug gedrückt, das machte ihm zu schaffen. Da wo die Steig am End ist, holte er zum Glück ein gutes Bäuerlein aus Suppingen auf einem Wagen mit etwas Schreinwerk ein, das hieß ihn ungebeten bei ihm aufsitzen.
Als sie nun eine Weile so, die große Ebene hinfahrend, beieinander saßen, fing der Bauer an: Mit Vergunst, i muaß jetzt doch fürwitzig froga: gelt, Ihr sind g’wiss a Drehar? – Warum? Ei, sprach das Bäuerlein und sah auf des Gesellen Fuß: do der Kamrad arbeit’t allfort, ma moint, er müass äll mei vier Räder tretta!
Der Seppe schämte sich ein wenig, im Herzen war er aber selig froh und dachte: hat mir der Bauer da ein Licht aufstecken müssen! Auf einen Drehstuhl will’s mit dir hinaus und anderst nirgends hin!
Von nun an war der Schuster wie ein umgewendter Handschuh, ganz ein andrer Mensch, gesprächig, lustig, langte den Schnitzlaib heraus, gab ihn dem Bäuerlein bis auf den Anschnitt, sagend: lieber Mann, des bin ich froh, dass Ihr mir angesehen, dass ich ein Dreher bin! – Ha, sprach der andere, sell ist guat merka. – Der Alte kaute einen Bissen und machte ordentlich die Augen zu dabei, so gut schmeckte es ihm; das Übrige hob er als Heimbringens auf für Weib und Kinder. Darnach ward er redselig, erzählte dem Gesellen allerlei; vom Hanf- und Flachsbau auf der Alb; wie sie [14]im Winter gut in ihren strohgedeckten Hütten säßen, ingleichen wie man solche Dächer mit besonderer Kunst verfertige. Auch wusste er ihm viel zu sagen von Blaubeuren, einem Städtlein und Kloster im Tal, zwischen mächtigen Felsen gelegen; da komme er hindurch und möge er sich ja den Blautopf auch beschauen, wie alle Fremde tun.
Du aber, wohlgeneigter Leser, lasse dich, derweil die beiden so zusammen diskurrieren, auch etlicher Dinge besonders berichten, die, ob sie sich zwar lang vor Seppes Zeit begeben, nichtsdestominder zu dieser Geschichte gehören. Vernimm hienach die wahre und anmutige
Der Blautopf ist der große runde Kessel eines wundersamen Quells bei einer jähen Felsenwand gleich hinter dem Kloster. Gen Morgen sendet er ein Flüsschen aus, die Blau, welche der Donau zufällt. Dieser Teich ist einwärts wie ein tiefer Trichter, sein Wasser ist von Farbe ganz blau, sehr herrlich, mit Worten nicht wohl zu beschreiben; wenn man es aber schöpft, sieht es ganz hell in dem Gefäß.
Zuunterst auf dem Grund saß ehmals eine Wasserfrau mit langen fließenden Haaren. Ihr Leib war allenthalben wie eines schönen, natürlichen Weibs, dies eine ausgenommen, dass sie zwischen den Fingern und Zehen eine Schwimmhaut hatte, blühweiß und zärter als ein Blatt von Mohn. Im Städtlein ist noch heutzutag ein alter Bau, vormals ein Frauenkloster, hernach zu einer großen Wirtschaft eingerichtet, und hieß darum der Nonnenhof. Dort hing vor sechzig Jahren noch ein Bildnis von dem [15]Wasserweib, trotz Rauch und Alter noch wohl kenntlich in den Farben. Da hatte sie die Hände kreuzweis auf die Brust gelegt, ihr Angesicht sah weißlich, das Haupthaar schwarz, die Augen aber, welche sehr groß waren, blau. Beim Volk hieß sie die arge Lau im Topf, auch wohl die schöne Lau. Gegen die Menschen erzeigte sie sich bald böse, bald gut. Zuzeiten, wenn sie im Unmut den Gumpen übergehen ließ, kam Stadt und Kloster in Gefahr, dann brachten ihr die Bürger in einem feierlichen Aufzug oft Geschenke, sie zu begütigen, als: Gold- und Silbergeschirr, Becher, Schalen, kleine Messer und andre Dinge; dawider zwar, als einen heidnischen Gebrauch und Götzendienst, die Mönche redlich eiferten, bis derselbe auch endlich ganz abgestellt worden. So feind darum die Wasserfrau dem Kloster war, geschah es doch nicht selten, wenn Pater Emeran die Orgel drüben schlug und kein Mensch in der Nähe war, dass sie am lichten Tag mit halbem Leib heraufkam und zuhorchte; dabei trug sie zuweilen einen Kranz von breiten Blättern auf dem Kopf und auch dergleichen um den Hals.
Ein frecher Hirtenjung belauschte sie einmal in dem Gebüsch und rief: Hei, Laubfrosch! git’s guat Wetter? Geschwinder als ein Blitz und giftiger als eine Otter fuhr sie heraus, ergriff den Knaben beim Schopf und riss ihn mit hinunter in eine ihrer nassen Kammern, wo sie den ohnmächtig Gewordenen jämmerlich verschmachten und verfaulen lassen wollte. Bald aber kam er wieder zu sich, fand eine Tür und kam, über Stufen und Gänge, durch viele Gemächer in einen schönen Saal. Hier war es lieblich, glusam mitten im Winter. In einer Ecke brannte, indem die Lau und ihre Dienerschaft schon schlief, auf einem hohen Leuchter mit goldenen Vogelfüßen als Nachtlicht eine [16]Ampel. Es stand viel köstlicher Hausrat herum an den Wänden, und diese waren samt dem Estrich, ganz mit Teppichen staffiert, Bildweberei in allen Farben. Der Knabe hurtig nahm das Licht herunter von dem Stock, sah sich in Eile um, was er noch sonst erwischen möchte, und griff aus einem Schrank etwas heraus, das stak in einem Beutel und war mächtig schwer, deswegen er vermeinte, es sei Gold; lief dann und kam vor ein erzenes Pförtlein, das mochte in der Dicke gut zwo Fäuste sein, schob die Riegel zurück und stieg eine steinerne Treppe hinauf in unterschiedlichen Absätzen, bald links, bald wieder rechts, gewiss vierhundert Stufen, bis sie zuletzt ausgingen und er auf ungeräumte Klüfte stieß; da musste er das Licht dahinten lassen und kletterte so mit Gefahr seines Lebens noch eine Stunde lang im Finstern hin und her, dann aber brachte er den Kopf auf einmal aus der Erde. Es war tief Nacht, und dicker Wald um ihn. Als er nach vielem Irregehen endlich mit der ersten Morgenhelle auf gänge Pfade kam und von dem Felsen aus das Städtlein unten erblickte, verlangte ihn am Tag zu sehen, was in dem Beutel wäre; da war es weiter nichts als ein Stück Blei, ein schwerer Kegel, spannenlang, mit einem Öhr an seinem obern Ende, weiß vor Alter. Im Zorn warf er den Plunder weg, ins Tal hinab, und sagte nachher weiter niemand von dem Raub, weil er sich dessen schämte. Doch kam von ihm die erste Kunde von der Wohnung der Wasserfrau unter die Leute.
Nun ist zu wissen, dass die schöne Lau nicht hier am Ort zu Hause war; vielmehr war sie, als eine Fürstentochter, und zwar von Mutter Seiten her halbmenschlichen Geblüts, mit einem alten Donaunix am Schwarzen Meer vermählt. Ihr Mann verbannte sie, darum, dass sie nur tote [17]Kinder hatte. Das aber kam, weil sie stets traurig war, ohn einige besondere Ursach. Die Schwiegermutter hatte ihr geweissagt, sie möge eher nicht eines lebenden Kindes genesen, als bis sie fünfmal von Herzen gelacht haben würde. Beim fünften Male müsste etwas sein, das dürfe sie nicht wissen, noch auch der alte Nix. Es wollte aber damit niemals glücken, soviel auch ihre Leute deshalb Fleiß anwendeten; endlich da mochte sie der alte König ferner nicht an seinem Hofe leiden und sandte sie an diesen Ort, unweit der obern Donau, wo seine Schwester wohnte. Die Schwiegermutter hatte ihr zum Dienst und Zeitvertreib etliche Kammerzofen und Mägde mitgegeben, so muntere und kluge Mädchen als je auf Entenfüßen gingen (denn was von dem gemeinen Stamm der Wasserweiber ist, hat rechte Entenfüße); die zogen sie, pur für die Langeweile, sechsmal des Tages anders an – denn außerhalb dem Wasser ging sie in köstlichen Gewändern, doch barfuß – erzählten ihr alte Geschichten und Mären, machten Musik, tanzten und scherzten vor ihr. An jenem Saal, darin der Hirtenbub gewesen, war der Fürstin ihr Gaden oder Schlafgemach, von welchem eine Treppe in den Blautopf ging. Da lag sie manchen lieben Tag und manche Sommernacht, der Kühlung wegen. Auch hatte sie allerlei lustige Tiere, wie Vögel, Küllhasen und Affen, vornehmlich aber einen possigen Zwerg, durch welchen vormals einem Ohm der Fürstin war von eben solcher Traurigkeit geholfen worden. Sie spielte alle Abend Damenziehen, Schachzagel oder Schaf und Wolf mit ihm; sooft er einen ungeschickten Zug getan, schnitt er die raresten Gesichter, keines dem andern gleich, nein immer eines ärger als das andere, dass auch der weise Salomo das Lachen nicht gehalten hätte, geschweige denn die [18]