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Wie sagt man Liebe auf Schottisch? Der Feelgood-Roman »Das Veilchencottage am Meer« von Bestseller-Autorin Jennifer Wellen als eBook bei dotbooks. Als Violet nach dem Tod ihres geliebten Großvaters nach Crail zurückkehrt, spürt sie sofort wieder dieses besondere Band, das sie schon immer mit dem kleinen schottischen Dorf an der Küste verbunden hat. Schnell hat die junge Therapeutin alle Hände voll zu tun, denn zusammen mit dem Cottage am Meer hat sie auch das private »Tierheim« ihres Großvaters geerbt. Besonders der Schäferhundwelpe Rowdy hält sie auf Trab: Mit seinem untrüglichen Gespür für peinliche Situationen führt er Violet immer wieder mit dem Bauunternehmer Evan DeBurgh zusammen – ausgerechnet dem Mann, der sie in den Wahnsinn treibt, wenn er nicht gerade Schmetterlinge in ihrem Bauch tanzen lässt. Zum Teufel mit seinen eigensinnigen Bauplänen für das Dorf – Violet wird dafür sorgen, dass alles so bleibt, wie es ist! Aber sie hat nicht damit gerechnet, dass ihr eigenes Herz ihr einen Strich durch die Rechnung machen könnte … Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der Wohlfühlroman »Das Veilchencottage am Meer« von Jennifer Wellen entführt an die traumhafte Küste Schottlands. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.
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Seitenzahl: 439
Über dieses Buch:
Als Violet nach dem Tod ihres geliebten Großvaters nach Crail zurückkehrt, spürt sie sofort wieder dieses besondere Band, das sie schon immer mit dem kleinen schottischen Dorf an der Küste verbunden hat. Schnell hat die junge Therapeutin alle Hände voll zu tun, denn zusammen mit dem Cottage am Meer hat sie auch das private »Tierheim« ihres Großvaters geerbt. Besonders der Schäferhundwelpe Rowdy hält sie auf Trab: Mit seinem untrüglichen Gespür für peinliche Situationen führt er Violet immer wieder mit dem Bauunternehmer Evan DeBurgh zusammen – ausgerechnet dem Mann, der sie in den Wahnsinn treibt, wenn er nicht gerade Schmetterlinge in ihrem Bauch tanzen lässt. Zum Teufel mit seinen eigensinnigen Bauplänen für das Dorf – Violet wird dafür sorgen, dass alles so bleibt, wie es ist! Aber sie hat nicht damit gerechnet, dass ihr eigenes Herz ihr einen Strich durch die Rechnung machen könnte …
Über die Autorin:
Die deutsche Autorin Jennifer Wellen lebt derzeit mit Kind und tierischem Anhängsel im Ruhrgebiet. Seit 2010 schreibt sie neben ihrer Tätigkeit als wissenschaftliche Dozentin bevorzugt Liebesromane über starke, selbstbewusste Frauen, die mit beiden Beinen im Leben stehen und nicht unbedingt die reiche Millionärsnadel im Heuhaufen suchen. Unter dem Pseudonym Jen Curly veröffentlicht sie ebenfalls Romane.
Die Website der Autorin: www.jenniferwellen.com
Bei dotbooks veröffentlichte Jennifer Wellen ihre Romane:
»Honigkuchentage«
»Sternschnuppenwünsche«
»Drei Küsse für ein Cottage«
»Traumtänzerküsse«
Sowie ihre »Schottische Herzen«-Trilogie mit den Bänden:
»Das Rosencottage am Meer«
»Das Veilchencottage am Meer«
»Das Magnoliencottage am Meer«
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Originalausgabe August 2021
Copyright © der Originalausgabe 2021 dotbooks GmbH, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Redaktion: Alfons Winkelmann
Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/bbofdon, Vivvi Smak
eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (rb)
ISBN 978-3-96655-632-3
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Jennifer Wellen
Das Veilchencottage am Meer
Roman
dotbooks.
Rita hatte Sonne geliebt. Schön, dass sie nun auch an ihrem letzten Tag auf Erden schien, um ihr ein freundliches Lebewohl zu bescheren. So freundlich, wie auch Rita immer zu allen anderen Menschen gewesen war.
Bei dem Gedanken an meine warmherzige Patientin musste ich lächeln und an unsere letzte Sitzung vor zwei Wochen denken. »Wenn der Tag kommt, trauere nicht um mich, Violet«, hatte sie gesagt. »Ich hatte ein schönes Leben und freue mich darauf, endlich Albert wiederzusehen.« Und genau den Gefallen tat ich ihr jetzt. Ich freute mich für sie. Dafür, dass sie nicht nur ihren Mann, sondern auch viele weitere Familienmitglieder auf der anderen Seite wiedertraf.
Der Pfarrer trat zur Seite und griff zu einer kleinen Schaufel mit Erde. »Asche zu Asche, Staub zu Staub«, sagte er und streute etwas davon auf den weißen Sarg. Gleichzeitig stimmte jemand ein Lied auf dem Dudelsack an.
Derweil ließ ich den Blick über das weite Meer hinter dem St. Andrews Eastern Cemetery schweifen. Der Friedhof lag auf den Rocks, links daneben imponierten die Überreste der Steinmauern der St. Mary Church, und rechts davon erstreckte sich einer der breitesten Sandstrandabschnitte der Halbinsel, der St. Andrews Beach. Wenn ich irgendwann sterben würde, wollte ich auch hier begraben werden.
Während die letzten Töne verhallten, erwies jeder der Trauergäste Rita die letzte Ehre. Sie traten vor, warfen Blumen oder eine Schaufel Erde ins Grab.
Als ich mit meiner Colliehündin Hope an der Reihe war, warf ich statt Erde einfach eine Handvoll Leckerchen hinein. Es prasselte leise, als die kleinen selbstgebackenen Hundeknochen aufs Holz fielen. Es waren genau dieselben Leckerchen, die Rita während der Therapiesitzung aus dem Leckerchen-Beutel hatte herausholen müssen. Dabei hatte sie immer herzhaft gelacht, weil Hope sie bereits ungeduldig mit der Nase angestupst hatte. Einen von den Knöchelchen behielt ich übrig und gab ihn Hope, als Belohnung dafür, dass sie während der Beisetzung so brav neben mir gesessen hatte.
»Mach’s gut, Rita«, flüsterte ich, schenkte meiner Patientin noch ein letztes Lächeln und lief mit Hope an der Leine zum Ausgang. Dort stieg ich in mein Auto und fuhr nach Hause. Dabei wurde mir klar, dass der Tod eines Menschen uns auf jeden Fall etwas lehrt – das Leben ist viel zu kurz, um es zu verschwenden. Also begegne jedem Tag mit einem Lächeln, und du hast das Leben bereits für dich gewonnen.
Am Samstag, dem Tag nach Ritas Beisetzung, überquerte ich aufgeregt mit dem Auto um kurz nach drei die Queensferry Crossing Bridge, die den Firth of Forth überspannte. In weiter Ferne konnte ich bereits Edinburgh sehen. Linker Hand der Brücke erkannte ich den Hafen, wo vor allem private Segelboote anlegten. Meine Aufregung stieg von Meter zu Meter. Gleich würde ich nämlich offiziell Adoptivmutter von Rowdy werden.
Lovelyn, die Freundin meiner Freundin Dede, hatte den Schäferhundwelpen aus dem Keller eines Typen gerettet, der als Mittelsmann der Welpenmafia die Tiere aus Rumänien nach Schottland geschmuggelt hatte. Wo sie dann krank und abgemagert für wenig Geld an unwissende Leute verkauft werden sollten. Zusammen mit ihrem Freund Ian und der National Crime Agency hatte Lovelyn den Typen aber mitsamt seinen Hintermännern hochgenommen und alle Hunde befreit, die dann in öffentliche Shelter gekommen waren.
Da Rowdy Lovelyn besonders ans Herz gewachsen war, hatte sie bei seiner Vermittlung an mich gedacht und mir den schwarzen hochintelligenten Welpen als möglichen Therapiehund vorgestellt. Nur eine Minute später hatte das aufgeweckte Kerlchen mich vollständig um sein Pfötchen gewickelt. Somit war ich heute von Crail, einer kleinen Ortschaft an der Ostküste der Halbinsel Fife, auf der ich lebte, nach Edinburgh unterwegs, um den Racker abzuholen. Rowdy hatte sich im Shelter soweit von den Strapazen seiner Vergangenheit erholt und war von den Behörden zur Vermittlung freigegeben worden.
An der gegenüberliegenden Küste machte die M90 einen Linksbogen und führte Richtung Dalmeny Park. Ich hielt mich immer Richtung Leith, wo ich rechts nach Craigentinny abbog, da sich dort der Shelter befand.
Eine Viertelstunde später parkte ich mein Auto vor dem Dogs and Cats Home. Dedes Wagen stand ebenfalls dort, was mein Herz hüpfen ließ. Dies hieß nämlich, meine beste Freundin würde dem für mich bedeutungsvollen Ereignis heute beiwohnen.
Am Empfang des Shelters meldete ich mich bei einer rothaarigen jungen Frau an, die mich daraufhin zunächst in den Wartebereich verwies. Es dauerte nicht lange, dann kamen Dede, Lovelyn und Angus, der Tierarzt und gleichzeitig auch der Tierheimleiter, angelaufen.
Als ich den schwarzen Welpen erblickte, den Lovelyn an der Leine führte, schlug mein Herz einen doppelten Salto. Der Kleine war noch süßer, als ich ihn vom ersten Treffen vor ein paar Wochen in Erinnerung hatte.
»Oh, wow, ist der groß geworden«, rief ich überrascht aus. »Beim letzten Mal haben die Ohren noch nicht so schief gestanden, oder?« Ich stand auf.
Lovelyn grinste nur breit. Ich hockte mich hin, um den kleinen Kerl zu begrüßen. Rowdy näherte sich mir schwanzwedelnd und stupste mich an. Mit beiden Händen strich ich ihm über das Köpfchen. Er drehte sich um seine eigene Achse und grunzte.
»Ich sehe schon«, setzte Angus an, »das passt.« Er bedachte uns mit einem wohlwollenden Blick.
Lächelnd griff ich in meine Westentasche und holte ein kleines Stück Rinderlunge hervor. Rowdy schnupperte skeptisch daran. »Nimm«, sagte ich. »Das ist lecker.«
Als hätte er meine Worte verstanden, berührte er mit seinen spitzen Milchzähnchen nur wenig später meine Finger, um vorsichtig das Leckerli aus meiner Hand zu fressen. Erwartungsvoll forderte er mich durch Anstupsen auf, ein weiteres Stück herauszurücken. »Ich kann dir jetzt nicht so viel geben, ich will nicht, dass dir im Auto schlecht wird.«
Rowdy legte den Kopf schief. Dies war mir schon beim ersten Treffen aufgefallen. Mir schien, dass der Hund jedes Wort verstand oder zumindest so tat. »Aber wenn wir nachher zu Hause sind, gibt es lecker Hühnchen.« Das ich extra beim Metzger in Kingbarns besorgt und abgekocht hatte, um dem kleinen Kerl den ersten Abend so angenehm wie möglich zu machen.
Nun trat Dede auf mich zu. »Hey, Süße, schön, dass du es heute einrichten konntest.«
Ich stand auf und umarmte sie. Dede war in der Secondary School meine beste Freundin gewesen. Leider war sie mit ihrer Familie von Crail nach Edinburgh gezogen, da ihr Vater eine Anwaltskanzlei gegründet hatte. Dennoch hatten wir all die Zeit Kontakt gehalten. Erst über Briefe und Telefon, später über WhatsApp und Skype. Ein paarmal im Jahr trafen wir uns sogar persönlich. Meist zum Feiern in einem angesagten Club oder zum Shoppen in Edinburgh. Mit dabei seit ein paar Jahren auch eben Lovelyn. Sie war mit Dede zusammen auf der Uni gewesen und umarmte mich jetzt ihrerseits.
Zuletzt gab ich Angus die Hand. Den attraktiven Tierarzt hatte ich schon beim letzten Besuch kennengelernt, als Lovelyn mir Rowdy vorgestellt hatte.
Der Hund sah bei dem herzlichen Begrüßungszeremoniell aufmerksam von einem zum anderen. Insgesamt machte er einen gesunden Eindruck. Die kahlen Stellen waren allesamt zugewachsen, und er hatte deutlich an Gewicht zugenommen. Sein pechschwarzes Fell glänzte, die Augen schienen klar. Was ein paar Wochen gute Pflege doch ausmachen konnten.
Angus räusperte sich. »Wollen wir dann schnell den Papierkram erledigen?« Der Tierarzt sah mich auffordernd an. Dede hatte mir am Telefon mal erzählt, dass er wohl für Lovelyn schwärmte, die sich jedoch für Ian, den Journalisten, entschieden hatte, mit dessen Hilfe sie der illegalen Welpenmafia einen ordentlichen Tiefschlag verpasst hatte. Mittlerweile wohnten die beiden sogar zusammen. Schade eigentlich. Angus war recht attraktiv. Und hey, welche Frau mochte keinen Kerl, der Tiere liebte und in OP-Kleidung noch supersexy aussah?
Der Stoßtrupp setzte sich schließlich Richtung Empfangstresen in Bewegung, wo die Rothaarige, die Angus mir als Georgia vorstellte, bereits alles vorbereitet hatte.
Der Heimleiter erklärte mir kurz, was die Behörden für Auflagen gestellt hatten.
»Rowdy muss regelmäßig geimpft und sein Chip überprüft werden, und du darfst ihn nicht weiterverkaufen. Nach einem halben Jahr wird es eine Nachkontrolle geben müssen.«
Ich nickte zustimmend. »Was hältst du davon, wenn ich mich in einem halben Jahr einfach melden und zur Untersuchung vorbeischauen würde? Leider ist Edinburgh zu weit weg, um dich als behandelnden Tierarzt in Erwägung zu ziehen.«
»Klar, das geht völlig in Ordnung.«
Danach unterschrieb ich jede Menge Formulare, darunter ein Tierabgabevertrag, eine Verzichtserklärung für Schadenersatz durch tierischen Vandalismus und eine Einverständniserklärung, dass meine Daten zu Nachverfolgungszwecken im Tierheim gespeichert werden durften.
Nach der letzten Unterschrift übergab ich Georgia den Papierkram, während Angus mir freudestrahlend die Hand hinhielt. »Herzlichen Glückwunsch, Violet. Rowdy gehört nun offiziell dir.«
Ich konnte ein grenzdebiles Grinsen nicht verhindern.
Dede umarmte mich jauchzend. »Oh, wow, ich bin sicher, du wirst viel Spaß mit ihm haben.«
Lovelyn hielt mir die Leine hin. Ihre Augen dagegen schimmerten feucht. »Pass mir gut auf den Kleinen auf, ja? Er ist gerade im Zahnwechsel, also besorg ihm besser was zum Knabbern.«
Verhalten griff ich nach der Leine und nickte. Mir stockte der Atem. Ich konnte es immer noch nicht fassen. Mein erster eigener Welpe. Hope hatte ich nämlich als ausgewachsenen Hund von Granpa übernommen.
Lovelyn beugte sich hastig zu Rowdy hinab und krabbelte den Hund am Rücken. Sie seufzte leise. »So, Rowdy, Zeit für dich, in dein neues Zuhause zu kommen. Ich bin sicher, dir wird es dort gefallen. Violet hat ein süßes kleines Cottage mit ganz viel Garten direkt am Meer, und du hast bei ihr sogar einen richtigen Job. Du wirst Hundetherapeut!« Bei dem Klang von Lovelyns Stimme setzte Rowdy sich auf den Hintern und legte den Kopf schief. Während sie sprach, hörte er ihr gespannt zu. »Sei lieb, und mach mir keine Schande, ja?«
Rowdy bellte einmal kurz. Lovelyn stand auf und wischte sich hastig eine Träne aus dem Gesicht. »Tut mir leid, ich wusste, dass es keine gute Idee war, hier zu sein, wenn er abgeholt wird.« Sie schniefte.
Dede legte Lovelyn einen Arm um die Schulter und zog sie an sich. »Bei Violet ist er wirklich in guten Händen, und du kannst ihn jederzeit besuchen.«
»Ja, ich weiß«, gab Lovelyn zurück. »Trotzdem ist es nicht leicht.« Natürlich konnte ich sie verstehen. Sie hatte zu Rowdy eine besondere Beziehung und hätte ihn gerne selbst behalten. Aber Lovelyn hatte bereits Greyce und Reeve ein Für-immer-Zuhause gegeben, weil die beiden Hunde unzertrennlich waren und durch Reeves Behinderung als schwer vermittelbar galten.
Lovelyn straffte die Schultern und lächelte gequält. »Seht zu, dass ihr endlich nach Hause kommt. Ich bin sicher, dass Rowdy froh ist, endlich Herr eines gemütlichen Hundekörbchens zu werden.«
Ich nickte ihr zu. »Wenn ich gut angekommen bin, schicke ich dir eine Nachricht.« Mit Rowdy an der Leine verließ ich schließlich das Tierheim. Dede und Angus begleiteten mich. Lovelyn dagegen drehte sich grußlos um. Ich war ihr deswegen aber nicht böse.
Am Auto angekommen, half Angus mir, dem Hund das Geschirr von mir anzulegen und ihn in die Transportbox zu heben. Dede drückte mich noch mal fest und nahm mir das Versprechen ab, in nächster Zeit ganz viele Fotos zu schicken. Schließlich stieg ich ein und fuhr vom Parkplatz. Im Rückspiegel sah ich, wie Angus einen Arm um Dede legte und sie an sich zog. Es sah so aus, als würde auch sie sich gerade ein Tränchen aus dem Augenwinkel wischen. Ich winkte ihr zum Abschied noch mal kurz zu und bog dann rechts auf die Hauptstraße ab.
***
Gerade eben war ich wieder zurück in Crail und hatte das Auto in der Einfahrt meiner Eltern geparkt, als mein Handy in der Jackentasche losvibrierte. Laut Display war es eine mir unbekannte Nummer. Trotzdem nahm ich das Gespräch an. Als selbstständige tiergestützte Therapeutin hoffte ich dabei nämlich immer auf neue Aufträge.
»Holister?«
»Hey, Violet«, begrüßte mich eine helle Frauenstimme überschwänglich. Die Stimme kam mir seltsam vertraut vor. »Hier ist Nora. Nora Kensington. Kennst du mich noch?«
»Nora«, rief ich erfreut in den Hörer. Mit ihrem Anruf hätte ich niemals gerechnet. Das letzte Mal hatte ich die leitende Oberschwester gehört oder gesehen, als ich meinen letzten Arbeitstag im St. Andrews Community Hospital absolviert hatte. Danach war ich in die Selbstständigkeit gegangen.
»Wie geht es dir? Und was verschafft mir die Ehre deines Anrufes?«
Nora lachte in den Hörer. »So weit geht es mir eigentlich ganz gut. Ich bin aus der stressigen Akutpflege des St. Andrews raus und arbeite nun in einem Pflegeheim in der Nähe von Balmullo.« In der Tat hatte Nora schon länger damit geliebäugelt, von der Intensivpflege in die etwas ruhigere Geriatrie zu wechseln. Schön, dass sie den Absprung geschafft hatte.
»Und wie geht es dir so? Was macht deine Selbstständigkeit?«, gab sie den Gesprächsball nun an mich weiter.
»Mir geht’s auch gut. Wenn du mich also anrufst, weil du eine neue Mitarbeiterin suchst, muss ich dich leider enttäuschen. Das Geschäft floriert, und ich kann nicht klagen.« Ich griff zu meinem Autoschlüssel und ließ ihn in meiner Westentasche verschwinden.
Nora lachte erneut in den Hörer. »Um Gottes willen! Dass du dich mit Tieren völlig am rechten Fleck fühlst, habe ich schon damals gemerkt. Nein, es geht mir um etwas anderes. Ich brauche deine Hilfe.«
»Oha, jetzt machst du es spannend«, warf ich ein und schnallte mich ab. Dabei wechselte ich notgedrungen das Handy vom einen zum anderen Ohr.
»Na, so spannend ist es jetzt nicht, aber letzte Woche haben wir eine Patientin aufgenommen, die nach ihrer Oberschenkelhalsfraktur in der Reha mobilisiert werden sollte. Eigentlich hätte sie sich die Reha auch sparen können. Aber nun gut.« Nora räusperte sich kurz. »Da Amelia Wittington keinen Kontakt mehr zu ihrer Familie hat und ganz allein wohnt, kam sie nun zu uns in die Kurzzeitpflege.«
Dies war ein übliches Prozedere. In der Reha sowie in der Kurzzeitpflege sollten die Patienten nicht nur wieder fit gemacht, sondern auch an Hilfsmittel wie Rollatoren oder Gehhilfen für den Alltag gewöhnt werden. Dem Gespräch nach zu urteilen, war es aber wohl für Mrs. Wittington nicht so gut gelaufen.
Ich öffnete die Tür, blieb allerdings noch kurz sitzen. »Und wie kann ich dir da jetzt helfen? Suchst du jemanden, der sie danach ambulant betreut?«
Ein Aufseufzen ertönte. »Ehrlich gesagt, suche ich eher jemanden, der sie aus ihrer Isolation reißt. Amelia ist verschlossen. Sie redet mit niemandem, hat an nichts mehr Interesse, und so langsam mache ich mir wirklich Sorgen um ihren allgemeinen Gesundheitszustand.«
Ich sah Mom aus dem Haus treten. Sie hob fragend die Hände. Mit dem Finger deutete ich kurz auf mein Handy, so dass sie nickte und wieder ins Haus zurückging.
»Nun gut, wenn sie ohne Familienanschluss ist – kein Wunder. Was ist mit Freunden oder Bekannten?«
»Negativ«, gab Nora zurück. Ihre Stimme klang bedrückt. »Der therapeutische Fortschritt lässt zu wünschen übrig, so dass ich gezwungen bin, erneut den sozialen Dienst einzuschalten. So kann sie auf keinen Fall allein wohnen. Deswegen meine Frage, wann du Zeit hättest? Ich glaube nämlich, dass Amelia eine gute Kandidatin für deine Art von Therapie wäre.«
In Gedanken überflog ich meinen Plan für die nächsten Tage. Wegen Rowdy hatte ich mir die kommenden zwei Wochen nur wenige Termine gesetzt, damit ich den Welpen bei der Eingewöhnung begleiten konnte.
»Eigentlich wollte ich die Woche etwas kürzertreten, aber gerne setze ich eine dringliche Therapiestunde hinein. Das macht mir nichts aus.«
Nora seufzte. »Da wäre ich dir wirklich sehr dankbar.«
Rowdy im Kofferraum begann, leise zu fiepsen. Anscheinend wollte er endlich aus der Transportbox raus.
Mit dem Handy am Ohr stieg ich aus und warf die Fahrertür zu. Ich lief ums Auto herum und öffnete den Kofferraum. »Sagen wir Dienstag um zehn?«, schlug ich vor. »Montag bin ich leider schon verplant.«
Nora seufzte erneut auf. »Egal wann, Hauptsache, du kommst. Brauchst du etwas für die Therapiestunde? Leckerchen zum Beispiel? Oder einen Igelball?«
»Du musst nichts besorgen. Ich bringe ja immer mein eigenes Material mit.« Doch da fiel mir der Hund ein. »Allerdings müsste ich Rowdy mitbringen.«
»Rowdy? Wer ist Rowdy?« Ein überraschtes Keuchen ertönte. »Bist du etwa in der Zwischenzeit Mama geworden?«
Ich lachte auf. »Als ob ich meinen Sohn Rowdy nennen würde. Außerdem hatte ich mich ja schon vor meiner Kündigung von Dan getrennt. Woher soll dann also das Kind kommen?«
Ich öffnete die Box und leinte den Welpen an. Er wedelte bereits erleichtert mit der Rute.
»Ach ja, stimmt. Daran kann ich mich noch vage erinnern. Hatte Dan nicht direkt danach eine Neue?«
»Na ja, ich hatte ja vermutet, dass er sie schon vorher hatte.«
»Okay, aber wer ist dann jetzt Rowdy?«
»Rowdy ist mein neuer Therapiehund.« Ich hob den Teufel aus dem Auto und setzte ihn ab.
»Ach so, na, solange der Name nicht Programm ist und er das Heim auseinandernimmt, ist alles in Ordnung. Die Heimleitung weiß über Hope Bescheid, und die alten Leutchen werden sich über einen zweiten Hund zum Betüddeln sicher auch wahnsinnig freuen.«
»Kannst du mir dann nur noch sagen, wo ich genau hinmuss?«
»Ich würde sagen, die Adresse schicke ich dir gleich einfach per WhatsApp. Dann sehen wir uns am Dienstag um zehn. In Ordnung?«
»Alles klar, Nora, ich freue mich schon darauf, dich wiederzusehen. Sicher werden wir auch noch etwas Zeit finden, über alte Zeiten zu quatschen. Oder?«
Schließlich verabschiedeten wir uns voneinander, und ich steckte lächelnd das Handy in die hintere Hosentasche.
Mit dem kleinen Kerl an der Leine lief ich auf Moms und Dads Haus zu. Damit Rowdy erst einmal ankommen konnte, hatte ich sie gebeten, Hope im Wohnzimmer einzusperren. Sie hatte ich nicht nach Edinburgh mitgenommen.
Ich war noch nicht ganz an der Haustür, als sie unvermittelt aufschwang und Mom jauchzend heraustrat. »Herrje, ist der süß. Den hätte ich auch genommen«, quietschte sie und klatschte in die Hände. Rowdy ließ es sich nicht nehmen, sich gleich vor ihr auf den Rücken zu werfen. Anscheinend hatte er trotz seiner schlechten Vergangenheit keinerlei Hemmungen oder Ängste gegenüber Menschen, was eine verdammt gute Eigenschaft für einen angehenden Therapiehund war.
Mom beugte sich zu ihm hinab und fuhr mit den Fingern zärtlich über seinen nackten Bauch. Der kleine Kerl grunzte.
Nun trat auch Dad aus dem Haus. Typisch Mann war er in seiner emotionalen Bekundung aber etwas sparsamer. »Schick, der Kleine, auch wenn er erst noch groß werden will. Wollt ihr nicht drinnen weiterknuddeln?«
Mom erhob sich und lief hinter Paps her. Der Welpe sprang auf und tapste den beiden nach.
Nachdem ich die Tür hinter mir geschlossen hatte, befreite ich ihn von der Leine, damit er sich in Ruhe umsehen konnte. Sein erster Gang führte schnurstracks zur Wohnzimmertür, hinter der Hope saß. Ich konnte ihre Umrisse durch das Butzenglas in der Tür sehen. Beide versuchten nun, den Geruch des jeweils anderen durch den Spalt am Boden zu saugen. Beide schienen auch nicht böse aufgeregt. Deshalb entschied ich mich, die Spannung nicht auf die Spitze zu treiben, sondern auf mein Bauchgefühl zu hören.
Vorsichtig öffnete ich die Tür einen Spalt, während Rowdy mit der Schnauze nachhalf und sie aufdrückte. Als die Tür schließlich aufschwang und er Hope gegenüberstand, die nun eine kleine Bürste zeigte, schmiss er sich auf den Boden, die Beine in die Luft. Hope begann, an ihm herumzuschnüffeln. Meine Eltern, die das von der Küche aus beobachtet hatten, lachten auf.
»Lass sie doch raus in den Garten. Sicher muss Rowdy auch mal nach der langen Fahrt«, schlug Mom vor.
Im Versuch, nicht über die Hunde zu stolpern, durchquerte ich das Wohnzimmer und öffnete die Terrassentür. Der Garten meiner Eltern war groß und eingezäunt.
Hope lief voran, Rowdy folgte ihr auf dem Fuße. Wie Mom gesagt hatte, setzte er sich direkt ein paar Meter weiter auf die Wiese und pinkelte. Ein gutes Zeichen. Hunde, die Angst haben oder unsicher sind, lösen sich nicht.
»Komm, Schatz, ich habe dir etwas Essen ins Bett gestellt.« Mom lief an mir vorbei ins Schlafzimmer und kam kurz darauf mit einem Topf zurück, der von einem Handtuch umwickelt war. Ich folgte ihr in die Küche, wo sie zu einem Teller im Schrank über ihr griff.
Mit einem Küsschen auf die Wange begrüßte ich Dad, der sich bereits wieder an den Küchentisch gesetzt hatte und puzzelte. Das war seine heimliche Leidenschaft. Ein Blick über seine Schulter zeigte mir, dass er mit dem 5.000-Teile-Puzzle von mir zu seinem Geburtstag auch schon fast wieder fertig war.
Danach bekam Mom einen Schmatzer auf die Wange, während ich neugierig einen Blick auf den Teller warf – Putenbraten mit Stampfkartoffeln und Rübengemüse. Lecker!
Die duftende Bratensoße ließ mir das Wasser im Munde zusammenlaufen. Mom war eine verdammt gute Köchin, die es liebte, extravagante neue Rezepte auszuprobieren. Doch ihre einfachen Gerichte, die sie meist kochte, wenn es schnell gehen musste, mochte ich am liebsten.
Dies dachte sich anscheinend auch Rowdy, denn ehe ich die erste volle Gabel am Mund hatte, war er mit hocherhobener Nase in die Küche geschossen, hatte sich unvermittelt mit beiden Vorderpfötchen auf dem Tisch abgestützt und mir mit einem Happs eine Scheibe Putenbraten gemopst.
Ich sprang auf und rief: »Pfui ist das.« Mom lachte nur laut, was Rowdy dazu animierte, sich auf seinen Hintern zu setzen und seine Schnauze zu belecken. Und wenn ich es nicht besser gewusst hätte, hätte ich seinen Ausdruck im Gesicht als Grinsen gewertet.
»Na, mit dem bekommst du noch Spaß«, sagte Dad und zog die Augenbrauen hoch.
»Er ist halt noch jung«, verteidigte Mom ihn. »Weißt du noch, wie Hope dir damals als Welpe den Hausschuh zerbissen hat?«
Daran konnte ich mich auch nur zu gut erinnern. Da Hope nicht nur den Hausschuh, sondern auch Dads spezielle orthopädische Einlagen mit zerbissen hatte, musste Dad sich neue anfertigen lassen. Er brauchte sie gegen die Schmerzen in seinen arthritischen Füßen. Bis sie fertig waren, hatte er jeden Tag über den Welpen gewettert.
Ich aß den Rest auf und beobachtete Rowdy, der nun brav auf dem Boden lag, jedoch jeden meiner Bissen mit den Augen verfolgte.
»Was macht denn eigentlich Sniffler?« Dad griff beiläufig zu einem Puzzleteil und hielt es hier und da an, um zu sehen, ob es passte.
Ich schluckte herunter und antwortete: »Ihm geht’s gut, er wohnt seit vorgestern draußen im Gehege.« Sniffler war ein junges männliches Frettchen, das von einer Bewohnerin des Dorfes angefahren auf der Straße gefunden worden war. Sie hatte es zu Dr. Ross, den Dorftierarzt, gebracht, der den Kleinen medizinisch versorgt und sich dann an mich gewandt hatte.
»Hast du denn schon eine Idee, was du mit ihm machst?« Dad legte das Puzzleteil weg und griff zu einem anderen.
»Nicht wirklich. Schön wäre es, wenn er vielleicht einen weiblichen Kumpel bekäme. Er scheint mir doch recht einsam zu sein. Und zu zweit könnte ich sie sicher irgendwo unterbringen. In einem schönen Freigehege in einem Kindergarten vielleicht.«
Dad runzelte die Stirn. »Hast du es mal in den öffentlichen Sheltern probiert? Ich weiß, außerhalb von Dundee sind zwei. Vielleicht haben die welche abzugeben.«
Ich nickte. »Stimmt. Auf die Idee, ein zweites Frettchen aus einem Shelter zu adoptieren, bin ich noch gar nicht gekommen. Ich fasse das mal ins Auge.«
Während ich kurz darauf den leer gefutterten Teller abräumte, fiel mir wieder Granpas leerer Platz am Fenster auf. In Gedanken sah ich ihn dort sitzen, lachen und mir verschwörerisch zuzwinkern. Schon komisch, wenn ein Familienmitglied nicht mehr da ist. Krankheit oder Tod ihn aus dem gewohnten Umfeld reißt. Dann entstehen lauter kleine Lücken. Ein leerer Platz, eine Portion Essen, die übrig bleibt, und Aufgaben, die erledigt werden müssen.
Bei Granpa war es weitaus mehr gewesen. Ein leeres Cottage und jede Menge Verantwortung für sein privates Tierheim zum Beispiel. Granpa hatte immer eine offene Tür für herrenlose Tiere in der Umgebung gehabt. Er hatte sich dann um sie gekümmert, sie aufgepäppelt und ein neues Zuhause für sie gesucht. Bis auf Hope, die hatte er damals selbst behalten.
Nach seinem ersten Schlaganfall hatte ich somit nur übergangsweise in seinem Haus wohnen wollen, da jemand die Notfelle versorgen musste. Dass er jedoch noch einen zweiten, schwereren Anfall erleiden und daran sterben würde, hatten wir alle nicht ahnen können.
Daraufhin hatte ich mein Apartment in St. Andrews gekündigt und war ganz in das Cottage außerhalb von Crail gezogen, auch wenn es einen längeren Arbeitsweg für mich ins Krankenhaus bedeutete. Aber nicht nur, dass ich von da an in seinem Cottage wohnte, plötzlich war ich mit einem Schlag seine Nachfolgerin geworden. Seitdem kamen die Leute mit den Tieren zu mir.
»Violet?«
Mein Kopf ruckte hoch, und ich besann mich wieder aufs Wesentliche. Den Teller in die Spülmaschine stellen. »Was ist, Mom?«
»Holst du dir eine Dessertschale aus dem Büfettschrank? Ich habe …«, sie machte eine kurze Pause und schluckte schwer, »… noch etwas Apple Crumble.« Nachdenklich lief ich zum Büfettschrank und holte ein Schälchen hervor.
Apple Crumble war Opas Lieblingsnachtisch gewesen. Er fehlte uns, aber das Leben ging eben weiter. Und nun besaß unsere Familie ein neues Mitglied, das zwar nicht Granpas Lücke schließen konnte, uns aber sicher von der Trauer ablenken und unser neuer Sonnenschein nach dem Regen werden würde.
***
Satt und rundum zufrieden verabschiedete ich mich kurz darauf von meinen Eltern und machte mich auf den Heimweg. Als ich die Tür zu meinem Cottage öffnete, stürmten beide Hunde voraus in die Küche. Mir schien, dass der Welpe sich sehr an Hope hängte. Ein souveräner Ersthund kann einem neuen tatsächlich das Leben erleichtern, und da Hope besonders viel Feingefühl besaß, zeigte sie auch keinerlei Territorialverhalten. Während Rowdy also Zentimeter für Zentimeter die Küche absuchte, saß Hope neben dem Küchentisch und wartete brav auf ihr Abendessen.
Aus diesem Grund kümmerte ich mich zuerst um das Futter. Hope wurde gebarft, und mit Rowdy hatte ich dasselbe vor, doch abrupte Futterumstellungen konnten zu Durchfall führen, weshalb ich dem Kleinen das Trockenfutter gab, das er auch im Shelter bekommen hatte. Einen kleinen Sack davon hatte ich mir besorgt. Ebenso wie einen zweiten Metallständer für die Futterschalen, damit Rowdy nicht vom Boden fressen musste oder die Schalen beim Auslecken über die Küchenfliesen schob. Obenauf drapierte ich in beiden Näpfen ein paar Stückchen der gekochten Hühnerbrust. Der Rest war für morgen gedacht.
Hope war die Älteste und somit die Rudelführerin nach mir. Sie bekam ihr Futter zuerst. Rowdy empfand dies wohl als ungerecht, aber das dezente Knurren mit hochgezogener Lefze von ihr ließ ihn genügend Sicherheitsabstand halten.
Als Nächstes bekam er sein Futter. Leider hüpfte er vor Aufregung wie ein Flummi auf und ab und schlug mir beinahe mit dem Kopf die Schüssel aus der Hand.
»Rowdy, sitz.« Nun ging er dazu über, sich um seine eigene Achse zu drehen, als würde er versuchen, seine eigene Rute zu fangen.
»Rowdy, sitz.« Der Hund nahm mich gar nicht wahr. Aufseufzend stellte ich ihm einfach das Futter hin, so dass er sich kopfüber in den Pott stürzte. Das würde ein gutes Stück Arbeit werden. Aber ich war mir jetzt schon sicher, dass es sich lohnen würde. Während er fraß, streichelte ich ihm testweise über den Rücken. Er knurrte nicht, sondern futterte einfach unbeirrt weiter.
Ich nahm mir ein Wasser aus dem Kühlschrank und lief hinüber ins Wohnzimmer, wo ich mich auf die Couch setzte und zu meinem neuen Buch griff, das auf dem Tisch lag – Welpenschule von Cesar Milan. Während ich das Buch aufschlug, hörte ich das beruhigende Geschmatze und Geklapper der Futtertöpfe. Solange die Hunde fraßen, hangelte ich mich fasziniert von Seite zu Seite.
Cesar Milan mochte ich. Vor allem diese Sache mit der Energie, die wir ausstrahlen und die ein Hund fühlen kann. Das war in meinen Augen auch ein wichtiger Punkt in der Therapiehundeausbildung. Der Hund musste spüren, wann ein Mensch Aufmerksamkeit und Hilfe benötigte, und sollte dies mit seiner eigenen Energie positiv unterstützen.
Dass etwas nicht stimmte, bemerkte ich erst, als es so seltsam aus der Küche knisterte. Erschrocken sprang ich auf und lief hinüber, um an der Schwelle der Tür stehen zu bleiben. Mein Küchenfußboden sah aus wie eine Müllhalde. Mittendrin ein schwarzer Hund, der einen Joghurtbecher zwischen den Pfoten festhielt und ihn ausschleckte.
»Herrgott, Rowdy«, fluchte ich und machte mich daran, die leeren Verpackungen aufzuheben. Hatte ich mir vorhin Sorgen um die Futterumstellung gemacht? Der Zeckenprinz hatte alles Essbare aus meinem Müll vertilgt. Selbst den gammeligen Käse und die braune Banane mitsamt Schale.
Aber ich war ja auch selbst schuld. Von der gut erzogenen Hope war ich es nicht gewohnt, mir Sorgen um den Müll machen zu müssen. Bei Rowdy musste ich daher umdenken und genauso lernen wie er. Und die erste Lektion, die er mir heute beigebracht hatte, war: Hast du einen Welpen, hast du besser einen verschließbaren Mülleimer!
Die Nacht war dagegen recht ereignislos verlaufen. Trotz meiner Bedenken, dass Rowdy womöglich Bauchschmerzen bekommen könnte, hatte er gut geschlafen. Aufgrund seiner mangelhaften Stubenreinheit hatte ich mir allerdings den Wecker gestellt und ihn in der Nacht in den Garten gelassen. Dort hatte er sich hingesetzt, gepinkelt und war dann schnurstracks wieder an mir vorbeigelaufen, um es sich im Hundekörbchen bequem zu machen. Als ich morgens aufgewacht war, hatte Rowdy jedoch schnarchend neben mir im Bett gelegen. Anscheinend war ihm das Hundekörbchen zu einsam gewesen.
Ich ließ den Hund schlafen und stand leise auf, um runter in die Küche zu gehen und mir einen Kaffee zu kochen. Hope, die unten im Wohnzimmer auf der Couch lag, hob nur müde den Kopf. Auch ihr war die Anstrengung von gestern deutlich anzusehen. Normalerweise schlafen Hunde zwischen 16 und 18 Stunden pro Tag. In fremder Umgebung weitaus weniger. Kommt dann noch etwas Ungewohntes hinzu, kann sie das eben stressen.
Mit dem frisch gebrühten Kaffee in der Hand trat ich hinaus auf die Terrasse und atmete einmal tief durch. Die salzige Meerluft roch herrlich. Mein Blick überflog derweil die knapp 2.000 Quadratmeter Wiese, die sich von meinen Füßen bis zum alten Holzzaun erstreckte, der die Grenze meines Grundstückes markierte. Hinter dem hohen Holzzaun gab es lediglich noch ein paar Meter weitere Wiese, durchkreuzt von einem Wander- bzw. Fußweg, und hinter den Wiesen begann dann ein felsiges Stück Strand, der nach links hin sandiger, nach rechts hin steiniger wurde. Von West Ness aus, wo mein Haus stand, lief ich links entlang nur ein paar Minuten am Strand bis nach Crail. Rechts hinunter nur ein paar Minuten über den Feldweg zu meinen Eltern nach Kilrenny.
St. Andrews, wo ich vorher gewohnt hatte, war zwar die größere Stadt, aber sie bot nicht die Ruhe und den Weitblick der kleinen Ortschaften sowie den sensationellen ungetrübten Meerblick meines Cottages, das allerdings nicht gerade groß war. In der unteren Etage gab es das große Wohnzimmer, das durch eine Durchreiche visuell mit der Küche verbunden war, eine Gästetoilette und ein kleines Arbeitszimmer. In der oberen Etage befanden sich drei weitere Räume. Einer davon war mein Schlafzimmer, und die anderen beiden hatte Granpa damals als Bibliothek und Abstellkammer genutzt. Jetzt standen sie bis auf die ganzen Bücher und Granpas Schaukelstuhl leer. Nach seinem Tod hatte ich das Häuschen aus den zwanziger Jahren kernsanieren müssen. Nun war das Cottage beinahe wie neu. Sämtliche Räume waren weiß gestrichen und der alte Holzfußboden sowie die Treppe abgeschliffen und lackiert worden. Lediglich in der Küche gab es einen anthrazitfarbenen Fliesenboden, weil der alte Holzboden nicht mehr zu retten gewesen war. Die alte Küche von Granpa hatten wir ebenfalls abgeschliffen und weiß lackiert.
Karl vom Hundeplatz in Anstruther, wo ich regelmäßig trainierte, hatte dazu mein Bad neu gemacht. Er war selbstständiger Fliesenleger. Nun erstrahlte es in modischem Hellgrau und verfügte über eine neue Badewanne sowie eine moderne gläserne Duschkabine.
Einrichtungstechnisch hatte ich einen Teil von Granpas Möbeln stehen gelassen und sie mit neu gekauften Dingen wie Couch, Teppichen und Bildern kombiniert. Nun erinnerte mich das Cottage an Granpa, gab mir aber zusätzlich das Gefühl, nicht nur Gast in seinem Haus zu sein.
Langsam schlenderte ich von der Terrasse aus zu den Gehegen aus Holz und Kaninchendraht, die Opa eigens für Wildtiere gebaut hatte. In der Nähe des Strandes kreischten einige Möwen. Im ersten Gehege saß Sniffler. Allein. Vielleicht sollte ich Dads Rat befolgen und mich in den umliegenden Sheltern umschauen oder es mal mit einer Anzeige versuchen.
Im zweiten Gehege direkt daneben wohnten zwei Kaninchen. Die anderen beiden Gehege waren derzeit leer.
Ich begrüßte Sniffler und Hanni und Nanni. Als ich ihnen gerade versprach, sie alle gleich zu füttern, stupste mich jemand am Bein an – Rowdy. Lächelnd krabbelte ich ihm über den Kopf.
Anschließend richtete er seine Aufmerksamkeit auf die Tiere. Er beschnüffelte zuerst Hanni und Nanni, die jedoch unbeirrt herumhoppelten und ihr Heu weiter mümmelten. Zuletzt begutachtete Rowdy Sniffler, der entspannt auf einem Ast etwas weiter oben saß. Sniffler war schon immer sehr zutraulich gewesen, weshalb ich vermutete, dass er kein Wildtier war. Freilaufende Frettchen waren hier für die Gegend auch nicht typisch, eher die etwas größeren Marder, deren Maske aber ganz anders gezeichnet war. Der kleine Kerl war vermutlich irgendwo weggelaufen oder ausgesetzt worden.
Nun kam Hope in den Garten getrottet. Rowdys Aufmerksamkeit wurde dadurch von Sniffler abgelenkt. Er forderte die Hündin zum Spielen auf, die mir jedoch einen verunsicherten Blick zuwarf. Unsere Morgenroutine bestand aus einer gemütlichen Hunderunde am Strand, um dann im Anschluss in Ruhe zu frühstücken. Deshalb eilte ich zurück ins Haus und zog mich an.
***
Zehn Minuten später lief ich mit beiden Hunden an der Leine zum Strand. Heute Morgen war es bedeckt und grau, und kurz zuvor hatte es zu nieseln angefangen, was mir aber nichts ausmachte. Solange der Himmel mir keine Sturzbäche bescherte, trotzte ich als erfahrener Hundeliebhaber dem unangenehmen Wetter.
Da ich Rowdy noch nicht gut kannte, hatte ich ihn an einer Schleppleine von 30 Metern befestigt. So hatte er Freiraum – ich ihn aber mittels der Leine unter Kontrolle. Nervig war nur das ständige Aufheben und wieder Aufwickeln des dünnen Nylonstrickes, der nach dem Spaziergang am Strand aussah wie einmal durch den Dreck gezogen.
Mein erster Ausflug mit dem Welpen war trotz des fiesen Wetters herrlich. Rowdy bellte Felsbrocken an, spielte mit Treibholz, und als er mit den Pfötchen versehentlich ins Wasser trat, sprang er erschrocken zur Seite und hielt seine Pfote hoch, als sei er schwer verletzt. Mehr als einmal brachte der Kleine mich zum lauten Auflachen.
Zurück im Haus fütterte ich alle und erledigte meine Hausarbeit, während Rowdy und Hope sich noch ein kleines Nickerchen auf der Couch gönnten. Danach sprang ich unter die Dusche und machte mich fertig. Gegen Mittag wollte ich zum Einkaufen nach St. Andrews fahren, dort eine Runde mit den Hunden wandern und es mir anschließend hier zu Hause auf der Couch mit dem neuen Liebesroman von Sophie Kinsella so richtig gemütlich machen.
Die paar Minuten, die ich im Bad gewesen war, hatte Rowdy allerdings erfolgreich genutzt, mir nicht nur schon wieder den Mülleimer auszuräumen, sondern auch noch ein Couchkissen zu zerfleddern und das Buch von Cesar Milan in teures Konfetti zu verwandeln. Innerhalb von zehn Sekunden wechselte meine Gefühlslage von schockiert zu wütend.
Der Missetäter lag jedoch im Körbchen, als wäre alles in bester Ordnung. Strafen durfte ich ihn ohnehin nicht mehr, da er sonst meine Strafe seiner Tat nicht zuordnen konnte. Bei Hunden gibt es die Dreisekundenregel, die besagt, dass der Halter innerhalb von einer bis drei Sekunden auf eine Aktion reagieren muss, weil sonst der Lernerfolg ausbleibt.
Deshalb hob ich die Überreste des erlegten Couchkissens und Buches auf und warf sie seufzend in den Mülleimer, den ich dazu wieder ordnungsgemäß einräumte. Mein Einkauf in St. Andrews war nun noch dringender. Nicht dass aller guten Dinge drei waren und Rowdy in seinem Fressrausch noch etwas vertilgte, was zu einem Darmverschluss führte.
Als ich alles aufgeräumt und mich wieder etwas beruhigt hatte, lief ich zurück ins Wohnzimmer. Innerhalb von Sekunden schnellte mein Puls jedoch gleich wieder in die Höhe. Rowdy stand auf dem Läufer mitten im Wohnzimmer und pinkelte.
»Pfui«, rief ich erbost und hechtete auf den Hund zu, der daraufhin erschrocken loslief. Allerdings ohne den Pipihahn abzuklemmen, was dazu führte, dass der Hund eine Urinspur vom Wohnzimmer durch die Diele und von da aus zurück in die Küche legte. Irgendwann war die Blase zum Glück leer.
Hope betrachtete das Drama entspannt von der Couch aus. Ihr Ausdruck schien mir sagen zu wollen: Selbst schuld. Was holst du dir auch einen Jungspund in die Bude!
Genervt ließ ich Rowdy in den Garten raus und holte den Wischer, um das Malheur zu beseitigen, weshalb der Hund die günstige Gelegenheit gleich nutzte, mir noch eine Tretmine in den Garten zu legen. Aber besser draußen im Garten als auf meinem Wohnzimmerläufer oder sonst wo.
Da ich mich um den vollgepinkelten Teppich kümmern wollte, ließ ich den Hund für einen Moment dort, wo er war. Außerdem nahm ich mir vor, ihn nun öfter in den Garten zu lassen. Anscheinend schaffte er es ja nicht, die drei Stunden einzuhalten, was ein Hund in seinem Alter durchaus können sollte.
Als ich aus dem Keller wieder hochkam, stand Hope fiepsend vor der Terrassentür. Da ich vermutete, dass Rowdy gerade wieder irgendeinen Unsinn probte, stürmte ich in den Garten, aber der Hund war nirgendwo zu sehen.
»Rowdy, hierher«, rief ich. Mein Herz schlug unvermittelt einen Takt schneller. Eigentlich konnte er nicht aus dem Garten heraus, denn der war ja ringsherum umzäunt. Mittlerweile traute ich dem intelligenten Rüden allerdings zu, dass er es schaffte, mit der Nase den Schieberiegel der Tür zu öffnen, die zum Strand führte. Doch als ich nachsah, war sie zu.
Mit einem Knoten im Bauch suchte ich den Garten weiter ab. Viele Versteckmöglichkeiten gab es nicht, da der Garten überwiegend aus Terrasse, Wiese und Gehege bestand. Einzig in der Mitte standen drei Pfirsichbäume, die im Frühling voller rosafarbener Blüten hingen. Doch hinter den dicken Stämmen versteckte der Hund sich auch nicht.
Und während ich an den Gehegen entlang zum hinteren Gartenbereich lief, sah ich es – direkt zwischen dem dritten und vierten Gehege gab es eine defekte Stelle im Zaun, durch den sich locker ein Welpe in Rowdys Größe durchquetschen konnte. Verdammt!
Ich rannte zurück ins Haus, sprang in meine Turnschuhe und schnappte mir die Leine von Hope. Immer wieder nach dem Hund rufend, lief ich einmal ums Cottage herum und hastete den Weg ab, den wir auch heute Morgen gegangen waren. Am Rande der Felskante, von wo aus es hinunter zum Strand ging, blieb ich für einen Moment stehen, um mir einen Überblick zu verschaffen. Mein Herz schlug mir mittlerweile bis zum Halse. Der Hund kannte sich hier in der Gegend doch nicht aus, und wer wusste schon, ob er den Weg zurückfinden würde? Mal abgesehen von den ganzen Gefahren, die da draußen auf einen kleinen Welpen lauerten, wie Autos, Longhorns oder die Hütehunde der Schäfer.
Ich schirmte mir die Augen mit der Hand vor der Sonne ab, die sich in den letzten Minuten einen Weg durch die Wolken gebahnt hatte. Und da erfasste mein Blick in weiter Ferne den Hund. Es war definitiv Rowdy. Der kleine Kerl rannte gerade am Strand entlang Richtung Crail. Seine schwarzen Ohren wackelten dabei im Laufschritt mit. Aber ich sah noch etwas, das mich dazu brachte, für einen Moment die Luft anzuhalten – einen Jogger. Und der Welpe nahm anscheinend Maß auf ihn.
Hastig kletterte ich die Felsbrocken hinab und rannte dem Hund nach. Immer wieder sank ich in den Sand-Kiesel-Mix ein, stolperte und rappelte mich ächzend auf. Rowdy war mittlerweile fast beim Jogger angekommen. Der große dunkelhaarige Kerl in der grauen Jogginghose und dem schwarzen Sweatshirt, auf dem ich nun deutlich das Glasgow-Warriors-Emblem erkennen konnte, ging ins Walken über. Je weiter der Hund sich ihm näherte, desto langsamer wurde der Kerl, bis er schließlich ganz stehen blieb.
Ich haderte kurz mit mir, ob ich schreien, mit den Armen wedeln oder beides tun sollte, um ihn zu warnen. Doch ich wollte dem Kerl auch keine Angst einjagen. Immerhin war Rowdy nicht gemeingefährlich oder bissig. Vielleicht ein wenig ungestüm oder verspielt wie für Welpen typisch.
Bei dem Jogger angekommen, sprang Rowdy hoch, um eben diesen mit beiden Vorderpfoten in den Bauch zu boxen. Der Jogger strauchelte, stolperte rücklings und fiel in den Sand wie eine schwere Boccia-Kugel. Mein Herz setzte für einen Schlag aus. Mist!
Rowdy nutzte nun den Positionswechsel, um den Kerl im Gesicht abzuschlecken. Seine Rute wedelte dabei aufgeregt hin und her wie ein Scheibenwischer bei höchst eingestellter Stufe.
Mittlerweile war ich bei den beiden angekommen. Rowdy schien voll in seinem Element, aber wie zu erwarten in positiver Hinsicht. Er begrüßte den Kerl wie einen alten Bekannten.
»Sorry«, keuchte ich und grapschte nach dem Hund, der leider kein Geschirr oder Halsband trug. Deshalb griff ich zu seinem Nackenfell und zog ihn von dem Kerl runter.
Der Jogger rappelte sich fluchend auf. Fetzen wie Mist, verdammt noch mal und Was für ein Scheißtag drangen an mein Ohr. Als er wieder in der Senkrechten stand, klopfte er sich zuerst den Sand von den Klamotten, bevor er wütend loslegte.
»Herrgott, warum ist Ihr Hund denn nicht an der Leine? Immer diese blöden Hundehalter, die ihre Viecher nicht im Griff haben.«
Ich konnte ihn natürlich verstehen. Leider vertrat ich dieselbe Meinung. Es gab zu viele Hundehalter, die sich keine Gedanken über mögliche Konsequenzen ihrer freilaufenden Hunde machten. Nur traf das eigentlich nicht auf mich zu. Eigentlich!
»Es … es tut mir leid, wirklich, er … er ist mir durch den Zaun abgehauen, sonst habe ich ihn immer festgemacht«, stammelte ich, während ich aus Hopes Leine schnell eine Art Schlinge bastelte, die ich um Rowdys Hals legte. Dann erhob ich mich und sah dem Kerl ins Gesicht. Er sah mich böse an und stemmte die Hände in die Hüften.
Wow!, schoss es mir in diesem Moment durch den Kopf. Mein Herz legte noch mal einen Zahn zu. Der Kerl war immens attraktiv. Ach, was sagte ich da. Der Kerl war ein Sahneschnittchen. Hohe Wangenknochen, gerade Nase, markante Gesichtszüge, prägnantes Kinn, Dreitagebart und auffallend blaue Augen, die mich aber verdammt zornig anfunkelten.
»Dann sollten Sie Ihren Zaun eben sichern«, gab er unfreundlich zurück und fuhr sich mit den Händen durchs dunkle Haar, das kurz geschnitten war. Vermutlich wollte er den Sand herausschütteln.
»Hören Sie«, japste ich. Ich war immer noch völlig außer Atem. »Ich kann Ihren Missmut wirklich verstehen, aber ich habe den Hund erst seit gestern, und dass in meinem Zaun ein Loch ist, wo der Hund sich durchquetschen kann, habe ich nicht gewusst.« Rowdy versuchte, den Kerl erneut anzuspringen, doch ich zog ihn reflexartig an der Leine zurück. »Sitz jetzt«, zischte ich ihm dabei wütend zu.
Er setzte sich tatsächlich. Von jetzt auf gleich. Faszinierend. Gab es womöglich einen An- und Ausschalter für den Gehorsam?
»Ein Glück für Sie, dass nichts Schlimmeres passiert ist.« Die Wangen des Joggers waren gerötet, und mit den verwuschelten Haaren sah er wirklich sympathisch aus – bis auf seine noch immer wütende Miene. »Immerhin hätte Ihr Hund mich auch beißen können.«
Seine Aussage entlockte mir in diesem Moment ein Grinsen, weil es so abwegig klang. »Der kleine Kerl hier? Sie wissen aber schon, dass das noch ein Welpe ist, oder? Mit Milchzähnen?«
Der Kerl verengte die Augen zu schmalen Schlitzen und verschränkte die Arme vor der Brust. »Auch Milchzähne können verletzen, das sollten Sie als Hundehalterin aber eigentlich besser wissen. Oder haben Sie Ihre Sachkunde bei einem Glücksspiel erworben?«
Nun wurde es mir zu bunt. Dass er wütend war, konnte ich verstehen, wirklich. Aber er musste nun ja nicht gleich persönlich werden.
»Ehrlich gesagt, habe ich meine Kenntnis sowie den Hund einfach im Internet bestellt«, konterte ich. Solchen Menschen begegnete ich am liebsten mit Humor.
»Dann hoffe ich für Sie, dass Ihr 14-tägiges Rückgaberecht noch nicht abgelaufen ist, denn weder Ihr Hund noch Ihre Kenntnis scheinen zu funktionieren.« Dann drehte er sich einfach um und lief wieder los.
Empört darüber, dass er mich einfach so stehen ließ, öffnete ich den Mund und wollte ihm noch etwas hinterherrufen. Aber da ich wusste, dass es die Lage nicht besser machen würde, verkniff ich mir einen weiteren Kommentar und lief mit Rowdy an der Leine zurück zum Haus. Der Hund machte es mir jedoch sehr schwer. Immer wieder drehte er sich störrisch wie ein Esel zu dem Kerl um. Warum er ihn überhaupt angesprungen hatte – keine Ahnung. Vielleicht, weil der Kerl ein klein wenig Ähnlichkeit mit Angus gehabt hatte?
»Verdammt, Rowdy, jetzt komm endlich«, fluchte ich und zog den Hund in meine Richtung. Schließlich ließ er vom Jogger ab und trottete mir hinterher.
Als ich die Felsen hinauf zur Wiese gekraxelt war, konnte ich nicht umhin, mich noch einmal umzudrehen. Der Kerl war nur noch als kleiner Punkt in der Entfernung zu sehen. Schade, dass er so blöd zu mir gewesen war. Unter anderen Umständen hätte ich ihn vielleicht gerne als Entschädigung für die Welpenattacke auf einen Kaffee eingeladen.
»Das sieht wirklich toll aus«, schwärmte Alison Goventry, die Pflegedienstleitung des Gibbson House, einer Einrichtung für betreutes Wohnen. Sie erhob sich aus ihrer gebückten Haltung und strich sich die schwarzen Haare hinter die Ohren. Insgeheim bewunderte ich sie für ihre langen und dazu dicken Pferdehaare. Meine waren schulterlang, ziemlich dünn und fusselig, die Farbe irgendetwas zwischen blond und mausbraun. »Und die beiden sind wirklich zu niedlich. Ich bin sicher, die Bewohner werden ihre Nasen an der Scheibe platt drücken und sie lieben«, setzte sie hinzu. Ich hatte im Eingangsbereich ein Terrarium mit zwei Bartagamen eingerichtet, die den Bewohnern als visueller Anreiz dienen sollten.
Zufrieden räumte ich das Packpapier, mit dem ich die Terrariensteine und die Halogenbirnen eingepackt hatte, in den Karton. »Das ist okay, Sie sollten nur darauf achten, dass die Bewohner nicht an die Scheibe klopfen oder mit Taschenlampen oder Ähnlichem reinleuchten«, erklärte ich ihr. »Angucken ja, anfassen und Krach machen nein.«
Alison nickte. »Warum ist das Licht leicht lila?«
»Die Bartagamen brauchen einerseits UV-Licht, aber auch Wärme, da sie wechselwarm sind. Da sind diese kombinierten UV-Halogenröhren perfekt für geeignet. Sie spenden Licht und entwickeln dazu noch Wärme, womit wir quasi zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen.«
Aus dem Augenwinkel heraus sah ich bereits zwei ältere Damen in die Empfangshalle kommen. Zielgerichtet liefen sie mit ihren Rollatoren auf uns und das neue Terrarium zu. Doch statt uns zu begrüßen, bestaunten sie die kleinen beigefarbenen Echsen namens Romeo und Julia, die im Moment etwas verwirrt auf den Lavasteinen saßen. Der Transport sowie das Umsetzen in ein neues Territorium hatten sie durcheinandergebracht. Verständlich!
»Vielleicht klebe ich ein Hinweisschild an die Glasfront.«
Ich nickte beipflichtend. »Das ist eine gute Idee. Und vielleicht sollten Sie heute das Terrarium noch mit einem Bettlaken abdecken, damit die zwei sich ungestört darin einleben können. Sie sehen noch etwas desorientiert aus.«
»Desorientiert? Haben die etwa Demenz?«, gab die kleinere der beiden Damen mit heiserer Stimme von sich.
»Bei Bartagamen gibt es keine Demenz«, erwiderte ich vorsichtig.
»Weil ich ja auch manchmal desorientiert bin und Greta dann hier immer sagt, dass ich vermutlich dement bin.«
»Stimmt doch gar nicht«, echauffierte sich Greta. »Elsa, jetzt mal ehrlich, wann habe ich denn mal gesagt, dass du dement bist?«
»Na, und ob du das immer sagst. Bist wohl selber dement, dass du das nicht mehr weißt, was?«, wetterte Gretas Freundin wieder los. Alison ging dazwischen und vermittelte zwischen den Ladys.
Derweil räumte ich alles weg und machte ein Foto von Romeo und Julia für meine Website, auf der ich für solche Projekte und mich warb. Eine gute Website war das A und O als Selbstständige. Zudem war ich froh, ein gutes Zuhause für die beiden gefunden zu haben. Sie waren ein Geschenk eines Fremden, der die Echsen vor ein paar Wochen in einer kleinen Transportbox einfach vor meiner Tür abgestellt hatte.
»Können Sie mir eben noch helfen, das Tuch anzubringen?«, wandte sich Alison nach der Streitschlichtung wieder an mich. Ich nickte, und sie lief los, um ein Laken zu besorgen.
Solange ich auf ihre Rückkehr wartete, warf ich einen Blick auf die Hunde, die ein paar Meter weiter angebunden an einem Heizkörper auf dem Boden lagen. Rowdy hatte sich seit dem Joggervorfall gestern wirklich vorbildlich verhalten. Nicht einmal hatte er versucht, jemanden anzuspringen oder von den Füßen zu hauen. Und der Mülleimer war auch unangetastet geblieben.
Alison kam mit einem großen grauen Baumwolllaken zurück, das wir mit Nägeln an der Wand direkt über dem Terrarium befestigten.
»Passen Sie nur bitte auf, dass sich die Hitze unter dem Laken nicht staut. Und wenn was ist, melden Sie sich ruhig, egal, zu welcher Tageszeit. Ansonsten komme ich wie vereinbart in ein paar Tagen vorbei und sehe nach den Tieren.« Ich verabschiedete mich von der Pflegedienstleitung. Mit einem letzten Blick auf Romeo und Julia verließ ich das Heim und machte mich mit den Hunden auf den Weg.
Montagnachmittags traf ich mich immer mit meinen Therapiehunden zum Training auf dem Hundeplatz bei Anstruther. Heute stand eine reine Theoriestunde auf dem Plan, in der wir noch Fragen zur Abschlussprüfung besprechen wollten, die die Hundeführer gerade schrieben. Zu der Prüfung eines Therapiehundes gehörte neben dem praktischen Teil eben auch ein schriftlicher. Dazu sollte das Ziel für die praktische Prüfung von den Hundeführern formuliert und im Detail ausgearbeitet werden. Nächste Woche Dienstag war dann die praktische Umsetzung im Heim terminiert, wo sie ihre geplante Therapiestunde an einem echten Patienten zeigen mussten. Wenn beide Teile, sprich Theorie und Praxis, bestanden waren, bekämen sie ihr Zertifikat von mir ausgestellt und durften ihren Hund offiziell einen Therapiehund nennen.
Der Trend, Therapiehunde auszubilden, nahm in letzter Zeit mehr und mehr zu. Für den nächsten Kurs ab Ende November stand tatsächlich schon eine weitere Gruppe von fünf Hunden in Wartestellung. Vor allem in der Alten- und Kinderpflege wurden immer öfter auch Tiere eingesetzt. Mit großem Erfolg!