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Kann Liebe alle Feindseligkeit überwinden? „Das Verlangen des Lords“ von Romance-Bestsellerautorin Patricia Grasso – jetzt als eBook bei dotbooks. Ein Blick in seine beeindruckend grünen Augen – und Keely ist verloren! Dabei hatte sie sich eigentlich von Männern wie Richard Devereux fernhalten wollen: Aber solange sie am Hof der Königin von England nach ihrem leiblichen Vater sucht, kann sie Richard nicht aus dem Weg gehen. Immer schwerer fällt es ihr, sich seinem leidenschaftlichen Werben zu entziehen. Als der Lord ihr sogar einen Antrag macht, lehnt sie entschieden ab. Schließlich kann eine stolze Waliserin wie sie keinen Engländer heiraten – oder? „Humor und Abenteuer prägen diese sinnliche Geschichte, sodass aus ihr eine kraftvolle Erzählung wird. Lesefreude vom Anfang bis zum Schluss!” Rendezvous Lassen Sie sich ins England des 16. Jahrhunderts entführen! Jetzt als eBook kaufen und genießen: „Das Verlangen des Lords“ von Romantikexpertin Patricia Grasso. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.
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Seitenzahl: 579
Über dieses Buch:
Ein Blick in seine beeindruckend grünen Augen – und Keely ist verloren! Dabei hatte sie sich eigentlich von Männern wie Richard Devereux fernhalten wollen: Aber solange sie am Hof der Königin von England nach ihrem leiblichen Vater sucht, kann sie Richard nicht aus dem Weg gehen. Immer schwerer fällt es ihr, sich seinem leidenschaftlichen Werben zu entziehen. Als der Lord ihr sogar einen Antrag macht, lehnt sie entschieden ab. Schließlich kann eine stolze Waliserin wie sie keinen Engländer heiraten – oder?
Über die Autorin:
Als Schülerin las Patricia Grasso »Vom Winde verweht« – und war enttäuscht von dem unglücklichen Ende. Schließlich glaubt sie an die große Liebe und das Happy End! Deswegen schreibt sie nun selbst Liebesromane mit glücklichem Ausgang. Zunächst war das Schreiben für sie nur ein Ausgleich zum alltäglichen Arbeitsstress, inzwischen ist sie eine erfolgreiche Bestsellerautorin: Ihre Romane sind preisgekrönt, wurden in fünfzehn Sprachen übersetzt und in zwanzig Ländern veröffentlicht. Patricia Grasso lebt in der Nähe von Boston, Massachusetts.
Eine Übersicht über weitere Romane von Patricia Grasso bei dotbooks finden Sie am Ende dieses eBooks.
Die Autorin im Internet: www.patriciagrasso.com
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eBook-Neuausgabe Mai 2016
Dieses Buch erschien bereits 1998 unter dem Titel »Die Druidengöttin« bei Heyne.
Copyright © der Originalausgabe 1994 Patricia Grasso
Die amerikanische Originalausgabe erschien unter dem Titel »Love in a Mist« bei Dell Publishing, a division of Bantam Doubleday Dell Publishing Group Inc., New York..
Copyright © der deutschsprachigen Erstausgabe 1998 Wilhelm Heyne Verlag GmbH & Co. KG, München
Copyright © der Neuausgabe 2016 dotbooks GmbH, München
Dieses Werk wurde vermittelt durch Interpill Media GmbH, Hambug. By arrangement with Books Crossing Borders, Inc. / Lachesis Publishing, Inc.
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Titelbildabbildung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/Viecheslav Lopatis und conrado
eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH
ISBN 978-3-95824-650-8
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Patricia Grasso
Das Verlangen des Lords
Roman
Aus dem Amerikanischen von Isabella Bruckmaier
dotbooks.
Für Noralee Murphy, deren intime Kenntnis der Magie nur noch von ihrer Großzügigkeit übertroffen wird, mich an diesem arkanen
Wissen teilhaben zu lassen.
Und für Percy, meinen hübschen Jungen, der die sanfte
Seele eines Heiligen besitzt.
Und für Pip, den Waisenknaben, dessen »große Erwartungen« ihm mein Herz und mein Zuhause öffneten.
Wales, im August 1575
Dunkle Wolken hingen düster über dem saftigen Grün des weiten Landes. Der Nachmittag schien der Dämmerung gewichen zu sein. Nur hin und wieder erhellte ein Blitz den Himmel, um genauso schnell wieder zu verschwinden, wie er gekommen war.
Die achtzehnjährige Keely Glendower stand am Fenster und beobachtete, wie sich die Naturgewalten entluden. Das Unwetter, das vor der Burg heraufzog, entsprach dem Sturm, der sich in ihrem Herzen zusammenbraute. Welche Sorgen Keely quälten, war an ihren feingezeichneten Zügen abzulesen. Tiefe Trauer mischte sich mit einer Wut, die ihr das Atmen schwermachte.
Ihre wunderschöne, noch so junge Mutter lag im Sterben! Keely seufzte tief und verzweifelt. Ihr Herz kämpfte dagegen an, doch ihr Verstand sagte ihr, daß dies so war. Ihre sanfte, liebenswürdige Mutter starb.
Megan Glendower Lloyd lag in dem Zimmer nebenan im Bett und verblutete langsam an den Folgen einer Fehlgeburt. Ein letztes Mal hatte sie versucht, ihrem Ehemann einen zweiten Sohn zu schenken. Vergeblich. Nun blieb nichts mehr zu tun, als auf das Ende zu warten.
»Ist sie schon tot?«
Keely wirbelte herum beim Klang dieser Stimme. Ein Schauer lief ihr über den Rücken vor Abscheu, als ihr Blick auf ihren Stiefvater fiel.
Baron Madoc Lloyd stand in der Tür. Groß und kräftig wie er war, hätte der Baron ein gutaussehender Mann sein können, wäre da nicht diese unverhüllte Kälte in seinen grauen Augen gewesen.
Keelys Blick ruhte auf ihm. In ihren wunderschönen veilchenblauen Augen spiegelte sich nicht das geringste Erbarmen mit diesem Mann. Für sie war er schuldig am Tod ihrer Mutter.
»Bin ich bereits ein freier Mann?« dröhnte Madocs Stimme in ihren Ohren.
Der Zorn trieb Keely die Röte ins Gesicht. Sie hob die Hand und deutete mit dem ausgestreckten Zeigefinger auf ihn, um ihm ihre Anklage entgegenzuschleudern. Doch bevor sie das erste Wort hervorstoßen konnte, zerriß vor dem Fenster ein gewaltiger Blitz den Himmel, und ein ohrenbetäubender Donner hallte in ihrem Zimmer wider.
»Verhexe mich nicht«, rief Madoc und bekreuzigte sich. Er machte auf dem Absatz kehrt und ließ die Tür laut krachend ins Schloß fallen.
Keely wollte ihm nacheilen, aber eine schwache Stimme hielt sie zurück.
»Überlasse ihn den göttlichen Gewalten«, hörte sie ihre Mutter sagen.
Keely lief hinüber zu der Todkranken und setzte sich auf den Stuhl, auf dem sie schon seit längerer Zeit am Krankenbett wachte. So traurig sie war, sie schaffte es, ihrer Mutter zuzulächeln.
»Was Madoc am meisten begehrt, wird ihm zuletzt das Leben kosten«, erklärte ihr Megan. »Glaube mir, ich habe es gesehen.«
Keely nickte. Alles, was ihre Mutter je gesehen hatte, war ausnahmslos eingetroffen.
»Es gab eine Zeit, als Madoc mich über alle Maßen liebte«, hub Megan an, und ihre Stimme wurde sanft, als sie sich der Erinnerung hingab. »Doch mein Herz gehörte deinem Vater. Und es gehört ihm noch immer.«
Daß sie von ihrem Vater sprach, überraschte Keely. Bisher hatte ihre Mutter sich standhaft geweigert, ihre Fragen über ihren leiblichen Vater zu beantworten, bis sie ihrerseits nicht mehr an dieses heikle Thema gerührt hatte. Nun hoffte sie, ihre Mutter würde ihr etwas über ihn erzählen. Sie hatte sehr lange darauf gewartet, etwas über ihn zu erfahren. Jetzt schien diese Zeit des Wartens vorüber zu sein.
»Du siehst mir ähnlich, doch die veilchenblauen Augen hast du von ihm«, fuhr Megan fort. »Immer wenn ich dir in die Augen blickte, sah ich ihn. Madoc brachte es nicht über sich, dir zu verzeihen, seine Tochter zu sein.«
»Reden wir weiter darüber, wenn du dich etwas ausgeruht hast«, unterbrach Keely sie, als sie erkannte, daß dieses Gespräch ihrer Mutter die letzten Kräfte raubte.
»Meine geliebte Tochter, ich stehe an der Schwelle zum Jenseits, und bald werde ich nicht mehr hier weilen«, erklärte ihr Megan. »Wenn der Hahn kräht, werde ich aufgebrochen sein zum Großen Abenteuer.«
Keely wollte ihrer Mutter gerade widersprechen, als diese sie zurechtwies. »Bestreite nicht, was ich gesehen habe. Lughnasadh, die Zeit der Eheschließung und Trennung, ist gekommen, und endlich werde ich frei sein von Madoc … Bringe mir meine Sichel.«
Keely eilte zu der Truhe, in der ihre Mutter die kleine goldene Sichel aufbewahrte, mit der sie die Misteln in den riesigen Eichen schnitt. Einen Augenblick später setzte sie sich auf den Bettrand und reichte sie ihr.
»Nach meinem Tod gehört diese goldene Sichel dir«, sagte Megan. Dann nahm sie das einzige Schmuckstück ab, das sie je getragen hatte, und gab es ihrer Tochter.
Ein Drachenanhänger, der an einer schweren Goldkette hing. Leuchtende Saphire und Smaragde inmitten funkelnder und glitzernder Diamanten bildeten den Kopf eines Drachen, aus dessen Rachen ein glühend roter Rubin Feuer zu speien schien.
»Nimm diesen Anhänger nie ab. Der Zauber seiner Liebe wird dich schützen«, erklärte Megan. »Dein leiblicher Vater trägt den Rumpf des Drachen.«
Keely legte die Kette an und berührte den Drachen, der auf ihrer Brust lag. »Kannst du mir sagen, wie er heißt?«
»Sein Name ist Robert Talbot.«
Ein strahlendes Lächeln erhellte Keelys Gesicht. So lange hatte sie darauf gewartet, den Namen ihres Vaters zu erfahren, und nun endlich kannte sie ihn.
»Wandle unter den Mächtigen, doch das Glück wirst du finden, wo die Birke, die Eibe und die Eiche zusammenstehen«, legte Megan ihr dar. »Schenke dem König mit der Flammenkrone und der goldenen Hand dein Vertrauen. Und hüte dich vor dem dunklen Schmied.«
Ein kalter Schauer lief Keely den Rücken hinunter. »Dem dunklen Schmied?«
»Wende dich an deinen Vater, wenn Madoc dich aus dem Haus weist«, fuhr Megan fort.
»So lange Rhys lebt, wird das nicht geschehen«, versicherte Keely ihr. Sie wollte nicht, daß ihre Mutter sich so kurz vor ihrem Tod noch Sorgen um sie machte.
»Obwohl er dich wie eine Schwester liebt, ist Rhys nur dein Stiefbruder und muß Madoc gehorchen, will er sein Erbe nicht verlieren«, widersprach Megan ihr. »Ich weiß über diese Dinge Bescheid, denn ich habe sie selbst erlebt. Versprich mir, daß du zu deinem Vater gehst.«
»Ich schwöre es.« Keely küßte ihre Mutter sanft auf die Wange. »Wo finde ich diesen Robert Talbot?«
Ein Lächeln glitt über die Züge der Sterbenden. »Robert Talbot ist der Herzog von Ludlow.«
Das Blut wich aus Keelys Gesicht. »Der englische Herzog von Ludlow?«
Megan lächelte nur.
»Ich bin ein verdammter Engländer?« konnte Keely nicht an sich halten.
»Engländerin«, berichtigte Megan sie und drückte ihr kurz die Hand.
Aufgewühlt von dieser schier unglaublichen Enthüllung ihrer Mutter, starrte Keely ins Leere. Man hatte sie dazu erzogen, alles Englische zu verachten, dabei floß dieses schändliche Blut in ihren eigenen Adern! Wohin gehörte sie? Hierher, nach Wales, wo sie geboren war? Oder nach England, dem Land des Feindes? Oder nirgendwohin?
»Unterrichte deine Kinder, so wie ich dich unterwiesen habe«, riß Megan sie aus ihren Gedanken.
Ertappt wandte Keely sich wieder ganz ihrer Mutter zu. Wie schrecklich selbstsüchtig von ihr, nur an sich selbst zu denken, während ihre Mutter im Sterben lag. Typisch englisch.
»An Samhuinn werde ich wieder bei dir sein«, versprach Megan. »Gib mir die Hand.«
Sie malte mit ihrem Finger einen Kreis in Keelys Hand. »Denke daran, Kind, das Leben ist ein Kreis ohne Anfang und Ende. Du wirst geboren, du lebst dein Leben und du stirbst.«
Ein zweites Mal beschrieb Megan mit ihrem Finger einen Kreis in Keelys Hand, und in einer sanften, singenden Stimme erklärte sie ihr: »Du wirst geboren als Kind, wirst eine junge Frau und schließlich eine alte Frau … und stirbst.«
Und ein drittes Mal zeichnete Megan einen Kreis in die Hand ihrer Tochter. »Du wirst geboren, wächst heran, stirbst. Und wirst wiedergeboren.«
Keely spürte, wie die Finger, die ihre Hand umfangen hielten, erschlafften und nach unten sanken. Sie blickte in das Gesicht ihrer Mutter, sah den heiteren Ausdruck darin und wußte, daß ihre Mutter das Große Abenteuer angetreten hatte.
Ergeben küßte Keely ihrer Mutter die Hand. Dann beugte sie sich vornüber, verbarg das Gesicht an der Brust der Toten und weinte hemmungslos.
Es dauerte, bis ihr Schluchzen sich beruhigte und schließlich erstarb. Erschöpft suchte sie Halt bei ihrer Mutter.
Was sollte nun aus ihr werden? fragte sich Keely. Sie hatte nicht nur ihre Mutter verloren, sondern auch ihr Zuhause. Obwohl sie ihr ganzes Leben auf der Burg ihres Stiefvaters verbracht hatte, wußte Keely, daß sie keine Lloyd war und daß sie nicht wirklich hierhergehörte. Nun war sie allein auf der Welt.
Oder vielleicht auch nicht. Ihr Stiefbruder Rhys liebte sie wie eine Schwester, und auch ihre Cousins Odo und Hew waren ihr herzlich zugetan. Und da gab es nun diesen Robert Talbot, der Mann, der ihr Vater war.
Erschöpft erhob Keely sich und ging an den Tisch ihrer Mutter. Mit einem Strauß aus Eichenblättern und Misteln und einer langen weißen Kutte kehrte sie zurück zum Totenbett. Die Kutte duftete nach Lavendel, dem Duft ihrer Mutter, und dieser Duft raubte ihr fast den Verstand. Der Verlust schien ihr unermeßlich. Als Keely ihrer Mutter den Strauß in die Hände legte und der Toten einen Kuß auf die Wange drückte, flüsterte sie: »Bis wir uns Wiedersehen an Samhuinn.«
Dann streifte sie der leeren Hülle ihrer Mutter das Zeremoniengewand über. Anschließend berührte sie den Drachenanhänger, der sich leuchtend von ihrer strahlend weißen Leinenbluse abhob, und betete, sein Zauber möge ihr die innere Kraft schenken, die sie brauchte.
Sie holte noch einmal tief Luft, um wieder etwas Fassung zu gewinnen, und lief die von Fackeln beleuchteten Gänge zum großen Saal hinunter. Als sie dort ankam, nickte sie beim Eintreten den Dienerinnen ihrer Mutter zu, die sich sofort aufmachten, die Leiche für die Beerdigung vorzubereiten.
Keely stand nun allein in der Tür und ließ den Blick über die hier versammelte Menge schweifen. Rhys war nicht hier, aber Odo und Hew, ihre treuen Cousins. Als sie erkannten, wie niedergeschlagen sie war, eilten sie zu ihr.
Madoc, der am langen Ende des Haupttisches saß, blickte von seinem Bierkrug auf und entdeckte sie.
»Na, sie hat sich aber Zeit gelassen mit dem Sterben«, grölte er betrunken.
Keely trat einen Schritt zurück, als habe er sie geschlagen. Alle Farbe war aus ihrem makellosen Antlitz gewichen. Lloyds Gefolgsleute ringsum im Saal hielten entsetzt den Atem an.
Wie konnte Madoc es wagen, in diesem Ton von ihrer herzensguten Mutter zu sprechen! Keely wollte auf ihn zustürzen und ihn zurechtweisen, aber ihre Cousins konnten sie gerade noch rechtzeitig zurückhalten.
Odo und Hew überragten die meisten anderen Männer um Haupteslänge, und was ihnen an Geisteskraft fehlte, machten sie mit ihrer überreichen Muskelkraft wett. Die beiden hatten sich neben ihr aufgestellt und sie in ihre Mitte genommen. Sie hielten sie an den Armen fest und ermahnten sie, ruhig zu bleiben.
Odo, der ältere der beiden, deutete mit einer schnellen Kopfbewegung auf den Baron. »Es bringt nichts, ihn zu reizen.«
»Wo ist Rhys?« wollte Keely wissen.
»Er ist mit ein paar seiner Leute unterwegs. Auf Raubzug«, antwortete Hew.
Das überraschte Keely. »Willst du damit sagen, er reitet los, um Raubzüge zu machen, während unsere Mutter auf dem Sterbebett liegt?«
»Er hatte keine andere Wahl«, erklärte ihr Odo.
»Madoc hat es ihm befohlen«, fügte Hew hinzu.
Mit unverhohlenem Haß starrte Keely ihren Stiefvater an, der wie ein König am Tafelende thronte.
»Wo bleibt mein Abendessen?« forderte er barsch und schlug mit der Faust auf den Tisch. »Bringt mir noch ein Bier. Ohne Bier kann ich meine wiedergewonnene Freiheit nicht feiern. Elen soll es mir bringen, die mit den großen Brüsten.«
Der Blick aus Keelys veilchenblauen Augen verfluchte ihn, aber sie folgte dem Rat ihrer Cousins und wandte sich um, wobei ihr ebenholzschwarzes Haar in der Luft wirbelte. Keely verließ den großen Saal und machte sich auf in die Küche. Wie zwei große Hunde blieben ihr Odo und Hew auf den Fersen.
»Sei gegrüßt, Haylan«, rief Keely der Köchin zu, einer Frau mittleren Alters.
»Es tut mir sehr leid für dich, Megan. Deine Mutter war eine weise und gütige Seele«, tröstete sie diese und nahm sie in die Arme. »Ein großer Verlust für den Baron, aber ich bezweifle, daß er es erkennt.«
»Der Kummer macht Madoc hungrig«, erklärte ihr Keely mit Tränen in den Augen. »Bringe ihm schnell sein Abendessen und sorge dafür, daß Elen ihn bedient.«
Haylan nickte und rief: »Elen!«
Eine hübsche Dienerin lief zu ihnen herüber.
»Servier das Essen am langen Tisch«, wies Haylan das Mädchen an, als sie ihr die Schüssel reichte. Dabei zog sie das Mieder des Mädchen eine Handbreit nach unten. »Ein hübsches Dekolleté tröstet einen trauernden Mann. Sei nett zum Baron.«
»Hoffentlich nett genug, um ihn ins Jenseits zu befördern«, meinte Elen und verzog das Gesicht.
»Die letzten Wünsche meiner Mutter sind euch bekannt«, erklärte Keely und wandte sich wieder ihren Cousins zu. »Nach dem Abendessen räumt ihr den Saal für die Totenwache. Ich komme dann zu euch.« Mit diesen Worten verließ sie die Küche.
***
Drei Stunden später lag Megan Glendower Lloyd aufgebahrt in dem von Fackeln erhellten großen Saal. Ihr einfacher Holzsarg ruhte auf ein paar Balken. Wie sie dalag in ihrem weißen Kleid, schien sie zu schlafen.
Keely betrat den beinahe menschenleeren Saal. Sie trug ihr ebenholzschwarzes Haar, das ihr bis an die Hüfte reichte, offen. Sie hatte ihre eigene weiße Zeremonienrobe angezogen, und der Drachenanhänger funkelte auf ihrer Brust. In den Händen hielt sie einen frischen Strauß Eichenblätter und Mistelzweige.
Odo und Hew warteten neben der Bahre auf sie.
»Habt ihr euch um das Grab gekümmert?« flüsterte Keely ihnen zu.
»Ist an der Stelle ausgehoben, die du haben wolltest«, antwortete Odo.
»Und das Kreuz?«
»Wie du es angeordnet hast«, erklärte Hew.
Keely nickte zufrieden und legte ihrer Mutter den Strauß auf die Brust. Dann nahm sie auf der Holzbank neben der Bahre Platz.
Odo und Hew setzten sich neben sie, der eine zu ihrer Linken, der andere zu ihrer Rechten. Die treue Haylan betrat den Saal, sie brachte ihren eigenen Hocker mit und gesellte sich schweigend zu ihnen. Schließlich erschien Madoc. Er setzte sich auf die Bank neben Odo.
»Mit der Totenwache verliert man eine ganze Nacht guten Schlafs«, beschwerte er sich.
»Das ist das mindeste, was du für eine liebende Ehefrau tun kannst, die ihr Leben gab, um dir einen zweiten Sohn zu schenken«, entgegnete ihm Keely.
»Megan war nie eine liebende Ehefrau«, murrte der Baron bitter. »Ihr Herz gehörte stets ihm, nie mir.«
Keely erstarrte. Er redete von ihrem Vater. Hatte Madoc ihn gekannt? Keely wollte gerade ihren Stiefvater danach fragen, als sie spürte, wie ihre Cousins nach ihren Unterarmen griffen, damit sie ihre Zunge in Zaum halte.
Eine Stunde verstrich, und eine weitere verging.
»Ich habe Durst«, brach Madoc die Stille und erhob sich von der Bank. »Ich brauche eine Stärkung. Bin gleich zurück.«
Er verließ den Saal und ließ sich nicht mehr blicken. Vater Bundles tauchte kurz vor Anbruch der Dämmerung in dem mittlerweile überfüllten Saal auf. Während er sich seinen Weg durch die dicht gedrängt stehenden Clans- und Gefolgsleute bahnte, brummte der alte Priester etwas in seinen Bart über diese unchristlich frühe Stunde. Einen Toten mitten in der Nacht zu begraben sei barbarisch, dachte er. Und zwar bevor sein Blick auf Keely fiel.
In ihrem langen, fließenden weißen Kleid sah Keely aus wie eine heidnische Prinzessin. Um den Hals trug sie einen aus Eichenblättern und Mistelzweigen gewundenen Kranz.
»Schande über dich, daß du das zu Megans Beerdigung trägst«, schalt Vater Bundles sie aus. »Das mußt du beichten, noch bevor die Sonne untergeht.«
Keelys Gesichtsausdruck verdüsterte sich, und sie zog eine Augenbraue hoch. »Ich ehre das Andenken meiner Mutter, Vater Bundles. Wenn Ihr Eure Zeit mit Predigen verschwenden wollt, verzichten wir auf die Totenmesse. Es ist Eure Entscheidung.«
»Das ist Gotteslästerung«, stieß Vater Bundles hervor. Er ließ den Blick über die versammelte Menschenmenge schweifen. »Wo sind Baron Lloyd und Rhys?«
»Der Baron schläft, er scheint etwas zuviel getrunken zu haben«, erklärte ihm Keely, »und mein Bruder hat beide Hände voll zu tun, bei den Engländern zu plündern.«
»Eine widernatürliche Familie«, knurrte der alte Priester.
»Diese Menschen hier sind Freunde, die gekommen sind, um Megan zu beerdigen«, unterbrach ihn Keely. »Bitte beginnt mit der Totenmesse.«
Mit Odo und Hew hinter ihm, die den Sarg trugen, führte Vater Bundles den Leichenzug vom großen Saal zur Kapelle. Hinter dem Sarg ging Keely, die übrigen Trauergäste folgten ihr.
Der alte Priester wollte gerade mit der Predigt beginnen, als Keely ihm zurief: »Feiert die kurze Messe, Vater. Megan wollte in der Morgendämmerung beerdigt werden.«
Der Ausdruck auf Vater Bundles Gesicht zeigte Megan deutlich, daß Madoc von dieser Blasphemie erfahren würde. Die kurze Messe dauerte genau zwanzig Minuten.
»Megan wird nicht in der Gruft der Lloyds ihre letzte Ruhe finden«, verkündete Keely. »Meine Mutter wünschte, bis in alle Ewigkeit die aufgehende Sonne auf ihrem Grab zu spüren.«
Vater Bundles schien jeden Augenblick in die Luft zu gehen, aber er schluckte seine Ärger hinunter. Schließlich war es eine furchtbare Sünde, seine Wut im Hause Gottes zu zeigen.
Keely zog sich die Kapuze über ihr ebenholzschwarzes Haar und führte die sonderbare Prozession aus der Kapelle hinaus. Odo und Hew trugen wiederum den Sarg. Hinter ihnen schritt Vater Bundles, dem ein Dudelsackbläser folgte, der eine traurige Melodie zum Besten gab. Still und stumm marschierten dahinter die Clans- und Gefolgsleute des Barons.
Im Osten färbte sich der Himmel flammend rot, während sich die Prozession am Friedhof vorbei zu einem Wiesenhang empor wand, an dem drei mächtige Eichen wie alte Freunde beieinander standen. Das Grab, das unter einer dieser drei Eichen ausgehoben war, würde von den ersten Sonnenstrahlen beschienen werden.
»Das ist ungeweihter Boden«, protestierte Vater Bundles.
»Dann müßt Ihr ihn weihen«, fuhr Keely ihn an, die allmählich die Geduld verlor.
Vater Bundles wollte gerade widersprechen, als sein Blick auf Odo und Hew fiel. Der Anblick der beiden düster dreinblickenden Hünen ließ ihn einlenken.
Er murmelte ein paar lateinische Gebete, besprengte das Grab mit Weihwasser und eilte von dannen. Die Anwesenden sprachen Keely ihr Beileid aus und verschwanden. Es dauerte nicht lange, und Keely und ihre beiden Cousins waren allein.
Odo und Hew senkten den Sarg in den Boden, als die Sonne aufging und die Welt in strahlendes Licht tauchte. Alles schien den Atem anzuhalten.
Keely schloß die Augen, streckte die Arme der Sonne entgegen und flüsterte: »Vater Sonne küßt Mutter Erde.« Dann senkte sie den Blick und sah in das offene Grab. »Ruhe in Frieden, liebe Mutter. Sieh zu, wie das Licht jeden Tag neu in die Welt kommt.«
Odo und Hew schaufelten das Grab zu und setzten den provisorischen Grabstein, ein keltisches Kreuz aus Eichenholz. Später würde der Steinmetz das endgültige Kreuz setzen.
»Rhys hätte hier sein sollen«, konnte Keely ihre Enttäuschung nicht verbergen.
»Er wird schrecklich wütend auf Madoc sein«, bemerkte Odo.
»Meine früheste Erinnerung ist, wie meine Mutter und ich unter diesen Eichen sitzen«, hub Keely an, und die Tränen stiegen ihr in die Augen. »Jeden Tag saßen wir hier, sommers wie winters, bei Regen und bei Sonnenschein. Sie lehrte mich das alte Wissen. Nun stehe ich alleine in der Welt.«
»Aber du hast doch uns«, protestierte Hew.
»Und vergiß Rhys nicht«, fügte Odo hinzu.
Und Robert Talbot, dachte Keely, bedankte sich aber mit einem Lächeln bei ihren Cousins für ihre Treue.
Dann wischte sie sich die Tränen aus dem Gesicht und kniete sich neben das Grab ihrer Mutter. Sie nahm den Kranz aus Eichenblättern und Mistelzweigen ab, den sie um den Hals trug, hängte ihn an das Kreuz und schloß die Augen. »Bis Samhuinn«, flüsterte sie.
Odo und Hew schienen allmählich die Fassung zu verlieren. Fragend blickten die beiden Kämpen, die schon so manchen Strauß mit den Engländern ausgefochten hatten, einander an und bekreuzigten sich – für alle Fälle.
Als Keely und ihre Cousins in den großen Saal zurückkehrten, saßen die Clans- und Gefolgsleute schon an den langen Tischen und nahmen das Morgenmahl ein. Am Kopfende hatte Madoc Platz genommen. Er wirkte müde und nicht besonders glücklich mit seinem fahlen Gesicht, den Kopf in die Hand gestützt.
Neben ihm stand Vater Bundles. Der alte Priester machte einen äußerst erregten Eindruck, wie er auf Madoc einredete und auf den Saaleingang deutete.
»Aye, Vater«, stimmte ihm Madoc mit laut dröhnender Stimme zu und musterte seine Stieftochter. »Megan erzog ihre Tochter als Heidin, so wie sie selbst eine war.«
Ungeachtet der Folgen trat Keely hinzu. »Beschmutze nicht das Andenken meiner Mutter und ihren guten Namen, du feiges …«
»Sei verflucht und verrotte!« brüllte Madoc und schlug mit der Faust auf den Tisch. »Hier bin ich der Herr. Wage es nie wieder, so respektlos mit mir zu sprechen«, wies er Keely zurecht.
Keely kannte ihren Stiefvater gut genug, um dieses Gepolter richtig einzuschätzen. Sie zog eine feingezeichnete ebenholzschwarze Augenbraue hoch und bemerkte: »Dein Kummer macht dich etwas unleidlich. Vielleicht hebt ein Krug Bier deine Laune wieder.« Mit einem verächtlichen Blick fügte sie hinzu: »Du bist der Herr? Eher eine betrunkene Schlange, die daherkommt als …«
Madoc sprang hoch und schlug noch einmal auf den Tisch. Die Zornesröte war ihm ins Gesicht gestiegen.
»Du bist nichts weiter als ein Bastard, eine vermaledeite Hexe und ein Bastard!« rief er und trat auf sie zu.
Odo und Hew stellten sich beschützend vor Keely wie zwei zu allem entschlossene Hunde, die ihre Herrin verteidigen.
»Tretet zur Seite«, befahl Madoc.
»Du mußt an uns vorbei, wenn du zu ihr kommen willst«, ließ Odo ihn wissen.
Dieser offen zur Schau getragene Ungehorsam verblüffte Madoc. Er ließ die Augen von einem riesenhaften Bruder zum anderen schweifen. »Ihr beide habt zusammen nicht mehr Hirn wie ein Spatz.«
Diese Beleidigung kam an. Mit zusammengekniffenen Augen knurrten Odo und Hew bedrohlich, was Madoc ein paar Schritte zurückweichen ließ.
»Du gehörst nicht zu den Cymry«, wandte Madoc sich an seine Stieftochter. »Pack deine paar Habseligkeiten und verlasse Wales.«
»In meinen Adern fließt das Blut von Llewelyn dem Großen und Owen Glendower«, rief Keely. »Ich bin eine Prinzessin von Powys und Gwynedd.«
»Du bist die Prinzessin von Nirgendwo«, schnaubte Madoc verächtlich. Dabei wurde er so laut, daß man ihn bis in die entferntesten Winkel des großen Saales deutlich hören konnte. »Dieser funkelnde Drachenanhänger und die veilchenblauen Augen brandmarken dich als das, was du bist: die nicht sonderlich geschätzte Folge des Fehltritts eines Engländers.«
Jedermann im Saale hielt hörbar den Atem an.
»Megan ist tot«, fuhr Madoc fort. »Such deinen englischen Vater. Verlasse mein Land.« Dann ließ er seine Clans- und Gefolgsleute seinen Zorn spüren und warnte sie: »Wendet diesem erbärmlichen Bastard euren Rücken zu, wenn ihr nicht Ausgestoßene sein wollt wie sie.«
Keely machte auf dem Absatz kehrt, daß ihr weißes Kleid und ihr schwarzes Haar nur so wirbelten, und schritt stolz aus dem Saal. Bevor Odo und Hew ihr nach draußen folgten, knurrten sie noch einmal laut und deutlich eine Drohung, die dem Baron galt, und diesen einen Schritt weiter zurückweichen ließ.
Als ihre Cousins sich draußen zu ihr gesellten, bemerkte Keely: »Ich hätte nie gedacht, daß Madoc …« Schluchzend brach sie ab, die Tränen strömten ihr über die Wangen.
»Er hätte es nicht gewagt, wäre Rhys hier gewesen«, versuchte Odo sie zu trösten und legte ihr den Arm um die Schulter.
»Madoc lügt«, fügte Hew hinzu.
Keely und Odo schauten ihn fragend an.
»Du bist nie und nimmer erbärmlich«, erklärte Hew. »Wenigstens habe ich dich noch nie winseln gesehen.« Er sah seinen Bruder an. »Was genau bedeutet eigentlich erbärmlich?«
Odo gab seinem Bruder einen Klaps auf den Hinterkopf. »Was bedeutet das schon, du hirnverbrannter Idiot?«
Hew zuckte die Achseln. »Wahrscheinlich weißt du es genauso wenig.«
Trotz der mißlichen Lage, in der sie sich befand, schenkte Keely den zwei Riesenkerlen ein Lächeln. »Ich danke euch dafür, daß ihr mir so treue Cousins seid«, erklärte sie. »Odo, könntest du bitte Merlin für die Reise fertigmachen. Und packe bitte noch einen Sack Futter für sie ein. Und du, Hew, könntest du Haylan bitten, einen Korb mit Essen für mich herzurichten? Genug von allem, um bis nach England zu gelangen.«
»Wir begleiten dich«, sagte Odo.
»Es ist wirklich nicht nötig, daß ihr die Verbannung mit mir teilt«, versuchte Keely sie daran zu hindern, ihre Heimat aufzugeben.
»Wir bestehen darauf«, erklärte Hew. »Außerdem währt nichts ewig.«
»Wir drei werden bald nach Wales zurückkehren«, fügte Odo hinzu.
»Dann nehme ich euer Angebot an«, willigte Keely dankbar ein. »Mein Vater lebt in Shropshire.«
»Wer ist dein Vater?« wollte Odo wissen.
»Robert Talbot.«
»Talbot hört sich nach einem englischen Namen an«, bemerkte Hew.
Keely sah ihm in die Augen. »Der Herzog von Ludlow ist ganz gewiß ein Engländer.«
»Der Herzog von …?«
»Du hast richtig gehört. Der Herzog von Ludlow ist mein leiblicher Vater.« Mit diesen Worten wandte Keely sich um. »Und nun wollen wir nicht noch mehr Zeit verschwenden. Wir treffen uns in einer Stunde vor dem Stall.«
Mit ihren paar Habseligkeiten sicher in den Satteltaschen verstaut, ließ Keely den Blick ein letztes Mal über ihr spartanisch eingerichtetes Zimmer schweifen, bevor sie nach draußen eilte. Der Stallhof war auffallend leer, nur Haylan, Odo und Hew waren zu sehen. Offensichtlich fürchteten Madocs Clans- und Gefolgsleute ihren Baron zu sehr, um sich von Keely zu verabschieden. Keely machte ihnen daraus keinen Vorwurf. Wenn Madoc dazu in der Lage war, seine eigene Stieftochter zu verstoßen, würde er auch nicht davor zurückschrecken, seinen eigenen Leuten dasselbe oder noch Schlimmeres anzutun.
Als sie vor Haylan stand, zauberte Keely ein breites Lächeln auf ihr Gesicht. »Ich möchte dir für alles danken«, erklärte sie der grauhaarigen Köchin. »Vor allem für die Treue, die du meiner Mutter erwiesen hast.«
»Megan war eine große Lady«, antwortete Haylan. »Und eines Tages wirst du eine genauso große Lady sein.«
Keely umarmte Haylan und bat sie: »Sage Rhys, er solle mir keinesfalls folgen. Ich werde ihm schreiben, sobald ich mich in meinem neuen Zuhause bei meinem Vater eingerichtet habe.«
Haylan nickte und wandte ihre Aufmerksamkeit den zwei Hünen zu, die vor ihr standen. »Beschützt das Mädchen mit eurem Leben.«
Odo und Hew nickten gleichzeitig.
Keely unterdrückte ihre Tränen, umarmte Haylan ein letztes Mal und kletterte auf Merlin. Odo und Hew stiegen ebenfalls auf ihre Pferde.
»Wartet!« rief eine Stimme.
Keely drehte sich um und sah Vater Bundles auf sie zulaufen.
»Ich möchte mich für das Ungemach entschuldigen, das ich dir bereitet habe«, keuchte der Priester, als er bei ihr angelangt war.
»Es besteht kein Anlaß für eine Entschuldigung«, erklärte ihm Keely. »In dem Augenblick, als ich empfangen wurde, flüsterte der Wind mein Schicksal den heiligen Steinen zu. Was geschieht, war so bestimmt von Anbeginn.«
Vater Bundles unterließ es, sie wegen ihrer unchristlichen Ansichten zurechtzuweisen. »Ich werde jeden Tag eine Messe lesen, damit Lady Megans Seele ihren Frieden findet«, versprach er ihr.
»Vielen Dank, Vater.« Keely glaubte genauso wenig an den Sinn christlicher Riten, wie ihre Mutter daran geglaubt hatte, aber um Menschen wie den Priester nicht unnötig zu beunruhigen, hatten sie dies stets verheimlicht.
»Gott schütze dich, Kind«, schloß Vater Bundles und segnete sie, indem er das Kreuz schlug.
Ohne ein weiteres Wort ritten Keely und ihre Cousins zum Stallhof hinaus. Obwohl ihr ganz weh ums Herz wurde, warf Keely keinen einzigen Blick zurück auf ihr altes Zuhause. Ihr Schicksal erwartete sie in England. Megan hatte es gesehen, und was ihre Mutter sah, traf jedesmal ein.
***
Leicester, England
Die Sonne stand hoch am wolkenlosen Himmel an diesem Augusttag. Das Land und die Menschen litten unter der ungewöhnlich drückenden sommerlichen Hitze.
Ein einsamer Reitersmann erreichte die Kuppe eines grasüberwachsenen Hügels. Bei dem Anblick, der sich ihm von hier aus bot, hüpfte sein Herz vor Freude. Nach tagelangem Reiten unter sengender Sonne hatte der Graf von Basildon sein Ziel erreicht; er hatte die Reisegesellschaft von Königin Elisabeth eingeholt, die wie jedes Jahr ihren Sommersitz aufgesucht hatte. Vor ihm erhob sich Schloß Kenilworth, das Heim Robert Dudleys, des Grafen von Leicester.
Das alte Schloß wurde seit alters her mit König Arthur in Verbindung gebracht, aber Richard Devereux wußte es besser. Das riesige Anwesen war ursprünglich eine normannische Festung gewesen. Heinrich V. hatte ein Sommerhaus am Ufer eines künstlich angelegten Sees hinzugefügt, und Dudley hatte weitere Gebäude in dem leichten Stil mit den hohen Fenstern bauen lassen, wie er jetzt so modern war.
»Ich begreife nicht, daß Elisabeth den Sohn eines Verräters so belohnte«, sprach Richard zu sich selbst. Die Dudleys waren so treu, wie das Wetter beständig war – von einem Tag auf den anderen konnte alles anders sein.
Richard wollte seine Reise zu einem Abschluß bringen und gab seinem Pferd die Sporen, so daß es die letzte Strecke Wegs zu dem herrschaftlichen Anwesen im Galopp zurücklegte. Kaum hatte er den inneren Hof erreicht, sprang er aus dem Sattel und warf die Zügel einem Stallburschen zu.
»Daß du ihn mir ordentlich versorgst«, befahl Devereux.
»Aye, Euer Lordschaft«, erwiderte der Junge mit einem breiten Grinsen.
»Ich habe mich schon gefragt, wann du endlich hier eintriffst«, ließ sich eine vertraute Stimme vernehmen.
Richard wandte sich um und reichte Baron Willis Smythe die Hand, einem seiner engsten Freunde. »Ich gehe nicht davon aus, daß Dudley ein Zimmer für mich bereithält?« fragte er.
»Alles überfüllt hier«, antwortete Smythe. »Glücklicherweise habe ich dir eine Pritsche in meinem Zimmer reserviert.«
Der allseits bekannte Graf von Basildon und Baron Smythe schlenderten gemeinsam zum Hauptgebäude. Die Myriaden von Frauen, an denen sie vorbeigingen, hochgeborene Frauen ebenso wie niedere Mägde, blieben stehen, um diesen Anblick vollkommener Männlichkeit zu genießen, den die zwei Freunde boten.
Beide Männer waren herrlich gebaut. Sie hatten breite Schultern und schmale Hüften, und ihre muskulösen Oberschenkel kamen in den engen Hosen, die sie trugen, bestens zur Geltung. Aber damit erschöpften sich die Ähnlichkeiten der beiden.
Der größere Graf mit den grünen Augen und der dichten kupferroten Haarmähne bewegte sich mit der Eleganz eines Raubtiers. Der kräftigere, schwarzhaarige Baron hatte tiefliegende, blaue Augen und einen eher schwerfälligen Gang.
Hätten sie die Wahl gehabt, diese Richterinnen männlicher Attraktivität, hätten sie zweifelsohne den Grafen gewählt, der, wie jedermann wußte, reicher war als der Papst.
Baron Smythe fehlte es in der Regel an finanziellen Mitteln, obwohl sein durchdringender Blick Wertvolleres versprach als Gold.
»Sowohl Lady Mary als auch Lady Jane haben mich die ganze Zeit gepiesackt. Sie wollten unbedingt wissen, wann du ankommst«, erzählte Willis Smythe, als sie die Eingangshalle des Hauptgebäudes betraten. »Wie willst du dein Spiel mit zwei Geliebten im selben Haus spielen, ohne in Teufels Küche zu kommen?«
Er bekam keine Antwort. Smythe wandte sich um, als er merkte, daß sein Freund innegehalten hatte.
Richard war mitten im riesigen Foyer stehengeblieben und sah einer jungen Dame nach. Als die blonde Schönheit den Grafen erkannte, blieb sie stehen, knickste und warf ihm ein bezauberndes Lächeln zu. Nachdem er sie mit glühenden Blicken aus smaragdgrünen Augen von Kopf bis zu den Schuhspitzen gemustert und ausgezogen hatte, blinzelte Richard ihr vielsagend zu.
»Lady Sarah sieht besonders begehrenswert aus«, bemerkte Richard, als er ihr nachblickte.
»Blüht ihr das Schicksal, deine nächste Geliebte zu werden?« fragte Willis. »Oder bleibt ihr dieses Glück verwehrt?«
Richard betrachtete seinen Freund eingehend aus den Augenwinkeln. »Du weißt doch, Will, ich lasse mich nie auf ein Techtelmechtel mit unverheirateten Frauen ein.«
»Devereux!«
Als er seinen Namen hörte, drehte Richard sich um und wartete auf den Grafen von Leicester, der ihnen entgegenkam.
»Willkommen in Kenilworth. Die Königin ruht sich gerade von der Morgenjagd aus«, erklärte Dudley. »Darf ich Eure Ankunft melden?«
»Ich würde es vorziehen, mir den Staub vom Gesicht zu waschen, bevor ich Ihrer Majestät gegenübertrete«, entgegnete Richard. »Sagt Burghley, ich wäre hier und hätte wichtige Nachrichten.«
»Hoffentlich keine schlechten.«
»Ganz im Gegenteil, ziemlich gute sogar.«
»Welche denn?« Die Worte waren Leicester über die Lippen gekommen, bevor er sich auf die Zunge beißen konnte.
Richard blickte ihm in die Augen, ein Blick, dem der ältere entnehmen konnte, daß diese Nachrichten ihn nichts angingen.
»Die Unterbringung des königlichen Gefolges ist nicht ganz einfach«, erklärte Dudley, nachdem er sich etwas gefangen hatte. »Smythe und Ihr werdet ein Zimmer teilen müssen.«
»Ich verstehe«, antwortete Richard mit einer kalten Höflichkeit, die nur zu klar machte, wie sehr er den prunkvollen Grafen verabscheute. Ohne ein weiteres Wort wandte er sich ab, um mit Willis Smythe weiterzugehen.
Hätte sich Richard umgeblickt, wäre ihm nicht der tödliche Ausdruck auf dem Gesicht seines Gastgebers entgangen. Der Graf von Leicester, der hoch in der Gunst der Königin stand, hegte für den Baron von Basildon keine Zuneigung. Im Gegenteil, der ältere Günstling wartete nur darauf, daß dieser arrogante Emporkömmling seine gerechte Strafe bekam.
»Da wären wir«, sagte Willis und öffnete eine Tür.
Richard folgte ihm in das Zimmer und blickte sich entsetzt um; ihr gemeinsames Zimmer kam ihm eher vor wie ein Wandschrank. »Ich hätte wissen müssen, daß Dudley mich in die schlimmste Dachkammer von ganz Kenilworth steckt. Ruf bitte einen Dienstboten.«
Smythe öffnete die Tür und winkte den ersten Dienstboten herbei, der vorbeikam. »He, Mädchen, komm hier rein!« brüllte er das Hausmädchen an.
Ein hübsches junges Ding trat ängstlich über die Schwelle. Richard erkannte ihre Furchtsamkeit an ihrem Gesichtsausdruck und lächelte, um ihr die Angst zu nehmen.
»Ich hätte gerne eine Kleinigkeit zu essen und eine Schüssel warmes Wasser, damit ich mich waschen kann«, erklärte er ihr mit einer Stimme, die so sanft war, daß die Bangigkeit des Mädchens im Nu verflogen war. »Wäre das möglich?«
Wie gebannt von dem Lächeln des schönen Grafen starrte das Mädchen ihn an, ohne ein Wort zu sagen.
»Hallo?« versuchte Richard sie aus ihrer Trance zu reißen und drückte ihr eine Münze in die Hand.
»Ich kümmere mich sofort darum, Euer Lordschaft«, sagte sie schließlich, nachdem sie sich wieder gefangen hatte, und eilte zur Tür hinaus, um seinen Wünschen nachzukommen.
»Wenn ich einem Dienstboten einen Auftrag gebe, werde ich schlecht bedient«, beschwerte sich Willis. »Aber wenn du ihnen etwas aufträgst, stolpern die Weiber vor lauter Hast, dir alles recht zu machen, über die eigenen Füße. Ich möchte gerne wissen, woran das liegt.«
»Du hast nicht gut aufgepaßt«, sagte Richard, streifte sein schmutziges Wams über den Kopf und warf es in eine Ecke. Er setzte sich auf die Kante seines Bettes und zog die Stiefel aus. »Zwischen einer einfachen Bitte und einem Befehl liegen Welten.«
»Was willst du damit sagen?« wollte Willis wissen, der ihm gegenüber auf dem anderen Bett saß.
»Gib einer Frau, was sie sich ersehnt, und sie wird Berge für dich versetzen«, erklärte ihm Richard. »Es ist so unglaublich einfach, die geheimen Sehnsüchte einer Frau zu erkennen. Die meisten Dienstmädchen zum Beispiel wünschen sich nichts mehr, als wie eine Lady behandelt zu werden. Während die meisten Damen vornehmer Herkunft, die ich kenne – wie Sarah – sich danach verzehren, wie die gewöhnlichsten Weibsbilder behandelt zu werden. Richte dich nach dieser einfachen Regel, mein Freund, und das schöne Geschlecht wird dich anbeten.«
Willis grinste und verschränkte die Arme vor der Brust. »Was geschieht, wenn du irgendwann auf eine Frau triffst, die du nicht so leicht durchschauen kannst?«
Richard zuckte die Achseln. »Wahrscheinlich heirate ich sie und mache sie zu meiner Gräfin.«
»Und wenn sie gemeiner Herkunft ist?«
Eine kupferrote Augenbraue hochgezogen, musterte ihn Richard. »Englands wohlhabendster Graf kann heiraten, wen er will.«
»Die Erlaubnis der Königin vorausgesetzt.«
»Keine Angst. Ich weiß, wie ich Elisabeth zu behandeln habe.«
»Könnte der Eifer der Dienstboten auch mit ihrem Wissen um deine fette Geldbörse Zusammenhängen?« hakte Willis nach, wobei in seiner Stimme deutlich Eifersucht mitschwang.
Dieser Ton seines Gegenübers brachte Richard zum Lachen, und er warf ihm einen Beutel mit Goldmünzen zu. »Du kannst ja beide Möglichkeiten überprüfen«, schlug er vor. »Und laß mich wissen, wie es ausging.«
»Leugne bloß nicht, daß die Königin dich so schätzt, weil deine Geschäfte ihre Schatzkammern mit Gold füllen«, gab Willis irritiert zurück. Daß sein vermögender Freund es sich mit der Selbstverständlichkeit eines Kavaliers, der nicht um die Bedürfnisse anderer wußte, leisten konnte, ihm einen Beutel Goldmünzen zuzuwerfen, hatte ihn doch verunsichert.
Mit gespieltem Entsetzen antwortete Richard: »Und ich hatte gedacht, Elisabeth liebte mich meines fabelhaften Aussehens und meines umwerfenden Charmes wegen.«
Willis platzte beinahe vor Lachen. Schließlich stand er auf, ging zu Tür und verabschiedete sich. »Ich verschwinde jetzt. Bis später.« Bevor er auf den Korridor hinaustreten konnte, sausten zwei Dienerinnen an ihm vorbei. Die eine trug eine Schüssel mit warmem Wasser, und die andere brachte dem Grafen ein Tablett voll der feinsten Delikatessen.
***
Zwei Stunden später verließ der Graf von Basildon das Zimmer. Er war, bis auf die weiße Halskrause, ganz in Schwarz gekleidet und machte sich auf den Weg zu Dudleys Arbeitszimmer, wo ihn die Königin erwartete. Er klopfte und betrat, als er dazu aufgefordert wurde, das Zimmer. Robert Cecil, Graf Burghley, saß allein am Schreibtisch.
»Du bist also endlich angekommen – und mit nur sechs Wochen Verspätung«, begrüßte ihn Burghley. »Wenn du noch etwas länger gebraucht hättest, so hättest du uns gleich vor den Toren Londons treffen können.«
»Ist sie sehr wütend?« erkundigte sich Richard und nahm in dem Stuhl auf der anderen Seite des Schreibtischs Platz. Er reichte Burghley ein kleines Paket. »Ich bringe gute Nachrichten, und ich habe einen Plan, durch den wir drei reicher als der Papst werden können.«
»Es läßt sich nichts dagegen einwenden, das Geschäft vor das Vergnügen zu setzen«, bemerkte Cecil. »Sie wird dir verzeihen.«
»Das habe ich von Englands Vornehmsten gelernt«, erwiderte Richard, womit er auf die Jahre anspielte, die er als Zögling im Haushalt seines älteren Gegenübers verbracht hatte.
Mit einem Kopfnicken bedankte Burghley sich für dieses Kompliment und bemerkte lächelnd: »Ich nehme an, Dudley hat dir sein schrecklichstes Zimmer gegeben?«
»Nein, Dudley hat Smythe das schrecklichste Zimmer gegeben«, antwortete Richard, »für mich hat er keines freigehalten.«
Bei der Erwähnung des Barons runzelte Burghley die Stirn. »Habe ich dir nicht geraten, die Freundschaft mit Smythe zu beenden?«
»Warum lehnst du ihn so ab?« wollte Richard wissen. »Willis lebte wie ich als Zögling in deinem Haushalt. Liegt es etwa daran, daß er neben seinem Namen nichts Nennenswertes sein eigen nennt?«
»Dieses Gespräch haben wir schon hundertmal zuvor geführt«, antwortete Burghley. »Meine Gründe haben nichts mit seinen finanziellen Verhältnissen zu tun. Ich halte Smythe für nicht vertrauenswürdig, und ich hege einen gewissen Verdacht gegen ihn, was das plötzliche Ableben seines Vaters und seines Bruders angeht. Du weißt das, Richard.«
»Ich kann einfach nicht glauben, daß Willis seine Familie umgebracht haben soll, um diesen lumpigen Titel zu erben.«
»Habgierige Männer haben schon aus geringerem Anlaß einen Mord begangen. Und vergiß nicht, daß er das Erbe verschwendete, das …«
Unvermittelt ging die Tür auf. Die zwei Männer sprangen auf die Füße und verbeugten sich, als die Königin in den Raum trat.
Hochgewachsen, schlank und rothaarig, war Elisabeth Tudor im reifen Alter von zweiundvierzig Jahren noch immer eine hinreißend schöne Frau. Sie trug ein tief ausgeschnittenes Kleid aus zartrosa Seide, dessen Goldbordüren und Perlenstickerei ein Vermögen gekostet haben mußte. Atemberaubende Diamanten glitzerten an ihrem Hals, ihren Fingern und im Haar. Wenn sie sich bewegte, sprühte Elisabeth Funken wie ein tanzender Sonnenstrahl.
Die Königin setzte sich und forderte Burghley auf, ebenfalls Platz zu nehmen. Richard ließ sie stehen wie ein ungezogenes Kind, das auf seine Strafe wartet, und musterte ihn von Kopf bis Fuß, wobei der Graf sich nicht wohl fühlte in seiner Haut.
»Der verlorene Höfling kehrt heim«, erklärte Elisabeth schließlich. »Eure außerordentliche Verspätung mißfällt mir.«
»Vergebt mir, Majestät«, entschuldigte Richard sich und verbeugte sich tief. »Obwohl ich mich danach sehnte, wieder in Eurer Gesellschaft zu sein, war ich Gefangener Eurer geschäftlichen Interessen in London.«
»Ihr klingt wie Cecil. Zu viele Jahre im Haushalt meines guten Geistes haben aus Euch einen übermäßig ernsten jungen Mann werden lassen«, antwortete die Königin, zufrieden mit der kunstvoll gedrechselten Antwort. »Setzt Euch, lieber Midas. Erzählt, was Ihr in den letzten Wochen berührt und in Gold verwandelt habt.«
»Ich habe wichtige Neuigkeiten aus dem Osten erfahren«, antwortete Richard. »Meine Schwester Heather schreibt, Sultan Selim sei gestorben. Nun ist Prinz Murad der neue Sultan. Seine Mutter und seine Ehefrau sind Befürworterinnen von Handelsbeziehungen mit England.«
»Wen hat Eure Schwester geheiratet?« erkundigte sich Elisabeth.
»Den Fürsten Khalid, den Cousin den Sultans.«
»Ach ja, ich erinnere mich. Eure drei Schwestern besaßen allesamt die unglaubliche Impertinenz, ohne meine Zustimmung zu heiraten.«
»Flatterhafte Wesen«, warf Burghley ein. »Nichtsdestotrotz haben sich alle drei Devereux-Mädchen England gegenüber als ausgesprochen loyal erwiesen, besonders die jüngste Schwester.«
Richard warf seinem Mentor eine dankbaren Blick zu. »Ich habe einen Plan, der uns drei reich machen wird.«
»Mein lieber Midas, Euer Reichtum übersteigt bereits jede Vorstellungskraft«, neckte ihn Elisabeth.
»Dann könnt Ihr sicher sein, daß ich unbestechlich bin und bei alledem nur Euer Wohl im Auge habe«, konterte Richard. Mit funkelnden Augen fing er an, ihr seinen Plan auseinanderzusetzen. »Gewährt mir einen königlichen Freibrief für mein neuestes Unternehmen, die Levantinische Handelsgesellschaft, und wir teilen den Gewinn. Im Osten kommt die Diplomatie nur langsam von der Stelle. Ich gehe davon aus, daß wir in drei Jahren gut im Geschäft sind.«
»Und welcher Anteil geht an die Krone?« fragte Elisabeth.
»Für das Löwenjunge, dachte ich, den Löwenanteil von fünfzig Prozent«, gab Richard zur Antwort. »Burghley und ich teilen uns die anderen fünfzig Prozent. Aus dieser mächtigen Allianz wird England großen Nutzen ziehen.«
»Siebzig Prozent«, widersprach die Königin.
»Sechzig«, schoß Richard zurück.
»Die Abmachung gilt«, erklärte Elisabeth lächelnd. »Cecil, Ihr kümmert Euch darum, daß er den Freibrief unverzüglich erhält.«
Richard öffnete das Päckchen, das er mitgebracht hatte. »Die Mutter des Sultans schickt dieses bescheidene Geschenk als Zeichen ihres guten Willens.«
Bei dem bescheidenen Geschenk handelte es sich um einen diamantenbesetzten Fächer, der aufgeschlagen einem schillernden Regenbogen glich und dessen Griff über und über mit Smaragden, Saphiren und Rubinen besetzt war.
»Und dies ist ein Geschenk der Frau des Sultans.« Richard zog ein entzückendes Sträußchen Porzellanblumen hervor, das ebenfalls mit unschätzbar wertvollen Edelsteinen übersät war. »Wir sollten uns mit entsprechenden Geschenken bedanken. Heather ließ mich wissen, dies sei im Osten so Brauch.«
Beeindruckt von dem neuen Zierrat, konnte Elisabeth die Augen nicht losreißen. Ohne hochzusehen, meinte sie: »Und wie belohnen wir die Loyalität Eurer Schwester?«
»Dafür muß sie nicht belohnt werden«, entgegnete Richard. »Allerdings bat sie mich, ihr einen Wurf Ferkel zu senden.«
»Warum Ferkel?« wollte Elisabeth wissen.
»Um sie großzuziehen und zu schlachten«, erklärte Richard schmunzelnd. »Meine Schwester ist eine bemerkenswerte Frau. Sie liebt Schweinefleisch, hat aber seit neun Jahren keines mehr gegessen, da es bei den Moslems verboten ist. Heather ist sich sicher, daß ihr Ehemann ihr bei einem Geschenk der englischen Königin kein Hindernis in den Weg legen wird.«
»Wie raffiniert«, bemerkte Elisabeth bewundernd. »Ihr habt uns einen Dienst erwiesen, Richard. Gibt es noch etwas, was Ihr vorzubringen wünscht?«
Richard zögerte für den Bruchteil einer Sekunde. »Was meine Pflichten in Irland angeht …«
»Ihr seid zu unabkömmlich, um England zu verlassen«, unterbrach Burghley ihn, was ihm einen vorwurfsvollen Blick seines Protegés eintrug.
»Das Ersuchen ist abgelehnt«, erklärte die Königin.
»Aber Majestät …«
»Keinem meiner Peers ist es erlaubt, seinen Pflichten außerhalb Englands nachzukommen, solange er keinen Erben hat.«
»Dann bitte ich um die Erlaubnis, einen Erben zu bekommen«, erwiderte Richard.
»Wie? Wollt Ihr auf den Marktplatz gehen und einen Sohn kaufen?« stichelte Elisabeth.
Burghley lachte leise, was nicht allzu oft vorkam.
Richard, der bis unter die Haarwurzeln rot geworden war, verbesserte sich: »Ich bitte um die Erlaubnis, zu heiraten und einen Erben zu zeugen.«
»Mein lieber Junge, das Zeremoniell verlangt, daß Ihr zuerst eine Braut sucht und dann meine Erlaubnis einholt«, erklärte ihm die Königin nachsichtig, als habe sie ein Kind vor sich. »An wen habt Ihr gedacht?«
»Ich hege Absichten, die tugendsame und liebreizende Morgana Talbot, Ludlows Tochter, zu ehelichen«, log Richard in der Hoffnung, einen akzeptablen Namen genannt zu haben. Schließlich war eine Frau wie die andere. Außerdem war die Ehe nicht mehr als ein Geschäft, und um einen Erben zu zeugen, bedurfte es weder großer Liebe noch Leidenschaft. Er mußte umgehend nach Irland, um der Familie seiner ältesten Schwester gegen die gierigen Geier zu helfen, die auf der Insel das Regiment führten. Diese korrupten englischen Raubvögel lauerten in ihrem Nest im Dubliner Schloß auf jede Gelegenheit, sich auf den stolzen irischen Adel zu stürzen und sich so viel wie möglich unter den Nagel zu reißen. Nur ein reicher Mann wie er war vor diesen Versuchungen sicher. Andernfalls drohte ein Bürgerkrieg.
»Ihr liebt mich so wenig, daß Ihr mich verlassen würdet, um Euch eine Frau zu nehmen?« fragte Elisabeth.
»Lady Morgana ist hübsch, verblaßt aber im Vergleich mit Eurer Schönheit«, versicherte Richard ihr und schenkte ihr ein jungenhaftes Lächeln. »Euch gehört meine Treue, meine Bewunderung und mein Herz. Morgana Talbot kann niemals für mich sein, was Ihr für mich bedeutet.«
»Unverschämter Schmeichler!« Elisabeth klopfte ihm mit dem juwelenübersäten Griff ihres Fächers auf die Finger.
Richard warf Burghley einen Seitenblick zu, der sich die Hand vor den Mund hielt, um ein Schmunzeln zu verbergen.
»Holt Talbots Einwilligung ein und dann macht der Kleinen den Hof«, erklärte ihm Elisabeth. »Ihr seid, was Geldgeschäfte angeht, ein Zauberer, und ein geborener Höfling. Mir ist völlig unbegreiflich, was Euch am Krieg so gefällt.«
»Ich mache mir Sorgen wegen meiner Schwester Kathryn«, gestand Richard. »Sie schreibt, in Irland ginge es drunter und drüber.«
»Tyrones Gräfin«, erklärte Burghley der Königin.
Elisabeth seufzte. »Mir scheint, ich habe Wölfe geschickt, um Irland zu regieren.«
»Übrigens schreibt Kathryn auch, ein undichtes Dach bereite ihr große Sorgen, aber die Anfrage ihres Mannes, bleierne Dachplatten einzuführen, sei niemals beantwortet worden.«
»Aus Blei läßt sich Munition herstellen«, mischte Burghley sich ein.
»Sendet Richards Schwager, was er benötigt«, befahl die Königin. Zu Richard gewandt, bemerkte sie trocken: »Ihr habt noch eine Schwester in Schottland. Hat diese keine Sonderwünsche?«
»Im Augenblick nicht.« Richard hatte nicht vor, der Königin von seinem schottischen Schwager zu erzählen, der ihn ständig bearbeitete, sich für Mary Stuarts Entlassung aus der englischen Gefangenschaft einzusetzen. Sogar Brigettes ältere Söhne schrieben ihm einen Bittbrief nach dem anderen, in dem sie flehentlich darum baten, ihre Königin möge endlich nach Schottland zurückkehren. So wichtig Richard seine Familie auch war, er wagte es nicht, seiner Königin zu nahe zu treten.
Die Königin erhob sich zum Zeichen, daß die Audienz beendet war. »Nun denn, meine Untertanen erwarten mein Erscheinen im Saal.« Mit diesen Worten entschwebte sie mit Burghley im Schlepptau.
»Und falls Devereux tatsächlich einen Erben zeugt?« flüsterte Burghley der Königin zu, während er sie in den Bankettsaal begleitete.
»Es scherte mich nicht, wenn dieser Junge hundert Söhne zeugte«, antwortete Elisabeth und warf ihrem Minister einen langen Blick aus den Augenwinkeln zu. »Ich werde mich unterstehen, einem meiner wertvollsten Höflinge zu gestatten, nach Irland zu verschwinden, um sich dort töten zu lassen.«
Burghley nickte zufrieden.
Richard folgte ihnen in einigem Abstand und blieb im Eingang zum Bankettsaal stehen. Die Übergabe der Geschenke mußte jeden Augenblick beginnen.
Etwas erhöht auf einem Podest thronte Elisabeth hoheitsvoll im bequemsten Sessel, der im Schloß aufzutreiben war. Der Sheriff von Leicestershire trat vor, verbeugte sich förmlich und reichte ihr wie jedes Jahr einen mit Goldmünzen gefüllten silbernen Becher.
»Ein wunderbares Geschenk«, bedankte sich Elisabeth, wobei sie den Becher samt Inhalt betrachtete. »Ich bekomme nicht oft so etwas Herrliches geschenkt.«
»Wenn es Eurer Majestät gefällt«, entgegnete der Sheriff, »so seid gewärtig, dieser Becher enthält weit mehr als nur Gold.«
»Was könnte das sein?« fragte die Königin mit einem fragenden Lächeln.
»Die Herzen Eurer Euch liebenden Untertanen«, lautete die Antwort.
»Wir danken Euch, Sheriff«, erwiderte Elisabeth aufrichtig erfreut. »Das ist in der Tat weit mehr.«
Als er Elisabeth bei dieser Zeremonie betrachtete, erfüllte eine große Bewunderung Richards Herz. Er liebte seine Königin trotz ihrer weiblichen Eitelkeit und ihres schwierigen Charakters. Noch nie hatte auf Englands Thron ein begnadeterer Herrscher gesessen.
»Ihr habt immer diesen merkwürdig geschmerzten Gesichtsausdruck, als habe man Euch einen Spieß in Euren Allerwertesten …«
Richard wirbelte herum und entdeckte den Grafen von Leicester neben sich. Mit steinernem Gesichtsausdruck musterte er den langjährigen Favoriten der Königin.
»Der Sommerumzug Ihrer Majestät sollte Anlaß geben für Heiterkeit«, erklärte Dudley. »Lacht Ihr nie? Wie wäre es mit einem Lächeln?«
»Ach, Leicester, Lachen ziert häufig einen hohlen Kopf«, erwiderte Richard, »und ein Lächeln verbirgt meist eine trügerische List.« Mit diesen Worten wandte er sich um und ging zur Tür.
»Ihr verlaßt uns so früh?« fragte ihn Dudley mit vor Sarkasmus triefender Stimme. »Wir werden Euch vermissen.«
»Shropshire und eine Braut warten auf mich«, überraschte Richard den grauköpfigen Grafen und kehrte dem sprachlosen Leicester den Rücken. Dieser so seltene Anblick zauberte die Andeutung eines Lächelns auf Richards Lippen, als er den Saal verließ.
Keely hatte es sich in dem Badezuber bequem gemacht, den man ihr in ihrem Zimmer im Gasthof Zum Eberkopf in der Nähe von Ludlow, Shropshire, hergerichtet hatte. Das Zimmer war düster, kaum größer als ein Wandschrank, mit nur einem kleinen Fenster, von dem aus man den gepflasterten Hof sehen konnte. Aber es war ordentlich und sauber, und die Bettlaken waren makellos.
Ob ihr Vater sie anerkennen würde? fragte Keely sich zum hundertsten Mal.
Bei den heiligen Steinen Gottes! Natürlich würde er sie anerkennen, versicherte sie sich selbst und malte sich ihr ergreifendes Treffen aus.
Wie sie würdevoll durch den großen Saal in Schloß Ludlow schreiten würde, wo Robert Talbot in einem Sessel vor dem Kaminfeuer sitzen, sich bei ihrem Eintritt erheben, sie in seine Arme nehmen und gegen seine Brust drücken würde. Seine Tochter würde er sie nennen, und sie würde Vater zu ihm sagen. Gemeinsam würden sie Megan beweinen. Dann würde ihr Vater ihr versprechen, sie zu lieben und zu schützen und die Wunden zu heilen, die die achtzehn Jahre ihr zugefügt hatten, in denen sie einander nicht gehabt hatten.
Was für eine wunderbare, rührende Szene. Zu wunderbar. Schwarze Gedanken begannen, diesen vollkommenen Tagtraum zu verdunkeln.
Wohin sollte sie gehen, wenn Robert Talbot ihr den Rücken kehrte? fragte Keely sich. Vor vielen Jahren hatte er ihre Mutter verlassen. Woher hatte Megan dieses blinde Zutrauen genommen, daß dieser verantwortungslose englische Herzog seine uneheliche Tochter lieben und sie vor aller Welt anerkennen würde? Schließlich war sie nur ein Bastard.
Und Rhys! Sie hatte nicht einmal eine Chance gehabt, sich von ihrem geliebten Bruder zu verabschieden. Was hatte Rhys getan, nachdem er entdeckt hatte, daß sie verschwunden war, verstoßen von Madoc?
Jemand klopfte an die Tür und riß sie aus ihren düsteren Gedanken. Es war Odos Stimme, die rief: »Bist du bereit, kleines Mädchen?«
»In ein paar Minuten bin ich soweit.«
Keely kletterte aus dem Zuber und trocknete sich ab. Sie zog einen leichten Wollrock an, so veilchenblau wie ihre Augen, und dazu eine langärmelige weiße Leinenbluse mit einem tiefen, runden Halsausschnitt. Dann stieg sie in ihre schwarzen Reitstiefel und legte sich den juwelenbesetzten Drachenanhänger an, der sich auf dem strahlenden Weiß der Bluse funkelnd abhob.
Anschließend bürstete sie sich das Haar und bändigte die ebenholzschwarze Mähne in einem Zopf. Schließlich öffnete sie die Tür und bat ihre Cousins herein.
»Habt ihr gebadet?« fragte sie die beiden und musterte sie von Kopf bis Fuß. Als sie wie zwei Riesenbabys brav nickten, fügte sie hinzu: »Ich muß schon sagen, ihr seht gut aus.«
»Du siehst auch wunderschön aus, kleines Mädchen«, gab Odo das Kompliment zurück. »Bist du nun bereit, deinen Vater aufzusuchen?«
Obwohl sich der Magen bei diesen Worten zusammenkrampfte, hob Keely entschlossen den Kopf. »So bereit, wie man nur sein kann.«
»Sollen wir unsere Sachen mitnehmen?« fragte Hew.
»Wir holen sie später«, antwortete Keely mit einem Lächeln, das sowohl ihre beiden Cousins wie sie selbst ermutigen sollte. Dann nahm sie ihren Mantel und machte sich auf den Weg, ihre Cousins auf den Fersen.
Der Stallknecht hatte bereits Merlin und die Pferde ihrer Cousins gesattelt und in den gepflasterten Innenhof geführt. Die drei stiegen in die Sättel und machten sich auf den Weg nach Schloß Ludlow.
Das Dorf Ludlow und die Hügel, in die es eingebettet lag, zeigten sich in zeitloser Schönheit. Die Sonne stand an einem wolkenlosen Himmel, und aus dem Westen wehte ein leichter Sommerwind. Hübsch anzusehende, reetgedeckte Häuser waren über die dicht bewaldeten Hügel verstreut, und bunte Wildblumen – dunkelviolette Disteln, blaue Kornblumen, orange und rosa Zistrosen, Goldruten und blaßrosa Majoran – blühten üppig auf den Wiesen.
Schließlich tauchte Schloß Ludlow vor ihnen auf, grau und bedrohlich, wie ein in Stein verwandeltes, urzeitliches Ungeheuer. Keely stockte der Atem. Vor Angst verkrampfte sich ihr der Magen, ihr Herz schlug wild. Zum ersten Mal in ihrem Leben hatte sie wirklich Angst. Mit all diesen Ungewißheiten zu leben, war wahrlich nicht einfach.
Keely zwang sich, ein paarmal tief Luft zu holen. Sie mochte ein Feigling sein, aber niemand brauchte das zu wissen.
»Oben auf dem Turm ist die Flagge des Herzogs gehißt«, rief Odo und deutete nach oben.
»Dann ist der Herzog zu Hause«, fügte Hew hinzu.
»Ich fühle mich nicht wohl«, erklärte Keely, die der Mut verlassen hatte. Sie versuchte, Merlin zu wenden. »Versuchen wir es doch morgen. Ich bin sicher, bis dahin geht es mir wieder besser.«
»Jetzt bist du so weit gekommen, nun mußt du deinen Weg zu Ende gehen«, entgegnete Odo und versperrte ihr mit seinem Pferd den Weg.
Widerstrebend nickte Keely. Am liebsten wäre sie den ganzen Weg nach Hause, nach Wales, zurückgaloppiert, aber es gab nur den Weg nach vorne.
Da in England Frieden herrschte, konnten Keely und ihre zwei Begleiter ungestört über die stets heruntergelassene Zugbrücke und die äußeren Befestigungsanlagen in den inneren Hof reiten. Niemand hielt sie auf oder befragte sie, bis sie das Hauptgebäude erreicht hatten.
»Was ist Euer Begehr?« Der Mann, offensichtlich ein mit großer Befugnis ausgestatteter Bediensteter, versperrte ihnen den Eingang zum großen Saal.
»Wer seid Ihr?« entgegnete Keely. O Gott! Sie hatte nicht so hochnäsig klingen wollen. Überheblichkeit gehörte sich nicht für Bastarde.
»Ich bin Mr. Dobbs, der Majordomus des Herzogs«, ließ der Mann sie von oben herab wissen. »Und wer seid Ihr?«
»Lady Glendower«, antwortete Keely mit der Andeutung eines Lächelns. »Ich habe dem Herzog etwas Wichtiges mitzuteilen.«
Dobbs musterte sie von Kopf bis Fuß und bemerkte ihre recht gewöhnliche Aufmachung. So wie dieses junge Ding daherkam, war ihm noch keine Lady unter die Augen gekommen.
»Seine Gnaden ist beschäftigt«, erklärte Dobbs und versuchte sie hinauszugeleiten. »Versucht Euer Glück an einem anderen Tag.«
Obwohl ihr Mut sie so gut wie verlassen hatte, wich Keely nicht vom Fleck. Ginge sie jetzt, würde sie niemals wiederkehren.
»Die Belange, über die ich mit dem Herzog zu sprechen wünsche, haben Vorrang vor allem anderen«, bestand Keely. »Laßt ihn bitte wissen, daß ich hier bin.«
Der Majordomus wollte gerade den Mund öffnen und sie fortschicken, als eine Frauenstimme aus dem Saal sich einmischte. »Wer ist das, Dobbs?«
Dobbs wandte sich um und rief: »Eine junge Frau, die darauf besteht, mit Seiner Gnaden zu sprechen.«
»Bringt sie zu mir«, erklärte die Lady.
Dieser Saal übertraf alles, was Keely je gesehen hatte. Er war riesig, hatte eine hohe Balkendecke und zwei große Kamine. Farbenprächtige Banner hingen von den Balken, und prächtige Gobelins schmückten die Wände.
Keely starrte den blonden, blauäugigen Engel an, auf dessen Geheiß sie den Saal betreten hatte. Das Mädchen war ein, zwei Jahre jünger als sie und trug ein hellblaues Seidenkleid, das ihre Figur betonte. Neben diesem Engel stand eine eher unscheinbare ältere Frau.
»Mylady, darf ich Euch Lady Glendower vorstellen«, ließ sich Dobbs vernehmen, wobei er das Wort Lady besonders betonte. »Lady Glendower, darf ich Euch Lady Morgana vorstellen, die Tochter Seiner Gnaden.«
Morgana Talbot schenkte dem zierlichen Eindringling ihre ganze Aufmerksamkeit. Die zarte Schönheit des Mädchens war ihr sofort aufgefallen – der schwarz glänzende Zopf, der makellose helle Teint mit dem zarten rosa Schimmer auf den Wangen und die schlanke, frauliche Figur.
Und dann sah Morgana die Augen des Mädchens – sie waren veilchenblau, dieselbe seltene Farbe wie die Augen ihres Vaters. Ihr Blick blieb auf dem Funken sprühenden Drachenanhänger haften, der die andere Hälfte des Anhängers zu sein schien, den ihr Vater stets trug. War dieses Mädchen vielleicht die Frucht eines Fehltritts aus der Jugendzeit ihres Vaters?
Keely wußte, der Engel vor ihr war ihre Halbschwester. Ob es noch andere Geschwister gab? Sie trug ein sehr teures Kleid. Keely blickte an sich herunter, an ihrem bescheidenen Aufzug, und fühlte sich wie in Lumpen gehüllt. Sie war tatsächlich nur die arme Verwandte.
Jede der beiden Schwestern sah in der anderen die Eigenschaften, die sie bei sich selbst vermißte. In diesem Augenblick waren zwei Feindinnen geboren.
»Lady Glendower, meine Gesellschaftsdame, Mrs. Ashmole«, stellte Morgana Talbot die beiden Frauen einander vor.
Keely nickte der älteren Frau zu.
Mrs. Ashmole musterte sie von oben bis unten. Ihrem Gesichtsausdruck konnte Keely entnehmen, daß sie die Prüfung nicht bestanden hatte.
»Seine Gnaden ist leider nicht anwesend«, erklärte Morgana. »Kann ich Euch helfen?«
»Die herzogliche Flagge weht über Ludlow«, widersprach Keely.
»Ihr habt mich falsch verstanden. Mein Vater besucht gerade Freunde«, entgegnete Morgana scheinheilig lächelnd. »Was genau wollt Ihr mit ihm besprechen?«
»Ich fürchte, das ist eine private Angelegenheit«, erwiderte Keely. »Ich werde in ein paar Tagen wiederkommen.«
»Nein!«
Keely starrte die Blondine überrascht an.
»Seine Gnaden ist ein bedeutender Mann und hat nicht für jeden Zeit, der ihn zu sprechen wünscht«, beharrte Morgana. »Sagt mir, worum es geht, und ich überbringe Eure Nachricht.«
»Vielen Dank, aber das möchte ich lieber nicht tun«, entgegnete Keely und wollte gerade gehen.
»Mein Vater hat Euch doch nicht mit dem Versprechen verführt, Euch eine gesellschaftliche Stellung zu verschaffen?« fragte Morgana.
Entsetzt drehte Keely sich um und starrte offenen Mundes ihre Schwester an.
»Hübsche Frauen zu verführen ist die Lieblingsbeschäftigung meines Vaters«, log Morgana.