Kissing the Duke: Drei Regency-Romane in einem Band |  Die Dukes-Trilogie für alle »Bridgerton«-Fans: »In den Armen des Herzogs«, »Die Liebe des Marquis«, »Die Gefangene des Herzogs« - Patricia Grasso - E-Book
SONDERANGEBOT

Kissing the Duke: Drei Regency-Romane in einem Band | Die Dukes-Trilogie für alle »Bridgerton«-Fans: »In den Armen des Herzogs«, »Die Liebe des Marquis«, »Die Gefangene des Herzogs« E-Book

Patricia Grasso

0,0
9,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 4,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Drei geheimnisvolle Männer – drei Herzen, die erobert werden wollen: Die Regency-Trilogie »Kissing the Duke« von Patricia Grasso als eBook bei venusbooks. London im 19. Jahrhundert: Atemberaubende Bälle, prickelnde Leidenschaften und Herzen, die in Flammen stehen … Die junge Isabelle flieht vor der Kaltherzigkeit ihrer Stiefmutter. Sie hofft auf die Hilfe des jungen Herzogs von Avon, der ihrem Vater noch einen Gefallen schuldet – doch er begegnet Isabelle nur mit Ablehnung. Wird die Schöne sein Herz erweichen können? Auch Lady Sabrina versucht in der schillernden Hauptstadt den Schatten ihrer Vergangenheit zu entkommen. Halt findet sie in den starken Armen eines Unbekannten – mit dem Sabrina mehr verbindet, als sie ahnt … Die schöne Spionin Lily ist berüchtigt in Londons Unterwelt – aber werden ihre weiblichen Waffen ihr auch gegen den ungestümen Duke von Kinross nützen, der geschworen hat, Lily um jeden Preis zu zähmen? »Patricia Grasso wird Ihr Herz höherschlagen lassen!« Romantic Times Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der Sammelband »Kissing the Duke« von Patricia Grasso vereint erstmals die drei romantischen Highlights der »Dukes«-Trilogie in einem eBook. Lesen ist sexy: venusbooks – der erotische eBook-Verlag.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 1280

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.


Sammlungen


Ähnliche


Über dieses Buch:

London im 19. Jahrhundert: Atemberaubende Bälle, prickelnde Leidenschaften und Herzen, die in Flammen stehen … Die junge Isabelle flieht vor der Kaltherzigkeit ihrer Stiefmutter. Sie hofft auf die Hilfe des jungen Herzogs von Avon, der ihrem Vater noch einen Gefallen schuldet – doch er begegnet Isabelle nur mit Ablehnung. Wird die Schöne sein Herz erweichen können? Auch Lady Sabrina versucht in der schillernden Hauptstadt den Schatten ihrer Vergangenheit zu entkommen. Halt findet sie in den starken Armen eines Unbekannten – mit dem Sabrina mehr verbindet, als sie ahnt … Die schöne Spionin Lily ist berüchtigt in Londons Unterwelt – aber werden ihre weiblichen Waffen ihr auch gegen den ungestümen Duke von Kinross nützen, der geschworen hat, Lily um jeden Preis zu zähmen?

»Patricia Grasso wird Ihr Herz höherschlagen lassen!« Romantic Times

Über die Autorin:

Als Schülerin las Patricia Grasso »Vom Winde verweht« – und war enttäuscht von dem unglücklichen Ende. Schließlich glaubt sie an die große Liebe und das Happy End! Deswegen schreibt sie nun selbst Liebesromane mit glücklichem Ausgang. Zunächst war das Schreiben für sie nur ein Ausgleich zum alltäglichen Arbeitsstress, inzwischen ist sie eine erfolgreiche Bestsellerautorin: Ihre Romane sind preisgekrönt, wurden in fünfzehn Sprachen übersetzt und in zwanzig Ländern veröffentlicht. Patricia Grasso lebt in der Nähe von Boston, Massachusetts.

Die Autorin im Internet: www.patriciagrasso.com

Eine Übersicht über weitere Romane von Patricia Grasso finden Sie am Ende dieses eBooks.

***

Dieser Sammelband beinhaltet die komplette »Dukes«-Trilogie mit »In den Armen des Herzogs«, »Die Liebe des Marquis« und »Die Gefangene des Herzogs «.

***

eBook-Lizenzausgabe Juni 2020

Copyright © der Sammelband-Originalausgabe 2020 dotbooks GmbH, München

Copyright © der Sammelband-Lizenzausgabe 2020 venusbooks GmbH, München

Eine Übersicht über die Copyrights der einzelnen Romane finden Sie am Ende dieses eBooks.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildabbildung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/hoperan, Ian Fletcher und AdobeStock/VJ Dunraven

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (rb)

ISBN 978-3-95885-752-0

***

Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

***

Wenn Ihnen dieses eBook gefallen hat, empfehlen wir Ihnen gerne weitere Bücher aus unserem Programm. Schicken Sie einfach eine eMail mit dem Stichwort »Kissing the Duke« an: [email protected] (Wir nutzen Ihre an uns übermittelten Daten nur, um Ihre Anfrage beantworten zu können – danach werden sie ohne Auswertung, Weitergabe an Dritte oder zeitliche Verzögerung gelöscht.)

***

Besuchen Sie uns im Internet:

www.venusbooks.de

Patricia Grasso

Kissing the Duke

Drei Regency-Romane in einem Band

venusbooks

In den Armen des Herzogs

Aus dem Amerikanischen von Beate Darius

Für meine unglaublich begabten, überaus liebenswerten und immer gut aufgelegten Studenten für kreatives Schreiben an der Everett High School: Kristina Arvanitis, Nicole Blake, Candie Kane, Phil King und Allison Quealy.

Nie wieder wird es eine solche Klasse geben!

Prolog

Warwickshire, England, 1804

»Gnade euch Gott!« fuhr das Mädchen seine Stiefschwestern an. Mit einer ungestümen Bewegung riß die zehnjährige Isabelle Montgomery einer ihrer beiden Stiefschwestern ihre geliebte Flöte aus der Hand und der anderen ihren pelzgefütterten Umhang. Dann drehte sie sich auf dem Absatz um, stürmte durch die Tür ihres Zimmers und rannte in den Flur.

»Mama hat gesagt, daß du mit uns teilen sollst!« kreischte die zwölfjährige Lobelia.

»Wir werden ihr alles erzählen«, drohte die elfjährige Rue.

»Das kümmert mich einen feuchten Dreck«, rief Isabelle über die Schulter, ohne ihr Tempo zu verlangsamen.

Im Laufschritt nahm Isabelle die schmale Treppe und stürmte zur Verblüffung der Bediensteten in die Küche. Ohne ihren erstaunten Blicken auch nur die geringste Beachtung zu schenken, schlüpfte sie durch die Hintertür ins Freie.

Um Atem zu schöpfen, blieb Isabelle an jenem Aprilnachmittag einen Augenblick stehen, hüllte sich fester in ihren Umhang und rannte dann über den gepflegten Rasen auf ein Wäldchen zu, wo sie sich vor den Nachstellungen ihrer beiden Stiefschwestern in Sicherheit wußte. Sie ließ das herrschaftliche, aus dunkelroten Ziegeln und Sandsteinquadern erbaute Anwesen hinter sich und blickte über ein Meer von blauen Veilchen, gelben Narzissen und blühenden Forsythien.

Ein bezaubernder Frühling hatte auf Arden Hall Einzug gehalten, aber dennoch herrschte in ihrem kindlichen Herzen tiefster Winter, und ihre Augen füllten sich mit Tränen.

Tapfer gegen ihre Tränen ankämpfend, blinzelte Isabelle zu der Familienkapelle der Montgomerys und dem sich daran anschließenden Friedhof. Am Morgen hatte man ihren Vater beerdigt. Wer hätte jemals gedacht, daß ihr herzensguter, über alles geliebter Papa einer der gefürchteten Epidemien zum Opfer fallen könnte? Jetzt ruhte er neben ihrer seit langem verstorbenen Mutter. Wenn doch nur ihr Bruder Miles nicht gleich nach dem Begräbnis an die Universität zurückgekehrt wäre!

Isabelle griff nach dem goldenen Medaillon, das sie stets trug. Es enthielt ein winziges Porträt ihrer Mutter, das Bild einer Frau, die sie nur in ihrem Herzen kannte. Wäre ihre leibliche Mutter nicht gestorben, wären ihr diese beiden gräßlichen Stiefschwestern und ihre Stiefmutter Delphinia erspart geblieben.

Sie straffte die Schultern, wandte den Blick von der letzten Ruhestätte ihrer Eltern ab und lief vorbei an den riesigen Eichen, die den Park vom Wald abgrenzten. Sie mußte fern von ihrer Stieffamilie über den Verlust ihres Vaters trauern. Bald schon brach die Dämmerung über diesem Nachmittag herein, doch die Vorstellung, mit ihrer Stiefmutter und ihren Stiefschwestern zu Tisch sitzen zu müssen, erfüllte sie mit größerem Entsetzen als die Dunkelheit des Waldes.

Schweren Herzens schlenderte Isabelle in Richtung des Flusses Avon. Der würzige Duft von Moos und Lilien lag in der Luft. Hier und da bemerkte sie das frische Grün der Birken und dunkel knospende Akelei. Weiße Blutwurzblüten und die ersten jungen Farntriebe lugten aus dem Unterholz hervor.

Der Frühling war die Jahreszeit der Naturgeister und überschwänglicher Blütenpracht. Das hatte ihr Cook erzählt.

Bei dieser seltsamen Überlegung schüttelte Isabelle den Kopf und hielt schlagartig inne, als sie ein Geräusch wahrnahm – leiser als ein Atemhauch. Jemand spielte Flöte. Ihr bezaubernder Klang erfüllte die Luft und verführte sie dazu, ihm immer weiter in Richtung des Flusses zu folgen. Mit jedem ihrer Schritte wurde das Lied der Flöte lauter und deutlicher. Die traurige Melodie paßte zu ihrer Stimmung.

Isabelle beschleunigte ihre Schritte. Als sie die Lichtung erreichte, blieb sie bei dem sich ihr bietenden Anblick abrupt stehen.

Eine ärmlich gekleidete, alte Frau saß auf einem Baumstumpf am Fluß und spielte Flöte. Das grauhaarige, runzlige Weib hielt sogleich in seinem Flötenspiel inne und blickte sie an.

Von plötzlicher Furcht übermannt, wich Isabelle zwei Schritte zurück.

»Wie heißt du?« fragte die Alte lächelnd.

»Isabelle Montgomery«, antwortete sie.

Als Isabelle den Fluß betrachtete, bemerkte sie, daß die Abendnebel bereits heraufzogen. Rasch blickte sie zum Himmel hinauf. Altrosafarbene und violette Schattierungen verdunkelten den westlichen Horizont. Sollte sie bleiben oder weglaufen? Wenn sie nach Einbruch der Dunkelheit zurückkehrte, wäre Delphinia sicherlich sehr verärgert.

»Setz dich«, meinte die alte Frau einladend.

Als Isabelle die Freundlichkeit in dieser Stimme hörte, gehorchte sie und setzte sich neben der Frau auf den Boden.

»Ich wohne auf Arden Hall«, erklärte Isabelle unvermittelt.

»Warum lebt eine Montgomery auf Ar den Hall?« wollte die Frau wissen.

»Meine verstorbene Mutter war die Erbin von Arden Hall«, erzählte ihr Isabelle. »Sie heiratete meinen Vater, Adam Montgomery. Wir haben ihn heute beerdigt.«

»So jung und schon Waise.« Voller Mitgefühl tätschelte ihr die Frau die Hand. »Ich bin Giselle.«

»Meine Mutter hieß Elizabeth«, verriet ihr Isabelle.

»Und du hast sie sehr geliebt.«

»Ich habe sie nie kennengelernt.« Isabelle öffnete ihr Medaillon und zeigte der Frau die Miniatur.

»Mit deinem hellblonden Haar und den veilchenblauen Augen siehst du ihr sehr ähnlich«, bemerkte Giselle.

»Danke. Ich werte das als Kompliment.«

»Also, Belle, welcher Kummer treibt dich, abgesehen vom Tod deines Vaters, hier in meinen Wald?« fragte Giselle.

»Woher weißt du denn, wie mein Bruder mich nennt?« wollte Isabelle erstaunt wissen.

»Geteiltes Leid ist halbes Leid«, antwortete Giselle, ohne auf ihre Frage einzugehen. »Was das Meistern von Problemen anbelangt, so verfüge ich über jahrzehntelange Erfahrung.« Auf einmal zitterte die Alte und betrachtete den Umhang. »Ich sitze hier schon eine lange, lange Zeit, und mir ist sehr kalt. Leihst du mir deinen Umhang?«

Ohne zu zögern, entledigte sich Isabelle ihres Umhangs und legte ihn um die Schultern der alten Frau. »Er gehört dir«, sagte sie, während sie sich erneut auf den Boden sinken ließ. »Den Notleidenden zu helfen ist ein Akt der Barmherzigkeit, und ich habe vor, mir einen Platz im Himmel zu verdienen. Dann werde ich meine Mutter und meinen Vater endlich Wiedersehen.«

Giselle nickte zustimmend und schlang den Umhang fester um ihre eingesunkenen Schultern. »Mein Kind, erzähle mir, was dich noch in meinen Wald geführt hat.«

»Lobelia und Rue, meine beiden Stiefschwestern, haben versucht, meine Flöte zu stehlen«, hub Isabelle an. »Meine Flöte und mein Medaillon sind Erbstücke von meiner Mutter. Cook hat mir erzählt, daß das Flötenspiel meiner Mutter wie der Gesang der Nachtigall klang. Aber meine Stiefmutter Delphinia hat Missis Juniper gleich nach dem Begräbnis meines Vaters vor die Tür gesetzt. Juniper liebte mich über alles. Das ist auch der wahre Grund, warum sie gehen mußte, und nicht, weil sie kalten Tee trank. Was ist schließlich verwerflich daran, wenn jemand kalten Tee vorzieht?«

»Wer ist Juniper?« fragte Giselle.

»Bis zum heutigen Tag war Juniper mein Kindermädchen, und sie verabscheute meine gräßlichen Stiefschwestern«, antwortete Isabelle. »Mein Bruder Miles ist nach der Beerdigung an die Universität zurückgekehrt. Ich hoffe, daß er heil dort ankommt.«

»Ich bin mir ganz sicher, daß es Miles gutgeht, wo er sich auch gerade aufhalten mag«, beruhigte Giselle das Mädchen.

»Sind wir denn jetzt Freundinnen?« fragte Isabelle strahlend. »Ich hatte noch nie richtige Freunde, und eigentlich will ich nicht mehr zurück nach Hause. Darf ich bei dir wohnen, bis Miles nach Arden Hall zurückkehrt?«

»Bis zur Heimkehr deines Bruders kann es noch sehr lange dauern«, erklärte ihr Giselle. »Wer wird sein Anwesen verwalten, wenn du hier bei mir im Wald lebst?«

Isabelle zuckte die Schultern, und ihr hoffnungsvoller Gesichtsausdruck schwand.

»Was wünschst du dir am sehnlichsten auf der ganzen weiten Welt?« fragte die Alte, als besitze sie die Gabe, Wünsche zu erfüllen.

»Ich möchte geliebt werden«, antwortete Isabelle und blickte sie aus traurigen, veilchenblauen Augen an.

»Hör mir zu, mein Kind. Frage mich nicht, warum, aber ich kann in die Zukunft schauen.« Giselle ergriff ihre Hand. »Eines Tages wird dich ein dunkler Prinz erretten, aber nur, wenn du jetzt nach Arden Hall zurückkehrst.«

»Mich erretten? Wovor denn?«

»Wohlmeinende Erwachsene in Zweifel zu ziehen ist äußerst unhöflich«, schalt Giselle. »Also, dieser Prinz ist der Mann, der dich für liebreizender hält als die ersten blühenden Veilchen im Schnee.«

Ungläubig starrte Isabelle die Alte an. Selbst ihr war bewußt, daß niemand die Zukunft weissagen konnte.

»Du glaubst mir nicht?« wollte Giselle wissen. »Möchtest du wissen, was er in diesem Augenblick macht?«

Heftig nickend strahlte Isabelle sie an.

»Dann komm.« Schwerfällig erhob sich Giselle von ihrem Platz auf dem Baumstumpf und streckte ihr eine Hand entgegen.

Isabelle blickte von dem runzligen Gesicht zu der schwieligen Hand. Dann stand sie ebenfalls auf und legte ihre Hand in die der Frau.

Giselle führte sie zum Fluß und kniete sich in das Gras am Ufer. »Schau ins Wasser, meine Kleine. Sieh, was dir die Zukunft bringen wird.«

Zunächst sah Isabelle gar nichts, doch dann formte sich langsam ein schemenhaftes Bild vor ihren Augen. Ein älterer Mann – mindestens zwanzig Jahre alt – blickte sie unvermittelt an. Sein Haar und seine Augen waren dunkler als eine Mondfinsternis.

»Wer ist das?« fragte Isabelle, ohne den Blick von dem Bild auf dem Wasser abzuwenden. »Ist er ein fremder Prinz?«

»Fremde haben keinen Zugang zum Königreich des Herzens.« Giselles schwielige Hand berührte das Wasser, und das Bild des Prinzen verschwand in den Sänften Wogen. »Es wird höchste Zeit, daß du nach Hause läufst.«

»Sehe ich dich wieder?« Gemeinsam mit der alten Frau hatte sich Isabelle erhoben. »Wie werde ich dich finden?«

»Ich werde dich finden«, erklärte ihr Giselle.

Isabelle blickte sich um. Es dämmerte bereits, und sie hatte Angst, allein durch den Wald zu gehen.

»Folge einfach den weißschimmernden Birkenstämmen«, bemerkte Giselle, als könne sie ihre Gedanken erraten, und deutete auf den Wald.

Isabelles Blick folgte dem Finger der alten Frau. Die hellen Stämme der Birken säumten einen Weg durch den Wald, wo Augenblicke zuvor noch gähnende Dunkelheit geherrscht hatte.

»Ich hoffe inständig, daß wir uns Wiedersehen.« Aus einer plötzlichen Eingebung heraus drückte sie der alten Frau einen Kuß auf deren runzlige Wange.

Giselle lächelte. »Ich verspreche dir, daß ich dich oft besuchen werde.«

Isabelle machte sich auf den Weg durch den Birkenhain. Als sie sich noch einmal umschaute, sah sie lediglich Finsternis. Es gab keinen Weg zurück.

Eine Freundin, dachte Isabelle überglücklich, während sie in Richtung Arden Hall lief. Endlich hatte sie eine Freundin gefunden, der sie vertrauen konnte.

In der abendlichen Kühle fröstelnd, schlich sich Isabelle durch den Dienstboteneingang. Sie stürmte in die Küche, versetzte die Bediensteten erneut in Erstaunen und rannte dann die schmale Stiege ins erste Stockwerk hoch.

Sobald sie sich in ihrem Zimmer in Sicherheit wußte, verriegelte sie die Tür. Jetzt konnten sie ihre Stiefschwestern nicht mehr ärgern, und falls Delphinia beabsichtigte, sie wegen ihres Ausflugs zu schelten, mußte sie durch die verschlossene Tür brüllen.

Auf der Suche nach einem Schal huschte Isabelle durch das Zimmer. Mit vor Erstaunen weit aufgerissenem Mund blieb sie plötzlich stehen. Auf ihrem Bett lag der pelzgefütterte Umhang, den sie der alten Frau gegeben hatte.

Bei den himmlischen Heerscharen, schoß es Isabelle durch den Kopf, und ein freudiges Lächeln erhellte ihre Züge. Giselle ist mein Schutzengel.

Kapitel 1

London, November 1811

Der dreißigjährige John Saint-Germain, seines Zeichens fünfter Herzog von Avon, zehnter Marquis von Grafton und zwölfter Graf von Kilchurn, entspannte sich in seinem Lieblingssessel im White’s Gentlemen’s Club auf der St. James’s Street und musterte nacheinander seine drei Begleiter. Sein fünfundzwanzigjähriger Bruder Ross, der ihm zur Linken saß, bedachte ihn mit einem leicht belustigten Grinsen. Ihm direkt gegenüber saß sein dreiundzwanzigjähriger Bruder Jamie, der ihn hoffnungsvoll ansah. Miles Montgomery, der beste Freund seines jüngsten Bruders, hatte es sich in einem Sessel zu seiner Rechten bequem gemacht und ließ den Blick nicht von Jamie.

»Völliger Blödsinn«, sagte John, während der Blick seiner dunklen Augen erneut zu seinem Bruder schweifte und dessen hoffnungsvollen Gesichtsausdruck schlagartig zunichtemachte. »Ich halte diese Geschichte einfach nicht für so dringlich, daß ich Schottland früher als geplant verlasse.«

»Wir dürfen die Gelegenheit unseres Lebens nicht versäumen«, wandte Jamie hitzig ein. »Der Gewinn aus dieser Investition wird uns ein kleines Vermögen einbringen.«

»Ich besitze bereits ein großes Vermögen«, erinnerte ihn John. Als er die enttäuschte Miene seines Bruders bemerkte, raufte er sich sein pechschwarzes Haar.

»Was macht dich so zuversichtlich, daß diese Spekulation überhaupt einen Gewinn einbringt?« fragte John einlenkend, da ihn der Anblick seines Bruders nachsichtig stimmte.

»Euer Gnaden«, meldete sich Miles Montgomery zu Wort. »Nicholas deJewell, der Neffe meiner Stiefmutter, hat mir den Tipp gegeben. Er hat ihn von einem hochrangigen Mitarbeiter der Baring Brothers erfahren, welche die amerikanischen Bankinteressen in England vertreten.«

»Wieviel investiert deJewell?« wollte John wissen.

Zögernd schüttelte Miles Montgomery den Kopf. »Augenblicklich ist Nicholas knapp bei Kasse. Für den Hinweis habe ich ihm einen Anteil zugesichert – selbstverständlich von meinem Gewinn.«

»Miles und ich beabsichtigen, selbst nach New York zu reisen«, fügte Jamie mit neu erwachter Hoffnung hinzu. »Ich verspreche dir, daß wir nichts dem Zufall überlassen.«

»England und die Vereinigten Staaten sind sich wegen der Kontinentalsperre uneins, und die Spannungen nehmen von Tag zu Tag zu«, erwiderte John. »Was ist, wenn ein Krieg ausbricht?«

Jamie zuckte die Schultern. »Dann sitzen wir länger als geplant in New York fest.«

»Was hast du dazu zu sagen?« Johns dunkle Augen fixierten seinen Bruder Ross.

»Ich habe keine Meinung hinsichtlich eines Erfolgs oder Scheiterns«, antwortete Ross. »Die erforderliche Summe würde keinesfalls den Bankrott der Saint-Germains herbeiführen; deshalb denke ich, daß du Jamie das Geld unbesorgt geben kannst.«

John musterte den optimistischen Gesichtsausdruck seines jüngsten Bruders. Mit seinen dreiundzwanzig Jahren war Jamie das Nesthäkchen der Familie, und seine Interessen hatten bislang lediglich gesellschaftlichen Aktivitäten gegolten. Diese Finanztransaktion konnte genau die Sache sein, die aus Jamie einen verantwortungsbewußten Mann machte.

»Guten Abend, Euer Gnaden«, erklang eine tiefe, spöttische Stimme.

Alle vier wandten sich dem großen blonden Mann zu, der an ihren Tisch getreten war. Der Neuankömmling musterte sie unverhohlen feindselig.

»Grimsby«, begrüßte ihn John mit einem Kopfnikken.

»Welch ein herzergreifender Anblick trauten Familienglücks«, erwiderte Grimsby mit einem Blick auf die Brüder Saint-Germain. Dann blickte er zu dem einzigen Fremden in der Runde: »Ich glaube nicht, daß wir uns schon einmal begegnet sind.«

»Miles Montgomery ist der Graf von Stratford«, stellte ihn John vor. »Miles, darf ich bekannt machen, William Grimsby, der Graf von Ripon.«

Miles Montgomery erhob sich, schüttelte die Hand des anderen Mannes und setzte sich wieder. Grimsby bedachte ihn mit einem süffisanten Grinsen.

»Es ist mir ein Vergnügen, Sie kennenzulernen, Mylord«, bemerkte Grimsby. »Beherzigen Sie meine wohlmeinende Warnung: Sollten Sie eine Schwester haben, dann halten Sie sie von den Saint-Germains fern.« Mit diesen Worten verließ William Grimsby den Raum.

Offensichtlich verwirrt, wandte sich Miles Montgomery den anderen zu. »Was sollte das denn heißen?« fragte er.

»Er ist mein früherer Schwager«, entgegnete John.

»Wirklich schade, daß Grimsby nicht dein verstorbener Schwager ist«, brummte Ross.

»Das sagst du nur, weil seine Unternehmungen unserer Schiffahrtslinie erhebliche Verluste zugefügt haben«, meinte John mit einem schiefen Seitenblick auf seinen Bruder.

»Wie kannst du dabei nur so gelassen bleiben?« fragte Ross. »Der Mann ist entschlossen, die Saint-Germains zu ruinieren.«

John zuckte die Schultern. »Der Tod seiner Schwester hat William sehr zugesetzt.«

»Lenore ist seit fünf Jahren tot«, erinnerte ihn Ross.

»Bruderherz, lassen wir das Thema auf sich beruhen.« Nach einem raschen Blick zu Montgomery, der ihrer Unterhaltung aufmerksam gelauscht hatte, wandte er sich erneut seinem jüngsten Bruder zu. »Ich leihe dir die erforderliche Summe, doch aufgrund der wachsenden Spannungen zwischen den beiden Staaten müßt ihr zunächst auf einem meiner Schiffe auf die Bermudas reisen. Von dort aus werdet ihr eure Reise nach New York auf einem neutralen Schiff fortsetzen. Haben wir uns verstanden?«

Jamie Saint-Germain und Miles Montgomery sahen sich an und grinsten. Als sein Freund zustimmend nickte, meinte Jamie an John gerichtet: »Da ist noch etwas, über das wir sprechen müssen.«

Also hat die Sache doch einen Haken, überlegte John, zog fragend eine Braue hoch und musterte den Freund seines Bruders, als Jamie sagte: »Erklär du es ihm.«

»Euer Gnaden, etwas bereitet mir noch Sorge«, setzte Miles Montgomery an. »Ich befürchte, daß meine Stiefmutter meine Schwester übervorteilen wird, wenn ich außer Landes bin.« Er hielt einen Augenblick inne, als müsse er sämtlichen Mut zusammennehmen, und räusperte sich, bevor er fortfuhr: »Ich bitte Sie, während meiner Abwesenheit vorübergehend die Vormundschaft für Isabelle zu übernehmen …«

»Nein.«

»Euer Gnaden, ich bitte Sie inständig. Isabelle verfügt über Intelligenz, Herz und Courage«, fuhr Miles ungerührt fort. »Sie wird Ihnen keine Schwierigkeiten bereiten, sie ist außergewöhnlich hübsch, hat blondes Haar und …«

»Ich stehe nicht auf Blondinen«, unterbrach ihn John. »Mit vierzig beabsichtige ich eine Wiederheirat mit der häßlichsten Brünetten, die ich finden kann.«

Ross brach in schallendes Gelächter aus, was ihm einen strafenden Blick seines älteren Bruders einhandelte.

»Isabelle ist eine gebildete junge Dame«, mischte sich Jamie ein.

»Blond, blauäugig und gebildet?« spöttelte John.

»Eher violett als blau«, korrigierte Miles.

»Wie bitte?«

»Isabelles Augen sind veilchenblau.«

Ross Saint-Germain konnte sich ein Kichern nicht verkneifen.

Nach einem weiteren vernichtenden Blick seines Bruders fragte dieser: »Und in welchen Fertigkeiten ist die holde Weiblichkeit ausgebildet? In komplizierten Handarbeitstechniken? Dem Pianospiel?«

»Isabelle spielt Flöte«, erklärte Miles.

»Göttlich«, fügte Jamie hinzu.

»Das Flötenspiel paßt eigentlich nicht mehr in unsere moderne Zeit«, bemerkte Ross und handelte sich damit einen angesäuerten Blick seines jüngsten Bruders ein.

»Vermutlich versteht sie sich auf Mode und Klatsch«, spekulierte John. »Alle Damen von Stand verfügen über diese Begabung.«

»Isabelle zieht einfache Kleidung vor«, erwiderte Miles kopfschüttelnd. »Und ihr fehlt jegliches Interesse am Gesellschaftsklatsch.«

John reagierte mit einem ungläubigen Grinsen. »Zeigen Sie mir eine Frau, die keine Klatschbase ist«, meinte er, »und ich wette, sie ist eine Taubstumme. Also, mein junger Freund, welche Fähigkeiten besitzt Ihre Schwester?«

»Neben dem Flötenspiel kann Isabelle hervorragend mit Zahlen umgehen«, erwiderte Miles.

»Mit Zahlen?«, wiederholte John. »Was heißt das?«

»Isabelle führt meine Haushaltsbücher und die Konten«, erklärte ihm Miles. »Selbstverständlich überprüfe ich ihre Abrechnungen vierteljährlich.«

»Sie vertrauen einer Frau tatsächlich Ihre Finanzen an?«

Montgomery nickte.

Einen langen Augenblick starrte John ihn an. »Ihre Schwester scheint eine bemerkenswerte junge Dame zu sein«, sagte er, »dennoch kann ich Ihrer Bitte nicht nachkommen.«

An Jamie gewandt, meinte Miles: »Unter gar keinen Umständen lasse ich Isabelle in der Obhut von Delphinia.«

Jamie warf seinem ältesten Bruder einen flehenden Blick zu, woraufhin dieser hilfesuchend zu Ross blickte.

Grinsend zuckte Ross die Schultern.

»In Ordnung«, lenkte John ein, da er seinen jüngsten Bruder nicht enttäuschen wollte. »Ich übernehme vorübergehend die Vormundschaft für Ihre Schwester und kümmere mich um Ihre Finanzen.«

»Danke, Euer Gnaden.« Miles blickte zu Jamie und fuhr dann fort: »Da ist noch eine Kleinigkeit, um die ich Sie bitten muß.«

»Montgomery, Sie sollten Ihr Glück nicht überstrapazieren«, warnte ihn John.

»Am ersten Mai feiert Isabelle ihren achtzehnten Geburtstag«, erklärte Miles mit einem entwaffnenden Lächeln. »Falls ich bis dahin nicht zurückgekehrt bin, dürfen Sie unter gar keinen Umständen einer Eheschließung zwischen Isabelle und Nicholas deJewell zustimmen. Wenn Sie Zuneigung zu ihr empfinden, heiraten Sie sie, ansonsten muß sie in die Gesellschaft eingeführt werden.«

»Ich werde Ihre Wünsche hinsichtlich deJewell respektieren, aber mein Ruf bei den Damen ist etwas angekratzt«, entgegnete John. »Sollte ich das Mädchen unter meine Fittiche nehmen, ist ihr Ruf ruiniert.«

»Ich halte es für eine wunderbare Idee, wenn du das Mädchen unter deine Fittiche nimmst«, meldete sich Ross zu Wort.

Erstaunt drehte sich John zu seinem Bruder um. Das war wieder typisch für Ross, ihn in Schwierigkeiten zu bringen. Wie konnte er sich diesem törichten Ansinnen entziehen, wenn ihm sein Bruder auch noch in den Rücken fiel?

»Mutter hatte nie das Vergnügen, eine Tochter großzuziehen«, fuhr Ross fort. »Tante Hester und sie werden sich gewiß freuen, ein so wohlerzogenes junges Mädchen in die Gesellschaft einzuführen.«

»Dann müssen wir eine Vollmacht auf setzen und unterzeichnen«, meinte John und ergab sich in das Unvermeidliche. »Bringen Sie das Dokument morgen nachmittag zum Anwesen der Saint-Germains. Ich habe noch eine weitere Verabredung. Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen?«

Wortlos erhob sich John und strebte durch den eleganten Raum auf den Eingang des Clubs zu. Nur zu gut konnte er sich das hinterhältige Grinsen vorstellen, das in diesem Augenblick über Ross’ Gesicht glitt.

Hinter sich vernahm John noch, wie Miles Montgomery flüsterte: »Glaubt ihr, daß er seine Geliebte besucht?«

»Welche?« fragte Ross.

»Nun, einmal habe ich ihn mit einer schwarzhaarigen Schönheit gesehen«, bemerkte Miles. »Wie ich hörte, soll es sich um eine Schauspielerin handeln.«

»John hat Lisette Dupré schon vor Jahren den Laufpaß gegeben«, lautete die Antwort seines Bruders.

Als er an einem kürzlich vergrößerten Fenster vorüberging, nickte John Beau Brummell zu, der dieses beliebte Fenster zu seinem Stammplatz auserkoren hatte. Die Eingangstür befand sich zur Linken des Fensters.

»Euer Gnaden, ich wünsche Ihnen einen angenehmen Abend«, begrüßte ihn der Galan Brummell.

»Ich habe anderes zu tun«, erwiderte John, was dem bekannten Dandy ein Lächeln entlockte.

Als John in die mondlose Nacht hinaustrat, hüllte ihn dichter, im sanften Schein der Laternen gespenstisch anmutender Nebel wie in einen riesigen Umhang ein.

Nachdem er Gallagher und seine Kutsche auf der gegenüberliegenden Straßenseite der St. James’s Street erspäht hatte, bedeutete er dem Mann, dort stehenzubleiben. Es hatte wenig Sinn, die Kutsche wenden zu lassen, da sein Fahrtziel in der entgegengesetzten Richtung lag.

Sich im stillen verfluchend, daß er der Vormundschaft für Isabelle Montgomery zugestimmt hatte, trat John auf die Straße, um diese zu überqueren. Plötzlich tauchte wie aus dem Nichts eine Kutsche auf, die über die St. James’s Street preschte.

»Vorsicht!« John vernahm das Brüllen seines Kutschers und sprang gerade noch rechtzeitig zurück, um sein Leben in Sicherheit zu bringen – unglücklicherweise jedoch nicht seinen Abendanzug, der mit Schlammspritzern übersät war.

»Sind Sie verletzt, Euer Gnaden?« fragte Gallagher, der an seine Seite geeilt war.

»Nein, aber ich muß zur Park Lane zurückkehren, um mich umzuziehen«, antwortete John. Seinem Kutscher auf die Schulter klopfend, fügte er hinzu: »Danke, daß Sie mir das Leben gerettet haben.«

»Es war mir ein Vergnügen, Euer Gnaden«, erwiderte Gallagher mit einem breiten Grinsen. »Außerdem würde ich arbeitslos, wenn Ihnen etwas zustieße.« Er schmunzelte über seinen eigenen Scherz.

»Was ich an Ihnen bewundere, Gallagher, ist Ihr Sinn fürs Praktische.« John grinste seinen langjährigen Kutscher an und blickte dann auf die menschenleere Straße. »Ich kann einfach nicht glauben, daß mich der Kutscher nicht bemerkt hat.«

»Natürlich hat er Sie bemerkt, Euer Gnaden«, erwiderte Gallagher, während er ihm den Kutschenverschlag öffnete. »Auf mich machte es den Anschein, als hätte er es geradewegs auf Sie abgesehen.«

Als John in der Kutsche saß, dachte er während der kurzen Fahrt zur Park Lane über die Äußerung seines Kutschers nach. Daß der Fahrer der anderen Karosse es tatsächlich auf ihn abgesehen haben könnte, war einfach absurd. In ganz England gab es nur einen Menschen, der ihn haßte, und das war William Grimsby, sein früherer Schwager. Allerdings würde er es niemals wagen, ihm nach dem Leben zu trachten. Nein, der Vorfall war zweifellos einem dieser unberechenbaren und unerklärlichen Zufälle zuzuschreiben.

***

Arden Hall, im Dezember

»Bei den himmlischen Heerscharen«, murmelte die siebzehnjährige Isabelle Montgomery und legte verärgert ihre Feder beiseite. Nachdem sie sich einige vorwitzige Haarsträhnen aus dem Gesicht gestrichen hatte, umklammerte sie ihr goldenes Medaillon und starrte mit Todesverachtung auf die Zahlenkolonnen in ihrem Haushaltsbuch.

»Diese Rechnung geht einfach nicht auf«, murrte sie. »Verstehst du etwas von Mathematik?«

Isabelle ließ ihren Blick durch das Arbeitszimmer zu der alten Frau schweifen, die in einem Sessel vor dem Kamin saß. Giselle trug immer noch dasselbe zerschlissene Gewand wie vor sieben Jahren.

»Mit Zahlen kenne ich mich nicht aus«, erwiderte die alte Frau.

Isabelle spürte ihre zunehmende Verärgerung. Manchmal war Giselles Gegenwart in ihrem Leben eher ein Fluch als ein Segen, dennoch liebte sie die Alte von ganzem Herzen. Schließlich war die alte Frau seit dem Tod ihres Vaters ihre einzige Freundin.

»Ich nahm an, daß sich himmlische Wesen in absolut allem auskennen«, bemerkte Isabelle.

»Ganz offensichtlich war diese Annahme falsch«, erwiderte Giselle mit einem schiefen Seitenblick auf das junge Mädchen, der zu erkennen gab, daß sie deren Gedanken erriet. »Wenn du selbst auf die richtige Antwort stößt, ist die Freude umso größer.«

»Heute darf ich keine Zeit verlieren.«

»Und was ist so dringend?«

Isabelle warf einen sehnsüchtigen Blick zum Fenster, durch das die Nachmittagssonne ins Zimmer strömte und ihr die Flucht vor ihren langweiligen Rechnungsbüchern umso verlockender erscheinen ließ.

»Ich möchte im Garten sitzen und Flöte spielen«, antwortete sie. »Kannst du mir nicht dieses eine Mal helfen?«

»Das höre ich nicht zum erstenmal«, erwiderte Giselle. »Und meine Antwort ist nach wie vor die gleiche. Du mußt es selbst tun. Das Leid ist Labsal für die Seele, weißt du.«

»Ich habe mir aber etwas Zerstreuung verdient«, entgegnete Isabelle mit zorniger Stimme.

»Mein Kind, Geduld ist eine Tugend«, erwiderte Giselle ungerührt.

»Glaube, Hoffnung, Güte, Bescheidenheit, Mäßigung, Gerechtigkeit und Tapferkeit sind die sieben Tugenden«, klärte Isabelle die alte Frau mit hochgezogenen Brauen auf. »Geduld gehört nicht dazu. Wie kommt es, daß ein Schutzengel die sieben Tugenden nicht kennt?«

»Also, dann bitte ich um Nachsicht«, meinte Giselle schulterzuckend. »Aber ich kann die sieben Todsünden aufzählen. Möchtest du sie hören?«

»Danke, nein.«

»Da bist du!«

Beim Klang dieser Stimme drehte sich Isabelle abrupt zu ihrer Stiefmutter um, die durch das Arbeitszimmer auf den Schreibtisch zusteuerte. Jahrelange Selbstbeherrschung hielt Isabelle davon ab, bei diesem unliebsamen Anblick eine Grimasse zu ziehen. Unbewußt berührte sie das goldene Medaillon mit dem Porträt ihrer leiblichen Mutter. Dieses Gefühl gab ihr jedesmal neue Kraft.

»Ich habe soeben eine wundervolle Nachricht erhalten«, entfuhr es Delphinia Montgomery, während sie einen Brief in der Hand schwenkte.

»Wie ich sie kenne, muß gerade jemand eines gräßlichen Todes gestorben sein.«

Kichernd blickte Isabelle zu Giselle. Die alte Frau hatte vermutlich recht mit ihrer Einschätzung, schoß es ihr durch den Kopf.

»Was amüsiert dich so?« fragte Delphinia verunsichert. »Warum blickst du zum Kamin, wenn ich mit dir spreche? Du führst doch nicht etwa schon wieder Selbstgespräche, oder?«

Insgeheim schalt sich Isabelle. Beinahe hätte man sie erneut ertappt. Giselle war so real, und sie vergaß häufig, daß andere sie weder wahrnehmen noch verstehen konnten.

»Nein, ich … ich dachte gerade an etwas anderes.« Isabelle zwang sich zu einem Lächeln, und der Gesichtsausdruck ihrer Stiefmutter entspannte sich. »Und welche wundervolle Nachricht hältst du da in der Hand?«

»Der geschätzte Nicholas wird uns auf seiner Reise nach London einen Besuch abstatten«, erwiderte Delphinia.

»Verdammt!« fluchte Giselle.

»Das kannst du laut sagen«, brummte Isabelle.

»Was kann ich laut sagen?« wollte Delphinia wissen. »Isabelle, fühlst du dich heute nicht wohl?«

»Doch, lediglich etwas erschöpft.«

»Höre auf meinen Rat«, sagte Delphinia. »Betrachte Nicholas als möglichen Ehekandidaten. Mein Neffe ist zweifellos eine hervorragende Partie.«

»Augenblicklich verspüre ich keineswegs den Wunsch zu heiraten«, erwiderte Isabelle, während sie erfolgreich versuchte, ihr Entsetzen zu überspielen. Nicholas deJewell erinnerte stets an ein heimtückisches Wiesel. »Wenn du mich bitte entschuldigst, die Haushaltsbücher warten auf mich.«

Delphinia verstand den Hinweis und machte sich auf den Weg zur Tür, wo sie jedoch stehenblieb. »Wo wir gerade davon sprechen – leider habe ich mein monatliches Budget bereits überschritten«, bemerkte sie mit einem entschuldigenden Lächeln. »Könnte ich vielleicht …«

»Nein.« Mit gestrengem Blick fügte Isabelle hinzu: »Wenn ich dir heute zusätzliche Mittel einräumte, wolltest du morgen noch mehr. Es wäre klug, wenn du dir dein Geld besser einteiltest.«

»Also, junge Dame, nun hör mir einmal gut zu …«

»Ich habe keineswegs die Absicht, dir zuzuhören«, schnitt ihr Isabelle das Wort ab. »Wenn dir deine monatliche Apanage nicht reicht, bitte meinen Bruder um eine Erhöhung.«

»Genau das werde ich tun«, herrschte Delphinia ihre Stieftochter an. Dann stürmte sie aus dem Arbeitszimmer und schlug die Tür hinter sich zu.

»Warum mußt du sie nur jedesmal so erzürnen?« fragte Giselle.

»Sie erzürnt mich.«

»Würde es deinen Bruder denn in den finanziellen Ruin treiben, wenn du ihr hin und wieder etwas zustecktest?«

»Delphinias Apanage ist überaus großzügig bemessen«, klärte Isabelle die alte Frau auf. »Meiner Stiefmutter zerrinnt das Geld in den Händen.«

»Denke immer daran, mein Kind«, bemerkte Giselle. »Gesegnet sind die Großherzigen, denn ihnen wird Großherzigkeit widerfahren.«

Isabelle verdrehte die Augen. »Ist das deine neue Auslegung der Bibel?«

»Wie meinst du das?«

»Der Vers lautet: ›Gesegnet sind die Barmherzigen, denn ihnen wird Barmherzigkeit widerfahrene«

»Oh, welch ein Versehen von mir«, entgegnete Giselle.

»Was bist du nur für ein Engel, daß du nicht einmal die Heilige Schrift richtig zitieren kannst?« wollte Isabelle wissen.

Ehe die alte Frau antworten konnte, schwang die Tür auf. Als Isabelle ihre beiden Stiefschwestern erblickte, mußte sie erneut gegen eine Grimasse ankämpfen. Sie hoffte, daß sie nicht nur gekommen waren, weil sie ebenfalls Geld brauchten. Als Giselle kicherte, warf ihr Isabelle einen mahnenden Blick zu.

»Schieb es nicht mir in die Schuhe, Kind«, schalt die Alte. »Du hättest dir diese schwesterliche Zusammenkunft ersparen können, wenn du Delphinia gegeben hättest, was sie wollte.«

Ich verabscheue Leute, die ständig behaupten: »Das habe ich dir doch gleich gesagt«, dachte Isabelle im stillen.

»Du sagst das doch immer«, konterte Giselle.

»Tue ich nicht«, sagte Isabelle laut.

»Isabelle führt wieder Selbstgespräche«, flüsterte die neunzehnjährige Rue ihrer Schwester zu.

»Sie ist verrückt«, flüsterte die zwanzigjährige Lobelia zurück. »Welcher Mann würde die Schwestern einer Frau heiraten, die eigentlich in eine Irrenanstalt gehört?«

»Wenigstens sind wir nicht blutsverwandt«, erwiderte Rue.

Zorn wallte in Isabelle auf, während sie versuchte, die Gehässigkeit ihrer Stiefschwester zu ignorieren. Nach den vergangenen zehn Jahren hätte sie deren Kränkungen eigentlich gewohnt sein müssen, und doch gelang es ihnen immer wieder, ihre Gefühle zu verletzen. Trotzdem konnte sie es ihnen nicht übelnehmen, daß sie sie für verrückt hielten. Einen Schutzengel zu haben war beileibe nicht so vorteilhaft, wie sie früher einmal geglaubt hatte.

»Was wollt ihr?« Isabelle wandte ihnen ihre Aufmerksamkeit zu.

»Geld«, entfuhr es Rue, und dann »Autsch!«, weil ihre Schwester sie gekniffen hatte.

»Ich habe kein Geld für euch«, erklärte ihnen Isabelle. »Erfreut euch an diesem schönen Tag.«

»Teuerste Schwester«, warf Lobelia ein. »Wir brauchen neue Garderobe für unsere Londoner Ballsaison im nächsten Frühjahr.«

»Auch du solltest dich anständig anziehen«, fügte Rue hinzu. »Was du trägst, ist völlig unmodern.«

Isabelle musterte ihre Garderobe. Ihre Stiefschwestern trugen knöchellange Baumwollkleider mit weiten Ausschnitten und wallenden Ärmeln. Ihre Mieder zierten Rüschen, und die Kragen waren mit zartem Spitzenband umsäumt.

Als sie den Blick von ihren Kleidern abwandte, fiel Isabelle ihre eigene, hochgeschlossene Leinenbluse mit dem violetten Wollrock umso deutlicher ins Auge. Ihre Schwestern kleideten sich wie modische Damen, während sie wie eine Bäuerin wirkte.

»Ihr habt recht«, meinte Isabelle mit einem Blick auf die beiden. »Ich bin völlig aus der Mode. Wenn ihr mich jetzt bitte entschuldigen würdet, ich muß mich um die Bücher …«

»Bald ist dein achtzehnter Geburtstag, und dann wirst du in die Gesellschaft eingeführt«, erinnerte sie Lobelia. Mit aufgesetzter Fröhlichkeit in der Stimme fügte sie hinzu: »Wir drei brauchen neue Garderobe, um nach möglichen Ehekandidaten Ausschau zu halten.«

»Wäre das nicht aufregend?« kreischte Rue, offensichtlich entschlossen, Isabelle zu Begeisterungsstürmen hinzureißen.

Isabelle betrachtete zunächst Lobelia und dann Rue, bis die beiden jungen Frauen unter ihren kritischen Blicken nervös wurden. Sie wollte sich keineswegs zu einer abfälligen Äußerung herablassen, doch bei ihren Stiefschwestern handelte es sich um zwei der unscheinbarsten Geschöpfe, die sie jemals gesehen hatte. Es gehörte schon einiges mehr dazu als modische Garderobe, wenn sich die beiden einen Ehemann angeln wollten.

»Deine abwertenden Gedanken sprechen mir aus der Seele«, sagte Giselle von ihrem Platz am Kamin.

»Fahrt nach London, wenn es euch Spaß macht«, sagte Isabelle, während sie dagegen ankämpfte, der alten Frau zu antworten. »Und gebt euch mit der Mode vom letzten Jahr zufrieden.«

»Deine Überheblichkeit ist ungerecht«, murrte Lobelia und stampfte verärgert mit dem Fuß auf. »Das Geld gehört deinem Bruder und nicht dir.«

Heftig nickend pflichtete Rue ihrer Schwester bei.

»Dann bittet doch Miles um eine neue Garderobe«, schlug Isabelle vor. »Ich besitze nicht die Befugnis, euch neue Kleider und solchen Schnickschnack zu kaufen.«

»Genau das werden wir tun«, keifte Lobelia. »Ich will nicht wie du als alte Jungfer sterben … Komm, Schwesterherz.«

»Zu schade, daß du Sommersprossen hast«, rief ihr Rue beim Verlassen des Zimmers noch zu. »Männer verabscheuen Sommersprossen, weißt du.«

Die Tür fiel hinter ihnen ins Schloß.

Isabelle berührte ihre Nasenflügel. Mit verwirrtem Gesichtsausdruck drehte sie sich zu ihrer alten Freundin um. »Machen mich diese Sommersprossen häßlich?« fragte sie.

»Welche Sommersprossen?«

Isabelle grinste über ihre Antwort.

»Genau wie feiner Goldstaub machen dich deine Sommersprossen noch verführerischer, als du es ohnehin schon bist«, erklärte Giselle.

»Das sagst du doch nicht einfach so daher?«

»Würden Engel lügen?«

Isabelle schüttelte den Kopf. »Du richtest mich immer wieder auf.«

Ein Klopfen lenkte ihre Aufmerksamkeit auf die Tür.

»Ich frage mich, wer das sein könnte«, überlegte Isabelle. »Meine Stieffamilie klopft nie an.«

Ein weiteres Klopfen ertönte von der Tür her.

»Herein«, rief Isabelle, und dann lächelte sie, als Pebbles, der Majordomus der Montgomerys, in der Tür erschien.

»Guten Tag, Mylady.« Pebbles trat vor ihren Schreibtisch und meinte mit einem Augenzwinkern: »Drei Hexen wurden bei einem unglückseligen Kutschenunfall zu Tode getrampelt. Als sie vor der Himmelspforte standen, erklärte ihnen der heilige Petrus, daß im Himmel kein Platz für sie sei und sie wieder zur Erde zurückkehren müßten. Sie sollten von einer nahe gelegenen Wolke springen und rufen, wie sie in ihrem nächsten Leben genannt werden wollten. Die erste Hexe sprang von der Wolke und rief: Lobelia.«

Isabelle spürte, wie sich ihre Mundwinkel zu einem Grinsen verzogen.

»Die zweite Hexe sprang von der Wolke und kreischte: Rue«, fuhr der Majordomus fort. »Die dritte und älteste der Hexen rutschte aus und brüllte: Scheiße! «

Isabelle brach in schallendes Gelächter aus, in das Giselle mit einstimmte.

»Ich wußte doch, daß ich Sie zum Lachen bringen würde«, meinte Pebbles und überreichte ihr eine Depesche. »Ein Kurier aus London hat das abgegeben.«

»Danke.« Isabelle beobachtete, wie der Majordomus das Zimmer verließ. Während sie das Schriftstück öffnete, sagte sie: »Es stammt von Miles, aber ich kann mir nicht vorstellen, warum er einen Boten beauftragt hat.«

Isabelle überflog das Schreiben und meinte dann stirnrunzelnd: »Gott schütze ihn.«

»Schlechte Nachrichten, mein Kind?«

»Miles hat England wegen einer Geschäftsreise nach Amerika verlassen und …«

»Er ist auf dem Weg in die Kolonien?« entfuhr es Giselle.

»Amerika ist keine Kolonie mehr«, erklärte ihr Isabelle.

Die Tür sprang auf. Delphinia, Lobelia und Rue schwärmten wie marodierende Soldaten in das Arbeitszimmer.

»Wie lauten die Neuigkeiten aus London?« fragte Delphinia, unfähig, ihre Neugier zu bezähmen.

Isabelle zögerte. Sie hatte keine Lust, ihnen die Wahrheit zu sagen, weil sie dann alle umgehend mit ihren Geldnöten behelligen würden. Aber was hätte sie anderes tun können? Sie würden es ohnehin bald genug erfahren.

»Miles befindet sich auf einer Reise nach Amerika«, erklärte Isabelle ihrer Stiefmutter.

»Wie können wir denn ohne ihn die Ballsaison in London wahrnehmen?« jammerte Rue.

»Hat er dich mit den Finanzen betraut?« wollte Delphinia wissen.

Mit einem feindseligen Blick in Richtung ihrer Stiefmutter überlegte Isabelle, warum sie diese Frage stellte, wenn sie die Antwort doch bereits kannte.

»Es wäre völlig unweiblich, wenn du die Geschäfte führtest, selbst in einer Situation wie dieser«, sagte Delphinia und fuhr dann, ohne eine Antwort abzuwarten, fort: »In den Augen der Gesellschaft bist du immer noch ein Schulmädchen. Wir wären ruiniert.« Sie wandte sich ab und fügte noch hinzu: »Ich muß Nicholas bitten, sich um die Finanzen der Montgomerys zu kümmern.«

Das war es also, dämmerte es Isabelle. Ihre hinterhältige Stiefmutter wollte das Vermögen ihres Bruders verwalten. Nun, das würde nie geschehen. Niemals würde sie Delphinias verschwenderischem Neffen Einblicke in den Besitz der Montgomerys gewähren.

»Das ist nicht notwendig«, erklärte Isabelle, und ihre Stiefmutter blieb abrupt stehen.

Mit entsetztem Gesicht drehte sich Delphinia zu ihr um. »Du willst doch nicht etwa sagen …«

»Offensichtlich hat Miles den Herzog von Avon um seine Unterstützung gebeten«, klärte Isabelle sie auf. »Im Ernstfall soll ich die Hilfe Seiner Gnaden in Anspruch nehmen, was ich allerdings für eher unwahrscheinlich halte.«

Vor Aufregung kreischend, klatschten Lobelia und Rue in die Hände. »Der Herzog von Avon ist ein so gebildeter und attraktiver Mann«, hauchte Rue.

»Kennst du ihn?« Fragend zog Isabelle eine ihrer blonden Augenbrauen hoch.

»Nein, nur gerüchteweise.«

»Damit meinst du den Gesellschaftsklatsch.«

»Nenn es, wie du willst.«

»Oh, wir müssen selbstverständlich für einen Ernstfall sorgen«, mischte sich Lobelia ein. »Dann wird uns der Herzog auf Arden Hall beehren und sich schrecklich in mich verlieben.«

»Und was ist mit mir?« fragte Rue.

»Ich bin die Älteste, deshalb steht der Herzog mir zu«, klärte Lobelia ihre Schwester auf. »Allerdings hat er noch zwei Brüder.«

»Stellt euch das vor«, seufzte Rue mit einem Blick auf Isabelle. »Ein Saint-Germain für jede von uns. Wir wären für immer als Schwestern vereint.«

»Der Gedanke ist ja so verführerisch«, meinte Isabelle ironisch und brachte Giselle zum Kichern. Sie drehte sich zu der alten Frau um. »Lach nicht über …« Isabelle biß sich auf die Lippe und tat so, als hätte sie nichts gesagt.

»Sie macht es schon wieder!« keifte Lobelia. »Kein Saint-Germain heiratet eine Frau, die Selbstgespräche führt.«

»Ich habe bloß laut gedacht«, behauptete Isabelle. Dann blickte sie zu ihrer Stiefmutter: »Ich kann die Geschäfte der Montgomerys auch ohne die Hilfe des Herzogs führen.«

»Trotzdem werde ich Seiner Gnaden schreiben und ihm für seine Hilfsbereitschaft danken«, verkündete Delphinia.

»Welch eine wunderbare Idee«, entfuhr es Isabelle. »Nimm Lobelia und Rue gleich mit, damit sie dir bei der Abfassung des Briefs behilflich sind.«

Nachdem ihre Stieffamilie gegangen war, lehnte sich Isabelle unglücklich seufzend in ihrem Sessel zurück. Jetzt würden die drei darauf drängen, daß sie für Geld, Kleider, eine Ballsaison in London und einen Ernstfall sorgte, damit der Herzog von Avon persönlich bei ihnen auftauchte. Das letzte, was sie gebrauchen konnte, war, daß sich der Herzog von Avon in die Angelegenheiten der Montgomerys einmischte.

»Gib ihnen das Geld, die Kleider und ihre Ballsaison«, riet ihr Giselle. »Dann vergessen sie den Herzog.«

Isabelle warf der Frau einen verärgerten Blick zu.

»Vielleicht aber auch nicht«, sinnierte die Alte. »Denk darüber nach, mein Kind. Feindseligkeit ist lediglich die Gelegenheit, seine eigenen Werte einzuschätzen.«

Isabelle erhob sich und schlenderte durch das Zimmer, um sich auf dem Boden vor dem Kamin niederzulassen. Sie lehnte ihren Kopf gegen das Bein der alten Frau.

»Ich vermute, daß mich Delphinia zu einer Eheschließung mit Nicholas deJewell zwingen will«, sagte Isabelle. »Wo ist denn dieser Prinz, der mich angeblich erretten wird?«

»Näher, als du denkst«, antwortete Giselle und strich ihr liebevoll übers Haar. »Laß ihm Zeit.«

»Zeit ist ein Luxus, den ich mir jetzt, da Miles auf der anderen Seite des Atlantiks weilt, nicht leisten kann«, erwiderte Isabelle.

»Mein Kind, du mußt lernen, dich in Geduld zu üben«, meinte die Alte. »Der Glaube kann Berge versetzen. Vielleicht ist der Herzog dein rettender Held.«

»Der Herzog von Avon ist kein Prinz.«

»Engel haben auch nicht unbedingt Flügel oder einen Heiligenschein«, bemerkte Giselle mit einem schelmischen Lächeln. »Und Prinzen tragen nicht zwangsläufig Kronen.«

Kapitel 2

Prinzen tragen nicht zwangsläufig Kronen, und Hexen haben nicht unbedingt Warzen auf der Nase … Manche Hexen sahen genauso aus wie ihre Stiefmutter.

Während sie durch den langen Flur im ersten Stock schritt, schoß Isabelle dieser aberwitzige Gedanke durch den Kopf. Delphinia hatte sie zu sich gebeten, und sie zweifelte keine Sekunde lang daran, daß sich ihr Gesprächsthema um Geld drehen würde oder, was noch schlimmer war, um die Eheschließung mit ihrem unsäglichen Neffen. Schon seit Jahren versuchte Delphinia, die Bande zwischen ihren beiden Familien enger zu knüpfen.

Als sie vor dem Salon ihrer Stiefmutter stand, umklammerte Isabelle das Medaillon mit dem Bildnis ihrer Mutter, klopfte zaghaft an die Tür und trat dann ein. Mit ihren veilchenblauen Augen fixierte sie Delphinia, die in einem Sessel vor dem Kamin saß. Jetzt wünschte sich Isabelle, daß sie Giselle nicht daran gehindert hätte, sie zu begleiten.

»Setz dich zu mir«, forderte Delphinia sie auf. »Ich habe Tee und Kekse für uns.«

Ja, manche Hexen sahen genauso aus wie ihre Stiefmutter, dachte Isabelle, während sie den Raum durchquerte. Sie setzte sich in den Sessel neben dem ihrer Stiefmutter. »Worüber möchtest du mit mir reden, Delphinia?«

»Ich werde nie begreifen, warum du dich immer geweigert hast, mich als deine Mutter zu akzeptieren«, bemerkte Delphinia mit betont mitleidheischendem Gesichtsausdruck.

Keinen Augenblick lang ließ sich Isabelle an der Nase herumführen. »Das ist eines der Geheimnisse des Lebens«, erwiderte sie und blickte ihre Stiefmutter fest an.

»Vermutlich.« Delphinia lächelte sie verunsichert an. »Möchtest du Tee und Kekse?«

»Nein danke. Falls es dir darum geht …«

»Ich habe dich nicht hierhergebeten, weil ich um Geld betteln wollte«, fiel ihr Delphinia ins Wort; dann wanderte ihr Blick zum Kamin. »Ich möchte mit dir über deine Verlobung mit Nicholas sprechen.«

»Ich liebe deinen Neffen nicht, und ich werde ihn niemals heiraten«, entgegnete Isabelle schroff. Sie hatte sich einer Verbindung mit Nicholas deJewell schon so häufig widersetzt, daß sie sich mittlerweile fragte, ob ihre Stiefmutter überhaupt die Bedeutung ihres Neins begriff.

Delphinia tat ihre Äußerung mit einer unwirschen Geste ab. »Jeder kann dir sagen, daß die Ehe nichts mit Liebe zu tun hat«, sagte sie. »Irgendwann wirst du den geschätzten Nicholas ebenso mögen wie ich.«

Nein, das werde ich nicht, dachte Isabelle, erwiderte jedoch nichts.

Schließlich erhob sich Delphinia und schlenderte ziellos durch das Zimmer, als versuchte sie, die richtigen Worte zu finden. Als sie erneut sprach, klang ihre Stimme geschäftlich nüchtern. »Ich habe mir erlaubt, einen Verlobungsvertrag aufsetzen zu lassen. Wenn Nicholas eintrifft, wirst du ihn unterzeichnen.«

»Nein, das werde ich nicht tun«, erwiderte Isabelle mit fester Stimme.

»Jetzt, da Miles im Ausland ist, bin ich dein Vormund«, erklärte Delphinia und baute sich vor Isabelles Sessel auf. »Nicholas ist ein attraktiver, charmanter Baron, den jede Frau liebend gern zum Ehemann hätte.«

»Jede Frau, nur ich nicht«, korrigierte Isabelle stirnrunzelnd. »Nicholas deJewell erinnert mich an ein Wiesel. Sein Anblick verursacht mir Magenschmerzen.«

Ohne jede Vorwarnung holte Delphinia mit der Hand aus und schlug ihr ins Gesicht. Aufgrund der Heftigkeit schnellte Isabelles Kopf zur Seite.

Noch nie hatte sie jemand geschlagen.

Während sie dagegen ankämpfte zurückzuschlagen, erhob sich Isabelle langsam. Sie berührte ihre schmerzende Wange und funkelte ihre Stiefmutter an.

»Gnade dir Gott für deine Grausamkeiten«, zischte sie voller Verachtung.

Noch ehe ihre Stiefmutter etwas erwidern konnte, drehte sich Isabelle auf dem Absatz um, marschierte auf die Tür zu und murmelte laut: »Nur ein Narr weist die Hand zurück, die ihn ernährt. Sie bekommt keinen Penny mehr von mir, und wenn sie mich auf Knien anfleht.« Daraufhin verließ sie den Salon und stürmte durch den Flur in ihr Zimmer.

Wie konnte ihre Stiefmutter es wagen, sie zu schlagen! Ganz egal, wie sehr man sie bedrängen würde, Isabelle war fest entschlossen, dieses Wiesel aus Redesdale niemals zu heiraten.

Nachdem sie in ihrem Zimmer angelangt war, verriegelte sie die Tür hinter sich. Falls Delphinia mit ihr reden wollte, würde sie durch die verschlossene Tür brüllen müssen.

»Schau, was sie angestellt haben«, seufzte Giselle.

Isabelle wirbelte herum und blickte mit Entsetzen auf das Chaos in ihrem Schlafgemach. Ihre Kleidertruhen standen offen, und deren Inhalt lag wahllos im Raum verstreut. Ihr Zimmer sah aus, als sei ein Orkan hindurchgefegt.

»Wer war das?« fragte Isabelle.

»Lobelia und Rue haben mitgenommen, was sie gebrauchen konnten, alles andere haben sie ruiniert«, erklärte Giselle und schüttelte mißfällig den Kopf. »Das wäre nie passiert, wenn du ihrer neuen Garderobe zugestimmt hättest.«

Isabelle durchquerte das Zimmer und hob ein veilchenblaues Kleid vom Boden auf. Miles hatte es ihr gekauft, damit sie es am Weihnachtsabend tragen sollte. Jetzt waren die Nähte irreparabel zerrissen.

Mit Tränen in den Augen umklammerte Isabelle das Kleid und setzte sich auf den Rand ihres Betts. Weihnachten würde kommen und gehen ohne ein neues Kleid und vor allem ohne Miles. War ihr vom Schicksal vorherbestimmt, immer einsam zu sein? Warum mußten die von ihr über alles geliebten Menschen – ihre Mutter, ihr Vater, ihr Bruder – entweder sterben oder sie verlassen?

»Es tut mir leid, mein Kind«, sagte Giselle, die neben ihr auf dem Bett saß. Die alte Frau strich tröstend über ihr blondes Haar. »Ich kann mich nicht in die Handlungen der anderen einmischen, ich kann dir lediglich Ratschläge geben.«

»Der Verlust einiger Kleider bedeutet mir nichts«, seufzte Isabelle betrübt. »Aber warum hat mich Miles erneut verlassen?«

»Dein Bruder wird noch früh genug zu dir zurückkehren«, erklärte Giselle.

Durch einen Tränenschleier blickte Isabelle zu der alten Frau, die seit ihrer Begegnung am Fluß Avon ihre einzige Freundin war. »Als mein Vormund wird Delphinia auf eine Eheschließung mit Nicholas drängen. Ich habe es so fürchterlich satt, stark sein zu müssen. Vielleicht ist diese Sache längst geschehen, wenn Miles zurückkommt. Ach, wo bleibt nur der dunkle Prinz, der mich deinen Worten zufolge erretten würde?«

»Geduld, mein Kind. Der Prinz wird kommen.«

»Wer ist er?«

Schulterzuckend blickte Giselle in die Kaminflammen.

»Weißt du es nicht?« fragte Isabelle, verärgert über den betrüblichen Tagesverlauf. »Was bist du nur für ein Engel?«

Abrupt drehte Giselle den Kopf und starrte sie an. »Gott allein ist allwissend, mein Kind. Tue Buße, denn du hast soeben eine Todsünde begangen.«

»Stolz, Mißgunst, Begierde, Trägheit, Zorn, Maßlosigkeit und Neid sind die sieben Todsünden«, zählte Isabelle ihrem Schutzengel auf, während ein angedeutetes Lächeln ihre Mundwinkel umspielte. »Frechheit gehört nicht dazu.«

Giselle zwinkerte ihr zu. »Ich bitte um Nachsicht.«

Isabelle grinste. »Mein Engel, du bist unverbesserlich.«

»Als deine Stiefschwestern ins Zimmer stürmten, habe ich das hier versteckt.« Giselle griff nach der unter dem Bett verborgenen Flöte. »Komm, wir schlendern zum Fluß und musizieren.«

»Später vielleicht.« Isabelle erhob sich vom Bett und nahm der alten Frau die Flöte aus der Hand. »Ich muß die gestrigen Rechnungen überprüfen. Hast du nicht Lust, mir im Arbeitszimmer Gesellschaft zu leisten?«

Mit einem zustimmenden Nicken folgte ihr Giselle aus ihrem Zimmer.

Als Isabelle den Flur im ersten Stockwerk betreten und den Weg nach links in Richtung ihres Arbeitszimmers eingeschlagen hatte, spürte sie, wie jemand beharrlich an ihrem Ärmel zupfte. »Was ist denn?« fragte sie mit einem Blick auf die knochige Hand ihrer Freundin.

»Erledige die Rechnungen später«, sagte die alte Frau.

»Erst die Arbeit und dann das Vergnügen.« Isabelle schüttelte den Kopf. »Ich muß die Rechnungsbücher ordnungsgemäß führen, um mir den Herzog von Avon vom Leib zu halten.«

»Ich habe mit angehört, wie Lobelia und Rue über den Herzog sprachen«, bemerkte Giselle mit einem verräterischen Grinsen. »Ich würde ihn gern in Augenschein nehmen.«

»Ich habe keineswegs den Wunsch, den Herzog kennenzulernen«, entgegnete Isabelle. »Geh allein zum Fluß, ich schließe derweil meine Rechnungsbücher ab.«

»Ich warte auf dich.«

Im Arbeitszimmer nahm Giselle ihren angestammten Platz vor dem Kamin ein. Isabelle setzte sich an den Schreibtisch und öffnete ihre Bücher.

»Möchtest du erfahren, was die beiden über den Herzog gesagt haben?« fragte Giselle.

Kopfschüttelnd blickte Isabelle auf. Als sie sich wieder ihrem Rechnungsbuch zuwandte, stellte sie fest, daß sie die Summen ein weiteres Mal überprüfen mußte.

»Wie ich gehört habe, soll der Herzog überaus attraktiv sein«, meldete sich Giselle erneut zu Wort. »Er hat rabenschwarzes Haar und ebensolche Augen.«

»Wie schön für ihn«, meinte Isabelle geistesabwesend; dann fiel ihr auf, daß ihre Addition falsch war.

»Die Frauen tun alles, um ihm zu gefallen.« Zum dritten Mal griff Giselle das Thema auf.

Isabelle blickte sie nicht einmal an, obwohl sie sich ohnehin nicht mehr konzentrieren konnte.

»Der Herzog ist der begehrteste englische Junggeselle und noch reicher als der König«, bemerkte Giselle.

Isabelle knallte ihren Federkiel auf den Schreibtisch und funkelte ihre Freundin an. »Ich kann meine Addition nicht beenden, wenn du mich ständig ablenkst.«

»Mein Kind, du mußt dich in Geduld üben«, riet ihr die Alte. »Das ist eine der …«

»Die Geduld gehört nicht zu den sieben Tugenden«, herrschte Isabelle sie an.

»Werde nicht schnippisch«, schalt Giselle. »Die Geduld ist ein Akt der Barmherzigkeit.«

Als Isabelle etwas entgegnen wollte, flog die Tür auf. Pebbles, der Majordomus der Montgomerys, betrat das Arbeitszimmer und verkündete: »Ein Gesandter von Avon Park ersucht um ein Gespräch mit Ihnen.«

Isabelle seufzte resigniert. Offensichtlich blieben die Rechnungsbücher an diesem Tag unerledigt.

»Bitten Sie ihn herein.«

»Kommen Sie, guter Mann«, brüllte Pebbles mit trichterförmig um den Mund gelegten Händen. »Machen Sie schnell, Mylady ist äußerst vielbeschäftigt.«

Aufgrund der unorthodoxen Methoden ihres Majordomus mußte sich Isabelle ein Kichern verkneifen. Sie liebte diesen alten Mann, der doch stets ihr Bestes im Sinn zu haben schien.

»Womit kann ich Ihnen dienen?« fragte Isabelle, als der Mann vor ihrem Schreibtisch stand.

»Mylady, der Herzog von Avon hat angeordnet, daß Sie morgen nachmittag mit den Rechnungsbüchern der Montgomerys auf Avon Park erscheinen sollen«, erklärte er mit einem hochnäsigen Unterton in der Stimme.

Trotz ihrer unsäglichen Verärgerung bedachte Isabelle den Mann mit einem honigsüßen Lächeln. »Wie lautet Ihr Name?«

Ihre Frage verunsicherte den Mann. Sich verlegen räuspernd, meinte er: »Wie bitte?«

»Wie heißen Sie?« wiederholte sie ihre Frage.

»Gallagher.«

»Sie sind der persönliche Gesandte Seiner Gnaden?« fragte sie.

»Genaugenommen bin ich der Kutscher Seiner Gnaden«, erklärte Gallagher, »aber dennoch einer seiner loyalsten Gefolgsleute.«

»Ah, im wahrsten Sinne des Wortes ein Faktotum«, grinste Isabelle. »Bitte teilen Sie Seiner Gnaden mit, daß sein Eingreifen in die Geschäfte der Montgomerys nicht erforderlich ist. Er soll sich um seine eigenen Angelegenheiten kümmern. Guten Tag, Mister Gallagher.«

»Diese Mitteilung kann ich ihm nicht überbringen«, stöhnte der Mann.

»Oh, aber das müssen Sie«, erklärte ihm Isabelle. »Exakt so lautet meine Antwort an Seine Gnaden.«

»Wie Sie wünschen.« Gallagher drehte sich auf dem Absatz um und marschierte auf die Tür zu.

Delphinia, die offensichtlich im Flur gelauscht hatte, stürmte an dem Gesandten vorbei in den Raum. »Wie k-kannst du es w-wagen!« stieß sie hervor. »Bist du von Sinnen?«

Ungerührt vom plötzlichen Auftauchen ihrer Stiefmutter, blickte Isabelle auf. »Wovon sprichst du überhaupt?«

»Von deiner Unverschämtheit gegenüber dem Herzog von Avon«, kreischte Delphinia mit vor Verärgerung hochrotem Gesicht.

»Ach das.«

»Willst du Lobelias und Rues zukünftiges Glück zerstören?« wollte ihre Stiefmutter wissen.

»Selbstverständlich nicht.«

»Der Herzog von Avon hat Zugang zu den exklusivsten Kreisen der Londoner Gesellschaft«, erklärte Delphinia. »Seine Freundschaft wäre hilfreich für uns. Du wirst umgehend eine Entschuldigung an ihn abfassen.«

Während Isabelle sich aus ihrem Sessel erhob, fixierte sie ihre Stiefmutter und verkündete schließlich: »Ich weigere mich, dem Herzog von Avon Einblick in die Geschäfte der Montgomerys zu gewähren.«

»Ich verlange, daß du dich entschuldigst«, wiederholte Delphinia mit zornerfüllter Stimme.

Isabelle beschloß, der Schimpftirade ihrer Stiefmutter ein Ende zu bereiten. Sie nahm ihre Flöte vom Schreibtisch und drehte sich zu Giselle um. »Heute arbeite ich nicht mehr. Sollen wir zum Fluß hinuntergehen und so lange musizieren, bis wir uns wieder beruhigt haben?«

»Ich dachte schon, du kämst nie auf die Idee.«

Während Isabelle den entsetzten Gesichtsausdruck ihrer Stiefmutter beobachtete, stürmte sie an ihr vorbei zur Tür.

Das letzte, was sie noch mitbekam, war Delphinias Äußerung: »Lobelia und Rue haben recht. Du bist verrückt.«

***

»Was haben Sie gesagt?«

Voller Zorn erhob sich John Saint-Germain aus seinem Sessel im Salon von Avon Park. Als er sich vor seinem Gefolgsmann aufbaute, wirkte der Herzog eher dämonisch als menschlich. Seine mitternachtsschwarzen Augen funkelten, und ein finsterer Ausdruck glitt über sein anziehendes Gesicht.

»Ich … ich … ich bin nur der Überbringer der Nachricht, Euer Gnaden«, stammelte Gallagher und trat verunsichert einen Schritt zurück. »Miss Montgomery hat gesagt …«

»Ich habe Sie bereits beim erstenmal verstanden«, herrschte John seinen Untergebenen an.

Gallagher kniff die Lippen zusammen.

»Es besteht absolut kein Grund, den Mann einzuschüchtern, nur weil er seine Arbeit verrichtet hat«, wandte eine Frauenstimme ein.

»Sie können gehen«, sagte John, nachdem er sich wieder unter Kontrolle hatte.

Während er den eiligen Rückzug seines Kutschers beobachtete, drehte sich John um und musterte die anderen Anwesenden im Salon. Seine Mutter schüttelte den Kopf, Tante Hester starrte ihn mit unverhohlenem Mißfallen an, und Ross bedachte ihn mit einem überaus unverfrorenen Lächeln.

»Ich lasse nicht zu, daß mir dieses unverschämte Gör zu verstehen gibt, ich solle mich um meine eigenen Angelegenheiten kümmern«, erklärte John.

Ross’ Lächeln verwandelte sich in ein breites Grinsen. »Wie kann man das verhindern, wenn sie es bereits getan hat?«

John warf seinem Bruder einen mißbilligenden Blick zu. Dann musterte er seine Mutter und seine Tante, die ihre Erheiterung zu verbergen versuchten.

Die Herzoginwitwe meldete sich zu Wort. »Das erinnert mich an eine Episode, als Johns Vater und ich…«

»Ich entsinne mich, Tessa«, unterbrach sie Tante Hester.

Aufgrund ihrer gemeinsamen Erinnerungen schmunzelten die beiden älteren Damen.

Johns Gesichtsausdruck wurde entspannter, als er sich seiner Mutter zuwandte. »Und was war damals?«

»Ich glaube fast, es war in der Nacht, als ich dich empfing«, erwiderte die Herzogin.

»Und was war in der Nacht, als du mich empfingst?« wollte Ross wissen.

In ihren Erinnerungen schwelgend, lächelte die Herzogin, blieb ihm jedoch eine Antwort schuldig.

Aufgrund ihres törichten Verhaltens verdrehte John die Augen und wandte sich seinem Bruder zu. »Ich bin der Vormund des jungen Mädchens, und ich trage die Verantwortung für die Finanzen der Montgomerys.«

»Dann solltest du vielleicht versuchen, ihr statt eines Befehls eine Einladung zu übermitteln«, schlug Ross vor.

»Ich würde die junge Dame gern einmal kennenlernen«, meinte die Herzoginwitwe.

»Ich auch«, bekräftigte Tante Hester.

»Sie ist blond«, erklärte ihnen John mit einem verbitterten Unterton in der Stimme. »Muß ich noch mehr sagen?«

»Nicht alle blonden Mädchen sind wie Lenore Grimsby«, meinte seine Mutter.

»Das bleibt abzuwarten«, erwiderte John. »Diese kleine Montgomery kann sich meiner Vormundschaft nicht so einfach entziehen.«

»Ich dachte, dir läge nichts an der Verantwortung«, meinte Ross gedehnt.

»Ich habe mein Ehrenwort gegeben, und ich beabsichtige, dazu zu stehen«, entgegnete John. »Ich reite nach Ar den Hall.« Mit diesen Worten durchquerte er den Salon in Richtung Tür.

»Soll ich dich begleiten?« fragte Ross.

»Danke, nein«, rief ihm John im Vorübergehen zu. Innerhalb von Minuten hatte er sich auf sein Pferd Nemesis geschwungen und galoppierte über den Hof.

An jenem Tag zeigten die Vorboten des Winters ihr unwirtliches Gesicht. Die Nachmittagssonne stach aus einer dünnen, grauen Wolkendecke hervor und schimmerte durch das goldene Novemberlaub, das den braunen Erdboden bedeckte. Ringsum hoben sich die nackten Zweige der Bäume wie dunkle Silhouetten gegen den Himmel ab.

Mit Ausnahme seines jährlichen Aufenthalts in Schottland gefiel John diese Jahreszeit am besten. Er konnte nach Avon Park zurückkehren, mit seiner Familie Zusammenleben und dem langweiligen Londoner Gesellschaftsleben den Rücken kehren.

Er war stets davon ausgegangen, daß er im Alter von dreißig Jahren glücklich verheiratet und Vater sein würde, doch Lenore Grimsby hatte seine Pläne gründlich durchkreuzt.

Nachdem er zwei Meilen entlang des Flusses Avon geritten war, lenkte John sein Pferd in das Waldgebiet. Als er ein ungewöhnliches Geräusch vernahm, brachte er Nemesis zum Stehen. Mit schiefgelegtem Kopf lauschte John und schmunzelte, als er schließlich erkannte, worum es sich handelte.

Jemand – nein, zwei Personen spielten Flöte. Die bezaubernde Melodie klang seltsam in dem einsamen Wald, und ihre Melancholie rührte an sein Herz.

Erneut gab John Nemesis die Sporen. Aufgrund einer unerwarteten Melodie in diesem Waldgebiet zu verharren, gehörte keineswegs zu seiner Planung für den heutigen Nachmittag. Er hatte noch ein Hühnchen mit dieser unverschämten Montgomery-Göre zu rupfen und ließ sich unter gar keinen Umständen von seinem Vorhaben abbringen.

Als er aus dem Waldstück preschte, lag das beeindruckende Anwesen Arden Hall vor ihm. Das aus der elisabethanischen Epoche stammende Herrenhaus war mit den hier gebräuchlichen Materialien erbaut worden – Holz aus den Wäldern von Ar den und dem hellen Sandstein aus Wilmcote. Die breite Auffahrt war mit dunkelroten Ziegeln gepflastert und besaß Einfriedungen aus grauem Stein. An einer Seite des Anwesens schlossen sich eine Kapelle und ein Friedhof an; an der anderen lag ein riesiger Park, in dem um diese Jahreszeit lediglich Bäume und Büsche wuchsen.

»Womit kann ich Ihnen dienen, Mylord?« fragte der Majordomus der Montgomerys, während er den Herzog in die Empfangshalle führte.

»Indem Sie mich zunächst einmal mit Euer Gnaden anreden«, meinte John blasiert und musterte sein Gegenüber von Kopf bis Fuß. »Ich bin der Herzog von Avon.«

»Verzeihung, Euer Gnaden«, entschuldigte sich der Majordomus, allerdings wirkte sein Gesichtsausdruck keineswegs zerknirscht.

»Willkommen auf Arden Hall, Euer Gnaden«, ertönte die Stimme einer Frau.

»Willkommen, Euer Gnaden«, flöteten zwei weitere weibliche Stimmen im Chor.

John wandte sich in Richtung des Begrüßungskomitees. Drei der unansehnlichsten Geschöpfe, die er jemals zu Gesicht bekommen hatte, versuchten sich im Hofknicks. Augenscheinlich hatten die beiden jüngeren Frauen das häßliche Aussehen ihrer Mutter geerbt. Selbst ihre Kleider saßen so schlecht, als gehörten sie eigentlich einer schlankeren Person.

Die Mutter der beiden trat auf ihn zu und begrüßte ihn mit den Worten: »Euer Gnaden, es ist uns eine Ehre, Sie auf Arden Hall willkommen zu heißen.«

»Danke, Mylady«, erwiderte John.

»Bitte nennen Sie mich Delphinia«, sagte die Frau. »Ich bin die Gattin des verstorbenen Grafen.« Sie deutete auf die beiden jüngeren Frauen und fügte hinzu: »Das sind meine Töchter, Lobelia und Rue.«

Ihre beiden Töchter machten abermals einen Hofknicks. Ihre respektvolle Haltung honorierend, nickte er unmerklich mit dem Kopf.

»Euer Gnaden, kommen Sie in den Salon und nehmen Sie eine Erfrischung zu sich«, meinte Delphinia mit einem einladenden Lächeln.

»Nein danke«, lehnte John ab. »Ich habe Geschäftliches mit Isabelle Montgomery zu klären. Würden Sie bitte so nett sein, sie zu holen.«

Mit ihrem Kichern zogen Lobelia und Rue seine Aufmerksamkeit auf sich.

»Im Augenblick ist Isabelle nicht hier«, erklärte Delphinia. »Darf ich …«

»Isabelle streift mit ihrer unsichtbaren Freundin durch den Wald«, unterbrach Lobelia ihre Mutter mit schnippischer Stimme.

Rue nickte zustimmend. »Isabelle ist vollkommen verrückt, Euer Gnaden.«

»Es ist nicht nett, wenn ihr so etwas sagt«, schalt Delphinia ihre Töchter. »Isabelle hat den Tod ihres Vaters nie verwunden.«

»Der Mann ist fast acht Jahre tot«, schnaubte Lobelia.

John blickte von den Töchtern zur Mutter. Ganz offensichtlich hatte Miles Montgomery recht gehabt. Seine Stieffamilie hatte nichts für seine Schwester übrig. Schlagartig war John froh, daß er sich einverstanden erklärt hatte, die Verantwortung für die Geschäfte der Montgomerys zu übernehmen.