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Kann ihre Liebe ihn retten? Der Historical-Romance-Roman »Lord meiner Träume« von Romance-Bestsellerautorin Patricia Grasso als eBook bei dotbooks. Einst brach Lord Roger Debrett der schönen Blythe das Herz, indem er sich für eine andere entschied – jetzt steht für ihn alles auf dem Spiel und nur eine Heirat mit Blythe kann ihn noch retten. Schließlich willigt Blythe ein, seine Frau zu werden, doch wie eine dunkle Wolke schwebt Rogers Vergangenheit über ihnen und erstickt jede Leidenschaft im Keim. Entschlossen beginnt Blythe für ihr Glück zu kämpfen – aber kann ihre Liebe stärker sein als das Schicksal? »Eine sehr romantische, abenteuerliche und geheimnisumwobene Geschichte. Humor und Sinnlichkeit sind Patricia Grassos Markenzeichen. Eine Autorin, die man nicht verpassen sollte; ein Buch, das man in Erinnerung behält.« Romantic Times Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der historische Liebesroman »Lord meiner Träume« von Romantik-Königin Patricia Grasso. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.
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Seitenzahl: 543
Über dieses Buch:
Einst brach Lord Roger Debrett der schönen Blythe das Herz, indem er sich für eine andere entschied – jetzt steht für ihn alles auf dem Spiel und nur eine Heirat mit Blythe kann ihn noch retten. Schließlich willigt Blythe ein, seine Frau zu werden, doch wie eine dunkle Wolke schwebt Rogers Vergangenheit über ihnen und erstickt jede Leidenschaft im Keim. Entschlossen beginnt Blythe für ihr Glück zu kämpfen – aber kann ihre Liebe stärker sein als das Schicksal?
Über die Autorin:
Als Schülerin las Patricia Grasso »Vom Winde verweht« – und war enttäuscht von dem unglücklichen Ende. Schließlich glaubt sie an die große Liebe und das Happy End! Deswegen schreibt sie nun selbst Liebesromane mit glücklichem Ausgang. Zunächst war das Schreiben für sie nur ein Ausgleich zum alltäglichen Arbeitsstress, inzwischen ist sie eine erfolgreiche Bestsellerautorin: Ihre Romane sind preisgekrönt, wurden in fünfzehn Sprachen übersetzt und in zwanzig Ländern veröffentlicht. Patricia Grasso lebt in der Nähe von Boston, Massachusetts.
Eine Übersicht über weitere Romane von Patricia Grasso bei dotbooks finden Sie am Ende dieses eBooks.
Die Autorin im Internet: www.patriciagrasso.com
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eBook-Neuausgabe Mai 2016
Dieses Buch erschien bereits 1998 unter dem Titel »Schön wie ein Schmetterling« bei Heyne.
Copyright © der Originalausgabe 1996 Patricia Grasso
Die amerikanische Originalausgabe erschien unter dem Titel »My Heart's Desire« by Dell Publishing.
Copyright © der deutschen Erstausgabe 1998 Wilhelm Heyne Verlag GmbH & Co. KG, München
Copyright © der Neuausgabe 2016 dotbooks GmbH, München
Dieses Werk wurde vermittelt durch Interpill Media GmbH, Hamburg. By arrangement with Books Crossing Borders, Inc. / Lachesis Publishing, Inc.
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Titelbildabbildung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/rosesmith und sivilla
eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH
ISBN 978-3-95824-651-5
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Patricia Grasso
Lord meiner Träume
Roman
Aus dem Amerikanischen von Ingrid Laufenberg
dotbooks.
Für die Frau, die mich davon überzeugt hat, daß Pasta, Pizza und Kuchen nur wenig Kalorien haben. Ich grüße dich, Tante Rose, und ›die Mandeln deiner Schwester‹.
Mein besonderer Dank gilt Gary Dascoli, dem ›Mr. Humanismus‹ der Everett High School, weil er mir so viel von seinem Wissen über die Alten Griechen vermittelt hat.
London, 1589
Er hatte sie schon immer geliebt.
Und sie lächelte ihn an. Selbst aus dieser Entfernung wärmte ihr strahlendes Lächeln sein Herz. Es war schon immer so gewesen.
Seit sie vor dreizehn Jahren in sein Leben getreten war, hatte Roger sie als die Schwester, die er niemals gehabt hatte, betrachtet und intensive Beschützergefühle für sie entwickelt. Sie erwiderte seine Zuneigung und überschüttete ihn mit kindlicher Bewunderung.
Roger Debrett stand in dem jetzt zur Sommerzeit üppig blühenden Garten des Grafen von Basildon und starrte über den weitläufigen Rasen das Mädchen an, das auf einer Steinbank im Schatten einer Trauerweide saß. Eine sanfte Brise spielte mit den ausladenden Ästen der Weide. Roger hielt einen Moment inne, um die feminine Gelassenheit des Mädchens zu bewundern. Sie erinnerte ihn immer an einen zarten, schwer zu fangenden Schmetterling. Seine Psyche, wie die Griechen so passend sowohl den Schmetterling als auch die Seele nannten.
Sie war inzwischen dreizehn Jahre alt und kein Kind mehr, dachte Roger. Bald würde sie eine weitere Schwelle des Lebens überschreiten und zur Frau werden. Und dann würden eifrige junge Freier in Scharen nach Devereux House drängen, um ihr den Hof zu machen.
Roger Debrett, Graf von Eden und der zweitreichste Mann in England, konnte sich alles kaufen, was ihm gefiel. Seit ihrer ersten Begegnung hatte ihm das Mädchen, das da unter der Weide saß, besser gefallen als alles andere. Und am allerbesten hatte ihm immer die bedingungslose Anerkennung gefallen, die sich in ihrem strahlenden Lächeln spiegelte.
Nur widerwillig beendete Roger diesen Augenblick und begann, über den Rasen auf sie zuzugeben. Er bewunderte den Garten des Grafen, ein wahres Paradies auf Erden. Niedrig geschnittene Hecken aus Thymian, Myrte und Gamander waren zu komplizierten Mustern gestaltet, zu denen Lavendel und Raute einen hübschen Gegensatz bildeten. Perfekt gepflegter Rasen bedeckte den Boden zwischen Reihen von Eiben, die so geschnitten waren, daß sie hohe Hecken bildeten. Rote Rosen, lila Jungfer im Grünen, weiße Lappenblumen und blaue Vergißmeinnicht blühten in einer übermütigen Mischung aus leuchtenden Farben. Und doch verblaßte diese Schönheit der Natur im Vergleich mit dem Mädchen.
Während Roger sie beobachtete, sah er unter ihrer fast noch kindlichen Unschuld die knospende Schönheit. Dieser Augenblick würde ihm immer als einer der schönsten Tage in seinem Leben im Gedächtnis bleiben. Er würde seinem kleinen Schmetterling ihr erstes erwachsenes Geburtstagsgeschenk überreichen und ihr dann die glückliche Neuigkeit mitteilen, daß er sich verlobt hatte. Oh, er konnte kaum abwarten, wie sie darauf reagieren würde.
Roger sah, wie sie den Kopf zur Seite neigte, als sei sie erstaunt darüber, daß er nicht näherkam. Er gab ihrem Lächeln nach und ging über den Rasen auf sie zu.
»Ich wußte, daß Ihr kommen würdet«, sagte sie und sah ihn mit den entwaffnendsten violetten Augen an, die er jemals gesehen hatte.
»Lady Blythe. Die süßeste Blume in diesem Paradies welkt neben Eurer ungewöhnlichen Schönheit.« Roger beugte sich förmlich über ihre ausgestreckte Hand.
Sein Kompliment schien ihr zu gefallen. Außerordentlich sogar. Er wollte den Augenblick nicht verderben, indem er sie schalt, aber er nahm sich vor, sie vor männlichen Schmeicheleien zu warnen.
»Wie geht es Elizabeths ›hochfliegendem Adler‹?« fragte sie und benutzte den Spitznamen, den die Königin ihm verliehen hatte.
»Euer strahlendes Lächeln heitert meinen Tag auf«, antwortete Roger. Dann neckte er sie: »Woher wußtet Ihr, daß ich Euch einen Besuch abstatten würde? Seid Ihr eine Zigeunerin, die die Zukunft voraussagen kann?«
»Zuviel der Ehre, Mylord.« Sie legte den Kopf zurück, um ihn in seiner vollen Länge anzusehen, denn mit einem Meter fünfundachtzig überragte er ihre zierliche Gestalt um dreißig Zentimeter. »Ihr vergeßt nie meinen Geburtstag.«
»Heute ist Euer Geburtstag?« Roger täuschte peinliche Bestürzung vor. Seine blauen Augen weiteten sich vor gespielter Überraschung. »Lieber Himmel, wie konnte ich einen so bedeutungsvollen Anlaß nur vergessen?«
Blythe lachte so melodiös, daß er sich an einen Singvogel erinnert fühlte. »Setzt Euch neben mich«, lud sie ihn ein und warf ihm einen koketten Blick unter ihren dichten schwarzen Wimpern zu.
Roger grinste. Er wußte, daß sie ihren ganzen Charme an ihm ausprobierte, aber es störte ihn nicht im geringsten.
Roger setzte sich neben sie, streckte seine langen Beine aus und betrachtete ihr perfektes Profil. Ihr ebenholzschwarzes Haar und ihre entwaffnenden violetten Augen verschworen sich mit üppigen Lippen und einer kleinen geraden Nase, um die Aufmerksamkeit eines jeden Mannes zu erregen. Ihr schwacher Duft nach Rosen reizte seine Sinne.
Blythe war zweifellos eine Schönheit. Er würde jeden unverschämten Kerl umbringen, der es wagen sollte, mit ihrem Herz zu spielen.
»Habt Ihr vor, mich den ganzen Tag auf mein Geschenk warten zu lassen?« fragte Blythe und warf ihm einen Blick zu, der wohl verführerisch sein sollte.
Roger hätte am liebsten gelacht. Stattdessen setzte er einen angemessen mißbilligenden Gesichtsausdruck auf und wies sie zurecht: »Liebe Psyche, Gier ziemt sich nicht für eine Dame.«
»Psyche?«
»Psyche ist griechisch für Schmetterling, und so seid Ihr mir immer vorgekommen –, wie ein hübscher, schwer zu fangender Schmetterling.«
»Psyche bedeutet auch Seele«, fügte sie mit einem zweideutigen Lächeln hinzu.
Ihre Worte überraschten ihn, obwohl er damit hätte rechnen müssen. Richard Devereux, der Graf von Basildon, hatte darauf bestanden, daß seine Töchter die gleiche Erziehung wie Söhne genossen.
»Versteht Ihr von Griechisch soviel wie von Mathematik?« neckte er sie.
»Ich spreche es ebenso fließend wie Archimedes«, antwortete sie. »Ich kannte ihn. Allerdings in einem anderen Leben.«
Roger lachte in sich hinein. »Manchmal sprecht Ihr wirklich die herrlich bizarrsten Gedanken aus.«
Mit beiden Händen ergriff Blythe seinen Unterarm. »Ratet, was Papa mir zum Geburtstag geschenkt hat«, sagte sie mit lebhafter Stimme, und ihre violetten Augen funkelten vor unverkennbarer Aufregung.
Ihre unverhohlene Freude bezauberte ihn. »Schmuck?«
Blythe schüttelte den Kopf.
»Ein neues Pferd?«
Wieder schüttelte sie den Kopf.
»Ich gebe auf«, sagte Roger lächelnd. »Was hat Euer Vater Euch geschenkt?«
»Ein wunderbares Schiff«, antwortete Blythe und schloß die Augen wie in vollkommener Verzückung, »Ein Schiff?« Roger konnte nicht glauben, was er gehört hatte. Was sollte ein Mädchen mit einem Schiff anfangen?
»Papa hat mir ein Schiff geschenkt und die Kontrolle über meinen eigenen Woll- und Getreideexport, unter der Bedingung, daß ich mich jede Woche mit ihm bespreche«, erzählte Blythe. »Ich habe mein Schiff Paralda genannt, zu Ehren des elementaren Gottes des Ostens. Papa sagt, wenn ich Gewinn mache, wird er mir zu meinem nächsten Geburtstag ein weiteres Schiff und einen weiteren Geschäftszweig schenken.«
Roger sah sie stirnrunzelnd an. Gewinn zu machen war eine männliche Domäne und ganz entschieden unweiblich. Was hatte sich Devereux nur dabei gedacht? Wie viele Familien würden hungern, wenn das junge Ding ihre Erzeugnisse schlecht verwaltete?
»Stimmt etwas nicht?«
Als Roger den zögernden Unterton in ihrer Stimme hörte, tätschelte er ihre Hand und versicherte ihr: »Mich überrascht nur das Geschenk Eures Vaters.«
»Ja, es ist in der Tat ein wundersames Geschenk.« Blythe warf ihm ein kokettes Lächeln zu und sagte: »Ich bin sicher, daß mir Euer Geschenk noch besser gefallen wird. Das heißt, wenn Ihr es mir überhaupt gebt.«
Roger zwinkerte ihr zu und zog eine rechteckige Schachtel aus seinem Wams. »Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, kleiner Schmetterling«, sagte er und gab ihr die Schachtel, während er sich vorbeugte und sie züchtig auf die Wange küßte.
»Danke, Mylord.« Eine schickliche Röte überzog ihre Wangen. Blythe strich mit einem Finger über den Deckel der Schachtel, als genieße sie die Vorfreude und Erwartung.
»Öffnet sie«, sagte Roger und beobachtete ihre Reaktion. Er wußte, daß er sich in diesem Jahr selbst übertroffen hatte.
Blythe hob den Deckel. »Heiliger Swithin«, rief sie, überrascht vom Anblick der herrlichen Halskette.
Das mit Edelsteinen besetzte Odinskreuz funkelte ihr auf schwarzem Samt entgegen. Das Kreuz hing an einer schweren Goldkette und war aus Diamanten gearbeitet mit einem einzigen Rubin in der Mitte. Amethyste bildeten den Kreis um das diamantene Kreuz.
»Das ist eine Kette für eine Königin«, sagte Blythe und blickte ihn an. Ihre Augen hatten dieselbe Farbe wie die Amethyste.
»Erlaubt mir«, sagte Roger. Er nahm die Kette aus der Schachtel und legte sie ihr um. Der mit Steinen besetzte Anhänger lag auf ihrer Brust.
Blythe berührte ihn mit ihrer rechten Hand. »Werdet Ihr jetzt von einer Heirat sprechen?« fragte sie sehr zu seiner Überraschung.
»Woher wißt Ihr das?«
»Weibliche Intuition.«
»Dreizehn Jahre alt und bereits eine große Dame?« neckte Roger.
Blythe schenkte ihm ein vielsagendes Lächeln und senkte scheu den Blick. Während eine tiefe Röte ihre Wangen überzog, informierte sie ihn: »Meine Menses hat eingesetzt. Das bedeutet, daß ich eine Frau bin.«
Roger überkam das überwältigende Verlangen, laut loszulachen, aber es gelang ihm, sich zu beherrschen. Er stand von der Bank auf, ging ein paar Schritte und sah in Richtung des Devereux House. »Lady Darnel hat meinen Heiratsantrag angenommen«, erzählte er ihr. »Sie ist drinnen und stattet Euren Eltern einen Besuch ab.«
»Darnel Howard?« wiederholte Blythe mit einer Stimme, die kaum lauter als ein Flüstern war.
Als Roger die Überraschung in ihrer Stimme hörte, wirbelte er herum und sah die plötzliche Veränderung in ihrem Verhalten. Eben noch war sie glücklich wie ein Schmetterling gewesen, der durch den Garten Eden flattert, und im nächsten Augenblick schien sie den Tränen gefährlich nah zu sein. Lieber Himmel, was sollte er tun, wenn sie zu weinen begann?
»Ihr könnt doch nicht Darnel Howard heiraten«, rief sie.
»Ich liebe Euch.«
Überwältigt und sprachlos durch diesen Schock starrte Roger ihr reizendes Gesicht an, in das die unbeschreibliche Verletzung wie gemeißelt schien. Er kannte sie seit ihrer Geburt, aber er hatte sie noch niemals so gesehen. Weshalb waren ihm die Anzeichen ihrer Schwärmerei entgangen?
Blythe stand auf und trat auf ihn zu. »Ich habe Euch immer geliebt«, verkündete sie, und Tränen glitzerten in ihren Augen.
Roger mußte schlucken, denn er hatte plötzlich einen Kloß im Hals. »Ich bin ein erwachsener Mann von fünfundzwanzig Jahren«, sagte er sanft. »Du bist noch ein Kind.«
Blythe trat einen Schritt zurück, als hätte er sie geschlagen. In ihrem feingeschnittenen Gesicht kämpften Wut und Qual miteinander.
»An meinem fünften Geburtstag habt Ihr mir versprochen, auf mich zu warten, bis ich erwachsen bin«, erinnerte sie ihn. »Ihr habt versprochen, mich zu heiraten.«
»Das war ein Scherz«, sagte Roger und stöhnte innerlich. »Leere Worte, um ein hübsches Kind zu besänftigen.«
Blythe erstarrte sichtlich bei seiner aufrichtigen Erklärung. »Ich werde Euch nie verzeihen, daß Ihr mein Vertrauen enttäuscht habt«, sagte sie mit schneidender Stimme. Und damit wandte sie ihm den Rücken zu.
»Blythe, ich liebe dich, so wie ein Bruder seine Lieblingsschwester liebt, wie ein Onkel …« Roger brach ab, denn er spürte, daß es falsch war, das zu sagen.
Roger suchte nach tröstlicheren Worten und blickte zum Himmel. Wolken waren aufgezogen und verdrängten die wärmenden Strahlen der Sonne. Ein plötzlicher Windstoß ließ die ausladenden Äste der Weide gegen seine Knöchel schlagen.
»Kleines, ich würde dir niemals vorsätzlich wehtun«, sagte Roger entschuldigend.
Blythe wirbelte herum und bat, wie nur eine Dreizehnjährige es tun konnte: »Dann schickt diese Frau fort und heiratet mich.«
»Ich liebe sie«, beharrte Roger und fuhr sich frustriert mit einer Hand durch die Haare. Wie konnte er erreichen, daß sie ihn verstand?
»Darnel Howard ist Eurer nicht wert«, schrie Blythe. Ihre Stimme war durch ihre offensichtliche Erregung lauter geworden.
Roger wurde klar, daß er die Unterhaltung nicht mehr unter Kontrolle hatte, und er weigerte sich, länger über diesen Punkt zu streiten. Er setzte ein strenges Gesicht auf und sagte: »Ich liebe Darnel Howard. Und im Oktober werde ich sie heiraten.«
»Und Ihr werdet diesen Tag bis an Euer Lebensende bereuen.« Blythe nahm die leere Schachtel, die sie noch in der Hand hielt, warf sie nach ihm und traf ihn mitten auf den linken Wangenknochen. Dann wandte sie ihm den Rücken zu und lief zum Kai ihres Vaters.
Roger spürte, wie sein Herz sich zusammenzog, und es tat weher als sein verletztes Gesicht. Ein schmerzliches Gefühl des Verlustes überkam ihn, als er sie Weggehen sah.
Sie würde ihm nie verzeihen, daß er sie zurückgewiesen hatte. Und sie würde ihn auch nie wieder so strahlend anlächeln. Roger wußte das so sicher, wie er wußte, daß die Wunde von der verdammten Geschenkschachtel blutete.
Er riß ein Taschentuch aus seinem Wams und drückte es auf seine blutende Wange. Ganz unerwartet schlug ein Zweig der Weide gegen die unverletzte Seite seines Gesichtes, als der Wind von der Themse her stärker wurde. Er sah nach oben und bemerkte die unheilvolle Dunkelheit des nachmittäglichen Himmels. Langsam und müde ging Roger durch den Garten auf das Herrenhaus zu.
***
Blythe kämpfte mit ihren Tränen und blieb dort stehen, wo der Kai auf die Themse traf. Sie schloß die Augen und atmete tief durch.
Der einzige Mann, den sie jemals geliebt hatte, heiratete eine andere Frau.
Wie konnte sie ohne ihn leben? Wie konnte sie seinen Anblick ertragen in dem Wissen, daß er einer anderen gehörte? Und wie sollte sie auf der anderen Seite überleben, ohne jemals sein geliebtes Gesicht wiederzusehen?
Blythe drehte sich um und sah, wie Roger zurück zum Haus ging. Mit dem erwachenden Instinkt einer Druidin wußte sie, daß sie füreinander bestimmt waren. Oh, warum konnte er das nicht erkennen? Nachdem sie einander in vielen Leben geliebt hatten, brachte die Große Muttergöttin sie jetzt wieder zusammen.
Blythe streckte leise flehend die Hände aus, als Roger im Haus verschwand, und heiße Tränen stiegen ihr in die Augen. Die Wolken über ihr wurden dunkler, und der Wind nahm zu.
Der Mann, den sie seit Anbeginn der Zeit liebte, liebte eine andere Frau.
Sie schluchzte auf. Und dann noch einmal. Blythe ergab sich ihrem Schmerz, senkte ihren Kopf und weinte um das, was sie verloren hatte.
»Weine nicht, Schwester«, sagte eine vertraute Stimme. »Sonst wird es regnen.«
Blythe hob den Kopf und sah durch ihre tränenverschleierten Augen die elfjährige Bliss. Ihre Schwester berührte ihren Arm, was ein widerwilliges Lächeln auf ihr Gesicht brachte.
»Läßt deine Berührung mich lächeln?« fragte Blythe.
Bliss nickte.
»Weinen ist manchmal notwendig, um die Seele zu reinigen«, sagte Blythe und nahm die heilende Hand ihrer Schwester von ihrem Arm.
Bliss schaute zu den bedrohlichen Wolken und schlug vor: »Dann laß uns unter der Weide sitzen. Ihre Äste werden uns vor den Elementen beschützen.«
Hand in Hand liefen Blythe und Bliss zurück zu der Weide. Mit Hilfe der Steinbank kletterte Blythe zuerst in den Baum und half dann ihrer Schwester herauf. Die beiden Schwestern ließen sich auf einem dicken Ast nieder und schauten durch die sich bewegenden Zweige zu dem Haus. In der Ferne half Lord Roger Lady Darnel auf ihr Pferd, während Graf Richard und Lady Keely danebenstanden.
Mit ihrem rechten Zeigefinger berührte Blythe ihr Herz und dann ihre Lippen und flüsterte: »O alte Weide auf dieser alten Erde, älter als ich sagen kann, gib mir deine Kraft, um diesen Zauber wirken zu lassen.« Dann zeigte sie mit dem Finger auf die brünette Schönheit, die auf dem Pferd saß.
Plötzlich fegte ein Wirbelwind durch die Gärten. Die dunklen Wolken gähnten, und Regen prasselte auf die Erde und die vier Erwachsenen in der Ferne nieder.
Lady Darnel stieß einen bestürzten Schrei aus und riß die Kapuze ihres Sommerumhangs hoch, während Lord Roger in den Sattel stieg. Der Graf und die Gräfin von Basildon zogen sich eilig in das Devereux House zurück.
»Hast du das gemacht?«
Blythe lächelte ihre Schwester von der Seite an und nickte.
Bliss kicherte und klatschte vor Freude in die Hände. »Lady Darnel hat ausgesehen wie eine nasse Katze. Aber ich glaube, Mutter wird dieser Einsatz deiner Gabe für eine solche Kleinigkeit nicht gefallen.«
Blythe schloß für einen Moment die Augen und flüsterte: »Danke, o wundersame Weide, daß du mir deine Kraft gegeben hast.«
Zehn Minuten später hörte der Regen abrupt auf, und nach weiteren fünf Minuten erspähten die Schwestern ihre Mutter, die wie ein General auf die Weide zukam.
»Da kommt sie«, sagte Bliss überflüssigerweise und warf Blythe einen ›Ich hab’s dir ja gesagt‹-Blick zu.
Blythe schluckte nervös. Ihre Mutter schien nicht besonders glücklich.
»Kommt runter!« Lady Keely wandte sich an die Elfjährige, nachdem die Mädchen vor ihr auf dem Boden gelandet waren, und befahl: »Ich möchte allein mit deiner Schwester sprechen. Geh zurück ins Haus.«
»Immer wenn’s interessant wird, muß ich gehen«, beschwerte sich Bliss, ging aber zum Haus, ohne daß es ihr ein zweites Mal gesagt werden mußte.
»Wenn du deine Gabe so ungeniert einsetzt, wirst du die Göttin mit Sicherheit verärgern«, sagte Lady Keely und wandte ihre Aufmerksamkeit ihrer ältesten Tochter zu.
»Es tut mir wirklich leid«, entschuldigte sich Blythe. »Aber Roger …« Sie brach schluchzend ab, unfähig, ihre aufgewühlten Gefühle länger zu beherrschen.
Lady Keely setzte sich auf die Steinbank unter der Weide und sagte: »Komm her, Liebes.«
Blythe setzte sich und legte den Kopf an die Schulter ihrer Mutter. »Du hast gesagt, daß Roger mir gehören würde«, schluchzte sie. »Du hast gesagt, daß unser Schicksal in den heiligen Steinen geschrieben steht. Wußtest du nicht, was wirklich geschehen würde?«
»Druide zu sein, bedeutet zu wissen«, sagte Lady Keely und hob das Kinn ihrer Tochter. »Im Augenblick deiner Empfängnis hat der Wind mir deine Bestimmung zugeflüstert, und diese Bestimmung ist Roger Debrett. Vertraue mir, Liebling, denn ich habe es gesehen.«
Blythe gelang ein unsicheres Lächeln. Sie vertraute ihrer Mutter zweifellos. Nur hatte sie nicht erwartet, daß Darnel Howard Rogers Herz erobern würde, bevor sie es tat.
»Bitte erzähl mir die Geschichte noch einmal«, sagte Blythe.
»Vor langer Zeit hielten die geflügelten Wesen der Luft eine große Versammlung ab«, sagte Lady Keely lächelnd. »Sie beschlossen, daß die Herrschaft über alle Wesen mit Flügeln, seien es Vögel oder Insekten, dem zustünde, der am höchsten fliegen konnte. Der majestätische Adler wurde natürlich sofort der Favorit und begann seinen Flug auf die Sonne zu. Er stieg hoch über die anderen und verkündete seine Herrschaft über sie. Ein kluger Schmetterling, der sich in den Federn des Adlers versteckt hatte, tauchte plötzlich unerwartet unter seinen Schwingen auf. Er flog einen Zentimeter höher als der Adler und piepste: ›Geschöpfe mit Flügeln, schaut her und seht eure Königin.‹
»Nicht daran gewöhnt, so hoch zu fliegen, begann der Schmetterling zu fallen. Der Adler war amüsiert von der weiblichen List des Schmetterlings, streckte seine Schwingen aus und fing ihn auf, bevor er zu Tode stürzte.«
»Und gemeinsam herrschten der Adler und der Schmetterling über die Lüfte«, fügte Blythe hinzu, denn sie kannte die Geschichte auswendig. »Und von da an konnte man den majestätischen Adler und seinen klugen Schmetterling – seine Seele – immer gemeinsam über den Horizont gleiten sehen.«
»Roger ist der hochfliegende Adler der Königin, und du bist sein kluger Schmetterling«, beendete Lady Keely die Geschichte.
Da mußte Blythe lächeln.
»Ich habe ein Geburtstagsgeschenk für dich«, sagte Lady Keely und griff in ihre Tasche.
»Er ist wunderschön«, sagte Blythe und betrachtete den goldenen Ring, den ihre Mutter ihr an den rechten Zeigefinger steckte. Eingraviert in die glatte Oberfläche war ein Schmetterling, der auf der Schwinge eines Adlers saß.
»Gemeinsam werdet ihr, Roger und du, zum Paradies aufsteigen und noch darüber hinaus«, sagte Lady Keely. »Mach dir nie wieder Sorgen wegen Darnel Howard.«
»Ich liebe dich«, sagte Blythe und umarmte ihre Mutter.
»Und ich liebe dich, mein Schatz.«
Lady Keely betrachtete das diamantene Odinskreuz, das ihre Tochter trug. Sie drehte es um, und als sie sah, was auf der Rückseite des Anhängers stand, mußte sie lächeln.
»Hier ist der Beweis für meine Worte«, sagte die Gräfin.
Blythe sah die Inschrift an: Und dich habe ich erwählt. Verwirrt von diesem Gedanken fragte sie: »Warum sollte Roger diese Worte in meine Kette gravieren, wenn er vorhat, Darnel Howard zu heiraten?«
»Die Wege der Göttin sind seltsam«, sagte Lady Keely mit einem Schulterzucken. »Vertraue ihr immer und zweifle nie daran, daß Lord Roger eines Tages dir gehören wird. Mit diesen Worten hat er seinen Weg im Leben gewählt.«
Blythe lächelte. Sie war wieder glücklich. Der Mann, den sie schon immer geliebt hatte, würde ihr gehören. Die Göttin hatte ihr Schicksal beschlossen.
»Außer im Notfall, ist es ein Mißbrauch deiner Kräfte, den Wind zu deiner eigenen Befriedigung zu manipulieren«, erinnerte Lady Keely sie mit strenger Stimme. »Habe ich mich klar ausgedrückt?«
Blythe nickte.
»Und eine Geschenkschachtel dem Schenkenden ins Gesicht zu werfen, ist unverzeihlich«, fuhr die Gräfin fort. »Es ist Sünde, Gewalt gegen andere zu üben.«
»Ich werde mich schriftlich bei Roger entschuldigen«, versprach Blythe.
»Gib mir den Brief, wenn du ihn geschrieben hast. Ich werde ihn nach Debrett House senden«, sagte Lady Keely und stand von der Steinbank auf. Sie machte eine kleine Pause und fügte dann hinzu: »Du wirst Roger erst Wiedersehen, wenn der Augenblick gekommen ist, daß der Schmetterling sich auf der Schwinge des Adlers niederläßt.«
Blythe beobachtete, wie ihre Mutter zum Haus zurückging, und legte ihre rechte Handfläche über das Kreuz. Neue Hoffnung stieg in ihr auf. Roger würde ihr gehören. Sie spürte es mit ihrem aufkeimenden Druideninstinkt.
Und dich habe ich erwählt.
Diese fünf Worte ewiger Liebe klangen in ihrem Herzen, ihren Gedanken und ihrer Seele wider.
Blythe lächelte. Ja, der Adler der Königin und sein Schmetterling – seine Seele – würden zum Paradies aufsteigen und noch darüber hinaus. Ihre Mutter hatte es gesehen, und was immer ihre Mutter sah, geschah auch. Immer.
Der Wind im Garten ihres Vaters wurde zu einer schmeichelnden Brise, und die Sonne sah hinter den Wolken hervor.
Blythe war wieder glücklich.
April 1594
Staubig und müde öffnete Roger Debrett die Tür zu seinem Zimmer und trat ein. Die Reise vom Stammsitz seiner Vorfahren, Eden Court, war lang und strapaziös gewesen, aber es war ihm gelungen, Whitehall Palace rechtzeitig zu Königin Elizabeths Saint George’s Day Gala zu erreichen. Er brauchte jetzt erst mal einen starken Drink und ein heißes Bad, dann konnte er der Welt gegenübertreten.
»Du bist schon zurück?« fragte die brünette Schönheit, die ihr Ebenbild im Spiegel bewunderte.
Roger lüftete seinen Hut und sah seine Frau kurz aus den Augenwinkeln an, antwortete jedoch nicht. Stattdessen durchquerte er das Zimmer bis zu dem Tisch, wo er sich einen Whisky eingoß. Roger führte das Glas an seine Lippen und trank die bernsteinfarbene Flüssigkeit in einem Schluck. Dann schenkte er sich noch einmal nach und drehte sich um, um sie anzusehen. Sie putzte sich vor dem Spiegel heraus, als sei sie unfähig, die Trennung von ihrem makellosen Ebenbild zu ertragen.
»Ich wette, das war die schnellste Zeit, in der jemals die Strecke von Winchester zurückgelegt wurde«, sagte Darnel, ohne ihn auch nur eines Blickes zu würdigen. »Vielleicht sollte Elizabeth dir einen Orden dafür verleihen.«
»Tut mir leid, wenn ich dich enttäuschen muß«, antwortete Roger und prostete ihr mit seinem Glas schweigend, aber spöttisch zu. »Du wirst dir wohl für dein nächtliches Rendezvous mit deinem derzeitigen Liebhaber eine andere Unterkunft suchen müssen.«
Darnel Debrett lächelte süffisant und wandte dann ihre Aufmerksamkeit ihrer Zofe zu, die ein Kästchen mit Schmuck zu ihrer Prüfung bereithielt. Darnel nahm eine Smaragdkette hoch, hielt sie an ihren Hals und warf sie dann achtlos wieder zurück. Sie konzentrierte sich auf die Juwelen, als hinge die Sicherheit des Königreiches davon ab, welche Kette sie trug. Schließlich entschied sie sich für den diamantenen Halsreif.
»Ich möchte baden und mich umziehen«, sagte Roger. »Schick das Mädchen weg.«
»Laß uns allein«, entließ Darnel ihre Zofe.
»Soll ich auf Euch warten, Mylady?«
Darnel sah Roger aus dem Augenwinkel abschätzend an, bevor sie antwortete. »Nein, es wird spät werden heute nacht.«
Die Zofe machte einen kleinen Knicks und verließ das Zimmer. Die Tür fiel hinter ihr ins Schloß.
Roger zog seinen Wams aus und warf ihn zur Seite. Dann hielt er inne, um seiner Frau zuzusehen, die letzte Hand an ihre Erscheinung legte.
Vor langer Zeit hatte er sie mehr geliebt als sein Leben, dachte Roger bitter. Wie unglaublich naiv er doch gewesen war. Nachdem sie von ihm schwanger geworden war, hatte Darnel ihn wegen seines Vermögens geheiratet und ihn in diesem Fiasko gefangen, das sich als Ehe ausgab. Und noch schlimmer war, daß ihre amourösen Abenteuer jetzt drohten, Schande über den ehrenwerten Namen Debrett zu bringen.
»Dieses Kleid ist sehr tief ausgeschnitten, selbst für die Verhältnisse bei Hof«, bemerkte Roger. »Hast du vor, heute abend ein paar Höflinge zu stillen?«
»Sei nicht so ordinär«, schnauzte Darnel. »Außerdem, interessiert es dich wirklich, was ich trage?«
»Es hat mich einmal interessiert«, sagte Roger sanft und hielt den Blick ihrer dunklen Augen im Spiegel fest.
»Phh! Es hat dich so sehr interessiert, daß du den Goldschmied angewiesen hast, in meinen Verlobungsring die ach so romantische Feststellung Meiner besonderen Freundin einzugravieren«, schoß Darnel zurück, offensichtlich unberührt von dem Bedauern in seiner Stimme.
Roger lächelte freudlos. »Ich habe dir schon mindestens tausendmal gesagt, daß der Goldschmied deinen Ring mit dem Geburtstagsgeschenk für Blythe Devereux verwechselt hat. Außerdem hat dir mein Gold seitdem hundert neue Ringe gekauft.«
»Deine Erklärung zählt nicht mehr.«
»Nein, offensichtlich nicht.«
Darnel wandte sich abrupt von ihrem Spiegelbild ab, durchquerte das Zimmer und stellte sich vor ihn. »Nun, du hast mich seit Jahren nicht mehr angerührt«, sagte sie mit einem anklagenden Unterton in der Stimme.
»Ich habe immer etwas weniger bereiste Straßen bevorzugt«, sagte Roger zu ihr. Seine Stimme war absichtlich kalt, während er in ihren üppigen Ausschnitt starrte.
Darnel hob ihre Hand, um ihn zu schlagen. Mit blitzschnellem Reflex packte Roger ihr Handgelenk und riß sie gegen seinen harten, unnachgiebigen Körper.
»Zwing mich nicht zu überstürztem Handeln«, warnte er.
»Erspar mir deine leeren Drohungen«, sagte Darnel mit schneidender Stimme und hielt seinem Blick stand. »Jeder bei Hofe glaubt, daß du der gefährliche hochfliegende Adler der Königin bist, jederzeit bereit, auf die Unvorsichtigen niederzustoßen, aber ich weiß es besser. Du kannst ja nicht mal einer Fliege etwas tun.«
»Mit der richtigen Dosis Provokation ist jeder von uns zu Gewalt fähig«, konterte Roger, ließ dann aber ihr Handgelenk los und verschränkte seine Arme vor der Brust, damit er sie nicht schlug.
Darnel grinste höhnisch und warf ihm einen ›Hab’ ich ja gleich gesagt‹-Blick zu. Sie zog sich auf die andere Seite des Zimmers zurück.
»Miranda und Mrs. Hartwell sind sicher in Eden Court«, sagte Roger im Plauderton. »Miranda freut sich schon darauf, daß wir drei den Sommer gemeinsam in Winchester verbringen werden, wie eine richtige Familie.«
Darnel starrte ihn ausdruckslos an.
»Du erinnerst dich doch an unsere Tochter Miranda?« fragte er.
»Ich werde diesen Sommer nicht in Winchester verbringen«, informierte sie ihn. »Ich habe beschlossen, die Königin auf ihrer Reise zu begleiten.«
»Du hast Miranda seit dem Tag ihrer Geburt kaum angesehen«, sagte Roger. »Du wirst den Sommer gemeinsam mit ihr auf Eden Court verbringen.«
»Ich glaube nicht«, antwortete Darnel. »Vielleicht nächstes Jahr.«
»Und wer ist im Moment der Glückliche?« fragte Roger. »Edward deVere? Dudley Margolin? Einer meiner eigenen Brüder?«
»Jeder von ihnen wäre dir vorzuziehen«, antwortete Darnel. »Eine Dame genießt und schweigt, weißt du.«
»Du bist keine Dame«, sagte Roger.
Darnel lächelte über seine machtlose Beleidigung. »Willst du damit andeuten, daß du dir keine Geliebte nimmst?«
»Ich bin wohl kaum zölibatär«, gab Roger zu. »Trotzdem solltest du dich damit abfinden, den Sommer mit Miranda und mir in Winchester zu verbringen. Auch ich bin hier bei Hofe und schaffe es trotzdem, unsere Tochter fünfmal die Woche zu sehen. Du hast sie zum letztenmal enttäuscht. Die einzig akzeptable Entschuldigung für deine Abwesenheit wäre dein vorzeitiges Ableben.«
»Ich habe dir doch gerade gesagt, daß ich an der Sommerreise der Königin teilnehmen werde«, sagte Darnel. »Meine Tochter wird das verstehen.«
Der abfällige, beinahe geheimnisvolle Unterton versetzte Roger sofort in Alarmbereitschaft. Er durchquerte das Zimmer, packte ihren Arm und wirbelte sie herum. »Was meinst du mit ›meine‹ Tochter?« wollte er wissen.
Darnel lächelte. Offensichtlich gefiel es ihr, daß sie es geschafft hatte, die Mauer zu durchbrechen, die seine Gefühle schützte. »Miranda ist meine Tochter, weil sie aus meinem Körper kam. Und was ihren Vater betrifft ...«, sie zuckte die Schultern,»... ich war bereits schwanger, als wir heirateten. Miranda könnte auch von jemand anderem gezeugt worden sein.«
»Lügnerin«, sagte Roger zornig.
»Bin ich das?«
Mit einer blitzartigen Bewegung packte Roger sie am Hals. Wie einfach es wäre, das Leben aus diesem betrügerischen Körper zu pressen.
»Dein Tod ist den Gang zum Galgen nicht wert«, sagte Roger und ließ seine Hand sinken. »Miranda ähnelt mir. Gib es zu, du möchtest einen Schatten über meine Liebe zu ihr legen. Du haßt mich so sehr, daß du es nicht ertragen kannst, wenn meine eigene Tochter mich liebt. Sie würde dich auch lieben, wenn du ihr ein bißchen mehr Aufmerksamkeit schenken würdest.«
»In einem Punkt hast du recht: Ich hasse dich.« Mit diesen Worten ging Darnel auf die Tür zu. »Du brauchst nicht auf mich zu warten, mein lieber Mann. Vielleicht tanze ich die ganze Nacht durch.«
»Wohl tanzen im Bett«, erwiderte Roger grob.
Darnel warf ihm einen vernichtenden Blick zu. Die Tür knallte hinter ihr zu.
Roger goß sich noch einen Whisky ein. Er prostete mit seinem Glas dem leeren Zimmer zu und murmelte: »Wenn diese Hure doch nur ein für allemal aus meinem Leben verschwinden würde.«
Eine Stunde später stand Roger im Eingang zu Königin Elizabeths Audienzsaal. Die besten Musiker Englands standen an einer Seite des riesigen rechteckigen Raumes und spielten auf den unterschiedlichsten Instrumenten. An der Wand gegenüber dem Eingang saß Königin Elizabeth in einem Sessel auf einem Podium, das mit orientalischen Teppichen bedeckt war. Die Mitte des Raumes war fürs Tanzen reserviert.
Wams, Hose und Accessoires in goldenem Brokat, blaue Seide oder braunroter Samt harmonisierten bei jedem Edelmann. Ohrringe, gearbeitet aus Gold und wertvollen Steinen, baumelten von ihren Ohren, und Rouge färbte manch männliche Wange. Die Edelfrauen trugen skandalös tief ausgeschnittene Kleider und schmückten sich mit sämtlichen unschätzbaren Juwelen, die sie besaßen.
Roger erschien ganz in schwarz gekleidet wie ein Raubvogel, der in ein Land voller bunter Pfauen eindrang. Er starrte in die edle Schar und entdeckte die einzige andere ebenfalls schwarz gekleidete Person: Richard Devereux, sein glorreicher Mentor, mit seiner Gräfin, Lady Keely.
In der Absicht, mit ihnen zu sprechen, hob Roger seine Hand in schweigendem Gruß und ging auf sie zu. Er hatte kaum fünf Schritte getan, als eine Hand auf seinem Arm ihn aufhielt.
Roger sah auf die Hand der Frau und hob den Blick zu der üppigen Rothaarigen, seiner Geliebten. Er warf ihr ein entwaffnendes Lächeln zu, das ihren Herzschlag beschleunigte.
»Willkommen am Hof, Mylord«, begrüßte die fünfundzwanzigjährige Lady Rhoda Bellows ihn.
»Danke, Mylady.« Roger beugte sich über ihre Hand und fragte dann neckend: »Und wie geht es Eurem Mann?«
Lady Rhoda lächelte katzenhaft. »Den armen Reggie haben die heutigen Aktivitäten so ermüdet, daß er sich für den Rest des Abends zurückgezogen hat.« Ihre Stimme wurde zu einem Flüstern, und sie fügte hinzu: »Ich könnte Euch später treffen.«
»Ich bin direkt von Winchester hergeritten, um Euer schönes Gesicht zu sehen«, sagte Roger weich. »Unglücklicherweise habe ich meine Energie erschöpft. Könnten wir uns vielleicht morgen treffen?«
»Ja, aber Ihr werdet niemals wissen, wie enttäuscht ich bin«, antwortete Lady Rhoda.
»Ich bin sicher, daß ich noch enttäuschter bin«, versicherte Roger. »Ich fürchte jedoch, daß meine Müdigkeit mich in Verlegenheit bringen würde.« Er warf einen schnellen Blick durch den Raum und fügte hinzu: »Ich würde mich gerne mit Devereux besprechen, bevor ich mich zurückziehe. Würdet Ihr mich entschuldigen?«
»Bis morgen.« Lady Rhoda ging.
Wieder machte Roger sich auf den Weg zu seinen Freunden, blieb aber stehen, als er hörte, wie jemand seinen Namen rief. Er drehte sich zu der Stimme um und erblickte Lady Sarah Sitwell, seine andere Mätresse, die auf ihn zukam. Mit blonden Haaren und blauen Augen war die siebenunddreißig Jahre alte Lady Sarah eine sensationell gutaussehende Frau und dankbar dafür, die Aufmerksamkeit eines jüngeren Mannes genießen zu können.
»Wie reizend Ihr heute abend ausseht.« Roger beugte sich förmlich über ihre Hand, während er ihr das Kompliment machte. Er ließ seinen Blick auf ihrem Dekolleté ruhen, lächelte und fügte hinzu: »Der Schnitt Eures Kleides betont die Vollkommenheit Eurer herrlichen Brüste, Mylady.«
»Werdet Ihr heute abend Zeit für ein intimes Abendessen auf meinem Zimmer haben?« fragte Lady Sarah, der seine Worte offensichtlich gefielen.
»Ihr führt mich in Versuchung«, antwortete Roger geschmeichelt. »Unglücklicherweise bin ich direkt von Winchester hergeritten. Den einzigen Genuß, den ich mir heute abend gönnen kann, ist diese Augenweide. Könnten wir morgen zusammen essen?«
»Natürlich. Ihr wäret keine gute Gesellschaft, wenn Ihr einschlafen würdet«, antwortete Lady Sarah.
»Mylady, Euer Verständnis wird nur noch von Eurer Schönheit übertroffen«, bemerkte Roger.
»Würdet Ihr gerne tanzen?«
»Morgen, Liebste.« Er warf einen schnellen Blick in Richtung des Earl von Basildon. »Im Moment würde ich mich gerne mit Devereux unterhalten.«
Lady Sarah neigte den Kopf in einer Geste des Abschieds. »Dann, Mylord, laßt Euch von mir nicht länger aufhalten.«
Roger küßte ihr wieder die Hand und ging. In der Hoffnung, daß keine weitere Frau seinen Weg kreuzen würde, steuerte er auf den Grafen und die Gräfin von Basildon zu.
»Ihr seid bei den Damen ja inzwischen hoch im Kurs«, neckte Lady Keely ihn, als er sie erreichte. »Ich kann mich noch daran erinnern, wie Ihr als zwölfjähriger Page Aphrodisiaka gekauft habt.«
»Ich würde diese Weibsbilder kaum als Damen bezeichnen«, entgegnete Roger und beugte sich über ihre Hand. Er schüttelte die Hand des Grafen und fragte: »Wie läuft unsere Levant Trading Company?«
»Sie floriert über alle Erwartungen hinaus«, antwortete Richard Devereux. »Würdet Ihr Keely Gesellschaft leisten, während ich mit der Königin tanze?«
»Es ist mir ein Vergnügen.« Roger beobachtete, wie der Graf wegging, und bemerkte: »Es überrascht mich, Euch hier zu sehen.«
»Ich gehe immer zur Saint George’s Day Gala der Königin«, antwortete Lady Keely. »Es ist ein ärmlicher Ersatz für meine Abwesenheit bei ihrer jährlichen Rundreise im Sommer.«
»Seit Mirandas Geburt verbringe ich jeden Sommer mit ihr in Winchester«, sagte er. »Weshalb nehmt Ihr und Richard nie an der Reise der Königin teil?«
»Aus demselben Grund«, antwortete sie. »Wir besuchen meinen Bruder in Wales, weil ich es nicht ertragen könnte, für die Dauer der Reise von meinen Kindern getrennt zu sein.«
Roger nickte verständnisvoll. Wie verschieden die Liebe dieser Mutter zu ihren Kindern doch von der Einstellung seiner Frau war.
»Würdet Ihr gerne tanzen?« fragte er und drehte sich um, um die anderen Höflinge zu beobachten.
»Ich würde mich lieber unterhalten«, antwortete sie. »Im Moment braucht Ihr einen mitfühlenden Freund.«
Roger wandte den Kopf und starrte sie an. Woher sollte sie wissen können, welches Leid sein Herz schwer machte?
»Ihr scheint Sorgen zu haben«, erklärte Lady Keely, als könnte sie seine Gedanken lesen.
Roger sah die vorbeiziehenden Tänzer an. Seine Frau, bemerkte er, hatte den Partner gewechselt. Jetzt flirtete sie mit Edward deVere, dem Earl von Oxford, seinem erbittertsten Rivalen um die Achtung der Königin.
»Nun sagt schon, Roger«, befahl Lady Keely mit ruhiger Stimme. »Was macht Euch Sorgen?«
»Ich hätte sie niemals heiraten dürfen«, gestand er und machte eine Handbewegung zu seiner Frau hinüber. »Sie ist eine schamlose Hure und entschlossen, Schande über den Namen Debrett zu bringen. Aus dieser Verbindung ist nichts Gutes und Schönes hervorgegangen.«
»Und was ist mit Miranda?«
»Ja, meine Tochter entschädigt mich für manches«, stimmte Roger zu. »Zu schade, daß meine Frau sich überhaupt nichts aus ihr macht.«
»Ich bin sicher, daß Darnel ihr einziges Kind liebt«, widersprach Lady Keely. »Der äußere Eindruck kann durchaus täuschen, wißt Ihr.«
Roger nickte und blickte zur Tanzfläche. Plötzlich packte ihn die Wut, als er sah, wie Edward deVere sich über Darnel beugte und sie auf den Hals küßte.
»Entschuldigt mich …« Roger machte eine Bewegung auf sie zu.
»Verursacht keinen Skandal in Anwesenheit der Königin«, warnte Lady Keely ihn und streckte ihre Hand aus, um ihn aufzuhalten.
»Ich beende diesen Skandal«, sagte er und schüttelte ihre Hand ab.
Eiserne Entschlossenheit lag auf seinem Gesicht, als Roger auf die Tanzfläche ging. Er drängte sich durch die zahlreichen Paare, die aufhörten zu tanzen und sein unerhörtes Verhalten beobachteten.
Roger ignorierte Oxford und riß seine Frau herum, so daß sie ihn ansehen mußte. »Die Party ist vorbei«, sagte er. »Geh sofort in unser Zimmer zurück.«
»Das tue ich nicht«, rief Darnel, die offensichtlich entsetzt über sein Benehmen war. »Ich weigere mich, irgendwo mit dir hinzugehen.«
»Du verläßt diese Gesellschaft jetzt«, befahl Roger, als hätte sie gar nichts gesagt.
»Ich habe nein gesagt.« Ohne Vorwarnung schlug Darnel ihn.
Dadurch wurde er derart gereizt, daß Roger ihren Hals packte und sie an sich zog. Dann sagte er: »Ich wünschte, du wärest nicht mit mir, sondern mit deinem Grab verheiratet.« Damit schubste er sie gegen den Earl von Oxford, der sie auf fing.
»Bis daß der Tod uns scheidet«, sagte Darnel, die offensichtlich die Wut und Qual genoß, die sich auf seinem Gesicht zeigten. »Vergiß das nicht, lieber Mann.«
»In diesem Fall, liebe Frau, wird ein gerechter und gnädiger Gott uns schneller trennen, als du glaubst.« Roger drehte sich auf dem Absatz um und verließ den Audienzsaal und das aufgeregte Publikum.
Roger ging denselben Weg durch die von Fackeln erleuchteten Flure von Whitehall Palace zurück. Er würde seine ehebrecherische Frau auf die eine oder andere Art loswerden. Die nächsten dreißig Jahre mit einer Hure verheiratet zu sein, kam überhaupt nicht in Frage.
Er hatte an die Macht der Liebe geglaubt. Zu spät hatte er erfahren, daß die sanften Gefühle einem nutzlosen Hirn entsprangen.
Edward deVere … Dudley Margolin … Lieber Gott, selbst seine eigenen Brüder hatten seine Frau geliebt.
Als Roger die Zuflucht seines Zimmers erreichte, goß er sich ein stärkendes Glas Whisky ein. Blinde Wut ließ ihn das bernsteinfarbene Feuer nicht spüren, das sich einen Weg in seinen Magen brannte.
Roger seufzte vor wachsender Verzweiflung. Welch schrecklichen Makel besaß er, der andere davon abhielt, ihn zu lieben? Seit dem Tod seiner Mutter, als er fünf Jahre alt gewesen war, hatte er erfolglos versucht, die Anerkennung seines Vaters zu gewinnen. Jahrelang hatte er sich wegen der mangelnden Liebe seines Vaters gequält. Und dann hatte er Darnel Howard getroffen, deren dunkle Augen ihm die Liebe zu versprechen schienen. Aber dieses süße Versprechen war nichts als eine bittere Lüge gewesen.
Sollte die Schlampe sich doch einen anderen Platz zum Schlafen suchen, beschloß Roger und verriegelte absichtlich die Tür. Müde setzte er sich auf die Bettkante und zog seine Stiefel aus. Dann stand er auf und entkleidete sich. Nackt legte er sich auf das Bett und legte einen Arm über seine Augen.
Der Gedanke an Scheidung kam ihm in den Kopf. Am nächsten Morgen würde er um eine Audienz bei Königin Elizabeth bitten und das Thema seiner Scheidung von Darnel anschneiden. Elizabeth würde ihm seinen Wunsch, frei von einer ehebrecherischen Frau zu sein, sicher nicht abschlagen. Und dann … würde er sich von hinterhältigen Frauenzimmern fernhalten. Nie wieder würde er heiraten. Alles was er brauchte, war die Liebe seiner Tochter.
Die aufkeimende Hoffnung, sich von seiner Frau befreien zu können, beruhigte ihn. Roger fiel in einen tiefen, traumlosen Schlaf.
Bum! Bum! Bum!
Roger tauchte langsam aus den Tiefen der Bewußtlosigkeit auf.
»Öffnet die Tür, Debrett«, befahl eine Stimme. »Im Namen Ihrer Majestät, der Königin, befehle ich Euch, diese Tür zu öffnen.«
Roger schoß hoch. Was, zum Teufel, war hier los? Er sprang aus dem Bett, stolperte verschlafen durch das Zimmer und riß die Tür auf.
»Seid Ihr allein?« fragte Edward deVere, offensichtlich erschreckt vom Anblick der Nacktheit seines Rivalen.
Roger nickte und richtete seinen Blick auf die Gruppe in dem Flur. Hinter deVere stand ein Trupp von fünf bewaffneten Wachen. Richard Devereux und William Cecil standen direkt dahinter.
»Was wollt Ihr?« fragte Roger und rieb sich den Schlaf aus den Augen.
»Im Namen Ihrer Majestät, Königin Elizabeth, stelle ich Euch unter Arrest«, verkündete deVere und stürmte an ihm vorbei in das Zimmer. »Packt Eure Sachen zusammen.«
Die Erklärung des Earl von Oxford sorgte schlagartig für Rogers volle Aufmerksamkeit. »Weshalb verhaftet?«
Oxford lächelte ohne jeden Humor. »Wegen Mordverdachts.«
»Mord?«
»Mord an Eurer Frau, Darnel Howard«, erklärte deVere.
Roger warf seinem Rivalen einen verwirrten Blick zu. »Darnel ist tot?«
»Zieht Euch an und beeilt Euch«, schnauzte der Earl von Oxford. »Oder ich zerre Euch nackt in den Tower.«
Roger ignorierte den Befehl und sah hilflos zu seinen Freunden, die jetzt direkt hinter deVere standen. »Was ist geschehen?« fragte er mit Blick auf den Earl von Basildon.
»Es tut mir leid«, sagte Richard Devereux. »Jemand hat Darnel erdrosselt.«
Roger spürte, wie seine ganze Welt zusammenbrach. Nur ein paar Stunden zuvor hatte er seine Frau am Hals gepackt und ihr vor dem gesamten verdammten Hof gedroht.
»Wir glauben an Eure Unschuld«, sagte William Cecil und zog die Aufmerksamkeit auf sich. »Richard und ich werden das genau untersuchen und den Schuldigen finden.«
»Wir werden Euch bald wieder aus dem Tower holen«, fügte Devereux hinzu und gab ihm die Kleidung, die er am Abend zuvor getragen hatte. Er warf deVere einen verächtlichen Blick zu und fügte hinzu: »Ich werde Euch flußabwärts begleiten, um sicherzustellen, daß Roger gesund ankommt.«
Nur weil er seiner Frau den Tod gewünscht hatte, trat der nicht einfach ein, dachte Roger, als er seine Breeches anzog. Das führte aber unweigerlich zu der nicht zu beantwortenden Frage: Wer außer ihm wollte die Welt von Darnel befreien?
***
Die Sonne erreichte an diesem fünfzehnten Tag im Juli ihre höchste Position am Himmel und begann ihren Abstieg nach Westen.
Zwei junge Trauen saßen im Garten des Earl von Basildon im Schatten einer Weide, deren ausladende Äste sie vor den erbarmungslosen Strahlen der Sonne schützten. Ihre jüngeren Geschwister saßen unter einer Eiche auf der anderen Seite des Gartens und machten ihr nachmittägliches Picknick.
»Es ist der Tag des Saint Swithin«, teilte Blythe Devereux ihrer jüngeren Schwester mit. »Welches Wetter der Herr der Winde uns heute auch schickt, es wird uns für das ganze Jahr begleiten.«
»Dann werden wir wohl einen warmen Winter bekommen«, antwortete Bliss. »Es ist heute heißer als im Innern der Hölle.«
»Im Innern der Hölle?« wiederholte Blythe und unterdrückte ein Lächeln. »Mama würde dich wegen deines Vokabulars schelten. Damen lästern nicht, wie du weißt.«
»Sie sagt auch immer, daß wir niemals einem Mann hauen sollten, dessen Augen zu eng zusammenstehen«, erinnerte Bliss sie. »Der Himmel möge uns beistehen, wenn wir einem Mann mit einem Grübchen im Kinn trauen sollten.«
»Iß dein Gemüse, sonst bekommst du Warzen«, warnte Blythe, ihre Mutter imitierend. Die beiden Schwestern brachen in Kichern aus.
»Die walisischen Berge wären erfrischend kühl diesen Sommer«, sagte Bliss mit einem wehmütigen Unterton. »Ich verstehe nicht, weshalb wir dieses Jahr nicht hinreisen konnten.«
»Papa begleitet die Reise der Königin, um den Tod von Lady Darnel zu untersuchen«, sagte Blythe. »Der arme Roger harrt jetzt schon seit drei Monaten im Tower aus.«
»Aber Papa ist vor zwei Tagen zurückgekehrt«, antwortete Bliss. »Wir hätten also reisen können.«
»Wenn wir Wales erreicht hätten, wäre es schon wieder Zeit gewesen, nach England zurückzukehren«, sagte Blythe und sah zu dem Haus hin. Als sie spürte, wie ihre Schwester sie am Arm berührte, drehte sie sich um und sah deren ernsten Gesichtsausdruck.
»Ich bin froh, daß du Roger nicht geheiratet hast«, sagte Bliss. »Dann wärst du vielleicht jetzt diejenige, die zu früh im Grab liegt.«
»Ich bin sicher, daß Roger nichts mit dem Tod seiner Frau zu tun hat«, sagte Blythe nachdrücklich und legte ihre Hand auf die ihrer Schwester. »Aber ich danke dir für deine Sorge.«
»Vielleicht hast du recht.« Bliss warf ihr einen Blick aus den Augenwinkeln zu und bemerkte: »Bald ist September. Freust du dich schon darauf, uns zu verlassen und deine Pflichten als Hofdame der Königin zu übernehmen?«
»Ich freue mich nicht darauf, euch zu verlassen, aber es wird mir die Möglichkeit geben, Roger zu helfen«, antwortete Blythe und berührte das Odinskreuz, das sie in den vergangenen fünf Jahren immer getragen hatte.
»Aber es könnte gefährlich sein, sich einzumischen«, warnte Bliss. »Wenn Roger wirklich unschuldig ist, dann läuft bei Hofe ein Mörder herum.«
»Ich verspreche, sehr vorsichtig zu sein.«
Wildes Geschrei lenkte ihre Aufmerksamkeit auf ihre jüngeren Geschwister. Die sechs jüngsten Devereux-Kinder, im Alter von zwei bis vierzehn, liefen über den Rasen auf sie zu.
»Wir möchten Rhibo spielen«, sagte die vierzehnjährige Aurora und meinte das traditionelle Erntespiel, das sie jeden Sommer bei der Familie ihrer Mutter in Wales spielten.
»Es ist zu früh für Rhibo«, sagte Bliss.
»Wir werden Rhibo am ersten August spielen, um Lammas zu feiern«, stimmte Blythe zu.
Der vier Jahre alte Adam Devereux, der einzige männliche Nachkomme, drängte sich dicht an seine älteste Schwester. Nase an Nase mit ihr forderte er: »Erzähl uns die Geschichte.«
»Bitte!« erklang es von Summer und Autumn, den elfjährigen Zwillingen.
»Bitte, bitte«, bat die achtjährige Hope.
»Ihr müßt euch alle hinsetzen«, sagte Blythe und nahm die zweijährige Blaze auf den Schoß.
Ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, ob sie ihre Kleider schmutzig machen würden, ließen sich die Kinder ins Gras fallen und sahen ihre älteste Schwester erwartungsvoll an. Blythe lächelte, als sie ihre violetten Augen und die glänzenden schwarzen Haare sah, so wie bei ihr selbst. Nur Blaze, die jüngste, hatte es geschafft, die roten Haare und smaragdgrünen Augen des Vaters zu erben.
»Lady Blythe! Lady Bliss!« unterbrach sie Jennings, der Majordomus der Familie Devereux, während er durch den Garten auf sie zueilte. »Der Graf und die Gräfin wünschen Eure Anwesenheit im Arbeitszimmer.«
»Uns beide?« fragte Blythe.
Jennings nickte. »Die anderen Kinder begleiten mich zu Mrs. Ashemole«, befahl der Majordomo. »Es ist Zeit für den Mittagsschlaf.«
Als sie das Haus erreichten, ging Blythe voraus in das Arbeitszimmer. In der Tür blieb sie stehen und starrte überrascht auf die fünf Menschen, die sich da versammelt hatten.
Ihr Vater saß auf dem Stuhl hinter seinem Schreibtisch. Der ältliche Lord Burghley, höchstgeschätzter Ratgeber der Königin Elizabeth, belegte einen Stuhl vor dem Schreibtisch, während Großvater Robert Talbot, der Duke von Ludlow und Vater ihrer Mutter, auf dem anderen saß. Ihre Mutter und Großmama Chessy, die zweite Frau ihres Großvaters, standen neben dem Fenster, das auf den Garten hinausging.
»Oh, meine Lieblinge, das ist ein bedeutsamer Tag für euch beide«, rief Großmama Chessy und lief durch das Zimmer, um sie beide zu küssen. »Wenn ich doch nur noch mal in eurem Alter wäre.«
»Chessy, bitte«, sagte Herzog Robert. »Gib ihren Eltern die Möglichkeit, das Thema anzuschneiden.«
»Ich bin einfach so aufgeregt«, sprudelte die Herzogin heraus.
Wenn dieses Gespräch zwischen den Großeltern Blythe auch verwirrte, so wahrte sie doch Haltung. Sie knickste zunächst vor Lord Burghley und begrüßte dann ihren Großvater mit einem Kuß auf die Wange. Bliss machte es ihr nach.
»Soll ich beginnen, Liebste?« fragte Graf Richard und sah seine Frau an.
Lady Keely nickte und warf ihrer ältesten Tochter ein vielsagendes Lächeln zu.
»Wie ihr wißt, wird Roger Debrett seit drei Monaten im Tower gefangengehalten«, sagte Graf Richard und wandte seine Aufmerksamkeit Blythe zu. »Die dürftige Beweislage verhindert, daß es zu einer Verhandlung kommt. Auf der anderen Seite kann Elizabeth ihn nicht freilassen, weil das zu öffentlichen Protesten führen könnte.«
»Ich habe eine Idee, die es der Königin erlaubt, Roger freizulassen«, meldete sich Lord Burghley. »Wir brauchen jedoch Eure Mitarbeit, um diesen Plan durchzuführen.
»Ich würde alles tun, um Roger zu helfen«, sagte Blythe, ohne zu zögern.
Graf Richard sah seine Frau aus den Augenwinkeln an. Darauf durchquerte sie den Raum und ging zu ihrer Tochter. »Wenn du irgendwelche Bedenken wegen dieses Planes hast, dann solltest du dich unbedingt weigern«, sagte Lady Keely. »Wir werden deine Zurückhaltung verstehen.«
Blythe war verwirrt, nickte aber zustimmend.
»Bist du bereit, Lord Roger zu heiraten?« fragte ihre Mutter.
»Du möchtest, daß ich Roger heirate?« wiederholte Blythe, völlig überrascht von dieser Bitte.
»Roger braucht eine Braut, deren Vater sowohl bei Hofe mächtig als auch bei der Bevölkerung Londons beliebt ist«, erklärte Lord Burghley. »Damit würde dein Vater ein Zeichen des Vertrauens setzen, das es der Königin möglich macht, Roger freizulassen, ohne daß die Bürgerlichen sich öffentlich darüber empören.«
Blythe berührte ihren Anhänger und starrte in die Ferne, als überdenke sie, was gesagt worden war, aber um ihre Lippen spielte ein Lächeln. Die Prophezeiung ihrer Mutter wurde wahr! Der Adler und der Schmetterling würden gemeinsam zum Horizont aufsteigen.
Blythe blickte zu ihrer Mutter. Lady Keely nickte, als kenne sie die Gedanken ihrer Tochter.
»Ich finde immer noch, daß Roger Debrett zu alt für sie ist«, bemerkte der Herzog von Ludlow, bevor Blythe antworten konnte. »Zwölf Jahre trennen sie.«
»Je älter die Geige, desto besser der Klang«, bemerkte die Herzogin. »Nimm doch nur uns beide, Tally, Liebling. Du bist zweiundsechzig und ich nur knapp über vierzig.«
Blythe und Bliss sahen einander an und kicherten. Ihre Großmutter war knapp über vierzig, seit sie sich erinnern konnten. Nur Gott und sie selbst kannten ihr wahres Alter.
»Liebe kennt keine Grenzen wie Alter«, sagte Blythe und errötete, als die anderen sie ansahen. »Ich werde Roger mit Freuden heiraten«, verkündete sie und versuchte, nicht zu eifrig zu klingen. »Aber was ist mit meiner Position als Hofdame der Königin?«
»Dieser Teil des Plans gefällt mir ganz und gar nicht«, sagte der Graf und sah seine Frau an. »Mit sechzehn ist Bliss noch viel zu jung, um bei Hofe zu sein.«
»Tally und ich werden sie beschützen«, sagte Lady Chessy. »Außerdem ist Bliss ein tugendhaftes Mädchen. Nicht wahr, Liebes?«
»Wenn ein Mann versucht, mich zu küssen, werde ich ›igitt-igitt‹ sagen«, versprach Bliss und zitierte, was ihr Vater all seinen Töchtern gesagt hatte. »Und wenn ein Mann mich küßt, werde ich ihm ins Gesicht schlagen.«
Blythe lächelte, als sie sah, wie ihr Vater die Augen verdrehte und dann seine Frau ansah. Lady Keely zuckte die Schultern und nickte.
»Na schön, aber es geschieht wider mein besseres Wissen«, stimmte der Graf schließlich zu.
»Abgemacht. Blythe wird Roger heiraten, und Bliss wird ihre Stelle als Hofdame übernehmen«, sagte Lord Burghley und stand auf. Er wandte sich an die Gräfin und fügte hinzu: »Die Hochzeitszeremonie muß so öffentlich wie möglich stattfinden. Die Bevölkerung Londons muß sehen, daß Richard so sehr an Rogers Unschuld glaubt, daß er ihm seine Tochter zur Frau gibt.«
»Wäre die Saint Paul’s Kathedrale angemessen?« fragte Lady Keely.
Lord Burghley nickte und ging zur Tür: »Kommt Ihr, Richard? Wir wollen flußabwärts fahren, um es Roger mitzuteilen.«
»Ich treffe Euch in fünf Minuten am Kai«, sagte Graf Richard und begleitete den Minister der Königin zur Tür. »Ich würde gerne noch mit meiner Tochter sprechen, bevor wir gehen.«
»Komm, Liebling«, sagte Großmama Chessy und zog Bliss mit sich zur Tür. »Als erstes müssen wir uns um deine Garderobe kümmern. Ich habe einen makellosen Geschmack. Du kannst mir also ruhig vertrauen.«
Der Herzog von Ludlow stand auf, um seiner Frau und seiner Enkelin hinauszufolgen.
»Und was wirst du tun, Papa?« fragte Lady Keely.
»Meine zweiundsechzig Jahre alten Knochen brauchen viel Ruhe, um mit meiner knapp über vierzig Jahre alten Frau mitzuhalten«, sagte der Herzog mit einem Grinsen. »Ich glaube, es wird Zeit für meinen Nachmittagsschlaf.«
Allein mit seiner Frau und seiner ältesten Tochter fragte Graf Richard: »Bist du absolut sicher, daß es das ist, was du willst?«
»Ja, aber …« Blythe brach ab.
»Aber was, Schätzchen?«
»Werde ich die Kontrolle über meine Schiffe und das Geschäft behalten?« fragte Blythe. »Eine Frau sollte ihr eigenes Vermögen haben, weißt du.«
»Schätzchen, du bist wirklich meine Tochter«, sagte ihr Vater und küßte sie auf die Wange. »Die Verlobungsvereinbarung wird alles festschreiben, was du willst. Roger Debrett ist nicht in der Position, etwas zu verlangen.« Damit ging er zur Tür.
»Und dich habe ich erwählt«, murmelte Blythe und wiederholte die Inschrift auf dem Anhänger, den Roger ihr geschenkt hatte. »Die Wahl, die Roger vor fünf Jahren getroffen hat, wird jetzt wahr.«
»Ja, aber sei vorsichtig und hör gut auf die Warnung, die ich in einem Traum gehört habe«, sagte Lady Keely und hakte sich bei ihrer Tochter unter. »Finde das Glück mit dem hoch fliegenden Adler am Ort der Winde. Hüte dich vor der dunklen Sonne.«
»Roger ist der Adler und Winchester der Ort der Winde«, sagte Blythe. Ein Schauer der Angst lief ihr über den Rücken. »Was ist die dunkle Sonne?«
»Du mußt herausfinden, was oder wer das ist«, sagte ihre Mutter. »Du wirst die Verlobungsvereinbarung am Lammas unterzeichnen, dem günstigsten Tag des Jahres für Verbindungen.«
Ja, dachte Blythe. Sie würde ihr Glück am Ort der Winde, Winchester, finden, wo sich der Schrein des heiligen Swithin befand.
Mit dem Selbstbewußtsein der Jugend wußte Blythe, daß sie Sonnenlicht im Überfluß besaß, um Wolken, Schatten und selbst dunkle Sonnen zu bezwingen. Roger, der Adler der Königin, würde sich majestätisch in die Lüfte erheben, und auf der Schwinge des Adlers würde seine Psyche, sein Schmetterling, seine Seele sitzen.
»Ihr gebt.«
Roger schob das Kartenspiel über den Tisch dem Hofgeistlichen des Towers zu, der seinen Gewinn einstrich. Roger sah William Kingston, den Wachmann des Towers, an und sagte trocken: »Ich habe nie gewußt, daß ein heiliger Mann ein so talentierter Spieler sein kann.«
»Das ist Gottes Wille«, sagte der Kaplan.
»Amen«, fügte Kingston hinzu.
»Ich bin unter die Räuber gefallen«, beschwerte sich Roger, lächelte aber, während er sich noch einen Whisky einschenkte. »Wenn die Königin mich noch länger gefangen hält, werde ich durch Euch völlig verarmen.«
»Mißgönnt uns doch nicht ein Stückchen des Goldberges, den Ihr angehäuft habt«, sagte der Kaplan.
Wenn auch alles andere als luxuriös, so war Rogers Zimmer im Beauchamp Tower doch hell, luftig und sauber. Der Kamin war in eine Wand eingelassen, und in der Mitte des Raumes stand ein Tisch mit drei Stühlen. Eine Wendeltreppe in der Ecke führte zu seinem Schlafzimmer einen Stock höher.
»Gibt es schon Neuigkeiten von Basildon?« fragte Kingston und bot ihm den Teller mit gebratenem Hühnchen an.
Roger schüttelte den Kopf und starrte auf die Karten in seiner Hand. Ein altbekanntes, bedrückend mißmutiges Gefühl überkam ihn.
Darnel war tot, ermordet von einem ihrer vielen anonymen Liebhaber, und er vergeudete seine Zeit im Tower von London. Das schlimmste war, daß er seine Tochter seit drei Monaten nicht gesehen hatte. Darnel hatte ihre Zeit nie mit Miranda verbracht, und Roger sorgte sich, daß seine Tochter fürchten könnte, daß auch der Vater sie verlassen hätte. Er vermißte sie.
»Ich frage mich, was bei Hofe geschieht«, sagte Roger, ohne aufzusehen.
»Ihre Majestät ist auf Reisen, nicht am Hof«, bemerkte der Kaplan.
»Der Hof ist dort, wo die Queen sich niederläßt«, berichtigte Roger, und es gelang ihm sogar ein schwaches Lächeln.
»Das stimmt wohl«, stimmte der Kaplan zu.
Die drei Spieler schwiegen, während sie ihre Karten studierten. Plötzlich hörten sie Schritte auf der Treppe. Die drei richteten ihren Blick auf die andere Seite des Raumes.
Die Tür öffnete sich langsam. Lord Burghley trat ein, gefolgt von dem Grafen von Basildon.
»Mylords«, sagte Roger und stand auf, wie auch seine Gefährten. Eine Welle der Erleichterung durchströmte ihn bei dem Gedanken, daß sie Neuigkeiten über den Mord an seiner Frau hatten.
»Meine Herren«, Lord Burghley grüßte sie mit einem Nicken und seinem gewohnt düsteren Gesichtsausdruck.
»Wie ich sehe, stehlen diese beiden Diebe Euer hart verdientes Geld«, bemerkte Graf Richard, ein geschliffener Höfling, der unendlich viel umgänglicher war als sein illustrer Gefährte. Er lächelte und streckte dem Wachmann und dem Kaplan die Hand hin.
»Gentlemen, die Angelegenheit Ihrer Majestät erfordert es, daß wir mit Debrett alleine sprechen«, sagte Burghley.
Kingston und der Hofkaplan nickten verständnisvoll und gingen. Die Tür fiel hinter ihnen ins Schloß.
»Mylords, bitte setzt Euch«, sagte Roger und räumte die Spielutensilien vom Tisch.
Der alternde Lord Burghley setzte sich und warf ihm einen Blick höchsten Abscheus zu. »Und wieviel Gold habt Ihr verloren?« fragte er.
»Es ist schwer, hier den Überblick zu behalten«, wich Roger aus und kam sich vor wie ein Schuljunge auf Abwegen.
»Zuviel, entnehme ich Euren ausweichenden Worten«, antwortete Burghley.
Richard Devereux lachte leise. »Diese beiden alten Füchse erschwindeln sich seit Urzeiten Gold von unglücklichen Adligen. Ich erinnere mich, daß sie mir vor achtzehn Jahren ein kleines Vermögen abgenommen haben.«
»Habt Ihr bei Hof etwas herausfinden können?« fragte Roger, unfähig, seine Wißbegierde zu verhehlen.
»Nein, der Mörder ist außergewöhnlich vorsichtig«, antwortete Graf Richard.
»Verdammt«, fluchte Roger und schlug mit der Faust auf den Tisch. »Wie kann ich meine Unschuld beweisen, wenn ich hier eingesperrt bin?«
»Beherrscht Euch, Debrett«, befahl Lord Burghley. »Ein kluger Mann zeigt niemals seine Gedanken oder Gefühle.«
»Es sei denn, er ist unter Freunden.«
»Ach wirklich?« entgegnete Burghley und zog eine Braue hoch. »Erzählt mir, wie Ihr sicher sein könnt, ob die Freundschaft eines Mannes echt oder vorgetäuscht ist.«
Roger starrte ihn an. Burghley hatte recht. Man wußte niemals mit Sicherheit, ob jemand ein wahrer Freund war.
»Ich sehe, Ihr stimmt der Richtigkeit meiner Worte zu«, sagte Burghley.
Roger nickte und sah dann zu dem Grafen, der ihn anlächelte. »Seid Ihr zum Tower gekommen, um mir nichts Neues zu erzählen?« fragte er. »Oder steht meine Exekution bevor?«
»Keine Exekution«, versicherte Richard. »Es ist nur ein längst überfälliger Besuch von zwei alten Freunden.«
Ein Freundschaftsbesuch, das soll wohl ein Witz sein, dachte Roger, als er den Grafen anstarrte. Die beiden alten Füchse hatten irgend etwas vor. Sonst wären sie niemals flußabwärts gereist.
»Euer Bruder besteht darauf, bei den Untersuchungen zu helfen«, sagte Richard. »Obwohl Eure Schwägerin und er Eurem Arrest gegenüber ziemlich gleichgültig zu sein scheinen. Vielleicht ist es ihnen auch nur peinlich. Auf jeden Fall mag ich sie nicht.«
»Cedric und Sybilla?« meinte Roger überrascht. »Ich würde meinem Bruder mein Leben anvertrauen. Er und seine Frau sind sittsamer als jeder andere in England.« Er grinste. »Abgesehen von Lord Burghley natürlich.«