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Wunderbare Fantasy voller Abenteuer und Magie: Der zweite Roman der großen "Drachenkronen"-Trilogie von Bestsellerautorin Ulrike Schweikert! Wer die vor langer Zeit in alle Winde verstreuten Teile der Drachenkrone wieder zusammenfügt, der wird die Welt beherrschen. So ist es prophezeit. Und der finstere Magier Astorin setzt alles daran, die sechs Drachen aufzuspüren. Gleichzeitig sind die Mondpriesterin Rolana und ihre Freunde ausersehen, die Welt vor dem bösen Zauberer zu bewahren. Sie folgen dem Ruf des Kupferdrachens, der ihnen das Ei seines letzten Nachkommen anvertraut. Bald darauf schlüpft ein weißes Drachenbaby. Doch der freche, vorlaute Peramin ist in größter Gefahr, denn durch die Geburt eines weißen Drachen erlischt die Kraft der Drachenkrone …
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Seitenzahl: 510
Ulrike Schweikert
Das Vermächtnis des Kupferdrachens
Copyright dieser Ausgabe © 2013 by Edel:eBooks, einem Verlag der Edel Germany GmbH, Hamburg.
Copyright © 2005 by Ulrike Schweikert
Dieses Werk wurde vermittelt durch die Montasser Medienagentur, München.
Covergestaltung: Agentur bürosüd°, München
Konvertierung: Datagrafix
Alle Rechte vorbehalten. All rights reserved. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des jeweiligen Rechteinhabers wiedergegeben werden.
ISBN: 978-3-95530-133-0
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Prolog
Der rote Drache
Die Silberberge
Das Experiment
Peramina
Das Wunder geschieht
Das Bergwerk
Covalin
Unsichtbare Diebe
Das Silber des Todes
Ein rothaariger Riese
Flucht durch die Katakomben von Ehniport
Der Aufstand
Freiheit
Dijol
Der Weg nach Drysert
Schätze der Magie
Astorin nimmt die Verfolgung auf
Seradir in Gefahr
Der Sodasee
Der goldene Drache
Epilog
Wunderbare Fantasy voller Abenteuer und Magie: Der zweite Roman der großen "Drachenkronen"-Trilogie von Bestsellerautorin Ulrike Schweikert!
Wer die vor langer Zeit in alle Winde verstreuten Teile der Drachenkrone wieder zusammenfügt, der wird die Welt beherrschen. So ist es prophezeit. Und der finstere Magier Astorin setzt alles daran, die sechs Drachen aufzuspüren. Gleichzeitig sind die Mondpriesterin Rolana und ihre Freunde ausersehen, die Welt vor dem bösen Zauberer zu bewahren. Sie folgen dem Ruf des Kupferdrachen, der ihnen das Ei seines letzten Nachkommen anvertraut. Bald darauf schlüpft ein weißes Drachenbaby. Doch der freche, vorlaute Peramin ist in größter Gefahr, denn durch die Geburt eines weißen Drachen erlischt die Kraft der Drachenkrone …
Cleo, gib mir doch mal den kleinen Metallstift, der dort in die Ecke gerollt ist.«
Die Katze dachte gar nicht daran. Träge hob sie das linke Augenlid ein wenig und gähnte herzhaft.
»Sei doch nicht so faul«, schimpfte Inthan und kroch unter der mächtigen Eisenstatue hervor, die ziemlich wackelig auf zwei Steinquadern lag. Auf den Knien robbte er in die Ecke und hob den kleinen, grau schimmernden Gegenstand auf. Geschäftig verschwand er wieder unter der Statue.
Die nächste Stunde waren nur sein Stöhnen und einige Schimpfwörter zu hören, dann kam er verschwitzt und zerzaust wieder zum Vorschein.
»Nein, das funktioniert so nicht. Ich frage mich, warum ich mich immer wieder auf den blöden Spiegel verlasse. – Du brauchst gar nicht so zu gucken. Ich habe es genau beobachtet. Da haben zwei Männer so einen Koloss gebaut und ihn zum Leben erweckt. Er konnte nachher herumlaufen und hat ihre Befehle ausgeführt! – Aber wahrscheinlich ist die Zeit für solche Erfindungen noch nicht reif. Der Spiegel ist sicher mal wieder in die ferne Zukunft abgeschweift.« Der Magier zog sich mit einem Ächzen hoch und klopfte seine an vielen Stellen geflickte Kutte, sodass eine Staubwolke aus ihr aufstieg. Die Katze zog sich in die andere Ecke des steinernen Gelasses zurück und nieste.
»Nun gut«, rief Inthan, »dann eben auf die althergebrachte Weise: mit Magie.«
Der Alte eilte in den Raum, den er sich als Experimentierkammer eingerichtet hatte. Er war tagelang so beschäftigt, dass Cleo ihn böse anfauchen und sich ihm in die Waden krallen musste, wenn sie etwas zu fressen wollte. Undeutlich vor sich hin murmelnd saß Inthan in seinem Studierzimmer und starrte auf das grünlich schillernde Gebräu, das da in einem Kolben träge vor sich hin köchelte. Immer wieder zog er die mächtigen Folianten zu Rate, die er in einem bibliothekartigen Raum des unterirdischen Labyrinths entdeckt hatte, das er – gezwungenermaßen – seit dem Angriff der Drachen auf die Stadt Xanomee vor mehr als viertausend Jahren zusammen mit Cleo bewohnte. Die Welt und die Zeit hatte die beiden Kreaturen vergessen. Nur der Spiegel verband sie mit der Außenwelt, in der die Zeit fortschritt.
Inthan wog Zutaten ab, ließ die Flamme mal grün, mal violett aufflackern und rannte jedes Mal gehetzt durch die Gänge, wenn er etwas Wichtiges nicht finden konnte. Nach einigen Wochen schließlich kehrte er mit äußerst zufriedener Miene in die Halle mit dem magischen Spiegel zurück.
»So Cleo, jetzt pass mal gut auf.«
Inthan goss die Flüssigkeit über die eiserne Statue, krempelte seine Ärmel hoch und begann, die Arme theatralisch auf und ab zu bewegen. Fremd klingende Worte strömten aus seinem Mund, schwebten hernieder und schmiegten sich um die Statue. Blaue Funken sprühten auf. Gelangweilt beobachtete die Katze das Spektakel, doch plötzlich sträubten sich ihr die Haare, und sie fauchte furchtsam. Der Koloss begann sich zu bewegen. Ganz langsam drehte er sich zur Seite, zog die Beine an, erhob sich und blieb dann erstarrt stehen. Die Katze blinzelte verwirrt. Hatte sie geträumt?
Inthan gebärdete sich wie verrückt und tanzte um das eiserne Ding herum. »Ha, ha, ich habe einen Golem erschaffen! Nun habe ich einen gehorsamen Diener, dem ich alles befehlen kann.« Der Magier hob die Katze auf den Arm, die abwehrend die Krallen ausstreckte, als er sie näher zu dem Golem herantrug.
»Keine Angst, er tut dir nichts. Pass auf, ab jetzt holt er dir dein Fressen.«
Inthan konzentrierte sich auf die durch Magie belebte Statue und gab ihr den ersten Befehl. »Geh in die Küche und hol Cleos Fressen.«
Der Koloss drehte sich um und ging mit langen Schritten hinaus. Das Echo seiner Schritte hallte den Gang entlang und verklang in der Ferne. Eine ganze Weile geschah nichts. Er blieb verschwunden.
»Jetzt muss ich aber sehen, wo er bleibt.« Inthan raffte sein Gewand und eilte seinem stummen Diener nach, Cleo folgte neugierig. Endlich fand der Magier den Golem, der ziellos von einem Raum in den nächsten schritt.
»Ach, ist der dumm!« Inthan schüttelte den Kopf. »Ich muss ihm wohl erst beibringen, was ›Fressen‹ und ›Küche‹ bedeuten. – He, lach nicht! Immerhin habe ich ihn bereits dazu gebracht, dass er gehen kann. Alles andere wird er im Laufe der Jahrhunderte schon noch lernen. Wir haben ja Zeit«, Inthan seufzte schwer, »so schrecklich, unendlich viel Zeit.«
Warum geht das alles nur so langsam?« Astorin stand in seinem Turmzimmer am Fenster und ließ den Blick über die ausgedorrte Ebene mit den Lavafeldern schweifen, die er vom Gipfel des erloschenen Vulkans, auf dem seine Burg thronte, überblicken konnte. Eine Woche war es nun schon her, dass einer seiner Söldner einen roten Drachen entdeckt hatte, der seinen Schlafplatz offenbar in dem Höhlensystem hinter der gläsernen Wand hatte, denn dorthin war die Echse mit zwei erbeuteten Pferden in den Fängen geflogen. Kaum war ihm die Geschichte zu Ohren gekommen, schickte Astorin einen Trupp Söldner los, um die Drachenhöhle zu suchen. Ein roter Drache! Eines der stärksten und grausamsten Wesen der Welten! Zufrieden strich sich der Magier über die langen, dünnen Barthaare, die ihm als klägliche Fransen vom Kinn hingen.
»Endlich ist die Zeit gekommen, deine Macht zu testen, mein kleiner Liebling!« Er hob die handgroße rote Drachenfigur, die er aus dem Schrein geholt hatte, zärtlich an die Lippen.
»Ich weiß, dass du allein nicht die allumfassende Macht hast. Diese Macht wird sich erst entfalten, wenn ich euch alle gefunden und zu einer Krone zusammengefügt habe, doch ich bin mir sicher, dass schon in jeder einzelnen von euch große Kräfte wohnen, die nur darauf warten, mir zu dienen. Jetzt kannst du zeigen, was in dir steckt.«
Mit ausgestrecktem Arm hielt er die zartgliedrige Figur von sich weg und ließ ihren Leib in der Sonne blitzen. Die Strahlen der Wüstensonne spiegelten sich im Schuppenkleid der Echse und verwandelten es in flüssige Lava, die ausfloss, alles Leben in ihrem Glutstrom zu vernichten.
»Ja, roter Drache, wir werden unsere Kräfte messen. Dann werden wir sehen, wer der Stärkere von uns beiden ist.«
Am Horizont tauchte eine Staubwolke auf. Astorin ließ die Figur sinken, kniff die Augen zusammen und konzentrierte sich auf das Bild, um es klarer zu sehen. Ja, da näherte sich etwas der Burg, das sich schon bald in drei Reiter schied. Nur drei? Er hatte zehn seiner Männer losgeschickt. Waren das wirklich seine Söldner, die er zur Erkundung ausgesandt hatte? Unentschlossen blieb er am Fenster stehen und starrte mit gerunzelter Stirn auf die sich nähernde Wolke. Kein Zweifel, es waren drei seiner Männer. Sollte das bedeuten, dass die anderen nicht mehr unter den Lebenden weilten? Der Magier knurrte gereizt: »Schwächlinge, Versager!«
Astorin legte die Figur behutsam zu ihrem kupfernen Bruder in den Schrein zurück, baute die magische Schutzmauer wieder auf und rannte dann mit wehenden Gewändern die Treppe hinunter in den Hof, wo er ungeduldig die Ankunft der Reiter erwartete.
Die rostigen Ketten knirschten, als das Fallgitter hinaufgezogen wurde, um die Reiter einzulassen. Mensch und Tier waren nicht nur von rotem Staub bedeckt und zu Tode erschöpft, zwei der Männer waren darüber hinaus schwer verletzt. Die großflächigen Brandwunden, die ihnen sichtlich heftige Schmerzen bereiteten, waren blut- und staubverkrustet, und das Wundfieber glänzte in ihren rot verquollenen Augen. Ohne sich um die Verletzten zu kümmern, gebot Astorin dem unversehrten Mann, ihm zu folgen.
Keen stieg hinter dem Meister die gewundene Treppe hinauf. Obwohl verängstigt, durstig und müde, wagte der Wächter nicht darum zu bitten, wenigstens erst einen Schluck Wasser trinken zu dürfen. Die Knie waren ihm nicht nur vor Erschöpfung weich. Es war das erste Mal in seinem Leben, dass er mit dem Magier selbst sprechen musste.
Sie hatten kaum die ersten Stufen hinter sich gebracht, als einer der Verletzten einen grässlichen Schrei ausstieß. Erschrocken stieg das Pferd hoch. Der Mann rutschte aus dem Sattel und fiel auf die mit rötlichem Staub bedeckten Pflastersteine des Burghofes. Er röchelte ein paar Mal, doch noch ehe ihm einer der Umstehenden zu Hilfe eilen konnte, wurde sein Blick trüb, und er starb. Astorin drehte sich nicht einmal um. Zwei Stufen auf einmal nehmend eilte er in sein Studierzimmer hinauf.
Der andere Verletzte wurde von seinen Kameraden in die Unterkünfte im Nordturm geschleppt und notdürftig verbunden. Viel Hoffnung hatten sie nicht, dass er überleben werde, denn auf der Burg gab es keinen Heiler, und die magischen Tränke waren Astorin zu wertvoll, um sie für das Leben einfacher Wächter oder Söldner zu verschwenden.
Im Studierzimmer oben im Turm angekommen, drehte sich Astorin um, faltete die Hände hinter dem Rücken und sah den Wächter scharf an. »Nun, was hast du zu berichten?«
»Ich hab den Drachen nicht gesehen. Ich musste bei den Pferden bleiben«, stammelte Keen und duckte sich unwillkürlich ein wenig.
»Was?«, brüllte Astorin und schlug mit der Faust auf den Tisch, sodass der Mann erschrocken zusammenfuhr.
»Beroff hat ihn gesehen«, beeilte er sich zu sagen. »Er hat mir alles erzählt, mein Meister.« Keen fiel auf die Knie und zitterte vor Angst.
»Los, sprich!«, herrschte Astorin ihn an.
»Die Höhle ist riesig groß. Da passt bestimmt ne ganze Burg rein. Die hat nen großen Ausgang, ganz hoch oben in der steilen Wand, wo kein Mensch hochklettern kann. Die Felsen sehen aus wie schwarzes Glas und sind ganz spitz und scharf. Wir haben den Drachen fliegen sehen, von weitem, als wir gerade erst gekommen sind, und wie er dann in der Wand verschwunden ist. Erst haben wir gedacht, dass wir da nie hinkommen, doch dann hat Hammes ne schmale Spalte unten in der Wand entdeckt, die in den Berg reinführt – bis zur Drachenhöhle. Durch den Gang, den Col und die anderen genommen haben, kann der Drache nicht raus, der ist ganz schmal. Col, Beroff und die anderen haben große Angst gehabt, doch sie sind bis in die Höhle gegangen. Der Drache hat da geschlafen, auf nem großen Berg Münzen. So nen Schatz hat noch keiner gesehen. Doch dann ist er aufgewacht, und er war wütend, weil er wohl gedacht hat, dass die anderen was von seinen Münzen klauen wollten, und da hat er dann geschrien und Feuer gespuckt. Eine ganz riesige Flammenwand hat Col, Hammes, Ion und Famer verbrannt. Sie waren noch nicht mal ganz tot, als der Drache sie verschlungen hat. Es war entsetzlich. Die anderen kamen rausgerannt, doch auch sie haben alle schrecklich große Wunden gehabt. Bis auf Beroff und Ralom sind sie alle abgekratzt, bevor wir losreiten konnten. Und Beroff ist jetzt auch tot.«
»Wie groß ist der Drache? Wie alt ist er?« Ungeduldig knetete Astorin die Hände.
Keen sah sich hilfesuchend um. »Er war wie ein großes Haus, sein Schwanz lang wie zwei Bäume. Ich hab ihn doch nur fliegen sehn. Beroff hat nicht gesagt, wie alt der Drache ist.«
»Raus, verdammt, was habe ich nur für Versager in meinen Diensten. Raus, und wage es nicht mehr, mir unter die Augen zu kommen!«, schrie Astorin erbost.
Das ließ sich Keen nicht zweimal sagen. Erleichtert, mit dem Leben davongekommen zu sein, rannte er hinaus, als sei der Drache hinter ihm her.
»Jetzt bin ich kein Stück weiter!«, brüllte der Magier die leere Türöffnung an und knallte in seinem Zorn die Türe zu, dass das Holz erzitterte. Dann jedoch verpuffte seine Erregung, und er ließ sich erschöpft in den Sessel fallen, der vor dem Erkerfenster stand.
Wenigstens kenne ich nun den Weg zu seiner Höhle. Wahrscheinlich ist der Drache nicht sehr alt, überlegte der Magier, sonst wären die Männer gar nicht erst so nah an ihn herangekommen. Die mächtige Aura hätte sie in Panik versetzt und davonlaufen lassen. Auch fliegen alte Drachen nur noch selten zur Jagd, und dieser hat bestimmt schon ein Dutzend meiner Pferde gerissen. Der Magier erhob sich.
»Dann werde ich meinem roten Freund wohl selbst einen Besuch abstatten müssen.«
Astorin holte die rote Drachenfigur wieder aus der Vitrine und streichelte sie sanft. »Bald werden wir sehen, wozu du taugst, denn wir werden ein kleines Experiment mit dir machen. Ich kann es kaum erwarten!«
* * *
Als sich die Schatten am Abend rot färbten und ein frischer Wind die Hitze des Tages fortwehte, näherten sich zwei Reiter der Burg. Gemächlich ritten sie den Pfad entlang, der sich zwischen Lavabrocken den erloschenen Vulkan hinaufwand, an dessen Spitze die Burg in den Abendhimmel ragte. Geier kreisten um einen schlanken Turm, der die Mauer und die anderen Gebäude um ein Vielfaches überragte.
»Den Göttern sei Dank, wir sind da.« Der Mann, dessen weites Gewand, Gesicht und Hände von rotem Staub bedeckt waren, rieb sich den schmerzenden Rücken.
»Ich wusste gar nicht, dass du den Göttern so nahe stehst!« Die Frau, die schon einige Schritt voraus war, drehte sich im Sattel um und grinste.
»Es gibt einiges, das du über mich nicht weißt, liebe Saranga.« Vertos strich sich das sauber in Schulterlänge geschnittene Haar aus der Stirn, das zwar ergraut, doch noch immer dicht und voll war.
»In meiner Jugend gehörte ich dem Priesterorden der Göttin Rati an. Das war, bevor ich mich der Magie zuwandte.«
»Ach, haben sie dich rausgeworfen?« Sarangas schwarze, mandelförmige Augen blitzten belustigt. Sie war eine bemerkenswerte Frau, nach der sich die Männer auf der Straße umdrehten. Obwohl ihre Gestalt groß und sehnig war und ihre muskulösen Arme und Beine nicht gerade weiblich, machten ihre geschmeidigen Bewegungen, die seltsamen Augen und das im Nacken kurz geschnittene, kastanienbraune Haar, das ihr in Locken ins Gesicht fiel, sie zu einer auffälligen Persönlichkeit.
Vertos reckte beleidigt die Nase in die Luft. »Natürlich nicht! Ich hatte selbst erkannt, dass die Beschränkung, die mir der Dienst an den Göttern auferlegt, meinen freien Forscherdrang zu sehr einengt. Nur die Magie kann mein Sehnen erfüllen!«
»Brich dir nur nicht die Zunge ab. Wie kann man mit einer durstigen Kehle so schwülstig daherreden?!«
»Oh ja, das glaube ich gerne, dass in den schmuddeligen Unterkünften der Schwertkämpfer kein so gepflegter Umgangston herrscht!«
Saranga lachte hell auf und schob eine Locke, die sich widerspenstig über ihrem Auge ringelte, unter das mit mystischen Zeichen bestickte Band zurück, das sie um die Stirn gebunden hatte.
»Es ist viel zu heiß und staubig, um mit dir zu streiten. Ich sehne mich nach kaltem Wasser, und ich glaube, auch mein armes Pferd denkt schon seit Stunden an nichts anderes.«
Sie hob den Blick und sah hinauf zu der düsteren Burg, die, je näher sie kamen, umso feindseliger wirkte. Das massige Gitter war herabgelassen worden, und unzählige Augen beobachteten die Ankömmlinge aus den schmalen Schlitzen hoch oben in der Mauer zwischen den Zinnen.
Auf das zaghafte Klopfen an seiner Studierzimmertür hob Astorin unwillig den Kopf.
»Großer Magier, es sind zwei Reiter angekommen, die Euch dringend zu sprechen wünschen.«
»Ihre Namen?«, fragte Astorin knapp.
Der Wächter schüttelte den Kopf. »Die haben sie nicht genannt. Verzeiht! Aber sie scheinen keine einfachen Reisenden zu sein – nach ihren Pferden und Waffen zu urteilen.«
Der Magier presste ärgerlich die Lippen zusammen. Was für einen Haufen Dummköpfe hatte er auf seiner Burg versammelt!
»Führ sie ins Spiegelzimmer, ich werde sie mir ansehen!«
»Ja, Herr.« Die Schritte entfernten sich. Astorin erhob sich und trat zu einem mit schwarzer Seide verhüllten Spiegel, der in einem Erker an der Wand hing. Behutsam nahm er das Tuch herunter und murmelte einige Worte. Dann zog er einen Stuhl heran, setzte sich und sah auf die trübe Oberfläche, die in unruhigen Wellen auf die Ränder zulief.
»Folgt mir bitte.« Der Diener verbeugte sich und führte die durstigen und müden Reisenden in einen kleinen Raum. Einladend deutete er auf die mit weichen Teppichen gepolsterte Bank.
»Setzt Euch, ich werde Euch Wein bringen. Der große Meister wird sicher bald kommen.« Mit einer erneuten Verbeugung verließ er den Raum und schloss die Tür hinter sich, die mit einem kaum hörbaren Klicken einrastete. Mit einem Sprung war Saranga an der Tür, doch sie ließ sich nicht mehr öffnen.
»So ein Mist, er hat uns eingeschlossen.« Geräuschvoll zog sie ihr Schwert. »Na warte, die sollen mich kennen lernen!«
Vertos lachte. »Beruhige dich und setz dich zu mir.«
Fragend sah Saranga zu ihrem Begleiter hinüber, der es sich auf der Bank gemütlich machte und gerade zwei weiche Kissen hinter seinen schmerzenden Rücken schob.
»Warum haben wir nicht gesagt, wer wir sind? Ich habe keine Lust, mir so eine Behandlung gefallen zu lassen!«, brauste sie auf.
»Das Ganze ist ein Spiel, meine Liebe.« Er senkte die Stimme. »Siehst du den großen Spiegel dort drüben an der Wand?«
»Bin ja nicht blind!«
»Ja, aber du siehst nur einen Spiegel. In Wirklichkeit ist das Astorins Spion. Er sitzt jetzt sicher in seinem Studierzimmer und starrt in den zweiten Teil des Spiegels, um herauszufinden, wer denn da zu Besuch gekommen ist.«
»Du meinst, er beobachtet uns durch das Glas hindurch?«, raunte Saranga und warf einen verstohlenen Blick auf die Wand gegenüber.
»In gewissem Sinne ja, und wenn du laut genug redest, kann er dich auch hören.«
»So, so, und er kann alles sehen, was sich vor dem Spiegel abspielt?« Sie steckte das Schwert zurück in die Scheide. Als sie sich dem Spiegel näherte, ähnelte ihr Gesichtsausdruck dem einer Katze, die sich an einen Sahnetopf heranpirscht. Sie fuhr mit der Zunge über ihre Lippen, sodass sie feucht glänzten, und senkte die Augenlider ein wenig. Mit einem Kopfschütteln löste sie ihr Haarband. Die im Kerzenlicht rötlich schimmernden Locken fielen ihr verführerisch ins Gesicht. Wie unabsichtlich öffnete sich der Knoten, der das weit geschnittene Hemd am Hals geschlossen hielt. Der weinrote Stoff glitt zur Seite und gab den Blick auf ihre wohl geformten Schultern und das sonnengebräunte Dekolleté frei. Gemächlich beugte sie sich nach vorne, fing die Enden der Bänder mit den Fingerspitzen und schenkte ihrem Spiegelbild, das nun außerdem noch zwei feste Brüste enthüllte, ein aufreizendes Lächeln. Unverschämt langsam zog sie den Stoff wieder zusammen, ohne den Blick vom Spiegel zu wenden.
Astorin schluckte trocken und rutschte unruhig auf seinem Stuhl hin und her. Nur mühsam konnte er sich auf die magischen Kräfte konzentrieren, die die beiden Spiegel verbanden. Er umklammerte die Stuhllehnen und versuchte, die gierigen Gedanken zu verdrängen, die in ihm aufstiegen.
Vertos kicherte amüsiert und lehnte sich in die weichen Kissen zurück. Plötzlich verschwand das Lächeln aus Sarangas Gesicht. Sie wirbelte einmal um ihre Achse, riss das Schwert heraus, sprang einen Schritt nach vorn und stieß so zu, dass die Spitze der glänzenden Waffe die glatte Oberfläche des Spiegels berührte.
Astorin zuckte heftig zusammen, duckte sich in seinen Stuhl und griff sich vor Schreck an die Brust, als er die Klinge so unvermittelt auf sich zusausen sah.
Es ist doch nur ein Bild! Verärgert über seine unbeherrschte Reaktion legte er die Stirn in Falten.
Die Schwertspitze senkte sich zu Boden, und die hoch gewachsene Kämpferin verbeugte sich königlich.
»Einen schönen Tag wünsche ich Euch! Wollt Ihr nicht lieber zu uns herunterkommen, statt uns wie ein gemeiner Dieb heimlich zu beobachten?«
Mit einem Schrei fuhr Astorin in seinem Sessel hoch, knüllte das schwarze Tuch zusammen und warf es gegen den Spiegel. Doch sein Zorn verrauchte so schnell, wie er entflammt war, und er verzog sein hageres Gesicht zu einem Grinsen.
Ganz schön schlau, das Luder. Wie erfreulich, nicht nur kluge, sondern auch noch so ansehnliche Gefolgsleute zu haben!
Er raffte seinen weiten Umhang zusammen, eilte die Treppe hinunter und betrat einige Augenblicke später den Raum mit dem Spiegel.
* * *
»Trinkt! Und dann erzählt mir, was euch so weit in den Süden führt. Habt ihr etwas über die Tore herausgefunden?«
Vertos nahm genüsslich einen Schluck von dem tiefroten Wein, drehte das geschliffene Glas in den Händen und beobachtete, wie die sich in den Facetten spiegelnden Lichtflecken über die Wände huschten.
Saranga schob das Glas von sich weg. »Danke, ich möchte lieber Wasser.«
Astorin lachte. »Willst du dich gleich mit deinem Pferd an den Trog stellen?«
»Nein, doch ich will nicht eines Tages sterben, nur weil ich einen schweren Kopf und einen getrübten Blick hatte.«
Astorin sprang auf. »Willst du mich des Verrats bezichtigen?«
Saranga betrachtete den hageren Magier ungerührt. Er war wie Vertos vielleicht Anfang fünfzig, doch sein scharfkantiges Gesicht und die stechenden schwarzen Augen waren kein angenehmer Anblick.
»Bleibt ruhig, alter Mann, ich will gar nichts. Ich trinke nie etwas anderes als Wasser. Außerdem gibt es ziemlich viele, die im Augenblick ihres Todes überrascht sind, wer alles ihr Vertrauen missbraucht hat. Ich wäre nicht so gut, wenn ich nicht so vorsichtig wäre. Das ist doch auch in Eurem Sinn. Immerhin arbeite ich zurzeit für Euch.«
»Schon gut. He, Lenoph, bring einen Krug Wasser. Und ihr – erzählt endlich!«
Vertos strich sich über den sauber gestutzten Bart. »Wir haben in ein Wespennest gestochen. Der Hinweis aus dem Brief, den Ihr mir gegeben habt, hat uns weit nach Westen geführt – noch einige Tagesreisen über Neteran hinaus. Dort in der großen Steppe liegt ein einsamer Berg, in dem sich der von der Welt vergessene Rest eines Ordens vergraben hat. Er huldigt den alten Zeiten und Göttern, die keiner mehr kennt, und hortet die Geschichte in uralten, fast zerfallenen Büchern ...«
»Wir haben dort ein wenig aufgeräumt und dabei ist uns – siehe da – etwas Interessantes in die Hände gefallen.« Saranga zog ein in ein Tuch geknotetes, faustgroßes Bündel heraus, schob es über die Spitze ihres Schwertes und reichte es Astorin über den Tisch. Mit einem Ruck zog sie das Schwert zurück und ließ das Bündel in seinen Schoß fallen.
»Erzählt mir über die Bücher. Sind tatsächlich noch welche aus der Zeit vor dem Feuersturm erhalten?«
»Die Bücher waren leider mit einem mir unbekannten Feuerzauber geschützt.« Vertos stöhnte. »Wir konnten so gut wie nichts retten.«
Astorins Stirn umwölkte sich. »Wie konntet ihr nur so ungeschickt vorgehen? Ich muss eines der Tore finden! Sonst ist alles umsonst!«
Seine Aufmerksamkeit Vertos zugewandt, begann Astorin den Knoten zu lösen, doch plötzlich hielt er inne. Seine Hände begannen zu zittern, und sein Blick wanderte zu dem kleinen Gegenstand, den seine Finger aus dem Tuch schälten. Ehrfürchtig hielt er ihn ins Licht der flackernden Kerzen, die blau schimmernde Schuppen erhellten und den Schatten des kleinen Drachen riesenhaft an die Wand warfen. »Der blaue Drache!«
»Ich wusste doch, dass Euch das verblüffen wird.« Saranga lehnte sich im Stuhl zurück und legte die Lederstiefel, aus denen durchtrainierte, sonnengebräunte Beine ragten, auf den Tisch. Zufrieden schob sie die Hände in die Taschen ihrer kurzen Hose und beobachtete den Magier, der die Figur vorsichtig in den Händen drehte und den Schatz mit glänzenden Augen von allen Seiten begutachtete. Plötzlich hob er den Blick.
»Morgen brechen wir in aller Frühe auf. Ihr könnt mich begleiten. Ich möchte versuchen herauszufinden, was die Figuren wirklich wert sind. Meine Männer haben nur zwei Tagesreisen von hier die Höhle eines roten Drachen entdeckt, und nun werde ich ihm einen Besuch abstatten. Wenn ich mich nicht täusche, ist der Träger einer Figur vor jedem Angriff eines Drachen geschützt. Nun, was sagt ihr?«
»Ich leide nicht an Todessehnsucht!« Saranga setzte sich wieder ordentlich im Stuhl zurecht und sah den Magier an. »Und was ist, wenn Ihr Euch irrt?«
»Ich irre mich nie!«
»Das ist mir zu wenig, um mich auf solch ein Wagnis einzulassen. Ein roter Drache ist nicht gerade ein Kinderspielzeug.«
»Du hast mir zu gehorchen! Ich befehle dir, mich morgen zu begleiten!«
»Irrtum, ich arbeite im Moment zwar für Euch, doch kann mich niemand zu etwas zwingen, das ich nicht tun möchte. Und wenn ich ein Risiko für zu hoch halte, dann lehne ich den Auftrag ab.«
»Ich werde dich töten, wenn du dich weigerst!«
»Dann müsst Ihr trotzdem allein gehen und Euch jemand Neues für Eure waghalsigen Unternehmungen suchen. Es wird nicht leicht sein, einen Kämpfer zu finden, der besser ist als ich.«
Astorins Gesicht war rot angelaufen, und er schäumte vor Wut. »Du, du freche, dahergelaufene ...«
»Ja?« Sarangas Augen waren nur noch ein schmaler Strich, und ihr Blick klirrte vor Kälte.
Vertos seufzte und unterbrach dann energisch den Streit.
»Jetzt ist es aber genug! Saranga, ich glaube, es wäre für dich eine ganz nützliche Erfahrung, einen roten Drachen aus der Nähe zu sehen. Für den Notfall gebe ich dir ein von mir selbst entwickeltes Öl mit, das dich für eine Weile gegen die Hitze des Feueratems schützen sollte. Die anderen Angriffe musst du selbst abwehren, doch das solltest du schaffen. Ich weiß, wie schnell du bist, und ich schätze, unser verehrter Astorin hat für den Ernstfall auch noch ein paar Zaubereien parat. – Ich selbst lehne das Angebot mitzukommen dankend ab, da ich nach der anstrengenden Reise gern ein paar Tage Ruhe hätte. Immerhin habe ich schon ein paar Jahrzehnte mehr auf dem Buckel als unsere kriegerische Freundin. Es wäre schön, wenn uns Euer Diener jetzt unsere Gemächer zeigen würde, damit wir uns für ein paar Stunden Schlaf zurückziehen können.«
Astorin öffnete den Mund, um etwas zu erwidern. Es gefiel ihm gar nicht, dass ein ihm untergebener Magier so mit ihm sprach, doch dann ließ er die Sache auf sich beruhen. Immerhin hatten die beiden ihm die gesuchte Figur gebracht. Da wollte er ausnahmsweise etwas großzügiger sein.
* * *
Am Morgen ritten sie los. Astorin, der den Zug der zwanzig Reiter anführte, trieb sein Pferd so an, dass die Männer Mühe hatten, mit ihm Schritt zu halten. Nur Saranga blieb an seiner Seite. Sie saß auf ihrer Stute, als sei sie darauf geboren worden, und weder Hitze noch Staub konnten ihr etwas anhaben.
Die Männer folgten dem Magier und der Kämpferin schweigend. Kein Scherz oder Lachen war zu hören, stumpfsinnig starrten sie vor sich hin, und auf ihren unbewegten Gesichtern war keine Gemütsregung auszumachen.
Astorin zügelte seinen Rappen und wartete auf seine Männer, die ein gutes Stück zurückgefallen waren.
Nachdenklich betrachtete Saranga die Brustpanzer der sich nähernden Söldner. Die Form der metallischen Platten entsprach zwar den bei Schmieden überall im Land erhältlichen Rüstungen, das Metall jedoch sah ungewöhnlich aus. Kein Sonnenstrahl spiegelte sich in den polierten Platten, deren blauschwarze Oberfläche das Licht aufzusaugen schien. Ein Packpferd schleppte einen breiten Ring und eine Kette aus dem gleichen seltsamen Metall.
»Aus was für einem Material lasst Ihr die Rüstungen Eurer Männer fertigen? So etwas habe ich noch nie gesehen.«
»Das glaube ich gern. Das Herstellungsverfahren habe ich selbst entwickelt und bin sehr stolz darauf. Ich kann dir nur so viel verraten, dass die Metallteile einige Tage in einem Bad lagern, das zum größten Teil aus Quecksilber und noch ein paar anderen wichtigen Zusätzen besteht.«
»Und was hat das für einen Vorteil?«
»Sieh dir die Männer an. Fällt dir nichts auf? Sieh in ihre Gesichter. Keine Gemütsregung ist in ihnen zu lesen. Die Dämpfe des Quecksilbers schwächen ihre Willenskraft. Sie werden stumpfsinnig und gehorchen allen meinen Befehlen – jedenfalls, solange ich in der Nähe bin und ihnen sage, was sie zu tun haben. Nie mehr muss ich fürchten, dass sie einen Befehl in Zweifel ziehen oder aus Angst nicht ausführen.«
»Ihr habt Euch also eine willige Armee geschaffen, die Ihr bedenkenlos in den Tod schicken könnt und die Euch blind gehorcht, sei das Wagnis auch noch so groß.« Trotz der Hitze lief Saranga ein Schauder über den Rücken.
»Ja – genial, nicht wahr! Auch bei Tieren, die so einen Halsreif tragen, habe ich dieses Phänomen beobachtet. Sie sind gegen mir gegenüber nicht mehr aggressiv, sondern nehmen alles gleichmütig hin. Die Sache hat natürlich auch Nachteile. Gefühlskalte und gleichgültige Krieger sind nicht so gut wie Männer, die voll heißer Wut aus Überzeugung kämpfen. Diesen Nachteil muss ich durch eine größere Zahl Söldner ausgleichen. Außerdem altert man in diesen Rüstungen viel schneller. Das ist allerdings nicht so tragisch, schließlich sind die Männer sowieso nicht für einen natürlichen Tod bestimmt. Dafür dienen sie meiner Sache!«
Saranga runzelte die Stirn. Ein bitterer Geschmack breitete sich in ihrem Mund aus, und der Blick, den sie dem Magier an ihrer Seite zuwarf, war voller Widerwillen. Sie selbst war bestimmt nicht zimperlich, wenn es darum ging einen Gegner zu töten, und sie stach ohne Bedauern zu und ohne mit der Wimper zu zucken. Dennoch war sie ein geradliniger, offener Mensch und sah ihren Gegnern beim Kampf in die Augen. Treue und Freundschaft bedeuteten ihr etwas. Die Vorstellung, eine ganze Armee mit Hilfe von Magie willenlos zu machen, um sie wegen irgendwelcher Wahnideen in den sicheren Tod zu schicken, erregte ihren Abscheu.
»Wozu braucht Ihr diese Marionetten, wenn Ihr Euch mit der Drachenkrone die Armee der Riesenechsen untertan machen könnt?«
»Noch ist die Krone nicht vollendet. Wer weiß, wie viele Jahre noch ins Land gehen, bis ich die drei fehlenden Teile aufgespürt habe. Ich darf nichts dem Zufall überlassen. Es ist ganz gut, wenn ich in der Zwischenzeit schon einmal ein paar strategisch wichtige Punkte erobere. Ich habe gut vorgesorgt. Im Norden der Silberberge lasse ich in einer sehr ertragreichen Mine Zinnober abbauen, um Quecksilber zu gewinnen. Ich habe zwei mir treu ergebene Männer dort eingesetzt, und Zwerge, die im Bergwerk arbeiten können, gibt es in der Gegend genug. Ab und zu müssen ein paar davon ersetzt werden, denn lange überleben sie in den Stollen nicht. Das Gift zerfrisst ihre Lungen. Deshalb sind Zyklopen und Oger als Vormänner gerade richtig. Das gewonnene Quecksilber bringt eine Karawane über die Berge ans Meer, und per Schiff geht’s dann in den Süden, wo meine Söldner es in Empfang nehmen und in die Burg bringen. Du siehst, ich habe alles im Griff.«
Saranga nickte nur stumm und trieb ihr Pferd an, um etwas Abstand zwischen sich und den Magier zu bringen. Sie wollte alleine sein und die Einsamkeit der weiten Ebene, der tiefschwarzen Lavafelder und der in der Ferne im Dunst aufragenden Felswände genießen. Zu viel Geschwätz war ihr schon immer lästig gewesen. Sie war eine Einzelkämpferin, stolz und voller Freiheitsdrang.
Astorin sah ihr nach und runzelte die Stirn. Warum erzählte er ihr so viel? Er kannte sie doch kaum. Wurde er langsam so alt und senil, dass er Gesellschaft brauchte und mit seinen Taten prahlen musste?
Ich muss mich mehr zurückhalten. Es ist nicht gut, wenn die anderen zu viel von meinen Plänen wissen. Er seufzte. Außerdem hatte er gar nicht alles im Griff. Das Piratennest war aufgeflogen, und nun fehlte ihm ein wichtiger Umschlagplatz für das Quecksilber. Wenn er nur wüsste, wem er diese Schmach zu verdanken hatte!
Er musste sich zur Ordnung rufen. Dies war nicht die Zeit, Kraft auf Rachepläne zu verschwenden. Er durfte sein Ziel nicht aus den Augen verlieren: die fehlenden Teile der Drachenkrone und die verschollenen Tore zwischen den Welten. Wer konnte schon sagen, wie viel Zeit ihm noch blieb?
* * *
Am zweiten Abend erreichten sie die hohe Wand, die schwarz und bedrohlich in den Abendhimmel ragte. Die Luft war erfüllt vom Krächzen der Geier, die als dunkle Schatten über ihnen kreisten. Keen führte den Magier zu der Spalte, durch die man in die Höhle vordringen konnte. »Hier, großer Meister, hier sind die anderen reingegangen.«
»Gut, du wirst mitkommen. Nimm einen Söldner mit, der den Ring mit der Kette trägt.«
Keen nickte abwesend. Er trottete zu einem der Männer und winkte ihm, dem Magier zu folgen.
»Saranga, darf ich bitten?« Der Magier reichte ihr die sorgfältig eingepackte blaue Drachenfigur. »Der Drache wird dir nichts tun, solange du sie bei dir trägst.«
Die Kämpferin steckte die Figur ein, zog das Fläschchen, das Vertos ihr gegeben hatte, aus dem Rucksack und begann, sich sorgfältig mit dem Öl einzureiben. »Nur für den Fall, dass Ihr Euch irrt. Schließlich habt Ihr die Figuren noch nie ausprobiert, oder?«
Astorin schnaubte unwillig und wandte sich ab. Er schickte Keen voraus und gebot dem anderen Mann, der Halsreif und Kette schleppte, dicht bei ihnen zu bleiben. Kopfschüttelnd folgte Saranga den Männern in die Dunkelheit der schmalen Felsöffnung, das Schwert kampfbereit in der Hand. Sie hörte Astorin ein paar Worte murmeln, und plötzlich flammte eine helle Lichtkugel über seinem Kopf auf, die ihm lautlos nachschwebte und die Felsen in grelles Licht tauchte. Geisterhaft warfen Felsnasen und Vorsprünge Schatten an die Wände, und ein paar Fledermäuse, die sich in ihrer Ruhe gestört fühlten, verließen ihre Schlafplätze unter der hohen Decke und flüchteten in wildem Durcheinander hinaus in die Dämmerung des scheidenden Tages. Ein beißender Geruch lag in der Luft und erschwerte das Atmen. Astorins Männer wurden unruhig. Es waren die ersten Gefühlsregungen, seit sie von der Burg aufgebrochen waren.
Astorin betrachtete sie interessiert und stieß Saranga in die Seite. »Siehst du, die Aura eines Drachen kann die magische Rüstung durchdringen. Sehr interessant!«
»Warum habt Ihr die Männer überhaupt mitgenommen?«
»Ich sagte dir doch schon, das Ganze ist ein Experiment. Ich muss herausfinden, wie die Figuren wirken, ob sie nur den Träger beschützen oder jede Person innerhalb einer gewissen Reichweite.«
Der Gestank wurde immer stärker und unerträglicher. Dennoch setzten sie ihren Weg fort. Ganz unvermittelt endete die hohe, schmale Spalte, die Wände wichen zurück, und vor ihnen öffnete sich eine Höhle von nahezu zweihundert Fuß Höhe. Zahlreiche Vorsprünge und Säulen stützten das Gewölbe aus glasartigem, bläulich schwarzem Vulkangestein. Die glatten Wände spiegelten Astorins Lichtkugel wider. Die vier Menschen hatten allerdings keinen
Blick für die Schönheit der Höhle. Ihre ganze Aufmerksamkeit wurde von dem Wesen gebannt, das in der Mitte der Höhle lag. Auf einem Berg von Münzen und anderem Metall hatte sich der rote Drache zusammengerollt und den Kopf auf seine mit messerscharfen Klauen bewehrten Tatzen gelegt. Es war ein junger Drache, ein schlankes Reptil mit scharfen, abstehenden Schuppen auf dem Rücken, das trotz seiner Jugend schon die stolze Länge von achtzig Fuß aufwies. Die Rückenstacheln ragten gefährlich in die Höhe und glänzten im Strahl der Lichtkugel, die Schwanzspitze bewegte sich unwillig. Aus seinen Nüstern stiegen Rauchkringel, und die gelben Augen waren starr auf die Ankömmlinge gerichtet.
Der Friede war trügerisch. Astorin fühlte ein Kribbeln in der Magengrube und drückte die kleine rote Figur an sich. Jetzt würde es sich entscheiden, ob in den Figuren noch Macht wohnte. Zum ersten Mal keimten Zweifel in ihm auf.
Saranga sah die riesige Echse an, das Schwert kampfbereit erhoben. Ihre Pupillen pulsierten nervös, eine Schweißperle rann an ihrer Schläfe herab. Ein Zittern durchlief sie, aber sie wandte den Blick nicht von der roten Echse.
Gemächlich hob der Drache den Kopf und fixierte Keen, der ihm am nächsten stand. Trotz seiner Rüstung bebte der Wächter, als wollte er gleich in die Knie sinken. Die Echse zögerte. Konnte sie die Macht der magischen Schwingungen spüren, die von ihrem kleinen Ebenbild ausging? Langsam wandte sie ihren Blick dem Magier zu.
»Eindringlinge, ihr wagt es mich zu stören? Seid ihr wahnsinnig oder tollkühn? Ich werde euch verbrennen!« Ein Flammenstrahl zischte aus dem Echsenmaul und zerbarst an der Wand über den so winzig wirkenden Menschen. Noch wollte der Drache ihnen offensichtlich nichts tun.
»Du hast gar nicht die Kraft, uns zu verletzen!« Astorins Ton war herablassend. »Ich besitze etwas, das dich daran hindert, uns auch nur ein Haar zu krümmen! Du wirst mir gehorchen und meine Befehle ausführen!«
Die Riesenechse schnaubte wütend auf. »Du elende Kreatur! Ein Drache wird sich nie von einem Wurm befehlen lassen! Sieh her, wie machtlos du bist!«
Das Ungetüm stieß einen weiß glühenden Flammenstrahl aus. Sengende Hitze breitete sich in der Höhle aus. Das Feuer traf Keen mit seiner ganzen zerstörerischen Kraft. Er konnte nur noch einen spitzen Schmerzensschrei ausstoßen, dann schwärzte sich sein Körper, krümmte sich in den lodernden Flammen und fiel verkohlt in sich zusammen. Der geschwärzte Brustpanzer kippte klirrend zu Boden.
Doch die Glutwelle hatte sich noch nicht ausgetobt, sondern brandete gegen die Wände. Mit lässiger Handbewegung beschwor Astorin ein eisiges Kraftfeld um sich herum, an dem die Hitze wirkungslos verpuffte. Der Söldner neben ihm stöhnte auf, als ihm die glühende Luft in die Lunge drang. Er ließ Reif und Kette los und fiel auf die Knie, die Hände an die schmerzende Brust gedrückt. Saranga duckte sich hinter einen Felsblock und hielt den Atem an, als die Welle über sie hinwegfegte. Trotz der schützenden Ölschicht spürte sie das Glühen, das die Luft zum Atmen nahm und die Haare kräuselte.
»Willst du noch mehr davon? Sieh genau zu, was ich von deiner angeblichen Macht halte!«
Der Kopf des Drachens schnellte vor, packte den stöhnenden Söldner mit den Zähnen und hob ihn in die Luft. Der Schrei des verletzten Mannes wurde von einem Knirschen abgelöst, als der Drache ihn zwischen seinen Kiefern zermalmte. Blut tropfte aus dem Maul der Echse, als sie sich höhnisch an Astorin wandte. »So groß ist deine Macht?«
Astorin strich sich über die dünnen Barthaare. »So, so, die Figur kann also nur den Träger selbst beschützen«, murmelte er nachdenklich.
»Seid Ihr davon immer noch überzeugt?« Ohne den Kopf des Drachen aus den Augen zu lassen, trat Saranga hinter den Magier.
»Oh ja, ich glaube daran, und ich werde es dir beweisen.« Er hob den Metallreif auf und trat einige Schritte auf den Drachen zu, ohne die verkohlten Reste, die einmal Keen gewesen waren, auch nur eines Blickes zu würdigen. Herausfordernd sah er zu dem Drachen empor. »Du kannst mir nichts tun, und du wirst mir gehorchen!«
Die zarten Schwingungen der Magie erhoben sich in die Luft und stiegen dem Drachen in die Nase. In seiner Wut bäumte er sich auf, fauchte und schrie und gebärdete sich wie ein Rasender. Ein Feuerstrahl zischte zur Decke hinauf, doch das Reptil griff Astorin nicht an.
»Ich will dich zermalmen, zerschmettern, zerreißen, aber ich kann es nicht«, kreischte er. »Die Macht wohnt noch immer in den Bruchstücken der Krone, aber glaube ja nicht, dass du mir Befehle erteilen kannst! Sobald sich eine Gelegenheit bietet, werde ich dich vernichten!«
Astorin nickte. Er würde der gefährlichen Echse keine Möglichkeit geben, sich zu rächen. Langsam hob er den Reif ein Stück höher. »Ich habe ein Geschenk für dich, du edler Drache. Komm, nimm es dir. Leg dir diesen Schatz um und weide dich an seiner Pracht.«
Der Kopf des Drachen kam bedrohlich nahe, als er misstrauisch an dem Metall schnupperte. Sorgfältig sog er den Geruch des fremden Gegenstandes in sich auf und beäugte ihn von allen Seiten. Der Arm des Magiers begann unter der Last zu zittern, als der Drache einen wütenden Schrei ausstieß. Dampfwolken zischten aus seinem Maul und den warzigen Nasenlöchern, und der üble Atem der Echse schleuderte den Magier fast zu Boden. Nur mühsam hielt er sich auf den Beinen, als die rote Echse ihn anfauchte. »Du Nichts, du Staub zu meinen Füßen! Du hältst mich für dumm? Ich wittere Magie in dem Metall, die die Gedanken lähmt. Glaubst du, du könntest mich versklaven? – Hinweg, hinweg mit dir«, schrie der aufgebrachte Drache und schlug mit den Flügeln.
Ein paar Felsbrocken lösten sich aus der Wand und polterten herab. Blitzschnell sprang Saranga nach vorn und stieß den Magier zur Seite, ehe die Bruchstücke auf dem Boden zerschellten. Der Drache lachte höhnisch. Ohne ein Wort des Dankes zupfte Astorin seinen Umhang zurecht, drückte Saranga den Reif in die Hand, wandte sich ab und verließ die Höhle. Die Kämpferin warf noch einen Blick auf das riesenhafte Reptil und eilte dann dem Magier nach.
»Das war ja nicht gerade ein glorreicher Sieg! Was nützt es, wenn der Drache uns nicht angreifen kann, sein feuriger Atem aber unsere Lungen verglüht oder herabfallende Felsen uns erschlagen?«
»Das Experiment war erfolgreich! Die Macht ist noch in der Krone und hält den Drachen davon ab, uns anzugreifen. Nun gut, wir sind noch ein kleines Stück von unserem Ziel entfernt, also müssen wir zu einer List greifen. Vertraue mir! Morgen gehen wir noch einmal zu ihm. Dann wirst du schon sehen.«
Rolana, die junge Priesterin des Mondordens, erhob sich, und ihr Blick wanderte über die zahlreichen Augenpaare, die sie erwartungsvoll ansahen. Hoch aufgerichtet stand sie da. Die langen, schwarzen Locken hatte sie zu einem strengen Knoten geschlungen, die braunen Augen lagen tiefer als sonst in ihrem blassen Gesicht.
Auf ihre Bitte hin hatten sich die Freunde nach dem Abendessen im Kaminzimmer von Burg Theron versammelt und warteten nun darauf, was Rolana ihnen zu sagen hatte. Die Spannung, die in der Luft lag, und die ernste Miene der Priesterin machten deutlich, dass es sich um etwas sehr Wichtiges handeln musste.
»Was bedrückt dich so sehr? Nur Mut, wir sind doch Freunde!« Der Magier Lahryn beugte seine hagere Gestalt im Sessel vor und strich sich eine weiße Haarsträhne aus dem Gesicht. Die Besorgnis war deutlich in seiner Miene zu lesen.
»Ja, schieß los!« Ibis kickte ihre Stiefel in die Ecke, sprang in einen Sessel und streckte wohlig seufzend die Füße näher zum Feuer. Ihre tiefgrünen Elbenaugen schimmerten, und ihre spitzen Ohren ragten zwischen den Haarsträhnen hervor, die sie im Nacken zusammengebunden hatte. Die zierliche Gestalt, die einen Kopf kleiner war als die Priesterin des Mondordens, verschwand fast im samtbezogenen Ohrensessel.
Rolana sah zu Cay hinüber, der am Kamin lehnte und dessen unsteter Blick dem ihren auswich. Er wirkte an diesem Abend wie ein zu großer, schüchterner Junge, der nicht wusste, was er mit seinen Händen anfangen sollte. Wo war der Schwertkämpfer geblieben, der selbstbewusst gegen Monster und Piraten gekämpft hatte?
Sie hatte ihn verletzt. Er wusste nicht mehr, was er von ihren wechselnden Launen halten sollte. Wie auch? Sie kam ja selbst nicht mit ihren widerstreitenden Gedanken klar. Wie sollten sie dann ihre Freunde verstehen?
Ihr Blick huschte über Thunin, den Zwerg, den Eiben Seradir und den Magier Vlaros zu Lamina, der jungen Gräfin von Theron, unter deren Dach die Freunde seit Wochen wohnten.
Rolana räusperte sich. Wie sollte sie beginnen? Würden die anderen sie für verrückt halten, wenn sie ihnen so einfach verkündete, der kupferne Drache Peramina habe zu ihr gesprochen und ihr gesagt, sie müsse aufbrechen, um die Welt zu retten? Selbst in ihren eigenen Ohren klang das albern.
»Rolana«, hörte sie plötzlich die Stimme des Drachen in sich. »Du darfst nicht zweifeln! Du brauchst deine Kraft für wichtigere Aufgaben.«
Sie hatte den Eindruck, Peramina sei ganz nah. Ihre Macht gab ihr Ruhe. Rolanas tiefe Stimme erfüllte den Raum. Gebannt hingen die Freunde an ihren Lippen, als sie von den Träumen erzählte und von der Nacht, als der Drache mit ihr Kontakt aufgenommen hatte. Sie sprach von den Visionen, die Peramina ihr gezeigt hatte, und von den Schreckensbildern, die wahr würden, wenn sie nichts unternähme.
Ihre letzten Worte verklangen, und die Freunde hatten das Gefühl, aus einem Traum zu erwachen, so greifbar schwebten die Visionen durch den friedlichen Raum. Fröstelnd rückte Lamina von Theron näher zum Feuer, dessen leises Knistern die unheimliche Stille durchdrang.
»Und deshalb bin ich fest entschlossen, auf die Suche nach Peramina, dem kupfernen Drachen, zu gehen, um die Aufgabe zu erfüllen, die sie mir zugedacht hat. Da das Labyrinth unter Burg Theron eingestürzt ist, muss ich zur Westseite der Silberberge reisen und den Weg suchen, den Lahryn bei seiner Flucht von der Burg gefunden hat. Deshalb bitte ich dich, Lahryn, dass du mir den Weg genau beschreibst.« Sie sah den alten Magier an und ließ ihre dunkelbraunen Augen dann wieder über die Gefährten schweifen. »Seid mir nicht böse, dass ich euch verlasse, aber ich kann nicht anders.«
»Ich komme mit dir«, sagte Cay schlicht und sah ihr zum ersten Mal an diesem Abend in die Augen.
»Das brauchst du nicht«, wehrte Rolana ab. »Ich kann von dir nicht verlangen, dich wegen meiner Visionen in Gefahr zu begeben.«
Cay brauste auf. »Du glaubst doch, dass der Drache die Wahrheit sagt und es nicht nur ein böser Traum ist, oder etwa nicht? Denkst du, du kannst diese Aufgabe so einfach allein erledigen? Meinst du nicht, die Welt könnte mehr Hilfe gebrauchen? Was ist, wenn dir unterwegs etwas passiert? Du kannst doch nicht mal mit einem Schwert umgehen! «
»Cay hat Recht«, mischte sich der Zwerg ein und strich sich über den zu Zöpfen geflochtenen Bart, der ihm bis über die Brust hing. »Wenn das alles wahr ist, dann brauchst du jede Unterstützung, die du kriegen kannst. Wir werden es mit mächtigen Gegnern zu tun bekommen! – Ich für meinen Teil gehe auf jeden Fall mit dir.« Thunin erhob sich entschlossen und nahm seine Axt vom Gürtel, von der er sich nicht einmal nachts trennte.
Ibis warf ihr grünliches Haar in den Nacken und reckte sich. »Wir haben schon viel zu lange in weichen Betten geschlafen. Ich habe mich ohnehin schon gefragt, wie lange ich dieses Nichtstun noch ertragen kann. Ein Drache ist doch mal ne nette Abwechslung.«
Entsetzt sah die junge Gräfin von Theron von einem zum anderen. »Ihr könnt mich doch nicht alle verlassen! Ich brauche euch dringend. Ich schaffe das nicht alleine.«
Lahryn nahm ihre Hände. »Lamina, du bist stark und hast jetzt viele Helfer auf der Burg. Du wirst es schaffen!«
»Oh nein«, rief sie und schüttelte den Kopf. »Du musst bei mir bleiben! Du bist mein Hofmagier, und ich denke gar nicht daran, dich gehen zu lassen.«
»Und doch muss ich dich darum bitten. Ich weiß, dass ich dich nicht einfach verlassen darf, in diesem Fall jedoch bleibt mir keine andere Wahl. Rolana wird den Weg sonst nicht finden, und sie wird meine Zauberkraft brauchen.« Steif ließ sich Lahryn vor der Gräfin auf die Knie sinken. »Lamina, ich beschwöre dich, zwinge mich nicht, im Bösen von dir zu gehen. Bitte erlaube mir, unsere Freunde auf dieser wichtigen Mission zu begleiten.«
»Ach Lahryn, warum muss ich euch alle verlieren?« Tränen standen ihr in den Augen, als sie ihm die Hand zum Kuss reichte. »Ich kann dich nicht halten. Geh, wenn du es für so wichtig hältst. Aber was ist mit mir? Brauche ich nicht auch die Hilfe der Magie und den Rat eines Freundes?«
»Ich glaube, ich kenne jemanden, der dir gerne zur Seite steht.« Lahryn stand auf und warf Vlaros, der bisher im Schatten einer düsteren Ecke gestanden hatte, einen aufmunternden Blick zu. Verlegen trat der junge Magier zu Lamina.
»Ich habe dir einen Treueschwur geleistet und habe nicht vor, ihn zu brechen. Du brauchst meine Hilfe nötiger als Rolana, die von Lahryn und den anderen beschützt wird.« Er küsste der Gräfin die Hand. Auf seinen bartlosen Wangen erschienen dunkelrote Flecken, als sich ihre Blicke trafen.
Lamina hatte sich wieder gefasst. »Vlaros, ich freue mich, dass du bei mir bleibst!«
»Auch ich werde bei dir bleiben, wenn du es wünschst«, erhob Seradir plötzlich die Stimme, und die anderen sahen ihn erstaunt an. Der groß gewachsene Elb trat mit federndem Schritt auf die Gräfin zu. »Ich habe Lamina versprochen, mit dem Ältestenrat der Eiben zu reden, um eine Handelsroute zwischen der Grafschaft und der Stadt in den Bäumen in Gang zu bringen ...« Nervös sah ér von einem zum anderen. »Oh bitte, denkt nicht, ich wollte mich verstecken oder euch gar im Stich lassen!«
»Ich glaube, das ist eine gute Aufteilung«, meinte Thunin und legte dem jungen Bogenschützen beruhigend die Hand auf die Schulter. »Zu groß sollte unsere Gruppe nicht sein, sonst fallen wir zu sehr auf.« Der Zwerg wandte sich an
Cay. »Komm, wir müssen noch einiges vorbereiten, wenn wir morgen bei Sonnenaufgang losreiten wollen.«
* * *
Es war schon fast Mitternacht, und die Gefährten waren eifrig mit den Reisevorbereitungen beschäftigt. Rolana drückte Thunin ihre beiden Satteltaschen in die Hand. »Kannst du die für mich verstauen? Ich komme gleich wieder.«
Sie begab sieh auf die Suche nach Lamina, die sie seit der Zusammenkunft im Kaminzimmer nicht mehr gesehen hatte, und fand sie nach längerer Suche in der Bibliothek. In Gedanken versunken stand die junge Gräfin vor einem Gemälde. Das Tuch, unter dem das Bild so lange verborgen gewesen war, hielt sie zerknüllt in der Hand. Sie betrachtete ihr eigenes, glücklich lächelndes Gesicht, das dort in Öl gebannt war, und den zweijährigen Knaben an ihrer Hand, der unverkennbar ihre Züge trug. Leise näherte sich die Priesterin und legte behutsam die Hände auf Laminas Schultern.
»Ich bin eine Verliererin«, flüsterte die Gräfin leise, und Tränen glänzten unter ihren dichten Wimpern. »Ich habe meinen Vater geliebt bis zu dem Tag, als er mich für seine Geschäfte an einen reichen Seidenhändler verkauft hat. Meine Mutter habe ich bis zu ihrem Tod geliebt, an dem ich mich schuldig fühle. Ich habe meinen Mann geliebt und verloren und meinen Sohn.« Lamina deutete auf das Bild. »Mein Sohn Cervin. Er war zwei Jahre alt, als Gerald zu dieser mysteriösen Reise aufbrach. Ein paar Monate später ist es passiert. Ich war damals zum zweiten Mal schwanger. An einem sonnigen Frühlingstag kam ich mit meinem Sohn und dem Kindermädchen von einem Spaziergang zurück, als mir auf der Zugbrücke plötzlich schwarz vor Augen wurde und ich mich setzen musste. Das Kindermädchen war ganz aufgeregt und bemühte sich um mich. So konnte Cervin unbemerkt zum Rand der Brücke gelangen. Mir blieb fast das Herz stehen, als ich wieder zu mir kam. Ich schrie. Da stand er direkt am Abgrund! Er drehte sich zu mir um und fiel. Das Geräusch, mit dem er in den Graben stürzte, wird mir immer im Gedächtnis bleiben. Ich sprang ihm nach, doch ich konnte nicht richtig schwimmen, und das schwere Kleid zog mich nach unten. Das Wasser war so trüb – ich konnte Cervin nicht sehen. Das Kindermädchen kreischte um Hilfe – die Wachen rannten herbei. Dann verlor ich das Bewusstsein.«
Lamina schwieg und zog das schwarze Tuch wieder über das Bild. Dann sprach sie leise weiter. »Als ich erwachte, saß Lahryn an meinem Bett. Ich schrie nach Cervin, doch er konnte mich nur noch zu seiner Leiche führen. Zu spät hatten ihn die Wachen aus dem Wasser gezogen. In dieser Nacht verlor ich auch mein zweites Kind. Es hat die Sonne nie gesehen. Lahryn hat lange um mein Leben gekämpft, doch manchmal wünschte ich, er hätte es nicht getan.«
Sie umschlang Rolana und weinte bitterlich. »Und jetzt bekomme ich ein Kind, dessen Vater mich geschändet hat, und den ich mit eigenen Händen erstochen habe. Sag mir, wie soll ich damit weiterleben?«
Rolana zog Lamina auf das Sofa und streichelte sie sanft, bis sie sich beruhigt hatte. »Du hast dir eine Aufgabe gestellt, die nicht leicht ist: Du willst als Frau das Erbe deines Mannes antreten und eine Grafschaft verwalten, doch ich glaube, du hast die Kraft dazu. Es wird schwer werden, aber nicht unmöglich, nun auch noch ein Kind aufzuziehen. Wir wachsen an unseren Herausforderungen. Du musst sie nur offen annehmen. Das Kind wird eine eigene Persönlichkeit, unabhängig vom Vater, den es nie kennen lernen wird. Deine Pflicht ist es, ihm die Liebe und Fürsorge zukommen zu lassen, die ein unschuldiges Kind verdient, und es nicht für die Sünde seines Vaters büßen zu lassen. Glaube mir, wenn es geboren ist, wirst du es lieben.«
Lamina blieb noch eine Weile in Rolanas Umarmung, dann machte sie sich los. »Trotzdem ist es schwer, gerade jetzt auf euch zu verzichten.«
Rolana sah schuldbewusst zu Boden. »Glaube mir, ich habe mit dieser Entscheidung lange gerungen.«
Lamina seufzte und trocknete sich das Gesicht. »Schon gut, ich werde versuchen, nicht egoistisch zu sein, schließlich willst du die schöne, schreckliche Welt retten, in der wir leben – und wir werden immer Freunde bleiben.«
Die beiden Frauen umarmten sich herzlich, dann ging Lamina hinaus. Rolana saß noch eine Weile da und starrte das verhüllte Gemälde an. Erfüllt von Trauer bat sie Soma, den Gott des Mondes, um Trost für Lamina.
* * *
Die Morgendämmerung vertrieb die Schatten der Nacht und ließ die Abschiedsstunde näher rücken. Die Gefährten hatten kaum Schlaf gefunden, zu sehr hatte die bevorstehende Reise ihre Gedanken beschäftigt. Ibis war die Einzige, die trotz der frühen Stunde ihre kaum zu trübende gute Laune versprühte. Erwartungsvoll war sie bereits vor dem Morgengrauen in ihre Kleider geschlüpft und zu den Ställen hinuntergegangen. Inzwischen hatte sie bereits alle Pferde gesattelt und in den Hof geführt.
»Guten Morgen, ihr Schlafmützen, geht es endlich los?« »Sprich mich nicht an, bevor die Sonne nicht mindestens eine Handbreit über dem Horizont steht!«, knurrte Thunin unwirsch und versuchte, sein Pferd dazu zu bringen, so lange stehen zu bleiben, dass er in den Sattel steigen konnte. Rolana rieb sich die müden Augen, unter denen sich dunkle Ringe eingegraben hatten, umarmte Lamina ein letztes Mal und bestieg dann ihre Fuchsstute.
Alle Bewohner der Burg hatten sich im Hof versammelt, um die Gefährten zu verabschieden. Als die ersten roten Strahlen der Sonne die Berggipfel streiften, ritten die Freunde über die Zugbrücke hinaus. Lamina, Seradir und Vlaros standen oben auf den Zinnen und winkten den Freunden nach, bis sie zwischen den Hügeln verschwunden waren.
* * *
Nur mit dem Nötigsten an Gepäck ausgerüstet folgten die Gefährten Lahryn, der die Umgebung am besten kannte. Er führte den kleinen Trupp hinauf in die Berge, die scheinbar uneinnehmbar im Morgenlicht vor ihnen aufragten. Der Grund war felsig und stieg manchmal so steil an, dass sie die Pferde nur im Schritt gehen lassen konnten. Das dunkle Grün des Spätsommers wurde immer spärlicher, und am Nachmittag erreichten die Freunde eine Schlucht.
Lahryn zügelte sein Pferd und deutete auf den beängstigend schmalen Durchbruch zwischen den Felswänden. »Hier müssen wir durch. Die Schlucht führt uns hinauf zum Pass. Wir werden die Höhe nicht ganz meiden können, doch ich hoffe, der Weg ist um diese Jahreszeit noch frei. Wenn wir den Pfad um die Berge herum wählen, dann kostet uns das einige Tage.«
»Da du uns hierher geführt hast, ist die Entscheidung ja schon gefallen. Die Frage ist nur, bekommen wir unsere Pferde über den Pass?« Besorgt sah der Zwerg zu den schneebedeckten Gipfeln empor.
»Ich glaube schon. Wir werden sicher ab und zu absteigen müssen, doch wenn wir die Pferde am Zügel führen, geht es sicher.«
»Ich hoffe, du hast Recht«, nickte der Zwerg und trieb sein Pferd an, um Lahryn in die Schlucht zu folgen.
Steil stiegen die Wände in den grauen Himmel. Die Sonne war hinter dicken Wolken verborgen, und der Wind heulte sein seltsames Klagelied zwischen den zerborstenen Felsbrocken. Der Weg war steinig und schmal, und sie konnten nur noch im Schritt hintereinander reiten. Tiere und seltsame Monster, gebannt in ewigem Stein, vom Sturmwind geformt und vom Regen ausgewaschen, starrten die Freunde aus toten Augen an. Nur wenige Pflanzen trotzten den widrigen Bedingungen und krallten sich in den Spalten und Ritzen fest, um im Windschatten ein kärgliches Dasein zu fristen.
»In meinem ganzen Leben habe ich noch keine so gewaltige Landschaft gesehen. Wie klein wir Menschen doch sind, wie unbedeutend.«
Rolana sah sich staunend um und ließ den Blick zu den weißen Spitzen hochwandern. Selbst im Traum waren ihr die Berge nie so riesig und so schön erschienen. Nicht einmal die glühende Sommersonne konnte in diesen Höhen den Kampf gegen die Schneeriesen gewinnen. Zwar zogen sie sich für einige Monate auf die höchsten Gipfel zurück, spotteten dem Sommer aber von dort aus mit Hagelschauern und Schneestürmen.
»Ja«, stimmte Cay ihr zu. »Und ich hatte immer geglaubt, das endlose Meer sei der schönste Ort auf der Welt.«
Als die Schlucht sich weitete, zügelte Lahryn sein Pferd. Nur wenige Schritte vor ihm stürzten die Wände einer Felsspalte, die die Schlucht querte, in die Tiefe. Ein schmaler, steiniger Pfad führte zu ihrem Grund und an der anderen Seite wieder hinauf, doch er sah nicht aus, als wäre er für Pferde geeignet.
»Viel zu steil und zu schmal!« Ibis schüttelte den Kopf. »Hier kommen wir nicht weiter.«
»Lasst euch überraschen. Kommt!« Der alte Magier stieg ab, führte sein Pferd am Rand der Felsspalte entlang um eine vorstehende Felsnase herum und blieb dann stehen.
»Hier ist der Übergang. Etwas schwankend vielleicht, müsste aber halten.« Er zeigte auf eine Hängebrücke aus geflochtenen und verknoteten Seilen, deren schmale Bretter über den Abgrund führten. Sehr stabil sah sie nicht aus.
Thunin sprang vom Pferd. »Wir sollten die Brücke erst zu Fuß untersuchen. Ich bin mir nicht so sicher, ob sie ein Pferd aushält. Los, Ibis, du bist doch immer so abenteuerlustig. Sieh dir die Seile und Bretter an.«
»Stets zu deinen Diensten!« Ibis sprang vom Pferd, schlenderte zur Brücke, trat vorsichtig auf die Bretter und ging dann ein Stück über den tiefen Abgrund hinaus. Sie betrachtete die Seile genau und hüpfte dann ein paar Mal hoch, so dass die Brücke gefährlich hin- und herschwankte.
Lahryn hielt sich die Hand vor die Augen. »Das kann ich nicht mit ansehen. Wir hätten doch besser den Umweg nehmen sollen.«
»Ach was, Ibis weiß, was sie tut«, beruhigte Cay den Magier.
»Und, was meinst du?«, rief Thunin der Elbe zu.
»Alles klar! Die Seile sind schon ein paar Jahre alt, aber noch völlig in Ordnung. Du kannst ruhig kommen. – Tolle Aussicht hier!«
Zaghaft betrat der Zwerg die Brücke und hangelte sich vorsichtig bis zur Mitte vor. »Also, wenn ich ein Pferd wäre, brächten mich keine zehn Pferde auf dieses schwankende Ding!«
Er wollte schon zurückgehen, als etwas am Boden der Schlucht seine Aufmerksamkeit erregte. In der Wand, ganz unten am Grund, waren einige Höhlen, und in einer bewegte sich etwas. Nur kurz konnte Thunin einen Schatten erhaschen, dann war er wieder verschwunden. Was das wohl sein mochte? Angestrengt blickte er hinunter, konnte jedoch nichts erkennen. Er spürte das vertraute, warnende Kribbeln unter seinem Bart. Nein, das dort unten war sicher kein ihnen freundlich gesinntes Wesen. Noch ein Grund mehr, die Brücke rasch hinter sich zu lassen.
Der Zwerg eilte zu den anderen zurück. »Wir verbinden den Pferden die Augen und führen sie einzeln hinüber. Ibis macht den Anfang, ich gehe zum Schluss.«
Die Elbe kam ohne Schwierigkeiten hinüber und winkte Cay fröhlich, ihr zu folgen. Die Seile ächzten, als der großgewachsene Kämpfer sein Pferd auf die schmalen Bretter führte. Nervös wieherte es, als die Brücke unter seinen Hufen schwankte, doch Cay hielt das Tier mit eisernem Griff am Zügel und erreichte so unbeschadet die andere Seite, ebenso Lahryn.
Thunin setzte sich an die felsige Kante, ließ die Beine baumeln und sah Rolana zu, wie sie Schritt für Schritt die Brücke überquerte, als er plötzlich am Grund der Spalte wieder eine Bewegung wahrnahm. Eine große, entfernt menschenähnliche Gestalt mit nur einem Auge mitten auf der Stirn trat aus der Höhlung in der Wand. Sie war bestimmt acht Fuß groß, sehr muskulös, nur spärlich mit einem Fell bekleidet und hielt einen plumpen, hölzernen Speer in der Hand. Der dicht behaarte Schädel war schmal im Vergleich zu dem breiten Kiefer, der nur noch lückenhaft mit gelben Zähnen besetzt war. Das Wesen trat träge blinzelnd ins Tageslicht, gähnte und schlurfte ein paar Schritte auf eine zweite Öffnung in der Wand zu. Plötzlich entdeckte es Rolana auf der Brücke, deutete mit seinen dicken Fingern nach oben und rief etwas, das die Freunde nicht verstehen konnten. Die Laute ließen eher an ein wildes Tier denken als an einen Menschen.
Thunin sprang auf die Beine und brüllte: »Zyklopen! Rolana lauf!«
Die Gestalt am Fuß der Felsspalte stieß ebenfalls einen Schrei aus, packte den Speer fester, holte zum Wurf aus und schleuderte dann mit seinen übermenschlichen Kräften den Stab mit der gefährlich blitzenden Eisenspitze. Der Speer flog auf die völlig schutzlose Priesterin zu, die alle Mühe hatte, ihr scheuendes Pferd zu beruhigen.
»Rolana, pass auf!«, schrie Cay. Lahryn erwischte den Kämpfer gerade noch am Ärmel, bevor er auf die Hängebrücke hinausrennen konnte. »Nicht! Das Ding hält euch zusammen nicht aus. Du kannst ihr nicht helfen.«