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Das eine Amulett, mit dem das Unheil begann, befindet sich noch immer in der Obhut von Reginald Vonderlus. Doch sein Schöpfer, der Dämon Qnyano, giert danach, um Macht über die Welt der Lebenden zu ergreifen. Der Druide Aris Grünfried ahnt, dass das uralte Relikt Reggie verändert, doch er muss entsetzt feststellen, dass es bereits von seinem Freund Besitz ergriffen hat. Sein Verdacht bewahrheitet sich. Das Relikt birgt etwas Ur-Böses in sich und ist untrennbar mit seinem Schöpfer verbunden. Können die chaotischen Freunde um den Zwerg Tolumirantos den Dämon aufhalten? Und vor allem: Wollen sie das überhaupt? Es scheint, als seien Aris Grünfried und die Elbin Syljana auf sich selbst gestellt.
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Seitenzahl: 547
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»Gleich wie schwer es scheint, vertraut in den Lauf des Lebens und bleibt stets zuversichtlich.«Andored
Prolog
Aquitan, Süd-Rhonisch, Ende Juli des Jahres 1889
1. Amlaar
2. Das Lunasa-Fest
Nelister, am frühen Morgen des 31. Juli 1889
3. Verfolgungswahn
4. Offenbarung in den Stollen
5. Die Einberufung
6. Sprung ins Ungewisse
Nelister, am 3. August
7. Von Grashalmen und Brotkrumen
8. Zusammenkunft im Kittel
9. Ankunft in Kalandria
10. Tatort Güterbahnhof-Ost
Allfaldria am Abend des 3. August
11. Zu Taten schreiten
12. Heimwärts
13. Karten auf den Tisch
14. Aufbruch ins Neuland
5. August, im Trifolium
15. Der letzte Standort
16. Der vallunische Pilger
Aysen, am Abend des 5. August
17. Eine heiße Spur
Tenebris, am 5. August
18. Feind oder Freund?
19. Der Turmalin
6. August, irgendwo in Ost-Vallune
20. Einsatz am langen Hannes
6. August, Landeshauptsatdt Kalandria
21. Etwas lauert im Walde
Gringelots, in Vallune am 7. August
22. Das tapfere Kaiserlein
7. August, in Vendryn, Rhonisch
23. Der stille Diener
24. Joch der Agonie
25. Die drei Pforten der Sinqtu
26. Gegner und Verbündete
Das Sinqtu-Kloster am 8. August
27. Der Exorzismus des Reginald Vonderlus
28. Initiativen
29. Ein neues Ziel
30. Das Tor zur Hölle
Das Sinqtu-Kloster am 9. August
31. Tod und Verbannung
32. Heimkehr
Der Autor
Namensregister
Sehr schwere Zeiten herrschten dieser Tage. Diese eine Tatsache war unbestreitbar. Offiziell dürfte er sich nicht einmal in diesem Land aufhalten. Wenn das herauskäme, dann säße er mit seinem Hintern nicht mehr auf diesen unbequemen Holzstühlen der Universität, sondern im Handumdrehen auf dem blanken kalten Stein, um den das Gefängnis erbaut wäre, in das man ihn dann steckte. Wie war Aris dann hierher gekommen, ohne in ganz Rhonisch gesehen zu werden? Ganz einfach. Der Druide nutzte das Reisen durch eine Paralleldimension. Dies ging nur über den Zugang von einer bestimmten Eichenart. Der Gelb-Trauben-Eiche. Das war natürlich nicht ganz ungefährlich, denn die Begebenheiten in Tenebris, so lautete der Name dieser Dimension, waren nicht sehr gut. Darin war die Luft trocken und dünn. Es herrschte stets eine tiefschwarze Finsternis und man war umgeben von kargem Schieferstein und tiefen Schluchten. Aber nur so war es Aris möglich gewesen, auf schnellstem Wege zur Universität im Süden Rhonischs zu gelangen, ohne von den hiesigen Soldaten festgenommen zu werden. Allerdings galt die Stadt Aquitan, deren Fundamente und Grundmauern auf einer Halbinsel standen, irgendwie schon immer als sein eigener Staat, wenngleich sie im Territorium des rhonischen Reiches lag.
Man könnte Aquitan also viel eher als ein Universitäts-Stadt-Staat bezeichnen. Ja, das traf es so ziemlich genau. Einmal davon abgesehen, dass die Lehrenden und selbst der aktuelle Rektor, Girion Harvelus Cornichon, stets neutral blieben. Kurzum, es interessierte niemanden, woher Aris kam. Hauptsache, er besaß einen gültigen Ausweis und war somit eingeschrieben, im großen Register. Zudem gab er selbst gelegentlich ein paar Kurse, wenn es gewünscht wurde. Daher war für Herrn Grünfried alles im grünen Bereich.
Zurück zur Lage. Weniger grün waren dagegen die Neuigkeiten. Aris' schwarze und buschige Brauen verfinsterten sich schlagartig zu einer Einzigen, als er gerade im Nuntius Nuntium, der örtlichen Tageszeitung, von diesen schlechten Begebenheiten aus dem Umland erfuhr. Laut diesem Bericht auf der Titelseite galten die Fronten zwischen Rhonisch und Westfal als verhärtet. Wenn nicht binnen kommenden zehn Tage eine Beilegung des Streits zwischen beiden Regenten stattfinde, hieß es dort, dann würde die Situation eskalieren und es komme zu Krieg.
Sogar Kaiser Frenzo II. aus Vallune hatte bereits den vergeblichen Versuch unternommen, als Schlichter zu fungieren. Dabei wäre es beinahe zu einem Dreifrontenkrieg hinausgelaufen, nachdem Kaiser Husterzius von Rhonisch ihn obszön beleidigte. Immer wieder kam es vor, dass besagter Kaiser den Vorwurf erhob, ein anderer Herrscher führe eine Verschwörung gegen Husterzius oder sein Land und untergrabe zudem seine Autorität. Ein ziemlicher Hitzkopf, der Gute und genau das Gegenteil des betagten, westfälischen Kaisers, Karell Karl Ott. Möglicherweise lag es eben auch am Alter.
Seine Augenbrauen entspannten sich wieder, als Aris die Zeitung halb niederlegte und durch das große, schmale Fenster hinaus in den strahlend blauen Morgenhimmel blickte. Vereinzelnd waren nur ein paar sanfte, weiße Schleierwolken darin zu sehen. Was für ein Hahnenkampf, dachte er und schmunzelte närrisch. Es klang fast albern. Was sollte dieser ganze Kappes? Dabei konnte sich der Druide die Frage längst selbst beantworten. Erst kürzlich nach seinem Eintreffen hatte er erfahren, wer seit geraumer Zeit an der Seite von Piquory Husterzius im Amt des Beraters stand.
»Zoldan Detmore«, sprach Aris verächtlich und schob die Zeitung Richtung Tischmitte zurück. »Ich frage mich, was er damit bezwecken will.«
»Das fragen sich alle dieser Tage«, pflichtete ihm eine weibliche Stimme bei. »Selbst Rektor Cornichon.«
»Sag, ist es wahr, dass du das Buch der sieben Siegel nach Aquitan zurückgebracht hast, damit das alte Relikt hier sicher verwahrt ist?«, sagte eine andere, beinahe unverwechselbar ähnliche Stimme.
Gemächlich blickte Aris herüber und in die beiden jungen, elbischen Gesichter seiner Tischnachbarinnen, Nesrin und Sakura, schwarzhaarige Zwillinge, die als sogenannte HiWis (Hilfswissenschaftlerinnen) in der Fakultät Naturalistoria tätig waren und ihm stets gerne zur Seite standen, wenn er vor Ort war. Bekannt waren sie dem Druiden schon seit ihren Tagen als Erstsemestlerinnen an der Universität Magicae et Occultae Aquitan. Daher vertraute er ihnen und er konnte sie jederzeit in seine Forschungen einbeziehen und Hilfe erwarten. Deshalb nickte er vielsagend und sein Blick verlor sich ein weiteres Mal in der Ferne. Das Buch der sieben Siegel hatte er zusammen mit Syljana Braélad in der Villa Montrevel geborgen, worauf sie im Keller den Leichnam von Asceanda Falkron entdeckten. Seiner Einschätzung nach hatte man sie zu Tode stranguliert. Ein Täter war bisher noch nicht gefunden worden. Jedoch hatte der Druide in den Händen der toten Elbin einen sauber gefalteten Zettel entdeckt. Eine Nachricht an die Finder ihrer Leiche. Diese Botschaft war mit der Initiale ›Z‹ unterzeichnet. Wer kam ihm da wohl als Erstes in den Sinn? Aber noch hatte er keine Beweise für seine Vermutung. Dennoch lag es natürlich Nahe. Unter anderem war er deshalb nach Aquitan gereist.
Beide Elbinnen neigten ihre Köpfe gleichzeitig zur selben Seite und sahen ihn prüfend an. »Träumst du wieder?», sagte Nesrin zu ihm. Die Zwei trugen ein herausforderndes Schmunzeln auf ihren Lippen.
Nachdem Aris andächtig den Kopf schüttelte, ging er sich mit der freien rechten Hand mehrmals durch den dichten, langen Bart. »Ich denke«, offenbarte er ihnen abwesend, was sie schon längst wussten. Sie kannten ihn ja nicht seit gestern.
»Aris«, sagte Sakura lieblich. »Wir kennen dich jetzt seit fast acht Jahren. Wir wissen, dass du nicht träumst.«
»Aber vielleicht magst du mit uns deine Gedanken teilen?«, fügte Nesrin nachdrücklich hinzu.
Plötzlich starrte er sie mit sehr weiten Augen an und die Zwillinge erschraken über diese Reaktion des Druiden. Aris aber lachte deutlich entspannt und machte eine kurze, wegwerfende Handbewegung. »Viel zu düster sind meine Gedanken über den heraufziehenden Weltuntergang und das grausame Ableben junger elbischer Frauen von der Fachkultät Naturalistoria, die ihre neugierigen Nasen einmal zu oft in fremde Angelegenheiten steckten.«
Als er ihre betröppelten und blassen Gesichter sah, fing Aris herzlich an zu lachen, worauf sich seine verquollenen, runden Augen zu ganz schmalen Schlitzen verzogen. »War doch nur ein Scherz«, beruhigte er sie sogleich. »Die Welt geht trotzdem unter. Aber das dauert noch gaaanz lange.« Er begann abwesend seine Finger zu kneten und blickte sich dabei in der Kantine um. Die Gelenke knackten mehrmals. »Ich muss gleich wieder ins Archiv und vorher hole ich mir noch einen Becher Tee«, sagte Aris entschlossen.
»Du forschst wieder nach dem Amulett?«, wollte Nesrin sicherstellen.
»Das ist richtig«, nickte Aris. »Und nach allem, was damit in Verbindung steht. Ich muss andere Betrachtungswinkel berücksichtigen.«
»Verstehe«, sagte Sakura. »Der zeitliche Aspekt. Geschehnisse die damit in Verbindung stehen könnten.«
»Divergenz«, fand Nesrin einen passenden Fachbegriff. »Die Suche ausweiten, streuen«, bewegte sie die Finger beider Hände nach außen, wie wenn sich die Blüte einer Rose auftat. »Wo liegt der ungefähre Eingrenzungsbereich?«
»Habt ihr Zeit mitgebracht?«, fragte sie der Druide und erhob sich langsam, um darauf seinen schwarzen Fellmantel mit den beiden weißen Streifen am Rücken überzuziehen.
Wie Soldaten zum Kommando streckten sich die beiden HiWis auf und sagten gleichzeitig begeistert. »Aber klar.«
»Gut.« Wieder schien Aris abwesend, während er in seinen Taschen nach etwas kramte, um sich zu vergewissern, ob es noch da war. Leise klimperte es darin. »Aber erst der Tee«, sagte er dann aufgeweckt. »Auf dem Weg ins Archiv erläutere ich euch, was ihr für mich tun könnt. Auf geht's!«
Sie folgten ihm gehorsam und wissenshungrig.
Der Weg hinauf in die Bibliothek war lang. Die Universität glich im Ganzen einer Stadt im Mantel eines Burgkomplexes, nur eben mehr in die Höhe gebaut, als in die Weite. Von außen wirkte sie wie eine Festung, umgeben von einem mittelhohen Außenwall, der von der Festlandseite her wie ein Hufeisen die Universität umschloss. Darin wohnten gewöhnliche Handwerker aller Art in ihren Fachwerkhäusern. Es gab Schankhäuser wie auch in anderen Städten und eben etliche, verschiedene Warenläden. Im Quitenviertel konnten die Studenten und Lehrenden daher alles erstehen, was sie für ihr Studium benötigten oder wonach sie unterdessen sonst noch verspürten. Aber im Innern, hinter dem zweiten, doppelt so hohen Wallring, war es eindeutig eine Art Schule. Seine Architektur spross mit hohen Decken und von Säulen gestützt wie ein Dorn konisch und plateauartig hinauf in den Himmel und im obersten Turm saß natürlich seine Magnifizenz, der Rektor persönlich. Es gab tausende Gänge und breite, hohe Treppen überall. Die große Halle und die Kantine sowie alle anderen Versorgungsbereiche befanden sich im unteren Bereich. Im ersten Geschoss lagen die Unterkünfte der Studierenden. Die beiden folgenden Stockwerke standen mit ihren vielen Räumen den Lehrzwecken zur Verfügung. Darüber lag die Bibliothek und die Verwaltung. Ganz oben schließlich die Büros und Wohnräume des Lehrkörpers.
Die Zeit reichte jedoch genau aus, um den Zwillingen ihre Aufgaben zu erklären, damit sie unmittelbar mit ihrer Zuarbeit beginnen konnten, sobald sie angekommen waren. Schließlich musste sich Aris damit sputen. Wenn es sich bewahrheitete, was der alte Zauberer Odrich Gerautilus Meanderer annahm, dann war Qnyano seit dem Vorfall im Gerichtssaal frei, nachdem Esker ihn gerufen und vom Dämon selbst auf übelste Weise getötet wurde. Offenbar hatte Qnyano es unmittelbar auf den Träger es Amuletts abgesehen, ansonsten wäre er damals nicht auf Reggie hinabgestürzt.
Die große Frage die zurückblieb, als der Halbling danach unversehrt schien, war, wo der Dämon nun steckte? In Reginald? Oder war er allgegenwärtig? Die These von Aris und Odrich schien eindeutig auszufallen. Für gewöhnlich fuhren Dämonen in die Körper von Humanoiden. In der Welt der Lebenden war für sie ein Wirt unerlässlich, da ihr Wesen andernfalls langsam wieder dahinschwand. Obwohl man es dem Halbling nicht direkt ansehen konnte, würde sein Wesen ihn gewiss bald verraten.
Dessen waren sich die beiden Gelehrten jedenfalls einig. Das Schlimme war nur, dass Reggie seither das eine schwarzmagische Zauberamulett, welches als das Uhrwerk des Bösen bekannt war, um seinen Hals trug. Deshalb war Aris hier in Aquitan, um nachzuforschen, was ein längst verstorbener und gelehrter Magier vor vielen Hundert Jahren über das Amulett herausfinden konnte und welche Studien er dazu durchgeführt hatte. Welche Macht besaß Qnyano jetzt und auf was mussten sie gefasst sein?
Der ursprüngliche Name des Forschers war gegenwärtig unbekannt. Jedoch war alles, was man dazu fand und in den vergangenen Jahren zusammengetragen wurde unter dem Begriff Amlaar zu finden, was gleichzeitig auch der Titel des Gesamtwerks war. Kopien dieses Buches gab es nur wenige. Reggie hatte bereits eine davon in seinen Händen gehalten. Zudem wusste Aris, wo sich das Original befand. Hier, im Archiv von Aquitan, der großen Universität für Magie und Okkultes.
Endlich gelangte das Dreiergespann an die Portale zur Bibliothek. Ihre beiden doppelflügeligen Pforten lagen etwa fünf Meter vom letzten Treppenabsatz entfernt. Der Druide und seine Begleiterinnen gingen hinüber, traten folglich hindurch und begaben sich direkt an den nächsten Schalter. Ein brünette, kurz haarige Menschenfrau mit einer übergroßen Brille auf ihrer langen Hakennase stand dahinter und stempelte die Innenseiten einiger Bücher ab.
»Könnte ich bitte den Schlüssel zur unantastbaren Sektion ausgehändigt bekommen?«, bat Aris höflich danach.
»Tut mir leid«, sagte die Frau daraufhin beschäftigt. »Aber aktuell ist der Zugang zur genannten Sektion niemandem ohne der ausdrücklichen Erlaubnis seiner Magnifizienz gestattet«, ratterte sie den Standardsatz herunter, ohne zu ihnen hinzusehen.
»Ich war gestern bereits hier«, entgegnete Aris und zog den linken Ärmel seines Mantels zurück, woraufhin ein kö-nigsblaues, geknüpftes, etwa ein fingerbreites Armband mit drei silbernen Sternen oder Rauten darin eingearbeitet zum Vorschein kam.
»Gestern hatte ich keinen Dienst«, klang die Mitarbeiterin etwas schnippisch, wie Aris fand. Er ließ sich von den negativen Schwingungen jedoch nicht mitreißen und lächelte einfach weiterhin.
Die Frau sah ihn kurz über ihre Brille hervor an, als prüfe sie seine Reaktion. »Einen Moment, ich schaue sofort im Registrierbuch nach. Ihr Blick huschte sogleich hinab. Plötzlich zuckten ihre Brauen verwundert hoch. »Sie sind jedenfalls nicht der Einzige, der eine Erlaubnis dazu hatte, wie mir scheint«, offenbarte sie ihm.
»Wie?«, schien Aris wahrlich überrascht. Auf seine Erkundigung hin, teilte sie ihm mit, dass dort nur ein ›Z‹ vermerkt war. Nicht gerade das, was das Protokoll der Bibliothek vorschrieb, schien sie sich darüber zu empören.
Zoldan, schoss ihm der Name geistesgegenwärtig in den Sinn. Genau, wie in dem kleinen Brief. Mit skeptischen Ausdruck drehte sich Aris zu seinen HiWis um.
Gleichzeitig zuckten sie beide überfragt mit den Achseln.
»Wenn Sie entschuldigen, ich hole gerade den Schlüssel«, versprach die Frau vom Schalter und während sie nach hinten verschwand, schaute Aris ihr kurz nach.
»Seitdem offiziell bekannt ist, wer der aktuelle Berater an Seiten des rhonischen Kaisers ist, löste das Thema ganz schön Aufruhr aus«, sagte Sakura.
»Aris?«, sprach ihn Nesrin direkt an. »Ist an dem Gerücht über ihn etwas dran?«
»Welches Gerücht?«, wandte sich der Druide den beiden jungen Elbinnen nun interessierter zu.
Nesrin strich eine verirrte Strähne ihres schwarzen Haares hinter ihr rechtes Ohr.
»Nun ja«, sagte sie dann und wirkte verlegen. »Dass Zoldan früher eine Frau gewesen sei.«
»Das erzählt man?«, wunderte sich Aris etwas. Aber nicht weil es so unmöglich klang, sondern eher, dass es überhaupt ein Thema in aller Munde war.
Die Zwillinge nickten eifrig.
»Ein Mann, gefangen im Körper einer Frau«, enthüllte er ihnen. »Das kommt häufiger vor, als ihr vielleicht glaubt. Im frühen Erwachsenenalter hatte sich Zoldana dann schließlich entschlossen, das auch so auszuleben und sich umbenannt. Seitdem lautete ihr Name Zoldan. Die Universität wollte das so nicht anerkennen und abändern, worauf es Streit gab und die Sache ziemlich eskalierte. Mitunter ist das der Grund, warum Zoldan heute nicht mehr im Register verzeichnet ist. Er traf damals eine einschneidende Entscheidung für sein berufliches und privates Leben und wendete sich so von der Universität ab, nachdem Zoldan den Rat als Hort alter Narren und Närrinnen bezeichnete.
»Wieso hatte er dann gestern Zutritt zum Archiv?«, sprach Sakura aus, was die anderen beiden wohl auch dachten.
»Das ist die große Frage«, musste Aris eingestehen. »Jedenfalls war damals nicht Cornichon der Rektor.«
In diesem Augenblick kehrte die Bibliotheksmitarbeiterin an den Schalter zurück und legte den Schlüssel auf dem Tresen ab. Mit einem Fingerzeig hielt sie ihn davon ab, ihn zu greifen. Der Schlüssel war handgroß, aber sein Anhänger glich einem Hundeknochen. Zum Glück war er nicht schwer, da man ihn aus Aluminium gegossen hatte. Neben vieler kleiner, zierlicher Gravuren auf der flachen, rechteckigen Oberfläche mit dem halbkugeligen Ende war in der Mitte ein großes ›X‹ und darüber in Kapitälchen das Wort ›Sektion‹ eingestanzt. In der Halbkugel saß ein aufmerksames Auge, welches sie und ihre Umgebung stetig musterte.
»Unterzeichnen sie hier im Register, dass sie den Schlüssel entgegengenommen haben«, sagte die Frau und schob ihm das Buch unter die knollige Hakennase. Aris nahm die Tintenfeder in die linke Hand und setzte sein Autogramm in die entsprechende Zeile. Die korrekte Uhrzeit und das Datum waren bereits eingetragen worden.
»Gut«, sprach die Frau weiter, nachdem er ihr das Buch und die Feder zurückgeschoben hatte. »Bringen sie den Schlüssel bitte vor Dienstschluss um 18.00 Uhr zurück.«
Das war alles. Aris nickte ihr zu und nahm schließlich den Aluminiumanhänger samt Schlüssel vom Tresen.
Die Zwillinge folgten ihm nun stumm. Abseits vom Schalter begaben sich die drei eine Treppe hinunter. Wie lang sie war, das konnte man von hier oben nicht wirklich einsehen, da es zwischendrin Plateaus gab und die Decke der oberen Etage die Sicht verbarg. Erst danach konnten sie erkennen, dass die Stufen mehrere Meter in die Finsternis hinabführten. Nach und nach flammten an der rechten Seitenwand Fackeln auf und offenbarten endlich einen Boden. Die Wände waren ansonsten recht kahl und aus grobem Stein gemauert. Unten angekommen, wandten sie sich nach links um und folgten praktisch einem parallel zur Treppe verlaufenden Gang zurück, der ganz offenkundig eine Sackgasse war. Am Ende blieb Aris vor einer Türe zu seiner Rechten stehen. Ein paar schwarze fingerkuppengroße Spinnen traten vor ihnen und dem aufflammenden Feuer der Fackeln die Flucht an.
Auf der schweren Eichentüre mit Eisenbeschlag war wieder das riesige ›X‹ zu sehen. Aris steckte den Schlüssel ins Loch und öffnet sie, um sie gleich hinter ihnen wieder zu verschließen. Von dort aus entsandte er Nesrin und Sakura dann mit den Worten: »Denkt daran. Alles was sich etwa fünf Jahre vor und nach dem Jahr 1380 abgespielt hat und irgendwie im Zusammenhang mit dem Uhrwerk des Bösen stehen könnte. Dämonen, Untote ...«
»Das wissen wir, Aris!«, unterbrachen die Elbinnen ihn synchron.
»Ja«, bewunderte er sie und kicherte. »Natürlich. Ich vergesse immer schnell, wie schlau ihr doch seid. Worauf wartet ihr?«
Wissbegierig huschten die beiden jungen Frauen unmittelbar davon und er verlor sie irgendwo zwischen den hohen Regalen des Geheimarchivs aus den Augen.
Gerade hatte Aris eine entsetzliche Entdeckung gemacht. Mit bleichem Gesicht zuckte er auf und blickte mit weiten Augen suchend nach den beiden jungen Frauen umher. Der Druide erhob sich von seinem zurückgeschobenen Stuhl, der dabei ein schleifendes Geräusch über den Steinboden machte. Das Knarzen hallte laut durch die Katakomben. Im Stehen stützte er sich nun ungläubig mit beiden Armen auf dem rechteckigen Tisch ab, der quer zu ihm stand und er überschaute das darauf liegende Chaos jetzt von oben. Zwei Öllampen hingen an langen Tauen mit Haken daran von der Decke hinab und spendeten ihm Licht. Mit der rechten Hand fuhr Aris sich mehrmals abwesend durch den schwarzen, vollen Bart.
Nirgends stand geschrieben, woher das Amulett kam. Als wäre es plötzlich aus dem Nichts aufgetaucht. Aber was er so eben gelesen hatte, ließ einem das Blut in den Adern gefrieren. So schrecklich war die Vorstellung dessen, wenn es der Wahrheit entsprach. Wiederholt strich sich Aris mit der rechten Hand entgeistert von der Oberlippe den Bart hinab, als beruhige es ihn. Bereits im letzten Jahr hatte er mitbekommen, zu was dieses Artefakt fähig war. Er hatte damals erfahren, dass dieser Magier Tretenville den Dämon Qnyano in einen Menschen hatte fahren lassen und wie er anschließend mit seiner Hilfe hunderte Tote zum Leben erweckte. Diese Armee von Untoten zog anschließend durch das umgebende Land von Trivess und hinterließ Chaos, Tod und Schrecken, bevor sie sich im Westviertel der Stadt vorerst niederließen. Jedoch nur, um an Größe zu gewinnen, da das Viertel auf einer Nekropole erbaut wurde. Es war der perfekte Ort für einen Nekromanten. Wenn jedoch das Amulett der Schlüssel zur Unterwelt war, wie es hier geschrieben stand, und es sich nun in den Händen des Dämons befand, was konnte dann für ein Unheil über sie alle hereinbrechen?
Unvorstellbar. Er musste dafür sorgen, dass das Amulett verschwand. Aber wie? Sein Blick schweifte nach den Frauen suchend durch das große Archiv der Bibliothek umher. Überall meterhohe Regale mit Schriftrollen, Büchern und Folianten. Und dann tauchten sie wie ein Rettungsanker hintereinander in einem der Gänge auf.
»Aris!«, rief Nesrin aufgeregt und mit einem an die Brust gedrückten Wälzer. Sakura folgte ihr auf dem Fuße mit einem kleinen, schwarz eingebundenen Buch in den Händen.
Sogleich schuf der Druide ihnen auf dem Tisch Platz. »Was habt ihr herausgefunden?«, begrüßte er ihr Eintreffen.
Nesrin gab den Foliant aus ihren Armen frei, indem sie ihn auf die freie Stelle legte und umgehend aufschlug. »Folgendes«, sagte sie und deutete nun auf die Überschrift des Kapitels. »Das ist der zweite Band von ›Geschichten und Ereignisse Rhonischs im 14. Jahundert‹. Vor fünfhundertzehn Jahren gab es ein einschneidendes Ereignis, das in diesem Buch festgehalten wurde. Hier wird Amlaar sowie ein Amulett erwähnt, mit dem er so etwas wie das Tor zur Hölle beschwor.«
»Er beschwor es?«, schien der Druide verwundert über das Wesen des Magiers zu sein.
Nesrin nickte hastig. »Ja. Offenbar war Amlaar ein Schwarzmagier und Nekromant, aber auch ein Forscher und Visionär seiner Zeit. Ihn lockte stets die Neugier, was mit Magie alles möglich war und es scheint, als nahm er dafür vieles in Kauf und schenkte dabei Ethik keinerlei Beachtung.«
»Dann bestätigt es auch meinen Fund«, sagte Aris geheimnisvoll.
Nesrin blätterte hastig um und tippte wieder auf eine andere Stelle im Text. »Hier wird vage beschrieben, wo sich das Tor befand und wie sich eine Gruppe Magiekundiger erfolgreich darum bemühten, es zu schließen.« Die Elbin blätterte weiter. »Ich denke, jetzt kommt der wichtige Teil. Sie nahmen das Amulett an sich und brachten es an einen besonderen Ort. Hier heißt es, ›der Berg sei zwar klein im Vergleich zu seinen drei unmittelbaren Nachbarn, aber es ging tief hinab in die Erde‹. Man spricht von einem vor langer Zeit erbautem Tunnelsystem. Ein okkulter Ort, dessen Name nicht direkt erwähnt wird. Man versteckte das Amulett abseits von der Stelle, jedoch verbunden durch einen natürlich geschaffenen Höhlengang in einem extra angelegten Raum. Dort wurde das Amulett auf einem kleinen Monolithen gebettet und der Raum schließlich versiegelt.«
»Das ist doch ein Hinweis oder nicht?«, fragte Sakura ihn.
»Schnell, wir brauchen eine Karte von Westfal, Rhonisch und Vallune«, meinte Aris daraufhin enthusiastisch.
»Was suchen wir darauf?«, erkundigte sich Sakura, unterdessen Nesrin einfach die letzte Umschlagseite aufschlug und gehalten von einem Band eine Karte zutage förderte.
Diese nahm Aris entgegen. »Drei größere Berge, die einen Kleinen umgeben«, erläuterte er den beiden Elbinnen, während er sie aufschlug und einfach oben auflegte. »Seht ihr etwas?«, suchte er mit den Augen über die große, hochformatige Karte Rhonischs mit Ausläufen nach Westfal, Vallune und Hoyresse. Gerade die Gebirge um Dûn Kohlenz oder die Förlphyden nahm er zuerst in Augenschein. Leider war dort kein Hinweis auf die benannte Konstellation zu finden.
»Was ist mit denen hier?«, wies Nesrin auf drei Berge im Westen Westfals um Allfaldria.
»Der Lötz, der Ohlberg und der Börn«, zählte Aris auf und suchte weiter nach dem Vierten »Da! Der kleine Berg ist der Napola in Nelister«, stieß Aris freudig hervor. »Das muss es sein.« Sogleich griff er einen Bleistift und verband die Berge miteinander.
»Gut, da kenne ich mich etwas aus und ich habe Freunde dort«, klang der Druide nun sehr euphorisch. »Was hast du gefunden, Sakura?«
Der Zwilling holte sein kleines Buch hervor. »Es ist das Tagebuch einer Magierin namens Belagorn. Es lag genau zwischen den Geschichtsbüchern Rhonischs, als habe es jemand dort versteckt.
»Wenn du das merkwürdig findest, ist sehr wahrscheinlich etwas an deiner Annahme dran«, bestärkte Aris ihr Gefühl. »Was konntest du darin finden?«
»Na ja«, schien Sakura nun weniger überzeugt. »Der Ort Nelister wird erwähnt und sie beschreibt den unterirdischen Weg sowie den Verlust eines Freundes dort, der wohl in die Tiefen stürzte. Aber auch über die Einbuße ihres Diadems zur Bindung des Amuletts.«
Aris richtete sich milde lächelnd auf. »Das sind alles sehr gute Hinweise«, sprach er zu den Zwillingen und wurde wieder ernst.
»Aber was hast du herausgefunden?«, fragte Nesrin jetzt ihn. Sie und ihre Schwester sahen ihn erwartungsvoll an.
»Das ist ebenfalls wenig erfreulich«, gestand der Druide den jungen Frauen. »Das Pendelamulett gilt wohl als der Schlüssel zur Unterwelt. Nesrin, du hast den Beweis meiner These geliefert. Amlaar wollte vor über fünfhundert Jahren an einem okkulten Ort unter der Erde damit das Tor zur Unterwelt öffnen.«
Auf einmal schweiften Aris' Augen ab. Sein Kopf schien einer schwingenden Bewegung zu folgen. Die Schwestern sahen sich abrupt um und erkannten jetzt auch den tiefschwarzen Falter, der, wer weiß woher, aufgetaucht war.
Was trieb ein schwarzes Insekt innerhalb dieser steinernen Mauern, voll mit Humanoiden und so weit weg von der Natur?, überlegte Aris angestrengt. Das konnte nur eines bedeuten. Madame Farvalla musste in der Nähe sein. Sie war eine Freundin und ein Mitglied der Weisen Sieben.
»Ich glaube, wir sind für heute fertig«, sagte Aris zu ihnen und begann unmittelbar die Unterlagen zusammenzuräumen.
»Aber wir haben doch noch über eine Stunde bis die Bibliothek schließt«, protestierte Nesrin betrübt. »Genug Zeit ...«
Sakura legte ihrer Schwester sanft eine Hand auf die Ellenbeuge. »Wir müssen aufbrechen«, sagte sie zu Nesrin. »Der Falter ist ein Zeichen. Aris ist nur zu höflich das zu sagen.«
»Was würde ich nur ohne euch tun?«, lobte sie Aris und lächelte milde, während er weiterhin geschäftig alles aufräumte.
Unversehens sprach eine weibliche autoritäre Stimme zu ihm. »Man hat mich also bemerkt.«
Hastig wandte sich Aris zu ihr um. Nesrin und Sakura blickten ebenso aufmerksam zu ihr auf.
»Farvalla!«, seufzte der Druide erleichtert. »Du bist es.«
»Ich freue mich auch dich zu sehen«, kam die gänzlich in schwarze gekleidete Frau mit den ebenso schwarzen, glatten Haaren auf ihn zu und schloss herzlich ihre Arme um den Mann. Aris erwiderte die Umarmung und machte sich gleich weiter ans Aufräumen, sobald sie sich voneinander gelöst hatten.
Farvallas große, mandelförmigen Augen huschten aufmerksam über die Einbände und Pergamente. »Wie ich sehe, bist du wieder einmal in Forschungen vertieft.«
Aris stockte plötzlich und sah reumütig zu ihr herüber. »Verzeihung. Ich habe euch noch nicht vorgestellt.« Seine rechte Hand wies auf die Zwillinge. »Das sind Nesrin und Sakura, meine treuen HiWis. Das ist Claudelle Farvalla vom Rat der Weisen Sieben.«
Die jungen Frauen wirkten ganz aufgeregt. »Das wissen wir doch«, sagten sie gleichzeitig und reichten der Magierin in Schwarz nacheinander die Hände.
»Sehr erfreut«, gab sich Farvalla höflich und sah dann Aris ernst an. »Ich komme, um euch zu warnen. Jeden Moment ...«
Entfernt tauchten nun Stimmen auf.
Alle Vier schaute augenblicklich ertappt in diese Richtung.
»Was ist hier los?«, wunderte sich Aris.
»Du musst schnellstmöglich von Aquitan verschwinden«, offenbarte Farvalla ihm. »Und ich helfe dir dabei.«
Eilends machte Aris weiter und nickte. Sie beendeten gerade das Stapeln und Zusammenräumen, da erschien Rektor Cornichon persönlich in seiner ozeanblaugrünen Robe mit Silber- und Goldbrokat und in Begleitung von einem Mann und einer Frau in schlichteren, aber gleichfarbigen Roben.
Farvalla warf dem Druiden einen vielsagenden Blick zu. Sie beide wussten, was das für Leute waren, die der Rektor hier hinunterführte. Sie kamen vom rhonischen Ministerium im Auftrag des Kaisers. Das war sehr ungewöhnlich.
»Herr Aris Grünfried«, begrüßte Cornichon ihn freundlich und sah ihn über seine schmalen Lesegläser hervor blitzend an. »Ich bin untröstlich, aber ich muss Sie und die Damen nun bitten das Archiv zu verlassen.«
»Ist sonst noch jemand zugegen?«, erkundigte sich die Frau vom Ministerium autoritär und sah sich mit ihrem Kollegen flüchtig in allen Gängen um.
»Nein«, antwortete Aris ihr wahrheitsgetreu. »Nur wir vier und Sie.«
Die Frau beachtete ihn gar nicht.
Cornichon trat etwas näher an Aris heran und erkundigte sich väterlich flüsternd, ob er alles gefunden hatte. Das bestätigte Aris stumm nickend, worauf der Rektor ihn leicht an der Schulter drückte und dann lauter zu den Leuten sagte: »Gut, wir können dann das Abteil schließen.«
Farvalla eilte mit ihnen weit voran. Unterdessen sie nun die Treppen hinaufstiegen, schwirrte in Aris' Kopf andauernd die Frage herum, aus welchem Anlass sich das Land neuerdings in die Angelegenheiten von Aquitan einmischte. Den Schlüssel zur unantastbaren Sektion hatte Aris zuvor Cornichon überlassen. Oben angekommen, geleitete sie Farvalla zur Treppe hinaus. Dort bat sie Aris, sich von den Zwillingen zu verabschieden.
Als das getan war, führte die Magierin ihn einen ihm unbekannten Weg entlang. »Wohin gehen wir?«, drängte sich ihm nach gewisser Zeit die akutere Frage auf.
»Weg!«, sagte die schwarzgekleidete Frau kurz, ohne sich nach ihm umzudrehen. »Es ist Eile angebracht. Cornichon konnte für dich etwas Zeit schinden. Noch wissen die vom Ministerium nicht, woher du stammst. Aber das kann jeden Moment geschehen und dann suchen sie dich.«
»Oh!«, entfuhr es ihm überrascht. Das war mal ganz neu.
»Du musst zurück nach Westfal, mein Freund«, drängte Farvalla ihm seine nächsten Schritte auf.
Nun gut, sann der Druide. Dann halt eben ein Tag früher, als gedacht. Dennoch verstand er die ganze Aufregung nicht.
Zusammen gelangten sie an einen schmalen, selten verwendeten Treppenabgang. Diesem folgten sie tief hinunter und erreichten am Ende einen verwinkelten Flur. Aris hatte keine Ahnung, wo er sich nun befand und wunderte sich, da er doch sonst glaubte, jeden Winkel von Aquitan zu kennen. Man lernte eben nie aus.
Am Ende gelangten sie an eine kurze, aber breite Sackgasse mit zwei schmalen Luftöffnungen auf Kopfhöhe zu beiden Seiten. Sie wirkten wie alte Schießscharten. Dort wandte sich Farvalla ihm vertraulich zu. »Konntest du alles Nötige über das Amulett in Erfahrung bringen?«, fragte sie ihn umgehend.
»Ja, denke schon«, sagte Aris dann wenig überzeugt.
»Das muss reichen«, klang sie wirklich alarmiert. »Wir sehen uns hoffentlich, wenn sich die Lage wieder beruhigt hat.«
»Aber, was ist denn los?«, wandte er sich ihr nochmals zu. Doch Claudelle Farvalla strich abwesend und mit geschlossenen Augen mit der einen Hand über eine Fuge an der langen Mauer aus Stein. Ein Schleifen und Klicken ertönte. Daraufhin drückte sie mit beiden Händen feste gegen die Wand und ein Teil von ihr ließ sich nun wie eine Pforte nach hinten schieben. »Hilf mir bitte!«, stöhnte sie erschöpft auf.
»Aber natürlich«, besann er sich sogleich und schob mit. Ein schmaler Spalt tat sich an der linken Seite auf. Es war Finster dahinter. »Wo führt der Weg hin?«
»Auf einen Pfad von der Insel weg. Du wirst unmittelbar an der Eiche auskommen, die dir den Übergang nach Tenebris ermöglicht. Hast du all deine Sachen?«
»Aber sicher«, bestätigte Aris. »Ich habe sie in der Nähe im Unterholz versteckt«, vertraute er ihr an.
Farvalla nickte und legte eine Hand auf seine Schulter. »Geh! Die Zeit drängt«, sandte sie ihn mit einem leichten Schubser durch den schmalen Spalt. Aris duckte sich hinab. Er musste seinen Bauch etwas einziehen, um sich durch die schmale Öffnung zwängen zu können. Aber wenige Zentimeter später fand er sich in einem Grubenschacht wieder.
»Hier!», reichte ihm Farvalla eine brennende Fackel herein. »Glück auf, mein Freund«, verabschiedete sie ihn, worauf er ihr mit einem Arm half, die Wand an die Stelle zurück zu schieben. »À Reyam!«, wünschte Aris ihr auf elbisch, bevor sie nicht mehr zu sehen war und dann machte er sich umgehend auf den Weg.
Mit einer heißen Tasse Kaffee saß Andored auf den Treppenstufen zur Veranda des Hauses seiner Schwestern. Neben ihm wartete eine zweite Tasse für seine Freundin Luna, die sich gleich zu ihm gesellen wollte. Verträumt lächelnd genoss der Elb den wunderbaren Anblick des Gartens, umgeben von den Bäumen, die das Haus wie ein natürlicher Schutzwall umringten. Die Sonne war vor etwa einer Stunde aufgegangen und seitdem war auch er wach. Die Bienen summten emsig umher. Ein blauer Falter flog von einem Blatt zur nächsten Blüte.
Plötzlich spürte er eine wohltuende Wärme in sich, wie wenn man im Sonnenlicht badete. Gewiss lag das nicht am Kaffee und auch die Sonnenstrahlen vom Osten her drangen nicht gänzlich bis zu ihm durch. Nein, dieses Gefühl kündigte jemanden an, den er schon länger nicht mehr gesehen hatte.
In einem gleißenden Licht, dass eben nicht von der Sonne herrührte, jedoch die selbe Intensität hatte, erschien ihm Xarfael, der Engel, den Ando seit seiner erstmaligen Anrufung in Odrichs Keller vor einigen Monaten bewusst kannte. Sie war sein Schutzengel, den er damals bei dem Ritual herbeirufen musste. Nur ihr war es möglich gewesen den Dämon Qnyano ins Jenseits zu verbannen und somit Ando sowie seine Freunde von dem Fluch zu erlösen, der seit der Sache in Trivess an ihnen haftete.
Leider war es Ruinard Esker daher auch möglich, den Dämon aufs Neue zu beschwören. Einzig durch einen Sabotageakt von Asceanda Falkron und Syljana Braélad gelang es hinterher, dass Qnyano seinen Meister tötete. Leider aber von da an frei war.
Ando blinzelte noch vom Nachbild und konnte langsam das schöne Antlitz des Engels betrachten. Ihr braunes, schulterlang wallendes Haar, die Stubnase und der Mund, welche beide einer Freundin von ihm so ähnelten. Xarfaels fliederfarbene Augen fixierten ihn und sie lächelte ihm warmherzig zu. Er entgegnete es ebenso.
»Du bist hier«, klang der Elb irgendwie erleichtert.
»Ich bin da«, erwiderte Xarfael ebenso freudig und setzte sich auf die Stufen unterhalb neben ihm. Ihre Kiefer- und Kinnpartie waren schmaler, als die von Alexa und ihre Augen hatten nicht diese Schlupflieder. Immer wieder fiel er innerlich in Schwärmerei über ihre Schönheit.
Ando sah weg, zum Garten hin. Tränen stiegen ihm in die Augen und er selbst konnte nicht einmal genau sagen warum. War es Freude? War es seine Traurigkeit über die Vergangenheit oder einfach Sehnsucht, die ihn zu übermannen schien?
»Gräme dich nicht«, sagte Xarfael und legte eine Hand auf seinen Unterarm nieder. Ihre besondere, wohltuende Wärme strömte augenblicklich in seinen Körper hinein. »Was geschehen ist, musste so kommen. Ich konnte und durfte nicht einschreiten, auch wenn ich noch so wollte«, teilte sie ihm voller Reue mit, als müsse sie ihm gegenüber Abbitte tun. »Verzeihst du mir?«
Ando konnte seine Skepsis nicht verbergen, als er sie ansah.
»Bitte«, sprach sie weiter. »Ich beteure, dass es mir in den Tagen nicht anders möglich war. Weder nach dir zu sehen, noch euch beizustehen.«
Sein Blick wurde trauriger, der Wasserstand darin kehrte zurück. Aber Ando lächelte warmherzig. »Xarfael, es gibt nichts zu entschuldigen«, versicherte er ihr gegenüber. »Ich bin nicht sauer auf dich oder sonst irgendwie enttäuscht. Im Gegenteil. Ich hatte einfach zu viel erwartet, bevor du mich in meiner Zelle mit Recht mahntest«, spielte der Elb auf ihren letzten Besuch an. Er legte nun seine linke Hand an ihre rechte Wange und sie schmiegte sich sanft darin. »Sieh mich an!«, forderte er sie auf. »Ich bin einfach froh, dass du heute gekommen bist und freue mich sehr.« Er ließ sie los und setzte sich gerader auf. »Also, ich würde dir ja einen Kaffee anbieten, aber diese Tasse hier war für Luna gedacht und ich meine mich richtig zu erinnern, dass Engel nichts dergleichen zu sich nehmen, korrekt?«
Das zauberte Xarfael ein Lächeln ins Gesicht und sie nickte. »Wer ist denn Luna?«
»Eine Freundin aus Kalandria. Wir haben uns damals in Treveriam kennengelernt und zusammen in der Gruft von Trivess den Bann des Amuletts gebrochen.« Er wirkte plötzlich verlegen. »Also, eigentlich war sie es ... Ich habe ihr nur Beistand geleistet.«
»Ohne diesen Beistand, hätte ich das allerdings nicht geschafft«, hörten sie auf einmal Lunas Stimme von der Türe her. Beide sahen aufmerksam zu ihr auf. Luna stoppte prompt. »Deine Schwestern meinten, es wäre in Ordnung, wenn ich zu euch stoße«, sagte sie nun vorsichtig. Aus ihrem Munde klang es beinahe wie eine Frage.
»Aber natürlich ist das in Ordnung«, erwiderte Ando und reichte ihr die Tasse Kaffee. Mittlerweile war er sicherlich nicht mehr heiß. »Setze dich zu uns«, bot er Luna an und stellte sie offiziell einander vor.
»Annurie hatte mich schon vorgewarnt, wie hübsch du bist«, entgegnete Luna ihr mit ihren rosigen Wangen lächelnd. »Aber wahrlich, du bist soo schön«, machte sie noch größere Augen.
Andored lachte und hatte das Gefühl, das Thema wechseln zu müssen. »Wo sind die Drei eigentlich?«, sprach er von seinen Schwestern Daryelle, Isuna und Annurie.
Luna trank gerade an ihrer Tasse und musste noch schlucken. »Oh, sie sind in der Küche und schauen nach unseren Broten, die im Ofen vor sich hin backen.«
»Gibt es etwas zu feiern?«, erkundigte sich Xarfael.
Irgendwie fühlte es sich für Ando mit ihr und Luna auf den Stufen zur Veranda so an, als wäre alles ganz normal, aber auch sehr schön. Wie als habe er eine tiefe Verbundenheit zu beiden und sie sogar einen guten Draht zueinander. Sie redeten ganz locker zusammen und lachten viel, während sie dem Engel erzählten, was sie an dem heutigen Tage noch Großes vor hatten.
»Das Lunasa-Fest am Fallbörn«, wiederholte Xarfael aufgeschlossen. »Dann müsst ihr sicherlich bald aufbrechen, um rechtzeitig zum Festessen anzukommen.«
Luna und Ando nickten beide.
»Begleitet euch noch jemand?«, schien Xarfael doch sehr neugierig.
»Ja«, sagte Ando. »Ehren geht mit uns. Er hilft uns beim Tragen der drei Laibe und dem Fass Kräuterbutter.«
»Was ist denn mit deinem Freund, Reggie?«, fragte sie darauf und bemerkte direkt Andos betroffenen Blick. »Oh«, klang Xarfael gleich reumütig. »Du machst dir Sorgen um ihn?«
»Richtig«, bestätigte er ihr und rückte umgehend mit der Sprache heraus. So konnte er Xarfael endlich in die Geschehnisse vom Gerichtssaal einweihen, dem Engel von Eskers schief gelaufener Anrufung Qnyanos sowie dem folgenden, sogenannten Kuss des Dämons an Reggie berichten. Dabei äußerte er offen seinen Verdacht über seinen kleinen Freund und ließ ebenso nicht aus, dass er das eine Amulett um seinen Hals trug.
Im Gegenzug offenbarte sie ihm darauf, dass das Amulett immer noch Macht besäße. Sie nannte es Qnyanos Vermächtnis und Ando betitelte es als das Uhrwerk des Bösen.
Infolgedessen fragte sie ihn, wo man es damals gefunden habe und er erinnerte sich, dass es tief in den Stollen des Bergund Verhüttungswerks an der Kupferburg in St. Ohlberg entdeckt und ans Tageslicht befördert wurde.
»Es war nicht weit von hier«, erläuterte Ando. »Jedoch tief im Berg, in einem von Hand geschaffenen Raum. Von ihm ging ein höhlenartiger Pfad ab, der uns damals zu einem gleichermaßen von Händen erbauten Gangsystem führte.«
Luna hörte aufmerksam und interessiert zu.
»Dort lag es wohl nicht ohne Grund verborgen«, schätzte der Engel. »Du musst es fortbringen. Zu viel Böses wird davon angezogen. Da sind Mächte am Werk, die selbst ich als Engel fürchte. Odrich würde es dir bestätigen«, sagte sie und erhob sich von der Stufe. »Ich werde ihn gleich aufsuchen.« Xarfael blickte nun eindringlich zu ihm hinab, nachdem sie sich erhoben hatte. »Hilf deinem Freund. Bitte ihn es dir zu geben oder überlege dir etwas anderes. Verstecke es gut«, sagte sie dann. »Es darf niemand anderem in die Hände geraten. Ich hoffe, dein Freund ist noch er selbst und lässt sich zu dieser Tat überreden.«
Ando schluckte. »Du machst mir Angst, Xarfael«, sagte er ziemlich eingeschüchtert und erhob sich ebenfalls.
»Die solltest du auch haben«, entgegnete sie ihm mitfühlend, bevor sie in gleißendem Licht verschwand.
Bis zum Börn sollte es ungefähr ein fünfeinhalbstündiger Fußmarsch werden. Deshalb brachen Ando und Luna zusammen mit dem schwarzen Einhorn Ehren kurz vor Mittag dort hin auf. Die Strecke führte sie über Bleifall und von da an lange die Handelsstraße in das reich bewaldete Gebirge hinauf. Von da an befanden sie sich also im Fallbörnwald. Die Drude erzählte ihren Begleitern unterdessen, worum es bei dem Lunasa-Fest eigentlich ging. Sie erläuterte, dass es nicht nur den Beginn der Erntezeit einläutete, sondern auch den Herbstanfang markierte.
Für alle Drei war der Anstieg sehr anstrengend, weshalb sie laut Kilometerstein am Straßenrand schätzungsweise bei der Hälfte auf ein paar liegenden Baumstämmen eine Pause einlegten. Ando und Luna aßen ein paar belegte Brote und teilten sich den Wasserschlauch, während Ehren abseits am Rande graste und auch ein paar Kräuter fraß.
Plötzlich erfasste das wachsame Auge Andoreds, wie sich von oberhalb der Straße drei Männer auf Pferden zwischen den Bäumen herausschälten und in jedem Fall bald an ihnen vorbeikommen würde.
»Sieh mal«, wies Ando seine Freundin darauf hin. »Drei Reiter.« Sie trugen eher gewöhnliche Stadtkleidung in Erdtönen. Braune Hosen und Blousons. Darunter beige farbige Hemden und braune Lederstiefel. Einen Unterschied gab es bei den Hüten. Zwei trugen die bei Arbeitern beliebte Schirmmütze. Der dritte Reiter, flankiert von seinen Kollegen, trug jedoch einen braunen Homburger Hut. Das war ein hoher Herrenhut aus Filz mit hochgebogener, eingefasster Krempe und Mittelkniff in der Krone. Die Männer waren dem Elb schon aus der Entfernung nicht recht geheuer.
Gerade als Ando sich zu Ehren umdrehen wollte, erschien das schwarze Einhorn neben Luna. Es machte sich mit einem Schnauben bemerkbar, senkte seinen Kopf und somit seine schwarzopal glänzende Hornspitze sachte auf Lunas goldschimmerndem Haarschopf nieder.
Da erschrak Ando über ihre plötzliche Veränderung. Luna hatte auf einmal Falten bekommen. Ihre Haut war mit Altersflecken überseht und wirkte dünn und blass. Ihr Haar war jetzt hellgrau. Direkt verstand Ando, was das Einhorn damit beabsichtigt hatte. Wenn diese drei Männer Ganoven waren, hätte er alleine gegen sie keine Chance, Luna vor ihnen zu beschützen. Es war also eine reine Vorsichtsmaßnahme von Ehren, der Drude ein alte Erscheinung zu verpassen.
Zum Dank für seine Weitsicht, reichte der Elb seinem tierischen Freund einen Apfel. Damit zog sich Ehren wieder zufrieden zurück.
Die Reiter kamen stetig näher.
Um die Zeit zu überbrücken, bis sie vorüber waren, wandte sich Ando mit einer Frage an seine Freundin.
»Weißt du, worauf ich noch einmal so richtig Lust hätte?«, sagte Ando verschmitzt lächelnd zu ihr.
Luna lächelte. »Immer raus damit!«
»Auf ein Stück von diesem Printen-Kürbis-Kuchen, den wir damals in Treveriam bei Alfons gegessen haben.«
»Oh ja«, klang sie sehr begeistert. »Das war doch der Tag, an dem wir uns kennenlernten, nicht wahr?«
»Richtig«, stimmte Ando ihr zu. »Das ist jetzt schon fast ein Jahr her.«
»Die Zeit verfliegt«, schüttelte Luna andächtig ihren Kopf. »Was euch letzten Winter passiert ist, tut mir leid. Das war sicherlich alles sehr einschneidend.«
»Sehr«, musste der Elb auch sich selbst eingestehen. »Ich dachte, ich hätte meine Freunde verloren. Aber ich hatte ja noch Aris. Zum Glück. Denn durch ihn konnten wir einiges in die Wege leiten, was den Ausgang der Geschichte letztlich begünstigte.«
»Wie ist das so innerhalb von Tenebris«, sprach Luna auf die finstere Dimension an, die der Druide des Öfteren nutzte, um schneller von einem Ort zum anderen reisen zu können.
»Ganz schön unheimlich«, verriet er ihr. »Es ist stockfinster und überall wo man hinsieht ist karger, scharfkantiger Schieferfels. Freiwillig würde ich da nicht noch einmal rein.«
»Unvorstellbar«, sagte Luna und senkte ihren Blick zu Füßen.
Die Männer hatten sie erreicht. Die Hufen klapperten gedämpft auf dem Weg, während sie an ihnen vorüberkamen. Der mittlere Mann schaute ganz grimmig nach vorn. Ando sah zu ihnen auf und grüßte sie freundlich.
Jedoch erhielt er zur Antwort nur argwöhnische Blicke, als dachten sie, wie ein Elb nur darauf käme ihnen eine guten Tag zu wünschen.
Das fand Andored zwar nicht schön, konnte es jedoch auch nicht ändern. Daher lenkte er sich ab, indem er einfach den Wasserschlauch verstaute und die Riemen seines Rucksacks schloss.
Nachdem die drei Männer einige Meter von ihnen entfernt waren, löste Ehren Lunas Verwandlung wieder auf und anschließend begab sich das Trio schleunigst weiter auf den Weg den Berg hinauf.
Als sie den Aufstieg überwunden hatten, stand die Sonne seit ihrem Zenit bereits auf halber Strecke zum Horizont. Hier verschnauften sie kurz im Schatten der Tannen, tranken etwas Wasser und setzten ihren Fußmarsch sodann fort.
Irgendwann gelangten sie an einen Wegzweig. Von hier an lotste sie Luna weiter nach links und hielt dabei stets Ausschau nach einem Streckenstein am rechten Straßenrand.
Andoreds Adlerauge erfasste ihn schließlich schon aus weiter Entfernung. Dagegen musste Luna ihre Knöpfchen zusammenkneifen, um ihn ausmachen zu können.
»Du hast recht«, bestätigte sie ihm und klopfte anerkennend mit dem Handrücken gegen seinen Oberarm. »Also noch ein paar Meterchen. Dann haben wir es geschafft.«
Letztlich stoppte die Drude an einer Stelle und blickte rechtsseitig ins Unterholz hinein. »Hier ist es«, sagte sie, worauf sich Ando vorbeugte und indes versuchte etwas darin zu erkennen. Nach wenigen Sekunden offenbarte sich ihm ein Pfad durch das tiefe, dicht verwucherte Dickicht. Luna war längst im Begriff darin zu verschwinden und Ehren war schon auf halber Strecke hinab.
»Wartet auf mich!«, rief Ando ihnen nach und ging hinterher. War das der Durchgang zur Enklave der Druiden?, fragte er sich, obwohl er doch spürte, dass hier Magie wirkte und dies ihm bereits die Antwort lieferte.
»Egal, was geschieht«, hörte er Luna noch sagen, »bleibt immer gerade auf dem Weg.«
Innerhalb des Gestrüpps war die Magie körperlich noch deutlicher wahrzunehmen. Ando spürte ein gewisses Flimmern in der Luft und er mahnte sich immer wieder, er solle ja auf dem Weg bleiben. Plötzlich blieb er stehen. Die Umgebung schien sich mit einem Mal zu verändern. Er ahnte, wenn er weiter darauf achtete, würde ihm schwindelig werden und dann vermutlich die Orientierung verlieren. Daher schloss er seine Augen und tat einfach einen Schritt nach dem anderen. Irgendwann fühlte er, wann es Zeit war, sie wieder zu öffnen. In diesem Moment trat Ando aus dem Dickicht auf eine Lichtung und wäre beinahe gegen Ehrens Hinterteil samt Schweif gelaufen. Während er an dem Einhorn vorbeiging, strich der Elb abwesend über seinen Rücken, da der Anblick der Lichtung seine volle Aufmerksamkeit einforderte. Mitten auf der riesigen, leicht unebenen Wiese wuchs eine wirklich imposante Eiche in die Höhe. Ihre Krone wirkte so gewaltig, er hatte in seinem bisherigen Leben noch nie so einen schönen Baum gesehen.
Um den Stamm der riesigen Eiche herum stand eine lange Tafel einem Quadrat gleich aufgestellt. Überall hingen bunte Girlanden und Bänder mit Fähnchen an den Ästen des Baums.
Darauf hielten er und Ehren nun zu. Denn dort stand jetzt auch Luna bei einer sehr kleinen Gestalt in einer farbenfrohen Robe und mit einer braunmelierten zerzausten Kurzhaarfrisur.
»Ihr kommt gerade rechtzeitig«, begrüßte sie die kleine Frau lächelnd.
Darauf machte Luna sie miteinander bekannt. »Smeral Grüntrunk, das sind Ehren und Andored, Freunde von mir.«
»Es freut mich sehr, Frau Grüntrunk«, entgegnete Ando und deutete eine Knicks an.
Smeral wurde ganz rot. »Ach, nicht doch, junger Mann.« Die Gnomin winkte ab. »Wir sind hier ganz umgänglich. Also keine überschwänglichen Höflichkeiten.« Darauf sah sie zum schwarzen Einhorn, dass wie zu einer Begrüßung wieherte. »Ich grüße auch dich, Oenoeur. Es ist gar nicht so lange her, als wir uns das letzte Mal sahen.«
»Ist das so?«, wandte sich Andored verwundert an das pechschwarze Einhorn mit dem wabernden Fell. Ehren nickte mit seinem Kopf und schnaubte.
»Damals, kam er mit einem anderen Freund zu Besuch. Wie hieß er noch ...?«, überlegte Smeral ernst.
»Reggie?«, schien Ando die Antwort zu wissen.
»Ja«, sah sie freudig auf. »Richtig. Er hieß Reggie. Ein sympathischer Mann. Suchte nach Aris Grünfried.«
»Ist Aris heute ebenfalls eingeladen?«, fragte Andored direkt und suchte derweil das hintere Feld nach ihm ab.
»Eingeladen schon«, erwiderte Smeral Grüntrunk und wirkte bedauernd. »Ob er allerdings kommen wird, steht in den Sternen.«
Ando seufzte ausgelassen. »Bleiben wir zuversichtlich.«
»Genau!«, pflichtete die Gnomin ihm bei und lächelte breit. »Wie ich sehe, habt ihr etwas mitgebracht. Das könnt ihr direkt auf dem Tisch verteilen, wo noch Platz ist. Das ist aber ein kleines Fass Bier.«
Ando und Luna begannen zu lachen. »Nicht doch«, sagte Andored zu ihr und stellte das Missverständnis unmittelbar richtig. »Das ist ein Fässchen Kräuterbutter.«
»Oh«, tat die Gnomin verlegen und wies vage in Richtung Tafel hinter ihnen. »Einfach dazustellen und dann nichts wie ab ins Getümmel. Viel Vergnügen auf unserem Lunasa-Fest.«
Das taten sie beide, während Ehren einfach unbekümmert grasen ging.
Bisher kannte Andored niemanden der Gäste, daher lief er einfach neben Luna her und begrüßte die Gesellschaft. Darunter waren nicht nur Druiden und Druden eingeladen, sondern auch SeherInnen, Medien und gewöhnliche Hexen und Heckenmägde, Satyre und Nymphen, Dryaden und Gestaltwandler sowie eben MagierInnen. Alles, was etwas mit Spiritualität zu tun hatte und dafür stand, war vertreten.
Aber dann tauchten endlich die ersten ihm vertrauten Gesichter auf der Wiese auf. Justina Endress, als Vertreterin der Weisen Sieben zusammen mit Aris Grünfried. Umgehend begab sich Andored zu ihnen. Dabei wusste er gar nicht so recht, wie er die rothaarige Magierin begrüßen sollte. Doch als der Moment kam, nahm er sie einfach in die Arme, wie sie es wohl auch vorgehabt hatte. Ein Küsschen auf jede Wange. Das Gleiche forderte Aris auch ein und tat dabei mütterlich. Zum Schluss kniff ihm der Druide noch kichernd in die Wange, was den Elb noch mehr in Verlegenheit brachte. Daraufhin wurde er ernster und teilte ihm mit, dass es ein glücklicher Umstand war, ihn am Börn zu treffen und sie nach dem Essen etwas zu bereden hätten.
»In Ordnung«, entgegnete ihm Ando und zu dritt begaben sie sich schließlich an ihre Plätze.
Zum rechten Zeitpunkt, wie sich zeigte. Die Oberste der Enklave am Börn läutete alsdann ein Glöckchen und bat alle Gäste sich auf ihren vorgesehenen Plätzen niederzulassen. Nun folgte eine kurze Ansprache und das Festessen konnte beginnen. Zu allerlei frischen Broten gab es verschiedene Käse- und Buttersorten, bunte Gemüsestreifen mit festen Kräutersoßen aus Quark oder Schmand zum tunken, gebackene Kartoffeln und Champignons und dazu Bier und Wein vom Fass. Leichte Kost an einem warmen Sommerabend war doch genau das Richtige.
Als die Sonne knapp überm Horizont stand, beendete man das Essen, räumte zusammen alles weg und ließ noch die Reste auf einem einzigen Tisch für einen Mitternachtshappen stehen. Nun holten ein paar Leute ihre Musikinstrumente heraus und begannen damit Tanzmusik zuspielen. Je dunkler es wurde, desto mehr Glühwürmchen tummelten sich unter und in den Ästen der großen Eiche. Wem nicht nach tanzen zumute war, der durfte sich auf einer der vielen Decken abseits des Baumes niederlassen und konnte dabei die Sterne beobachten.
Auf einer solchen Decke lagen Andored und Aris nebeneinander und starrten in den Abendhimmel. Die untergehende Sonne färbte ihn von orange zu rosa und violett. Es war ein traumhafter Anblick, jedoch noch nicht die Krönung dieses Abends.
»Ich muss dir etwas erzählen, Schatzi«, sagte der Druide auf seine herzliche Art. Als Ando zu ihm rüberblickte, wirkte er jedoch sehr ernst.
»Was hast du auf dem Herzen, Herzchen?«
»Dieser Tage war ich in Aquitan zu Besuch«, begann Aris zu erzählen. »Natürlich nicht zum Spaß. Auch wenn das Forschen immer wieder einen gewissen Reiz auf mich ausübt. Wie dem auch sei, ich wollte mich über Reggies Amulett schlaumachen, welches er um seinen Hals trägt. Aus alten Forschungsunterlagen des Magistermagus Amlaar fand ich etwas Wichtiges heraus.«
»Das Uhrwerk des Bösen betreffend?«, wollte Ando sicherstellen, damit sie sich nicht missverstanden.
Aris nickte. »Mein Freund, es dient als Schlüssel zur Unterwelt. Wenn mich nicht alles täuscht, weißt du genau wie ich, dass Reggie derzeit nicht er selbst ist.«
»Ja, das sagt mir meine Intuition seit dem Vorfall im Gerichtsaal«, erklärte Ando somit seine Vermutung für zutreffend.
»Siehste!«, schien Aris erleichtert und sah ihn nun mit schmalen Augen an. »Wir haben eine Mission! Du erzähltest mir einmal beiläufig, wo das Amulett gefunden wurde und ich fand gestern den Beweis dazu. Das Amulett muss wieder in den Schacht, in diesen einen Raum zurückgebracht werden und dort verschlossen bleiben«, klang Aris überzeugt. »Es war schließlich nicht ohne Grund Jahrhunderte dort eingeschlossen. Und du kennst den Weg besser als ich.«
Ando wandte sich ihm zu. »Jahrhunderte?«
»Ja«, versicherte Aris. »Amlaar ist vor fünfhundertneun Jahren gestorben. Seitdem galt es wohl als verschollen und es fand nirgends mehr Erwähnung. Das Schwierigste wird sein, Reggie für dieses Unternehmen zu gewinnen.«
»Das glaube ich auch.«
Eine Gestalt trat an ihren Platz heran und beugte sich über Andored. »Ich glaube, ich muss dich gerade mal retten«, sagte Justina und ihre roten Locken fielen vornüber um ihr Gesicht. Ando konnte durch das voranschreiten der Dunkelheit kaum noch ihr Profil erkennen. Aber ihre grünen Augen funkelten ihn an. »Auf geht's, tanzen!«
»Entschuldige mich, mein Freund«, sagte Ando wehmütig zu seinem Platznachbarn und ergriff ihre Hand. Wenn eine Frau ihn schon zum Tanz aufforderte, konnte er nicht Nein sagen.
»Schon gut«, sagte Aris. »Ich wollte eh gerade einen Happen essen. Der Blauschimmelkäse hat es mir angetan.«
Gerade als sich Justina und Ando unter die Tanzenden mischten, stimmten die Musikanten ein ruhigeres Lied an.
Der Elb zog die Magierin an sich heran und legte seine rechte Hand sachte an ihren Unterrücken. Die linke Hand umschloss ihre Rechte und so schunkelten sie zur Melodie. Immer wieder begegneten sich ihre Blicke. Irgendwann kam Justina näher und legte ihren Kopf auf seine rechte Schulter. Für Ando war es sehr schön, ihre Nähe zu spüren.
Wann war ihm jemand das letzte Mal so Nahe gewesen?, fragte er sich in diesem schönen Moment. Genau konnte er es nicht bestimmen und entschied, dass es auch nicht wichtig war. Der Moment zählte. Auch wenn sie spätestens am nächsten Morgen wieder auseinandergingen.
Für sie alle war es ein fabelhaft ausgelassenes Fest und das war gut so. Denn es herrschten aktuell angespannte Zeiten, in Anbetracht der Auseinandersetzung beider Länder, Westfal und Rhonisch. Die Ungewissheit, was die nächsten Tage und Wochen bringen würden, lag wie ein riesiger Schatten auf jedem Gemüt. Das konnte niemand bestreiten.
Bereits seit Wochen plagten ihn Alpträume. Immer wieder sah Reggie darin die schwarze, wabernde Gestalt des Dämons auftauchen und wie ihn seine grellen, gelb leuchtenden Augen mit den ovalen Pupillen darin fixierten. Daraufhin baute sich meist der Schemen bedrohlich über ihn auf, bevor er letztlich auf ihn niederstieß. Jedes Mal schreckte er davon schweißgebadet auf und es erinnerte ihn stets an den Vorfall im Gericht, wo Qnyano auf ihn niedergestürzt kam. Was dabei mit ihm geschah, entzog sich seiner Kenntnis. Jedoch konnte Reggie sich zusammenreimen, warum der Dämon es getan hatte. Schließlich trug er das Amulett um seinen Hals, was wohl mit den Händen Qnyanos erschaffen wurde. Als er damals noch am gleichen Tag mit Ädelein ins Hospital ging, um sich ärztlich untersuchen zu lassen, konnte der Arzt nichts Nachteiliges feststellen. Na wenigstens war er körperlich bei bester Gesundheit, stutzte er niedergeschlagen.
Aber nicht nur das Abbild des Dämon bereitete ihm Sorge. Ihn beschlich in den letzten beiden Tagen immer öfter auch das Gefühl, beschattet zu werden. Von mindestens drei Männern. Anfangs hatte er noch geglaubt, er bilde sich das ein. Aber mittlerweile wusste er, dass dem nicht so war, denn gleich wo er hinging, einer von ihnen war stets in der Nähe. Die Frage war nur, warum? Dabei war sich Reggie ziemlich sicher, es handle sich bei den Männern nicht um Agenten des KND von Westfal. Also, wer waren sie und was wollten sie von ihm?
Eigentlich gab es da nur Eines, worauf man es hätte absehen können. Das Amulett. Es baumelte immer noch sicher um seinen Hals, verdeckt unter seinem Hemd. Aber was konnte ein Halbling gegen drei männliche Menschen ausrichten? Nein, er hatte ihnen nichts entgegenzusetzen. Sein Vorteil war höchstens seine Flinkheit, doch die half ihm auch nicht, wenn sie ihn einkreisten und so in die Enge trieben.
Reggie lauerte um die Ecke der Hauswand des Eingangs auf die Straße. Es waren viele Leute unterwegs. Deutlich mehr, als die Monate zuvor, wo Ruinard Esker noch seinen Einfluss durch Hasspropaganda geltend machen konnte. Das war nun vorbei, dachte er und lächelte milde über diese Errungenschaft.
Weniger Freude bereitete ihm das, was vor ihm lag. Letzte Nacht hatte er seiner Freundin, der Reporterin Ädelein Keckefott, versprochen die Elbin Syljana Braélad im Trifolium aufzusuchen. Seit dem Brand in seiner Wohnung unterm Dach in der Sakobistraße 13, ließ Ädi ihn bei sich wohnen. Dafür war er sehr dankbar und er wusste, dass er diese Gutherzigkeit nicht überstrapazieren durfte. Schließlich wollte er ihre Freundschaft deswegen nicht aufs Spiel setzen. Irgendwann musste er seine Stelle als Inspektor im Präsidium wieder antreten, die ihm der Polizeipräsident Von Tunik persönlich angeboten hatte, nachdem ihm im Gerichtssaal die Wahrheit zu Ruinard Esker offenbart wurde. Doch noch war der Zeitpunkt nicht gekommen.
Zurück zur vergangenen Nacht, wo Reggie ein weiteres Mal von einem Albtraum kurz nach Mitternacht abrupt vom Sofa aufgefahren war. Er spürte jetzt noch das beklemmende Gefühl, wie sein Herz bis zum Halse pochte. Jemand, außer Ädelein, war im Wohnzimmer gewesen, das hatte er genau gespürt. Doch dann kam sie um die Ecke und sprach ihn gleich an. In ihren Armen begann Reggie zu schluchzen, denn er fürchtete sich schrecklich davor und beteuerte, darüber ratlos zu sein, was gerade mit ihm geschehe.
Etwas Ausschlaggebendes hatte Ädi daraufhin zu ihm gesagt, bevor sie ihm das Versprechen abnahm am nächsten Tag ins Trifolium zu gehen.
»Auch wenn es dir gerade sehr schlecht geht, Reggie«, sprach Ädelein umsorgt, »habe ich in diesem Moment den Eindruck, du bist wieder der Alte.«
Diese Aussage löste in ihm etwas aus. Ein Bewusstsein dafür, wie sehr er neben sich stand und das er Hilfe in Anspruch nehmen musste. Deshalb nahm er sich feste vor sein Versprechen einzuhalten.
Vor einer Stunde war Ädelein zu ihrer Arbeitsstelle bei der örtlichen Zeitung, dem Allfäller Anzeiger, aufgebrochen. So lange hatte er gebraucht, um sich zu waschen, anzukleiden und zu frühstücken.
Aber nun stand er vor der nächsten Herausforderung. Bis vor die Eingangstüre des Hauses hatte er es bereits geschafft. Das war nur der leichteste Teil. Er blickte sich verstohlen um und lauerte immer wieder mit dem Kopf hervor, Ausschau haltend nach den Männern. Er kam sich vor, wie eine Schildkröte. Irgendwo versteckten sie sich und lagen auf der Lauer. Er traute sich einfach nicht hinaus auf die Straße, weil er den Männern nicht in die Hände fallen wollte. Reggie atmete tief ein. Zumindest war es von der Wohnung nicht sehr weit bis zum Trifolium. Er konnte es schaffen, glaubte er in diesem Moment zuversichtlich und malte es sich kurz in Gedanken aus. Er musste doch nur etwa einhundertfünfzig Meter die Straße hinunter und an der Ecke zum Weinladen in den Park einbiegen.
Wie kurz vorm Sprung ins kalte Nass, holte Reggie noch einmal tief Luft. Und dann tat er endlich die ersten drei Schritte hinaus, die zwei Stufen hinunter bis auf das Kopfsteinpflaster der Brückentorgasse. Seine Füße trafen auf die unebenen Steine. Schnell sah er sich zu beiden Seiten um. Die Luft schien rein. Dann fiel sein Blick auf das Schaufenster gegenüber. Was er dort erblickte, schreckte ihn auf. Darin sah es so aus, als blicke anstelle er selbst der schwarze Schemen Qnyanos ihm entgegen.
Vor Entsetzen huschte er eilig südwärts die Straße hinunter.
Wenige Meter weiter musste er an der Querstraße wegen einer vorbeifahrenden Kutsche anhalten und kurz warten. Da gewahrte er einen der Männer an der linken Hauswand lehnend. Der Mann erhaschte ihn, sogleich Reggie weiterging. Mist!, schoss es dem Halbling in den Sinn. Hatte ich doch Recht gehabt. Nun legte er nochmals einen Schritt zu und wieselte zwischen den Beinen der großen Menschen und wenigen Elben vorbei. Durch die hektig kam er so schnell voran, dass er beinahe am Weinladen vorbeigelaufen wäre. Als er dann umdrehte und drei Schritte zurückging, erfasste er seinen Verfolger. Schnell nahm er den Weg zum Park und blieb auch davor abrupt stehen. Ein weiterer Mann mit Schirmmütze und in Erdtönen gekleidet kam von dort auf ihn zu. Schleunigst wollte er seine einzige Fluchtmöglichkeit antreten. Jedoch versperrte vom Markt her ein großer Mann, ebenfalls in Erdtönen, den Weg. Dieser trug jedoch einen Hut mit Krempe und darunter hervor lächelte er ihm hämisch und siegessicher entgegen.
»Endlich haben wir dich«, sagte der mit dem Homburger Hut und machte die Arme breit.
In diesem Augenblick, packte Reggie jemand von hinten grob am rechten Oberarm. Man hatte ihn eingekesselt und seine Lage schien ausweglos.
»Wer sind Sie?«, versuchte sich Reggie aus dem festen Griff des einen Mannes zu befreien. »Lassen Sie mich los! Was wollen Sie von mir?«
Die anderen beiden Männer traten jetzt näher an ihn heran.
»Würden Sie mich bitte loslassen und mir erklären, was das soll?«, rief Reggie sie erneut laut an. Doch sein Bauchgefühl, sagte ihm längst, dass es diese Kerle nicht gut mit ihm meinten.
»Halt einfach die Schnauze und komm mit«, sagte der mit dem Homburger.
Daran dachte Reggie nicht im Geringsten. »Hilfe!«, krakeelte er nun und unternahm erneut den Versuch sich aus dem festen Griff des Einen zu befreien. »Sie tun mir weh! Hilfe! So hilf mir doch jemand!«
Auf einmal erklang unweit entfernt hektisch eine Klingel und sie kam stetig näher. Es rappelte metallen und mit einem lauten Quietschen kam unmittelbar neben ihnen ein Fahrrad zum stehen.
»He!«, blaffte jemand von außen. »Was machen Sie da?«
»Lassen Sie den Mann gefälligst los!«, sagte ein anderer.