Das Uhrwerk des Bösen - Andreas Reuel - E-Book

Das Uhrwerk des Bösen E-Book

Andreas Reuel

4,8

Beschreibung

Trist, hart und staubig ist der Alltag von vier ungewöhnlichen Freunden. Bis eines Tages, bei Arbeiten in den Stollen des Bergbauwerks des Örtchens Sankt Ohlberg, ein mysteriöser Raum entdeckt wird. Was Winfried Tretenville, der Magier der Kupferburg, dort vorfindet, bleibt vorerst ein Geheimnis. Doch sein Fund verschwindet über Nacht und besagtem Magier bleibt nichts anderes übrig als danach suchen zu lassen. Auf Empfehlung des Schichtleiters werden die vier Freunde um den Zwerg Tolumirantos Luck auf die Suche geschickt diesen Fund wieder zu beschaffen. Unverhofft ist diese Aufgabe nicht so leicht, denn plötzlich sind sie die Gesuchten. Ihnen bleibt keine andere Wahl, als ihre Unschuld zu beweisen und dabei gerät etwas großes ins Rollen.

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Für die wahren Chaoten!

Inhaltsverzeichnis

Prolog

1. Eine Geschichte beginnt

2. Kantinenfrass

3. Ein abendliches Treffen

4. Ein Schwarzer Freitag

5. ... langer Freitag

6. Der unerwünschte Führer

7. Die Wegzweigung

8. Erkenntnisse und Tatsachen

9. Böses Erwachen

10. Krallen in der Dunkelheit

11. Die Offenbarung

12. Wohin des Weges?

13. Der Fallbörn

14. So wird's gedankt

15. Zuckerbrot und Peitsche

16. Ermittlungen

17. Kein gewöhnlicher Montag

18. Ein verzweifeltes Hilfegesuch

19. Kuriosum

20. Ein seltsames Duo

21. Ruhig Blut

22. Zur rotschuppigen Echse

23. Katerstimmung

24. Waghalsige Manöver

25. Zwei unter sich

26. Aegidius Haulinger

27. Schadenfreude

28. Ein finsteres Ritual

29. Wieder zu Hause

30. Die Prälatin

31. Etwas gerät ins Rollen

32. Warten

33. Des Henkers Mahl

34. Die Angelegenheit wird ernst

35. Eine passable Ablenkung

36. Der Verrat – die gute Tat

37. Ein heikler Ausweg

38. Zügiger Aufbruch

39. Ein altbekannter Weg

40. Entschlossen zur Tat

41. Der Okkult an der Klause

42. Treffpunkt November

43. Im Hexenkessel

44. Ein besorgter Freund

45. Erfreuliche Visite

46. Die Ermittler, das Resumé

47. Zur Mainacht

Epilog

Dankende Worte

Über den Autor

Namensregister

Prolog

Wir schreiben das Jahr 1888, in Sankt Ohlberg, nahe der Stadt Allfaldria, der gräfischen Verbundsmark Westfal unter der Regentschaft Kaiser Karrel Karl Ott I. von Kalandria. Das Jahr sei ein magisches Jahr, wie so manche Magier berichten und bereits seit vielen vergangenen Jahren voraussagten. Die Zahl Acht stehe für die Unendlichkeit und dies im Bunde zu drei habe, und hier gehen die Meinungen deutlich auseinander, etwas Unheilvolles an sich, wie dreimal sechs den Teufel hervorrufe. Ob dies sich nun bewahrheiten sollte, wird man alsbald herausfinden, obwohl das Jahr unlängst angebrochen war. Gegenteilig zeigte sich jedoch, dass man die Pest im Annus mirabilis (lat. Wunderjahr) 1666 besiegte, ein riesiger Stadtbrand eingedämmt und somit eine Katastrophe in der Stadt Landenfurt verhindert wurde. Es scheint demnach alles Auslegungssache zu sein. Oder war doch etwas an diesem Aberglaube? Auch mehr als zweihundert Jahre später, im so bezeichneten Dreibrezeljahr, gaben sich viele Menschen fortwährend dem Aberglauben hin und so verfluchte man den Teufel, bürgte ihm alle Schuld auf und fand ihn in Allem und Jedem, wie es gerade am besten passte. So war es Jahrhunderte zuvor und wahrscheinlich würde diese Angewohnheit der Leute niemals enden.

Das kleine Städtchen Sankt Ohlberg lag in einer Talsenke, durchzogen vom seichten Strom des Wichtbachs. Benannt hatte man es nach dem heiligen Ohl, einem Priester, der zu seiner Zeit auf dem Berg mit einem Kruzifix den Teufel zum Lötz vertrieb, seinem größeren Bruder nördlich von Allfaldria. Das war vor langer Zeit geschehen und heute erinnerte sich kaum noch jemand an den ursprünglichen Namen des Ortes. Viel eher hätte man das Städtchen Stollenberg nennen sollen, da hier die Kupferburg ihr Wahrzeichen war und ringsum an jeder erdenklichen Stelle Schächte des Bergwerkes Sänkemacher & Co. KG wie die Löcher im Emmentaler angelegt waren und es schließlich heute gegenwärtig sind. Die Burg lag in mitten dessen, an einem Hang und um sich scharten sich die Fachwerkhäuser der Bürger, aus deren Kaminen sich des Nachts schmale Rauchfäden im Mondschein gen Himmel schlängelten. So auch in dieser Nacht.

Es musste nach Mitternacht gewesen sein. Der abnehmende Mond stand hoch am wolkenlosen Sternenfirmament. Das konnte der unterdurchschnittlich große Mann, bei dem sich ein leichter Wanst unter der Robe abzeichnete, durch die schmalen Fenster im Turm beim Aufstieg ausmachen. Sein Meister hatte ihn rufen lassen. Ihm behagte es nicht aus dem Schlaf gerissen zu werden und ihm gefiel es nicht mühselig die paarundachtzig Stufen in das Officium des Meisters hinaufzulaufen. Dank der Kerze, konnte er einigermaßen sehen. Doch befanden sich die Stufen aus Blaustein, der hier in der Nähe abgebaut wurde, in einem abgenutzten Zustand und kurz waren sie noch dazu. Dabei trug er nur Sandalen. Ein Fehltritt und er könnte sich das Genick brechen. Doch sollte es so nicht kommen, denn weil dem Herr so viel an seinem Leben lag, gab er besonders Acht. Zügig war er demnach nicht und ein solcher Aufstieg war ungewohnt für ihn, weshalb er völlig außer Atem im Büro seines Gebieters eintraf. Zitternd vor Anstrengung stellte er die Kerze auf die Kommode neben der Tür und trat an den Stuhl heran, der vor dem massiven, reichverziertem Schreibtisch stand. Verschlafen rieb er sich die Augen und vertrieb die Müdigkeit mit einem Gähnen.

»Meister? Ihr habt nach mir gerufen?«, fragte er dann.

»Merxselin, da seid Ihr ja endlich. Setzt Euch«, sprach die Stimme hinter dem Ohrensessel, der schräg zum Feuer im Kamin gewandt stand. Der Kamin lag seitlich zum Schreibtisch, somit war gewährleistet, dass der Nutzer des Officiums stets warme Füße hatte.

»Wie geht es Euch?«, fragte die Stimme hinter dem Sessel mit übertriebener Freundlichkeit.

»Gut. Danke der Nachfrage«, antwortete er misstrauisch.

»Wisst Ihr, mir stellt sich die Frage, ob es Euch vielleicht nicht zu gut geht.«

Merxselin schluckte hörbar. Er ahnte worauf das Gespräch hinauslaufen würde. Diese Art von Unterhaltungen kannte er von seinem Meister nur allzu gut. Zuletzt bot sich ihm eine solche Gelegenheit erst drei Tage zuvor.

»Ich studierte die alten Unterlagen nochmals und ich werde langsam ungeduldig«, setzte der Meister fort. »Sie beschreiben deutlich, wo sich der Raum befindet und Ihr habt die Anweisung alles genauestens zu beobachten und anzuleiten. Ihr wisst wo zu suchen ist. Euch liegen die Pläne vor und Ihr habt genug Männer, die für Euch arbeiten. Und dennoch erzielt Ihr keine Ergebnisse. Ihr erinnert Euch an unser Gespräch vor drei Tagen. Heute Abend erhielt ich ein Telegramm aus Treveriam. Der Orden ist bereits sehr ungehalten über den Verlauf unserer Aufgabe. Man setzt viel auf mich und ich kann und darf ihre Geduld nicht überstrapazieren. Sie wollen, nein, sie brauchen Ergebnisse und wenn sie diese nicht bekommen, werden Köpfe rollen. Ihr versteht mich sicherlich. Wir sind nun seit ein paar Monaten hier in der Kupferburg. St. Ohlberg, dieses Kaff, ödet mich an. Hier gibt's kein Hurenhaus, man bekommt keinen vernünftigen Wein angeboten und das Wetter ist auch eher Landenfurtischer Art. Wir haben Mitte April. Was das Wetter angeht ist in den nächsten Tagen keine Besserung in Sicht. Das betrübt mich sehr. Aber die anderen Dinge könnten meine Laune wenden und ihr einen deutlich optimistischeren Schwung geben, wenn sie mir erfüllt würden. Seid Ihr fähig, dies zu bewerkstelligen oder sollte ich mich nach jemand anderem umsehen?«

»Selbstverständlich, Meister. Ich tue bereits alles mir in der Macht stehende, um Euren Wünschen gerecht zu werden. Wenn ich doch nur etwas mehr Zeit hätte.«

»Habt Ihr mir nicht zugehört? Ich möchte mich nicht nochmals wiederholen müssen. Tretet dem Schichtleiter in den Arsch. Sie sollen die Schichten anders aufteilen ... Es ist nicht meine Aufgabe dies zu planen und umzusetzen, sondern Eure und Kelchebonts. Ich erwarte allmählich Ergebnisse und uns drängt die Zeit. Also verlangen Sie nicht danach«, gab der Meister eine Tirade von sich und erhob sich schließlich.

Der deutlich ältere Mann atmete schwer aus. Sein weißes, kurzes Haar wirkte etwas zausig im Zwielicht und ohne Brille wirkte er ungewohnt. Er durchschritt langsam den Raum bis zu einem quadratischen Gegenstand auf einem Tisch, der in Merx selins Augen recht suspekt aussah. Er wusste jedoch, wozu man ihn gebrauchte, wozu dieser Trichter diente.

»Es ist alles gesagt. Geht nun!«, beendete sein Meister die Unterhaltung und betätigte per Zeigefinger sanft einen Hebel. Daraufhin drehte sich eine Scheibe und es begann zu knistern.

»Sehr wohl, Meister Tretenville.« Merxselin machte einen kurzen Knicks, wandte sich um und schloss die Türe hinter sich. Den ganzen Weg die Treppen hinunter, begleitete ihn aus dem Grammophon die Symphonie Ode an die Freude.

1. Eine Geschichte beginnt

Ein kühler Aprilmorgen in St. Ohlberg.

Trockene Luft; staubig und dünn. Der Gestank von Schwefel und Rauch von den Fackeln, die das Erdreich spärlich beleuchteten, brannte mit jedem Atemzug in den Lungen. Doch Jammern war hier nicht angebracht, weil sie Freiwillige waren. Freiwillige Arbeiter in den Bergstollen der Kupferburg in St. Ohlberg. Die meisten auf Zeit angestellten Arbeiter verrichteten diese Tätigkeit wegen der guten Bezahlung. Schlecht waren dagegen wiederum die Arbeitsbedingungen. Wenn man hier aushalf, in Schichten eingeteilt, blieb man bei seiner Tätigkeit so lange, bis man wieder entlassen wurde und das entschied der Betriebsarzt des Bergwerks alle zwei Wochen neu. Wenn man Glück hatte wurde man als Fuhre eingeteilt.

Als Fuhrtner bediente man die Loren: immer zwei Mann schoben eine Lore in den Schacht hinein und zogen sie voll beladen wieder hinaus. Das ging auf die Knochen, aber nicht so sehr auf die Atemwege, weshalb die weniger Glücklichen die waren, die ständig unter Tage arbeiteten. Gelegentlich kam es vor, dass ein Arbeiter beim stibitzen von Edelsteinen erwischt wurde. Es war so gut wie unmöglich, an den magischen Sperren vorbei zu gelangen, doch fand sich immer wieder ein Trottel, der es versuchte. Dabei sollte eigentlich Jeder wissen, das dies ein Ding der Unmöglichkeit war. Denn der Magier, der im Dienst der Kupferburg stand, war ein alter Haudegen, nicht nur was diebische Tricks anging, sondern auch, was sein Wissen über Magie betraf. Er wusste sehr gut, wie man diebische Tricks mit magischen Tricks bekämpfte. Dieses Erdreich war jedoch von der Schöpfung sehr spärlich mit Edelsteinen versehen worden, umso mehr an reichhaltigen Erzen.

Die Schlafbaracken befanden sich unmittelbar nördlich der Burg, oberhalb des Stadtkerns, am Hang des Berges, den sie hier Ohlberg nannten. Andored und Tomagril hatte man beide als Fuhrtner eingeteilt. Wie der Zufall es wollte, kannten sie sich und wuchsen zusammen im gleichen Ort auf. Einer ihrer Freunde, ein Zwerg namens Tolumirantos Luck, schickte man mit einer Spitzhacke unter Tage. Zusammen gehörten sie einer Arbeitsgruppe an, deren Gruppenführer (der Herr rühmt sich damit, weil er fünfzehn Hellinge mehr bekommt) auch ein alter Freund deren Drei war. Im Ganzen war die Welt ja bekanntlich ziemlich klein. Und so kannte sich jeder irgendwie.

Wie dem auch sei, so beginnt die Geschichte an einem frühen Morgen, der für einen Frühling eher normal, demnach sehr kühl, diesig und trocken war. In der Frühschicht arbeiteten Andored und Tomagril bereits einige Stunden. Gemeinsam zogen sie kräftig an der eisernen Kette einer beladenen Lore. An dieser Stelle hakten die Schienen immer noch, obwohl sie es dem Schmied bereits am Anfang der Woche gemeldet hatten. Es trieb Ihnen den Schweiß auf die Stirn, so sehr hatten sich die schmalen Gleise vom Frost verzogen.

»Meine Fresse, dieser dumme Schmied«, fluchte Tomagril zwischen zusammengebissenen Zähnen.

»Noch ein kleines Stück, dann haben wir es«, erwiderte sein Kollege unter voller Kraftaufwendung.

»Hey! Wenn ich euch so zuschaue, frage ich mich, wer zum Teufel euch hier eingeteilt hat, ihr Waschlappen«, sprach ein hochgewachsener, stoppelhaariger, blonder Kerl, während er an seinem Glühstängel zog und schelmisch grinste. »Zu den Weibern im Waschkeller der Burg hätte ich euch geschickt. Immer das Gleiche mit den Spitzohrigen.«

Tomagril und Andored liefen rot an, nur konnte Medjev, ihr Gruppenführer, der gerade auf sie zu gelaufen kam, um mit anzupacken, nicht unterscheiden, ob vor Wut oder vor Anstrengung.

»Kümmern Sie sich um ihren eigenen Kram, Herr Kruhmen. Oder packen Sie mit an«, sagte Medjev mutig zu dem Vorarbeiter und zog mit allen Kräften an der Kette.

»Ganz schön vorlaut, Glatzkopf. Leider kann ich grad nicht helfen, ich mache Raucherpause.« So schnell wie er aufgetaucht war, verschwand Kruhmen wieder. Da nun ein Mann mehr an der Lore mithalf, bewegte sich das Drecksding auch schon ein Stück und sie konnten endlich verschnaufen. Gleich darauf ertönte das Signalhorn zur Frühstückspause.

»Gute Arbeit, Männers. Ich werde gleich Mal zum Schmied gehen und das hier erneut reklamieren«, versprach Medjev und wedelte mit der Hand vage in die Richtung der krummen Gleise. »Nun geht erst einmal Frühstücken. Ich komme gleich nach.«

»Ist gut. Wir warten nur noch auf Tolu. Wir sehen uns im Speisesaal bei den Baracken«, antworte Andored, nahm dankbar den vom Kumpel gereichten Wasserschlauch und trank.

»Immer das gleiche hier in diesem Drecksloch«, schimpfte Tomagril währenddessen er sich mit dem Hemdärmel die Stirn trocknete. »So langsam hab ich keinen Bock mehr auf den Scheiß.«

»Das sagst du schon seit Wochen, Toma. Uns geht es doch genauso«, versuchte Andored das Gemüt seines Freundes zu besänftigen. »Wenn die gute Bezahlung nicht wäre, würde hier doch keiner freiwillig arbeiten. Ich werde das hier auch nicht mehr lange machen. Bald habe ich mein Geld zusammen und dann kann ich vielleicht endlich mein eigener Herr sein.«

»Ja, das wäre toll«, stimmte Tomagril ihm gelassener zu.

»Toll?«, ertönte eine grummelige Stimme von irgendwo her. »Hier in diesem Drecksloch ist gar nichts toll. Außer man bekommt Tollwut. Jaaahhaaa, das wäre toll.«

»Grüß dich, Tolu«, winkte Andored dem Zwerg rüber, der gerade aus dem Schatten des Stollens heraustrat und gegen das Tageslicht blinzelte.

»Moin ihr Mädchen«, entgegnete er breit grinsend. »Auf was warten wir? Ab zum Frühstück!«

2. Kantinenfrass

Anständig standen die Männer in der Schlange der Essensausgabe und warteten auf ihr Frühstück.

»Ando, sag mir, ist Elsa da?«, wandte sich der kleine Tolumirantos an seinen Freund. »Ich hab heute Morgen einen Mords Hunger.«

»Hast du nicht zu jeder Mahlzeit einen Mords Hunger?«

Der Zwerg zuckte gleichgültig mit den Schultern.

»Du hast Glück, sie ist da«, erwiderte Andored mit großen Augen. »Sie hat gerade den alten Knurrbart abgelöst. Och nee, nicht schon wieder Haferbrei mit Apfelkompott.«

Tolumirantos grummelte freudig etwas in seinen schwarzen Vollbart, von dem Andored nur ›doppelte Ladung‹ verstand. Er schmunzelte über das Verhalten seines Freundes, der sich breit grinsend die Hände rieb, ein Tablett schnappte und sich dann artig einreihte. In der Kantine wurde man für gewöhnlich ziemlich schnell abgefertigt. Nur die drei Freunde hatten es geschafft, herzlich vom Kantinenpersonal begrüßt und ebenfalls so bedient zu werden. Der Zwerg tändelte mit der stämmigen Elsa, bekam seine doppelte Ladung, bedankte sich dafür und ging glücklich seiner Wege.

Sie ergatterten einen Fensterplatz, sodass Sie vom Tageslicht in der an sich dunklen Kantine profitierten. Die Aussicht auf den Hof war zwar nicht prickelnd, aber zumindest konnte man aufgrund des Lichteinfalls erkennen, was einem auf dem Tablett serviert wurde. Und Andored aß mit den Augen. Dem Anschein nach, war das den anderen ziemlich gleichgültig, denn sie vertilgten ihr Frühstück im Nu. Während Andored die Rosinen herauspickte und sogar ein Haar geangelt hatte, gesellte sich endlich auch Medjev dazu und klärte sie über den neusten Tratsch auf. Er war, so zu sagen, die morgendliche Zeitung, ein Abklatsch des Allfäller Anzeigers. Natürlich berichtete er nur, was ihn persönlich interessierte und das war so umfangreich wie ein Blondinenwitz. Wie nach jeder Mahlzeit, bekam Andored einen kurzen bäuerlichen Schluckauf. Unterdessen wischte Tomagril mit dem Zeigefinger seine Kleckse vom Tisch, Tolumirantos bestrich eine Scheibe Weißbrot mit Senf, schälte seine Blutwurst und rollte sie anschließend darin ein – eine zwergische Spezialität, wie er immer wieder behauptete. Medjev aß genüsslich und redete nun gelegentlich mit Tolumirantos. Er unterhielt sich beinahe nur mit ihm, und vor allem über Sachen, die gerade überhaupt nicht zur Debatte standen. Wie dem auch sei, bemerkte Andored im Hofe etwas Ungewöhnliches, dass schließlich die Aufmerksamkeit Aller auf sich zog. Der Magus – man sah ihn nicht aller Tage –, eilte mit wehender Robe über den Hof, blieb abrupt vor einem Aufseher stehen, der einen Arbeiter an der Ferse kleben hatte. Dieser Arbeiter schien sich zu verstecken, bemerkte Andored. Außerdem zog er den Kopf ein und bedachte den Magus vor Angst keines Blickes.

»Ist das dieser Trettenfill?«, fragte Medjev und blinzelte an den anderen Köpfen vorbei.

Tolumirantos grummelte zustimmend.

»Er heißt Tre-ten-will und ist der Magus dieser Burg. Ein Magister der Magie«, verbesserte Andored den Gruppenführer und achtete auf die genaue Aussprache des Namens.

»Hab den Typ hier noch nie gesehen«, erwiderte Medjev gleichgültig und löffelte weiter desinteressiert seinen Haferbrei.

»Mein lieber Medjev«, begann Tolumirantos tadelnd und wandte sich seinem Freund zu. »Du solltest dir sein Aussehen gut einprägen. Denn wenn du hier Mist baust und der dir einen Fluch an die Backe leimt, dann komm nicht zu mir und heul mir was vor, von wegen; ›Mach das wieder weg. Mach, dass das aufhört‹, klar?«

»Ist ja gut!«, antwortete der doppelt so große Medjev kleinlaut.

»Der scheint aber keine gute Laune zu haben. Muss wohl ein großer Edelstein entwendet worden sein«, kommentierte Tomagril die Situation im Hof.

»Dein Scharfsinn verblüfft mich immer wieder, Elb«, kommentierte der Zwerg kopfschüttelnd.

»Der ist nie bei bester Laune, Toma. Ich hab ihn mal zur Abendbrotzeit in der Küche der Burg schreien hören, als ich am Hinterhof vorbeiging. Ich sage dir, mich plagten Albträume«, erklärte Andored und beobachtete weiter gespannt, was draußen vor sich ging.

»Was, in Thors Namen, hast du im Hinterhof der Burg verloren?«, wollte der Zwerg nun von ihm wissen. »Hä?«

Die Frage blieb unbeantwortet, denn der Magus bewegte sich schnell wie der Wind weiter, rauschte an Allem vorbei und stieß um, was nicht niet- und nagelfest war. Der Aufseher stürmte hinterher und zog den Arbeiter, am Kragen gepackt, mit.

»Die gehen zum Stollenwerk runter«, riet Tomagril. »Tretenville lässt sich doch sonst nicht blicken und erst recht nicht in der Nähe der Stollen.«

»Ja, das ist wirklich ungewöhnlich«, bemerkte Andored nachdenklich. Ordentlich legte er Löffel und Messer auf den Teller und schob das Tablett ein Stück zur Tischmitte, um seine Arme an der Kante abstützen zu können. »Irgendetwas stimmt da nicht.«

»Ich werde mich mal umhören. In den Stollen sieht man oft nicht, wer neben einem steht, da wird das kein großes Problem sein. Zudem geht mir das Gejauner von Pietto eh total auf den Geist«, schlug der Zwerg umgehend vor, zog ein betrübtes Gesicht auf und kramte sein Tablett zusammen. »Der Kerl redet ununterbrochen von seinen Schulden und wie schlecht es ihm ergeht.«

»Ach, deswegen hast du so große Ohren«, bemerkte Tomagril schelmisch. »Vom ganzen Geschwätz, das dir dein Kumpel an die Backe labert, was?«

Tolumirantos war gerade im Begriff zu gehen, drehte sich aber nochmal um.

»Wo wir bei dem Thema Ohren sind, deine sehen etwas Stumpf aus. Das kommt wohl vom vielen Arschkriechen, hä? Ich kann sie dir ja gleich mal neu anspitzen, wenn du magst.«

Das Horn ertönte, die Frühstückspause endete somit. Die vier Freunde machten sich wieder an die Arbeit, denn bis zum Schicht ende, waren es noch ein paar Stunden.

3. Ein abendliches Treffen

Im Küpferle, einem Gasthaus im Steinweg, direkt am Wichtbach, der die Burg umgrenzt, saßen die vier Freunde an einem Tisch, in der hintersten Ecke des Wirtshauses und steckten die Köpfe zusammen.

»Schieß los Tolumirantos, spann uns nicht länger auf die Folter«, drängte Andored seinen zwei Köpfe kleineren Kameraden zur Aussprache.

»Ruhig Blut, Blondie. Ich muss erst meine Gedanken ordnen. Ich hab so viel gehört, da weiß ich gar nicht recht, wo ich das alles einordnen soll.«

»Könnt ihr Zwerge so etwas überhaupt?«, stichelte Tomagril sarkastisch, worauf der Zwerg die Faust hob, um ihm zu drohen. »Ich weiß auch nicht, wo ich das aufgeschnappt habe«, versuchte der Elb sofort kleinlaut den Zorn seines kleinen Freundes zu besänftigen.

Andored kicherte. »Immer wieder schön zu sehen, wie sehr ihr beiden euch lieb habt.«

»Was war denn?«, fragte Medjev teilnahmslos. Die anderen Drei folgten seinem Blick, worauf er fortwährend starrte. Nun, wie soll man so etwas Wohlgeformtes beschreiben? Melonenhaft, vielleicht?

Der Zwerg brachte sie mit seiner rauen Stimme wieder zurück in die dämmrige Ecke einer nach Bier und Schweiß stinkenden Realität einer alten Kaschemme.

»Zurück zur Sache, Jungs!«

»Was denn? Schon fertig mit Ordnen?«, entgegnete Tomagril streitsüchtig.

»Ich ordne gleich den Ausdruck in deiner dümmlichen Visage, vorlauter Elb.«

»Lasst den Schwachsinn, dafür ist später noch Zeit«, klärte Andored die Situation und wollte so endlich mehr erfahren, was auf der Kupferburg vor sich ging.

»Och. Ich war gerade so schön in Stimmung.«

»Später, Tolu«, tadelte ihn der Elb.

Der Zwerg nuschelte etwas in seinen Bart und winkte die wohlgeformte Bedienung herbei – eine junge Frau in einem einfachen, dunkelblauen Kleid mit weißer Schürze und schwarzen Haaren.

»Fünf Weizen, wenns beliebt«, bestellte der Zwerg und wandte sich seinen Freunden zu. Man wundert sich vielleicht, warum der Zwerg fünf Weizenbiere bestellte, wohingegen es sich doch um vier Freunde handelte – worauf jeder, dem das Zwergenvolk vertraut ist, antworten würde; Zwerge eben!

»Aaallsssoooo«, begann er seine Erzählung. »Im Stollen ist ein bestimmter Bereich abgesperrt. Im neu angelegten Schacht, ihr wisst schon; einmal links, zweimal rechts, geradeaus, an der T-Kreuzung nach links, dann den rechten Gang hinab…«

»Lass es gut sein, Tolu«, unterbrach ihn Andored abrupt. »Beim zweiten Rechts bin ich schon nicht mehr mitgekommen.«

»Was könnt ihr Elben eigentlich? Wo war ich? Ach ja, der neue Schacht halt. Dort stehen zwei Wachen postiert und niemand außer dem Magus hat Zutritt zu diesem Ort. Sie lösen einander im sechs Stundentakt ab. So viel weiß ich schon mal. Aber ich kam nicht nahe genug heran, um einen Blick in die Öffnung zu riskieren, ohne gesehen zu werden.«

Andored hob den Zeigefinger und wollte etwas fragen, doch Tolumirantos stoppte ihn.

»Pahbahbahabah, lass mich ausreden, sonst komm ich wieder raus. Man munkelt, dass dort bei der Grabung etwas entdeckt wurde. Angeblich ein Mauerwerk, welches einen Raum umgibt. Genannter Räumlichkeit sei dreißig Mal zwanzig Fuß groß und nicht sehr hoch, ein Gewölbe, wie im Bierkeller. Andere sagen wiederum, es sei der Höllenschlund und wir fallen bald alle ins Verderben. Die Version mit dem Teufel, der nun befreit sei, um unser aller Seelen zu holen, ist, wenn ihr mich fragt, kompletter Schwachsinn.«

»Jop!«

»Klar!«

»Die Kellnerin hat schon schöne Augen«, stellte Medjev abwesend fest, leider genau in dem Augenblick, als die Dame am Tisch erschien und das Bier reichte. Sie quittierte es mit einem aufgesetzten Lächeln und verschwand eilig wieder. Tolumirantos prostete ihnen zu, trank das erste Bier und zog das Zweite zu sich heran.

Irgendwie überkam den Vieren gleichzeitig das ungute Gefühl, jeder Gast im Raum habe größere Ohren bekommen und bedenke sie mit überaus neugierigen Blicken, die nichts Gutes verhießen. Deshalb steckten sie nun die Köpfe noch näher beisammen und Tolumirantos sprach mit gesengtem Ton weiter.

»Besagter Raum beinhalte wohl etwas, das der Magus vor den Blicken Fremder verborgen halten will.«

»Warum holt er es nicht heraus und versteckt es in der Burg?«, warf Tomagril das Offensichtliche in die Runde.

»Bin ich allwissend?«, gab der Zwerg zur Antwort. »Ich denke mal, weil dieses Etwas zu groß ist, um es dort ungesehen heraus zu schaffen. Der Aufwand würde zu viel Aufsehen erregen. Vielleicht ein religiöses Relikt oder ein gigantisch großer Edelstein. Was weiß ich. Morgen ist ein neuer Tag. Da lässt sich bestimmt mehr in Erfahrung bringen.« Tolu richtete sich auf. »Lasst uns trinken, Jungs.«

»Genau«, pflichtete ihm diesmal der große Medjev bei. »Bei dem ganzen Gerede wird das noch Schal. Prost!«

4. Ein Schwarzer Freitag

Der Tag darauf war ein Freitag. Freitag der Dreizehnte.

Die Frühschicht hatte gerade erst begonnen. Bisher war keinem der Freunde etwas passiert, was den Aberglaube bestätigte. Niemand hatte sich beim Frühstück auf die Zunge gebissen, ein Insekt im Teebecher gehabt, in die Äpfel eines Gauls getreten oder sonst irgendein Unglück war geschehen.

Die vier müden Freunde gelangten gerade an ihre Arbeitsstätte. Dort blieben sie unvermittelt stehen und fragten sich, was hier vor sich ging. Der Halbling Pietto Huffelsbach, Tolumirantos’ Kumpel, verabschiedete sich von einer kleinen Gruppe anderer Kumpels und eilte winkend auf sie zu.

»Leute, Leute«, rief er unterdrückt und kam, nach Luft schnappend, bei ihnen an. »Der Magus… kocht… vor Wut.«, brachte er etappenweise hervor.

»Altes Haus«, prustete Tolumirantos los und klopfte dem Halbling auf den Rücken. »Mach langsam und komm erst mal zur Ruhe.«

»Es geht schon wieder«, richtete sich Pietto kurz darauf tapfer auf. »Tretenville ist stinksauer. Aber was der Grund ist, das weiß keine Sau. Man munkelt, es sei etwas entwendet worden. Ein Edelstein oder so und die Wachen haben angeblich nichts davon mitbekommen.«

»Ein Edelstein?«, fragte Andored skeptisch. Er fand es immer wieder amüsant zu hören, was die Leute sich so für Märchen erzählten. Die meisten Geschichten waren dermaßen offensichtlich schwachsinnig, das hätte selbst ein Ork mit durchschnittlicher Intelligenz gemerkt. Er wunderte sich nicht darüber, sondern hielt sich jedes Detail gedanklich vor Augen und legte die Puzzleteile zurecht. Es fehlten allerdings noch ein paar Indizien, um sich einen Reim aus dem Ganzen machen zu können. Deshalb fragte er an den Halbling gewandt: »Wann ist der Diebstahl bemerkt worden?«

»In der Früh!«

»Und woher weißt du das?«

»Ich war dort, als der Magus geholt wurde und aus Neugier, bin ich hinterher gegangen. Auf einen Halbling wie mich, gibt doch niemand Acht.« Er zuckte mit gespielter Gleichgültigkeit die Schultern. »Man könnte also sagen, ihr bekommt eure Information aus erster Hand.« Dabei strahlte er stolz über seine Bemerkung.

Tolumirantos klopfte ihm anerkennend auf die Schulter. »Gut gemacht, Pietto.«

»Sind wir jetzt Pädagoge, Herr Zwerg?«, versuchte Tomagril ihn erneut zu provozieren, was schon am Vortag gut geklappt hatte.

»Kann ich was dafür, dass dir in der Kindheit dein Vater fehlte?«, konterte Tolumirantos amüsiert, worauf es Tomagril die Sprache verschlug.

»Erzähl weiter Pietto, hast du einen Blick in den Raum werfen können?«, hakte Andored nach.

»Nein, leider nicht«, musste der Halbling eingestehen. »Ich kam nicht nahe genug heran, ohne gesehen zu werden.«

Gerade als der Halbling seinen Satz beendet hatte, traten Kruhmen und Kelchebont, der große, athletische Schichtleiter, aus dem Stollen, unweit der fünf Arbeiter, hervor. Ihnen folgte der weißhaarige Magus mit dem ernsten Gesicht und er schaute überhaupt nicht wütend drein. Im Gegenteil, er wirkte relativ gelassen. Ernst, aber dennoch entspannt.

Andored und Tolumirantos warfen sich skeptische Blicke zu. Irgendwie passte das nicht zusammen. Scheinbar hatte keiner der Männer sie bemerkt, bis zu dem Zeitpunkt, als einer unter ihnen nieste und was sie natürlich verriet.

»Entschuldigt«, sagte Pietto kleinlaut.

»Gesundheit!«, entgegnete der Zwerg grummelig.

»Was steht ihr da so herum?«, brüllte der Magus sichtlich aufgebracht herüber, nachdem er nun auf sie aufmerksam geworden war. »Habt ihr nichts zu tun? Kelchebont, Kruhmen, warum arbeiten die Männer nicht?« Tretenville wedelte unkoordiniert mit den Händen.

»Ich erledige das, Herr Tretenville«, antwortete Kelchebont unvermittelt und trat energisch auf die kleine Gruppe zu. Alle nahmen sie sich schleunigst Werkzeuge und Material in die Hand und begannen prompt mit ihrer Arbeit. Tolumirantos und Pietto sprangen in die Lore und ließen sich von den beiden Elben in Richtung Stollenschacht hinab schieben.

»Du!«, rief Kelchebont und zeigte auf Medjev, den Gruppenführer. »Warum arbeiten deine Leute nicht?«

»Epe… ätee… Ich?«, stotterte Medjev scheinheilig, weil er so schnell keine Erklärung parat hatte.

»Schiele ich vielleicht oder steht da noch einer doof herum?«, brüllte Kelchebont aufgebracht wie eine Furie.

»Wir haben uns um einen verletzten Kumpel gekümmert«, rief Tolumirantos aus der Lore heraus, wobei er sich mühsam auf die Zehenspitzen stellen musste, um dabei hinausschauen zu können. »Kein Grund zur Aufregung, Herr Kelchebont. Wir sind schon wieder auf dem Weg hinab.«

Bevor der Schichtleiter etwas erwidern konnte, war die Lore mit den vier Männern schon im Schatten des Tunnels verschwunden. Kelchebont schnaubte wütend, ließ an einem Stein Dampf ab in dem er ihn mit dem Fuß wegschoss und rieb sich mit der Hand über die schwarzen, kurzgeschorenen Haare. Der Mann hatte einen in der Mitte spitz zulaufenden Haaransatz, was ihm so schon ein aggressives Aussehen verlieh. Aber wenn er wütend war, konnte er wirklich angsteinflößend sein.

»Stimmt das?«, wollte er nun viel gelassener von Medjev wissen.

»Ja, das ist wahr. Pietto hatte sich den Knöchel verknackst. Wir haben ihm die Stiefel enger geschnürt«, log der Gruppenführer gekonnt, das musste man ihm lassen. Wenn Tolumirantos ihm Vorlagen lieferte, konnte Medjev den Rest ohne Probleme erledigen.

Der Schichtleiter wartete, blickte in den Tunnel, als sehe er die Lore immer noch dort stehen. Offenbar überlegte der Mann noch, was er als nächstes tun sollte. Derweil lief Medjev ein Rinnsal Schweiß an der kahlen Schläfe herab und er hielt prompt die Luft an, als Kelchebont ihn plötzlich wach ansah.

»Du und deine Männer, ihr kommt nach der Mittagspause sofort in die Burg. Meldet euch bei mir im Büro der Schichtleitung. Ich habe da vielleicht eine wichtige Aufgabe für euch.

Medjev nickte nur und atmete erleichtert aus, als der Schichtleiter umgehend seiner Wege ging.

5. ... langer Freitag

Es war immer noch Freitag der Dreizehnte. Nun jedoch zur Mittagspause. Der Tag schien nicht so richtig voran zu gehen. Die vier Freunde saßen zusammen in der Kantine beim Essen.

»Bis jetzt«, begann Medjev, während er seine Linsensuppe hinein schaufelte, »war es doch ein guter Tag. Es ist nichts Schlimmes passiert, oder?«

»War das rhetorisch gemeint?«, fragte Andored sarkastisch, was der Zwerg sofort verstand und sich das Lachen verkneifen musste, weil Medjev ihm gegenüber saß.

»Hä? Was meinst du?«

»Ich meine, schmeckt die Suppe?«, änderte Andored seine Taktik in dem Versuch, eine Unterhaltung zu führen.

»Ja, schmeckt ganz gut.«

»Iss doch mal etwas langsamer. Es nimmt dir niemand etwas weg«, fügte der Zwerg hinzu und verdrehte genervt die Augen.

»Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben, so heißt es doch«, rezitierte Andored eine alte Weisheit und stopfte sich darauf ein Stück Weißbrot in den Mund. »Meine Intuition sagt mir, dass heute noch etwas geschieht, das uns nicht schmecken wird.« Angewidert legte er dann das Weißbrot weg. Offensichtlich war es zu alt.

»Pah! Intuition. Meine sagte mir, dass du spinnst, Elb«, erwiderte daraufhin der Zwerg.

Medjev lachte, wobei ihm etwas Suppe aus dem Mund tropfte.

»Wir werden ja sehen«, prophezeite ihm der Elb und Tomagril pflichtete ihm zustimmend bei.

»Tztztz. Ihr Elben seid schon ein komisches Volk.«

»Hab ich euch eigentlich schon gesagt, dass wir alle zu Kelchebont ins Büro bestellt wurden?«, platzte Medjev erst jetzt mit der Neuigkeit heraus.

»Neeeiiiinnn!«, gab der Zwerg argwöhnisch zur Antwort und ließ den Löffel in den leeren Teller fallen. »Und für wann soll das sein?«, sah Tolu ihn aufmerksam an.

»Gleich, nach der Mittagspause«, meinte Medjev und kaschte sich Andoreds Brot vom Teller.

»Jetzt spüre ich auch diese Intuition«, musste Tolumirantos eingestehen und warf Andored einen vielsagenden Blick zu.

Unterdessen fand oben im Burgfried, im Büro des Magus eine Unterredung von vier anderen, viel wichtigeren Männern statt.

»Das sind Freidenker, solche brauchen wir hier nicht, die machen uns nur Probleme. Wenn sie so weiter machen, müssten wir sie entlassen. So können wir sie noch positiv zu unseren Gunsten einsetzen. Was sagen Sie dazu?«, schlug Kelchebont an die beiden Burgherren gerichtet vor. Tretenville starrte ihn an und Sänkemacher, der eigentliche Burg herr und Leiter des Bergwerks, kratzte sich ruckartig im Schritt.

»Und außerdem wären wir den ollen Essenzeris auch los. Der kostet uns nur unnötige Hellinge und Nerven«, fügte Kruhmen hinzu.

»Jaaa«, wirkte Tretenville angetan. »Das hört sich nach einem guten Plan an, Kelchebont. Nur beten sie beide, dass es auch so vonstatten geht«, befürwortete Tretenville mit großen Augen, lehnte sich in den Stuhl mit hoher Lehne zurück und schob sich die gestopfte Pfeife in den Schnabel. »Noch mär Aufmerkschamkeik kang isch nischk gulgn, sonschk gehn unsch die Möglischkeiken ausch, ischk ihn’n alln dassch bewussschk?«

Die beiden Angestellten nickten stillschweigend.

Tretenville nahm die Pfeife aus dem Mund und winkte vorsichtig damit. »Na dann los, erledigen sie das! Ich werde mich wieder wichtigeren Dingen zuwenden. Ich bin ein beschäftigter Mann und man sollte mich nicht aufhalten.«

Schichtleiter Kelchebont und Vorerbeiter Kruhmen begaben sich unvermittelt an ihren Arbeitsplatz zurück und schlossen hinter sich die Bürotüre, um ihre Vorgehensweise im Stillen zu besprechen. Die Mittagspause war gleich zu Ende und das bedeutete Eile, denn die vier Bergarbeiter hatten sie schließlich für diesen Zeitpunkt ins Büro bestellt.

Wenige Minuten später fanden sich die vier Freunde um Tolumirantos vor besagter, geschlossener Bürotüre ein.

»Klopf du an!«, zögerte Medjev und sah zum Zwerg herab.

»Warum ich? Du bist der Gruppenführer und bekommst mehr Sold – Es ist deine Aufgabe«, gab Tolu ihm

»Weil…, weil du der Kleinste bist.«

»Pah, Frechheit! Ich könnt genauso sagen, weil du der Größte bist und weil du eine Glatze hast.«

»Ich glaub das nicht«, störte Andored leise zischend die alberne Unterhaltung. »Medjev, du bist der Gruppenführer, man hat dich angesprochen und du solltest uns hier her bringen. Mach jetzt!«

»Na gut.« Er klopfte. Viel zu laut, wie Andored fand. Aber er tat es immerhin.

Die Tür öffnete nach innen und Kruhmen lächelte ihnen listig zu, was bei Andored sofort Argwohn auslöste. Keiner sagte etwas – Keiner! Wie so oft hatte Kruhmen einen roten Kopf, wenn ihm etwas unangenehm war. Die Arbeiter stellten sich der Reihe nach vor dem Tisch auf. Kruhmen gesellte sich, wie eine Krähe auf die Schulter seines Herrn, an Kelchebonts Seite. Der Schichtleiter lehnte sich auf die Ellen gestützt und mit gefalteten Händen vor.

»Euch ist sicherlich nicht entgangen, dass in unserem prachtvollen Stollenwerk, während der Grabungen, etwas entdeckt wurde. Ich darf leider nicht darüber sprechen, um was es sich handelt, das ist streng geheim. Aber ich muss euch leider mitteilen, dass dieser Fund heute Morgen aus dem Stollen, trotz massiver magischer Sicherheitsvorkehrungen entwendet wurde.« Hier ließ er eine kleine Pause, um den Skandal zu verkraften. »Kurz zum Verständnis: Alles, was außer Metallen gefunden wird, geht automatisch in den Besitz der Kirche über, da die Gegend im Landkreis der Stadt Allfaldria liegt. Wir möchten jedoch nicht, dass die Kirche von diesem Vorfall Wind bekommt und unserem ehrenhaften Werk vorwirft, wir hätten religiöses Gut nicht mit entsprechender Sorgsamkeit behandelt oder würden dies sogar zum Eigennutz vor ihr verbergen. Dem ist definitiv nicht so.« Kelchebont lehnte sich im Stuhl zurück und legte nun in gleicher Haltung die Ellen auf die Lehnen. Er begutachtete sie nacheinander.

»Ihr müsst Stillschweigen darüber bewahren, was ich euch jetzt sagen werde. Könnt ihr dem nicht Folge leisten, wird es wie Hochverrat angesehen und dementsprechend bestraft.«

Kruhmen ahmte die Fratze eines Hängenden nach und deutete ein Seil an, um das Gesagte zu unterstreichen.

»Wir haben heute Morgen den Raum untersucht. Der Magus persönlich war dort und hat alles genauestens unter die magische Lupe genommen. Wir fanden heraus, dass es einen Gang, genau auf der anderen Seite gibt. Dieser Gang ist jedoch nicht vor kurzem gegraben worden, sondern er gehörte zu dem befestigt, gebauten Raum und führt wer weiß wohin. Wie dem auch sei, wir entdeckten Fußabdrücke im Staub. Diese Spuren stammten nicht von zivilisierten Humanoiden, sondern von Orks oder ähnlichem Gesocks. Wir gehen also stark davon aus, dass Orks unser Artefakt gestohlen haben. Ihr seid tüchtige Männer, das sehe ich sofort. Und nicht auf den Kopf gefallen. Deshalb möchte der Magus euch diesen schwierigen Auftrag anvertrauen, das Artefakt wieder zu beschaffen. Es ist keine einfache Sache. Deshalb würde das Kupferburger Stollenwerk auch einen dicken Bonus auszahlen, wenn ihr euch dieser bemächtigt. Für so ein paar stattliche junge Männer, wie ihr es seid, sind doch ein paar Orks kein Problem oder etwa doch?«

»Och, ein paar Orks die Schädel einschlagen, das lass ich mir nicht zweimal sagen«, rieb sich Tolumirantos genüsslich die Hände.

»Wir haben nicht viel Zeit. Ihr müsstet heute noch los! Also packt eure sieben Sachen. Adept Essenzeris wird euch am unteren Burgtor in einer Stunde erwarten und zu besagtem Raum führen«, beendete Kelchebont seinen eingeübten Vortrag. »Ihr könnt euch entfernen. Ich habe noch zu tun.«

Umgehend widmete Kelchebont sich sofort seiner Arbeit zu und Kruhmen drängte sie mit beiden Armen wie Vieh aus dem Büro hinaus.

Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben, dachte Andored bei sich. Und irgendwie beschlich ihn das ungute Gefühl, er würde Recht behalten.

6. Der unerwünschte Führer

Vor dem untersten Burgtor trafen sie auf den Adepten Essenzeris. Für einen Adepten war er ziemlich alt, was darauf schließen ließ, dass er entweder total verblödet war oder aber, man hatte ihm nie die Chance gegeben sein Talent zu entfalten. Die vier Freunde dachten eher das Erstere von ihm. Wie dem auch sei, er war schon im Alter von Anfang vierzig, hatte leichtes, dunkelbraun bis schwarzes Kraushaar, trug eine Sehmaschine auf der Nase und ähnelte vom Gesicht her eher einem Halbling, als einem Menschen. Groß war er auch nicht, sondern körperlich schmächtig und gebrechlich.

»Haben die Herren sich endlich eingefunden?«, fragte Essenzeris entnervt. »Wir müssen uns sputen, denn wir haben einen Auftrag von höchstem Rang zu erfüllen.«

Wir?, dachte Andored und warf Tolumirantos einen fragenden Blick zu, der diesen ebenso verwundert entgegnete.

»Man nennt mich Essenzeris. Ich bin ein Adept der magischen Universität von Aquitan. Während dieser Aufgabe werde ich euer Führer sein, sprach er frosch. »Also folgt mir!«

Zögernd folgten Sie ihm, schließlich hatten sie ja keine andere Wahl. Andored trat an des Zwergs Seite und wollte ihn etwas fragen, doch Tolumirantos kam ihm zuvor.

»Was redet der da für eine Scheiße? Auftrag von höchstem Rang? Führer? Warum spielt der sich so auf? Er soll uns doch nur zu diesem Raum bringen.«

»Ich hab keine Ahnung, was das soll«, erwiderte der Elb ratlos. »Aber ich ahne nichts Gutes.«

»Oh, Ando. Mir schwirrt da auch etwas im Kopf herum, das mir gar nicht gefällt. Absolut gar nicht«, schüttelte Tolu leicht verzweifelt den Kopf.

»Ich weiß«, seufzte Ando bei sich.

Medjev trat an sie heran, wobei er sich im Gehen genau vor Andored positionierte und ihm somit den Platz neben Tolumirantos streitig machte. Der Elb wich zur Seite aus und fügte sich kopfschüttelnd.

»So hab ich mir das aber nicht vorgestellt«, sprach der große Glatzkopf an den Zwerg gewandt. »Ich soll doch der Gruppenführer sein und außerdem hat niemand von den Chefs gesagt, dass uns noch jemand begleitet.«

Die beiden Elben und der Zwerg grummelten zustimmend.

»Das finde ich nicht in Ordnung«, sprach der Hüne weiter. »Wenn wir wieder zurück sind, dann werde ich mich darüber beschweren.«

»Tu dir keinen Zwang an, Medjev«, antwortete der Zwerg gelassen. »Aber glaubst du wirklich, das interessiert die da oben?«

»Mir egal.«

»Das dachte ich mir«, sagte Tolumirantos resigniert.

Ohne Umschweife erreichten sie den Schachteingang des Stollens.

»Folgt mir bitte und bleibt nah bei mir. Ich möchte euch nicht alle nacheinander mit einem Zauber suchen müssen, wenn ihr euch verlaufen habt«, merkte der Adept wichtigtuerisch an. »Und nicht trödeln!«

»Ich kenne den scheiß Stollen in und auswendig«, brummte der Zwerg. »Wenn sich einer verläuft, dann wohl der Herr Adept.«

»Essenzeris, können Sie nicht eine magische Fackel anmachen?«, meldete sich Tomagril schelmisch zu Wort. »Dann könnten wir auch sehen, wo wir hintreten.«

»Natürlich nicht«, erwiderte der Adept entsetzt. »Meine magische Kraft muss ich gut einteilen und wir wissen nicht, ob diese Ungeheuer gleich an der nächsten Biegung auf uns warten.«

»Orks?«, wollte Tolumirantos nur klar stellen, welche Ungeheuer der Adept meinte und schüttelte verdrießlich den Kopf.

»Sprecht es nicht aus«, reagierte Essenzeris darauf entsetzt, während er weiter voran ging. »Das beschwört sie womöglich noch herauf.«

»Achsoooo, ja. Jetzt wo Sie es sagen«, spielte Tomagril den Unwissenden und verdrehte die Augen. »Der Typ geht mir jetzt schon so was von auf die Nüsse«, murmelte er hinter vorgehaltener Hand an seine Freunde gewandt.

»Da bist du nicht der Einzige, dem es so ergeht«, stimmte ihm Andored flüsternd zu.

Es ging immer tiefer in den Berg hinein. Die Stollen waren ohne Markierungen das reinste Labyrinth. Doch endlich gelangten sie an den mit Barren versperrten Gang und folgten diesem ein kleines Stück bis zu einem Loch in der Felswand.

Als sie nacheinander hineingeschlüpft waren, offenbarte sich vor ihren Augen ein großer, rechteckiger Raum.

Der Boden war mit einer dicken Staubschicht bedeckt und die Decke glich einem Kellergewölbe, aus Ziegelsteinen erbaut.

»Das ist nun diese Kammer?« Der Zwerg schaute unbeeindruckt umher. »Ein einfach gemauertes Gewölbe. Nichts Besonderes. Da hab ich bei meinen Eltern am Napola und bei meinen Verwandten in Dûn Kohlenz schon weitaus beeindruckendere Sachen gesehen.«

»Allerdings auch keine gewöhnliche Gruft. Aber du hast Recht«, pflichtete ihm Tomagril bei. Er und Andored hatten schon einige Male die kleine Zwergenfamilie im teils ausgehöhlten Berg Napola besuchen können und wussten daher, was ihr Freund meinte. Den Napola würde ein mancher wohl eher als einen Hügel bezeichnen – aber das durfte man in Anwesenheit Tolumirantos nicht erwähnen, sonst fühlte er sich stark auf den Schlips getreten. Sein Zuhause war südwestlich vom Erzbergwerk entfernt. Südlich, um den Berg herum, lag eine kleine Ortschaft namens Nelister, aus der sie alle stammten. Die Gelegenheit den Berg Kahresa in Dûn Kohlenz zu sehen, hatte sich bis heute nicht ergeben. Aber was noch nicht ist, kann bekanntlich noch werden.

Essenzeris räusperte sich. »Der Magus äußerte, dass es sich hierbei um ein Kellergewölbe besonderer Art handele. Angeblich stamme es aus einer Zeit, als hier in der Gegend ein weitaus mächtigerer Zauberer lebte, wie es sie heute nicht mehr gibt«, erklärte der Adept unaufgefordert. »Was wollen sie eigentlich mit dem Ding dort?«, zeigte Essenzeris sichtlich nervös auf die Spitzhacke, die der Zwerg in der rechten Hand mit sich führte.

»Das ist mein Werkzeug! Ich gehe nirgendwo hin, ohne mein Werkzeug!« Diese Antwort in Kombination eines wütenden Blickes, ließ keine weiteren Fragen offen, oder wohl eher zu. Kuschend schaute der Adept weg und nahm seine Untersuchung wieder auf.

Währenddessen sammelten sich die vier Freunde an dem Stein, der in der Mitte des Raumes stand. Es war ein Granit, quadratisch und etwa hüfthoch – für einen Menschen. Tolumirantos umfasste ihn mit seinen Pranken und untersuchte die Oberfläche. Sie war fein säuberlich verarbeitet worden. Bewegen ließ der Miniaturobelisk sich nicht, was den Zwerg darauf schließen ließ, dass er tief in dem Unterboden verankert war. Auf der quadratischen Fläche war eine Art Sockel eingearbeitet, nicht etwa aus Stein, sondern aus einem Eisen, das der Zwerg und die anderen noch nicht gesehen hatten. Es glänzte beinahe weiß, aber nicht so wie Silber oder Weißgold es taten.

»Sieht aus wie eine Fassung oder Krampe. Was meint ihr, was sich darin befand?«, fragte Andored, während er das ungewöhnliche Metall mit dem Zeigefinger befühlte. »Au! Verdammt, ist das scharf.«

»Du blutest alles voll«, stellte Tomagril amüsiert fest. »Ha, ein Bluter!«

»Lass den Blödsinn, Toma«, zischte Andored und saugte das Blut vom Finger.

Hysterisch sprang plötzlich der Adept herbei, fluchte und wedelte mit den Armen. »Ihr verwischt die Spuren. Geht da weg! Haut ab von dem Sockel. Alle Male. Verschwindet! Am besten dort drüben in die Ecke«, schimpfte Essenzeris wütend. Viel zu übertrieben, wie die vier Freunde fanden.

Nachdem sie hinfort gestoben waren, untersuchte der Adept vor sich hin murmelnd eilig den Stein. Voll und ganz in seiner Sache vertieft, bekam er nicht mit, wie die vier Freunde sich zusammenrotteten und einander im Stillen berieten.

»Verdammt, es könnte sich um so viele Dinge handeln. Wie sollen wir nach etwas suchen, dass wir nicht kennen«, erörterte der Zwerg und beobachtete den Adepten bei seiner Arbeit verstohlen im Augenwinkel. »Ich glaube, der Kerl weiß mehr als er uns wissen lassen möchte.

»Bist du dir sicher?«, sagte Andored. »Mir scheint es eher, als sei er genauso ahnungslos wie wir. Er tut sich nur einfach wichtig.«

»Ich sehe hier keine Fußspuren von Orks. Oder sie haben ihre Spuren gut verwischt«, ergänzte Medjev und rieb sich den Staub von seinem kahlen Kopf.

»Nein, das ist mir auch schon aufgefallen«, bestätigte der Zwerg.

»Ich hab's!«, platzte es aus Tomagril heraus. »Wir stellen Ando mit seinem blutenden Finger in die Türöffnung, verstecken uns hier drüben am Durchbruch hinter dem Gestein und warten bis die Orks sein Elbenblut wittern. Wenn sie ihn dann zerfleischen wollen, schlagen wir zu – Überraschungsangriff, fertig!«

»Mhhh.« Der Zwerg zog es mit ernsthafter Miene in Erwägung. »Ich könnte auch dich mit meinem Messer hier überraschen und dir eine größere Wunde als die von Ando zufügen. Das kostet uns nicht so viel Zeit und wir sind dich und deine blöden Sprüche gleich mit los.«

Alle lachten. Essenzeris bemerkte es, schaute vernichtend herüber. Die Freunde verstummten augenblicklich.

Nach einer Weile peinlicher Stille, merkte Andored offen an, dass es vielleicht gar keine Orks gewesen seien. Man sah ausschließlich Schuhabdrücke von Menschen. Tomagril bestätigte dies ebenfalls. Der Zwerg kraulte sich abwesend an seinem kurzen, dunkelbraunen Bart.

»Ich habe einen Plan«, begann Tolumirantos verschwörerisch, nachdem er sich vergewissert hatte, dass der Adept wieder seiner Arbeit nachging. »Wir gehen einfach los. Mir dauert das zu lange. Was will der Depp da denn noch finden. Ich sag euch, je länger wir hier herumstehen und warten, desto weiter entfernen sich die Diebe und ihre Spuren noch dazu. Einerlei, ob es nun wirklich Orks sind oder nicht.

»Hier sind die Fußspuren und sie führen alle in den Gang dort«, rief Essenzeris plötzlich herüber.

Die beiden Elben tauschten fragende Blicke mit dem Zwerg aus, der darauf nur ein Schulterzucken übrig hatte.

»Ich geh vor«, entschied der Zwerg und bevor der Adept etwas erwidern konnte, dass dagegen sprach, war Tolumirantos auch schon an ihm vorbei gehuscht, gefolgt von Andored und Tomagril. Medjev rempelte ihn aus Versehen an und zog den Kopf ein, um den anderen schleunigst zu folgen.

»Aber… Iiihh… ich bin… ähm…«, hörte Medjev Essenzeris noch sagen, doch es war ihm – ihr ahnt es vielleicht schon – Egal!

So stand Essenzeris, ein Adept der Magie, der viel zu alt schien für einen Adepten, alleine in dem Raum und zögerte.

Er zupfte an seiner Robe, ärgerte sich darüber, dass die Männer nicht auf ihn hörten, obwohl doch er der Gruppenführer war. Er hatte das Sagen. Niemanden schien das zu interessieren. Wie so oft. Warum wollte ihn niemand ernst nehmen? Er hatte es satt, so sehr satt, von Kruhmen und Kelchebont mit belanglosen Aufgaben hin und her zitiert und hinterher beschimpft zu werden, sie nicht richtig erfüllt zu haben. Er wollte sich endlich einmal durchsetzen und beweisen, dass er es besser konnte. Diesmal durfte er nicht versagen. Kruhmen und Kelchebont, so wie den großen Magus, galt es diesmal nicht zu enttäuschen.

Ihm wurde zum ersten Mal ein wirklich wichtiger Auftrag zugeteilt. Zu versagen, war für ihn keine Option. Also sprang er hinterher, in den dunklen Gang …

… und stolperte gleich über seine eigenen Füße.

7. Die Wegzweigung

Sie liefen und liefen durch den dunklen Stollen. Allen voran Tolumirantos, der sich eine Fackel gebastelt und angezündet hatte. Der Gang schien endlos. Ein in Bruchstein gemauerter Tunnel mit einer gewölbten Decke. Es war klamm und roch nach Schimmel. Die Sporen wucherten wie große schwarze Ausschläge an den Wänden.

Andored musste von dem bissigen Geruch und dem Rauch der Fackel husten. »Tolu, musst du so rennen? Mir brennt der Rauch in den Augen und in der Lunge.«

Der Zwerg blieb stehen, wandte sich um, funkelte ihn an und sagte: »Weißt du, wonach sich das anhört?«

»Nein.«

»Nach: Mimimimimi!« Er lachte. Laut und gehässig. »Nichts für ungut mein Freund. Da vorne ist ein Portal und dahinter scheint ein Raum zu sein. Dort machen wir halt.«

Tomagril lachte und klopfte ihm tröstend auf die Schulter. »Komm Ando, das schaffst du noch. Nach dir.«

»Wie großzügig.« Ein Hauch Sarkasmus lag in Andos Worten. Gefasst ging er weiter. Warum nahm man ihn einfach nicht ernst?

Unverhofft war es nicht eine einfacher Raum. Es schien eine Art kurzer Flur zu sein, von dem genau vier Gänge abzweigten. Der Eine, ganz links, war unpassierbar, da Holzbretter und Geröll den Weg versperrten. Eine verschlossene Platte aus Stein versperrte den Zweiten daneben. Also blieben Ihnen nur noch zwei weitere Gänge zur Auswahl. Beide lagen am Ende des Flures nebeneinander; ein Auf- und ein Abgang.

»Na toll. Ein Weg in den Himmel und einer in die Hölle«, sagte Tolumirantos wenig begeistert.

Es stellte sich nun die Frage, welchen der beiden Wege sie nehmen sollten.

Essenzeris traf endlich am zwielichtigen Flur ein. Schnaufend und schwitzend. Gleich stützte er sich atemlos auf beide Knie ab und wollte zu Atem kommen.

Dagegen saßen die vier Freunde entspannt an den Wänden sich gegenüber und tranken gemächlich aus ihren Wasserschläuchen. Es wunderte sie nicht, dass der Adept ihnen gefolgt war. Eigentlich war es ihnen total schnuppe. Wer im Erzbergwerk arbeitete, musste schnell lernen sich mit unangenehmen Dingen abzufinden. So war es auch in diesem Falle. Sie taten einfach so, als sei er gar nicht anwesend.

Aber Essenzeris war nicht dumm. Er bemerkte es, überlegte … noch etwas länger. So Lange das die vier Männer irgendwann neugierig hinüber blinzelten und jeden Moment ein höllisches Gebrüll erwarteten. Doch es geschah nichts dergleichen. Man hätte im letzten Winkel des Flures eine Maus furzen hören können, so still war es nun. Irgendwann glaubte Andored sogar, er könne das Rattern der Zahnräder im Kopf des Adepten hören. Jedoch wurde ihm gleich bewusst, dass es nur Einbildung war.

Essenzeris überlegte immer noch. Schließlich stemmte er entschlossen beide Hände in die Hüften, schnaubte und sprach: »Man hat mir den Auftrag erteilt, euch als Gruppenführer zu begleiten. Ich sage, wo es lang geht. Mir wurde aufgetragen, euch in dem Falle, wenn ihr mir nicht gehorchen solltet, darauf hinzuweisen, dass, wenn ihr nicht meinen Aufforderungen Folge leistet, ihr auch keine Belohnung sehen werdet. Der Magus will die Expedition genauestens beobachtet haben und ständig wissen, wo wir uns befinden. Ihr solltet also ebenfalls darauf Acht geben, dass mir nichts geschieht. Ich bin Tretenvilles Sicherheit, dass dieser Auftrag gelingt.« Nach seiner Verkündung plusterte er sich stolz auf. Nun hatte er Sie. Er war der Kommandant und sagte von nun an, wo es lang ging. So dachte er jedenfalls.

»Pah!«, sagte der Zwerg empört. »Mir doch egal, was der Magus will.« Somit machte er den Wunsch des Adepten im Handumdrehen zunichte.

»Ist das nicht sonst Medjevs Spruch?«, fragte Andored und bekam einen Schlag in den Nacken.

»Hey!«, protestierte Medjev von gegenüber.