High Being - Andreas Reuel - E-Book

High Being E-Book

Andreas Reuel

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Beschreibung

Alex ist 32 Jahre alt und wird unvorhergesehen von seiner Freundin verlassen. In den kommenden Tagen verarbeitet er die Phasen einer Trennung und wagt einen Neuanfang. Auf Drängen seiner langjährigen und besten Freundin Tina lässt Alex sich darauf ein, mit ihr an einem Freitagabend zu einem besonderen Club zu fahren. Sind sie erst einmal drin, entpuppt sich die Sause als ein Albtraum. Beide sehen sich plötzlich Dämonen gegenüber und finden sich auf ihrer Flucht in einer sonderbaren Welt wieder. Alles gerät aus den Bahnen, bis Alex plötzlich im Krankenhaus aufwacht und Tina verschwunden ist. Er macht sich auf die Suche nach ihr und findet etwas Erschreckendes heraus.

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Der Titel ist ein Wortspiel zwischen Human Being und being high. Außerdem bedeutet es Höheres Wesen und kann in diesem Zusammenhang durchaus auch so verstanden werden.

Kurzer Hinweis zum Ausdruck:

Die Charaktere sind fiktiv aus dem Leben gegriffen. Daher verwende ich eine deutliche Ausdrucksweise sowie Umgangssprache. Darüber hinaus ziehe ich Vergleiche zu Film und Fernsehen und nenne auch Markennamen, ohne dafür bewusst Werbung machen zu wollen.

Außerdem möchte ich darauf hinweisen, dass man sich durch Rausch- oder Gewaltszenen getriggert fühlen kann.

Inhaltsverzeichnis

1 WHAT THE FOG

2 SOLARSTORM

3 PRE-REBOOT

4 RESPAWN

5 PAAR WARS

6 RECAP

7 ACCEPT

8 PREPS

9 THE TRIP

10 THE MAW

11 DIVING

12 INTOXICATION

13 HIGH TROTZ DETOX

14 THE PHILOSOPHER

15 THE ORACLE

16 FOXY WHITE

17 BLACKOUT

18 RECOVERY & RECOGNITION

19 GETAWAY

20 INVESTIGATE

21 VAMPIRE HUNTER

22 OUBLIETTE

23 HUNTING GROUND

24 THE TWO BLOODSUCKERS

25 TRANSFORMED

26 HAPPILY AFTER

DIE PROTAGONISTEN

NAMENSREGISTER

DER AUTOR

WEITERE TITEL DES AUTORS

1 WHAT THE FOG

Bisher lief doch eigentlich alles gut. Klar gab es auch mal Streit und so richtig versöhnt hatten sie sich danach auch irgendwie nie. Für ihn war das nicht schlimm. Er konnte damit umgehen, obwohl er sich oftmals doch ein klärendes Gespräch oder eine Übereinkunft gewünscht hatte. Und nun saß Alex auf seinem Stuhl an dem Schreibtisch vor dem Bildschirm im Büro. Mit beiden Händen hielt er das Smartphone umschlungen, als wäre es das rettende Ende eines Seils, von dem er an einer Klippe herabbaumelte und starrte gedankenverloren nach links, hinaus aus dem Fenster in den Hinterhof.

Die Heizung summte monoton vor sich hin. Draußen ging der Wind. Ein paar Efeuranken schlugen leicht gegen die Scheibe. Bald würde es wahrscheinlich regnen.

Es kam aus dem Nichts. Unvorhergesehen und kalt traf es ihn, wie ein Eimer mit eisigem Wasser, der oben auf der Türkante auf ihn gewartet hatte und sich schließlich schlagartig über ihn ergoss. Der Tag hatte schon irgendwie schlecht angefangen, suchte er nach Gründen alles noch schwärzer zu sehen. Seine Freundin hatte frei und schlief noch tief und feste, während er sich möglichst leise zur Arbeit aufzwang. Maike hatte sich einfach mal so eine Woche frei genommen. Das war in ihrer Beziehung bisher schon sehr untypisch. Dann hatte er sich Zahncreme auf sein frisches Hemd gekleckert und sein Polo machte auch noch mucken beim anlassen. Die Batterie neigte sich wohl dem Ende ihrer Lebensdauer. Oder hatte er etwa das Licht angelassen? Who knows? Als der Wagen dann endlich ansprang, waren mittlerweile zehn Minuten vergangen und ein jeder weiß, was das morgens auf den Straßen bedeuten konnte.

Der Verkehr war nun im vollen Gange, als er auf die Hauptstraße abbog, und natürlich musste eine wahnsinnige Fahrradfahrerin den gleichen Weg nehmen, obwohl es einen parallel verlaufenden Rad- und Gehweg gab. Dieses Hindernis, die roten Ampeln und die Schnarchnasen waren schon aufreibend genug, so dass er entnervt an der Arbeit ankam und sich dann erst einmal erschöpft im Stuhl vor seinem Schreibtisch niederlassen musste. Aber was Alex gerade gelesen hatte, warf ihn völlig aus der Bahn, verstörte ihn und setzte diesem verdammten Montagmorgen noch die Krone auf. Es ließ ihn einfach fassungslos über den Menschen, den er glaubte zu lieben.

W-T-F, ging es ihm immer wieder durch den Kopf. Maike hatte doch wahrlich über den Messenger mit ihm Schluss gemacht. Gerade eben. Ohne irgendein Vorzeichen. Neuerdings nannte man das wohl exting.

Ein einzelner Ton verriet ihm die Ankunft einer Email auf seinem Computer. Wie in Zeitlupe ging sein Blick zum Bildschirm. Er las den Betreff und erfasste, dass das jetzt wichtig war. Dem musste er sich jetzt widmen, setzte Alex sich nun selbst unter Druck. Doch irgendwie ging es nicht. Wie bei seinem Polo vorhin. Gleich, wie oft er versuchte eine Antwort zu schreiben, nach jedem Ansatz drifteten seine Gedanken erneut ab. Zu ihr. Maike. Was für ein Mensch machte über den Messenger Schluss? Es war ja nicht so, als wären sie gerade mal ein paar Tage oder Wochen zusammen.

Immerhin waren es etwas über drei Jahre. Wie sehr man sich doch in einem Menschen täuschen konnte. Oder war das ein schlechter Scherz und er hatte die Nachricht einfach nur falsch gelesen? Alex zückte erneut sein Smartphone und las die Nachricht noch einmal. Nein, es war tatsächlich so. Da war kein Lachsmiley oder sonst irgendein Zeichen von Spaß oder Sarkasmus, etwas dass er womöglich übersehen hatte.

Überhaupt trieb man mit so etwas doch keine Späßchen, fand er zumindest.

Alex schüttelte benebelt den Kopf. Sich zu konzentrieren hatte gerade keinen Sinn. Vielleicht würde ein Kaffee helfen? Ja, wahrscheinlich brauchte er nur etwas Koffein, um wieder zur Besinnung zu kommen. Deshalb schnappte er sich einen Kaffeepad aus seiner privaten Dose (jeder hat doch so seine Vorlieben) füllte etwas von der Hipster-Barrista-Hafermilch in seine Tasse und begab sich hoffnungsvoll herüber in die Küche.

Dort empfing ihn unversehens Jenny, eine gleichaltrige Kollegin. Da es noch keine neun Uhr war, waren noch nicht viele Mitarbeiter im Büro. Grundsätzlich waren Jenny, er und Bolg (ein Ukrainer, dessen richtiger Name Boris lautete. Da er allerdings dem Ork aus Der Hobbit vom Wesen her sehr ähnlich war, trug er deshalb diesen Spitznamen) immer die Ersten auf der Etage.

»Morgen, Alex«, begrüßte ihn die brünette, kurzhaarige Jen ny. »Du siehst aber k.o. aus«, befand sie ziemlich zutreffend. Alex fühlte sich auch im Augenblick wie vom LKW überfahren.

»Morgen«, erwiderte er wortkarg und peilte unaufhaltsam die Kaffeemaschine an. »Hatte einen schlechten Start«, murmelte er, legte den Pad ein, schloss den Deckel und stellte die Tasse unter den Ablauf.

»Was'n los? So kenn ich dich gar nicht«, meinte Jenny neugierig und wartete im Türrahmen. Vielleicht war es auch ehrliches Interesse, aber Alex vermochte das gerade nicht recht zu unterscheiden und eigentlich wollte er nur seine Ruhe und einen Kaffee natürlich.

»Ach, so alles«, unternahm er den Versuch sie mit diesem platten Satz abzuwimmeln.

»Na, ich sehe doch, dass dich etwas bedrückt«, ließ Jenny jedoch keineswegs locker. »Mir kannst du es sagen.«

Alex blickte auf und seufzte.

Man kennt das. Eigentlich möchte man es nicht erzählen und doch purzeln die Worte hinaus, ehe man sich versieht. Wahrscheinlich ein inneres Bedürfnis sich Luft zu machen, mit dem was einen belastet. Aber Alex bereute es sofort. Ausgerechnet bei Jenny musste ihm das passieren.

Sie war doch wie die verrückte, stalkende Nachbarin Rose, von Two and a half men. Das absurde, sie sah ihr auch noch verdammt ähnlich. Wenigstens hatte er keinen One-Night-Stand mit ihr gehabt, wie Charlie Harper, der nichts anbrennen ließ. Alex war da vernünftiger, weitsichtiger und außerdem schon in der Beziehung mit Maike gewesen, als Jenny in der Firma vor einem Jahr neu angefangen hatte. Aber seitdem hatte er das Gefühl, sie wäre ihm zugetan.

Zum Glück unterbrach ihn das laute Pumpgeräusch der Kaffeemaschine und er besann sich daraufhin wieder.

»Das ist ja schrecklich«, kommentierte Jenny den Umstand und verfolgte ihn bis zu seiner Bürotüre. In diesem Moment kam Bolg auf seinem rollenden Stuhl in seine offene Bürotüre gefahren und lugte in den Flur hinaus.

»Eeh, Jenn«, brummte er auf seine wortkarge Weise. »Kannst ma guck'n komm'n?« Der Kerl war riesig und wirkte auf dem rollenden Bürostuhl, wie auf einem Kinderdreirad.

Alex nickte ihm anerkennend zu, wie Bros das eben so machen. Innerlich war er nämlich über sein auftauchen total erleichtert. Denn Bolg hatte ihn gerade aus der Patsche gerettet.

Jenny ging. »Ich schaue später nochmal nach dir«, versprach sie ihm und winkte, bevor sie in Bolgs Büro verschwand.

»Ähem!«, entgegnete Alex total begeistert.

Zurück an seinem Arbeitsplatz, nahm er sein Smartphone wieder in die Hand, um seiner besten Freundin, Tina, über den Messenger von den morgendlichen Strapazen zu berichten. Vielleicht ging es ihm danach etwas besser. Heißt es nicht, etwas von der Seele reden? Schreiben war doch ähnlich. Nur auf eine andere Weise. Die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt.

»Hey, alles gut? Maike hat doch echt eben per Messenger mit mir Schluss gemacht», tippte er ein und brachte es direkt auf den Punkt. Warum auch lange drumherum reden?!

Prompt ging sie online.

»Lol. Guter Witz«, antwortete Tina.

»Neeee. Echt jetzt!«

»Oh!« *Kackhaufensmiley*

»Yo«, schrieb Alex. *Explodierender Smileykopf*

Er sank im Stuhl nieder, wie ein Schluck Wasser in der Kurve. Der verflixte Kaffee half auch irgendwie nicht.

2 SOLARSTORM

Dieser Tag war einer der schwersten in seinem bisherigen Leben. Er zog sich unnötig in die Länge und Alex' Konzentration war auf dem niedrigsten Kurs ever. Die eine wichtige Email konnte er wenigstens beantworten.

Nach Feierabend kam Alex zuhause rein und stellte sofort fest, dass die Wohnung anders war, als er sie noch am Morgen verlassen hatte. Maike war fort. Mitsamt all ihren Sachen. Einfach wie ausradiert aus seinem Leben verschwunden. Einen Zettel mit dem Haustürschlüssel fand er gleich auf dem Schuhschrank neben der Garderobe.

»Ich bin dann mal weg. Tschüss und alles Gute«, stand dort handschriftlich geschrieben.

W-T-F, ging es ihm immer wieder durch den Kopf, während er einfach nur im Lichtschein des Flurlampenduos ME-LODI und SOLHETTA da stand und fassungslos auf den Stein gemusterten Linoleumboden starrte. So schnell konnte es gehen. Von jetzt an war er wohl alleine.

Wie von einer Tarantel gebissen huschte Alex auf einmal blitzschnell durch die Wohnung und warf einen Blick in jedes Zimmer. Türe auf, Licht an. Nur, um sich dessen wirklich zu vergewissern.

Tatsächlich. Das Bett war abgebaut, der Badezimmerschrank fehlte, die Esstischleuchte in der Küche war fort und auch der Wohnzimmertisch. Wenigstens hatte sie ihm die olle Küche gelassen, der Maike von Anfang an nie etwas abgewinnen konnte, als sie vor zwei Jahren zusammen hier eingezogen waren.

Tieftraurig setzte sich Alex auf das mintgrüne Stoffsofa nieder. Sein Traum war immer eines aus Leder gewesen. Hellbraun und klassisch schlicht, wie aus den Designerkatalogen. Obwohl ihm auch die preisgünstigere Variante des schwedischen Möbelherstellers sehr zusagte. Es wäre nicht schlimm gewesen, wenn Maike dieses Exemplar auch noch mitgenommen hätte. Aber worauf sollte er dann schlafen? Nein, er war doch dankbar darüber, dass Minzy noch zur Verfügung stand.

Weil seine Gedanken unentwegt um Maike und die Frage des Warum kreisten, schaltete er den Fernseher ein, um sich abzulenken. Auf ERTEL liefen gerade die News. Er hasste den Sender. Aber Maike schaute dort immer diese Soaps. Ihr wisst schon, Über euch oder Gute Leiche, schlechte Leiche. Zur Primetime dann diese Shows, wo sich Z-Promis im Dschungel zum Affen machten oder Leute vorsangen und raus oder weiter gequählt wurden. Ihr versteht schon.

Doch gerade jetzt erregte Alex' Aufmerksamkeit eine absonderliche Meldung in den sensationserheiterten Nachrichten.

Man berichtete irgendetwas über einen Sonnensturm, der allmählich die Erde erreichte. Um das Ganze noch zu untermalen, zuckten plötzlich die Pixel auf dem Flatscreen. Nur kurz, aber es reichte, um ihn verdutzt und geflasht zurückzulassen. Was passierte jetzt in der Welt? Waren interkontinentale Blackouts die Folge? Konnte es sein, dass Maike einfach die Strahlung vom herannahenden Sonnensturm nicht verkraftete und sie dadurch dumme Dinge anstellte?

Gleich mal Dr. Google fragen, was es mit Sonnenstürme auf sich hatte. Alex lechzte praktisch nach Ablenkung und nach Wissensdurst über die scheinbare Bedrohung.

Laut Wikipedia hieß es, als magnetischen Sturm oder Sonnensturm bezeichne man eine Störung der Magnetosphäre der Erde.

»Die Störung«, stand dort geschrieben, »wird ausgelöst von Schockwellenfronten des Sonnenwinds, die durch Sonneneruptionen oder koronale Massenauswürfe (KMA) entstehen und etwa 24 bis 36 Stunden benötigen, um die Erde zu erreichen. Sie dauert etwa 24 bis 48 Stunden an, in Einzelfällen mehrere Tage – in Abhängigkeit von der Störungsursache auf der Sonne. Das Auftreffen der Schockfront, bestehend aus elektrisch geladenen Teilchen, auf die Magnetosphäre führt zu einer Abschwächung des Erdmagnetfelds, das nach etwa zwölf Stunden sein Minimum erreicht.«

Es gebe wohl drei Phasen, die Alex einfach mal überging, da er schließlich nur etwas über die Auswirkungen wissen wollte.

»Magnetische Stürme können vielfältige Auswirkungen haben, wobei die bekanntesten das Auftreten von Polarlichtern in gemäßigten Zonen wie zum Beispiel Mitteleuropa sind. In elektrischen Stromnetzen können die ausgelösten geomagnetisch induzierten Ströme zu unmittelbaren Schäden an Leistungstransformatoren führen.« Also im schlimmsten Falle konnte es zu einem großen Stromausfall kommen.

Darauf las Alex quer und fand auch die Bestätigung für seine Empfangsstörung. Aber schlimmer, so schloss er, würde es nicht werden.

Erschöpft legte er sein Smartphone bei Seite und griff nach der Fernbedienung, zappte herum und blieb schließlich bei einer alten Folge Supernatural hängen. Irgendwann schlief er ein.

Am nächsten Morgen erst wachte er durch seinen Wecker im Handy auf. Mit steifem Rücken und pochendem Schädel richtete er sich langsam vom Sofa auf. Der Fernseher muss wohl nach Stunden von selbst ausgegangen sein.

»Als hätte ich gestern Abend gesoffen«, ächzte Alex verschlafen und rieb sich sein Gesicht mit beiden Händen. Draußen war es düster grau. Vermutlich würde es den ganzen Tag nicht heller werden, als es jetzt gerade war. Er blickte in den dunklen Flur.

An normalen Tagen wäre Maike jetzt längst im Bad gewesen. Aber heute brannte dort kein Licht und es lief auch kein Fön, wenn sie sich die Haare trocknete. Kein Gefluche, wenn mal wieder ihr Lidstrich nicht ganz so schön wurde, wie sie es sich wünschte. Alex sehnte sich danach, sie noch ein einziges Mal in den Arm zu nehmen, ihre Parfum zu riechen und von ihr geküsst zu werden. Doch er war jetzt alleine. Stöhnend wie ein Bergtroll erhob er sich und begab sich ins Bad.

Zeitig fuhr er los und traf auch ohne lästige Hindernisse an der Arbeit ein. Obwohl das Loch in seinem Herzen unergründlich tief war, würde es ein angenehmer, aber auch arbeitsreicher Tag werden. Ablenkung war genau das, was Alex nun brauchte.

Nach Feierabend ging es direkt zum Sport. Auf dem Weg dorthin drehte er im Auto die Musik laut auf und grölte mit, wo er konnte. Absolute Ablenkung war der Schlüssel. Bloß nicht auf negative Gedanken kommen. Never ever in den Sog der Trauer hineinziehen lassen, das war sein Motto. Und genau dann, spielten sie im Radio das passende Lied, dass ihn mit der Lichtgeschwindigkeit des Millenium Falkens in das tiefe, schwarze, voll Trauer und Selbstzweifel gefüllte Loch hinein beförderte.

Adele mit Someone Like You.

Der dicke Kloß in seinem Hals drückte wohl auf die Tränendrüsen. Dass das anatomisch nicht möglich war, interessierte Alex nicht. Schnell holte er Luft und wischte abwechselnd mit den Handrücken die Augen trocken. Er durfte das Lenkrad ja nicht los lassen. Oder vielleicht doch?

Es folgte die Stauansage. Unfall auf der A44.

In seinem Kopf keimte die schwachsinnige Idee einfach mit dem Polo gegen eine Mauer zu fahren. Jedes Mal, wenn er ein passendes Exemplar entdeckte, war er schon daran vorbeigerauscht. Wer würde ihm nachtrauern, wenn er bei einem Unfall starb? Würde Maike zu seiner Beerdigung kommen? Sicherlich nicht, wenn sie ihn einfach so zurückgelassen hatte. Sogleich überkam ihn ein Schamgefühl. Er wusste, dass es nicht die Lösung seiner Probleme war. Seine Eltern und Geschwister würden trauern, sowie auch seine Freunde. Du Idiot, schimpfte er sich. Nein, das brachte sein jetziges Leben auch nicht in Ordnung.

Er drehte die Musik lauter.

Unversehrt kam Alex mit seinem Polo am Fitnessstudio an. In der Umkleide waren außer ihm noch zwei weitere Männer. Sie waren in seinem Alter, schätzte er beiläufig, während er sich still umzog und ungewollt ihrem Dialog lauschte.

Der eine berichtete seinem Freund, dass seine Neue gerade erst ihren Ex verlassen hatte.

Sofort sprangen darauf Alex' Alarmglocken an. Sein Herz begann augenblicklich schneller zu schlagen. Sprach der Kerl etwa von seiner Maike? War er ihr neuer Lover? Das durfte nicht sein, das konnte sie ihm doch nicht antun. Im Ankleiden hielt er inne, setzte sich auf die Bank nieder und stützte die Ellbogen auf seine Knie. Seine Hände zitterten bereits.

»Ist dir das egal, wenn sie gestern noch mit ihrem Ex zusammenlebte?«, gab der andere zu bedenken.

»Ach«, machte der Lover. »Da lief wohl schon länger nichts mehr.«

Äffchenprinzip, schoss es Alex wütend in den Sinn. Erst den alten Ast loslassen, wenn man den neuen feste im Griff hat. Komm schon, brütete er, verrate mir schon ihrem Namen. Gib mir einen Grund zu platzen. Alex erhob sich und zog sein Sportshirt über, verpackte seine Klamotten in der Sporttasche und räumte sie in einen der oberen Spinde.

Er sah sich schon, wie er herüber ging und dem Kerl voll eine auf die Zwölf gab, malte sich gedanklich genau aus, wo er hinschlagen musste, sodass der Kerl gleich bewusstlos zu Boden ging, ohne sich zu wehren. Sein Kumpel würde prompt auch eins vors Fressbrett kriegen, ehe der reagieren konnte. Erst mit dem Ellbogen und dann ...

In seiner Vorstellung.

Momentan hielt Alex nur die Türe fest, als hindere sie ihn daran, eine dumme Tat zu begehen.

»Glaubst du das wirklich?«, sagte der Freund. »Ich hatte mal Eine, die hat mir das nur vorgegaukelt. Hinterher fand ich heraus, dass sie zweigleisig fuhr.«

»Nein, bei ihr nicht«, versicherte der Lover.

Könnte er recht haben. Denn schließlich war Maike mit all ihren Sachen ausgezogen, dachte Alex. Das bestärkte jedoch auch seine schlimmste Befürchtung. Seine Hand packte die Türe noch fester

»Bist du dir sicher?«, wollte sein Freund ihn offenbar vor etwas bewahren.

»Ganz sicher. Sandy hat all ihre Sachen mitgebracht«, sprach der Lover und Alex atmete erleichtert aus. Seine Anspannung wollte allerdings nicht gänzlich abfallen.

»Sandy?«, sagte der Freund und lachte hämisch. »Klingt wie ein Pornostar, hö hö.«

»Sandra sieht auch aus wie einer«, antwortete ihm der Lover und stieg närrisch ins Lachen seines Freundes mit ein.

Genug!, entschloss sich Alex zu gehen. Du warst schon viel zu lange hier, sagte er zu sich selbst und schlug die Türe laut zu. Er sehnte sich nach dem Laufband und vielen Gewichten. Ablenkung und Frustabbau. Kopfhörer auf, Spotify-Playlist an: Metal! Auf die Mütze!

Im hängenden Flatscreens berichteten sie wieder von dem herannahenden Sonnensturm. Er wandte beim Laufen den Blick davon ab und sah diesmal nicht, wie eine Störung übers Bild flackerte.

3 PRE-REBOOT

Beflügelt kehrte Alex nach Hause zurück. Körperlich fühlte er sich gut. Das Training hatte ihn mit Euphorie überschüttet. Doch je länger er sich in der halb leeren Wohnung aufhielt, desto schneller flachte das Glücksgefühl wieder ab. Nachdem er sich eine Salamipizza in den Backofen geschoben hatte, fruchtete langsam ein Grundgedanke in seinem Gehirn. In Zukunft wollte er sich gesünder ernähren, mehr kochen, nahm er sich vor. Früher hatte es ihm immer Freude bereitet, sich selbst etwas zuzubereiten. In den letzte Monaten ihrer Beziehung hatte das stark abgenommen. Maike mochte viele Dinge nicht, weshalb er kaum noch etwas kochen konnte, was er gerne aß. Ganz von ihren angeblichen Unverträglichkeiten abgesehen. Jedes mal, wenn sie etwas telefonisch bestellten, wurden die Mitarbeiter des Imbissrestaurants zuvor mit Fragen gelöchert, welche Inhaltsstoffe in jenen Gerichten enthalten waren, die für sie nicht in Frage kamen. Einmal hatte der Mensch am anderen Ende der Leitung sogar einfach aufgelegt, weil es ihm zu bunt wurde.

Dabei hatte Alex niemals hinterfragt, ob Maike wirklich eine Unverträglichkeit hatte oder ob es nur eben einfach aus ihrer Sicht hip war. Als er sie kennenlernte, aß sie noch Fleisch. Wenige Monate später änderte sie ihre Meinung plötzlich dazu, weil es eine Freundin auch getan hatte.

Während die Pizza backte, begab er sich auf die Suche nach dem klappbaren Wäscheständer, um daran seine nassen Sportklamotten sowie Handtücher zum trocknen aufzuhängen. Zu seinem Verdruss stellte er fest, dass auch dieser fort war. Als Alternative musste die Stange des Duschvorhangs hinhalten.

Seufzend kam er in die halbdunkle Küche zurück und setzte sich auf den vorderen Stuhl am Tisch nieder. Der Raum wurde einzig vom Licht im Backofen sanft beleuchtet, da ja die Lampe über dem Esstisch fehlte. Der Ofen brummte monoton vor sich hin. In diesem besinnlichen Moment nahm er sich vor, eine Anschaffungsliste aufzustellen und diese in den kommenden Tagen in die Tat umzusetzen. Daher griff Alex zu Zettel und Kuli und schrieb folgendes auf:

Klappbarer Waschestander, Wascheklammern, Bett und Matratze,

Esstischlampe, Badezimmerschrank, Obstkiste

Letzteres hatte Alex erst kürzlich in Investorgram gesehen ( Ja, es heißt Instagram, aber Leute, Meta stiehlt euch eure Lebenszeit). Dort folgte er nämlich einem Interiordesign-Account mit Fotos von Hipsterbuden aus den angesagtesten Städten der Welt. Darin wurde veranschaulicht, dass man die Holzkiste auf den Kopf gedreht als kleinen Tisch verwenden konnte. Fand er super. Schlicht und praktikabel. Warum war er nicht selbst schon darauf gekommen?

Alex saß weiterhin auf dem Stuhl und grübelte darüber nach ... nein, er haderte damit, ob er Maike eine Nachricht schreiben sollte. Seine Kumpels hätten ihn allein schon für den Gedanken geohrfeigt. Er öffnete den Messenger, ging auf ihren Nachrichtenverlauf und stellte dabei erschreckend fest, dass sie ihn doch glatt geblockt hatte. Was fiel ihr eigentlich ein, ihn einfach zu blockieren?, sann er wütend. Ganz offenbar hatte sie wohl schon längere Zeit mit ihm abgeschlossen, um Alex jetzt komplett aus ihrem Leben auszuradieren. Irgendwie war das an ihm vorbeigegangen oder sie hatte es eben gut verheimlicht. Prompt begab er sich auf Fratzebook ( Ja, es heißt Facebook). Ihr neuer Status: Single.

Whuuut?, schrie seine innere Stimme schrill und überrascht auf. War Alex doch davon ausgegangen, sie habe ihn für einen Anderen verlassen. Das stellte ihn natürlich vor ganz neue Fragen. Wollte sie jetzt auf den Putz hauen? Ließ sie sich jetzt eine neue Frisur schneiden und unternahm mit einer Freundin Reisen in ferne Länder? Natürlich war das ihr gutes Recht. Aber machte sie jetzt all das, wozu sie in ihrem Alltag zusammen mit ihm nicht gekommen war?

Frust und Wut kochten in ihm hoch. Er fühlte sich einfach vorgeführt, hilflos und gänzlich schlecht.

Dabei hatten sie doch so viele gemeinsame Ziele und Pläne gehabt. Bali, Backpacking durch Kolumbien, surfen lernen in Sydney sowie einige Festivalbesuche.

Was für eine blöde Kuh? Warum ging sie dermaßen rücksichtslos mit ihm um? Na ja, wenn man es genauer betrachtete, behandelte sie ihn ja eigentlich gar nicht. Schließlich ignorierte sie ihn einfach, wo und wie es ihr nur möglich war (#ghosting) und verwirklichte sich vermutlich von jetzt an selbst.

»Pah!«, schnaubte er angepisst und legte sein Smartphone unsanft auf den Küchentisch. »Was für eine egoistische Bitch.« Nicht sehr nett. Aber Gefühle müssen eben raus. Alex fühlte sich schlichtweg hintergangen.

Wo man ihm ganz offensichtlich jegliche Hoffnung nahm, sie irgendwie zurückzubekommen, entschloss Alex sich von nun an auch selbst zu verwirklichen. Und mit dieser kurzen Liste vor seiner Nase wollte er anfangen.

Er fügte noch die Notiz ›Friseurtermin‹ hinzu und dachte gleich an den feschen Barbershop, der kürzlich ums Eck eröffnet hatte. Ja, das wäre cool. Ein stylischer Haarschnitt und eine Rasur.

Plötzlich rümpfte er seinen Nase und dachte nur, was um Himmelswillen hier so bissig stank.

»Fuck!«, sprang er lauthals zur Backofenklappe, drehte die Knöpfe umgehend auf Nullstellung und öffnete sie. Um herauszufinden, dass die Pizza hinüber war, brauchte Alex kein Licht. Im Finsteren konnte er ausschließlich riechen, wie seine Wohnung zu gequalmt wurde und das sein Essen jetzt ungenießbar war.

Mit der Hand versuchte er vergeblich den Rauch weg zu wedeln und dachte gleich an die Rauchmelder. Shit! Schnell drehte er sich blind zum Fenster herum und riss es auf.

Aufregen brachte ihn nicht weiter. Er nahm ein Geschirrtuch zuhilfe und ließ es wie ein Nunchaku durch die verqualmte Luft schwirren. Im Zwielicht sah er nur nicht, wie er den Rauch stattdessen in Richtung Flur beförderte.

Komme was wolle, schwor er sich gedanklich, jetzt wird gebinged. Und das erinnerte ihn gleich an eine Szene aus dem Film Snatch, von Guy Richie (Schleichwerbung *hust*), wo Turkish und Tommy auf der Wiese stehen und eine Hatz beginnt. Bevor es los geht, sagt Turkish zu seinem jüngeren Kompagnon: »Ich sage, der Hase wird richtig ge ...«

TÜÜÜÜÜÜÜÜÜÜ!

Es war wohl wirklich nicht Alex' Woche. Der Rauchmelder im Flur sprang an. Der Lärm war ohrenbetäubend und in der Stresssituation schien es lauter denn je. Licht im Flur an, Türe zum Kämmerchen auf. Leiter raus, aufklappen und hochsteigen, Arm ausstrecken. Mit dem Zeigefinger erreichte er die Prüftaste und drückte sie mehrere Sekunden, bis der Melder in silence versetzt wurde.

Zunächst räumte er die Leiter wieder weg, woraufhin er nun mit dem Sporthandtuch versuchte, den Rauch aus der Flurmitte in die Küche fort zu schleudern. Anschließend warf er es wieder über die Duschstange.

Entkräftet kehrte Alex nun in die Küche zurück. Sein Magen rumorte. Was sollte er nun essen? Auf kochen hatte er ja schon zuvor keine Lust. Der Frierer war bis auf eine weitere Pizza leer. Doch das Risiko noch eine zu verbrennen, war ihm heute zu hoch. Hatte er nicht noch Schokolade im Kühlschrank? Ohne Vorwarnung traf ihn das grellweiße Licht aus dem Innern. Alex stöhnte zischend auf und blinzelte nervös dagegen an. Tatsächlich!, stellte er erleichtert fest und griff nach der rechteckigen, schmalen Packung. Seine Rettung. Sie war noch ungeöffnet. Wahnsinn! Eine ganze Tafel nur für ihn alleine. Niemand mit Futterneid da oder der einen Wettkampf daraus machte.

Infolgedessen er alle Fenster weit aufgemacht hatte, nahm er sich nun eine Decke, planzte sich der Länge nach auf das mintfarbene Sofa, kuschelte sich darin ein und schaltete den Fernseher an.

Da erwachte in ihm auf einmal ein sonderbares Gefühl. Es war wie, wenn man den Rechner neu startete und daraufhin alle Programme wieder besser liefen. Kurzes Update und jetzt ...