Das Versprechen - Christina Stupp - E-Book

Das Versprechen E-Book

Christina Stupp

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Beschreibung

Kennst Du das Gefühl, wenn Träume plötzlich realer zu sein scheinen als die Wirklichkeit? Genau das passiert Nika, der sein Leben bisher für ziemlich normal gehalten hatte. Als auch in seinem Alltag seltsame Dinge geschehen, gerät sein Leben völlig außer Kontrolle. Damit beginnt ein Abenteuer voller Geheimnisse, fantastischer Ereignisse und unerwarteter Wendungen. Die Erinnerung an ein uraltes Versprechen stellt Nika schließlich vor eine große Herausforderung, die das Schicksal der Welt und aller Menschen beeinflussen könnte. Ein Wettlauf mit der Zeit beginnt ... Tauche ein in eine Welt, wo Träume und Realität verschmelzen, wo auf der Suche nach der eigenen Identität die Grenzen zwischen Leben verschwimmen. Ein Buch, das Dich nicht mehr loslassen wird, denn Du wirst verstehen, dass Du ein Teil davon bist und die Macht hast, die Geschichte zu verändern ...

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Seitenzahl: 243

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Impressum

 

ISBN der Druckversion 978-3-946723-81-3

ISBN 978-3-946-723-86-8

 

Christina Stupp

DAS VERSPRECHEN

 

Coverentwurf: Christina Stupp

Layout: Christine Goeb-Kümmel

 

Verlag: Begegnungen, Schmitten, www.verlagbegegnungen.de

Coverfotos: Canva, Buchblock: Pixabay, Foto Autorin: Ch. Stupp

Copyright 2024

1. Auflage

Gedruckt in Deutschland

Alle Rechte vorbehalten

 

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags und der Autorin unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

 

DAS VERSPRECHEN

THE IMPACT OF LOVE

 

 

 

von

Christina Stupp

 

 

 

 

 

 

 

Prolog

Hinter mir wälzte sich etwas Großes durch das brechende Unterholz. Alte Baumriesen fielen wie Streichhölzer und krachten zu Boden. Ich rannte um mein Leben und als würden meine Füße mit jedem Schritt tiefer im Boden einsinken und Dornenranken nach mir greifen, kam ich kaum vorwärts. Ich versuchte ihr zu folgen, doch ihr Schatten vor mir wurde immer kleiner.Sie kam mühelos voran. Als würde sich das Dickicht vor ihr teilen. Ich stolperte, ich schrie.

Die Schwärze hinter mir kam unaufhaltsam näher und schluckte sämtliches Licht, jede Hoffnung, und ich wusste, es wollte mich vernichten.

„Warte!!!“ Doch mein verzweifelter Ruf wurde durch das orkanartige Getöse in meinem Rücken einfach verschlungen.

 

 

 

A poets dream it lies beneath the surface

of reality.

 

Reality which floats like oil on top of

dreamer`s waters.

 

Thick and slow, limited in its origin and

destined to stay on top of shallow lives.

 

Deep underneath wild oceans flow,

constantly changing, unlimited in their

power and expression.

 

Where will you be?

 

 

Es war mitten in der Nacht. Wieder einer dieser Träume. Orientierungslos lag ich in meinem Bett und alles in mir vibrierte. Ich hatte keine Bilder mehr und keine Erinnerung, was ich dort erlebt hatte, aber ich war gefühlt noch mitten drin. Mein Herz raste und meine Muskeln brannten. Ich versuchte tief in meinen Bauch zu atmen und schaute mich langsam um.

Ich war zuhause. Das vertraute Bild meines Zimmers im Mondlicht, das durch mein Fenster schien. Mein Schreibtisch, mein aufgeklappter Laptop, Klamotten, die ich gestern Abend achtlos auf den Stuhl geworfen hatte. Eine unangenehme Kälte kroch langsam an mir hoch. Mein Bettzeug war nass geschwitzt.

Alles hatte vor ein paar Monaten angefangen, ziemlich genau zu der Zeit, als Dad ausgezogen war. Als ich Mom das erste Mal von meinen Träumen erzählte, meinte sie nur mit besorgtem Mutter-Blick, die Trennung sei wohl zu viel für mich gewesen. Aber ich wusste genau, dass es damit überhaupt nichts zu tun hatte. Klar, war ich manchmal traurig und vermisste ihn, aber im Grunde genommen war ich froh, dass die ganze Streiterei nun ein Ende hatte und alle sich langsam wieder entspannten.

Dann waren diese Träume gekommen. Und Mom verlor langsam die Geduld, wenn sie mich zum fünften Mal wecken musste. Verschlafen schlurfte ich dann irgendwann ins Bad und auch beim Frühstück war immer noch nicht viel mit mir anzufangen. Letzte Woche in Physik war ich sogar eingepennt – was eigentlich kein Wunder war, bei dem Lehrer. Merdoc war dafür bekannt, dass er beruhigender als Ritalin wirkte. Naja, wohl eher wie eine Einschläferungsspritze beim Tierarzt.

Normalerweise träumte ich mich einfach weg, aber dieses Mal war ich echt eingenickt und mit dem Kopf auf dem Tisch in einer Sabberlache wieder aufgeschreckt.

Gott sei Dank hatte keiner was gemerkt. Außer Mitch, und der fand es lustig.

„Wieso hast du mich denn nicht geweckt?“ Mitch zuckte nur mit den Schultern.

„Der Alte würde doch noch nicht mal merken, wenn du schlafwandelnd in seiner Nase bohren würdest.“

Mitchs Humor…, leider konnte sonst keiner darüber lachen.

Deshalb hatte er auch so gut wie keine Freunde. Um genau zu sein gar keinen außer mir. Aber so schräg er auch war, musste ich ihm, im Gegensatz zu den anderen, nicht dauernd irgendwas beweisen.

Wir beide konnten uns einfach so sein lassen, wie wir eben waren. An unserer Schule waren wir für die anderen so etwas wie die Spinne an der Zimmerdecke. Wir wurden einfach ignoriert, weil es zu viel Aufwand war, uns platt zu machen.

Und nun immer wieder diese Träume. Nein, in Wirklichkeit hatten sie mit normalen Träumen gar nichts zu tun. Sie waren völlig surreal, nur, dass sie sich mehr als real anfühlten.

Wenn ich aufwachte, glaubte ich immer gerade erst von einem fremden Ort zurückgekehrt zu sein. Immer noch den Geruch in der Nase und die fremden Geräusche im Ohr. Als wäre ich einfach von irgendwo zurück in mein Bett gebeamt worden. Ohne Vorwarnung und ohne Reisezeit. Herausgerissen aus einem Geschehen, an das ich keine Erinnerung hatte.

Doch schon bald sollte sich das ändern, dann würde ich froh sein, wenn ich mich noch halbwegs an mein altes Leben zurückerinnern konnte. Denn diese Träume waren nur die Vorboten, auf das, was bald kommen würde.

Heute war Samstag, eine Woche bevor die Ferien beginnen würden. Ein Sommer auf den ich mich in diesem Jahr irgendwie überhaupt nicht freute.

Nicht, dass ich den Sommer lieber in der Schule verbracht hätte, bestimmt nicht, aber es gab dieses Jahr einfach nichts, auf was ich mich freuen konnte.

Kein Urlaub geplant. Meine Eltern würden beide arbeiten, um nun zwei Wohnungen bezahlen zu können.

Beide hatten mir zwar versprochen, sich den einen oder anderen Tag frei zu nehmen, um einen Ausflug mit mir zu machen, aber ich kannte die beiden einfach schon zu lange, um nicht bereits zu ahnen, wie das laufen würde.

Sonderschichten, die ja extra bezahlt wurden, wegen Personalmangels im Krankenhaus oder unglaublich wichtige Mandanten, die natürlich ausgerechnet dann verhaftet wurden, wenn ich mit Dad zum Minigolf wollte, kannte ich schon zur Genüge.

„Na, ist doch nicht schlimm, Nika. Machen wir´s halt nächste Woche, dann hab´ ich sogar noch mehr Zeit und wir können hinterher noch Pizza essen bei Don Alfredo.“ Klar :(.

Ich lag noch im Bett und fühlte mich, als hätte ich gar nicht geschlafen. Mitten in der Nacht war ich wieder aus einem Traum aufgeschreckt. Mein Herz hatte wie wild geklopft und meine Lunge brannte, als wäre ich um mein Leben gerannt.

Ich hörte Mom in der Küche das Frühstück vorbereiten, aber mit ihr brauchte ich das Thema erst gar nicht anzufangen, ich konnte froh sein, wenn sie mich nicht zu irgendeinem Spezialisten für Trennungskinder schleppte.

Immerhin schien heute mal die Sonne, nach dem wochenlangen Regen, ein echter Lichtblick. Da es nun vielleicht endlich Sommer wurde, könnte ich mal mein neues Fahrrad ausprobieren.

Nach einem flüchtigen Besuch im Bad polterte ich die Treppe hinunter und rief – noch bevor ich meine Schlitterpartie auf den Holzdielen mit quietschenden Turnschuhen vor ihr abbremste:

„Morgen Mom.“

„Guten Morgen, mein Schatz.“

Sie drehte sich mit der Kaffeetasse in der Hand zu mir um und ihre dunklen Augenringe zeigten mir, dass sie keine ruhige Nacht in der Ambulanz des Krankenhauses verbracht hatte. Ich küsste sie auf ihre Nase und fragte: „War wohl viel los heute Nacht, du siehst aus wie ein Vampir.“

„Danke für die Blumen. Ich weiß auch nicht, was im Moment los ist. So viele merkwürdige Unfälle und Prügeleien gab es sonst nie. Wir kommen kaum noch nach. Als wären alle irgendwie durch den Wind.“ Sie schüttelte nachdenklich den Kopf und schien mich jetzt erst wieder zu bemerken.

„Ich habe dir Pfannkuchen gebacken und leg mich jetzt ins Bett. Telefon ist schon ausgesteckt und um drei stehe ich wieder auf. Dann können wir vielleicht was zusammen machen, wenn dein überfüllter Terminplaner es erlaubt.“

Ich hob achselzuckend die Schultern und holte mir eine große Portion von Moms berühmten Schoko-Bananen-Pfannkuchen.

„Leg Dich ruhig schon hin, ich kann auch alleine essen. Wollte mir sowieso noch in Ruhe die Aktienkurse anschauen“, sagte ich augenzwinkernd und nahm mir die Zeitung. Mom lächelte müde und schlich die Treppe rauf. Als ich oben die Schlafzimmertür hörte, nahm ich meinen Teller und ging hinaus in den Vorgarten.

Ich setzte mich auf die Veranda-Treppe und dachte an mein Fahrrad. Seit meinem Geburtstag war das Wetter schlecht gewesen und außer ein paar kurzen Runden um den Block, hatte ich bis jetzt noch keine Gelegenheit gehabt, die tolle Schaltung und die Spezialdämpfer mit ein paar Jumps auszutesten.

Ich stopfte mir den Rest der Pfannkuchen schnell in den Mund und spürte schon ein Kribbeln im Bauch, als ich daran dachte, wie es sich anfühlen würde, endlich mal wieder mit einem Bike unterwegs zu sein und vor allem mit diesem.

Ja, vielleicht würde ich sogar zur anderen Seite der Stadt fahren. Dort begann, nach den letzten Häusern, der Nationalpark mit seinen dicken alten Bäumen, felsigen Schluchten, wilden Bachläufen und für die Mountainbiker schon ausgefahrenen Down-Hill-Strecken mit präparierten Schanzen, die von den Wildhütern zwar immer wieder zerstört wurden, aber sofort an anderer Stelle wieder auftauchten.

Eigentlich durfte ich dort alleine nicht hin, aber mein Vater hatte es mir schon so lange versprochen mit mir dorthin zu fahren, dass ich langsam nicht mehr daran glaubte, dass es diesen Sommer noch was werden würde.

Ich ging zurück ins Haus, schnappte mir eine Flasche Saft und ein paar Milchbrötchen und warf alles in meinen Rucksack. Dann schlich ich hinauf in mein Zimmer, um mich umzuziehen. Bloß Mom nicht wecken, dann konnte sie nicht mehr einschlafen und sie würde mich nie alleine in den Park fahren lassen. Im letzten Moment dachte ich noch an meine Kamera, sollte ich sie wirklich mitnehmen? Sie war echt richtig teuer gewesen und ich hatte ewig dafür gespart.

Aber wenn ich mit Dad dort unterwegs war, hatten wir oft Wildtiere gesehen, die halbwegs an Menschen gewöhnt waren und nicht gleich flüchteten.

Das Licht dort draußen war außerdem irre, wie aus einer anderen Welt. Es gab mystisch aussehende Felsen, die mit Flechten und Moos bewachsen waren. Warme Quellen und kühle glasklare Teiche, in die man einfach rein springen konnte, um sich abzukühlen.

Große Farne, die beschienen durch das vom Blätterdach gefilterte Sonnenlicht, leuchteten. Ein paarmal hatte ich schon gedacht, gleich würde irgendein prähistorisches Tier durchs Unterholz brechen.

Nein, ich musste sie auf alle Fälle mitnehmen. Sicherheitshalber wickelte ich sie in ein T-Shirt und lief die Treppe hinunter, um sie noch im Rucksack zu verstauen.

Meiner Mutter legte ich noch einen Zettel auf den Tisch, dass ich gegen drei Uhr wieder zu Hause sein würde, dann ließ ich die Verandatür leise hinter mir ins Schloss fallen.

Ich schulterte meinen Rucksack und lief über die triste kleine Rasenfläche vor unserem Haus, die genauso wie bei allen anderen Häusern in unserer Straße ohne Blumenbeete oder irgendwelche andere Dekorationen auskam.

Das Garagentor war halb geöffnet. Es ließ sich nicht mehr richtig schließen und mit einem Ruck schob ich das halb verrostete Tor nach oben. Das einströmende Sonnenlicht erhellte die Dunkelheit des Raumes nur bis zur Mitte. Das Gerümpel, das sich an der hinteren Wand stapelte, war nur schemenhaft zu erkennen. Die Werkbank, an der Dad immer sonntags gearbeitet hatte, war nun verwaist und nur sein letzter gescheiterter Versuch ein Modellflugzeug mit mir zu bauen, zeugte noch von seiner Anwesenheit in diesem Raum.

Viele Erinnerungen, die ich hier mit meinem Vater verband, kamen hoch. Wie er mein Spielzeug reparierte und die Sättel und Lenker meiner Fahrräder nach jedem Wachstumsschub in die richtige Höhe brachte. Das würde nun nicht mehr nötig sein, da ich jetzt fast so groß wie er war.

Er hatte mir versprochen im nächsten Jahr einen Fahrrad-Camping-Trip zu machen. Einen Vater-und-Sohn-Urlaub. Ich allerdings hatte den Eindruck, dass mein Vater gerade seinen eigenen Ego Trip machte, bei dem für mich kein Platz war.

Meine bis eben noch Super-Sonne-bald-Ferien-Laune war bei diesem Gedanken plötzlich wie weggeblasen. Ich kickte eine Farbsprühdose mit einem lauten Knall an die Wand und ging zu meinem Fahrrad.

Es glänzte türkis-metallic im Sonnenlicht und in silberner Schreibschrift stand Super-Bike an der Seite. Monate hatte ich wegen dieses Fahrrads das Schaufenster im Einkaufs-Zentrum angesabbert. Jetzt war es tatsächlich meins, nagelneu und ohne Kratzer. Am liebsten würde ich es gar nicht fahren, denn ich wusste, heute Abend würde ich vor Matsch noch nicht einmal mehr die Farbe erkennen können. Ich seufzte, setzte meinen Fahrradhelm auf und fuhr langsam die Einfahrt hinunter auf die Straße.

Um diese Zeit war hier kaum Verkehr. Ich fuhr einfach in der Mitte der Straße und fühlte mich plötzlich einfach richtig frei.

Ich kam durch die Stadt, vorbei an den wenigen Geschäften, die gerade ihre Läden öffneten. Der Busbahnhof, wo die Greyhound-Busse hielten, um unseren gähnend langweiligen Ort zu verlassen, war leer.

Doch, hey, was war das? Im Augenwinkel sah ich plötzlich einen Mann. Dunkler Mantel, lange graue Haare und ein strähniger Schnurrbart, der ihm fast bis zum Bauchnabel hing. Er grinste mir zu. Als ich jedoch im Vorbeifahren erstaunt meinen Kopf in seine Richtung drehte, war er verschwunden.

Mein Herz klopfte wie wild. Träumte ich jetzt schon am helllichten Tag? Ich schaute mich noch einmal um, um zu sehen, wohin er so schnell verschwunden sein konnte und wäre beinahe mit einem grauen Chevy zusammengestoßen, der gerade rückwärts aus einer Einfahrt bog. Ich riss den Lenker meines Fahrrads herum und schaffte es gerade noch ohne hinzufallen um seine Riesenstoßstange herum.

Mit weichen Knien sah ich die schreckgeweiteten Augen der Fahrerin, die auf der Bremse stand und dabei den Motor abgewürgt hatte. Verdammt, was war nur los mit mir? Entschuldigend hob ich im Wegfahren die Hand und machte schnell, dass ich weiterkam, bevor sie aus ihrer Schockstarre erwachte.

Jetzt fiel mir wieder ein, warum das überhaupt passiert war. Hatte ich diesen Typen schon mal irgendwo gesehen? Irgendwie hatte er wie eine Mischung aus altem Biker und mit seinem Mantel wie ein Zauberer aus Herr der Ringe ausgesehen.

Wie ein Screen-Shot stand sein grinsendes Gesicht mir noch genau vor Augen. Sein wissender Blick ging mir durch und durch. Nur einen Bruchteil einer Sekunde hatten sich unsere Blicke getroffen und doch kam es mir vor wie eine Ewigkeit, als würde ich durch seine Augen in eine andere Welt gezogen.

Als würden wir uns schon lange kennen und ein Geheimnis teilen, an das ich mich aber nicht erinnern konnte. Und vor allem, wohin zum Teufel war er verschwunden?

Ich versuchte meinen Schock zu verdauen und trat kräftig in die Pedale, damit ich meine überschüssige Energie wieder loswurde. Mein Herz fing an zu hämmern und ich bekam das vertraute Gefühl, wie wenn einem das Blut in die Beine schießt und die Muskeln anfangen warm zu werden.

Ich merkte, wie mein Adrenalinspiegel anstieg und mein ganzer Körper wurde plötzlich spürbar lebendig. Ich wurde innerlich langsam ruhiger, als ich zu einem der kleinen Vororte der Stadt kam und es nur noch vereinzelte Farmen gab, die durch grüne Maisfelder voneinander getrennt waren.

Ich atmete den Geruch von feuchter Erde ein, während die Straße langsam steiler wurde und die Berghänge im Dunst des neuen Tages vor mir auftauchten. Ich bog von der Straße auf einen staubigen Pfad, stellte mich in die Pedale und merkte wie das Fahrrad mich fast mühelos mit seiner genialen Schaltung den Berg, der mich sonst immer fast umgebracht hatte, hinauftrug.

Auf dem ersten Plateau legte ich eine Vollbremsung hin und ließ mein Hinterrad herum driften. Ich schaute auf den Weg zurück, den ich gekommen war. Mein Atem ging schnell und als ich die Stadt unter mir liegen sah, breitete sich in mir ein abenteuerliches Glücksgefühl aus.

Nur ich und mein Bike … Ich alleine hier. Wenn Mom das wüsste. Bis jetzt hätte ich mich das noch nicht getraut.

Aber irgendwie war mir das gerade alles egal. Ich fuhr den immer steiler und schmaler werdenden Pfad weiter rauf, der mich zum Nationalpark brachte.

Als ich zum Parkplatz kam, fiel mein Blick auf das große Schild für die Trekking-Touristen. Hinweise über die richtige Ausrüstung und wie bei uns üblich, über alle möglichen Gefahrensituationen, und wie verhalte ich mich wenn ... ich über einen Ameisenbären stolpere, während gerade ein Ufo landet und ich mein Überlebenshandbuch mit dem Kapitel „Wie begrüße ich außerplanetarische Wesen diplomatisch“, zuhause gelassen habe.

Immer wenn ich diesen Unsinn las, hatte ich das Gefühl, dass es überhaupt nichts mehr gab, worüber man noch selbst nachdenken musste.

Ich schaute mir die Karte an, um zu entscheiden, welche Route ich zu den Wasserfällen nehmen wollte. Ich hatte ungefähr vier Stunden bis Mom aufwachen und mich vermissen würde.

Ich versuchte mich zu erinnern, welche Strecke die schnellste war. Ich wählte eine Route mit steilem Gefälle, bei der ich die Dämpfung testen konnte.

Sie ging zuerst noch ein Stück weiter hoch und passierte eine Stelle, an der ich mit Dad einmal eine Berglöwin mit ihren Jungen gesehen hatte.

Damals hatte ich meine Kamera natürlich nicht dabei. Aber vielleicht hatte ich ja heute Glück. Hier oben wehte ein kühlerer Wind, der mir die schweißnasse Stirn kühlte.

Ich fuhr nun auf felsigem Grund und musste mich tierisch konzentrieren, keinen Fehler zu machen und an einer felsigen Kante hängen zu bleiben.

In der Ferne hörte ich schon das Donnern der Springfalls. Ich atmete tief und die Feuchtigkeit in der Luft kündigte schon die über 100 Meter herabstürzenden Wassermassen an.

Sie prallten auf ein paar Felsvorsprünge, um dann unten in einem großen Felsenbecken aufgefangen zu werden. Ich befand mich etwa auf halber Höhe und schaute nach unten, von wo ein Nebel aus feinen Wassertropfen zu mir hochwirbelte.

Die Luft war so getränkt von Feuchtigkeit, dass mein T-Shirt schon an meinem Körper klebte. Der Lärm war jetzt so stark, dass man sich hier selbst mit Brüllen nicht mehr hätte verständigen können.

Nun kam der gefährlichste Teil der Strecke. Der Weg führte unter einem Überhang unter den Fällen hindurch, wo das Licht sich im Wasservorhang brach. Der Boden hier war feucht und glitschig von dem moosigen Belag.

Nach diesem halboffenen Tunnel ging es steil bergab und ich brauchte meine ganze Aufmerksamkeit, um die richtigen Entscheidungen zu treffen.

Alle meine Sinne waren nur auf die nächsten Meter vor mir gerichtet. Auf halber Strecke hielt ich an und betrachtete das farnumrankte Wasserbecken unter mir.

Für einen Moment sah es so aus, als würden über dem Wasser und den Pflanzen am Rand durchsichtige Kugeln schweben. Ich blinzelte und sie waren verschwunden. Ich schüttelte den Kopf, vermutlich waren sie nur ein Teil der Lichtbrechungen gewesen, die auch immer kleine Regenbögen entstehen ließen.

Ich begann den letzten Teil der Abfahrt und plötzlich wehte mir ein seltsamer Geruch in die Nase. Zimt, es war eindeutig Zimt. Vermutlich irrte ich mich, wahrscheinlich waren es irgendwelche Blüten, die so ähnlich rochen.

Ich versuchte auf den letzten Metern einen gewagten Sprung und landete glücklich am Rand des Beckens.

Ich war da, alle Spannung fiel von mir ab und ich sah mich um. Dieser Platz war mir schon immer wie verzaubert vorgekommen. Das Licht und die Farben waren wie aus Avatar. Es hätte mich nicht überrascht, wenn die Wurzeln der Bäume angefangen hätten zu leuchten und Wesen aus anderen Welten aus dem Wald gekommen wären.

Ich setzte mich, merkte wie mein Atem sich beruhigte, ich tierisch nachschwitzte und beobachtete das Schauspiel der herabstürzenden Fluten.

Die Macht des Wassers war hier körperlich spürbar und ich hatte das Gefühl, dass hier nichts Bestand hatte und sich nichts dem Strom widersetzen konnte.

Ich beobachtete wie das Wasser alles mit sich riss und wäre gerne eines der Blätter gewesen, die irgendwo weiter oben in den Fluss gefallen waren. Sie trafen keine Entscheidungen und ließen sich einfach mittreiben. Wussten nicht wo sie landen würden. Eine schöne Vorstellung nicht gegen den Strom kämpfen zu müssen. Ich musste über mich selbst grinsen. Vielleicht hätte ich Chancen als Philosoph.

Und wieder war da der süßlich scharfe Geruch wie an Weihnachten. Noch nie hatte ich etwas Ähnliches hier gerochen. Ich sah mich um und konnte nichts entdecken, was die Ursache sein konnte.

Alles war heute seltsam. Fehlte mir vielleicht einfach nur Schlaf?

Ich schloss die Augen und dachte an Dad. Hier hatten wir oft zusammengesessen und uns schweigend über das mitgebrachte Essen hergemacht. Zum Reden war es hier sowieso zu laut.

Wie oft würden wir das in Zukunft wohl noch tun? Ich verdrängte meine traurigen Gedanken und dachte an meine Kamera. Ich würde ein paar Bilder machen und sie ihm als Mail schicken.

„Lust auf ein Abenteuer?“

Ich holte die gut in mein T-Shirt verpackte Kamera aus meinem Rucksack.

Ich schaute mich um und überlegte, wie ich das fantastische Licht hier am besten einfangen konnte.

Ich umrundete langsam das Becken, kniete mich auf die feuchte Erde und versuchte die Blätter des Farns zusammen mit der aufsteigenden Gischt aufs Bild zu bekommen.

Dad meinte ich hätte einen guten Blick für spannende Motive.

Ich könnte ja Fotograf werden. Da hätte ich bestimmt viel Abwechslung, weil Fotografen in allen Bereichen gebraucht würden. Ich schüttelte mich innerlich. Immer dieses Erwachsenen-Blabla.

Als wäre es jetzt für mich wichtig, was ich später mal machen wollte, um Geld zu verdienen und in den gleichen Trott zu fallen wie meine Eltern. Zeigte man nur die leiseste Regung eines Talents, wollten sie einen immer gleich festnageln. Als könnten sie erst wieder ruhig schlafen, wenn sie ihre Kinder in festen Bahnen wussten.

Ich schoss ein paar Bilder.

Der Sprühnebel, der sich auf den Blättern niedergeschlagen hatte, bildete glitzernde Perlen. Ich versuchte die Lichtreflexe der Sonnenstrahlen einzufangen, die sich in den Tropfen brachen. Der Zauber der kleinen Regenbögen hielt meine Aufmerksamkeit eine ganze Weile gefangen.

Ich hörte ein lautes Platschen, als hätte etwas mächtig Großes die Wasseroberfläche durchbrochen. Ich stand auf, schaute ins Wasser und glaubte gerade noch einen langen Schatten hinter die Felsen huschen zu sehen. Mein Herz begann zu rasen. Sofort wollte etwas in mir die Flucht antreten, merkte gleichzeitig aber auch wie lächerlich das war.

Vielleicht hatte sich weiter oben ein Stein aus den Felsen gelöst, war ins Becken gestürzt und hatte ein paar Fische aufgeschreckt. Ich hatte jegliches Zeitgefühl verloren, aber das Gefühl, langsam nach Hause zu müssen, wurde immer dringlicher. Im Schatten der Wasserfälle konnte ich den Stand der Sonne nicht erkennen.

Mom würde sicher schon auf mich warten. Ich pflückte noch ein paar Blumen, steckte sie vorsichtig in die Seitentasche meines Rucksacks und verstaute die Kamera wieder in meinem zusammengerollten T-Shirt in der Tasche. Dabei entdeckte ich das zerknautschte Milchbrötchen und schob es mir in einem Stück in den Mund. Schwer kauend schwang ich mich aufs Fahrrad und nahm den schnellsten Weg nach Hause.

Als ich auf der Straße an den Maisfeldern ankam war die Sonne tatsächlich schon weit im Westen. Ich trat kräftig in die Pedale und rauschte in einem Affentempo durch die Stadt.

Als ich am Lebensmittelladen schon fast vorbei war, bremste ich scharf, weil mir eingefallen war, dass wir fast kein Brot mehr zuhause hatten. Ich parkte mein Rad und ging hinein in die Kühle der Klimaanlage. Der Laden war leer und ich ging direkt zum Brotregal. Obwohl kein Mensch zu sehen war, fühlte ich mich beobachtet.

Ich schaute an den Regalen vorbei in den hinteren Teil des Geschäftes, wo der alte Ben schon über 30 Jahre hinter seiner Theke saß und auf Kunden wartete. Wie immer war er absorbiert von seinem kleinen tragbaren Fernseher und schaute sicher eine seiner alten Comedy-Serien, denn ab und zu hörte man ein leises Lachen.

Das Gefühl ging nicht weg. Ich wusste nicht ob es die Kälte hier drin oder etwas Anderes war, das mir Gänsehaut verursachte. Ich schlich um jedes Regal und fand – nichts. Hör auf jetzt mit den Spinnereien, schalt ich mich.

Ich ging nach vorne und legte Ben das Geld für das Brot passend auf die Theke. Er schaute nicht einmal hoch.

Eines Tages würde ihm jemand die Bude ausräumen und er würde wahrscheinlich noch Wechselgeld dazu legen. Bevor ich die Tür erreichte, kam mir wieder der deutliche Geruch von Zimt in die Nase, diesmal richtig scharf, fast unangenehm und ich machte schleunigst, dass ich hier rauskam.

Die aufgestaute Hitze traf mich wie ein Schlag ins Gesicht. Ich fuhr nach Hause, parkte mein Rad in der Garage und lief zum Haus. Drinnen rief ich nach Mom. Ich hörte Sie im Wohnzimmer: „Ja, okay, dann komme ich früher.“

Als ich ins Zimmer kam, legte sie gerade auf. „Hallo Schatz. Ich muss heute Abend früher ins Krankenhaus. Es ist schon wieder die Hölle los.“

Entschuldigend hob sie die Schultern. Ich gab ihr einen Kuss und reichte ihr die Blumen, die ich gepflückt hatte. „Hey, danke mein Schatz. Wo findet man denn sowas?“ Sie schaute mich fragend an.

Ich ging in die Küche, um das Brot wegzubringen und sagte beiläufig im Hinausgehen: „Im Park.“

Sie rief mir nach „In welchem Park?“.

Ich brummte „In den Bergen“.

„Du warst alleine in den Bergen? Nika, was soll das?“

Ich merkte wie ich kurz davor war zu explodieren.

„Ich wollte endlich mein neues Rad ausprobieren. Dad hat ja keine Zeit.“

Sie wollte etwas erwidern, aber schluckte es hinunter und hatte sofort wieder diesen schuldigen Gesichtsausdruck. Gleich tat es mir wieder leid.

Sie hatte Tränen in den Augen und ich nahm sie in den Arm. Ich war nun schon ein Stück größer als sie und jetzt war es, als wäre ich der Große, der sie trösten wollte.

„Es tut mir leid, Nika. Es wird bestimmt alles wieder besser.“ Aber der Zweifel in ihrer Stimme war nicht zu überhören.

Ich ging in mein Zimmer, um die Bilder anzuschauen, die ich an den Wasserfällen gemacht hatte.

Ich schloss meine Kamera an den Laptop an und überspielte die Daten.

Als die Bilder auf dem Bildschirm erschienen, klickte ich eins nach dem anderen an. Hey, was war das? Auf jedem Bild waren leuchtende Kugeln zu sehen, die zwischen den Pflanzen schwebten. Sie sahen ein bisschen aus wie Seifenblasen, durchscheinend mit verschiedenen Mustern, Strukturen, ein bisschen wie Mandalas. Sie waren in jedem Bild.

Ich überlegte, ob es vielleicht Wassertropfen auf meiner Linse waren, die das Licht reflektierten. Aber dann erinnerte ich mich an den Moment als ich auf halber Höhe war und nach unten schaute. Hatte ich da nicht den Eindruck gehabt, etwas gesehen zu haben? Wieder mal war ich an diesem Tag verwirrt.

Ich schaute mir jedes Bild noch mal genau in der Vergrößerung an. Diese seltsamen Dinger waren wirklich überall, in verschiedenen Größen und unterschiedlichen Farben. Ich kam zu einem Bild, bei dem ich einen größeren Ausschnitt gewählt hatte.

Da war etwas im Schatten der Bäume. Ich zoomte zu der Stelle, wo ich etwas zu erkennen glaubte.

Dort stand jemand. Die Silhouette war nicht so deutlich, wie bei einem Menschen aus Fleisch und Blut, eher schemenhaft. Aber es sah aus wie ein Mädchen. Ihre Haare waren lang und in hunderte Zöpfe geflochten, in denen Federn und Steine eingearbeitet waren. Ihre Haut war sonnengebräunt und sie trug ein gebundenes Tuch um ihre Taille und ein weiteres Stück Stoff um ihre Brust.

Ein großer leuchtender Anhänger hing ihr um den Hals. Ich versuchte zu erkennen, was es war. Es sah aus wie eine Muschel, die ein phosphoreszierendes Leuchten umgab. Und sie schien genau in die Kamera zu sehen. Gänsehaut überzog trotz der Wärme meine Arme.

Wie hatte ich sie nicht bemerken können? Es sah aus, als würde sie mich beobachten. Ich konnte in ihrem ungewöhnlichen Gesicht keine Gefühlsregung erkennen.

Nur die Augen blickten intensiv in meine Richtung. Mich durchfuhr ein Schaudern bei dem Gedanken, dass sie mich die ganze Zeit beobachtet hatte, ohne dass ich es merkte.

Wo war sie nur hergekommen? Das war wohl kaum die richtige Kleidung für einen Trip in die Wildnis. Ich überlegte, wie alt sie wohl sein mochte. Sie war sehr zierlich und nicht besonders groß, aber irgendetwas an ihr schien erwachsen. Vielleicht war es ihre aufrechte Haltung.

Fasziniert betrachtete ich sie. Sie schien mir wie aus einer anderen Welt. Ich speicherte den Ausschnitt und lehnte mich zurück. Mein Herz schlug Saltos und ich wusste, auch das war etwas, was ich keinem erzählen sollte.

Okay, reiß dich zusammen. Ich wählte ein Bild, auf dem die wenigsten Kugeln zu sehen waren, und schickte es Dad. Vielleicht würde er den Wink verstehen.

Ich war jetzt wirklich hundemüde und legte mich aufs Bett. Fast hatte ich Angst einzuschlafen. Aber die letzten Nächte und die körperliche Anstrengung heute forderten bald ihren Tribut und mir fielen die Augen zu.

Sofort sah ich das Gesicht des Mädchens vor mir. Klar und deutlich, viel klarer als auf dem Foto. Es war kein starres Bild, ihre Augen blickten mich ernst an. Ich konnte sehen, wie sie atmete und vor allen Dingen, konnte ich sie fühlen.

Ein Schauder durchfuhr mich, ein seltsames Kribbeln unter dem Bauchnabel, als würden Millionen von Sternen in meinem Bauch explodieren.

Sie lächelte und das Bild verschwand.

Ich musste wohl tief geschlafen haben, denn als ich auf meinen Wecker blickte, war es schon 6:00 Uhr abends. Mist, jetzt hatte ich Mom verpasst. Sie wollte ja früher zum Nachtdienst.

Ich ging hinunter in die Küche und fand tatsächlich nur einen Zettel: „Du hast so tief geschlafen, Ich wollte dich nicht wecken. Im Kühlschrank ist etwas zu essen. Dad hat angerufen. Er versucht später mal vorbei zu kommen. Wenn was ist, ruf mich an. Kuss Mom.“

Ich holte mir das Essen aus dem Kühlschrank und wärmte es in der Mikrowelle. Bei dem Geruch, fing mein Magen an zu knurren. Ich hatte wirklich einen Riesenhunger. Ich hatte es mir mit meinem Teller gerade vor dem Fernseher bequem gemacht, als ich draußen das Auto meines Vaters in der Auffahrt hörte.