Das Wirken des Bösen - Alexander Bunde - E-Book

Das Wirken des Bösen E-Book

Alexander Bunde

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Beschreibung

Der Held dieses Romans gerät unverschuldet in die Mühlen der Justiz. Um einer Verfolgung zu entgehen, verlässt er seine Heimat und seine Geliebte und wirbt bei der französischen Fremdenlegion in Algerien an. Unterdrückung, Krieg und Todesgefahr sind dort an der Tagesordnung. Schließlich gelingt ihm eine abenteuerliche Flucht. In der Heimat erwarten ihn jedoch Enttäuschungen. Seine Geliebte hat sich von ihm abgewandt, und er muss sich den Gerichten stellen. Wird sein Leben doch noch eine glückliche Wendung nehmen?

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Seitenzahl: 353

Veröffentlichungsjahr: 2019

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Die Handlung und alle handelnden Personen sind frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeit mit lebenden oder realen Personen wäre rein zufällig.

Sie haben mich oft bedrängt,

die Pflüger haben auf meinem Rücken geackert

und ihre Furchen gezogen.

Der Herr, der gerecht ist, hat der Gottlosen Stricke

zerhauen.

Psalm

Inhaltsverzeichnis

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

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Kapitel

Kapitel

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Kapitel

Kapitel

Kapitel

1.

Eine achtundvierzigstündige Zugreise kann eine Herausforderung sein, vor allem wenn man weder erster Klasse reiste, noch einen Schlafwagen gebucht hatte. Zu dieser Erkenntnis kam Albert spätestens, als der Zug in Belgrad einfuhr und noch nicht einmal die Hälfte der Strecke zurückgelegt war. Aber wenn man eine Reise bei einer Organisation buchte, die ausschließlich Reisen für junge Leute anbot, durfte man keinen Luxus erwarten. Bis Istanbul würde er noch einen Tag und eine Nacht in dem voll besetzten Abteil verbringen müssen. Nach einigen Tagen Sightseeing in Istanbul sollte es mit dem Flugzeug weiter an die türkische Riviera, nach Antalya, gehen. Baden im Meer und Ausflüge nach Perge, Aspendos und Manavgat waren geplant.

Es war Ende Juli und die Sonne brannte unbarmherzig. Fast unerträglich war es, wenn der Zug in den Stationen hielt, damit die Dampflokomotive Wasser tanken und Kohle aufnehmen konnte. Albert nutzte diese Stopps, um sich die Füße am Bahnsteig zu vertreten. Zu weit entfernte er sich nie, denn oft setzte sich der Zug ohne Vorankündigung in Bewegung.

In der ersten Nacht wurde Alberts Ausdauer auf eine harte Probe gestellt. Von Schlafen konnte keine Rede sein, nur ein paar Mal war er eingedöst. Sich nicht bewegen und seine langen Beine nicht ausstrecken zu können, bereitete ihm starkes Unbehagen.

Als die zweite Nacht dieser endlosen Zugreise hereinbrach, hoffte er, dass er vielleicht doch Schlaf finden würde, hatte er doch in der vorigen Nacht kein Auge zugedrückt. Die Stunden vergingen, er versuchte es mit Schäfchenzählen, doch ohne Erfolg. Fröstelnd erhob er sich, denn in den Nachtstunden kühlte es empfindlich ab, und verließ das Abteil. Einige Reiseteilnehmer standen am Gang herum, rauchten und unterhielten sich. Mit steifen Schritten gesellte sich Albert zu ihnen.

Als er neugierig gemustert wurde, sah er sich veranlasst, etwas zu sagen. „Ein Königreich für einen starken Kaffee!“

„Das wäre fein“, sagte eine großgewachsene Blondine. Sie hatte ein hübsches Gesicht, doch die leicht hervortretenden Wangenknochen verliehen ihrem Antlitz einen herben Ausdruck.

„Vielleicht hat der Speisewagen schon offen?“, sagte ein rotblonder Hüne mit bartstoppeligem Gesicht.

„Dann probieren wir es doch!“, ließ ein anderes Mädchen verlauten. Sie hatte dunkle, halblange Haare, schöne, leicht schräg gestellte braune Augen und einen hübschen Mund.

Albert folgte den beiden und dem rotblonden Hünen in Richtung Speisewagen. Sie hantelten sich, denn der Zug wackelte gewaltig hin und her, entlang der Gänge zu den vorderen Waggons. Sie hatten Glück, im Speisewagen war noch Betrieb. Dieser musste noch aus der Zeit der K. u. K. Monarchie stammen, die Wände waren mit poliertem Nussholz getäfelt, die Tischchen hatten geschwungene, mit geschnitzten Ornamenten verzierte Beine und die Bänke und Sitze waren mit bordeauxrotem Velours überzogen. Die Zeit hatte zwar ihre Spuren hinterlassen, aber trotzdem strahlte dieser Wagen ein gemütliches Ambiente aus. Es war wohltuend, die harten Plastiksitze des Abteils mit den weichen Sitzen des Speisewagens zu tauschen und heißen, türkischen Kaffee zu trinken, der in kleinen Kupferkannen serviert wurde. Im Laufe des sich entwickelnden Gesprächs erfuhr Albert, dass die Blonde Margot hieß und die Dunkle Katrin. Der Rotblonde hieß Konrad, er war Soldat, nutzte aber den Militärdienst hauptsächlich, um Sport zu betreiben, denn er war ein guter Leichtathlet und ein guter Zehnkämpfer, wie er nicht ohne Stolz anmerkte. Katrin hatte bereits ihr Studium an der Hochschule für Welthandel abgeschlossen und arbeitete nun im Modegeschäft ihrer Eltern. Margot, die Blonde, arbeitete in einer Verlagsauslieferung. Albert interessierte sich für Katrin, sie gefiel ihm, denn sie hatte Charme und sie war es auch, die die Unterhaltung durch ihre Gesprächigkeit in Fluss hielt. Margot sprach wenig, ab und zu warf sie Albert Blicke zu und lächelte freundlich. Ihr Zigarettenkonsum war beachtlich. Eine leichte Enttäuschung befiel Albert, als er merkte, dass Konrad seine Hand auf die von Katrin legte. Offensichtlich hatten sich die beiden bereits angefreundet.

„Und was machst du, Albert?“, wollte Katrin wissen, dabei entzog sie Konrad langsam ihre Hand.

Albert war in einem Unternehmen angestellt, das sich mit der Rationalisierung innerbetrieblicher Transportabläufe beschäftigte. Er war der Verbindungsmann zwischen den Kunden und den Technikern seiner Firma. Das Stammhaus des Unternehmens befand sich in Bayern, wo Albert ein Jahr lang auf seine Tätigkeit in der österreichischen Niederlassung eingeschult worden war.

„Ich habe auch ein Auto zur Verfügung, das ich privat nutzen darf!“, sagte er abschließend.

Konrad kniff die Augen zusammen. Vielleicht habe ich zu dick aufgetragen, dachte Albert. Die Unterhaltung plätscherte noch einige Minuten dahin, aber Schlafmangel rief wiederholtes Gähnen hervor und ließ sie in ihre Abteile zurückkehren.

2.

Alle waren froh, als der Zug endlich in den Sirkeci-Bahnhof einfuhr. Dort erwartete die Gruppe bereits ein Autobus, der die Ankömmlinge in ein Hotel in der Nähe der Galata-Brücke brachte. Albert merkte, dass Margot seine Nähe suchte. Er war ihr beim Einladen ihres Koffers behilflich und im Bus saßen sie nebeneinander. Dieser kam nur stockend vorwärts, denn auf den Straßen wimmelte es von Menschen, die sich zwischen den uralten, unaufhörlich hupenden Autos durchschlängelten. Als sie die Galata-Brücke überquerten, entdeckte Albert einen Tanzbären, der von seinem Besitzer an einem Nasenring geführt und im Kreise gedreht wurde. Albert betrachtete das Spektakel mit Widerwillen, der arme Bär erweckte sein Mitleid. Es fiel ihm auf, dass auf den Straßen fast keine Frauen zu sehen waren, trotz der Massen, die unterwegs waren. Das ist der Orient, dachte er. Das kleine Hotel, das für die Übernachtung vorgesehen war, dürfte im vorigen Jahrhundert gebaut worden sein. Es war ein zweistöckiges Bauwerk, wobei es bis zur ersten Etage gemauert war, die zweite bestand aus einer Holzkonstruktion. Peter, der Reiseleiter erzählte ihnen, dass es in Istanbul, vor allem auf der asiatischen Seite, ganze Stadtviertel mit mehrstöckigen, aus Holz erbauten Häusern gab. Als Albert sein Zimmer aufsuchte, das er mit einem gewissen Arnold, einem Bankangestellten, teilte, hatte er nun definitiv den Eindruck, sich in einer anderen Welt zu befinden. Der Orient begann seinen Reiz auf ihn auszuüben und ließ ihn die Strapazen der Anreise vergessen. Von irgendwo her tönte der Singsang eines Muezzins, der die Gläubigen zum Gebet aufrief. Wenn man das Fenster öffnete, konnte man einen Blick auf den nahen Galataturm werfen. In einer halben Stunde sollten sie sich in der Lobby versammeln, um gemeinsam ein Restaurant zum Abendessen aufzusuchen. Albert und sein Zimmergefährte nutzten die Zeit, um sich zu erfrischen, wobei aus der Dusche nur ein paar laufwarme Tropfen auf sie herabrieselten.

Sie marschierten im Gänsemarsch durch schmale Gassen, ein muffiger, dampfiger Geruch stieg aus diesen empor. Im Restaurant wurden ihnen schmackhafte Salate und Lammspießchen angeboten. Wein gab es nicht zu trinken, aber Bier und diverse Fruchtsäfte. Peter, der Reiseleiter, empfahl vor allem Kirschensaft, der hervorragend schmeckte. Jene, die es wollten, konnten auch Raki probieren. Vor der Reise hatte man Albert empfohlen, zu jeder Mahlzeit diesen Schnaps zu trinken, er sei ein hervorragendes Mittel, um Magen- und Darmprobleme zu verhindern, von welchen Touristen häufig in der Türkei geplagt wurden. Also bestellte Albert Raki, einen Weinbrand, der mit Anis versetzt war. Margot folgte seinem Beispiel und ließ noch einen zweiten und dritten folgen. Erst jetzt wurde sie etwas gesprächiger. Albert erfuhr, dass sie in Graz bei ihren Eltern wohnte. Sie war erst achtzehn, wirkte aber reifer. Albert fand ihr hübsches Gesicht und den makellosen Körper sehr anziehend, doch ihr Zigaretten- und Alkoholkonsum irritierten ihn. Immer wieder schaute er zu Katrin, als sich ihre Blicke einmal kreuzten, lächelte sie ihm zu, um sich aber gleich wieder Konrad, dem rotblonden Hünen, zuzuwenden. Das Lokal war ausschließlich von Männern besucht. Die bärtigen, kräftigen Gesellen fixierten mit ihren Blicken stetig die Frauen ihrer Reisegruppe. Irgendwann erschienen vier türkische Musikanten, das Lokal wurde mit einer schleppenden, dunkel klingenden Musik erfüllt. Die Unterhaltung wurde immer schwieriger, man musste fast schon schreien, um sich bei diesem Lärm verständlich zu machen. Margot war ganz nahe an ihn herangerückt, es dauerte nicht lange, dann lehnte sie sich an ihn. Sie war keine Ausnahme, denn es hatten sich mittlerweile auch andere Pärchen gebildet. Nicht verwunderlich, wenn junge Frauen und Männer zwei Tage und zwei Nächte in einem Zugabteil auf engstem Raum verbringen. Er beobachtete Katrin, die Annäherungsversuche von Konrad sanft abwies. Albert war froh, als der Reiseleiter zum Aufbruch gemahnte, der Lärm war ermüdend geworden. Im Hotel angelangt, verabschiedete sich Margot bei Albert mit einem Kuss. Katrin musste es gesehen haben, denn als er aufblickte, wandte sie sich blitzschnell ab.

Am nächsten Tag verkündete Peter, der Reiseleiter, beim Frühstück das Tagesprogramm. Am Vormittag war der Besuch der Blauen Moschee und der Hagia Sophia vorgesehen, nachmittags war das Topkapi-Museum am Programm. Peter erklärte ihnen das System der Dolmus, der sogenannten Mitfahrtaxis. Es genügte, eines der gelben Taxis anzuhalten und sein Fahrtziel anzugeben. Lag dieses auf der Fahrtroute des Chauffeurs, brauchte man nur zuzusteigen, wobei Peter darauf achtete, dass die Frauen nicht ohne männliche Begleitung in die Taxis stiegen. Es funktionierte reibungslos, denn nach und nach trafen alle vor der Blauen Moschee ein. Albert fand reichlich interessante Motive für Fotoaufnahmen. Bevor sie in das Innere der Moschee eintraten, legten sie die Schuhe beim Eingang ab. Männer beteten mit auf den Boden gesenkten Köpfen. Den Frauen wurde erlaubt, abseits in einem dunklen Nebenraum die Gebete zu verrichten. Dann besuchten sie die Hagia Sophia, die Albert außerordentlich beeindruckte. Die Kuppel dieses mächtigen Bauwerks in über fünfzig Meter Höhe hatte einen Durchmesser von dreißig Metern, wobei sie nur auf vier Pfeilern ruhte. Bis ins fünfzehnte Jahrhundert war sie die Hauptkirche des Byzantinischen Reiches und religiöser Mittelpunkt der Orthodoxie. Am Tag der Eroberung durch die Osmanen im Jahre 1453 ritt Sultan Mehmet zu Pferde in die Kirche, um dort zu Allah zu beten. Bis zum heutigen Tag konnten jedoch nicht alle Spuren des christlichen Glaubens entfernt werden. Albert gefiel ein wunderschönes Jesus-Mosaik, er stellte am Fotoapparat eine lange Belichtungszeit ein und fotografierte es.

Nachmittags besuchten sie das Topkapi-Museum. Sammlungen von Porzellan, Handschriften, Porträts, Gewändern, Juwelen und Waffen aus dem osmanischen Reich waren zu sehen, ferner osmanische Reliquien wie die Barthaare des Propheten Mohammed. Margot war fast immer an seiner Seite. Ihr Interesse an den Besichtigungen war jedoch enden wollend. Sie beschwerte sich vielmehr über die langen Fußwege, und, wenn sich eine Sitzgelegenheit darbot, nutzte sie diese, um eine Rast einzuschieben und eine Zigarette zu rauchen. Katrin und Konrad schienen die Ausführungen von Peter, der in der islamischen Geschichte gut bewandert war, mit höchstem Interesse zu verfolgen, und stellten viele Fragen. Margots kulturelles Desinteresse und ihre Rauchgewohnheiten nervten Albert. Außerdem war es schwierig, eine anregende Unterhaltung mit ihr zu führen, denn sie verlor sich in Banalitäten, die Albert nicht interessierten. Hatte er sich von der falschen Frau einfangen lassen?

3.

Nächstes Reiseziel war Antalya, aber mit dem Flugzeug. Für viele in der Gruppe war es der erste Flug überhaupt. Vorschriften schienen in der alten Propellermaschine nicht zu existieren, man konnte sich frei bewegen, Albert wagte sich sogar in das Cockpit und begann eine Unterhaltung mit den beiden Piloten. Er nutzte die Gelegenheit, um einige interessante Aufnahmen zu machen. Als das Flugzeug nach knapp zwei Stunden zu einem Sinkflug ansetzte, nahm Albert an, dass es sich nur um eine Notlandung handeln könnte, denn als er aus der Luke nach unten blickte, sah er eine endlos lange Schotterpiste. Das kann doch nicht das Rollfeld sein, dachte er. Aber es war das Rollfeld. Er sah einen Mann mit einer Winkerkelle, sonst war niemand zu sehen. Ein Bauwerk aus Holz, mehr einem Schuppen ähnelnd als einem Flughafengebäude, stand abseits der staubigen Piste. Als er dem Flugzeug entstieg, prallte unbarmherzig die Sonne herab. Er glaubte, sich in einem Backofen zu befinden, noch nie in seinem Leben war er einer solchen Hitze ausgesetzt gewesen.

Der Aufenthalt war in einem der wenigen Hotels Antalyas gebucht. Albert teilte das Zimmer wieder mit Arnold. Er war froh, mit ihm eine Zimmergemeinschaft bilden zu können, denn Arnold war gebildet und hatte ein freundliches Wesen. Arnold erinnerte ihn an einen Intellektuellen mit seiner hohen Stirn, den Brillen und den gescheitelten Haaren. Kaum hatten sie ihre Koffer ausgepackt, verspürten sie gewaltigen Durst. Sie verließen das Hotel, um Ausschau nach einem Café zu halten. Sie gingen an ebenerdigen Häusern vorbei, deren Fenster nicht verglast waren, viele hatten nur einen rechteckigen Mauerdurchbruch. Im Innern lungerten Frauen und Kinder auf erdigen Fußböden herum. Die Hitze war unerträglich. Café kam keines in Sicht, aber sie entdeckten einen Limonadenverkäufer. Die kleinen Flaschen enthielten nicht einmal ein Viertel Liter Flüssigkeit. Die Limonade war süß und kaum zum Durstlöschen geeignet. Albert trank fünf Flaschen hintereinander, Arnold stand ihm nicht viel nach. Aufgrund der Hitze war der Flüssigkeitsbedarf enorm. Während der ersten Tage ihres Aufenthalts tranken sie Unmengen, zeitweilig glaubte Albert, in seinem Oberbauch das Wogen der Flüssigkeit zu spüren. Erst nach und nach hatten sie sich etwas akklimatisiert und an die Hitze gewöhnt. Am Tag hielten sie sich am herrlichen Sandstrand auf, der direkt vor dem Hotel lag. Da es weder Sonnenschirme noch sonst irgendwelche Schattenspender gab, waren sie gezwungen, von der Sonnencreme reichlich Gebrauch zu machen und oft Erfrischung im Meer zu suchen. Die Mädchen der Reisegruppe wurden von den einheimischen Männern pausenlos mit Blicken verfolgt. Im Meer schwammen sie nah an sie heran, manche mit heftigen Schwimmtempi und Armbewegungen, wobei es vorkam, dass sie dabei die Mädchen berührten. Offenbar war eine Frau im Bikini eine Sensation, mussten doch die Frauen in diesem Land Schleier und bodenlange Kleidung tragen. Auch beim Baden trugen sie Baumwollbekleidung bis zu den Knöcheln.

Die Gruppe hatte sich mittlerweile zusammengeschweißt, man trieb Späße und lachte viel. Jene, die sich bereits näher gekommen waren, sonderten sich ab. Auch Albert und Margot entfernten sich zeitweise von der Gruppe, um sich in einer sandigen Senke niederzulassen. Margot war nicht prüde, ihr Busen war klein, passte aber gut zu ihrer makellos schlanken Figur. Sie fand nichts dabei, wenn er sie berührte, sie ließ ihn gewähren, wo auch immer sich seine Hände hin verirrten. Es störte ihn jedoch, dass ihre Küsse nach Zigaretten schmeckten. Außerdem befremdete es ihn, dass sie am Abend stark dem Raki zusprach.

Währenddessen war sein Interesse an Katrin nicht erloschen. Wenn er ihr über den Weg lief, versuchte er, ein paar Worte mit ihr zu wechseln, doch sie wirkte reserviert. Dennoch - immer wieder trafen sich ihre Blicke, vor allem im Hotelrestaurant, wenn sie ihre Mahlzeiten einnahmen, warf ihm Katrin verstohlene Blicke zu.

4.

Ein interessanter Tagesausflug stand auf dem Programm. Sie planten, mit einem Bus die antiken Städte Perge und Aspendos zu besuchen und abschließend auch den Manavgat-Wasserfall. Albert, höchst interessiert an der Antike, glaubte sich in einer anderen Epoche, als er in der antiken Stadt Perge an den Säulen, den sogenannten Kolonnaden, entlangschritt. Und er staunte nicht schlecht, in welch gutem Zustand das römische Theater in Aspendos war. Es hatte fast zwei Jahrtausende überdauert und noch immer wurden dort Theaterstücke aufgeführt. Von Aspendos ging es weiter nach Manavgat, zum Wasserfall. Der Fluss führt auch im Hochsommer während der Trockenzeit Wasser, gespeist von Winterschnee und Karstquellen. Den Mittagstisch nahmen sie in einem Fischrestaurant neben dem Fluss, unterhalb des Wasserfalls, ein. Margot sprach wieder dem Raki ausgiebig zu. Sie rechtfertigte ihren Konsum mit der Feststellung, dass ihr dadurch die Hitze nichts anhaben könne.

Konrad, der Supersportler, sah im reißenden Manavgat eine Herausforderung, diesen schwimmend zu durchqueren. Er hatte sich schon seiner Kleider bis auf die Badehose entledigt und studierte am Ufer stehend den Verlauf des Flusses. Sein athletischer, braun gebrannter Körper hob sich vom eisig blauen Wasser des Flusses imposant ab. Als er sprang, wurde er durch die starke Strömung weit abgetrieben, aber mit weit ausholenden Armbewegungen schaffte er es, ans andere Ufer zu kraulen. Nach einer kurzen Rast überquerte er den Fluss in der anderen Richtung und kehrte zu Fuß wieder zum Ausgangspunkt zurück. Alle warfen ihm bewundernde Blicke zu.

„Eisig diese Fluten“, sagte er und rieb sich den Oberkörper, „wenn ich das geahnt hätte, wäre ich nicht gesprungen!“

Die Überquerung des Manavgat war nun Gesprächsthema, vor allem bei den Männern. Es wurde diskutiert, wo die beste Einstiegsstelle wäre und wie man es anstellte, die reißende Mitte des Flusses zu überwinden, um wieder in Ufernähe zu gelangen, wo die Strömung nicht so heftig war. Aber es fand sich niemand, es Konrad gleichzutun. Albert schwieg, er gab sich den Anschein, als ob ihn das alles nicht interessierte. Doch sein Entschluss war gefasst. Er vertraute auf seine Kraft, er war nicht nur ein guter Schwimmer, sondern stieg auch ab und zu trainingshalber in den Boxring, um körperlich fit zu bleiben.

„Mir ist heiß, ich werde mich etwas erfrischen“, sagte er leichthin und erhob sich.

„Bist du wahnsinnig, es ist viel zu gefährlich!“, sagte Margot und wollte ihn zurückhalten.

Doch er ließ sich nicht abhalten und ging zum Flussufer, gefolgt von Margot. Konrad verzog spöttisch den Mund, er schien nicht daran zu glauben, dass Albert es schaffen könnte. Selbst er, als Leistungssportler, hatte kämpfen und bis ans Limit gehen müssen. Gespannt verfolgte die Gruppe die Vorbereitungen Alberts. Er entkleidete sich langsam, legte sorgfältig seine Oberkleider zusammen und deponierte sie am Ufer. Dann gab er seinen Fotoapparat Margot zur Aufbewahrung. Er spannte seinen Körper und hechtete in den Fluss. In den eisigen Fluten hatte er das Gefühl, als ob sein Herzschlag einen Moment aussetzte. Während dieser Schrecksekunde wurde er schon an die zwanzig Meter abgetrieben. Nun begann er, mit kräftigen Tempi gegen die Strömung anzukämpfen, ohne sich jedoch dem anderen Ufer zu nähern. Flussabwärts ging es aber rasend schnell dahin. Albert kämpfte verbissen, endlich gelang es ihm, die Flussmitte zu überwinden und das gegenüberliegende Ufer zu erreichen. Hauptsache, ich bin rübergekommen, dachte er. Sein Atem ging schwer, er gönnte sich einige Minuten Pause, bevor er die Überquerung in die andere Richtung startete. Da er aber wusste, was ihn erwartete, war es halb so schlimm. Margot saß noch immer dort, wo er sie zurückgelassen hatte, eine kleine Gruppe hatte sich um sie versammelt, alle starrten in das eisige Wasser. Margot machte einen verdatterten Eindruck.

„Was ist los?“, fragte er, noch etwas außer Atem.

Betretene Blicke begegneten ihm, Margot hielt die Augen gesenkt. Einer der Umstehenden klärte ihn auf. „Dein Fotoapparat ist ins Wasser gefallen.“

Margot, scheinbar benebelt vom Raki, hatte den Fotoapparat ins Wasser fallen lassen. Aber nicht nur das, auch seine Sonnenbrille nahm den gleichen Weg. Albert, noch erschöpft von seinem Flussbad, begriff vorerst gar nicht so recht. Doch dann realisierte er den Schaden. Der Fotoapparat hatte einen Monatslohn gekostet. Die Fotos, die er in Istanbul aufgenommen hatte, waren ebenfalls verloren. Margot zur Rede stellen wollte er nicht, das Unheil war geschehen. Gesenkten Hauptes wandte er sich ab. Jemand reichte ihm ein Badetuch. Als er den Kopf hob, blickte er geradewegs in die Augen von Katrin. Mitgefühl und Anteilnahme las er darin. Sie verzog den Mund zu einem leichten Lächeln.

„Was ist ein Fotoapparat gegen ein Leben. Stell dir vor, du wärst im Manavgat untergegangen!“ Ihre Anteilnahme ließen ihn den Verlust für einen Augenblick vergessen.

„Meine Tante ist in einem Fotogeschäft angestellt, dort bekomme ich Sonderkonditionen. Wenn du willst, bin ich dir behilflich“, bot sie an. Sie machte einen kleinen Schritt auf Albert zu und trocknete ihm das Gesicht ab. Er blickte in ihre dunklen Augen. Erst jetzt fand er Worte. „Du bist so nett, Katrin, wirklich, so nett …“

„Setz dich hin, Albert, du siehst nicht gut aus, ich bringe dir deine Kleider.“

Sie deutete auf eine Bank, die vor der Terrasse des Restaurants stand. Albert wollte protestieren, doch sie hatte sich schon entfernt. Albert blickte zum Flussufer. Konrad hatte alles beobachtet. Um seinen Mund spielte ein sarkastisches Grinsen. Er rief Katrin etwas zu, was Albert nicht verstehen konnte, diese machte jedoch eine wegwerfende Handbewegung. Als Albert seine Kleider anlegte, zitterten seine Hände ein wenig. War es die durchgestandene Anstrengung, war es der Schock über den verlorenen Fotoapparat, oder war es die unerwartete Annäherung von Katrin? Albert wusste es nicht. Sie hatte neben ihm Platz genommen und blickte ihn lächelnd an. Plötzlich drängte es ihn auszudrücken, was er für sie fühlte.

„Es ist schade, dass wir getrennte Wege gegangen sind. Als ich dich das erste Mal sah, habe ich mich in dich verliebt. Ich hoffe, dass dein Interesse nicht auf mein Missgeschick zurückzuführen ist."

Katrin schien durch diesen emotionalen Direktangriff irritiert. Sicher verbot es ihr Stolz, sich Albert auf die gleiche Weise zu öffnen. Einige Augenblicke verstrichen. Dann sagte sie leise: „Nein, nicht nur auf dein Missgeschick!"

5.

Die Rückfahrt ins Hotel am Spätnachmittag im aufgeheizten Bus war eine schweißtreibende Angelegenheit. Hatte man Shorts an, musste man ein Badetuch auf den Sitz legen, denn die Plastiksitze waren brennheiß. Als die Zeit zum Abendessen nahte, ließ sich Albert viel Zeit. Als er endlich den Speisesaal des Hotels betrat, stellte er mit Genugtuung fest, dass Katrin nicht mehr neben Konrad saß. Ruhig schritt er zu ihrem Tisch und nahm Platz. Als er einen kurzen Blick in die Runde warf, bemerkte er Konrad, der mit finsterer Miene das Geschehen verfolgte. Margot saß alleine an einem Tisch, offensichtlich mied die Gruppe nach den Vorfällen vom Nachmittag ihre Gesellschaft. Lustlos stocherte sie in ihrem Teller herum und verließ den Speisesaal. Konrad stand auf und folgte ihr.

Nach dem Dessert verkündete Peter das Abendprogramm. Es war geplant, eine Bar am Strand aufzusuchen. Als sich die Gruppe auf den Weg machte, blieb Albert an Katrins Seite. Sie ließen sich Zeit, es dauerte nicht lange und sie gingen ein gutes Stück hinter den anderen. Albert focht einen inneren Kampf aus, er wollte Katrin küssen, aber er war nicht sicher, ob die Zeit dafür schon gekommen war. Doch er tat es. Katrin verhielt sich passiv, schon wollte er sich enttäuscht von ihr lösen, als sie ihn umarmte. Er spürte ihre samtigen Lippen und sog ihren Atem ein. Er konnte die Konturen ihres Körpers fühlen, schon wollte er eine kühne Berührung wagen, beherrschte sich aber letztlich. Als sie die kleine Bar am Strand betraten, hatten die anderen bereits

Platz genommen. Konrad saß neben Margot. Die Stimmung in der Gruppe war gut, eine gewisse Ausgelassenheit hatte um sich gegriffen. Man begann, die Jukebox mit Münzen zu füttern, und Tanzmusik erklang. Die ersten Paare belebten die Tanzfläche. Margot und Konrad tanzten eng und gaben sich verliebt.

„Müssen wir uns dieses Possenspiel anschauen?", fragte Albert und machte eine Kopfbewegung in Richtung der beiden.

„Mich stört es nicht", meinte Katrin gleichgültig.

„Mich schon, komm, gehen wir.“

Katrin warf ihm einen fragenden Blick zu. Doch dann erhob sie sich. Die Straße zum Hotel war menschenleer, man konnte das Rauschen der Wellen hören und die Luft war vom Duft der Jasminsträucher erfüllt. Der Mond war tiefgelb und überdimensional groß. Kein Wort kam über ihre Lippen, die Ausstrahlung dieser herrlichen Nacht schien sie zu verzaubern. Wie auf einen geheimen Befehl blieben sie stehen und küssten sich. Zuerst zärtlich, aber zunehmend immer heftiger und ungestümer.

„Was hältst du von einem Bad bei Mondschein?", fragte Albert. Schon wählte er einen Weg, der von der Straße zum Strand abzweigte, und zog die zaudernde Katrin hinter sich her.

„Ich habe Angst!"

„Wir schwimmen nur ein paar Meter hinaus, es ist völlig gefahrlos", sagte Albert impulsiv.

„Ich habe keinen Badeanzug dabei", flüsterte sie, doch ihr Protest klang halbherzig.

„Und wenn wir nackt baden?"

„Ich glaube, das ist keine gute Idee." Katrin war noch immer zurückhaltend.

„Es ist eine wunderbare Mondnacht, wir werden sie niemals vergessen."

Mittlerweile waren sie am Strand angelangt. Albert entfernte seine Schuhe und ging den Wellen einige Schritte entgegen.

„Herrlich, das Wasser ist so angenehm!" Katrin betrachtete ihn mit Ratlosigkeit.

„Jetzt hinein in die Fluten, so wie uns Gott geschaffen hat", sagte Albert ermunternd. „Hab keine Angst, ich drehe mich um, während du dich ausziehst!"

Er wandte sich ab und begann sich zu entkleiden. Er wartete einige Augenblicke. „Bist du fertig?", fragte er leise.

„Ich geniere mich so!", erklang zaghaft Katrins Stimme.

Albert drehte sich langsam um. Er sah einen fraulichen, gut entwickelten Körper. Plötzlich, gegen seinen Willen, erregte er sich.

„Komm“, er reichte ihr die Hand und gemeinsam ließen sie sich in die Fluten gleiten.

Albert nahm das Bad im Meer nicht so richtig wahr, denn die Vorstellung, dass eine nackte Frau neben ihm schwamm, irritierte ihn. Bald kehrte er zum Strand zurück und beobachtete Katrin, die es offensichtlich genoss, im Meer herumzuplantschen.

„Ein herrliches Gefühl“, rief sie.

Endlich entstieg sie den Wellen. Erst nach einigen Schritten, Alberts Puls schnellte hoch, bat sie ihn, sich umzudrehen. Es klang halbherzig, Albert schloss daraus, dass er dieser Bitte nicht unbedingt Folge leisten müsste. Außerdem war die ursprüngliche Scheu von ihnen gewichen, doch Alberts Anspannung steigerte sich von Sekunde zu Sekunde. Er umarmte Katrin, der Kontrast ihres vom Meer erfrischten Körpers und ihres heißen Atems war berauschend. Ohne sich dessen so richtig bewusst zu sein, ließ sich Albert nach unten gleiten, um beim Aufrichten in Katrin einzudringen. Sie verharrten in ihrer Vereinigung, um dann ihre Empfindungen durch behutsame Bewegungen zu intensivieren. Widerstrebend, aber doch, löste sich Katrin auf einmal. Ohne ein Wort wandte sie sich ab und hob ihre Kleider auf. Albert fiel durch die Unterbrechung in ein Chaos der Gefühle.

6.

Albert konnte lange nicht einschlafen. Die Situation am Strand war ihm entglitten. Er fühlte sich schuldig, eigentlich hatte er Katrin nicht verführen wollen, aber sie hatten mit dem Feuer gespielt und sie hatten gebrannt. Was für ihn beglückend war, hatte bei Katrin zu einer Verstimmung geführt.

Als Albert am nächsten Morgen den Strand aufsuchte, entdeckte er Katrin inmitten von anderen Mädchen. Er breitete sein Badetuch in ihrer Nähe aus und ließ sich nieder. Irgendwann gingen die Mädchen ins Meer schwimmen, um sich zu erfrischen, doch Katrin blieb zurück. Ihr sonnengebräunter Körper wirkte in dem weißen Bikini bestechend attraktiv. Albert nutzte die Abwesenheit der Mädchen, um sich neben ihr niederzulassen.

„Du hast eine wunderschöne Bräune", sagte er, um ein Gespräch in Gang zu bringen. Katrin quittierte diese Feststellung mit einem milden Lächeln, sagte aber nichts. Albert dachte krampfhaft nach, wie er die Spannung auflösen könnte.

„Verzeihe mir bitte meinen Ausrutscher von gestern."

Katrin blickte ihm in die Augen. „Ach so, Ausrutscher nennst du das!“, sagte sie lakonisch.

„Ich liebe dich und was gestern war, soll unsere Beziehung nur vertiefen. Vielleicht haben wir etwas vorweggenommen, aber …"

Katrin unterbrach ihn. „Nachdem du Margot fallen gelassen hast, hast du plötzlich mich entdeckt, und du redest von Beziehung.“ Sie schwieg einige Augenblicke. „Warum habe ich mich nur so hinreißen lassen“, sagte sie reuevoll, „warum habe ich mich von dir“, sie pausierte abermals, „warum habe ich mich nur von dir … verleiten lassen?“

Das Wort „verführen“ kam nicht über ihre Lippen, doch Albert fühlte, dass sie den Vorfall so bezeichnen wollte. Die kurze Vereinigung von gestern war für sie kein Ausdruck von Liebe, so wie er es empfand.

„Ich habe Margot nicht fallen gelassen. Als ich dich das erste Mal sah, habe ich mich sofort zu dir hingezogen gefühlt, aber leider musste ich feststellen, dass du mit Konrad befreundet warst.“

„Konrad ist ein eingebildeter Tölpel“, bemerkte Katrin kurz.

„Und Margot ist jung und sehr naiv!“, fügte Albert hinzu.

Sie schauten sich in die Augen. Die Spannung zwischen ihnen hatte ein bisschen nachgelassen.

„Wie alt bist du eigentlich, Albert?", fragte Katrin nach einigen Augenblicken.

„Vierundzwanzig, und du, wie alt bist du, wenn ich indiskret sein darf?"

„Es ist eigentlich komisch, wir wissen nichts voneinander und trotzdem ist schon so viel passiert!“

Albert schlug die Augen nieder. Es betrübte ihn, dass Katrin der Vorfall von gestern nicht losließ, obwohl er ihr vor einigen Augenblicken gesagt hatte, dass er sie liebte. Was störte sie also? Liebte sie ihn nicht? Seine Stimmung fiel auf den Nullpunkt.

„Es ist eben passiert“, sagte er brummig, „ich habe dir den Grund genannt. Wenn du mich nicht liebst, hast du vielleicht einen Grund, es zu bedauern. Ich stehe dazu, weil ich dich gern habe. Das Alter ist ohnehin nebensächlich“, fügte er verdrießlich hinzu.

„Ich bin aber älter als du.“

„Na und!“

„Sei nicht so ablehnend“, sagte sie beschwichtigend.

„Also, wie alt bist du?“

„Ich bin schon fünfundzwanzig“, sagte sie betreten.

„Na und!“ Er lächelte und küsste sie.

Nun lächelte auch Katrin. Sie ließen die wiedergewonnene Harmonie auf sich einwirken.

Sie hielten sich an den Händen und schwiegen. Katrin brach das Schweigen.

„Erzähl mir ein bisschen etwas über deine Familie“, bat sie.

Albert berichtete von seiner einfachen Kindheit. Seine Eltern mussten nach dem Krieg aus Brünn flüchten. Der Vater, der einen bekannten Frisiersalon gegenüber der Oper sein Eigen nannte, musste alles zurücklassen. In Wien als Geselle zu arbeiten, jemand unterstellt zu sein und sein spärliches Gehalt mit ein paar Groschen Trinkgeld aufzubessern, war eine große Demütigung für ihn. Er wurde depressiv, erkrankte und starb, nicht einmal fünfzig Jahre alt, an einer Lungenentzündung. Als Albert über das Schicksal seines Vaters sprach, schnürte es ihm die Kehle zu. Er hatte Probleme weiterzusprechen.

Katrin umarmte ihn liebevoll. „Wie traurig“, sagte sie mitfühlend.

Albert fing sich und setzte seinen Bericht fort. „Meine Mutter hat als Verkäuferin in einer Konditorei gearbeitet und nebenbei geschneidert. Sie war sehr geschickt und hat mit ihrer Nebentätigkeit gutes Geld verdient. Wir bekamen eine Sozialwohnung und von da an ging es uns besser. Sie hat auch dafür gesorgt, dass wir eine gute Ausbildung bekamen, ich habe das Abitur gemacht und meine Schwester studiert Rechtswissenschaft!“

„Da habe ich mehr Glück gehabt“, Mitgefühl klang aus den Worten von Katrin. „Das Haus, in dem sich das Geschäft meiner Eltern befindet, wurde durch die Kämpfe im Stadtgebiet in den letzten Kriegstagen im April 1945 durch Feuer und Plünderer beschädigt. Doch unser Wohnhaus in Währing blieb Gott sei Dank von allem verschont. Im Erdgeschoss wurden russische Offiziere einquartiert, die sich aber korrekt verhielten und uns oft mit Lebensmitteln versorgten. Als im Juli 1945 Wien in vier Besatzungszonen aufgeteilt und in Währing die Amerikaner stationiert wurden, sind die Russen wieder ausgezogen. Kurz darauf eröffnete mein Vater wieder sein Geschäft im ersten Bezirk. Vorerst mit dem Handel von Stoffen, erst nach und nach hat er wieder mit dem Verkauf von Bekleidung begonnen. Jetzt läuft der Laden ganz gut!“

„Ich bin schon oft bei eurem noblen Geschäft vorbeigegangen, wenn ich gewusst hätte, dass du dort arbeitest, hätte ich mir einen Anzug bei dir gekauft!“

Katrin lachte. „Das kannst du ja nachholen, ich mache dir einen Freundschaftspreis!“

Sie waren froh, dass sich die Situation entspannt hatte, und plauderten angeregt. Ab und zu verließen sie ihren Liegeplatz, um sich im Meer abzukühlen. Sie schwammen weit hinaus, danach ließen sie sich auf ihren Badetüchern nieder und genossen das einmalige Gefühl der Wärme, wenn die Sonne ihre nassen Körper trocknete.

„Du hast einen sehnigen Körper“, stellte Katrin fest, „bist du so sportlich?“

„Wenn es meine Zeit erlaubt“, sagte Albert zögernd, „boxe ich ein bisschen, um fit zu bleiben!“ Dass er boxte, rief immer Erstaunen hervor.

„Waas, du boxt?“, rief Katrin erstaunt aus.

„Ich trainiere in einem Box-Club, aber ich trage keine Kämpfe aus. Manchmal stehe ich den Kameraden als Trainingspartner zur Verfügung, das ist alles“, sagte Albert. „Der Trainer sagt, dass ich einen harten Schlag habe, er bedrängt mich, auch kampfmäßig zu boxen“, bemerkte er nicht ohne Stolz.

„Das wirst du doch hoffentlich nicht tun“, Katrin war besorgt.

„Keine Angst, ich möchte mir meine Visage nicht zerschlagen lassen.“

Albert sollte jedoch schon bald Gelegenheit bekommen, seine boxerischen Fähigkeiten unter Beweis zu stellen. Die Sonne stand hoch und brannte unbarmherzig herunter. Es war Zeit, das Mittagessen einzunehmen. Albert ging auf sein Zimmer, um trockene Kleidung anzulegen. Arnold, sein Zimmerkollege, lag auf dem Bett und starrte auf den Plafond.

„Ich habe dich gar nicht am Strand gesehen“, stellte Albert fest.

Arnold grinste. „Ich war dort, aber du warst so mit Katrin beschäftigt, dass du mich nicht bemerkt hast.“

Albert lächelte verlegen. „Warum bist du nicht zu uns gekommen?“

„Ich wollte dich nicht stören. Übrigens, Konrad tröstet Margot, weil du sie verlassen hast.“

„So gut waren wir nicht befreundet, dass man von verlassen sprechen kann. Vielleicht passt Konrad besser zu ihr. Mich hat sie eigentlich nur genervt, und sie hat auch noch meinen Fotoapparat versenkt.“

„Vielleicht, aber Konrad ist sauer auf dich. Er erzählt überall, dass du ein Playboy bist. Er sagt, es wird Zeit, dass jemand dich zurechtstutzt. Ich würde an deiner Stelle aufpassen.“

Albert blickte ihn verwundert an. Aber letztlich traute er es Konrad zu, einen Streit vom Zaun zu brechen. „Danke für den Tipp, Arnold!“

Vor dem Eingang zum Speisesaal erblickten sie Konrad. Er schien auf jemand zu warten. Als Albert die Schwingtür öffnete, drängte sich Konrad ebenfalls durch die Tür und rempelte Albert rüde an.

„Pass doch auf …“ Albert wollte ihm schon ein Schimpfwort entgegenschleudern, verkniff es sich aber.

Konrad drehte den Spieß um. „Man entschuldigt sich, wenn man jemand anstößt, das gehört zur guten Kinderstube!“

Konrad wollte offensichtlich Streit. Sollte er ihm den Gefallen tun und auf seine Provokation reagieren? Doch er sagte nur: „Lass mich in Ruhe“ und ließ ihn stehen.

7.

Den Nachmittag verbrachte er wieder mit Katrin am Strand. Bevor ihnen die Sonne die Haut verbrannte, stürzten sie sich in die Wellen und schwammen ausgiebig. Dieses Spiel wiederholte sich mehrere Male, denn allzu lange konnte man es in der Sonne nicht aushalten. Es war ein herrliches Gefühl, sich diesen Vergnügungen mit Katrin hinzugeben. Plötzlich, Albert hatte sich nach dem Bad auf seinem Tuch längs hingestreckt, spürte er wie jemand auf seinen Fuß trat. Er schreckte hoch und bemerkte Konrad, der sich vom sandigen Boden emporrappelte. Er drehte sich um und fixierte Albert.

„Warum hast du mir ein Bein gestellt?“, stieß er zwischen den Zähnen hervor.

„Ich?“, entgegnete Albert, „du bist absichtlich auf mich gestiegen. Jetzt reicht’s aber!“

„So, dem Herrn reicht’s!“, feixte er höhnisch, „mir reicht es schon lange. Steh auf und hol dir eine Ohrfeige!“

Albert wollte sich erheben, doch Katrin hielt ihn zurück. „Lass ihn, er sucht nur eine Prügelei, es zahlt sich nicht aus!“, raunte sie. Doch Albert ignorierte ihre Worte und erhob sich langsam.

Mittlerweile war man auf den Vorfall aufmerksam geworden, gespannt wartete man, was nun kommen sollte. Konrad nahm eine drohende Haltung ein, den Oberkörper leicht gebeugt, die Rechte zur Faust geballt. Mit seinem hünenhaften, muskulösen Körper überragte er den schlaksigen Albert um einen halben Kopf. Arnold versuchte Konrad zu beschwichtigen, doch dieser stieß ihn rüde von sich.

„Er hat eine Abreibung verdient“, stieß er hervor und ließ seine Faust vorschnellen.

Albert, überrascht, wurde voll getroffen, aus seiner Nase quoll Blut. Katrin entfuhr ein Schrei des Entsetzens. Doch Albert war noch voll da, tat aber so, als ob er jeden Moment zu Boden gehen würde. Konrad, triumphierend, holte zu einem weiteren Schlag aus. Doch Albert schnellte hoch, versetzte Konrad einen linken Haken und setzte mit einer Rechten nach. Konrad sackte zusammen, doch er fing sich wieder. Vorsichtig geworden, hielt er seine Fäuste vor seinem Gesicht und zog die Schultern hoch, um das Kinn vor Treffern zu schützen. Albert ging ebenfalls in Deckung und erwartete weitere Aktionen. Sie umkreisten sich nun, ihre Fäuste suchten Löcher in der Deckung des Gegners. Konrad, überrascht vom Widerstand Alberts, versuchte ungeduldig mit heftigen Angriffen, den Kampf zu entscheiden. Er kämpfte nicht schlecht, doch seine Schläge waren unkontrolliert. Er schlug viel, in der Annahme, dass wohl ein Schlag sein Ziel finden würde. Albert konnte jedoch die körperliche Überlegenheit seines Gegners mit seiner guten Technik kompensieren. Er war schnell, wich geschickt aus und nutzte die Löcher in Konrads Deckung unbarmherzig aus. Immer wieder fand seine Linke ihr Ziel, und immer öfter konnte er die Rechte nachschicken. Konrads Bewegungen wurden immer statischer. Eine harte linke Gerade Alberts in die Magengrube ließ ihn in die Knie gehen, ein rechter Aufwärtshaken riss ihn wieder empor, und ein weiterer linker Haken schickte ihn vollends ins Land der Träume.

Es war ein erbärmlicher Anblick, wie er nun zusammengekrümmt im Sand lag und sich nicht rührte. Margot eilte mit einem feuchten Tuch herbei und wusch Konrads Gesicht. Nach und nach öffnete er die Augen, mühsam erhob er sich und stolperte auf Albert zu. Er spuckte einen Schwall von Blut vor Alberts Füße.

„Wir sind noch nicht fertig, das zahl‘ ich dir heim!“

Albert wandte sich ab, nahm Katrin bei der Hand und ließ sich auf seinem Badetuch nieder. Sein Schädel brummte gewaltig und seine blessierte Nase blutete noch immer.

„Ruhe dich ein bisschen aus“, sagte sie zärtlich.

Albert durchströmte ein angenehmes Gefühl, als sie ihn küsste und mit ihrer Zunge das Blut seiner geschwollenen Lippen berührte. Nach einigen Minuten hatte er sich halbwegs erholt. Er begleitete Katrin auf ihr Zimmer, damit sie ihn verarzten konnte. Sie hieß ihn sich auf ihrem Bett hinzulegen, und kramte in ihrem Koffer nach Wundsalben und Verbandmaterial. Der rechte Nasenflügel war stark geschwollen. Als sie das Blut entfernt hatte, kam ein kleiner Riss zum Vorschein, der zum Glück nicht sehr tief war. Sie betupfte die Wunde, um den Blutfluss zu stillen, und trug vorsichtig Salbe auf.

„Mein armer Hero“, sagte sie zärtlich. Alberts Befinden hatte sich inzwischen spürbar gebessert. Er genoss die liebevolle Behandlung von Katrin. Die Situation schien von Erotik geladen, umso mehr, als der Oberteil von Katrins Bikini verrutschte. Als sie sich zu ihm beugte, um ihn zu küssen, umfasste er ihren Rücken und öffnete das Häkchen ihres BHs.

„Katrin, ich begehre dich so sehr, ich halte es nicht mehr aus“, sagte er leise und hielt ihren bloßen Oberkörper an seine Brust gepresst.

„Albert, sei vernünftig, meine Zimmerkolleginnen können jederzeit erscheinen!“, mahnte Katrin und richtete sich auf.

„Sperr die Tür ab und setz dich auf mich, nur einen Augenblick. Ich möchte dich spüren, bitte“, sagte er drängend.

Sie seufzte, ging zur Tür und drehte den Schlüssel um. Zart und einfühlsam ließ sie sich auf den Lenden Alberts nieder, doch dann nahm Tiefe und Heftigkeit ihrer Bewegungen zu.

„Sag mir wann“, bat sie Albert. Als er den Höhepunkt herannahen spürte, fasste er Katrin an den Hüften und wollte sie wegheben, doch sie war wie verschmolzen mit ihm.

8.

Albert trug Konrad nichts nach, für ihn war die Angelegenheit erledigt. Sein Gesicht war noch gezeichnet von der Auseinandersetzung, seine Nasenflügel hatten eine grün-blaue Färbung angenommen. Konrads Konterfei trug ebenso Zeichen des Kampfes, die Partie um sein rechtes Auge war geschwollen und blau unterlaufen. Er kaschierte dies, indem er eine Sonnenbrille trug.

„Es wird ein Nachspiel haben“, posaunte er. Albert nahm die Drohung nicht ernst, beschloss aber, vorsichtig zu bleiben.

Sein Hauptinteresse galt Katrin. In ihrer Nähe fühlte er sich glücklich. Immer, wenn Gelegenheit dazu bestand und sie unbeobachtet waren, tauschten sie Küsse aus, manchmal zärtlich, manchmal leidenschaftlich. Das Gefühl ihrer letzten Vereinigung war noch stark in ihm präsent, es verlangte ihn, Katrin wieder zu lieben.

Der Urlaub neigte sich dem Ende zu. Wieder stand der Flug mit den veralteten Maschinen der türkischen Luftlinie von Antalya nach Istanbul bevor. Von dort ging es weiter nach Wien mit der Bahn, den Balkan durchquerend, in einer achtundvierzigstündigen Bummelfahrt. Meist ruhte sein Kopf auf Katrins Schoß. Wenn es finster im Abteil wurde und die anderen dösten oder schliefen, verirrten sich seine Hände unter Katrins Kleid. Er konnte Katrins Zustand der Erregung spüren und seine eigene nicht unterdrücken. Sie wollten sich vereinigen, konnten aber nicht.

„Hören wir auf“, flüsterte Katrin, indem sie sich zu Albert beugte, „wir machen es uns nur schwer.“

Als sie endlich am Wiener Südbahnhof eintrafen, waren sie übernächtig, verschwitzt und hungrig. Sie hatten die Länge der Bahnfahrt unterschätzt, aber das Angebot im Speisewagen überschätzt. Trotzdem war die Stimmung gut. In zwei Wochen war ein Wiedersehen in einem Weinlokal in Grinzing geplant, alle freuten sich schon darauf. Der Abschied war herzlich, denn mittlerweile waren sie ein eingeschworener Haufen, nur die beiden Kontrahenten Konrad und Albert sowie deren Begleiterinnen gingen sich aus dem Weg.

9.

Albert wollte sich mit Katrin schon am nächsten Tag treffen.

„Wir könnten morgen im Fotogeschäft bei meiner Tante vorbeischauen“, schlug Katrin vor, „sie macht dir sicher einen guten Preis!“ Sie verließen das Bahnhofsgebäude und wandten sich den Parkplätzen zu.

„Mein Vater erwartet mich, wir müssen uns jetzt trennen“, sagte Katrin und deutete auf einen mittelgroßen, in einem weißen Sakko elegant gekleideten Mann, „also dann bis morgen.“

Albert wartete, bis sie den Koffer in einem großen Mercedes verstaut hatten und davon- fuhren. Seine Wohnung lag im Westen von Wien, nahe dem Lainzer Tiergarten, in einer schönen und ruhigen Gegend. Um die Wohnung finanzieren zu können, hatte er eine Anzahlung geleistet und einen Kredit mit langer Laufzeit aufgenommen. Er leistete sich den Luxus, sich von einem Taxi nach Hause chauffieren zu lassen. Als er am nächsten Morgen erwachte, spürte er eine bleierne Müdigkeit. Er schlurfte in die Küche und braute sich starken Kaffee. Im Badezimmer betrachtete er kritisch sein Konterfei. Die Nase hatte eine grün-violette Färbung angenommen. Katrin hatte ihm in weiser Voraussicht eine Make-up-Creme gegeben, mit welcher er die Färbung ganz gut kaschieren konnte. Im Büro würde man nichts merken, neugierige Blicke würden ausbleiben. Albert setzte sich für die Firma ein und seine Resultate waren gut. Doch Hackmann, sein Chef, hatte immer etwas auszusetzen. Albert erschien mit leichter Verspätung im Büro, und, zu allem Unglück, musste er gerade Hackmann über den Weg laufen.

„Der Urlaub ist vorüber, wir beginnen hier um acht Uhr!“, schoss er Albert anstelle einer Begrüßung an.

Hackmann war groß, sein schütterer Haarwuchs war bereits von grauen Strähnen durchzogen, obwohl er die vierzig noch gar nicht erreicht haben mochte.

„Das ist mir bekannt“, erwiderte Albert und bereute noch im gleichen Augenblick seine patzige Erwiderung. Hackmann zog die rechte Braue hoch, das tat er immer, wenn er sich ärgerte. Er fixierte Albert mit seinen schmalen, eisblauen Augen.

„Kommen Sie in einer Stunde zu mir“, ordnete er an, verschwand in seinem Büro und knallte die Tür zu.