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mehrbuch-Weltliteratur! eBooks, die nie in Vergessenheit geraten sollten. Sherlock Holmes und Dr. Watson werden von Miss Mary Morstan beauftragt, bei der Suche nach ihrem verschollenen Vater zu helfen. Dieser war Offizier in Indien und verschwand vor zehn Jahren bei seiner Rückkehr nach England. Ein anonymer Brief bringt die drei auf die Spur von Thaddeus Sholto. Von ihm erfahren sie, dass dessen Vater mit dem Gesuchten befreundet war und zusammen mit ihm in Indien in derselben Kompanie gedient hat. Außerdem berichtet e
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Seitenzahl: 194
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Sir Arthur Conan Doyle
Sherlock Holmes
Das Zeichen der Vier
Die Wissenschaft der Deduktion Sherlock Holmes nahm seine Flasche von der Ecke des Kaminsimses und eine Spritze aus seinem geschmackvollen marokkanischen Etui. Mit seinen langen, weißen, nervösen Fingern befestigte er die dünne Nadel, und rollte seinen linken Hemdärmel hoch. Für kurze Zeit ruhten seine Augen nachdenklich auf dem sehnigen Unterarm und dem Handgelenk mit all den sichtbaren und vernarbten Einstichpunkten. Schließlich stieß er die Nadelspitze ein, drückte den winzigen Kolben und sank mit einem langen, zufriedenen Seufzer in den samtgefütterten Lehnstuhl zurück. Dreimal täglich und über viele Monate hatte ich diesem Vorgang zugesehen, aber ich hatte mich nie daran gewöhnt. Im Gegenteil, von Tag zu Tag war ich beim Anblick dieser Prozedur reizbarer geworden, und mein Gewissen bedrückte mich jede Nacht schwerer, obgleich mir der Mut zum Protestieren fehlte. Wieder und wieder hatte ich mir vorgenommen, dass ich dieses Thema ansprechen sollte, aber die kühle, nonchalante Art meines Freundes machten ihn nicht zu jemandem, dem gegenüber man sich solche Freiheiten erlauben würde. Seine großen Fähigkeiten, seine meisterhafte Art, und mein Wissen über seine vielen außerordentlichen Qualitäten -- all dies ließ mich davor zurückschrecken, ihn zu verärgern. Aber an diesem Nachmittag, ob es nun der Bordeaux war, den ich zum Mittagessen getrunken hatte, oder meine besondere Verärgerung über seine vorsätzliche Handlungsweise; ich fühlte plötzlich, dass ich nicht länger schweigen konnte. "Was ist es heute?" fragte ich. "Morphium oder Kokain?" Er hob seine Augen träge von dem alten, bibliophilen Band, den er aufgeschlagen hatte. "Es ist Kokain," sagte er, "eine siebenprozentige Lösung. Möchten Sie es probieren?" "Nein, danke", antwortete ich brüsk. "Ich habe mich noch nicht von der afganischen Kampagne erholt. Ich kann mir keine zusätzliche Belastung leisten." Er lächelte über meine Vehemenz. "Vielleicht haben Sie recht, Watson," sagte er. "Ich nehme an, es hat körperlich einen schlechten Einfluss. Ich finde es aber so stimulierend und die Klarheit des Verstandes fördernd, dass seine sekundären Auswirkungen zweitrangig sind". "Aber sehen Sie!" sagte ich ernsthaft. "Bedenken Sie den Preis!, Ihr Gehirn mag, wie Sie sagen, angeregt und stimuliert werden, aber durch einen pathologischen und krankhaften Prozess, der mögliche Gewebeveränderung mit sich bringt und vielleicht auch eine andauernde Schwäche. Sie wissen auch, welch dunkle Reaktion Sie manchmal überkommt. Bestimmt ist das Spiel kaum den Einsatz wert. Warum sollten Sie für ein bloßes beiläufiges Vergnügen den Verlust jener großen Fähigkeiten riskieren, mit denen Sie ausgestattet worden sind? Denken Sie daran, dass ich nicht nur als ein Kamerad mit Ihnen spreche, sondern als Mediziner zu jemandem, für dessen Verfassung er in gewissem Maße verantwortlich ist." Er schien nicht beleidigt. Im Gegenteil; er legte seinen Fingerspitzen zusammen und lehnte den Ellenbogen auf die Lehne seines Stuhles, ganz wie jemand, der Vergnügen an einer Unterhaltung hat. "Mein Verstand," sagte er, "rebelliert gegen Stillstand. Geben Sie mir Probleme, geben Sie mir Arbeit, geben Sie mir das schwer verständlichste Kryptogramm oder die komplizierteste Analyse, und ich bin in der mir angemessenen Umgebung. Dann kann ich ohne künstliche Stimulantien auskommen. Aber ich verabscheue die Stumpfheit des täglichen Lebens. Ich hungere nach geistiger Aufregung. Das ist der Grund, warum ich diesen Beruf gewählt -- oder geschaffen habe -- denn ich bin der Einzige in der Welt". "Der einzige inoffizielle Detektiv?" sagte ich und zog meine Augenbrauen hoch. "Der einzige inoffizielle beratende Detektiv, " antwortete er. "Ich bin dir letzte und höchste Instanz bei der Aufklärung. Wenn Gregson oder Lestrade oder Athelney Jones unsicher sind -- und das sind sie normalerweise -- wird mir die Sache vorgelegt. Ich untersuche die Fakten als Experte und gebe die Meinung eines Spezialisten ab. In solchen Fällen erwarte ich keine Anerkennung. Mein Name steht in keiner Zeitung. Die Arbeit selbst, das Vergnügen meine speziellen Fähigkeiten einsetzen zu können, ist meine höchste Belohnung. Im Jefferson Hope Fall haben Sie ja die Methoden meiner Arbeit kennengelernt." " Ja, tatsächlich," sagte ich freundlich. "nichts hat mich in meinem Leben so berührt. Ich habe es sogar in einer kleinen Broschüre mit dem etwas phantastischen Titel 'Eine scharlachrote Studie' beschrieben." Betrübt schüttelte er den Kopf. "Ich habe es überflogen," sagte er. " Ehrlich gesagt, kann ich Ihnen dazu nicht gratulieren. Detektivarbeit ist -- oder sollte es zumindest sein -- eine genaue Wissenschaft, und sie sollte genauso kalt und sachlich behandelt werden. Sie haben versucht, Romantik hineinzubringen. Das hat die gleiche Wirkung, als wenn Sie eine Liebesgeschichte oder eine Trennungsgeschichte in den fünften Lehrsatz von Euklid einbauen würden." "Aber die Romanze war vorhanden," protestierte ich. " Ich konnte die Tatsachen ja nicht verändern." "Einige Tatsachen sollten ausgelassen werden, oder wenigstens ein gesundes Maß an Verhältnismäßigkeit bei ihrer Erwähnung beachtet werden. Der einzige Punkt im diesem Fall, der Erwähnung verdiente, war das neugierige, analytische und logische Ergründen von Ursachen und Wirkungen, durch das ich den Fall erfolgreich enträtseln konnte." Diese Kritik an meiner Arbeit ärgerte mich, da ich sie insbesondere geschrieben hatte, um ihm zu gefallen. Ich gestehe auch, dass ich mich über seine Selbstgefälligkeit ärgerte, die zu fordern schien, dass jede Zeile meines Pamphletes sich seinem speziellen Handeln widmete. Mehr als einmal hatte ich während all der Jahre, die ich mit ihm in der Baker Street lebte beobachtet, dass eine kleine Eitelkeit der stillen und belehrenden Art meines Begleiters zugrunde lag. Ich erwiderte jedoch nichts, sondern pflegte mein verwundetes Bein. Ich war vor einiger Zeit von einer Kugel getroffen worden und obwohl sie mich nicht am Gehen hinderte, schmerzte die Wunde bei jeder Wetteränderung. "Meine Geschäfte haben sich vor kurzem bis auf das Festland ausgeweitet," sagte Holmes während er seine Bruyère-Pfeife nachstopfte. " Ich wurde letzte Woche von Francois Le Villard konsultiert, der, wie Sie wahrscheinlich wissen , kürzlich zum Einsatz im französischen Detektivdienst gekommen ist. Er hat all die keltische Macht schneller Intuition, aber es fehlt ihm die Bandbreite exakten Wissens, die zu der höheren Entwicklung seiner Kunst wesentlich ist. Bei dem Fall ging es um ein Testament und es gab einige interessante Aspekte. Ich konnte ihn auf zwei ähnliche Fälle hinweisen, der eine trug sich in Riga im Jahr 1857 zu, und der andere in St. Louis im Jahr 1871; beide habe ich ihm zur Lösung vorgeschlagen. Hier ist der Brief, den ich heute morgen erhielt und in dem er mir für meine Hilfe dankt. Während er sprach, warf er ein zerdrücktes Blatt ausländischen Briefpapieres hinüber . Ich überflog es und bemerkte eine Fülle bewundernder Anmerkungen, in denen die Worte "magnifiques", "Coup-de-maîtres", und "Tour-de-force" eingestreut waren, alle ein Zeichen der leidenschaftlichen Bewunderung des Franzosen. "Er spricht wie ein Schüler zu seinem Meister," sagte ich. "Ach, er überschätzt meine Hilfe," sagte Sherlock Holmes leichthin. " Er hat selbst beträchtliches Talent. Er besitzt zwei der drei notwendigen Qualitäten für den idealen Detektiv. Er hat die Fähigkeit der Beobachtung und der Deduktion. Ihm fehlt nur das Wissen; und das kommt vielleicht noch. Er übersetzt jetzt meine kleineren Arbeiten ins Französische". "Ihre Arbeiten?" "Ach, wussten Sie das nicht?" rief er und lachte. "Ja, ich bin für mehrere Monographien verantwortlich. Sie beruhen alle auf technischen Themen. Hier ist zum Beispiel mein Werk 'Über den Unterschied zwischen den Aschen verschiedener Tabake'. In ihm zähle ich einhundertundvierzig Formen von Zigarren-, Zigaretten-, und Pfeifentabaken auf, mit farbigen Abbildungen, die den Unterschied in der Asche illustrieren. Es ist ein Punkt, der ständig in kriminellen Versuchen auftaucht, und welcher manchmal von größter Wichtigkeit als Anhaltspunkt ist. Wenn Sie definitiv sagen können, zum Beispiel, dass irgendein Mord von einem Mann gemacht worden ist, der einen indischen lunkah rauchte, grenzt es Ihre Suche offensichtlich ein. Für ein trainiertes Auge gibt es daher mehr Unterschiede zwischen der schwarzen Asche von einer Trichinopoly und der weißen Fussel von Bird's Eye als zwischen einem Kohlkopf und einer Kartoffel." "Sie haben eine außerordentliche Begabung für Details," bemerkte ich. "Ich schätze ihre Wichtigkeit. Hier ist meine Monographie über die Aufzeichnung von Fußabdrücken, mit einigen Bemerkungen über die Verwendung von Gips zur Aufbewahrung von Abdrücken. Hier ist auch eine witzige kleine Arbeit über den Einfluss eines Berufes auf die Form der Hand, mit Lithographien der Hände von Dachdeckern, Seeleuten, Korkenschnitzern, Schriftsetzern, Webern, und Diamantschleifern. Das ist eine Sache großen praktischen Interesses für den wissenschaftlichen Detektiv -- besonders in Fällen nicht identifizierter Leichen oder im Entdecken des Vorfahren von Verbrechern. Aber ich ermüde Sie mit meinem Hobby." "Nicht im geringsten," antwortete ich ernsthaft. "Es ist vom größten Interesse für mich, besonders, weil ich beobachten konnte, wie Sie daraus Nutzen ziehen konnten. Aber Sie sprachen eben von Beobachtung und Deduktion. Bestimmt bedingt das Eine in gewissem Maße das Andere." "Nein, kaum," antwortete er und lehnte sich in seinem luxuriösen Lehnstuhl zurück, wobei er dicke blaue Rauchschwaden aus seiner Pfeife abgab. "Zum Beispiel zeigt mir die Beobachtung, dass Sie heute morgen im Wigmore Street Postamt gewesen sind, und die Deduktion sagt mir, dass Sie dort ein Telegramm abgesandt haben." "Richtig!" sagte ich. "Sie haben in beiden Recht! Aber ich gestehe, dass ich nicht sehe, wie Sie zu diesem Schluss gekommen sind. Es war ein spontaner Einfall meinerseits und ich habe es niemandem erzählt." "Es ist ganz einfach," bemerkte er und lachte über meine Überraschung, "so absurd einfach, dass eine Erklärung überflüssig ist; und doch hilft es vielleicht, die Grenzen zwischen Beobachtung und Deduktion zu definieren. Die Beobachtung sagt mir, dass Sie ein wenig rötliche Erde an Ihrem Schuh haben. Genau gegenüber von Wigmore Street hat man den Bürgersteig aufgerissen und die Erde angehäuft. Sie liegt derart, dass es schwierig zu vermeiden ist, in sie zu treten. Die Erde ist von diesem eigenen rötlichen Farbton, der nirgendwo sonst in der Nachbarschaft gefunden wird. Dies ist die Beobachtung. Der Rest ist Deduktion." "Wie folgerten Sie das Telegramm daraus?" "Natürlich wusste ich, dass Sie keinen Brief geschrieben hatten, weil ich Ihnen den ganzen Morgen gegenüber saß. Ich sehe auch dort in Ihrem offenen Schreibtisch, dass Sie ein Heftchen von Briefmarken und ein dickes Päckchen Postkarten haben. Weshalb sollten Sie sonst zur Post gehen, wenn Sie nicht ein Telegramm aufgeben wollten? Wenn man alle anderen Faktoren ausschließt, muss was übrig bleibt die Wahrheit sein." "In diesem Fall ist das richtig," erwiderte ich nach kurzer Überlegung. "Wie Sie aber sagen, ist dies ein einfacher Fall. Würden Sie mich für unverschämt halten, wenn ich Ihre Theorien einer strengeren Prüfung unterziehe?" "Im Gegenteil," antwortete er, "es würde mich hindern, eine zweite Dosis Kokain zu nehmen. Ich würde gerne jedes Problem untersuchen, das Sie mir nennen können." "Ich habe Sie sagen gehört, dass es für einen Mann schwierig ist, einen Gegenstand täglich zu verwenden, ohne einen Abdruck seiner Persönlichkeit auf ihm zu belassen, den ein trainierter Beobachter nicht erkennen könnte. Ich habe hier eine Armbanduhr, die vor kurzem in meinen Besitz gekommen ist. Könnten Sie mir freundlicherweise eine Beschreibung über den Charakter oder die Gewohnheiten des letzten Besitzers geben?" Ich übergab ihm die Armbanduhr mit einem gewissen Gefühl der Belustigung, denn die Prüfung war, wie ich dachte unmöglich, und ich beabsichtigte sie als eine Lehre gegen den etwas dogmatischen Ton, den er gelegentlich annahm. Er balancierte die Armbanduhr in seiner Hand, starrte das Zifferblatt an, öffnete den Rücken und untersuchte die Arbeit, zuerst mit bloßem Auge und dann mit einer mächtigen konvexen Linse. Ich konnte kaum das Lächeln über sein geknicktes Gesicht unterdrücken, als er den Deckel schließlich zuschnappen ließ und die Uhr zurückgab. "Es gibt kaum irgendwelche Daten," bemerkte er. "Die Armbanduhr, ist vor kurzem gereinigt worden, was mir die aufschlussreichsten Fakten nimmt." "Sie haben recht," antwortete ich. "Sie wurde gereinigt, bevor sie zu mir geschickt wurde." Tief im Innern beschuldigte ich meinen Gefährten, mir eine lahme und leere Entschuldigung anzubieten, nur um seinen Misserfolg zu verschleiern. Welche Fakten könnte er von einer ungereinigten Armbanduhr erwarten? "Obwohl unbefriedigend, ist meine Forschung nicht völlig unfruchtbar gewesen," bemerkte er und starrte mit verträumten Augen an die Decke. "Korrigieren Sie mich, wenn ich falsch liege, aber ich nehme an, dass die Armbanduhr Ihrem älteren Bruder gehörte, der sie von Ihrem Vater erbte." "Was Sie ohne Zweifel dem H. W. auf der Rückseite entnehmen"? "So ist es. Das W. deutet auf Ihren eigenen Namen hin. Das Datum auf der Armbanduhr ist beinahe fünfzig Jahre her, und die Initialen sind so alt wie die Armbanduhr: deshalb wurde es für die vorige Generation gemacht. Schmuck fällt normalerweise dem ältesten Sohn zu, und es ist sehr wahrscheinlich, dass er den gleichen Namen wie der Vater hat. Ihr Vater ist seit vielen Jahren tot, wenn ich mich recht erinnere. Die Uhr ist deshalb in den Händen Ihres ältesten Bruders gewesen." "So weit, so gut," sagte ich. "Sonst noch etwas?" "Er war ein Mann von unordentlichen Angewohnheiten -- sehr unordentlich und nachlässig. Er wurde mit guten Aussichten von der Familie ausgestattet, aber er warf seine Chancen weg. Er lebte einige Zeit in Armut, unterbrochen von kurzen Intervallen von Reichtum. Schließlich starb er an seiner Trunksucht. Das ist alles, was ich zusammenbekommen kann." Ich sprang von meinem Stuhl und humpelte ungeduldig im Zimmer umher und fühlte eine beträchtliche Bitterkeit im Herzen. "Dies ist Ihrer unwürdig, Holmes," sagte ich." Ich kann nicht glauben, dass Sie sich so tief sinken lassen. Sie haben sich nach der Geschichte meines unglücklichen Bruders erkundigt, und jetzt Sie geben vor, dieses Wissen auf irgendeine phantasiereiche Weise geschlussfolgert zu haben. Sie können nicht erwarten, dass ich glaube, dass Sie all dieses von seiner alten Armbanduhr abgelesen haben! Es ist unehrlich, und um es deutlich zu sagen, es hat einen Anflug von Scharlatanismus." "Mein lieber Doktor," sagte er freundlich, " bitte nehmen Sie meine Entschuldigung an. Die Sache als ein abstraktes Problem betrachtend, hatte ich vergessen, wie persönlich und schmerzhaft diese Sache für Sie sein könnte. Ich versichere Ihnen aber, dass ich nicht wusste, dass Sie einen Bruder hatten, bis Sie mir die Armbanduhr gaben." "Dann, wie um alle Welt, bekamen Sie diese Tatsachen? Sie sind in jeder Beziehung richtig." "Ah, das war Glück. Ich kann nur sagen, es war das Gleichgewicht der Wahrscheinlichkeit. Ich hatte nicht erwartet, so genau zu sein." "Aber war es nicht ein bloßes Raten?" " Nein, nein: Ich rate nie. Es ist eine schockierende Angewohnheit -- zerstörerisch für die logischen Fähigkeiten. Es erscheint Ihnen nur seltsam, weil Sie meinem Gedankengang nicht folgen oder die kleinen Tatsachen beobachten können, von denen große Schlussfolgerungen vielleicht abhängen. Zum Beispiel fing ich an, indem ich angab, dass Ihr Bruder nachlässig war. Wenn Sie den einfachen Teil dieses Uhrgehäuses beobachten, merken Sie, dass er nicht nur an zwei Stellen eingebeult ist. Das Gehäuse ist völlig von der Gewohnheit gezeichnet, zusammen mit anderen harte Gegenständen aufbewahrt zu werden, wie Münzen oder Schlüsseln, die in die gleiche Tasche wandern. Bestimmt ist es keine große Leistung anzunehmen, dass ein Mann ein nachlässiger Mann sein muss, der eine fünfzig-Guinee-Armbanduhr so sorglos behandelt. Auch ist es keine sehr weit hergeholte Schlussfolgerung, dass ein Mann, der einen Artikel solchen Wertes erbt, auch sonst gut ausgestattet ist. Ich nickte um zu zeigen, dass ich seinem logische Denken folgte. "Es ist für Pfandleiher in England sehr üblich, die Nummer des Pfandscheins mit einer Nadel in das Gehäuse einzuritzen, wenn sie eine Armbanduhr annehmen. Es ist geschickter als eine Aufschrift, denn so besteht kein Risiko, die Nummer zu verlieren. Es gibt nicht weniger als vier solcher Zahlen unter meiner Lupe im Inneren dieses Uhrgehäuses. Ein Indiz, dass Ihr Bruder oft in Geldschwierigkeiten steckte. Sekundäres Indiz -- dass er gelegentliche Anfälle von Wohlstand hatte, oder er könnte den Pfand nicht eingelöst haben. Schließlich bitte ich Sie, den inneren Teil anzuschauen, der das Schlüsselloch enthält. Schauen Sie die vielen Kratzer um das Schlüsselloch herum an, wo der Schlüssel abgerutscht ist. Könnte der Schlüssel eines nüchternen Mannes jene Furchen erzeugt haben? Aber die Armbanduhr eines Trinkers Sie werden nie ohne sie sehen. Er dreht das Uhrwerk bei Nacht auf, und er hinterlässt diese Spuren seiner unsicheren Hand. Wo ist das Rätsel in all diesem?" "Es ist sonnenklar," antwortete ich. " Ich bedaure die Ungerechtigkeit, mit der ich Sie behandelt habe. Ich sollte mehr Glauben in Ihre fantastische Wissenschaft haben. Darf ich fragen, ob Sie momentan eine geschäftliche Anfrage haben?" " Keine. Daher das Kokain. Ich kann nicht ohne Kopfarbeit leben. Wofür sonst sollte man leben? Stellen Sie sich hier ans Fenster. Gab es je eine so düstere, triste, unrentable Welt? Sehen Sie, wie der gelbe Nebel die Straße und die graubraunen Häuser entlang wirbelt? Was könnte hoffnungsloser prosaisch und gegenständlich sein? Warum hat man Fähigkeiten, Doktor, wenn man keine Möglichkeit hat, sie einzusetzen? Verbrechen ist alltäglich, Existenz ist alltäglich, und Qualitäten, die nicht alltäglich sind, haben keine Funktion in der Welt". Ich hatte meinen Mund geöffnet, um dieser Tirade zu entgegnen, als unsere Wirtin mit einem herzhaften Klopfen an die Tür eintrat und eine Karte auf dem Messing-Tablett präsentierte. "Eine junge Dame für Sie, Herr," sagte sie an meinen Gefährten gewandt. "Fräulein Mary Morstan," las er. "Hmm!" Ich erinnere mich nicht an den Namen. Bitten Sie die junge Dame hereinzukommen, Frau Hudson. Gehen Sie nicht, Doktor. Ich wünsche, dass Sie bleiben." Die Beschreibung des Falles Mit festem Schritt und äußerst gefasst betrat Fräulein Morstan das Zimmer. Sie war eine blonde junge Dame, klein, zierlich, und geschmackvoll gekleidet. Die Einfachheit ihres Kostüms zeigte aber auch ihre begrenzten Mittel, die sie für Bekleidung ausgeben konnte. Das Kleid war in düsteren gräulichen Beige, ohne Besatz und ohne Bordüren, und sie trug einen kleinen Turban der gleichen stumpfen Farbe, der nur von einer weißer Feder an der Seite aufgelockert wurde. Ihr Gesicht hatte weder besondere Merkmale noch sonstige Charakteristika, aber ihr Eindruck war nett und liebenswürdig, und die großen blauen Augen waren außerordentlich sinnlich und teilnahmsvoll. In meiner Erfahrung mit Frauen, die sich über viele Nationen und drei getrennten Kontinente erstreckt, habe ich kein Gesicht mit einer klareren Verheißung einer so feinen und empfindsamen Natur gesehen. Ich konnte nichts anderes tun als zu beobachten, wie ihre Lippen und ihre Hand zitterten, als sie den Platz nahm, den Sherlock Holmes ihr anbot. Sie zeigte deutliche Anzeichen intensiver innerer Erregung. "Ich bin zu Ihnen, Herr Holmes, gekommen," sagte sie, "weil Sie meinem Arbeitgeber -- Frau Cecil Forrester -- halfen, einige häusliche Komplikationen zu entwirren. Sie war von Ihrer Freundlichkeit und Ihren Fähigkeiten sehr beeindruckt." "Frau Cecil Forrester," wiederholte er gedankenvoll. "Ich glaube, dass ich ihr einen kleinen Gefallen tat. Aber es war ein sehr einfacher Fall, wenn ich mich recht erinnere". "Sie denkt anders darüber. Aber wenigstens können Sie von mir nicht das Gleiche sagen. Ich kann mir kaum etwas Seltsameres, etwas gänzlich Unerklärbareres vorstellen, als die Situation, in der ich mich befinde." Holmes rieb seine Hände und seine Augen funkelten. Er lehnte sich mit einem Ausdruck außerordentlicher Konzentration auf seinen klaren, falkenähnlichen Zügen in seinem Stuhl vor. "Beschreiben Sie Ihren Fall," sagte er in lebhaftem Geschäftston. Ich empfand mich in einer peinlichen Lage. "Sie werden mich sicherlich entschuldigen," sagte ich und erhob mich von meinem Stuhl. Zu meiner Überraschung hob die junge Dame ihre behandschuhte Hand, um mich aufzuhalten. "Wenn Ihr Freund hierbleiben würde," sagte sie, "könnte er von unschätzbarem Dienst für mich sein." Ich fiel in meinen Stuhl zurück. "Kurz gesagt," setzte sie fort, "die Tatsachen sind diese. Mein Vater, der mich nach Hause schickte, als ich noch ein Kind war, war Offizier in einem indischen Regiment. Meine Mutter war tot, und ich hatte keine Verwandten in England. Ich wurde in einer komfortablen Pension bei Edinburgh untergebracht, und dort blieb ich, bis ich siebzehn Jahre alt war. Im Jahr 1878 erhielt mein Vater, der der ranghöchste Kapitän seines Regimentes war, zwölf Monate Urlaub und kam nach Hause. Er telegrafierte mir von London aus, dass er sicher angekommen war, und bat mich nach London zu kommen. Er gab das Langham Hotel als seine Adresse an. Seine Mitteilung war, wie ich mich erinnere, freundlich und liebvoll. In London angekommen, fuhr ich zum Langham Hotel und wurde dort informiert, dass Kapitän Morstan dort wohne, aber dass er in der vorigen Nacht das Hotel verlassen hatte und noch nicht zurückgekommen sei. Ich wartete mehrere Tage ohne Nachricht von ihm. Eines abends, auf Rat des Hotelmanagers, sprach ich mit der Polizei, und am nächsten Morgen inserierten wir in allen Zeitungen. Unsere Nachforschungen waren ohne Ergebnis; und seit jenen Tagen ist kein Wort mehr von meinem unglücklichen Vater gehört worden. Er kam nach Hause mit dem Herzen voller Hoffnung, Frieden zu finden, und stattdessen --" Sie führte die Hand zu ihrer Kehle, und ein würgender Schluchzer beendete den Satz. "Das Datum?" fragte Holmes und öffnete sein Notizbuch. "Er verschwand am 3. Dezember 1878, vor beinahe zehn Jahren." "Sein Gepäck?" "Blieb im Hotel. Es enthielt nichts, was einen Hinweis geben könnte -- einige Kleider, einige Bücher, und eine beträchtliche Anzahl von Kuriositäten von den Andaman Inseln. Er war dort einer der diensthabenden Offiziere der Strafkolonie. "Hatte er irgendwelche Freunde in Stadt?" "Wir kennen nur einen -- Major Sholto. Er ist aus seinem eigenen Regiment, der 34. Bombay Infanterie. Der Major war kurze Zeit vorher in Pension gegangen, und lebte in Upper Norwood. Wir korrespondierten natürlich mit ihm, aber er wusste nicht einmal, dass sein Offiziersfreund in England war." "Ein eigenartiger Fall," bemerkte Holmes. "Ich habe Ihnen noch nicht den eigenartigsten Teil beschrieben. Vor ungefähr sechs Jahren -- um genau zu sein, am 4. Mai, 1882 -- erschien eine Anzeige in der Times, in der nach der Adresse von Fräulein Mary Morstan gefragt wurde. Die Anzeige enthielt einen Hinweis, dass es zu ihrem Vorteil wäre. Es gab keinen Namen, keine Adresse war angegeben. Zu dieser Zeit hatte ich gerade meine Stelle als Gouvernante in der Familie von Frau Cecil Forrester angenommen. Auf ihren Rat hin veröffentlichte ich meine Adresse in den Anzeigenspalten. Am gleichen Tag kam eine kleine, an mich adressierte, Pappkiste mit der Post an, die eine sehr große und glänzende Perle enthielt. Es war kein Schreiben beigelegt. Seitdem ist dann jedes Jahr zum gleichen Zeitpunkt immer eine ähnliche Kiste angekommen und enthielt eine ähnliche Perle, ohne irgendeinen Anhaltspunkt über den Absender. Die Perlen sind von einem Experten geschätzt worden. Sie gehören zu einer seltenen Sorte und sind von beträchtlichem Wert. Sie können selbst sehen, dass sie sehr hübsch sind." Sie öffnete eine flache Kiste, und zeigte mir sechs von den feinsten Perlen, die ich je gesehen hatte. "Ihre Behauptung ist höchst interessant," sagte Sherlock Holmes. "Ist Ihnen sonst noch etwas besonderes passiert?" "Ja, und zwar heute. Darum bin ich zu Ihnen gekommen. Heute morgen bekam ich diesen Brief, wenn Sie ihn bitte lesen würden." "Danke," sagte Holmes. "Den Umschlag bitte auch. Abgestempelt in London, S.W., datiert den 7. Juli. Hmm! Ein Daumenabdruck an der Ecke -- wahrscheinlich vom Briefträger. Papier der besten Qualität. Umschläge für Sixpence das Dutzend. Ein wählerischer Mann in seinen Schreibwaren. Keine Adresse. 'Kommen Sie heute abend sieben Uhr zum dritten Pfeiler von links an der Außenmauer des Lyceum Theaters. Wenn Sie misstrauisch sind, bringen Sie zwei Freunde mit. Sie sind ungerecht behandelt worden, und sollen Ihr Recht bekommen. Bringen Sie keine Polizei mit. Wenn Sie dies doch tun, wird alles vergeblich sein. Ihr unbekannter Freund.' Tatsächlich, das ist ein hübsches kleines Rätsel. Was beabsichtigen Sie zu tun, Fräulein Morstan?" "Das ist genau das, was ich Sie fragen wollte."