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Ein unscheinbarer Urlaub am See – doch plötzlich taucht eine Leiche auf und die beste Freundin verschwindet
Der fesselnde Thriller in düsterer Atmosphäre der unter die Haut geht
Ein Sommer auf dem abgelegenen Hausboot von ihrer Tante – darauf freuen sich Clara und ihre beste Freundin Melli schon seit Wochen. Doch aus dem erhofften Traumurlaub wird rasch ein wahr gewordener Albtraum: Das Hausboot entpuppt sich als verfallen, die Nachbarn sind sonderbar und nervige Moskitos belagern jeden Winkel. Als plötzlich die Leiche eines Mädchens im stillen Gewässer des Sees auftaucht und Melli kurz darauf spurlos verschwindet, geraten die Ereignisse außer Kontrolle. Clara steht auf einmal alleine da und muss herausfinden, was hinter all den furchteinflößenden Vorfällen steckt. Doch in den leisen Gewässern lauern dunkle Geheimnisse, die besser unentdeckt geblieben wären...
Dies ist eine überarbeitete Neuausgabe des bereits erschienenen Titels Todesblüten
Erste Leser:innenstimmen
„Die gruselige Atmosphäre auf dem abgelegenen Hausboot ist so beklemmend und intensiv beschrieben, dass man das Gefühl hat, selbst dort zu sein.“
„Die Auflösung am Ende hat mich komplett überrascht und rundet diesen Thriller perfekt ab.“
„Die düstere Stimmung und die undurchsichtigen Charaktere lassen einen bis zum Schluss rätseln, wer Freund und wer Feind ist.“
„Ein packender Mix aus Mystery und Suspense!“
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Seitenzahl: 233
Ein Sommer auf dem abgelegenen Hausboot von ihrer Tante – darauf freuen sich Clara und ihre beste Freundin Melli schon seit Wochen. Doch aus dem erhofften Traumurlaub wird rasch ein wahr gewordener Albtraum: Das Hausboot entpuppt sich als verfallen, die Nachbarn sind sonderbar und nervige Moskitos belagern jeden Winkel. Als plötzlich die Leiche eines Mädchens im stillen Gewässer des Sees auftaucht und Melli kurz darauf spurlos verschwindet, geraten die Ereignisse außer Kontrolle. Clara steht auf einmal alleine da und muss herausfinden, was hinter all den furchteinflößenden Vorfällen steckt. Doch in den leisen Gewässern lauern dunkle Geheimnisse, die besser unentdeckt geblieben wären...
Dies ist eine überarbeitete Neuausgabe des bereits erschienenen Titels Todesblüten
Deutsche Erstausgabe Juni 2024
Copyright © 2024 dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH Made in Stuttgart with ♥ Alle Rechte vorbehalten
E-Book-ISBN: 978-2-38619-049-0 Taschenbuch-ISBN: 978-3-98998-301-4
Copyright © 2011, Deutscher Taschenbuchverlag GmbH & Co. KG Titel des englischen Originals: Todesblüten
Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literaturagentur Kai Gathemann GbR
Dies ist eine überarbeitete Neuausgabe des bereits erschienenen Titels Todesblüten.
Covergestaltung: Buchgewand unter Verwendung von Motiven von shutterstock.com: © Arman Novic, © MM_photos, © Eugene_Photo, © Stacey Ann Alberts Korrektorat: Daniela Pusch
E-Book-Version 12.06.2024, 07:42:29.
Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Sämtliche Personen und Ereignisse dieses Werks sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen, ob lebend oder tot, wären rein zufällig.
Abhängig vom verwendeten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.
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Sie konnte nicht schreien.
Das Klebeband über ihrem Mund erstickte jedes Geräusch. Dann eben treten. Sie zog die Beine an, so gut sie konnte. Viel Platz war in diesem dunklen Loch nicht, außerdem schnürte der straffe Draht ihr fast das Blut in den Füßen ab. Ein dumpfes Geräusch erklang, als ihre Turnschuhe an das Holz knallten.
Verdammt! Etwas Heißes, Verzweifeltes schoss in ihr hoch, füllte ihre Augen, ihre Nase. So weit durfte es nicht kommen. Die Nase musste frei bleiben zum Luftholen. Sie musste sich konzentrieren. Sich zwingen, nicht in Panik zu geraten. Dieser läppische Riegel da draußen. Sie hatte ihn gestern selbst gesehen. Das war zu schaffen, so ein verdammter kleiner, rostiger Riegel. Sie musste immer wieder gegen die Tür treten, irgendwann würde er nachgeben. Und dann würde sie ins Wasser fallen, aber das war kein Problem. Auch nicht mit gefesselten Händen und Füßen. Das Wasser war nicht tief und sie war eine ausgezeichnete Schwimmerin, außerdem konnte sie spüren, dass sich der Draht an ihren Handgelenken lockerte. Wenn sie weiter daran zog und zerrte, konnte sie vielleicht eine Hand befreien. Sie lauschte. Irgendwo da draußen erklang ein fernes Lachen. Würde jemand sie hören?
Sie schloss die Augen. Holte schniefend Luft durch ihre verstopfte Nase. Und trat wieder zu, so hart sie nur konnte. Es knirschte! Hektisch rutschte sie auf ihren Shorts ein Stück nach vorn. Ihr nackter Oberschenkel ratschte über eins der unzähligen dicken Seile, die hier herumlagen wie Schlingpflanzen. Haut riss blutig auf, aber sie merkte es nicht. Noch ein Tritt. Die Tür gab nach!
Sie wollte vor Erleichterung schreien, doch wegen des Klebebandes kam nur ein dumpfes Keuchen heraus. Sie roch den leicht fauligen Geruch des Wassers, rollte sich auf den Bauch, stemmte sich auf alle viere und rutschte zentimeterweise zu der kleinen Lukentür. Frische Nachtluft strömte herein. Das Wasser begann keine drei Zentimeter unter der Luke. Zum Ufer waren es ungefähr zehn Meter – ein Kinderspiel, besonders jetzt, wo sich der Draht so weit gelockert hatte, dass sie ihren rechten Daumen herausziehen konnte. Genug um das widerliche Klebeband aufzureißen. Es ging nicht ganz ab, hing noch an einem Stück, aber wenigstens konnte sie wieder richtig atmen.
Sie holte tief Luft. Jetzt oder nie. Sie ließ sich ins Wasser fallen, doch als sie auftauchen wollte, spürte sie, dass etwas sie festhielt. Sie drehte sich auf den Rücken, versuchte zu erkennen, was es war, zerrte und ruckte. Ihre zusammengebundenen Füße hatten sich in einem der Schlingseile verheddert und sie kam nicht heraus. Sie hing unter Wasser fest!
Ein berstender Druck breitete sich in ihrem Brustkorb aus. Nein! Sie musste an die Oberfläche, an die Luft. Ihre Bewegungen wurden schneller, chaotischer, sie riss ihr Bein verzweifelt hin und her. Ihr Kopf schien zu zerspringen, das Herz raste, sie musste ihren Mund öffnen … das Wasser… es schmerzte so sehr in ihren Lungen … brannte, zerriss, zerfetzte …
Das Letzte, was sie wahrnahm, war eine kleine rosa Wolke, die auf sie herabschwebte.
Zwei Tage zuvor
Der Mann, der uns im Zug gegenübersaß, war nicht zum Aushalten. Managertyp – feinstes graues Jackett, graue Schläfen, durchdringender Geruch nach Eau de Erfolg und arroganter Blick. Jedes Mal, wenn sein Handy klingelte, drückte er wie elektrisiert darauf und brüllte »Ich grüße Sie!« hinein. Und jedes Mal gab Melanie neben mir ein unterdrücktes Gurgeln von sich. Ich trat ihr heimlich gegen das Bein. Wenn er nicht bald mit der Grüßerei aufhörte, würden wir beide vor Lachen explodieren.
Ich versuchte, mich mit einem Buch abzulenken und mich auf die nächste Woche einzustimmen. Eine Woche in Tante Lenas Hausboot – ohne Tante Lena natürlich. Streng genommen war es auch nicht ihr Hausboot, sondern das von Onkel Holger, weswegen sie auch nichts mehr damit zu tun haben wollte. Onkel Holger war nämlich vor einiger Zeit mit seiner neuen Flamme auf und davon.
»Soll ich vielleicht im Sommer alleine auf dem Kahn im Spreewald rumhocken, während der mit seinem Flittchen durch die Welt gondelt? Da oben gibt’s doch nichts außer Wasser und sauren Gurken«, hatte Tante Lena aufgebracht verkündet.
»Lena, bitte!«, hatte meine Mutter gemurmelt, denn sie konnte die Holger-der-Schuft-Tiraden wohl auch nicht mehr hören. Aber mir war plötzlich eine geniale Idee gekommen. Urlaub auf dem Hausboot. Ohne Eltern. Mit 16!
Meine beste Freundin Melanie war natürlich sofort Feuer und Flamme gewesen.
»Geil! Du und ich alleine auf einer Jacht!« Ihr zu erklären, dass Tante Lenas Hausboot keine Jacht war, hatte keinen Zweck. Es war ja nicht mal ein richtiges Boot, man konnte nicht mehr damit fahren. Nur so eine Art schwimmendes Haus im Spreewald, dieser romantischen Gegend in der Nähe von Berlin, wo ein riesiges Netz aus Wasserkanälen die Straßen ersetzte und die Leute sich statt in Autos auf Booten fortbewegten. Tante Lena hatte mir ein Foto gezeigt. Ich fand, es sah aus wie in Venedig.
Nein, schöner. Idyllischer und verträumter. Im Grunde genommen war unser Urlaub dort zwar nur ein glorifizierter Campingtrip, aber ich hätte auch auf einem Nagelbrett im Urwald geschlafen, um endlich das erste Mal alleine wegfahren zu dürfen. Denn weil es Tante Lenas Hausboot war, hatten meine Eltern überraschenderweise zugestimmt, dass ich mit meiner Freundin dort Urlaub machen durfte.
Nur mit meiner Freundin. Mein Magen zog sich jetzt ein bisschen zusammen. Ich wollte lieber nicht daran denken, dass ich meinen Eltern nicht die ganze Wahrheit erzählt hatte.
»Meine Damen und Herren, in wenigen Minuten erreichen wir Berlin Hauptbahnhof. Unser Zug hat 25 Minuten Verspätung. Sie haben dort Anschluss an …« Der Rest ging in knarzendem Lautsprechergeknatter unter. Der grüßende Manager blickte strafend nach oben, wo er offenbar den unsichtbaren Verkünder dieser Hiobsbotschaft vermutete, und guckte dann demonstrativ auf seine Uhr.
Melanie und ich standen auf und wuchteten unsere schweren Rucksäcke in den Gang. Mit lautem Quietschen fuhr der Zug ein und überall begann ein geschäftiges Treiben. Kaum hielt der Zug, fing der Manager hinter uns an zu drängeln und zu schieben.
»Entschuldigung, darf ich mal vorbei? Ich hab’s eilig.«
Aber Melanie grinste mir zu und ließ sich Zeit. Umständlich schob sie ihren Rucksack voran, als ob er drei Zentner wog.
»Kannst du nicht ein bisschen schneller machen?«, fragte der Mann gereizt.
Melanie drehte sich scheinbar erstaunt um. »Ich grüße Sie!«, sagte sie ernst und dann hielten wir es nicht mehr aus. Kreischend und lachend stürzten wir aus dem Zug, den Bahnsteig entlang und fielen fast noch mit unseren Rucksäcken um.
»Du bist unmöglich«, japste ich, als wir endlich an einer Brezelbude anhielten.
»Was für’n Idiot«, sagte Melanie nur. Sie runzelte die Stirn und sah sich prüfend um. »Siehst du Alex irgendwo?«
Mein Lächeln fror ein bisschen ein. Alex war Melanies Neuer. Und ich ärgerte mich immer noch über mich selbst. Warum hatte ich mich von ihr beschwatzen lassen, ihn mit auf unser Hausboot zu nehmen? Die Antwort konnte ich mir eigentlich selbst geben, auch wenn sie wenig schmeichelhaft war. Weil ich wollte, dass Melanie beschäftigt, nein, vergeben war, falls Tobi noch nachkam. Falls. Ich hatte ihm mehrmals vom Urlaub auf dem Hausboot vorgeschwärmt und war nicht müde geworden zu erwähnen, dass wir da total unsere Ruhe hätten, aber er hatte immer nur vage gegrinst und es war bei einem »Klingt gut« und »Mal sehen« geblieben.
Bei ihm wusste man nie, woran man war. Ich wusste ja nicht mal, ob er wirklich was von mir wollte oder ob das Ganze für ihn nur ein netter Abend gewesen war und ich mir in meiner Schwärmerei was darauf einbildete.
Bei Melanies Party vor zwei Wochen waren wir uns ziemlich nahegekommen, um nicht zu sagen sehr nahe, doch während ich seitdem unentwegt davon träumte, mal wieder allein mit ihm zu sein und seine Hände genau da zu spüren, wo sie sich befunden hatten, als irgendein Idiot in Melanies Zimmer gestolpert gekommen war und das Licht angemacht hatte, schien Tobi sich damit zufriedenzugeben, mir witzige, aber nichtssagende Chat-Nachrichten zu schicken. Und die paar Male, die wir uns seither gesehen hatten, waren dauernd andere Leute dabei und wir alberten nur herum, auch wenn er mich dabei öfter als nötig umarmte. Vielleicht war er schüchtern? Und ich war auch nicht gerade die große Aufreißerin. Das war mehr Melanie. Wahrscheinlich würde ich vor Schreck aus dem Boot kippen, wenn er auf einmal wirklich dort auftauchte. Und wenn meine Eltern das jemals erfuhren …
»Ach Clara! Zieh nicht so ein Gesicht«, riss mich Melanie aus meinen Gedanken. »Ihr werdet euch schon vertragen.«
Ihr? Ach ja, der herrliche Alex. Ich tat, als ob ich Alex ebenfalls suchte. Vielleicht hatte er es sich ja anders überlegt? Ehrlich gesagt hätte ich gut und gern auf ihn verzichten können. Nicht nur wegen meines schlechten Gewissens. Ich hatte ihn erst ein paarmal getroffen, aber Alex hatte so etwas … Unberechenbares. Sein Lachen war einen Tick zu laut, seine Art zu großkotzig und mit der Wahrheit nahm er es auch nicht so genau. Eigentlich wusste Melanie kaum was über ihn. »Ich sehe ihn nicht«, sagte ich.
»Wahrscheinlich kommt er noch.« Melanie warf einen kurzen Blick auf ihr Handy.
»Er ist gerade angekommen«, sagte sie grinsend. »Und er bringt ’ne Überraschung mit.«
»Toll.« Wahrscheinlich einen Kasten Bier. Aber das behielt ich für mich.
»Oh, guck mal. Die schicken Taschen!« Melanie war zu einem Schaufenster in der Ladenpassage gelaufen und drückte sich die Nase platt. Die Taschen waren mir zu kitschig. Ich stand mehr auf ausgefallenere Sachen. Unikate – wie die Tasche, die gerade an einem fremden Arm an mir vorbeizog – schwarz, mit coolen kleinen roten Monstern drauf.
»Haben Sie heute schon was vor, schöne Frau?«, sagte plötzlich eine heisere Stimme hinter uns. Alex. Melanie fuhr mit einem Freudenschrei herum. Ich setzte eine neutrale Miene auf. Jetzt gab es kein Zurück mehr, ich würde Melanie das Liebesglück gönnen. Ich war kein Spielverderber. Langsam drehte ich mich um. Aber dann entglitten mir doch meine Gesichtszüge.
Alex war nicht allein gekommen.
Der Junge neben Alex sah mir nicht in die Augen, als er meine Hand schüttelte. Vielleicht kam es mir aber auch nur so vor, weil ihm die dunklen Haare tief ins Gesicht hingen. Ein Emo? Obwohl, dafür war sein Händedruck zu fest. Fast schmerzhaft.
»David hat beschlossen mitzukommen«, erklärte Alex mit einem breiten Grinsen. »Das wird ein richtig geiler Urlaub, Girls!«
Ich wechselte einen raschen Blick mit Melanie. Noch ein Typ? Den wir überhaupt nicht kannten? Was sollte das denn jetzt? Melanie zuckte nur unmerklich mit den Schultern. Ist doch egal, hieß das wohl.
»Dich kenn ich ja noch gar nicht«, sagte sie jetzt zu David und kicherte albern. Alex hatte seine Hand um ihren Bauch geschlungen und fummelte an den kleinen Bändchen ihres Wickeltops herum.
»Kannst mich ja kennenlernen«, antwortete David bloß. Mir nickte er nur kurz zu. Ich lächelte ein bisschen gezwungen. Mit zwei Jungs in dem Hausboot zu wohnen – das war nicht mehr Urlaub mit der besten Freundin, das war eindeutig was anderes.
Ein… Liebesnest? War Alex mir zuvorgekommen und hatte seinen Freund mitgeschleppt, damit ich beschäftigt war und die beiden nicht störte? Damit ich jemanden hatte, der meine Bändchen aufwickelte? Und was, wenn Tobi auch noch kam? Oh Gott.
Mit drei Jungs auf dem Hausboot zu wohnen, das war … Mir fiel vor Schreck nichts ein. Ich schielte unauffällig zu David rüber. Er war ziemlich muskulös und trotzdem schlank. Als ob er irgendeinen Extremsport machte. Was ich von seinem halben Gesicht hinter den Haaren erkennen konnte, war nicht übel. Seine Jeans ging nur bis zum Knie und ließ den Blick auf ein schrilles Tattoo frei, das seine Wade schmückte. Auf jeden Fall kein Warmduscher. Es gab weiß Gott hässlichere Typen auf der Welt. Allerdings schien er mich kaum wahrzunehmen oder er hatte einfach keine Lust, sich mit mir zu unterhalten. Wahrscheinlich machte er einen auf geheimnisvoller Schweiger. Im Gegensatz zu mir, die immer drauflos plapperte. Nicht mal ein bisschen höfliche Konversation brachte er fertig. Stattdessen sahen wir beide stumm zu, wie Alex und Melanie hingebungsvoll knutschten. Falls das so weitergehen sollte, war es vielleicht gar nicht so schlecht, noch jemanden dabeizuhaben. Jedenfalls bis Tobi kam. Dann konnte dieser David von mir aus zugucken, wie wir hingebungsvoll knutschten. Wenn meine Eltern das jemals rausfanden, war ich zwar fällig, aber ändern konnte ich jetzt sowieso nichts mehr. Ich würde mich jedenfalls nicht entblöden und den beiden Jungs verbieten mitzufahren. Wir standen ein bisschen verlegen herum.
»Unser Zug«, fiel es mir plötzlich ein. »Der fährt in sieben Minuten ab. Am Gleis 22.«
»Na los, ihr Chicks, kommt!«, rief Alex. Er zerrte Melanie am Arm, ohne auf mich zu warten. Chicks! Ich hetzte hinter den anderen her und brach bald unter dem Gewicht meines dämlichen Rucksacks zusammen. Der ach so muskulöse David scherte sich kein bisschen darum. Völlig entspannt überholte er mich und futterte dabei noch einen Apfel. Erst kurz vorm Einsteigen schien er mich wieder wahrzunehmen.
»Geht’s?«, fragte er.
»Klar«, fauchte ich. Meine Schultern brannten wie Feuer. Ich warf ihm einen wütenden Blick zu. Doch David sah in diesem Moment gar nicht zu mir. Sondern auf irgendetwas hinter meinem Rücken. Etwas, was ihn erschrocken zusammenfahren ließ. Er öffnete den Mund, als ob er etwas sagen wollte, runzelte dann aber nur die Stirn, drehte sich abrupt um und stieg noch vor mir ein.
Was hatte er da gerade entdeckt? Ich verrenkte meinen Hals, aber da war nichts mehr zu sehen, nur eine Oma mit Ziehkoffer und eine Mutter mit kleinem Kind. Seltsam. Ich folgte ihm in den Zug.
Alex rekelte sich bereits in einem Vierersitz und schoss gerade mit seinem Handy ein Foto von Melanie.
»Das wird voll der Gehirntod, der Urlaub«, sagte er mit leuchtenden Augen. Er öffnete zischend ein Bier und nahm einen großen Schluck.
»Auch eins?«, fragte er in Richtung David. Der schüttelte den Kopf. Sein Handy kündigte ununterbrochen mit einem albernen Jingle neue Chat-Nachrichten an. Er las sie und klappte das Telefon entnervt zu.
Melanie zwinkerte mir zu. »Wir machen Urlaub auf ’ner Jacht! Und Nicole Wiener fährt mit 12-Jährigen ins Pferdecamp!«
Nicole Wiener war unsere gemeinsame Feindin aus der Parallelklasse.
Ich grinste zurück. »Und singt Lagerfeuerlieder.« Melanie tat, als ob sie Mundharmonika spielte. Ich tat, als ob ich Luftgitarre spielte. Wir prusteten los. Ich fühlte einen kleinen Stich in meiner Brust.
Eigentlich wäre es doch viel schöner gewesen, wenn nur wir zwei zusammen weggefahren wären. Vielleicht auch ohne Tobi. Stattdessen … Alex rülpste leise.
»Geile Chicks, geile Jacht, geiler Sommer«, sagte er und zog Melanie an sich ran. Der Moment war vorbei.
»Ist nur ein Hausboot«, sagte ich.
»Egal. Wird voll der Gehirntod.«
Ich starrte angestrengt aus dem Fenster, wo die letzten Häuserreihen von Berlin sich verabschiedeten. So musste ich wenigstens nicht Alex ansehen, der mir gegenübersaß. Ihn hören musste ich leider doch.
Wenn mich nicht alles täuschte, war der Gehirntod schon längst eingetreten.
Nach zweimal Umsteigen waren wir endlich da. Mit einem letzten Ächzen fuhr der Zug in Lübbenau ein und blieb dann kraftlos in der nachmittäglichen Schwüle auf den Gleisen stehen. Alex kickte seine Bierdosen unter den Sitz und schraubte sich hoch.
»Mann, ist das eine Hitze«, sagte er, als wir draußen standen. Hier war es irgendwie diesiger und drückender als in Berlin.
»Bald sind wir am kühlen Wasser«, versprach Melanie. Sie sah sich suchend um. »Und was jetzt?«, fragte sie mich.
Ich zerrte die Wegbeschreibung von Tante Lena heraus. »Wir müssen zum Lausensee. Da liegt das Boot. Sind drei Kilometer auf dem Wanderweg entlang.«
»Und wo ist der Wanderweg?«, fragte David. Sein Handy vibrierte und summte hektisch in den Tiefen seiner Tasche.
Ich hatte keine Ahnung. »Wir könnten ja mal fragen«, sagte ich und zeigte auf einen bärtigen Mann, der vor dem Bahnhof auf und ab schritt. Melanie nickte und wollte gerade auf den Mann zugehen, als Alex sie festhielt.
»Quatsch. Das finden wir auch so. Hier scheint es sowieso nur eine Straße zu geben.« Er sah sich um.
»Na bitte, da ist ein Schild – zum großen Hafen.«
Wieder lief er einfach los. Als wären wir sein Fußvolk, das ihm schon brav hinterherlatschen würde. Und schließlich machten wir das ja auch! In der Hitze stehen bleiben wollte keiner. Ich warf einen letzten Blick auf den Bahnhof in der Hoffnung, irgendwo vielleicht doch noch einen Wegweiser zu sehen.
Aus den Augenwinkeln nahm ich etwas Schwarz-Rotes wahr, das rasch hinter einer Mauer verschwand. Es kam mir vage bekannt vor. Aber wen sollte ich hier kennen, wenn ich noch nie in meinem Leben hier gewesen war? Ich stand da und guckte und überlegte, bis Melanies Stimme mich aus meinen Gedanken riss. »Kommst du, Clara?«
»Na los«, rief auch David. »Soll ich dir tragen helfen? Dann kommen wir schneller voran.« Er schien es auf einmal eilig zu haben. Dankbar überließ ich ihm den Rucksack. Eigentlich war er ganz okay, wenn auch natürlich nicht so süß wie Tobi. Irgendwie interessant. Auf jeden Fall nicht so ein Proll wie Alex.
Ich folgte ihnen.
Die Stadt war klein und voller Touristen. Mein T-Shirt klebte mittlerweile wie ein nasser Lappen an meinem Rücken. Den anderen schien es ähnlich zu gehen, denn als wir an einem Springbrunnen vorbeikamen, blieb Alex stehen.
»Wasser!«, schrie er und stürzte darauf zu. Er spritzte Melanie voll, die spritzte mich voll und ich David, und ehe wir’s uns versahen, war eine Wasserschlacht im Gange. Ein paar Eis essende Rentner mit beigen Sonnenhüten schüttelten die Köpfe.
»Guck mal, das Vieh hier.« David zeigte auf eine der Metallfiguren am Brunnen, aus deren aufgerissenem Mund ein Schwall Wasser herausschoss.
»Iiih, ist der hässlich«, sagte Melanie. Ihre dunklen Locken waren klitschnass. »Und der erst!« Sie deutete auf einen garstigen kleinen Gnom, der in das Bein einer badenden Blechnymphe biss.
»Sollen alles irgendwelche Sagenfiguren aus dem Spreewald darstellen.« Ich beugte mich vor, um das Schild am Springbrunnen zu lesen. »Wassermann, Schlangenkönig, Elfen und …« Weiter kam ich nicht.
Eiskaltes Wasser floss mir von hinten ins T-Shirt hinein. Ich fuhr herum. »Mann!«
Es war Alex, wer sonst.
»Das war der Schlangenkönig«, schrie er. Er lachte wie blöd. Melanie und David lachten mit.
Ich schüttelte mich wie ein nasser Hund. So lustig war das nun auch wieder nicht. Und dann sah ich sie.
Die schicke schwarze Tasche mit den roten Monstern aus Berlin. Hatte ich die eben am Bahnhof erkannt?
Was für ein Zufall! Diesmal sah ich auch, wem sie gehörte. Einem Mädchen in Jeansshorts und mit blonden Dreadlocks. Sie sah genau zu mir, schien aber durch mich hindurchzublicken, das Gesicht bleich trotz der Sommerbräune. Sie verzog den Mund zu einem Lächeln. Es war mehr eine Grimasse.
Dann sah sie mich plötzlich an. Zeigte mir den Mittelfinger. Ich schnappte nach Luft, doch in dem Moment war sie schon im Straßengetümmel untergetaucht.
»Was zum … Hast du die eben gesehen?« Ich drehte mich nach Melanie und Alex um, aber die spritzten immer noch herum wie ein verrücktgewordener Löschtrupp. David stand hinter mir. Er starrte in die Richtung, in die das Mädchen verschwunden war.
»Diese … die war schon in Berlin auf dem Bahnhof, die mit der schwarzen Tasche!« Ich zeigte aufgeregt in die Menge.
»Weiß nicht, was du meinst.« Seine Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. Wie ein lauerndes Raubtier.
Er hatte also nichts gesehen? Das konnte er den Wassermännern erzählen.
»Zum Lausensee könnt ihr nicht wandern.« Der Mann auf dem Ausflugskahn kratzte sich am Kopf. Er trug eine fabrikneue Kapitänsmütze, die irgendwie lächerlich wirkte. Schließlich fuhr er nur Touristen mit seinem Stocherkahn bei einer Geschwindigkeit von 2 km/h herum.
»Wie meinen Sie das jetzt?«, fragte Melanie. Wir standen am Hafen und hatten uns nach ewigem Herumlaufen doch entschlossen, einen Einheimischen zu fragen.
»Da kommt man im Moment nicht zu Fuß hin. Die Brücke ist gesperrt. Da könnt ihr nur hin paddeln.«
»Aber ich dachte, da wäre auch eine Straße«, sagte ich verwirrt. Tante Lena hatte so etwas erzählt.
»Da war mal eine Straße«, korrigierte mich der Mann. »Aber da ist jetzt Naturschutzgebiet. Die sind ja früher da durchgefahren, die Deppen. Damit ist jetzt Schluss. Gott sei Dank.«
»Aber wie kommt man dann zu diesem See?«, fragte Alex.
Der Mann sah ihn nachsichtig an. »Na, mit dem Boot, junger Mann! Sie sind hier im Spreewald. Selber paddeln macht fit! Oder Sie fahren mit dem Kahn.«
»Mit Ihrem Kahn?« Ich betrachtete die Bänke im Kahn, auf denen schon ein paar Omas saßen und darauf warteten, dass es losging. Es gab sogar Deckchen auf den Tischen.
»Nee, da fahr ich nicht hin«, sagte der Mann. »Ich mach nur die kleine Runde. Mit Kaffee und Kuchen, neun Euro pro Nase. Könnt ihr auch machen.«
Melanie wieherte los angesichts der Vorstellung, mit den Leuten im Boot eine Kaffeefahrt zu machen. Der Mann sah leicht beleidigt aus.
»Dann müsst ihr eben den Wasserbus nehmen«, sagte er. Damit war das Gespräch offenbar beendet, denn er wandte sich einem Trupp unternehmungslustiger Frauen zu, die unter großem Gekreisch seinen wankenden Kahn bestiegen.
»Na toll«, maulte Alex. »Und nun?« Er setzte sich auf Melanies Rucksack.
»Dann nehmen wir halt diesen Wasserbus. Kann doch nicht so schwer sein.« David sah sich um. »Ich guck mal, wo der abfährt.« Er marschierte los und sprach kurz mit einer Eisverkäuferin. Sie zeigte mit dem Arm in Richtung Campingplatz.
»Wieso fahren wir eigentlich nicht gleich mit der Jacht?« Alex zog seine Zigaretten heraus. »Die hätte doch hier in dem Hafen schon bereitstehen können!«
»Weil es keine Jacht ist«, erklärte ich zum gefühlten hundertsten Mal. »Es ist nur ein Hausboot. Und es fährt auch nicht mehr.«
»Ein Boot, das nicht fährt? Willst du mich verarschen?«
»Sie hat’s dir doch vorhin schon gesagt, du hast ihr nur nicht zugehört«, verteidigte mich Melanie.
»Das ist nur so … wie ein … nun sag schon, Clara.«
»Es ist wie ein schwimmendes Häuschen«, zitierte ich Tante Lena. »So eine Art Ferienhaus, aber auf dem See. Hat mein Onkel vor ein paar Jahren billig gekauft.«
»Billig?« Alex verdrehte die Augen. »Wird ’ne schöne Bruchbude sein, wenn das Ding nicht mal mehr fahren kann.«
Ich hatte keine Ahnung, wie Tante Lenas Hausboot innen drin aussah, aber langsam ging mir Alex auf die Nerven. Was glaubte der denn, wo wir hier waren? Auf einer Kreuzfahrt im Mittelmeer? Was fand Melanie eigentlich an diesem Affen?
»Das wird schon cool, wart’s doch erst mal ab«, besänftigte sie ihn. Er schwieg und schlug sich nur ärgerlich auf den Arm. Offenbar fanden die Mücken hier ihn nicht halb so ekelhaft wie ich. Ich schielte kurz auf mein Handy. Noch kein Lebenszeichen von Tobi.
Melanie und ich setzten uns ein Stück weit von Alex weg und ließen die Beine ins Wasser hängen.
Grünliche Schlingpflanzen waberten unter der Oberfläche herum. Es sah wenig einladend aus. So dunkel und trübe. Es war garantiert nicht sehr tief, aber man konnte keinen halben Meter weit hinunterblicken.
»Was da wohl alles drin ist?«, fragte ich.
»Wassermänner und Elfen!« Melanie grinste.
»Und der Schlangenkönig sitzt da drüben!« Ich sah zu Alex. Er zündete sich gerade eine Zigarette an. Missmutig blies er den Rauch in Richtung einer Ente, die an ihm vorbeischwamm.
»Lass ihn, der ist halt so ein kleiner Brummbär.« Melanie lächelte schief. »Der meint das nicht so.«
Brummbär! »Was arbeitet Alex denn eigentlich jetzt?«, fragte ich. Alex war älter als wir, Melanie hatte ihn in ihrem Fitnessstudio kennengelernt.
Sie zuckte mit den Schultern. »Das weiß er noch nicht so richtig. Er sucht noch.«
»Apropos suchen. Wo bleibt eigentlich David?«
»Da kommt er!«
David winkte uns von Weitem zu. Schnell, schnell, sollte das wohl heißen. »Da hinten fährt das Ding ab«, rief er. »Der nächste erst wieder in zwei Stunden!« Wir sprangen auf und stürmten hinter ihm her zu einem Kahn, ähnlich wie dem eben, nur ohne Tische. Zwei alte Frauen mit Körben saßen darin und ein Zeitung lesender Mann.
»Zum Lausensee wollt ihr?«, fragte der Fahrer. Statt einer Kapitänsmütze hatte dieser hier ein blaues Tuch um den Hals geschlungen, offenbar um einen Hauch von Venedig in den Spreewald zu bringen.
»Da kann ich aber nicht direkt hin. Müsst ihr noch ein Stück laufen.«
»Kein Problem.« Ich ließ mich auf die Holzbank fallen.
Melanie stellte sich absichtlich ungeschickt beim Einsteigen an, damit sie sich an Alex festklammern konnte. Er kniff ihr in den Po, woraufhin sie noch mehr strauchelte.
»Nun macht mal«, schimpfte David. Er sah sich rasch um, bevor er einstieg. Suchte er die komische Blonde? Oder wollte er sichergehen, dass er sie nicht sah?
»Wo wollt ihr denn da am See hin?«, fragte uns der Fahrer, als wir eine Weile später durch das Wasser glitten.
Alex öffnete seinen Mund. »Auf ein Hausboot«, sagte ich schnell.
»Das nicht mehr fährt«, bemerkte Alex.
Der Mann nickte. »Kenn ich, die Urlaubsboote. Die haben sie damals noch über die Straße zum See geschafft. Jetzt kommt man da nur noch mit dem Kahn hin.«
»Echt?«, fragte David.
Der Mann nickte. »Alles nur per Kahn hier, auch die Müllabfuhr und die Post. Motorboote fahren nur im unteren Spreewald, hier darf das nur die Polizei. Es ist nämlich nicht tief genug.«
Wir kamen an eine Kreuzung. Mehrere Wasserwege gingen von hier ab, zum Teil mit Schildern, zum Teil ohne.
»Kannst mich da vorn rauslassen, Rudi«, sagte der Mann mit der Zeitung. Der Kahnführer stieß seinen langen Stab in den Kanal und bog nach links ab. Zwischen knorrigen Bäumen und hinter einer Blumenhecke stand ein kleines Bauernhaus. Der Zeitungsmann sprang geschickt aus dem Boot, tippte an seine Mütze und verschwand durch das Gartentor. Wir fuhren weiter. Gemächlich und langsam, begleitet von einer ganzen Armee Libellen, die um den Kahn herumsurrten.
»Stechen die?«, fragte Melanie und rückte noch näher an Alex heran.
»Sollen sie nur versuchen, die Viecher«, sagte der.
David grinste. »Wieso, willst du die dann alle plattmachen?«
Alex murmelte irgendwas.
»Die stechen nicht«, erklärte der Fahrer. »Das machen nur die Mücken.«
»Ich merk’s«, schimpfte Melanie. Sie kratzte sich am Bein.
David sah interessiert nach unten in die dunkle Brühe.
»Kann man hier baden?«, fragte er.
»Können schon.« Der Mann lachte. »Aber ich würde es nicht empfehlen.«
»Wieso nicht?« Ich war ein bisschen enttäuscht.
Teil meiner Urlaubsplanung war ausgiebiger Aufenthalt im Wasser gewesen. Obwohl, in diesem undurchsichtigen Kanal …
»Weil da unten auf dem Boden der Schrott von 30 Jahren Tourismus liegt«, sagte der Mann. »Glas, überall. Da durften wir schon als Kinder nur mit Schuhen baden.«
»Ach«, sagte Melanie.
Der Mann zuckte bedauernd mit den Schultern.