Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
In der postapokalyptischen, zombieverseuchten Einöde existiert ein Schimmer der Hoffnung in den Ausläufern der Rocky Mountains: Die Festung. Seit Jahrzehnten haben die Bewohner diese letzte Bastion der Menschheit gegen Zombiehorden verteidigt und ihre Gesellschaft und Kultur auf der Basis militärischer Präzision aufgebaut. Erwählt aus den Besten der Besten wurde Denver Team Alpha. DTA ist die Elite-Kampftruppe, eingesetzt für die Rettung von Flüchtlingen und Überlebenden, die bis in das höllische Brachland von Denver vorgedrungen sind. Aufgrund der unfassbaren Risiken und hohen Sterblichkeitsrate steht DTA inzwischen jedoch für etwas anderes: Dead Team Alpha. Nun muss DTA sein Können unter Beweis stellen, da etwas weitaus Schlimmeres als Zombies in der weiten Einöde lauert ...
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 435
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
übersetzt von Tina Lohse
This Translation is published by arrangement with SEVERED PRESS, www.severedpress.com Title: DEAD TEAM ALPHA. All rights reserved. First Published by Severed Press, 2014. Severed Press Logo are trademarks or registered trademarks of Severed Press. All rights reserved.
Diese Geschichte ist frei erfunden. Sämtliche Namen, Charaktere, Firmen, Einrichtungen, Orte, Ereignisse und Begebenheiten sind entweder das Produkt der Fantasie des Autors oder wurden fiktiv verwendet. Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen Personen, lebend oder tot, Ereignissen oder Schauplätzen ist rein zufällig.
überarbeitete Ausgabe Originaltitel: DEAD TEAM ALPHA Copyright Gesamtausgabe © 2024 LUZIFER-Verlag Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Cover: Michael Schubert Übersetzung: Tina Lohse Lektorat: Astrid Pfister
Dieses Buch wurde nach Dudenempfehlung (Stand 2024) lektoriert.
ISBN E-Book: 978-3-95835-233-9
Folge dem LUZIFER Verlag auf Facebook
Sollte es trotz sorgfältiger Erstellung bei diesem E-Book ein technisches Problem auf deinem Lesegerät geben, so freuen wir uns, wenn du uns dies per Mail an [email protected] meldest und das Problem kurz schilderst. Wir kümmern uns selbstverständlich umgehend um dein Anliegen.
Der LUZIFER Verlag verzichtet auf hartes DRM. Wir arbeiten mit einer modernen Wasserzeichen-Markierung in unseren digitalen Produkten, welche dir keine technischen Hürden aufbürdet und ein bestmögliches Leseerlebnis erlaubt. Das illegale Kopieren dieses E-Books ist nicht erlaubt. Zuwiderhandlungen werden mithilfe der digitalen Signatur strafrechtlich verfolgt.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Silo. Als ich klein war …
»Vierzehn sieht gut aus.«
»Dann sind's jetzt nur noch zwölf.«
»Eher vierundzwanzig.«
»Was?«
»Vierundzwanzig sind's noch.«
»Was soll denn das alles, TL? Erst das erhöhte Kupfersoll für die Rückgewinnungscrews und jetzt diese Equipment-Checklisten, die wir bei jedem Silo durchgehen müssen. Funktionierende Schaltkreise markieren, Vorräte im Silo festhalten und der ganze Müll, und wozu?«
Der Leiter des Silo-Teams Alpha dreht sich zu der Frau zu seiner Rechten um.
»Das musst du auch nicht wissen«, antwortet TL Joshua Mills. »Alles, was ich vom Kommandoleiter erfahren habe, ist, dass wir im Moment ständig auf Patrouille bleiben sollen. Die Silos müssen gesichert bleiben und man braucht dringend diese detaillierten Listen von den Dingen, die funktionieren oder nicht funktionieren.«
Die Frau runzelt die Stirn und schaut sich in der kargen Landschaft um. Büsche und spärliches Gras sind alles, was die fruchtlosen Hügel bedeckt, die die Bürger der Festung Silo-Park nennen. Eine tausend Quadratkilometer große Region, dort, wo sich einst die Grenzen von Colorado, Wyoming und North Dakota getroffen haben.
Aber die Zeiten von Staaten sind mittlerweile lange vorüber und Silo-Team Alpha kennt keine Staatsgrenzen mehr. Die Kameraden kennen nur ihre Karabiner, ihr Training und ihren Hass auf die Untoten, denen sie in der Einöde gelegentlich noch begegnen.
»Es sind etwa sechs Kilometer bis Silo Fünfzehn«, sagt die Frau, ihre Kameradin Tonia Delaney. »Wir können es sichern und dann zu Sechzehn, Siebzehn und Achtzehn weitergehen.«
»Schaffen wir die Achtzehn denn, bevor es dunkel wird?«, fragt Kamerad Troy Morrissey. »Ich hasse den verdammten Park bei Nacht.«
»Hast du Angst vorm Schwarzen Mann?«, fragt Kameradin Stephanie Lazzar lachend. »Vielleicht dass er hinter einem dieser Felsen hervorspringt und sich deinen winzigen Schwanz schnappt?«
»Nein, weil ich nämlich keinen winzigen Schwanz habe.«
»Das stimmt«, Delaney lächelt. »Er hat eine Vagina, eine große, klaffende Muschi.«
»Leck mich doch«, gibt Morrissey zurück.
»Was ist denn so schlimm an einer Vagina, Morrissey?«, fragt Lazzar. »Oh, richtig, du weißt ja gar nicht, wofür sie da ist, stimmt's? Immer zu beschäftigt mit der Liebesaffäre zwischen dir und deiner rechten Hand, was?«
»Das ist aber mal eine reizende Unterhaltung«, meint Kamerad Adam Chinn seufzend. »Können wir den Kinderkram vielleicht mal für fünf Minuten unterlassen? Ich muss mir euer Geschwätz schließlich schon seit Tagen anhören.«
»Lass ihnen doch den Spaß, Chinn«, sagt nun Kamerad JT Blackmore. »Gott weiß, wann wir an diesem verfluchten Ort wieder Zeit zum Quatschen haben. Ich hasse es, wenn wir den Fort Collins Außenposten verlassen müssen. Das heißt doch nichts weiter als bla, bla, bla … Kilometer für Kilometer.«
»Du sagst es, Mann«, stimmt ihm Mark Miller zu. »Wir können hier draußen noch nicht mal Zs umlegen. Wir sind so weit weg von all den alten Städten, dass es hier nichts weiter gibt als verfickte Büffel und Präriehunde.«
»Du fickst Büffel und Präriehunde?«, fragt Lazzar grinsend.
»Halt's Maul.«
»Bison«, meint nun John Ellis von weiter hinten. »Man nennt sie Bisons, nicht Büffel. Hast du in der Schule denn gar nicht aufgepasst, Miller?«
»Ich hab nur auf Ms. Fortneys knackigen Arsch geachtet, in diesen engen Jeans, die sie immer getragen hat«, antwortet Miller. »Mir ist fast ein Ei geplatzt, jedes Mal wenn sie die Kreide fallen ließ, Mann. Musste mir in der Pause einen hobeln, um die nächste Stunde durchstehen zu können.«
»Ich hatte jedenfalls Mr. Shipley, also hab ich tatsächlich auch mal was anderes gelernt, als Slipkonturen zu erkennen.«
»Oh, Ms. Fortney trug nie Slips«, sagt Lazzar grinsend. »Glaubt mir. Ich habe ihren Arsch besser studiert als Miller.«
»High five«, sagt Miller und hält seine Hand hoch. Lazzar klatscht ab, hält dann aber inne, als sie den Ausdruck auf TL Mills Gesicht sieht.
»Seid ihr jetzt endlich fertig damit, in Erinnerungen an einen Frauenarsch zu schwelgen?«, fragt TL Mills. »Diese Frau hat nämlich härter gearbeitet, als ihr euch vorstellen könnt, um euch undankbare Versager auszubilden. Es ist nämlich nicht so leicht, Horizonte zu erweitern und neue Denkweisen zu eröffnen, während gerade die verdammte Apokalypse herrscht.«
»Es sind doch nur Zs, TL«, antwortet Miller. »Nicht schwieriger zu erledigen als Ratten. Warum regen sich die Leute denn bloß so auf? So ist die Welt nun einmal, schon seit beinahe hundert Jahren, also wen juckt's? Die Menschen sollen sich endlich mal entspannen und sich des Lebens freuen, wann immer sie nur können. Weißt du, was ich meine?«
»Der Inhalt von Ms. Fortneys Jeans hat mich aber immer mächtig erfreut«, meint Lazzar lächelnd. »Ich werde schon feucht, wenn ich nur daran denke.«
TL Mills schüttelt den Kopf und schaut in Richtung Horizont. Er runzelt die Stirn und hebt seine Hand. Das Team bleibt augenblicklich stehen, alle Augen auf ihn, die M4 Karabiner angelegt.
»Was ist los, TL?«, fragt Delaney. »Zs? Der Wind weht in unsere Richtung und ich kann keine riechen.«
»Ich weiß nicht«, antwortet TL Mills. »Ich dachte, ich hätte jemanden da oben hinter diesem Hügel gesehen.«
Er weist mit dem Kinn in die Richtung und Delaney richtet ihr Augenmerk dorthin. Ein paar Minuten später schüttelt sie allerdings den Kopf.
»Ich sehe überhaupt nichts«, sagt sie. »Sicher, dass es nicht vielleicht einer von Ellis' Bisons war?«
»Nein, nein«, widerspricht TL Mills. »Es war menschengroß. Ich weiß doch wohl, wie ein Scheiß-Büffel aussieht.«
»Scheiß-Park«, sagt Morrissey. »Ich hasse diesen ganzen Mist. Wie viele Tage müssen wir denn noch hier draußen sein?
»Bis jede Checkliste komplett ist«, entgegnet TL Mills. »Wir sichern die Silos, eins nach dem anderen, und schicken dann Cook mit den Daten zurück, damit uns das Beta-Team ablösen kann.«
Morrissey sieht über seine Schulter auf den drahtigen Mann, der dem Team ganz hinten folgt. Nur mit einer 9mm bewaffnet kommt Pauly Cook nicht mal annähernd an die muskulösen und durchtrainierten Körper des Silo-Teams Alpha heran. Dennoch spricht der Ausdruck in den Augen dieses Mannes Bände, er zeugt von Überleben und Durchhaltevermögen.
»Freust du dich schon darauf, mutterseelenallein zurück zur Festung zu rennen, Cook?«, erkundigt sich Morrissey rufend.
»Solange es mich davor bewahrt, die ganze Zeit in deine Fresse starren zu müssen, Morrissey«, meint Cook grinsend. Seine gebräunte und wettergegerbte Haut sieht genauso rissig und rau aus wie die Erde um sie herum.
»Dieser feinen Visage kannst du niemals entkommen«, erklärt Morrissey und lacht laut. »Sobald ich erst mal in deinem Kopf bin, wirst du mich nicht mehr los, Mann.«
»So wie Syphilis«, sagt Delaney. »Aber ohne den Spaß, vorher zu vögeln.«
»Haltet doch alle mal den Rand«, ruft TL Mills, während er immer noch den Horizont absucht. »Ich hab was gesehen, darauf würde ich mein Sold verwetten.«
Das findet endlich Beachtung beim Team. Niemand würde es wagen, das Privileg, Teamleiter zu sein, zu beleidigen, indem man seinen Sold aufs Spiel setzt, es sei denn, man meint es wirklich ernst. Denn das Leben im Team ist es, was die Überlebenden der Festung antreibt. Militärische Disziplin und Kampfgeist sind der Treibstoff, der die Motoren des postapokalyptischen Durchhaltevermögens am Laufen hält.
»Dann werfen wir doch mal einen Blick darauf«, schlägt Blackmore vor. »Es wird uns garantiert nicht allzu weit vom Kurs abbringen.«
»Nein, wir gehen weiter zum nächsten Silo«, bestimmt TL Mills. »Aber bleibt achtsam. Wenn es kein Z ist, dann könnte es Ödlandabschaum sein oder einer der Irren, der neues Land auskundschaften will.«
»Abschaum würde sich hier draußen nicht lange halten«, meint Delaney.
»Die Verrückten aber auch nicht«, fügt Miller hinzu. »Keine Ressourcen, nur Dreck und Scheiße.«
»Man nennt sie nicht verrückt, weil sie vernünftige Entscheidungen treffen, du Depp«, sagt Morrissey daraufhin.
»Klappe zu«, befiehlt ihnen TL Mills und das Geschwätz hört auf. »Wir erledigen die Fünfzehn und machen dann weiter. Wenn wir es nicht zur Achtzehn schaffen, bevor es dunkel wird, dann verschanzen wir uns eben in der Siebzehn.«
Das ganze Team nickt, wendet sich vom Horizont ab und marschiert nun weiter in Richtung Silo Fünfzehn. TL Mills will über seine Schulter blicken, weiß aber, dass es ein Zeichen von Schwäche wäre. Und ein Teamleiter kann sich vor seinen Leuten keine Schwäche erlauben, nicht hier draußen im Ödland, wo die nächste Verstärkung meilenweit entfernt im Fort Collins Außenposten zu finden ist. Jedes Team muss wissen, dass es in guten Händen ist. Er schüttelt seine Gedanken also ab und konzentriert sich auf ihre Mission und die zwei Dutzend Silos, die sie noch überprüfen müssen, bevor sie sich endlich wieder auf den Weg nach Hause zur Festung machen können.
***
Der pechschwarze Tunnel zeichnet sich in gespenstischen grünen und grauen Schattierungen ab, als Delaney vorrückt; ihre Sicht ist verstärkt durch das Nachtsichtgerät (NSG), mit dem jeder Kamerad ausgerüstet ist. Nachdem sie Silo Fünfzehn gecheckt hat, arbeitet sich die STA nun durch die Sechzehn, bereit, den Ort abzusichern und weiterzuziehen.
Bestehend aus zwei Sektionen besitzt jeder Silo eine Abschusssteuerungszentrale (ASZ) und eine Abschussanlage (AA), die durch einen langen Betontunnel miteinander verbunden sind. Das ASZ beherbergt die Raketensteuerungen wie auch die Besatzungsbaracken, wohingegen sich die AA dort befindet, wo die eigentliche Rakete gelagert ist und auf den Abschuss wartet.
Delaney lässt TL Mills sowie die Kameraden Miller, Morrissey und Lazzar in der ASZ zurück und übernimmt jetzt die Spitze im Tunnel, dicht gefolgt von Chinn und Blackmore. Sie sind auf halbem Wege zum AA, als Delaney plötzlich anhält und ihre Faust nach oben hält. Die zwei Männer hinter ihr gehen sofort in die Hocke, wobei sich Chinn vorsichtig umdreht, um die Rückseite zu decken, während Blackmore sich Delaney weiter nähert.
»Häh?«, grunzt Blackmore. Das Geräusch wirkt wie ein Gewehrschuss in der absoluten Stille des Tunnels.
Delaney stößt ihn leicht mit dem Ellbogen an und zeigt nach vorne, ihre Hand weist von links nach rechts. Blackmore klopft ihr daraufhin auf die Schulter und begibt sich in der Hocke in die Richtung, die Delaney ihm gezeigt hat.
Er stößt auf eine Kreuzung im Tunnel und schaut aufmerksam nach links und rechts. Rechts geht es zum Wartungsbereich der AA, links kommt man zur Abschussrampe und der gewaltigen Nuklearrakete, die das unterirdische Silo beherbergt.
Er konzentriert sich auf die rechte Seite und wirft einen Blick über seine Schulter. Delaney und Chinn halten ihre Positionen weiterhin und warten darauf, dass er ihnen grünes Licht gibt. Vor ihnen ist nur noch ein kurzes Stück des Tunnels, das in einer großen Stahltür endet. Blackmore kann sehen, dass diese einen Spalt geöffnet ist und tatsächlich schwaches Licht dahinter hervorscheint. Er winkt seine Kameraden nach vorne.
Delaney erreicht ihn als Erstes und tippt auf seine linke Schulter, als sie an ihm vorbeizieht, alle Sinne in höchster Alarmbereitschaft und alle Muskeln in Erwartung angespannt. In Anbetracht des Lichts ist es höchst unwahrscheinlich, dass ein Z den Weg nach unten in die Anlage gefunden hat, was folglich nur den Faktor Mensch infrage kommen lässt.
Wie jeder Überlebende seit dem Tag Z am eigenen Leib erfahren hat, ist es der Faktor Mensch, der die Zombie-Apokalypse zu einem wahren Albtraum macht. Weniger als einen Fuß von der Tür entfernt bleibt Delaney stehen und reckt langsam den Hals, als sie nach Bewegungen lauscht. Sie streckt ihr Bein und schiebt die Tür langsam weiter auf, eilt dann hinein und überfliegt den Raum mit ihrem hochgehaltenen Karabiner. Aber nichts bewegt sich und sie entspannt sich, als sie die Lichtquelle entdeckt.
Mit einem leisen Pfiff ruft sie die anderen beiden in den Raum hinein, und Blackmore fängt an zu lachen.
»Das arme Ding«, sagt er, als er zu ein paar Regalen hinübergeht und das tote Erdhörnchen auf dem Boden anstupst. Das Ding ist mit leuchtendem grünen Schleim überzogen, der über der kleinen Leiche aus dem Regal tropft.
»Wollte sich wohl den Bauch vollschlagen und stattdessen schlug sein letztes Stündchen.«
»Du solltest Dichter werden«, meint Chinn grinsend. »Das klang wirklich sehr poetisch.«
»Knicklichter«, erwidert Delaney, als sie sich hinkniet und die angenagte Schachtel aus dem Regal zieht. »Ratten waren zuerst dran, wie's aussieht. Ich wette, es gibt hier irgendwo auch noch ein Nest von leuchtenden Rattenleichen.«
»Sind noch welche davon in Ordnung?«, fragt Chinn.
»Nee«, antwortet Delaney und stellt die Schachtel wieder zurück. »Sieht so aus, als seien alle angeknabbert worden. Machen wir weiter, wir sind erst zur Hälfte fertig.«
»Mach's gut, kleines Erdhörnchen«, sagt Blackmore, als er das Tier noch einmal anstupst. »Mögest du Frieden in der großen Erdhöhle im Himmel finden.«
Zurück in der Formation verlassen die Kameraden den Raum und Delaney zieht die Tür fest hinter sich zu. Sie übersehen dabei aber leider die leuchtenden Handabdrücke auf der Rückseite der Tür.
***
»Die Siebzehn soll's sein«, sagt TL Mills, als er dabei zusieht, wie ein spätes Frühlingsgewitter den Himmel verdunkelt. »Wir hätten's bis zum Dunkelwerden zur Achtzehn schaffen können, aber nicht mit dem Ding da im Anmarsch.«
»Mir macht es nichts aus, nass zu werden, TL«, wendet Lazzar ein.
»Ja, das sagtest du bereits«, erwidert Miller kichernd.
»Wir verschanzen uns hier«, verkündet TL Mills. »Erst gehen wir alles ab und dann machen wir richtig dicht. Ich will heute Nacht keinen Besuch bekommen.«
»Wer soll denn hier schon aufkreuzen?«, fragt Blackmore. »Ellis' Bisons?«
»Ihr könnt mich alle mal«, blafft Ellis sie an. »Ich hab das verdammte Wort doch nicht erfunden. So werden die Viecher nun einmal genannt. Bisons. Findet euch damit ab.«
»Da hat wohl jemand Büffelneid«, flüstert Chinn.
»Blackmore, Delaney, Chinn, Lazzar«, ruft TL Mills und zeigt auf die halb verdeckte Einstiegsluke, die in den kleinen Hügel eingelassen ist. »Ihr seid dran.«
Als Blackmore die Luke öffnet, eilt Delaney hinein und schwenkt sofort ihren Karabiner von links nach rechts und wieder zurück. Direkt hinter ihr folgt Chinn, Lazzar und Blackmore bilden die Nachhut. Sie bewegen sich schnell, aber vorsichtig, die NSGs zeigen ihnen den Weg. Das Geräusch ihrer Schritte wird von den Betonmauern zurückgeworfen und schallt den langen Gang entlang. Blackmore schaut nach unten und streckt seinen Arm aus, um Lazzar auf die Schulter zu tippen. Sie gibt das Signal weiter an Chinn, der nun wiederum Delaney antippt.
Blackmore zeigt auf den Boden, auf dem Wasserpfützen verteilt sind. Das verrät den Kameraden, dass entweder die Luke nicht richtig schließt oder dass jemand kürzlich im Silo gewesen sein muss, da der letzte Sturm erst ein paar Tage her ist. Dies gibt ihnen allen zu denken. Silo Siebzehn ist seit gut einem Jahr von keinem Team mehr überprüft worden.
Delaney nickt, dreht sich dann um und bewegt sich weiter den Gang entlang. Die Spannung unter den Kameraden verschärft sich beträchtlich, als sie ihren Weg zu Checkpoint A fortsetzen. Eine breite, solide Tür, die fest verschlossen ist, empfängt sie. Delaney winkt Chinn nach vorne und er tritt mit einem dicken Schlüssel in der Hand vor. Er schiebt den Schlüssel in das Schloss unterhalb der Klinke, dreht ihn einmal nach links, zwei Mal nach rechts und dann drei Mal wieder nach links. Der Klang der großen Zylinder, die in die richtigen Positionen bewegt werden, schallt durch den gesamten Raum.
Mit beiden Händen an der Klinke wuchtet Chinn die Tür auf. Sie ist fast dreißig Zentimeter dick, enthält riesige, versenkte Bolzen und Chinn muss all seine Kraft aufwenden, um sie zurückschieben zu können. Er nimmt einen tiefen Atemzug und geht dann aus dem Weg, als Delaney, Lazzar und Blackmore mit den Karabinern voraus an ihm vorbeihuschen. Nach einer schnellen Überprüfung des Raumes entspannen sich alle wieder ein wenig. Die dicke Staubschicht auf der Steuerkonsole zeigt ihnen, dass schon seit einer ganzen Weile niemand mehr hier gewesen ist.
»Alles sauber«, ruft Blackmore.
Lazzar lehnt ihr M4 an einen alten Drehstuhl und beginnt nun, Schalter an der mittleren Konsole umzulegen. »Keine Restenergie mehr.«
Delaney zieht ein Klemmbrett aus ihrem Gepäck und trägt eine Null bei ›Energie‹ ein.
»Alle Steuerungen scheinen aber noch zu funktionieren«, fährt Lazzar fort. »Kein Rost oder Brandspuren.« Sie geht auf alle viere und öffnet ein Paneel. »Kein Rost an der Verkabelung, soweit ich sehen kann. Diese Zentrale ist in Ordnung, sie braucht nur wieder Strom.«
»Das wird aber eine mordsmäßige Verlängerungsschnur«, sagt Morrissey, als der Rest des Teams zu ihnen stößt. »Glaub nicht, dass Bürgermeister Coolidge diese Verwendung von Notstandsressourcen genehmigen wird.«
»Stellt das Geschwätz ein«, ermahnt sie TL Mills. »Es muss doch nicht jedes Mal zu 'ner Pyjamaparty kommen, wenn wir ein Silo räumen.«
»Kann Delaney mir denn wenigstens noch die Haare frisieren?«, fragt Miller grinsend. »Sie kann wirklich gut flechten.«
»Dafür müsstest du erst mal Haare haben, du Kahlkopf.«
»Lustig«, antwortet Miller. »Nur keinen Neid wegen meiner glänzenden Platte.«
»Schluss jetzt«, sagt TL Mills genervt. »Blackmore, Chinn und Morrissey, ihr bekommt die AA, vervollständigt eure Checkliste und wir treffen uns dann anschließend wieder hier. Wir pflanzen uns in die ASZ und ziehen beim ersten Tageslicht wieder los. Lazzar, du schiebst als Erste Wache, also mach es dir schon mal an der Luke bequem.«
»Ja, Sir«, sagt Lazzar, als sie aus der Steuerungszentrale eilt.
»Das wird aber ungemütlich«, meint Cook und zieht seinen Reißverschluss hoch, als er Lazzar auf seinem Weg in die ASZ begegnet. »Der Wind nimmt immer mehr zu und man kann schon Blitze am Horizont erkennen. Der Sturm wird richtig übel, das riecht förmlich nach Tornadowetter.«
»Na großartig«, erwidert Lazzar. »Da wird die Nachtschicht garantiert Spaß haben. Bin froh, dass ich meine gleich hinter mir habe.«
Sie hastet zur Luke, schiebt sie weit auf und tritt dann zurück in die Schatten des Ganges, um mit den Augen die Landschaft absuchen zu können. Nichts weiter als der gleiche alte Mist. Sie seufzt und lässt sich für die nächsten zwei Stunden ihrer Schicht dort nieder.
***
Morrissey bemerkt es zuerst.
Er winkt die anderen zwei Kameraden zu sich und sie alle betrachten die Schrammen an der Wand. Chinn sieht hoch und entdeckt einen Lüftungsschacht über ihnen. Er tippt Morrissey an und der Mann beugt sich nach vorne, dann verschränkt er seine Hände und hilft Chinn nach oben.
Im Lüftungsschacht gibt es nichts als grünlich glühende Dunkelheit und Chinn kann kaum weiter als einen halben Meter sehen, trotz des NSGs. Nach einer guten Minute schüttelt er den Kopf und Morrissey lässt ihn wieder zu Boden. Sie untersuchen die Erde, können aber keine weiteren Spuren entdecken. Ohne ein Wort zu sagen, machen sie sich auf den Weg zur AA, um ihre Runde zu beenden. Morrissey bleibt einen Moment lang zurück, um auf seinem Klemmbrett eine Notiz über diese Entdeckung zu machen, packt es dann weg und schultert seinen Karabiner, um seine Kameraden schnell wieder einzuholen.
***
Der Blitz und der darauffolgende Donnerschlag sind sehr viel näher, als Lazzar erwartet hat, und lassen sie zusammenzucken. Hätte ihr Finger am Abzugsbügel gelegen, hatte sie bestimmt aus Versehen ein paar Schüsse abgefeuert. Sie lacht über sich selbst, froh, dass keiner ihrer Kameraden ihr Erschrecken beobachtet hat, und tritt nach draußen in den treibenden Wind. Ein leichter Regen hat eingesetzt und die kühlen Tropfen benetzen ihre Haut. Sie schließt ihre Augen, öffnet den Mund und heißt den Regen willkommen.
Ein weiterer Blitz gefolgt von Donner zuckt über den Himmel und Lazzar fühlt sich erfrischt, als sie die Augen öffnet. Das Tageslicht ist mittlerweile komplett verschwunden und das öde Land um sie herum ist in Dunkelheit getaucht. Der Sturm verschlimmert sich immer mehr und aus dem erfrischenden Nieselregen wird nun langsam ein beißender Wolkenbruch. Lazzar beginnt sich zur Luke zurückzuziehen, als ein dritter Blitz die Landschaft erhellt.
Ihr Karabiner ist augenblicklich an ihrer Schulter und sie geht auf ein Knie herunter, als für den Bruchteil einer Sekunde eine Figur vor ihr erhellt wird. Der Blitz blendet sie für einen kurzen Moment, also dreht sie ihren Kopf leicht zur Seite, um die Gegend aus den Augenwinkeln absuchen zu können. Sie ruft sich das Bild in Erinnerung, auf der Suche nach Hinweisen, womit sie es zu tun hat. Die Gestalt hatte sich aufrecht und mit geradem Rücken gehalten, war also kein Z. Sie bewegte sich auch nicht auf sie zu, ein weiterer Beweis, dass es kein mordgieriger Zombie war. Sie kam auch nicht schreiend mit einer improvisierten Waffe angerannt, was Verrückte oder wilden Ödlandabschaum ausschloss. Es tauchte einfach auf, anstelle einer normalen Schleichattacke, die typisch für Kannibalen ist.
Also wer oder was ist es?
Lazzar steht wieder auf und läuft zur Siloluke zurück. Sie stößt mit dem Rücken gegen die Hügelseite und lässt sich hastig die Öffnung hinab. Es blitzt ein weiteres Mal und sie sieht, dass das Gelände vor ihr leer ist, kein weiteres Zeichen der Geistergestalt. Aber als langjähriger Veteran ist Lazzar nicht so dumm zu glauben, dass sie sich alles nur eingebildet hat. Sie hat etwas gesehen, so viel ist sicher. Sie will einen weiteren kurzen Blick riskieren und sieht nach hinten, um sich der Position der Luke zu vergewissern. Der Himmel über ihr kracht erneut, als ein weiterer Blitz ihre Sicht ausfüllt.
Sie hat keine Zeit mehr zu schreien, bevor die Klinge ihre Kehle durchbohrt. Das Geräusch, das von ihr ausgeht, als sie auf dem nassen Boden zusammenbricht, ist kaum mehr als ein überraschtes Röcheln, als sie an ihrem eigenen Blut erstickt. Die Klinge wird wieder herausgerissen und zur Seite geschwenkt, Blutspritzer vermischen sich mit dem frischen Regen.
Lazzar sieht zu ihrem Angreifer auf und die letzten Gedanken, die ihr durch den Kopf gehen, lauten: Was ist mit seinem Gesicht los? Dann strömt das Leben aus ihrem Körper und ihre Augen werden glasig, als ein letzter Atemzug ihren blutigen Lippen entweicht.
***
Behutsam, um die Bienenwachskerzen um die große Karte herum nicht umzustoßen, zieht Cook seine Beine unter ihren Körper und setzt sich neben TL Mills auf den Boden.
»Raus damit«, sagt Cook.
»Häh?«, fragt TL Mills, der das Papier vor sich nicht aus den Augen lässt. »Womit?«
»Was auch immer es ist, was du dem Team vorenthältst«, antwortet Cook. »Wie lange bin ich schon Läufer beim STA?«
»Sehr lange«, erwidert TL Mills.
»Und wie lange kennen wir uns schon?«, fragt Cook nun.
»Noch sehr viel länger«, erwidert TL Mills.
»Man kann also behaupten, dass ich deine Launen kenne«, sagt Cook. »Und jetzt im Moment verheimlichst du uns definitiv etwas. Und dieses Etwas stört dich offenbar gewaltig.«
TL Mills zuckt mit den Schultern. »Dazu kann ich nichts sagen.«
»Bullshit, Josh«, fährt Cook ihn an. »Ich war da, als du geheiratet hast, und auch, als Millie zur Welt kam. Wir haben als Kinder zusammen Geschichten am Lagerfeuer erzählt, von der Großen El und Oma G. Und wenn ich irgendwas über dich weiß, dann, dass du immerzu etwas zu sagen hast.«
TL Mills sieht noch ein Weilchen auf die Karte und wendet sich dann endlich Cook zu. »Bevor wir die Festung verlassen haben, bin ich aus Versehen in einen Streit zwischen Lee und Bürgermeister Coolidge geplatzt. Ich hab nur die letzten paar Wörter mitbekommen, aber was ich gehört habe, hat mich mehr als nur beunruhigt.«
»Und …?«, fordert Cook ihn zum Weitersprechen auf.
»Der Commander hat Coolidge von etwas erzählt«, erklärt TL Mills. »Es ging um Informationen, die offenbar allen in der Festung vorenthalten werden. Sie haben sofort aufgehört zu reden, als ich reinkam.«
»Was denn für Informationen?«, fragt Cook neugierig.
»Ich weiß es nicht«, erwidert TL Mills und tippt dabei auf die Karte. »Aber ich vermute, es hat was mit den Silos zu tun. Es ist schon eine Weile her, seit Commander Lee zuletzt das STA für längere Aufklärungsmissionen raus zu den Siloparks geschickt hat. Die Tatsache, dass das STA zuerst geschickt wurde, heißt, dass sie offenbar mit Problemen rechnet. Diese Art von Räumungsjob wäre nämlich eigentlich ein Fall für ein Beta-Team und nicht für ein Alpha-Team.«
»Hm«, reagiert Cook darauf.
»Ja, hm, ganz genau«, antwortet TL Mills und nickt. »So läuft das bei den Teams eigentlich nicht ab, Informationen zurückzuhalten. Unwissenheit kostet Kameraden nämlich ganz schnell mal das Leben. Das ist genau so tödlich wie eine Herde Zs.«
»Alles in Ordnung«, meint Morrissey, als er die ASZ mit Chinn und Blackmore betritt. »AA ist gesichert.«
Chinn legt das Klemmbrett auf eine der Steuerkonsolen und schaut zu TL Mills. »Wir haben ein paar Kratzspuren unter einem der Lüftungsschächte entdeckt.«
»Kratzspuren?«, fragt TL Mills verwirrt, als er aufsteht und seinen Rücken streckt, bis es knackt.
»Himmel, TL«, sagt Blackmore lachend. »Sollte ich so was auf 'ner Straße in Denver hören, würd ich's glatt für 'ne Zombie-Gruppe halten. Du kannst von Glück reden, dass ich gerade nicht meine Waffe gezogen hab.«
»Als Veteran darf man das, Blackmore«, entgegnet TL Mills. Er nimmt das Klemmbrett, liest die Notizen und legt es anschließend wieder zurück.
»Sonst nichts?«
»Das ist alles«, sagt Chinn. »Keine Hinweise auf irgendjemanden, auch keine Anzeichen von Zs, nur ein paar Kratzer unter 'nem Schacht.«
»Könnte sonst was sein«, stimmt ihm Blackmore zu.
»Hmmm«, sagt TL Mills. »Könnte sein …« Er zeigt auf Miller und weist auf die Tür. »Geh mal Lazzar ablösen. Chinn, zeig mir die Kratzspuren. Ich will sie mir selbst ansehen.«
***
»Da sind sie«, meint Chinn und zeigt TL Mills die Wand. »Ich geb dir Schwung, damit du dir den Schacht ansehen kannst, wenn du willst.«
»Mach das«, antwortet TL Mills und steigt auf Chinns verschränkte Hände. Er lässt sich zum Gitter hinaufschieben und überprüft dann den Schacht mit seinem NSG. »Sieht sauber aus … warte mal. Hast du das auch gehört?«
»Was denn?«, fragt Chinn.
»Lass mich schnell runter«, ruft TL Mills und Chinn gehorcht augenblicklich.
TL Mills sieht im Korridor hin und her und entdeckt etwa zehn Meter entfernt noch ein Gitter. Er läuft hinüber und neigt dort seinen Kopf.
»Hörst du das?«, flüstert TL Mills. Chinn lauscht, schüttelt aber den Kopf. »Heb mich wieder hoch.«
Erneut verschränkt Chinn die Hände und schiebt TL Mills nach oben. Der Klang von einem leisen Schaben erreicht nun auch Chinns Ohren.
»Jetzt hör ich's, TL«, flüstert Chinn. »Was ist d… ?«
Blut regnet plötzlich auf den Mann nieder, er springt zurück und lässt TL Mills zu Boden fallen. Aus dem rechten Auge des NSGs des Teamleiters ragt ein kurzer Stahlbolzen heraus. Der Mann zuckt noch ein paar Mal und hält dann inne, unter seinem Kopf eine wachsende Lache schwarzen Blutes. Chinn greift nach dem Karabiner, der auf seinen Rücken geschnallt ist, schreit aber auf, als seine Hand plötzlich in Schmerz explodiert.
»Was zur Hölle?«, kreischt er, als er den blutigen Stumpf vor das NSG hält; schwarzes Blut spritzt im Rhythmus seines Herzens daraus hervor.
Er beginnt wieder zu schreien, bis seine Kehle von Ohr zu Ohr aufgeschlitzt wird, während ihm eine Hand das NSG vom Gesicht reißt und seine Stirn packt.
Über ihnen fliegt plötzlich das Lüftungsgitter aus der Wand und landet scheppernd neben TL Mills Leiche auf dem Boden. Chinn wird zur Seite befördert, als eine Gestalt sich in die pechschwarze Dunkelheit des Korridors fallen lässt und dabei beinahe in dem Blut ausrutscht, das sich langsam von Wand zu Wand ausbreitet.
***
»Nicht gut«, meint Delaney, als sie ihr M4-Magazin überprüft und es wieder an seinem Platz einrastet. »Das war der TL.«
»Wo zum Teufel steckt bloß Lazzar?«, fragt Blackmore. »Sie hätte inzwischen längst zurück sein müssen.«
»Morrissey? Du holst Lazzar und Miller«, befiehlt ihm Delaney. »Blackmore? Du bleibst hier bei Cook. Falls in fünf Minuten keiner von uns zurückkommt, dann will ich, dass ihr schleunigst von hier verschwindet und euch auf den Weg nach Fort Collins macht, verstanden?«
»Zu Befehl«, sagt Blackmore. »Aber tu mir 'nen Gefallen und komm in fünf Minuten zurück, okay?«
Morrissey drückt die schwere Tür auf und hält kurz inne. Delaney blickt zu ihm hinüber und runzelt die Stirn.
»Morrissey? Komm endlich in die Gänge, Mann. Wir brauchen jeden Mann bei … Oh scheiße …«
Morrissey dreht sich langsam um, die Hand um ein großes Messer geklammert, das aus seiner Körpermitte ragt. Er sieht auf die Klinge hinab, auf das Blut, das seinen Eingeweiden entweicht, und dann zu Delaney, als er auf die Knie fällt. Bevor irgendjemand etwas sagen kann, fällt sein Kopf von seinem Hals auf den Boden und ein Windhauch in der Steuerzentrale löscht alle Bienenwachskerzen, die den Raum bis dahin erleuchtet haben.
»NSGs!«, brüllt Delaney, als sie ihres hektisch über ihre Augen zerrt. Das Umlegen eines Schalters lässt die ASZ in Schatten und grünem Licht erscheinen. Ein Ächzen und ein spritzendes Geräusch zu ihrer Linken veranlassen Delaney dazu, sich in diese Richtung zu drehen, den Karabiner im Anschlag. »Blackmore? Blackmore, rede mit mir!«
Der Mann stolpert nun in ihr Blickfeld, seine Hand an der Kehle. Er taumelt auf sie zu und streckt dabei seine Finger nach ihr aus. Als er das tut, spritzt eine Blutfontäne aus seinem Hals. Er wirbelt umher und die Fontäne ergießt sich auf Delaneys NSG.
»Fuck!«, brüllt sie, als sie das Gerät herunterreißt.
»Blackmore! Was zur Hölle? Blackm…!«
Alles wird auf einmal taub, als ihre Wirbelsäule knapp unterhalb der Rippen durchtrennt wird. Sie will nach hinten greifen, um herauszuziehen, was den Schaden verursacht hat, aber ihre Arme wollen ihr einfach nicht mehr gehorchen. Hilflos bricht sie auf dem Boden zusammen, ihre Wange in einer Lache aus warmem, glitschigem Blut. Sie will etwas sagen, ihre Angreifer anschreien und kreischen, aber sie kann nichts weiter tun, als zu keuchen und nach Luft zu ringen. Bevor alles zu Ende geht, hört sie noch ein lautes Ächzen und einen Schmerzensschrei und dann das eilige Trampeln von Füßen. Cook, denkt sie, lauf, du grandioser Bastard, lauf um dein Leben.
***
Der Boden unter seinen Füßen ist nichts weiter als glitschiger Schlamm und der Regen strömt weiterhin aus den Wolken heraus. Cook verschwendet keinen weiteren Gedanken mehr an den Schrecken, der hinter ihm liegt, sondern verwendet nun all seine Kräfte darauf, nicht zu stolpern. Der Sturm wütet um ihn herum, Blitze schlagen mal in der Ferne, manchmal nur Schritte von ihm entfernt, ein. Die Luft wird von ohrenbetäubendem Donner erschüttert. Er kann die Elektrizität in der Luft schmecken, was für ihn erschreckend nahe an die scharfe Note von Blut herankommt. Als er auf eine Anhöhe stößt, erklettert er den kleinen Hügel und rutscht dann auf der anderen Seite wieder herunter, dabei lässt er sich von Schlamm und Schwerkraft die Arbeit abnehmen. Er landet auf dem flachen Boden und seine Beine marschieren einfach weiter, ohne dass er auch nur einen Moment verliert. Jedes Mal, wenn ein Blitz die Nacht erhellt, konzentriert er sich auf das Gelände vor ihm.
Sich in dem eintönigen Land zurechtzufinden ist schon unter guten Bedingungen schwierig, aber nachts während eines Gewitters? Cook ist dankbar für seine jahrelange Erfahrung als Läufer. Ein Neuling hätte sich bestimmt schon längst verirrt oder im Schlamm den Knöchel verstaucht.
Seine Lunge brennt und er kann spüren, wie ein Krampf in seiner Seite entsteht, aber Cook hält trotzdem nicht an. Er hat zu viele Meilen zu bewältigen, bevor er auch nur daran denken kann, langsamer zu werden. So viele Meilen.
***
Cook erklimmt gerade den letzten Kamm vor dem Fort-Collins-Außenposten und sein Mut verlässt ihn, als er sieht, wie Flammen hoch in den Himmel lodern und die Gebäude des Außenpostens brennen, brennen, brennen.
Sein erster Gedanke ist es, hinunterzueilen und nach Überlebenden zu suchen, oder wenigstens ein paar der Vorräte zu retten. Aber die Gestalten auf dem Boden, die den Außenposten umrunden, halten ihn davon ab, näherzukommen. Cook erkennt Leichen, wenn er welche sieht, und während der Zombie-Apokalypse bleiben solche Leichen nun einmal nicht liegen.
Das Geräusch des Regens verdeckt beinahe die herannahenden Schritte, aber selbst so kurz vor der völligen Erschöpfung sind Cooks Sinne immer noch in höchster Alarmbereitschaft. Er wirbelt herum und rammt seine Faust in das Gesicht einer Frau, gerade als ihre Klinge seine Seite streift. Die Wunde fühlt sich nicht besonders tief an, aber der Schmerz breitet sich rasend schnell aus. Er taumelt zurück, seine Hände auf die Seite gepresst, seine Knie schwach. Nach nur ein paar Schritten geht er zu Boden.
»Wer bist du?«, fragt Cook, als die Frau über ihm steht und das Blut wegwischt, das aus ihrer Nase strömt. »Was willst du von uns?« Das Licht der Flamme schimmert auf ihrem Gesicht und Cook verschlägt es den Atem. »Großer Gott, was ist mit deinem Gesicht los?«
Sein Kopf fällt nun von seinen Schultern und rollt den Hügel hinab, dem brennenden Außenposten entgegen. Der Rest von ihm steht noch für einige lange Sekunden still, bevor die Muskeln schließlich nachgeben und sein Körper im Schlamm zusammensackt.
Die Frau steht die ganze Zeit mit bewegungslosem Gesicht über ihm, völlig frei von Emotionen. Ihre Hand fährt zu ihrem Gesicht und kratzt die Haut oberhalb ihrer linken Wange auf, direkt auf dem Wangenknochen unter der Augenhöhle.
Spreu und Weizen
Als die Sonne aufgeht und auf die niedrigen Hänge der Rocky Mountains scheint, ertönt ein Hahnenschrei und kündigt den Beginn eines neuen Arbeitstages für die Bewohner der Festung an.
»HALT DIE FRESSE, DU VERKACKTER, DUMMER VOGEL!«, schreit ein Mann aus dem Fenster seines Hauses. »VERPISS DICH, VERDAMMT NOCH MAL, DU WERTLOSES HUHN!«
Der Mann – nichts als schlaffe, sonnengebräunte Haut, von durchschnittlicher Größe, glatzköpfig bis auf ein paar graue Stellen – steht am Fenster in nicht mehr als einer löcherigen Unterhose. Er kratzt sich am Arsch, lässt einen gewaltigen Furz fahren und schnüffelt anschließend an seiner Hand, die etwas davon abbekommen hat.
»Wirklich sehr vornehm, Dad«, sagt Valencia Baptiste, während sie einen Pullover aus einem überraschend weichen Woll-Hanf-Gemisch über ihr T-Shirt zieht, um die morgendliche Kälte des späten Frühlings, der für die Rockies typisch ist, abzuhalten. »Meinst du, du könntest vielleicht in deinem Zimmer an deinen Fürzen riechen, wo dich die Nachbarn nicht sehen können?«
»Scheiß auf Harmon und Juney Belle«, spottet Collin Baptiste.
»Ein Haufen Arschlöcher mit Stöcken im …« Sein Gesicht ist zerknirscht, als er nach dem richtigen Wort sucht.
»Arsch?«, schlägt seine Tochter vor und nimmt einen Krug mit Wasser vom Küchentresen.
»Ja«, meint Collin nickend. »Verdammte Arschlöcher.«
»Nun, ich sehe, Harmon ist bereit für eine morgendliche Diskussion mit dir«, sagt Valencia, als sie schnell ihre Stiefel aufhebt und die Küchentür öffnet. »Viel Glück dabei.«
Zweiundzwanzig, groß, blond, dunkelbraune Augen und gebaut wie eine Tänzerin, die nur aus Muskeln und Anmut besteht, atmet Valencia Baptiste die kühle Bergluft ein und seufzt, als sie ihren Nachbarn herannahen sieht.
Harmon Lindeloff ist Ende fünfzig, klein, dick und haarig wie ein Affe, wie seine Frau Juney Belle zu sagen pflegt. Als ehemaliges Teammitglied im Ruhestand hat er Val Baptiste schon immer gemocht. Ihren Vater hingegen hat er noch nie leiden können.
»Val«, sagt Harmon Lindeloff nickend, als er über den schiefen und kaputten Lattenzaun steigt, der die Gärten der Nachbarn voneinander trennt. »Ich muss mich mal mit deinem Vater unterhalten.«
»Das dachte ich mir schon, Har«, erwidert Val, während sie auf einem Bein herumhüpft, um in einen Stiefel zu schlüpfen. »Nur zur Warnung, er hat die ganze Nacht Fusel gesoffen. Ist nicht mal ins Bett gegangen.«
»Scheiße«, antwortet Harmon missmutig. »Ich dachte, Bullet hätte nichts mehr.«
»Cranky hat gerade 'ne neue Ladung hergestellt«, erklärt Val, beschäftigt mit dem zweiten Stiefel. »Dad stand natürlich gleich als Erster in der Schlange.«
»Heiliger Mist«, sagt Harmon und reibt sich das müde Gesicht. »Wie viel hat er denn gekriegt?«
»Ich werde für den Rest des Monats in den Baracken essen«, sagt Val, schnürt beide Stiefel zu und richtet sich auf, um sich zu strecken. »Die Rationierungsmarken sind nämlich jetzt alle weg.«
»Der Drecksack«, schimpft Harmon. »Mal sehen, ob ich seine Vorräte finden und ein paar deiner Marken zurückbekommen kann.«
»Gib dir keine Mühe«, meint Val. »Das Essen in den Baracken ist eh besser.«
»Hey, ist heute nicht der große Tag?«, fragt Harmon. »Die Auswahl der neuen Kameraden für das DTA?«
»Jep«, bestätigt Val lächelnd. »Acht Kandidaten. Muss nur die Prüfungen bestehen und ich bin drin.«
»Du schaffst das schon, Val«, meint Harmon zuversichtlich. »Wenn irgendjemand dazu geboren ist, Teil dieses Teams zu sein, dann bist du das. Gott weiß, dass du schon genug Kampferfahrung mit dem Arschloch da drinnen hast.«
»Vorsicht, er ist immer noch mein Dad«, erwidert Val. »Aber du hast recht, er ist ein komplettes Arschloch. Ich muss jetzt weg, Har.«
»Viel Glück, Val«, ruft Harmon und schaut zu, wie die junge Frau die Straße entlang sprintet. Er wendet sich wieder dem heruntergekommenen Haus zu und grummelt: »Okay, du betrunkener Wichser, los geht's.«
***
Die Festung.
Auch bekannt als Boulder, Colorado.
So war es zumindest, bis vor beinahe hundert Jahren der Tag der Zombies hereinbrach und die Untoten die Erde bevölkerten. Keine Erklärung, keine Warnung. Eines Tages stiegen die Leichen einfach aus ihren Gräbern, wanderten in den Leichenhallen umher oder befreiten sich aus Leichensäcken und Särgen. Und sie hatten Hunger! Sie attackierten die Lebenden und taten sich an ihrem Fleisch gütlich, und so vermehrten sich die Untoten, die Zombies, die Zs rasend schnell, als ihre Opfer ihrerseits den Rängen der Untoten beitraten.
Das Ganze geschah an einem Sonntag.
Bis zum Montagabend war die Welt bereits verloren und diejenigen, die noch am Leben waren, begannen ihren nie endenden Kampf ums Überleben.
Viele Überlebende fanden irgendwann heraus, dass Weglaufen nicht infrage kam, und fingen deshalb an, ihre Häuser, ihre Viertel und ihre Städte zu sichern. Boulder war eine Stadt, in der die Untoten kein Bürgerrecht erhielten. Die Leute kämpften, töteten, starben, sie harrten aus, bis sie die Zs zurückdrängen und das meiste ihrer Stadt zurückerobern konnten.
Mittlerweile, viele Jahrzehnte später, halten sie die Festung gegen die Zombiehorden mittels Gräben, Barrikaden, Zäunen, Stacheldrahtnetzen, Gruben und verschiedener anderer Methoden unter Verschluss. All das ausgebreitet vor einer massiven Mauer.
Anfangs und für viele darauffolgende Jahre hatten sie noch Strom dank Solarenergie, Windkraft und Erdwärme, aber all das gehört nun der Vergangenheit an, seit die Ersatzteile und Fachkenntnisse ausgegangen sind; Überbleibsel einer toten Gesellschaft, die jetzt von den Erinnerungen der vorherigen Generationen leben muss.
Val läuft an den Häusern vorbei, aus deren Kaminen Rauchwölkchen steigen, als die Öfen für die Zubereitung des Frühstücks angeworfen werden. Jeder steht mit dem ersten Hahnenschrei auf, bereit für einen neuen Tag voller Arbeit und Pflichten, um die Festung zu sichern und am Laufen zu halten. Val winkt bekannten Gesichtern zu und grüßt diejenigen, die sie mit Namen ansprechen.
Kinder mit Holzschwertern in den Händen huschen durch die Vordertüren. Sie gehen aufeinander los und eifern den Teamkameraden nach, die sie als Helden verehren. Val lächelt in dem Wissen, dass sie selbst eines dieser Kinder gewesen ist, das sich gewünscht hat, zu den Teams zu gehören.
Als Kamerad von Denver Team Beta Eins kann Val Baptiste es kaum erwarten, die Teambarracken zu erreichen und zu den Kandidaten für die Beförderung zu dem erlesenen Denver Team Alpha zu gehören. Oder wie es aufgrund der hohen Verlustrate und der Menge an Scheiße, die das Team regelmäßig erdulden muss, für gewöhnlich genannt wird: Dead Team Alpha.
Aber sie hat vorher noch einen kurzen Zwischenstopp einzulegen.
***
»Was?«, murmelt Stanford Lee, als eine Hand ihn hin und her schüttelt. »Hau ab.«
»Da ist aber jemand an deiner Tür«, sagt eine schläfrige Stimme an seiner Seite.
Stanford, zweiundzwanzig, groß, muskulös, und blond wie seine Cousine Val, allerdings mit eisblauen Augen statt braunen, erhebt sich nun langsam von der Matratze in der Ecke des kahlen Raumes. Er sieht auf den nackten jungen Mann in seinem Bett und runzelt die Stirn.
»Wie war noch mal dein Name?«, fragt Stanford, auf der Zunge ein Gefühl von Kleister und Glas. »Bongo?«
»Benji«, antwortet der junge Mann, schnappt sich eine Handvoll Decke und wickelt sie beim Umdrehen um seinen nackten Hintern.
»Richtig«, sagt Stanford. »Benji, neuer Läufer. Gerade nebenan eingezogen.« Stanford wühlt sich durch die Klamotten und den Müll auf dem Boden, bis er schließlich eine Feldflasche findet. Er setzt sie an, aber nur ein einziger Tropfen rinnt heraus. »Scheiße, hast du drüben vielleicht noch ein bisschen Wasser?«
»Alles leer«, erwidert Benji. »Wir haben Durst gekriegt, weißt du noch? Magische Pilze.«
»Ach ja, Pilze«, entgegnet Stanford und versucht, sich die wilde Nacht wieder ins Gedächtnis zu rufen. Stückweise kommt die Erinnerung tatsächlich zurück, hauptsächlich an den verschwitzten Sex, und er beugt sich hinüber und klatscht Benji auf den Hintern. »Hey.«
»Selber hey, Arschloch«, sagt Benji. »Verpiss dich, ich will weiterschlafen.«
Ein lautes Klopfen dringt jetzt aus dem anderen Raum und Stanford schaut zur offenen Schlafzimmertür.
»Ich muss gehen, okay?«, sagt Stanford und steht auf. Er zerrt seine Jeans nach oben und macht sich auf die Suche nach einem sauberen T-Shirt. Er findet endlich eines, das sauber genug ist, und zieht es an. »Ähm, hast du mich gehört?«
»Ja, hab ich«, sagt Benji, als er herumrollt und die Decke von sich wirft. Er verlässt das Bett und schiebt Stanford aus dem Weg. »Das soll wohl heißen, ich kann nicht hierbleiben.«
»Sorry«, entgegnet Stanford. »Vielleicht können wir uns ja später am Abend treffen? Hab gehört, es gibt wieder Fusel.«
»Nein danke«, antwortet Benji und sammelt seine Kleidung ein. »Ich trinke nicht.«
»Aber du nimmst Pilze?«, fragt Stanford verwirrt und sehnt sich nach einem Glas Wasser.
»Pilze sind klasse fürs Vögeln«, erklärt Benji, dreht sich herum und gibt Stanford einen schnellen Kuss. »Aber dieser Fusel macht deinen Schwanz nur weich. Wäre schade drum.«
Das Klopfen beginnt erneut und wird nun immer lauter, bis Benji, nackt und die Klamotten zusammengeknüllt im Arm, vom Schlafzimmer aus den Schweinestall von einem Wohnzimmer durchquert und die Tür aufreißt.
»Oh«, sagt Val mit erhobener Faust. »Äh, hallo.«
»Verzeihung«, erwidert Benji und drängt sich an ihr vorbei.
Val sieht zu, wie er den Laubengang der Wohnungsanlage, die für ledige Männer vorgesehen ist, entlangläuft. Er geht ein paar Türen weiter, lässt seine Sachen fallen und wühlt dann in seinen Hosentaschen auf dem Boden herum, bis er seinen Schlüssel findet. Er schaut hinüber zu Val und wirft ihr einen finsteren Blick zu.
»Was denn?«, fragt er.
»Hübscher Hintern«, sagt Val nur und lächelt.
»Meinetwegen«, erwidert Benji und schiebt den Schlüssel ins Schloss. »Schlag dir das schnell wieder aus dem Kopf, Schätzchen. Ich steh nicht auf Muschis.«
»Ich heiß Val«, antwortet sie lächelnd.
»Häh?«
»Ich heiß Val, nicht Muschi«, erklärt sie ihm und lächelt noch breiter.
»Lustig«, sagt Benji in einem Ton, der es sehr offensichtlich macht, dass er es nicht lustig findet. Er öffnet die Tür und wedelt mit der Hand in ihre Richtung. »Viel Spaß mit dem da. Wir hatten Hallus, fast die ganze Nacht.«
Dann fällt die Tür zu und Val dreht sich wieder dem offenen Eingang vor ihr zu.
»Ford? Ford!«, ruft sie, als sie die Wohnung betritt und die Tür hinter sich schließt. »Wir kommen noch zu spät, du Arschloch. Du bist hoffentlich nicht verkatert. Nicht heute, Alter.«
»Kein Kater«, entgegnet Stanford, als er aus dem Badezimmer kommt und sein Gesicht mit einem nassen Handtuch abreibt. »Aber ich glaube, ich hab immer noch Hallus von den Pilzen.«
»Mensch, Ford«, meint Val, als sie das heillose Durcheinander sieht. »Reiß dich mal besser zusammen oder Tante Maura reißt dir den Arsch auf.«
»Ich glaube, Benji hat das schon erledigt«, antwortet Stanford grinsend und tätschelt seinen Hintern. »Er ist ziemlich niedlich, oder?«
Val zuckt mit den Schultern. »Ich dachte, du vögelst das Thompson-Mädchen?«
»Mösen werden irgendwann langweilig«, erklärt Stanford achselzuckend. »Ich brauch einfach mal Abwechslung, weißt du?«
»Nein«, sagt Val kopfschüttelnd. »Ich bin strikt für Schwänze, mir reicht das eine Ufer voll und ganz.«
»Was auch immer dir Freude bringt, Cousinchen«, erwidert er. »Bereit?«
»Bist du denn bereit? »
»Ich bin schon bereit geboren«, antwortet er, als er seine Stiefel und ein Paar Socken nimmt und auf die Tür zeigt. »Nach Ihnen, gute Frau.«
»Vielen Dank, der Herr«, sagt sie und boxt ihm im Vorbeigehen in die Magengrube.
»Was zur Hölle soll das, Val?«, ächzt er.
»Wollte nur auf Nummer sicher gehen«, erwidert Val. »Falls du kotzen musst, sollte das besser jetzt geschehen. Ich will ja nicht, dass mein Lieblingscousin während der Teamprüfung auf einmal losspuckt.«
»Ich hab dir doch gesagt, ich hab keinen Kater«, meint Stanford und reißt Val den Wasserkrug aus der Hand. »Aber ich hab einen Scheißdurst.« Er leert den Krug zur Hälfte, gefolgt von einem Rülpser. »Das war genau das Richtige.«
»Du verfluchtes Arschloch«, knurrt Val. »Das war meine gesamte Tagesration.«
»Ach, hör auf zu jammern«, sagt Stanford, als sie zusammen die Treppe hinunter auf die Straße gehen. »Meine Mum hat bestimmt noch 'ne Menge Wasser in den Baracken.«
»Nicht heute, du Vollpfosten«, erklärt ihm Val. »Kein Wasser bis nach den Prüfungen. Dies ist schließlich ein Test, um die Besten der Besten zu finden, weißt du noch? Und die Besten kriegen bestimmt keinen Durst in der Hitze des Gefechts.«
»Nun, das ist doch vollkommener Bockmist, da ich der Beste bin und eben auch extrem durstig«, antwortet Stanford mit einem Grinsen. »Du musst dich mal entspannen, kleine Cousine. Wir spielen ganz vorne mit in Beta Eins und es ist unmöglich, dass wir es nicht ins Alphateam schaffen.«
»Klar, du kannst ja leicht reden, deine Mutter ist immerhin der verdammte Commander«, Val runzelt die Stirn, »aber ich habs nicht so leicht.«
»Du bist meine Lieblingscousine und ihre Lieblingsnichte, Val«, versichert ihr Stanford. »Und sehr viel weniger enttäuschend als ihr einziges Kind. Du hast viel bessere Chancen als ich. Scheiße, sie wird mich wahrscheinlich gar nicht reinlassen, nur um allen zu zeigen, dass sie niemanden bevorzugt.«
»Mach dir nichts draus«, meint Val und winkt einer Mutter und ihren Kindern zu, die gerade die Hühner in ihrem Vorgarten füttern. »Du bist der beste Schütze in der Festung und der zweitbeste Kämpfer.«
»Und du bist die Erstbeste, nehme ich an?«, erkundigt sich Stanford lachend.
»Nur die Beste«, sagt Val grinsend. »Kein Grund, das so kompliziert zu machen.«
Sie laufen noch ein paar Blocks weiter, vorbei an alten Backstein- und Holzhäusern, von denen viele mit diversen Materialien geflickt sind. Während der Zombie-Apokalypse muss man eben nehmen, was man kriegt, und sich zu helfen wissen. Nach einem weiteren Block begegnen sie einer kompletten Familie, die Kampfübungen in der Einfahrt veranstaltet. Vater und Mutter weisen die Kinder an, wie man eine Axt richtig hält und wohin man zielen muss, um einen Z lahmzulegen.
Auf den Kopf natürlich.
Sie sehen Val und winken freundlich. Val winkt zurück. Stanford winkt ebenfalls, aber die Frau stellt sich mit zornigem Blick vor ihren Ehemann.
»Ford, du hast doch nicht etwa …?«, fragt Val und schüttelt den Kopf, als sie an der Familie vorbei um die nächste Kurve laufen. »Der Typ hat Kinder!«
»Ich weiß nicht, ob ich ihn hatte oder nicht«, erwidert Stanford. »Kommt mir zumindest nicht bekannt vor.«
»Schlampe!« Val schmunzelt.
Stanford zuckt nur mit den Schultern.
Als sie auf den Broadway einbiegen, sehen die zwei Cousins mehrere Leute auf dem Weg zu dem, was einst der Campus der Universität von Colorado gewesen ist und nun als Teambaracken und Kommandozentrum dienen.
»Ich weiß immer noch nicht, warum die Prüfungen so eilig sind«, sagt Stanford. »Das ganze Programm so nach vorne zu ziehen ist schon eigenartig, meinst du nicht auch?«
»Ich weiß nicht. Hat dir Tante Maura denn gar nichts erzählt?«
»Meine liebe Mutti hat kein Wort mehr mit mir gesprochen, seit wir von der letzten Tour in D-Town zurückgekommen sind«, erklärt Stanford. »Sie war nicht sehr erfreut über die Sache, die ich dort abgezogen hab.«
»Du hättest den gesamten fünften Sektor niederbrennen können«, erwidert Val. »Sie hatte auch keinen Grund, sich zu freuen.«
»Aber ich habe ungefähr hundert Zs auf einmal erledigt, oder etwa nicht?«, fragt Stanford. »Hab sie in das Gebäude gelockt, mit mir als verdammten Lockvogel, hab die Türen verriegelt und dann ein Streichholz entzündet.«
»Ich sag ja nicht, dass es keine gute Idee war«, beschwichtigt ihn Val, »aber hätte sich das Feuer ausgebreitet, wäre es die reinste Katastrophe geworden.«
»Hätte, hätte, ja, ja«, meint Stanford schulterzuckend. »Was soll man machen?«
»Ich werd meinen Schwanz in deinem Arsch abbrechen, du Schwuchtel«, ruft ein kleiner, dicker Mann, der hinter den beiden angerannt kommt. »Und dann lass ich dich noch nach mehr betteln.«
»Jeder, der deinem winzigen Pimmel ausgesetzt wird, bettelt nach mehr«, antwortet Stanford. »Damit man wenigstens überhaupt was bekommt.«
»Du kannst mich mal, Lee«, erwidert der Mann.
»Das Kompliment gebe ich nur zurück«, sagt Stanford lächelnd und klatscht seine Hand ab.
»Hey, Val, du lässt dich von diesem Wichser hier nicht ablenken, in Ordnung?«
»Also bitte«, sagt Val. »Ich ignoriere diesen Scheiß seit meiner Geburt.«
Gute zehn Jahre älter als seine Cousins, läuft Coleman Wright neben ihnen her, oben ohne, um die sehnigen Muskeln und die rosa Narben, die seine dunkelbraune Haut zieren, der Öffentlichkeit zu präsentieren. Schweiß bedeckt seine Brust und er wischt ihn beiläufig ab und schleudert ihn zur Seite.
»Alter«, ruft Val angewidert. »Igitt.«
»Oh, hast du was abbekommen?«, fragt Cole und schnappt sie sich für eine dicke Umarmung.
»Verpiss dich, Coleman«, schreit Val, kurz bevor sie ihm einen Kopfstoß verpasst.
»Au! Herrgott, Val«, stöhnt Cole und lässt sie los. »Du musst mal den Unterschied zwischen Spaß und Ernst lernen.«
»Und du kannst mal aufhören, mich in deinem Schweiß baden zu wollen«, erwidert Val.
»Komm schon«, Cole zwinkert ihr zu. »Du stehst doch drauf. Was hältst du davon, heute Abend mal zu testen, wie sehr du darauf stehst?«
»Nein«, sagt Val knapp.
»Komm schon«, bittet sie Cole. »Weißt du noch an Sylvester? Sag mir nicht, das war nichts für dich.«
Val verdreht die Augen. »Die Antwort lautet immer noch nein. Ich bin mit Hamish zusammen.«
»Terlington?«, fragt Cole lachend. »Doktor Langeweile?«
Val zuckt mit den Schultern.
»Die Lady hat Nein gesagt, Cole«, meint Stanford. »Aber ich bin immer für etwas Schwitzerei zu haben.«
»Himmel, Ford«, entgegnet Cole. »Du bist so eine Schlampe.«
»Du bist schon der Zweite, der mir das heute Morgen gesagt hat«, antwortet Stanford mit einem Lächeln.
Cole beginnt nun, auf die jungen Frauen in der Menge zu zeigen und ihnen zuzuzwinkern, als sie sich dem Gebäude nähern, das einst als Carlson Sporthalle bekannt gewesen ist. Der Namenszug lässt sich über der Tür immer noch erahnen. Die meisten der jungen Frauen verziehen das Gesicht und schauen weg, aber manche lächeln breit, erfreut über die Aufmerksamkeit des Teamleiters von Denver Team Beta Zwei.
»Na, wer ist jetzt die Schlampe?«, ruft Stanford und lacht über Colemans Gehabe.
»Ich kann gar keine Schlampe sein, wenn ich keine abbekomme«, erwidert Cole. »Gut zum Amüsieren, aber leider nicht fürs Vögeln.«
»Och, du armes Baby«, sagt Val. »Vielleicht kriegst du ja später Mitleidssex von mir.«
»Ich nehm alles Mitleid, das du mir geben willst«, erwidert Cole strahlend.
Die Menge am Eingang steht sehr dicht und die Drei müssen sich einen Weg hindurch bahnen. Sie machen sich gar nicht erst die Mühe, sich zu entschuldigen, da die Leute vor ihnen automatisch aus dem Weg gehen, sobald die Kameraden erkannt werden.
Die Stimmung und Einstellung der drei Kameraden schlägt schnell von Klugschwätzerei zu Konzentration um. Kein lüsternes Geplänkel mehr und keine sarkastischen Beleidigungen. Sie befinden sich nun in der Sporthalle und ein Kamerad albert nun mal nicht herum in der Sporthalle.