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Die Medien stehen enorm unter Druck – politisch und technisch. Der Wert professioneller Nachrichten und Faktenanalysen scheint zugunsten populistischer Botschaften extrem abzunehmen. Für die Demokratie ist guter und unabhängiger Journalismus jedoch lebenswichtig. Wie sieht die Presselandschaft in 20 Jahren aus? Wie wollen wir künftig informiert werden? Wie können Fachleute in diesem Beruf weiterhin existieren? Wie begegnen wir zunehmenden Desinformationsversuchen? Der langjährige Vorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbandes, Reporter und Medienexperte Frank Überall entwirft verschiedene Szenarien, wohin sich der Journalismus entwickeln wird und zeigt Wege auf, wie informierende Medien künftig funktionieren können. Die zentrale Frage ist dabei, ob und wie sie sich an die geänderten Rezeptionsbedingungen anpassen. Während sich die wesentlichen Maßstäbe und ethischen Grundlagen journalistischen Arbeitens nicht ändern werden, wird die »Darreichungsform« immer vielfältiger und variabler sein.
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Seitenzahl: 248
Frank Überall
DEADLINE FÜR DEN JOURNALISMUS?
Wie wir es schaffen, nicht zur Desinformationsgesellschaft zu werden
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
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ISBN 978-3-8012-0683-3 [Printausgabe]
ISBN 978-3-8012-7063-6 [E-Book]
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Vorwort
1. Journalismus in unserer Gesellschaft
2. Drucken, senden, digital verbreiten
3. Gefahren für den Journalismus heute
4. Visionen für den Journalismus
5. Exkurs: KiVVON
6. Appell für guten Journalismus
7. Kernthesen gegen die Deadline für den Journalismus
Über den Autor
Angefangen hat alles in der Schule. Ein Klassenkamerad konnte gut zeichnen. Comics, die lustige Geschichten erzählten, gerne auch über unsere Lehrerinnen und Lehrer. Ich konnte und kann gar nicht zeichnen, dafür aber schreiben. Also tauschten wir während des Unterrichts zusammengefaltete Zettel aus mit Witzchen über die Schulstunden. Da wir aber nie zusammensitzen durften, weil wir sonst zu unruhig waren, mussten die kleinen Briefe quer durch die ganze Klasse transportiert werden. Alle, die sie weitergeben sollten, öffneten sie natürlich erst einmal und schauten sich unter zuweilen lautem Gelächter die Zeichnungen und Texte von uns an. Das störte die Klassenruhe natürlich gewaltig und war den Lehrern ein Dorn im Auge bis hin zum Verbot. Deshalb entschieden wir uns dazu, unsere Beiträge lieber auf größere Blätter zu bannen und eine ausgewachsene Zeitung daraus zu machen. Auf einmal waren wir vom Austausch kleiner Zettel auf die große (Schul-)Bühne gelangt, hatten als Schülerzeitungsredaktion plötzlich jede Menge Aufmerksamkeit. Das machte süchtig nach mehr.
Dieses »Mehr« lebte ich nach einem Umzug innerhalb meiner Heimatstadt Köln bei einem Anzeigenblatt aus. Einmal wöchentlich wurde der Wochenspiegel kostenlos an alle Haushalte verteilt. Und ich hatte dort Chefs, die redaktionell ehrgeizig waren: Es sollte ausdrücklich auch exklusive und politische Berichterstattung geben. Durchaus ungewöhnlich für ein Gratisblatt. Dafür durfte ich viel unterwegs sein.
34 PS sind gar nicht so leicht zu bändigen. Das war der Spruch, mit dem ich stets stolz meinen Fiat Panda vorgestellt habe. Es war ein zwar kleines, kompaktes und zuweilen etwas langsames Auto. Aber eines, das mich nicht ständig im Stich ließ wie einige im Wortsinn billige Schrottanschaffungen vorher. Kurz nach Abitur und Führerschein musste ich die bittere Erfahrung machen, dass besonders preisgünstige Altautos keine sinnvolle Option sind, wenn man es als freiberuflich tätiger Journalist höchst eilig hat.
Der weiße Kleinwagen mit seinen campingähnlichen Stühlen war nicht besonders bequem. Aber er war eben so klein, dass er in eine übersichtliche Parklücke oder notfalls sogar auf den Bürgersteig passte, wenn man unter Zeitdruck im aktuellen Einsatz zu einem Termin wollte. Notizblock und Fotoapparat waren dabei immer mit an Bord. Und dazu noch ein wahres Ungetüm, das für mich in gewisser Weise die heute allgegenwärtigen Laptops oder Tablets vorwegnahm: Meine Reiseschreibmaschine! Die mechanische Konstruktion mit ihren Buchstabentypen hat mir über viele Jahre treue Dienste geleistet. In Pausen zwischen Terminen habe ich oft ein Blatt Papier eingespannt, um keine Zeit zu verlieren und bereits erste Texte über die soeben besuchten Veranstaltungen zu tippen.
Nach Redaktionsschluss musste die Zeitung natürlich erst einmal hergestellt werden. Eine Aufgabe, die ich neben den Reportereinsätzen ebenfalls wahrnehmen durfte: Artikel auswählen, sie zu der später gedruckten Ausgabe zusammenstellen. Dafür wurden die Texte in Spaltenform auf Spezialpapier ausgedruckt. Das wiederum wurde auf der Rückseite mit Wachs versehen. So konnten sie auf Montagetischen zu Zeitungsseiten zusammengesetzt werden, die dann abfotografiert und gedruckt wurden. Heute funktioniert das alles am Computer. Ohne Papier und Wachs.
Überhaupt: Es hat sich vieles geändert seit den 1990er-Jahren. Damals gab es keine Mobiltelefone, keine Laptops, keine digitalen Fotoapparate. Der Journalismus hat sich verändert - und unsere Konsumgewohnheiten in Sachen Medien auch. Und zwar ziemlich grundsätzlich.
In diesem Buch zeichne ich diese Entwicklung nach, beschreibe den Ist-Zustand des Journalismus und entwerfe Visionen für die Zukunft: Das alles auf der Grundlage von aktuellen Beispielen, aber auch auf der von eigener Erfahrung und aus verschiedenen Blickwinkeln. Als Reporter, der für nahezu alle Mediengattungen und Formate berichtet hat. Als Medienwissenschaftler, der seit vielen Jahren junge Menschen in diesem Berufsfeld ausbildet. Und als langjähriger Interessenvertreter, etwa als Bundesvorsitzender des Deutschen Journalisten-Verbands (DJV).
Ich bin der festen Ansicht, der Journalismus darf nicht sterben. Um sein Ableben zu verhindern, kommt es aber entscheidend darauf an, dass er sich modernisiert, sein gesellschaftlicher Wert als unverzichtbar für unsere Demokratie vehement in die Aufmerksamkeit rückt und wir Wege finden, wie seriöse Nachrichten und Einordnungen unsere Meinungsbildung ermöglichen. Und natürlich geht es dabei auch darum, den Fachkräftemangel dieser Branche und zu seiner Behebung den Kampf um die besten Köpfe und Talente nicht aus den Augen zu verlieren – ganz gleich, ob solche Köpfe eher schreiben oder zeichnen können, analog oder digital berichten wollen, Allrounder oder Spezialisten sind.
In diesem Buch werden viele konkrete Beispiele für Entwicklungen genannt, die allerdings als mögliche zu verstehen sind. Das vorliegende Werk ist keine rein wissenschaftliche Arbeit, die um Vollständigkeit der Darstellung bemüht ist. Mir geht es vielmehr darum, Entwicklung und Gegenwart des Journalismus überblicksartig zu erläutern, um auf dieser Grundlage Szenarien für die Zukunft zu entwerfen, die zur Grundlage für anstehende Diskurse beitragen können. Es liegt an uns allen, welche dieser Visionen dann Wirklichkeit werden!
Frank Überall
Sommer 2024
»Deadline« bezeichnet den Zeitpunkt, an dem das Produkt journalistischen Schreibens fertig zur Veröffentlichung und Auslieferung ist und - zumindest war das in der Vergangenheit so - nichts mehr an der Zeitung oder Zeitschrift geändert werden kann. Besonders im Bereich des Printjournalismus spielt das bis heute eine große Rolle. Wenn die ersten Exemplare die Druckmaschine verlassen haben, können Texte oder Bilder nicht mehr korrigiert oder ausgetauscht werden. Zeitungen und Zeitschriften brauchen ein solches enges Zeitkorsett, um pünktlich erscheinen zu können. Denn darauf setzen die Konsumentinnen und Konsumenten: Dass sie zum gewohnten Zeitpunkt das Produkt in den Händen halten können, das ihnen die erwartete Information und Einordnung (sowie auch Unterhaltung) bietet. Die sogenannte Periodizität, also die Regelmäßigkeit der Veröffentlichung, ist in der wissenschaftlichen Definition eine der wichtigsten Komponenten zur Beschreibung von Journalismus. Damit unterscheidet sich dieser Bereich eben fundamental von anderen, gelegentlichen Veröffentlichungen, zum Beispiel im Internet. Es ist nicht das einzige Merkmal zur Differenzierung professioneller, redaktioneller von anderen Publikationen, aber eben doch ein sehr wichtiges.
Was bis zur »Deadline« nicht recherchiert, formuliert, geprüft und in Form gebracht worden ist, findet in der zur Veröffentlichung anstehenden Ausgabe keinen Platz. Im Notfall muss ein »Stehsatz« auf die Stelle gesetzt werden, für die der nicht fertig gewordene Bericht geplant war. Als Stehsatz bezeichnet man vorproduzierte Beiträge, die zeitlos eingesetzt werden können. Für Tageszeitungen, die in Druckereien hergestellt werden, ist das heute noch üblich. Auch für Rundfunkprogramme ist es notwendig, eine gewisse Disziplin an den Tag zu legen: Natürlich kann man in einer Live-Sendung noch eine ganz aktuelle Eilmeldung unterbringen, man kann aber nicht die gesamten Inhalte in letzter Minute zusammenstellen. Nur im Netz scheint es keine Deadline mehr zu geben: Rund um die Uhr kann veröffentlicht werden, und manche Redaktionen experimentieren längst mit Menschen, die irgendwo auf der Welt Beiträge fertigen und online stellen. Der Vorteil ist, dass die Löhne beispielsweise in Indien viel niedriger sind, außerdem kann aufgrund der Zeitverschiebung auch nachts, an Wochenenden und an Feiertagen gearbeitet werden, ohne dass für den Arbeit- oder Auftraggeber in Deutschland Zuschläge anfallen. Ob die inhaltliche Qualität so aber gehalten werden kann, darf durchaus in Frage gestellt werden. Und überhaupt ist die ständige Jagd nach dem aktuellsten Artikel und der schnellsten Schlagzeile nicht immer zielführend, wenn es um seriöse Information geht.
Historisch gesehen sind Massenmedien immer noch »Neuland«. Der Begriff mag an dieser Stelle irritieren, das ist aber durchaus beabsichtigt. Im Jahr 2013 hatte sich die Republik noch darüber lustig gemacht, als die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) dieses Wort im Zusammenhang mit dem Internet verwendete. Dass jedoch eine Debatte über die Anwendung elektronisch-digitaler Handwerkszeuge notwendig war (und auch heute noch ist!), wurde bei der allgegenwärtigen Aufregung ausgeklammert. Es war einmal wieder der schnelle, schillernde und emotionale Effekt, der meinungsstark und personalisiert Raum gegriffen hatte – es war ja auch viel einfacher, sich über die Kanzlerin zu amüsieren als anstrengende Diskurse zu führen und womöglich auch das eigene Verhalten im Netz zu hinterfragen.
Dieses »Neuland« ist nicht nur für Alte und »Boomer«, sondern für eigentlich alle Altersklassen als Herausforderung zu uns gekommen. Innerhalb der Zeitspanne einer Generation hat sich die öffentliche Kommunikation drastisch verändert. Und wie es bei neuer Technik häufig ist, wollte man zunächst gar nicht daran glauben, dass sich das wirklich auf breiter Basis durchsetzen könnte. Ein schönes Beispiel dafür lieferte der Hamburger »Zukunftsforscher« Matthias Horx in einem Interview, das im Jahr 2001 die österreichische Nachrichtenagentur APA mit ihm geführt hatte und das auf der Webseite von Der Standard heute noch nachzulesen ist. »Das Internet wird sich einer Studie zufolge auf absehbare Zeit nicht zu einem Massenmedium wie Radio und Fernsehen entwickeln«, sagte Horx damals wagemutig voraus. Im Gegensatz zu Telefon oder Radio sei das World Wide Web eine »kompliziert zu bedienende Angelegenheit«. Eine »Breitennutzung« werde es nicht geben, da die Menschen »mit der Technik und Informationsvielfalt« überfordert seien. Horx prophezeite, Gebildete würden das Netz für ihre Zwecke nutzen und so gegenüber den Nicht-Nutzenden eine »digitale Spaltung« entstehen. Zugleich plädierte er dafür, der Zugang zum Internet müsse »einfacher und billiger« werden und außerdem die Software sicherer und einfacher zu bedienen sein.
In den letztgenannten Punkten sollte Matthias Horx Recht behalten, wenngleich er die Dynamik unterschätzt hatte, mit der sich das Internet und seine Nutzung entwickeln sollten. Innerhalb von gut zwei Jahrzehnten hat es auf breiter Front in die Nutzungsgewohnheiten fast aller Menschen massiv Einzug gehalten. Auch wenn manche mit dem Leben im Digitalen fremdeln, lässt sich nicht von der Hand weisen, dass das Netz längst zu einem Mittel der Massenkommunikation geworden ist. Das hat auch Folgen für den Journalismus.
Aber gehen wir noch einen (weiten) Schritt zurück in die Vergangenheit: Bevor es überhaupt analoge Massenmedien gab, war Öffentlichkeit gänzlich anders strukturiert. Ob das »Forum« im alten Rom, die »Agora« bei den antiken Griechen oder auf dem »Marktplatz« der Moderne: Immer waren es Menschen, die sich versammelten und Neuigkeiten austauschten und verhandelten. Die Distanz, die durch Buch- und Zeitungsdruck sowie später elektronische Medien wie Radio und Fernsehen entstand, war damals noch nicht gegeben. Es waren überschaubare Einheiten, wenn sich Menschen vor Ort getroffen und ausgetauscht haben. Nachrichten konnten nur mündlich oder – mangels entsprechender Kompetenzen nur von einem vergleichsweise kleinen Teil der Bevölkerung – handschriftlich übermittelt werden. Das hat sich sehr grundsätzlich verändert, bis hin zur heutigen Situation im »Neuland«, das sich technisch und inhaltlich permanent schneller erneuert als die Kompetenzen der Nutzenden.
Beschäftigt sich man mit offiziellen Statistiken über die zeitgenössische Nutzung von Medien, klingen die Ergebnisse erst einmal gewöhnungsbedürftig. Jedes Jahr lassen ARDund ZDF für ihre Studie zum Trend der Massenkommunikation Menschen befragen, wie intensiv sie welche Medien nutzen. Satte sieben Stunden (421 Minuten) Medienkonsum täglich wurden da jüngst festgestellt, was ein enormer Anteil am 24-Stunden-Tag ist. Wie wenig man solchen statistischen Durchschnittsbildern selbst entspricht, lässt sich auch an der Dauer des täglichen Schlafes ablesen, der in der aktuellen Studie mit 221 Minuten am Tag (also nicht einmal vier Stunden) angegeben wird …
Trotzdem bleibt die repräsentative Studie eine gute Grundlage, um Veränderungen des Nutzungsverhaltens zu beobachten. Wenn allgemein von Medien die Rede ist, müssen dabei verschiedene Aspekte beachtet werden. So ist es gerade bei Radio und Fernsehen so, dass man nicht immer konzentriert die Sendungen verfolgt. Das Gerät ist halt angeschaltet, wird als »genutzt« registriert, faktisch werden die dort vermittelten Inhalte aber gar nicht richtig zur Kenntnis genommen. Wenn Musik aus dem Radio oder die Stimmen aus dem Fernseher bloß als Hintergrundgeräusche dienen, sei es im Haushalt oder auf dem Weg zur Arbeit, gibt das nur bedingt Einsichten in die tatsächliche »Nutzung« des Mediums – vor allem, wenn es um das Thema geht, das uns in diesem Buch beschäftigt: den Journalismus.
Wenn man sich den gesamten Medienkonsum anschaut, ist es auch wichtig, Informationen und andere Darbietungen zu unterscheiden. Wer sich eine unterhaltende Komödie oder ein »Fest der Volksmusik« im Fernsehen anschaut, hat damit zwar ein wertvolles kulturelles, aber eben noch kein Informationsbedürfnis gestillt. Man muss also genau hinschauen, wenn man lange Nutzungszeiten wie durchschnittlich 202 Minuten an Bewegtbild und 186 Minuten an Audio zur Kenntnis nimmt. Text ist mit 54 Minuten am Tag gegenüber den anderen Mediengattungen inzwischen deutlich ins Hintertreffen geraten. Videos werden immer häufiger geschaut, wenn auch zunehmend eher im Netz als im linearen Fernsehen.
In einem darf sich Zukunftsforscher Matthias Horx aber bestätigt fühlen: Es gibt tatsächlich so etwas wie eine »digitale Spaltung«. Ältere ab 50 sind eher linear unterwegs, schauen oder hören sich also Sendungen an, während sie ausgestrahlt werden. Jüngere dagegen konsumieren diese eher digital. Das wiederum hat den Vorteil, dass man nicht an starre Sendezeiten gebunden ist. Mediatheken und Portale sind jederzeit abrufbar, ganz so wie es der eigene Tagesablauf erlaubt, unabhängig nicht nur von der Zeit, sondern dank mobiler Geräte auch vom Ort des Medienkonsums.
Auch die »Stiftung für Zukunftsfragen« bestätigt in ihrem Freizeit-Monitor für 2023 diese Trends der Mediennutzung: Radio und Printprodukte verlieren, digitale Kanäle gewinnen massiv hinzu. Fast jeder zweite Mensch, der für die Studie befragt wurde, gab an, täglich auf eine Social Media-Seite zu gehen. Damit habe sich diese Art der Nutzung in den vergangenen zehn Jahren verdoppelt. Mehr als zwei Drittel seien laut Freizeit-Monitor mindestens einmal in der Woche auf Social Media aktiv. Wir sind also gerade mittendrin in einem fundamentalen Medienwandel, erleben ihn »live« mit. Es lohnt sich also, hier genauer hinzuschauen. Da ist es hilfreich, wenn das Hamburger Hans-Bredow-Institut ebenfalls regelmäßig untersucht, wie verschiedene Medien genutzt werden – und wie dabei insbesondere Nachrichten die Zielgruppen erreichen. In seinem Reuters Institute Digital News Report für 2024 wird in Bezug auf Deutschland ausgeführt, dass gerade junge Menschen Social Media nutzen, um an Nachrichten zu kommen. Demnach liegt Instagram mit 27 Prozent bei den 18- bis 24-Jährigen an der Spitze, in der Altersgruppe wird zu 13 Prozent auch TikTok dafür verwendet, YouTube kommt auf 21 Prozent.
Wir nehmen unsere Welt jedenfalls hauptsächlich vermittelt über Medien wahr. Das klingt erst einmal vermessen, wenn es in einem Buch steht, das explizit als Debattenbeitrag Position für den Journalismus bezieht. Vielleicht ist es zur Begründung hilfreich, dass der einflussreiche Soziologe Niklas Luhmann das ebenso formuliert hat: »Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien.« Tatsächlich müssen wir uns bewusst machen, dass wir schlicht nur einen Teil des gesellschaftlichen Lebens aus eigener Erfahrung wahrnehmen können. Selbst aus Erzählungen von Familie, Freunden und Bekannten können wir uns nur einen kleinen Teil der Welt erschließen. Wir brauchen Medien, damit uns Nachrichten und Beschreibungen aus aller Welt erreichen. Dazu gehört auch schon die Welt in unserer Bundeshauptstadt. Welche Bürgerin, welcher Bürger hat überhaupt schon einmal ein Mitglied der Bundesregierung persönlich gesehen, geschweige denn kennengelernt und konnte sich mit ihm über das Für und Wider seiner Politik austauschen? Es dürften sehr, sehr wenige sein. Um uns also orientieren zu können, brauchen wir professionell Beobachtende, die uns im Wortsinn Bericht erstatten.
Wir alle nutzen Medien, auch journalistische. Wir sind von Natur aus neugierig, wir gieren nach Nachrichten, wollen mitreden können. Wir wollen wissen, was in unserer Gesellschaft los ist. Was da los ist, wo wir leben. Welche Bedrohungen, welche Chancen, welche Vorbilder es außerhalb unseres ganz persönlichen Nahbereichs gibt. Wir können nicht überall sein – deshalb brauchen wir Menschen, die uns darüber berichten. Das heißt nicht einfach solche, die uns etwas erzählen, sondern solche, bei denen wir uns darauf verlassen können, dass sie die Realität auf der Grundlage von Professionalität und Berufsethos wahrheitsgemäß darstellen. Das ist der Deal, den der Journalismus mit seinem Publikum hat, aus ihm leitet sich eine besondere gesellschaftliche Verantwortung ab.
Die Wissenschaft, die sich mit Journalismus und Publizistik beschäftigt, verfügt über zahllose Ansätze zu deren Beschreibung. Die wichtigsten Kategorien erklären dabei die Funktionen von Journalismus aus verschiedenen Blickwinkeln. Die erste ist die Informationsfunktion. Bei ihr geht es darum, Öffentlichkeit herzustellen. Dazu gehört es auch, unterschiedlichen Meinungen Raum zu geben und nicht einseitig zu berichten. Die Bevölkerung muss die Gelegenheit bekommen, sich mithilfe von Massenmedien zu artikulieren. Denn genauso wie die einzelne Bürgerin oder der einzelne Bürger selten die Möglichkeit hat, direkt auf Politikerinnen und Politiker Einfluss zu nehmen, verhält es sich auf der Seite der politisch Tätigen: Sie sind darauf angewiesen, durch glaubwürdige Darstellungen ein Bild vom Zustand und von den Gedanken der Gesellschaft zu bekommen. Journalismus arbeitet diese Situation auf und präsentiert sie in seinen Publikationen.
Umgekehrt müssen Entscheidungen der Regierenden in der breiten Masse kommuniziert werden. Wenn beispielsweise Steuergesetze oder Strafvorschriften geändert werden oder wenn die Müllabfuhr seltener kommt, sollte es kein Zufall sein, dass sich das herumspricht. Politik besteht schließlich darin, allgemein verbindliche Regeln zu finden, die dann auch kommuniziert werden, damit sie von allen eingehalten werden. Diese Kommunikation leisten die Massenmedien. Aber eben nicht nur: Zugleich ist es ihre Aufgabe, den politischen Diskussionsprozess zu begleiten und zu erläutern, bevor beziehungsweise während solche Entscheidungen getroffen werden – auch, damit die so informierten Menschen die Möglichkeit haben, ihre Interessen gegenüber den (repräsentativ) Herrschenden frühzeitig zu artikulieren. In diesem Zusammenhang spricht man auch von den Medien als »vierter Gewalt«. Natürlich gehört der Journalismus in Deutschland ausdrücklich nicht zu den formellen staatlichen Gewalten Legislative, Exekutive und Judikative. Er ist nach dem Zweiten Weltkrieg in der demokratischen Bundesrepublik bewusst staatsfern organisiert worden. Aber er hat die gesellschaftliche Aufgabe, die Mächtigen zu kontrollieren. Dazu gehört beispielsweise, auf Missstände aufmerksam zu machen und Verantwortliche zu benennen. In repressiven Staaten ist das kaum, in Diktaturen meist gar nicht möglich.
Die zweite Medienfunktion ist die der Sozialisierung. Forschende beschreiben damit die Vermittlung von Normen, Werten und Verhaltensmustern. Durch die – durchaus auch kritische – Spiegelung der Verhältnisse in der Berichterstattung soll eine gesellschaftliche Integration und Identifikation der Individuen sichergestellt werden. Damit einher geht auch die dritte Funktion der Orientierung, die vor allem in der Regelmäßigkeit der Information und der Schilderung von Zusammenhängen und Beweggründen gegeben wird. Die vierte Funktion wird im Fachdeutsch etwas sperrig als »Rekreation« beschrieben. Dabei geht es schlicht um Ablenkung, Zerstreuung und Unterhaltung. Auch das gehört zum Leben, und nicht jede oder jeder möchte sich ständig mit anstrengenden Themen auseinandersetzen.
Es geht also bei professionellen Medien vor allem um eine gesellschaftliche Beobachtung und Beschreibung, die wir in der Regel allein nicht leisten können oder wollen. Informationen sind wichtig zur Orientierung, gerade in einer Demokratie, in der es als mündige Bürgerin oder Bürger darum geht, politische Entscheidungen zu beeinflussen – sei es durch die Teilnahme an Wahlen, durch Petitionen oder schlicht durch öffentliche Äußerungen. Denn die Summe all dessen, was in der mehr oder weniger großen Öffentlichkeit gesagt und getan wird, macht unseren gemeinsamen Diskurs aus. Genau da aber wird es in diesen Zeiten schwierig.
Weltweit ist die Demokratie schon nicht mehr die bevorzugte Staatsform. Die britische Economist-Gruppe hat ermittelt, dass im Jahr 2024 nur noch 45,7 Prozent der Weltbevölkerung »in einer Form der Demokratie« leben. Das ist weniger als die Hälfte. Und selbst bei diesen Staatsformen werden auch noch recht autoritäre »Demokratien« mitgezählt. Insgesamt beobachten die Fachleute in ihrem »Demokratie-Index« zudem weltweit eine Zunahme an gewaltsamen Konflikten. Auch Deutschland ist gegen diesen internationalen Trend nicht gefeit. Die repräsentative »Akzeptanzstudie« der ARD kam im Jahr 2023 zu dem Ergebnis, dass nur 54 Prozent der Deutschen mit der Demokratie zufrieden sind – ein drastisches Minus gegenüber den Vorjahren. Im Osten des Landes seien es sogar nur 33 Prozent.
Unterdessen gibt die »Mitte-Studie« der Friedrich-Ebert-Stiftung traditionell Einblicke in die zuweilen distanzierten bis ablehnenden Einstellungen gegenüber der Demokratie in der Bundesrepublik. In der aktuellen Ausgabe der Untersuchung, die im Herbst 2023 vorgestellt wurde, sind durchaus Besorgnis erregende Zahlen nachzulesen. Demnach teilen acht Prozent der Bevölkerung ein rechtsextremes Weltbild, einige davon träumen ausdrücklich von einer Diktatur. Die Forschenden haben ein »Gefühl mangelnder politischer Selbstwirksamkeit« festgestellt und beschreiben eine »Normalisierung rechtsextremer Positionen«. 38 Prozent der Befragten vertreten verschwörungsgläubige Positionen. Das ist weit mehr als jede oder jeder Dritte in unserem Land. Viele fühlen sich also nicht mehr hinreichend in Gesellschaft und Politik repräsentiert – und somit offenbar auch nicht in den journalistischen Medien.
Interessant sind in diesem Zusammenhang Erhebungen zum Vertrauen in die verschiedenen gesellschaftlichen Institutionen. Nach einer Forsa-Studie im Auftrag der Illustrierten Stern sowie der Sender RTL und ntv Anfang 2024 sind es vor allem Ärztinnen und Ärzte, Polizei und Universitäten, denen die Menschen in unserem Land am meisten Vertrauen schenken. Soziale Netzwerke schneiden dramatisch schlecht ab, Politik und Regierung recht mager. Im Mittelfeld liegen dagegen die Medien mit bis zu 50 Prozent. Allerdings scheint es schwierig zu sein, das Vertrauen tatsächlich empirisch zu messen. Die Ergebnisse der zahlreichen Studien sind im Detail durchaus unterschiedlich. Es lässt sich aber ein Trend erkennen, der nicht allein an Krisen wie der Corona-Pandemie liegen kann. So stellte das Hans-Bredow-Institut in seinem Reuters Institute Digital News Report 2023 fest, dass für dieses Jahr in Deutschland der niedrigste Wert des Vertrauens in Nachrichten seit Beginn der jährlichen Erhebungen 2015 gemessen wurde. Nur 43 Prozent waren noch der Meinung, dass man den Großteil der News glauben könne. Zugleich ergab die Bestandsaufnahme, dass insgesamt immer weniger Interesse an Nachrichten und an Politik existiert. Mehr als die Hälfte der Befragten gab an, sich vor allem über Texte im Internet zu informieren. Im neuen Reuters Digital News Report wurde dann 2024 erstmals festgestellt, dass das Internet das Fernsehen als am häufigsten genutzte Quelle für Nachrichten abgelöst habe. Das ist ein extrem hoher Wert und schließt wohl nicht nur den Qualitätsjournalismus im Netz, sondern auch die dort kursierenden unseriösen Quellen mit ein, die von manchen als »Nachrichten« wahrgenommen werden.
Einzelbeobachtungen der Gesellschaft gibt es in den sogenannten sozialen Netzwerken recht viele. Sie zusammenzuführen und zur Diskussion zu stellen, ist Aufgabe des Journalismus. Dabei kann und darf es nicht allein darum gehen, konkurrierende Meinungen und Gruppen gegenüberzustellen, womöglich sogar gezielt gegeneinander aufzuhetzen. Journalismus hat in einer demokratischen Gesellschaft auch die Aufgabe, das Verbindende zu finden, Kompromisslinien zu eruieren und eben die Fakten und Argumente zu liefern, um die dann im Wettstreit der Öffentlichkeit gerungen wird. Dabei haben wir uns aber immer wieder bewusst zu machen, dass zum Journalismus auch Selbstkritik gehört. Journalismus konstruiert die Wirklichkeit, indem er als Brennglas der Wahrnehmung auftritt. Bei der ernsthaften Korrektur von dabei immer möglichen Fehlern oder Fehleinschätzungen können soziale Netzwerke eine große Rolle spielen – wenn es denn um ernsthafte Auseinandersetzungen abseits von Hass und Hetze geht.
Deshalb gehört Journalismus auch zur Daseinsvorsorge. Es gibt verschiedene Bereiche, die der Gesellschaft zum Leben, zum »Dasein«, elementar wichtig sind. Dazu zählt beispielsweise die strukturelle Versorgung mit Wasser und Energie - aber eben auch mit Informationen. In der Zeit der Corona-Pandemie ist das für viele noch einmal sehr deutlich geworden: Es gibt diese Bereiche, die zur »kritischen Infrastruktur« gehören. Ob allerdings professionelle Medien und deren Macherinnen und Macher auch dazu gehören, wurde in einzelnen Bundesländern im Detail durchaus unterschiedlich gesehen. So wurde darüber gestritten, ob Medienschaffende bevorzugt geimpft oder von Ausgangssperren ausgenommen werden dürfen und ob sie einen privilegierten Zugang zur Kinderbetreuung bekommen. Letztlich aber war man sich einig: Um die Bevölkerung glaubhaft zu informieren, müssen Journalistinnen und Journalisten ihrer Arbeit nachgehen können. Sie sind relevant für das System unseres Zusammenlebens, denn ansonsten bliebe nur noch die Information durch staatliche Stellen übrig – ganz ohne kritisches Nachfragen und Einordnen. Für eine gesellschaftliche Debatte wird eben auch in Krisenzeiten ein gemeinsamer Informationshaushalt gebraucht, der nach professionellen Kriterien erstellt wird.
Journalismus ist deshalb auch ein Kulturgut. Er ist kein reines Wirtschaftsgut und sollte auch nicht als solches betrachtet werden – wenngleich auf der Hand liegt, dass die Erstellung und die Verteilung der redaktionellen Produkte natürlich finanziert werden müssen. Kultur umfasst nicht nur die künstlerischen, sondern auch die geistigen Leistungen einer Gesellschaft. Bei der soziologischen Betrachtung von Kultur geht es unter anderem um unser aller Handeln im Alltag. Der Journalismus als »meritorisches Gut«, wie es Fachleute definieren, hat wie Gesundheitsvorsorge oder Theateraufführungen einen Nutzen für die Gesellschaft. In der Wirtschaftswissenschaft geht man davon aus, dass Angebot und Nachfrage bei solchen Gütern nicht allein dem Markt überlassen werden können. Stattdessen werden staatliche Eingriffe als notwendig erachtet. Das wiederum ist gerade im Bereich des Journalismus äußerst problematisch. Es kann schnell dazu führen, dass der Staat entscheidet, über was berichtet werden darf und wie berichtet wird. Im äußersten Fall kann das zu Zensur führen.
Bei der Relevanz des Journalismus als Kulturgut muss man fein unterscheiden, welche Kriterien da zugrunde gelegt werden. Journalismus ist der Gesellschaft gegenüber verantwortlich, Public Relations (PR, auch: Öffentlichkeitsarbeit) dagegen steht im Dienst einer Institution, vertritt konsequent deren Interessen. Bei der Diskussion über diese zuweilen sehr unterschiedlichen Felder wird häufig auf ein Zitat verwiesen, das dem Schriftsteller George Orwell zugeschrieben wird: »Journalismus heißt, etwas zu drucken, von dem jemand will, dass es nicht gedruckt wird. Alles andere ist Public Relations.« Prinzipiell gehen die beiden Bereiche also trotz aller handwerklichen Gemeinsamkeiten ziemlich verschieden an die Bearbeitung von Themen heran, auch wenn deren Präsentation manchmal in weiten Teilen ähnlich ist. Gute PR fußt schließlich auch auf Fakten, die journalistisch so aufbereitet werden, dass sie für das Publikum interessant sind. Es kann dort aber kraft Definition nicht darum gehen, kritisch gegenüber dem eigenen Produkt oder der Dienstleistung zu informieren, wie es im Gegensatz dazu der Journalismus macht.
Doch auch am Journalismus gibt es zuweilen Kritik. Neutralität und Objektivität beschreiben als prinzipielle Zielmarken, dass es in der Berichterstattung eben nicht um Propaganda gehen darf. Faktisch lässt sich aber nicht ausblenden, dass Journalistinnen und Journalisten Menschen sind, mit einer entsprechenden Haltung und Meinung, mit einer jeweils eigenen Sozialisation. Bei aller Professionalität wird sich das nie gänzlich ausblenden lassen. Deshalb ist es wichtig, sich sogenannte »Frames« bewusst zu machen. Diese »Rahmen« beschreiben eine bestimmte Sichtweise auf die Welt. So wird jemand, der mittel- und wohnungslos ist, die Entwicklung von Aktienkursen an der Börse sicher anders »framen« als ein gut situierter Investmentbanker. Die oft unbewusste Verwendung von Frames fängt schon bei der Sprache an, woraus sich auch die aktuellen gesellschaftlichen Debatten über diskriminierende Begriffe sowie über das Gendern erklären. Frames erschaffen Wirklichkeit, indem sie Perspektiven betonen. Aufgabe des Journalismus ist es gerade, sich nicht an einer Perspektive festzuklammern, sondern ein Gesamtbild der Situation zu liefern.
In der täglichen Praxis gibt es aber immer wieder Ausreißer. So weist die Professorin für Journalistik und Kommunikationswissenschaft an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt Friederike Hermann im Fachdienst epd medien darauf hin, dass sich Journalistinnen und Journalisten allzu häufig der »Institutionenperspektive« zuwenden, also berichten, was Politikerinnen und Politiker ihnen erzählen. Das könne zu einem »Verlautbarungsjournalismus« führen, der eine Agenda vorgibt und wichtige Perspektiven unbeleuchtet lässt. »Und Journalisten reflektieren zu selten, in welche Narrative sie dabei eingebunden werden.«
In seinen Forschungen beschäftigt sich der Medienwissenschaftler Uwe Krüger intensiv mit solchen Strukturen. Er hat in einem Gastbeitrag für die Sächsische Zeitung bereits im Sommer 2020 vor dem Hintergrund der Berichterstattung über die Corona-Pandemie dafür scharfe Worte gefunden. Es habe eine besonders »verantwortungsethische Haltung« auf der Seite der Journalistinnen und Journalisten gegeben, auch vor dem Hintergrund eines »gefühlt hohen sozialen Drucks zur Vereinheitlichung von Themenagenden und Meinungen«. Letztlich werde so aber »lediglich der Diskurs der politischen Eliten« abgebildet. Die Hypothese des »Indexing« gehe schon lange davon aus, so Krüger, dass sich Medien darauf reduzierten, »die Meinungsspanne innerhalb des politischen Establishments anzeigen«.
In der Süddeutschen Zeitung (SZ) hat Chefreporter Roman Deiniger gezeigt, wie schnell allzu große Nähe vor allem zu Politikerinnen und Politikern entstehen kann. Er beschreibt eine »komplexe, aber in dieser Komplexität auch alternativlose Beziehung von Journalisten und Politikern«, die ein »ständiger Grenzgang zwischen Nähe und Distanz« sei. In der Tat ist es wichtig, gute Kontakte aufzubauen, um an (exklusive) Informationen für die Berichterstattung zu gelangen. Manche Medienschaffende kommunizieren via SMS-Mitteilungen oder über WhatsApp mit Teilnehmenden an internen Sitzungen, um das dann teilweise noch während der Veranstaltung zu veröffentlichen. Gerade in der Bundespolitik gibt es viele Gelegenheiten zum gegenseitigen Austausch. In den Sitzungswochen des Deutschen Bundestags finden an jedem Abend Veranstaltungen statt, zu denen Medien oder Politik, Wirtschaft oder Kultureinrichtungen, Verbände und Lobbyisten einladen. »Journalisten und Politiker hocken ständig aufeinander, im Parlament, im Foyer der CSU-Zentrale oder beim Grillfest des Bundesverbandes deutscher Kieferorthopäden«, heißt es dazu bei Deiniger zugespitzt.
Eine andere Variante der Verlockungen wird zwar noch häufig in der Öffentlichkeit diskutiert, hat aber weitgehend ihre Funktion verloren: Der Presseausweis ist längst keine Rabattkarte mehr. In früheren Zeiten gab es kaum etwas, was man nicht billiger bekommen konnte, wenn man einen Presseausweis vorlegte. Inzwischen ist das eher auf den tatsächlich beruflichen Bereich beschränkt: Der Eintritt zu Veranstaltungen, über die man berichtet, ist kostenlos, und für dienstliche Reisen oder redaktionell genutztes Arbeitsgerät gibt es manchmal noch Rabatte. Das aber ist in fast jedem anderen Berufsstand auch so: Über Gewerkschaften oder Vereine und bisweilen unter direkter Berufsangabe beim Anbieter gibt es günstigere Preise.
Trotzdem müssen Journalistinnen und Journalisten in vielfacher Hinsicht darauf achten, ob sich die Annahme von Geld, Geschenken oder Vorteilen auf ihre Arbeit auswirkt. Gerade gegenüber einem zunehmend kritischen Publikum ist das wichtiger denn je. Die Glaubwürdigkeit eines Mediums kommt nicht von allein, und auch große, bekannte Marken sind für sich genommen kein dauerhafter Garant für wirtschaftliches Wohlergehen. Medienschaffende wissen, dass ihr Verhalten hinterfragt wird und sie auch selbst darüber nachdenken müssen, was die Grenzen des Legalen oder auch nur des Legitimen überschreitet - also nicht nur die Grenzen des Strafrechts, sondern auch die weitergehenden, teils ungeschriebenen Regeln der Beeinflussung.
Der Pressekodex des Deutschen Presserates gibt dazu in Ziffer 15 zu »Vergünstigungen« klare Leitlinien vor. »Die Annahme