Deck 3 - Jörg Piesker - E-Book

Deck 3 E-Book

Jörg Piesker

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Beschreibung

Zwei brutale Morde, die Hinrichtungen gleichen. Beide Mordopfer waren Journalisten. Die Fäden laufen bei Alexander Drakos zusammen. Dem reichsten Reeder der Welt. „Wer steckt dahinter? Wenn das nicht aufhört, werde ich alles verlieren, was ich mir mühevoll aufgebaut habe.“ Alexander Drakos irrte sich. Es ging um mehr als nur um sein Geld.

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Ähnliche


Deck 3

Blutige See

 

Kriminalroman

Jörg Piesker

 

Tolino Media

Zweite überarbeitete Ausgabe August 2022

Alle Rechte bei Jörg Piesker

 

Copyright © 2022

Jörg Piesker

c/o Autorenservice Patchwork

Schlosserweg 6

A-9020 Klagenfurt

Lektorat: Michael Lohmann

Korrektorat: www.worttaten.de

Buchsatz: Jörg Piesker

Coverdesign: Adobestock Barcelona

 

9783754678589

 

 

 

 

Inhalt

 

Über das Buch

Jörg Piesker Thriller

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Nachwort

Danke

Über den Autor

Er und Sie

Über das Buch

"Deck 3, fesselnd und flüssig auf Verlagsniveau"

Das Urteil von www.mypoolitzer.com

 

Seine Härte machte ihn zum reichsten Reeder der Welt, seine Liebe zu einem Bettler.

Zwei brutale Morde, die Hinrichtungen gleichen. Beide Mordopfer waren Journalisten. Die Fäden laufen bei Alexander Drakos zusammen. Dem reichsten Reeder der Welt.

„Wer steckt dahinter? Wenn das nicht aufhört, werde ich alles verlieren, was ich mir mühevoll aufgebaut habe.“

Alexander Drakos irrte sich.

Es ging um mehr als nur um sein Geld.

Jörg Piesker Thriller

Perfekte Thriller für alle Fans von Harlan Coben und Max Bentow.

Kapitel 1

Ralph Belham

Seit Stunden kauerte Allison hinter einer kleinen Felsgruppe vierzehn Kilometer außerhalb von Beirut und starrte auf den Platz weiter unten. Sie hatte nur das Allernötigste dabei, ein Fernglas, Richtmikrofone, eine Kamera mit Teleobjektiv und Stativ, Akkus, Wasserflaschen und getrocknete Datteln.

Diese Stille zerrte allmählich genauso an ihren Nerven, wie die Hitze und sie zweifelte allmählich daran, ob der Tipp, den sie erhalten hatte, der Wahrheit entsprach. Die Uhrzeit war jedenfalls lange überschritten. Kein Mensch verirrte sich normalerweise in diese Gegend, in der weit und breit nichts als Sand, Felsen und die gnadenlos brennende Sonne war. Der beste Ort für illegale Waffengeschäfte. Sie hatte gute Sicht, das war das Wichtigste. Wenn sie heute endlich die Bilder schießen konnte – das wäre ein Sechser im Lotto. Endlich sah sie den aufwirbelnden Sand in der Ferne, sie kamen! Drei Wagen, Range Rover, weiß. Die Geländewagen kamen zum Stehen. Sofort setzte sie ihr Fernglas an. Yes! Mahmoud Al Khari stieg aus, heute würde sie die Beweisfotos knipsen. Die anderen Männer stiegen ebenfalls aus. Das Richtmikrofon funktionierte. Immer wieder musste sie sich den Schweiß von der Stirn wischen, damit er ihr nicht wieder in die Augen lief.

Sie zuckte zusammen, als ihr Telefon klingelte. Hektisch fischte sie danach, drückte eilig den Annahmeknopf und ging in die Hocke. Sie wagte nicht, über den Felsrand zu spähen, und hoffte, dass sie schnell genug den Klingelton beendet hatte.

»Ich habe den Beweis, Allison«, hörte sie eine Stimme am anderen Ende.

»Ralph? Bist du das? Ich kann dich kaum verstehen.« Rauschen in der Leitung. Allison blickte auf ihr neues CAT S60, schüttelte es, drückte es wieder an ihr Ohr. Sie lauschte und erhob sich vorsichtig, um durch ihr Fernglas zu spähen. Drei orientalische Männer in cremefarbigen westlichen Anzügen redeten unauffällig miteinander. Als sie den Auslöser der Kamera betätigte, kam ihr das Klicken verräterisch laut vor.

»… wer sonst?«, antwortete der Anrufer. »Hör zu, ich habe endlich den Beweis, wer hinter Lindas Ermordung steckt …« Wieder unterbrach ein Rauschen das Gespräch, sodass Allison nur bruchstückhaft verstand. »… sie wochenlang beschattet, habe sie nicht aus den Augen gelassen. Und stell dir vor …«

»Ralph, Ralph, stopp«, unterbrach sie ihn. Tatsächlich schwieg er.

»Linda ist bei einem Autounfall ums Leben gekommen.« Allison versuchte, ihrem Ton etwas Beschwörendes beizugeben. Ralph schwieg weiter, sie hörte sein wütendes Atmen, dann das Aufheulen eines Motors am anderen Ende.

»Wo steckst du überhaupt?«, fragte er. Seine Stimme hatte diesen traurigen Ton angenommen, der Allison immer schon die Kehle zuschnürte.

»Ich bin an der Sache Al Khari in Beirut dran«, antwortete sie ihm und fragte sich mitleidig, ob sie zu grob vorgegangen war. Zu schnell hatte er das Thema gewechselt, als er bemerkt hatte, dass er ihr auf die Nerven gegangen war. Längst hörte ihm niemand mehr zu, wenn er mit diesem Thema anfing, hatte er einmal beklagt.

Mit dem Fernglas spähte sie kurz Richtung Osten und legte es dann beiseite, um mit der freien Hand den Fernauslöser der justierten Kamera zu bedienen. Ralphs Anruf kam verdammt ungelegen, wer weiß, ob die Aufnahmen gelingen. Aber sie konnte ihn auf keinen Fall abwimmeln. Noch immer hörte sie den unregelmäßig brüllenden Motor am anderen Ende. »Und du? Was stellst du gerade an, fährst du Autorennen?«

»Bin auf dem Weg zu Dick Prater.« Das schrille Quietschen rutschender Autoreifen drang durch das Telefon.

»Prater, dieses Oberarschloch. Ich werde nie verstehen, wie diese Ratte Chefredakteur werden konnte.« Allison ließ eine kurze Pause, spähte wieder durch ihr Fernglas zu den drei Orientalen, die sich per Umarmung voneinander verabschiedeten. »Du wärst der Bessere gewesen.«

»Ich hatte aber keinen Bock dazu. Hör zu, Allison, ich muss dir etwas geben.«

»Mir etwas geben?« Sie ahnte, dass er wieder auf irgendwelche Verschwörungsgedanken zu sprechen kommen würde. Sie musste dieses Gespräch nochmals auf ein anderes Thema lenken, um es beenden zu können. »Ich habe doch erst in drei Monaten Geburtstag«, sagte sie deshalb.

»Wann können wir uns treffen?« Der Ton in Ralphs Stimme war unbeeindruckt ernst geblieben, er ging nicht auf ihre Ablenkung ein.

»Ich bin in zwei Tagen wieder in London. Ich könnte zu dir kommen und wir könnten …«, sagte Allison wohl oder übel.

»Nein. Das ist zu gefährlich. Du darfst nicht bei mir gesehen werden.« Eilig korrigierte er seinen Tonfall. »Hör mir bitte zu, Allison. Es ist wirklich wichtig, und du bist die Einzige, der ich trauen kann.« Seine Stimme hatte geschwankt, als hätte er sich umgesehen, geheimnisumwoben sprach er dann weiter. »Ich habe Beweise. Bitte leg nicht auf. Nicht jetzt. Ich habe Beweise, dass Linda umgebracht wurde.« Wie gehetzt redete er weiter. »Du kennst mich wie niemand sonst auf dieser Scheiß-Welt. Ich weiß, dass das jetzt nach Verfolgungswahn klingt. Aber wenn ich dir sage, dass ich Beweise haben werde, dann kannst du dich darauf verlassen.«

»Warum veröffentlichst du das nicht oder übergibst das der Polizei?« Schweißtropfen liefen Allison dick über die Brauen und rannen an den hart an ihre Augen gepressten Okularen vorbei. Hinter aufstaubenden Sandwolken verschwanden die Orientalen in ihren weißen Geländewagen. Ralph schwieg. Die lange Pause strapazierte Allison. »Du hast gar keine Beweise, stimmt’s?«

»Ich weiß einfach, dass es wahr ist, verdammt. Ich bin so nahe dran.« Ralphs Stimme wurde verzweifelter. »Ich habe mit ihr gesprochen, und sie hat es quasi zugegeben, dass sie dahintersteckt.«

»Sie? Von wem redest du?«

»Das werde ich dir übermorgen sagen. Persönlich.«

Allison verfluchte den Umstand, dass sie in diesem Augenblick nicht bei ihm sein konnte. Offensichtlich war er im Begriff, völlig durchzudrehen. »Gehst du noch regelmäßig zum Psychologen?«, fragte sie.

»Mein Gott, du hältst mich für übergeschnappt. Ja, Allison, ich gehe regelmäßig hin. Und er findet, dass ich sehr erfreuliche Fortschritte gemacht habe.« Sie hörte das Schlagen einer Autotür. Er war in einer Garage angekommen, seiner Stimme klang ein Echo nach. »Ich werde mich wieder mit ihr treffen.«

»Wie bitte?«

»Ich habe ihr gesagt, dass ich eine Million Dollar will oder Beweise veröffentliche.«

Allison hockte noch in Deckung, setzte sich nun auf den Boden und lehnte sich an. Der bauchige Fels an ihrem Rücken schien zu glühen, Schweiß lief ihren Hals herunter. Das Fernglas hatte sie zur Seite gelegt und hoffte inständig, dass weder die Funkverbindung noch der Akku genau jetzt versagten. »Bist du völlig übergeschnappt?« Sie hakte sofort nach. »Nehmen wir an, es stimmt. Nehmen wir also an, es war kein Unfall und du hast die Mörderin oder den Mörder deiner Frau gefunden.« Sie rang hörbar um Fassung. »Dann sagst du ausgerechnet ihm oder ihr das ins Gesicht und als ob das nicht schon genug ist, triffst du dich auch noch persönlich, um denjenigen zu erpressen?«

»Korrekt, Baby. So kommt man an Informationen.«

»Spar dir das, Ralph. Hier geht es nicht um einen zweitklassigen Politskandal, über den wir gerade schmunzeln, oder ein Foto vom pinkelnden Ernst August.« Wütend atmete Allison aus. »Wenn es wahr ist, was du sagst, dann bist du in Lebensgefahr.« Wieder fluchte sie leise. »Verdammt, bin ich zufrieden, dass ich nicht mehr deine Assistentin bin.«

»Da hast du mal ganz anders geredet.« Ralph lachte absurd. »So funktioniert unser Job, Allison.«

»Nein. Und schon gar nicht ist es dein Job, wie ein Selbstmörder rumzurennen.« Sie hielt die Hand vor Handy und Mund und keifte pulshämmernd weiter. »Denkst du auch nur einen Augenblick an deine Tochter? Sarah hat übermorgen Geburtstag. Und falls es dich interessiert, sie möchte einen Tag mit ihrem Papi verbringen, ohne dass er ununterbrochen telefoniert. Und außerdem wünscht sie sich, dass ihr Papi wieder lacht.«

Das Hallen der Schritte am anderen Ende verstummte, Ralph war stehen geblieben, seine Stimme wurde flehend. »Wirst du übermorgen hier sein?«

»Ich versuche es, Ralph. Gib Sarah einen Kuss von mir.«

»Okay, mach ich. Pass auf dich auf. Mach’s gut, Allison.«

Es hatte geklungen wie ein Abschied, aber ihre größere Sorge galt dem Umstand, dass seine letzten Worte keinerlei Angst hatten erkennen lassen.

Sie atmete laut aus und schloss die Augen für einen Augenblick. Als sie hochsah, blickte sie in zwei Pistolenläufe.

Kapitel 2

Ralph Belham – England

Er hätte nicht sagen können, was ihn geweckt hatte. Ob es ein Geräusch war, einer dieser Albträume oder die Grübeleien, die er seit Lindas Tod jeden Abend mit ins Bett nahm. Dieses Mal war sein Körper nicht schweißnass und er hatte nicht Linda in einem endlos quälenden Albtraum vor sich gesehen. Wieder lauschte er und mehr als ein wirkliches Geräusch, nahm er ein Gefühl wahr. Es war mehr eine Ahnung. So als stünde jemand hinter ihm, den er körperlich zu spüren glaubte. Vorsichtig schaute er sich um. Er war allein. Drei Uhr zwölf. In dem künstlichen Blau der Leuchtziffern schimmerte der leere Platz im Bett neben ihm kalt.

»Danke, Allison!« Mit geschlossenen Augen ließ er sich zurückfallen, dachte an das Telefonat mit Allison von gestern, ohne das er Sarahs Geburtstag mit Sicherheit wieder vergessen hätte. Zu Hause befolgte er sofort Allisons Rat, nahm seine kleine Tochter geheimnisumwoben zur Seite und fragte sie, was sie sich wünschen würde.

Disneyland, Disneyland, hatte sie begeistert gerufen, während sie mit weit aufgerissenen Augen und wirbelnden Zöpfen dabei vor ihm hopste und in die Hände schlug. Ein Gedanke durchzuckte ihn. Sarah! Vielleicht hatte sie gerufen. Wieder horchte er. Doch es war nichts zu hören. Dennoch würde er nach ihr sehen. Zu oft hatte sie in letzter Zeit weinend nach ihrer Mama gefragt. Er setzte sich auf, stellte seine Füße auf den Boden. Dieser Holzboden im Schlafzimmer ist mir zu kalt. Ich will einen flauschigen Teppich, hatte Linda an dem Tag, bevor sie starb, schmollend gesagt. Liegend hatte er vom Bett aus ihren schönen Körper betrachtet, während sie sorgfältig Wäsche aus ihrem Schrank genommen hatte, sich dann zu ihm umdrehte und ihn liebevoll ansah. Mit absoluter Sicherheit hatte er gewusst, dass er diese Frau über alles liebte.

In meditativen Atemzügen versuchte er, die bösen Gedanken zu verdrängen. Sie machen gute Fortschritte, hatte Doktor Tharawati vor zwei Tagen gelobt. Entspannen Sie, bevor sich die Spirale des Grübelns wieder in Gang setzt, eine Erinnerung zur nächsten springt und schließlich in zerstörerischen Selbstvorwürfen mündet. Es hat keinen Nutzen, wenn Sie es nicht wahrhaben wollen. Trauern Sie, weinen Sie, lassen Sie es zu. Entspannen Sie und finden Sie eine Perspektive. Denken Sie an Ihre Tochter.

»Klugscheißer!« Er schaltete die Nachttischlampe an, stand auf, um nach Sarah zu sehen. Ungläubig blieb er stehen, als er sich selbst in dem Spiegel an Lindas Schrank sah. Niemals hätte er ein derart verwaschenes T-Shirt und eine so unpassende Hose getragen, als sie noch lebte. Schluckend ging er näher heran. Seine Haut war fahl und grau, seine Haare lange nicht frisiert und alles, worauf er einmal so geachtet hatte, um ihr zu gefallen, schien mit ihr gestorben zu sein. Verkümmert wie seine muskellos gewordenen Beine. »Wie sehr du mir fehlst! Vielleicht ist der Tod ja schöner als dieses Leben.«

Langsam und qualvoll, Nacht für Nacht, Albtraum für Albtraum hatten vor sechs Monaten sein Respekt und seine Angst vor dem Tod begonnen zu schwinden.

Doch in diesem Moment bäumte sich diese Angst wieder so spürbar auf, dass eine flirrende Gänsehaut seinen Rücken überzog. Mit jeder Faser konnte er spüren, dass irgendetwas nicht stimmte. Schneller und flacher atmend wandte er sich um. Er meinte, im Spiegel eine Bewegung unter dem Türspalt gesehen zu haben. Er schlich dort hin. Nur ein sehr feiner Windhauch war zu spüren. Das war keine Einbildung. Seine Gedanken rasten. Es konnte niemand einfach so in das Haus eindringen. Alle Schlösser sind vor einem Monat von einer Sicherheitsfirma erneuert worden. Es gab eine Alarmanlage, … die ich wieder betrunken vergessen habe einzuschalten, dachte er. Er schloss die Augen, sog Luft durch die Nase ein und atmete in einem Stoß wieder aus.

Wieder nahm er diesen Windhauch wahr. Dieses Mal konnte er ihn deutlicher spüren. Kalt und zäh war er über seine Füße gekrochen. Was, wenn es doch mehr mit diesen Drohanrufen auf sich hatte? Wenn doch jemand im Haus war? Rasch blickte er sich um. Ein Telefon im Schlafzimmer hatte er stets als unnötig empfunden. Sein Handy … er tastete nach seiner Hose. Weder in der Tasche steckte es, noch sonst wo war es auffindbar. Er ballte seine Faust, der Akku war leer nach dem Gespräch mit Allison gestern. Am nächsten Morgen hatte er es aufladen wollen.

Er musste aus diesem Zimmer heraus und zu Sarah gelangen, ohne einen möglichen Einbrecher aufzuschrecken und dadurch zu einer Kurzschlusshandlung zu bewegen. Mit angespannter Hand umklammerte er die Türklinke, drückte sie leise herunter. Zuerst öffnete er die Tür nur einen kleinen Spalt, dann zog er sie weiter auf. Vorsichtig schob er den Kopf heraus, blickte schnell nach links und rechts, den Flur entlang. Aus einer Steckdose ragte eines von Sarahs Nachtlämpchen und warf fahles Licht auf den steinernen Boden. Ralph hielt den Atem an, blinzelte und lauschte angestrengt. Nichts. Feine Schweißperlen bildeten sich auf seiner Stirn und sein Herzschlag raste dröhnend. Ein einziger Gedanke trieb ihn noch: Sarah. Sie lag allein in ihrem Zimmer, nichts ahnend, unschuldig. Wenn sie es gewesen wäre, die diese unheimlichen Schatten und diesen kalten Windzug verursachte, hätte sie die Tür geöffnet und wäre zu ihm in das Schlafzimmer gekommen. Ganz sicher wäre sie zu ihm ins Bett gekrochen, hätte sich an ihn gekuschelt und wäre im selben Augenblick wieder tief und fest eingeschlafen. Doch Sarah hatte die Tür nicht geöffnet. Aber wenn sie es nicht war, wer oder was war dann die Ursache für den Schatten und für den unheimlichen Windzug? Er zwang sich zur Ruhe und schloss die Augen und trat in den Flur.

In der Sekunde nahm er am Ende des Flurs die Umrisse einer Gestalt wahr. Dort war Sarahs Zimmer! Vor Aufregung drohte er, zu kollabieren, doch der Gedanke an sein Kind trieb ihn voran. Er musste dieses arglose Kind retten - seine Tochter, die er um nichts in der Welt auch noch verlieren wollte. So viele Monate hatte er vergeblich nach einem Sinn dieses Lebens gesucht, hatte getrauert, sich selbst bemitleidet und dabei nicht gesehen, welchen Schatz er jeden Tag vor sich hatte. Sarah! Tränen überschwemmten seine Augen.

Gott, welche Sünden habe ich begangen, dass du mir das antust?, dachte er.

Er kam an Sarahs Zimmertür zum Stehen, blickte hinein. Niemand sonst befand sich in ihrem Zimmer, nur Sarah selbst, die still in ihrem Bett lag. Er ging einen Schritt voran, in dem schwachen Schein des Teddy-Nachtlämpchens konnte er sehen, dass sie sich nicht bewegte. Sie schlief. Er würde hineingehen und die Tür hinter sich verriegeln, das würde einen Zeitgewinn bedeuten. Er wäre bei ihr, der Einbrecher könnte in aller Ruhe nach Wertsachen im ganzen Haus suchen und wieder verschwinden. Niemandem müsste etwas passieren.

Lautlos schloss er hinter sich die Tür. Nur rasch nach der Kleinen sehen und dann alles vor die Tür schieben, was schwer ist, rasten die Gedanken durch sein Hirn. Er würde es dem Einbrecher unmöglich machen, dieses Zimmer zu betreten. Solche Kerle sind auf schnelle Beute aus. Wenn er spürt, dass es hier nicht hineingeht, würde er rasch den Rest des Hauses durchwühlen und sich aus dem Staub machen. Dass es ein Spiel sei, würde er Sarah sagen, falls sie aufwachen würde und sie würden gemeinsam abwarten, bis das Haus wieder sicher wäre. Nachdem er die Polizei alarmiert hätte, würde er gleich morgen den Versicherungsvertreter herbitten.

Sie hatte die Decke über die Nase gezogen. Der sichtbare Teil ihres Gesichts, auf das er nun blickte, wirkte friedvoll. Doch da war etwas Beunruhigendes. Sein Herzschlag schnürte ihm den Hals zu, als er wahrnahm, dass die Ruhe, die von Sarah ausging, unnatürlich war. Alles so reglos. Sein Puls presste osmotisch.

»Nein«, würgte er heiser hervor, griff zitternd nach der Bettdecke und zog sie vorsichtig zurück. »Bitte nicht«, langsam zog er weiter, ließ dann abrupt los. Erstarrt war er unfähig, sein eigenes Kind zu berühren. Zitternd verharrten seine Hände über ihrer Kehle. Durchschnitten!

Dann spürte er das Messer an seinem Hals.

Ralph Belham verfluchte Gott, als er starb.

Kapitel 3

Sophie – Griechenland

Unverhofft explodierte der zweite Schlag an Sophies Schläfe. Sie stürzte rückwärts und schlug hart mit der Schulter und dem Kopf gegen den dunklen Holzschrank, rutschte schlaff zu Boden. Ihr kleiner Koffer lag neben ihr.

Schwärze.

Wie durch einen langen Tunnel kehrte die rauchig brüllende Stimme ihres Vaters langsam zurück.

»Du bist genauso eine Schlampe wie deine Mutter«. Lallend taumelte Károlos vorwärts, stützte sich an der Wand ab, während er sich zu ihr beugte. Mit jeder Silbe spritzte er Speichel. Grunzend erhob er sich wieder, ging zu der Stelle, an der sie eben noch gestanden hatte.

Sophies verschwommener Blick richtete sich auf Staubfederchen, die gemächlich auf den wenigen Sonnenschlieren in dem holzdunklen Zimmer tanzten. Verächtlich langsam hob er den kleinen, braunen Koffer an, kam damit zurück zu Sophie, hielt ihr das geschnürte Gepäckstück entgegen. Er starrte sie aus rauschigen Augen an. »Du willst also abhauen. Mich im Stich lassen.« Mit zusammengekniffenen Augen öffnete er seine Pranke, ließ den kleinen, abgewetzten Koffer vor Sophie zu Boden krachen und behielt den ausgestreckten Arm in der Luft. Riesige Schweißflecken hatten unter seinen Achseln sein vergrautes Hemd dunkel gefärbt.

»Eher schlage ich dich tot, als dass du dich heimlich aus dem Staub machst.« Wieder beugte er sich zu ihr, holte weit aus, kam so nahe, dass Sophie angewidert die feuchte Wärme seines Schweißes und seines alkoholischen Atems spürte.

»Wie deine verkommene Mutter! Aber das werde ich dir austreiben.« Nur langsam klärte sich Sophies Blick. Unfähig zu handeln, hörte sie wie durch Watte die verwirrten Beschimpfungen ihres Vaters.

»Papa.« Schwer atmend blickte sie ihrem Vater in die rot geäderten Augen. »Papa …«, wiederholte sie flehend. Für einen Augenblick schien Klarheit in Károlos Gehirn gekommen zu sein. Seine Augen weiteten sich entsetzt. Langsam senkte er seinen schlagbereiten Arm, erhob sich wankend und setzte sich auf den Holzstuhl an den kleinen Tisch vor dem einflügeligen Fenster. Seine Stirn glänzte, er atmete aufgeregt und stierte abwechselnd auf die Tischplatte und auf seine riesige Hand. Sophie spürte ihre Kräfte zurückkehren. Ein tauber Geschmack von Eisen kroch ihr von der Nase in den Rachen. Ihr Kopf dröhnte. Sie atmete tief, stützte sich mit den Händen gegen die Wand und stemmte sich in den Stand. Ihr Vater saß noch immer reglos am kleinen Tisch.

Sie konnte wieder stehen, hatte nicht mehr das Gefühl, zusammenzusacken. Das Schwindelgefühl ließ nach. Vorsichtig tat sie einen Schritt vorwärts.

Er würde sie niemals gehen lassen. Würde sie ihren Koffer zurücklassen und aus dem Zimmer rennen, wären ihre Chancen größer. Würde sie still abwarten, kämen bald seine wirren Gedanken um Selbstmitleid in Gang und kurz darauf würde er in seinem hilflosen Irrsinn die unberechenbarsten Dinge tun.

Zum ersten Mal in ihrem Leben schien Sophie einen klaren Blick auf sich selbst zu haben und dieser Blick schmerzte. Jahrelang hatten ihre alten Wunschgedanken ihr die Kraft gegeben, immer wieder zu hoffen. Und nun, da die Wirklichkeit sich nicht mehr leugnen ließ, spürte sie diese schreckliche Ausweglosigkeit.

Noch immer dämmerte Károlos mit halb geöffnetem Mund an seinem Tisch vor sich hin. Es würde kein Gespräch geben, in dem ein Vater seine Tochter in ihr eigenes Leben entlässt. Weder vernünftig, noch annähernd vernünftig, nicht einmal nur unvernünftig. Überhaupt nicht. Sie hatte weder heimlich nach der Arbeit verschwinden wollen, noch hatte sie vorgehabt, sich ungesehen aus dem Haus zu schleichen. Es sollte ein Abschied werden, bei dem ein Vater seiner Tochter in die Augen sah.

Diese Vorstellung, so aberwitzig sie ihr im Nachhinein auch vorkam, hatte dennoch tief in ihr gelebt und so etwas wie die letzte Verbundenheit zwischen ihr und ihrem Vater gebildet.

Károlos Augenlider wurden kopfnickend schwer.

Immer wieder hatte sie diesen Augenblick des Abschiedes in Gedanken durchgespielt und sich für die Einwendungen des Vaters Argumente zurechtgelegt. Nichts von dem traf ein. Insgeheim hatte sie sich gewünscht, dass es ein wenig so sein würde, wie bei ihrer Freundin Maria, die einmal davon erzählte, wie ihre Tochter das Haus verließ. Abschiedstränen seien in Fontänen geflossen, während Mutter und Tochter sich immer wieder umarmt hatten. Natürlich hatte sie nie daran gedacht, dass es so herzlich werden würde, wie bei Maria und deren Tochter. Aber wenigstens eine stille Umarmung oder auch nur ein Kopfnicken von ihm hätten sie schon glücklich gemacht.

Jedes Mal, wenn sie mit ihren Freundinnen zusammen gewesen war, kam der Moment etwas früher, dass sie zwischen Wut und Traurigkeit schwankte. Jener Moment, in dem sie gewahr wurde, dass ihr eigenes Leben nicht normal war. Dass sie selbst nicht normal war. Während ihre Freundinnen immer wieder aufgeregt die Erlebnisse abglichen, hatte Sophie mit den Jahren immer weniger beizutragen. Auch Helenas Tochter Athina war inzwischen volljährig, und als Helena vor zwei Wochen davon erzählt hatte, dass Athina nun ausziehen wolle, begannen sie und Maria in ihren Erinnerungen zu schwelgen, während sie, Sophie, danebensaß. Sophies Leben hatte in jeder Hinsicht den Zenit überschritten.

Dieses Mal hatte sie für den Fall vorgesorgt, dass es wieder nicht zu einem normalen Gespräch mit ihrem Vater kommen würde. Obwohl sie vorbereitet war, zitterten ihre Hände und ihr Herz hämmerte. Károlos zuckte zusammen, als Sophie seine Schulter berührte. Ruckartig drehte er seinen Kopf zur Seite, seine Augäpfel starrten auf Sophies Hand, drehten dann langsam hoch. Vater und Tochter starrten sich direkt an. Tu etwas oder er tut es! Seine Augenlider zuckten, er war wieder kurz davor, zuzuschlagen.

»Papa, ich muss gehen«, brachte sie unter Aufbringung allen Mutes hervor. Ein zäher Moment verging still.

Ihre Hand ruhte auf seiner Schulter. Sein Schweiß klebte schmierig dazwischen. Dann öffnete sie die knarrende Tür des Holzschrankes neben sich, zog eine bereits geöffnete Weinflasche heraus und stellte sie auf den Tisch direkt vor ihren Vater. Erschrocken sah sie die weißen Pulverreste am Rand der Flasche - sie hätte diese besser abwischen müssen. Doch sie hatte Glück, Károlos bemerkte das Pulver nicht, riss die dunkelrote Flasche hoch und schlang in lauten Zügen die Hälfte des Inhaltes herunter.

»Deine Mutter ist fortgegangen, deine Schwester ist fortgegangen und nun du.« Ansatzlos und mit ruhiger Stimme hatte Károlos verblüffend klar und deutlich gesprochen. Eine bewegende, ehrliche Traurigkeit ging von ihm aus.

Sie spürte nichts in diesem Moment und eine entschlossene Gleichgültigkeit überkam sie.

»Ja, Papa.« Vorsichtig nahm sie die Hand von seiner Schulter, hob ihre Tasche auf und ging langsam zur Tür. Ohne sich umzudrehen, ging sie hinaus, während sein Kopf schlaff auf den Tisch sank.

Es war Frühling, und sie bemerkte, dass sie seit langer Zeit nicht wahrgenommen hatte, wie gut diese Jahreszeit roch und wie fröhlich und lebendig alle Pflanzen und Tiere in ein neues Leben starteten. Die Natur machte einen neuen Anfang und ließ unbeeindruckt alle Katastrophen der Vergangenheit hinter sich.

Mit jedem Schritt atmete sie tiefer und fühlte sich entschlossener. Ihr Schädel brummte noch von den Schlägen, doch sie lachte. Sie lachte für einen wundervollen Augenblick auf eine unbekümmerte Weise, die sie schon lange vergessen hatte.

Wenn er wieder aufwacht, sitzt er bestimmt an seinem trostlosen kleinen Tisch und starrt aus dem Fenster, er wird mir hinterhersehen, jeden Tag von Neuem, kam es ihr plötzlich in den Sinn.

Unbändig drängte es sie, umzukehren.

Was, wenn er irgendwann tot da drinnen liegt und ich nicht bei ihm war?

Kapitel 4

Lady Roberta – England

»Ich werde nicht mitkommen!« Mit hochgezogenem Kinn verschränkte Jérôme seine Arme und blickte schmollend zur Zimmerdecke, tippte nervös mit der Spitze seines Hackenschuhs auf.

»Jérôme, ich habe doch gar nicht gesagt, dass du zugenommen hast. Ich …«. Bevor Jason die Wogen glätten konnte, stoppte Jérômes aufrecht hervorgeschnellte Hand ihn. Er fixierte Jason.

»In der Zeitung, die du so interessiert liest, ist ein großer Artikel über angeblich schicke XL-Mode.« Seine Augen weiteten sich, während er weiter eiferte. »Während ich mich ankleide, liest du Artikel über XL-Mode. Ich fasse es nicht.«

Jérômes dramatischer Ausbruch wäre einer von vielen gewesen, hätte Jason nicht diese ehrlichen Tränen in seinen verzweifelten Augen bemerkt. Vor zwei Tagen hatte er seinen achtunddreißigsten Geburtstag überstehen müssen, und während er sich nun ankleidete, blätterte sein Freund in einer Illustrierten. »Jérôme, ich habe lediglich gedankenlos geblättert.« Er drehte das Heft, lachte. »Ich schwöre es dir, ich habe nicht einmal bewusst wahrgenommen, was darin geschrieben stand.« Langsam ging er auf Jérôme zu, ließ dabei die Illustrierte unauffällig auf den Tisch fallen. Jérôme wurde nervöser. Mit verschränkten Armen heftete er seinen beleidigten Blick Richtung Zimmerdecke. Jason war spürbar nahe, griff mit seiner kräftigen Hand Jérômes Po. »Ich habe nichts an deiner Figur auszusetzen.«

»Du Schuft. Du unverschämter Schuft.« Jérômes Hüfte wippte nervös. »Bilde dir ja nicht ein, dass du mich so einfach rumkriegst.« Jasons Lippen lauerten auffordernd eine Handbreit vor Jérômes Gesicht. Dieser Mistkerl, wenn ich ihn doch bloß nicht so lieben würde …, dachte Jérôme, öffnete hastig seine verschränkten Arme und umschlang Jason. Gierig wie ein Verdurstender presste er seine Lippen auf Jasons, zerrte ihm sein Hemd aus der Hose und schnaufte.

Mit lautem Krachen schlug die schwere, dreihundert Jahre alte Holztür auf; Jason und Jérôme zuckten zusammen.

»Otto!«, rief Cynthia und rannte der rundlichen braun-weißen Bulldogge hinterher. »Bleib stehen!« Doch Otto rannte in die Mitte des Zimmers, umrundete Jason und Jérôme und sprang schließlich auf die Couch. Cynthia sprang hinterher, legte sich nahe an Otto heran und begann, wild seinen nach oben gedrehten Bauch zu kraulen. »Du Lump, du bist wieder so was von fit.« Er drehte sich um, sah sie mit schief gelegtem Kopf an. Glücklich packte sie mit beiden Händen seine Ohren, ging mit ihrem Gesicht nahe heran und drückt ihre Nase auf seine. »Du verrückter Kerl.« Cynthia atmete beinahe so heftig wie Otto und sah nun zu Jason und Jérôme. »Oh, haben wir gestört?«

Jérômes Laune war wieder im Keller. Jason setzte sich zu den beiden. »Schon gut. Er ist unser Held.« Dass Jason ihn ebenfalls kraulte, genoss Otto wohlig brummend. »Schließlich hat er dein Leben gerettet und wäre selbst beinahe dabei draufgegangen.«

»Stimmt.« Cynthia tätschelte Ottos Nacken. »Roberta hat uns zu einer Besprechung gebeten. Kommt ihr in die Bibliothek?«

»Jawohl Frau Detektivin«, sagte Jason albernd.

Ausgelassen sprang Cynthia auf, rannte wieder zur Tür hinaus. Sofort folgte Otto ihr in seinem Galopp.

»Aron, fang mich auf«, rief sie und stürmte im Flur auf den smarten Anwalt zu. Ehe er etwas sagen konnte, sprang sie ihm in seine kräftigen Arme.

»Cynthia, das geht noch mal schief.«

In seinen Armen ließ sie ungestüm, den Kopf weit nach hinten gelegt, ihre langen Haare in der Luft schweben, bis Aron sie wieder auf die Beine stellte. Sie hätte sich ewig so in seinen Armen drehen mögen und seinen Körper dabei so nahe spüren können. Dicht an ihm kniff sie in seine Seiten. »Hey, Muskelmann, haben wir etwas zugelegt?«

»Wo?« Panikartig suchte Aron nach einem Spiegel, tastete dabei seinen Bauch und Taille ab. Mit hochgezogener Braue lächelte Cynthia Aron an. »Nun komm schon, Roberta wartet nicht gern.« Sie gab ihm einen leichten Knuff. »Du bist doch sonst nicht so leicht aus der Fassung zu bringen.« Aron kräuselte die Stirn.

»Jedermann hat einen wunden Punkt, Aron.« Sie tupfte mit der Fingerspitze an seine Nase. Nur einen Augenblick später betraten sie guter Laune die Bibliothek.

Ungeachtet seiner enormen Größe wirkte der knorrige Tisch in dem riesigen Speisezimmer eher unauffällig. Würdevoll saß Lady Roberta an der Stirnseite. Wie so oft schon befand Aron, dass es Lady Roberta war, die dem altehrwürdigen Gut Devonstoke vor den Toren Londons diese besondere Ehrfurcht verlieh. Niemanden sonst konnte er sich an ihrer Stelle vorstellen.

Ein Lächeln huschte über das Gesicht der Lady. An beiden Seiten des Tisches standen zwölf verzierte Holzstühle exakt ausgerichtet nebeneinander. Ihr Butler Wesley stand reglos neben ihr. Cynthia nahm ihren Platz zu Robertas Rechten ein, Aron daneben. Jason setzte sich links von Roberta, neben ihm hatte Jérôme seinen Platz. Das Ächzen der Stühle wurde ruhiger.

»Wesley, lassen Sie Monsieur Rochet auftafeln, was er uns gezaubert hat.«

»Mein Gott, dieses Gehabe!«, flüsterte Cynthia Aron zu. »Jeder weiß doch, dass er nicht Monsieur Rochet heißt, sondern Hans Paschke und ein Hochstapler ist.« Cynthia beobachtete den hereineilenden Monsieur Rochet, der Wesley sofort Befehle zuraunte und wieselflink mit sicheren Handgriffen zu arbeiten begann.

»War, Cynthia. Er war ein Hochstapler«, wandte Aron ebenfalls flüsternd ein. »Und seit er in Lady Robertas Programm für ehemalige Straftäter aufgenommen ist, hat er sich nichts zuschulden kommen lassen. Er ist Mitglied der Gruppe.«

»Er ist nicht einmal gelernter Koch. Und warum spricht er ständig mit diesem französischen Akzent?«

»Er geht halt in der Rolle seines Lebens auf und er hat übrigens tatsächlich einen Stern erkocht …«

»Den man ihm aberkannt hat.«

»Cynthia, er ist anstrengend, ja, aber er kocht göttlich. Und ist es nicht normal, dass im Leben jeder dem anderen ein bisschen etwas vormacht, und seine Schokoladenseite hervorhebt? Lass es uns doch genießen, wie es ist!« Einen Moment lang hafteten Arons und Cynthias Blicke tiefsinnig aneinander und Cynthia wusste nicht, wie sie reagieren sollte.

Auch wenn Aron und Cynthia leise gesprochen hatten, so war doch Monsieur Rochets Gehör fein wie das einer Fledermaus. Wortlos stellte er Cynthias Teller kurz angebunden ab, hingegen präsentierte er mit den anderen Gedecken überschwänglich und appetitanregend seine Kreationen. Abschließend stellte er Otto einen Teller demonstrativ höflich auf den Boden, »eine Mousse von einem irischen Rinderherz an einer Pâté walisischer Gänseleber auf einem Bett von deutschen Karotten und thailändischem Reis mit einem Hauch Safran.« Beide Arme ausgebreitet, wandte er sich der Tafel zu. »Bon Appetit.«

 

Wesley servierte nach dem Essen den Kaffee und es fiel Cynthia auf, dass die ganze Zeit über eine gewisse Beklommenheit den Raum erfüllt hatte. Eine lange, wortlose Stille war seltsam untypisch vergangen. Etwas lag in der Luft. Das erste Mal, seitdem das Essen serviert wurde, schaute Roberta nun in die Runde.

»Heute werden wir zu der geplanten Schiffsreise aufbrechen, die mir ja nach unserem letzten Abenteuer ärztlich empfohlen wurde.«

»Eine Erholungsreise wurde dir empfohlen«, fügte Cynthia mit erhobenem Finger und hochgezogenen Augenbrauen an. Roberta ignorierte den Einwand. »Ich habe dazu eine Route ausgesucht, die im griechischen Hafen von Patras beginnt und …«

»Patras?« Aron unterbrach Roberta schroff, setzte sich dabei aufrecht wie ein Lehrer. »Ist das nicht der Heimathafen der Reederei Drakos?« Beiläufig zog Roberta etwas hinter ihren Rücken.

»Versteckst du etwas, Roberta?«, bemerkte Cynthia, sprang auf, ging um Roberta herum und zog einen schmalen Stapel Papier hinter dem Rücken hervor. Neugierig blätterte Cynthia in den Unterlagen, bis sich nach wenigen Augenblicken ihre Miene verfinsterte. Sie schmiss Aron die Papiere auf den Tisch und setzte sich mit zusammengekniffenem Mund wieder an ihren Platz. Roberta blieb mit gespitzten Lippen wortlos.

»Ich habe es doch geahnt.« Aron atmete tief ein, während er blätterte. »Roberta, das letzte Abenteuer war mehr als anstrengend. Sie wurden entführt und sind dabei fast gestorben.« Er stand auf, ging auf und ab, während er weiter belehrte. Immer wieder schüttelte er indes verständnislos den Kopf. »Die Ärzte haben ausdrücklich eine Erholungsphase verordnet und deshalb eine Schiffsreise empfohlen.« Nahe bei Roberta stützte sich Aron mit beiden Händen auf den Holztisch und sprach weiter. »Weil man annahm, dass Sie, Roberta, auf einem Kreuzfahrtschiff nicht wieder Detektiv spielen und sich nicht in unnötige Gefahr bringen können.« Er stieß sich von dem Tisch ab, ging weiter umher. »Ausgerechnet die Drakos Line, die seit Wochen beinahe täglich in den Schlagzeilen ist.«

Aron schnappte sich den Stapel Papier und schmiss Blatt für Blatt auf den Tisch. »Mysteriös: Wohin verschwand der Drakos-Passagier? – Wieder ein Passagier von einem Drakos Schiff verschwunden! Drakos, Drakos und kein Ende.« Aron wischte sich mit flacher Hand über die Augen. »Roberta, warum um alles in der Welt ein Schiff der Drakos Reederei? Es gibt Dutzende Linien. Warum gerade diese? Seit Monaten verschwinden Passagiere spurlos von Drakos Schiffen.«

»Nun …« Roberta lehnte sich ruhig zurück, nahm Wesley das tulpenförmige Nosing-Glas aus der Hand, atmete mit geschlossenen Augen daraus. Erwartungsvolle Blicke hafteten an ihr. Langsam stellte sie nach einem tiefen Zug das Glas ab, griff den Stapel Papier, fischte einen Artikel heraus, las ohne Vorworte ruhig vor.

»Weiterhin mysteriöse Vorfälle bei der Drakos Reederei. Ein furchtbarer Anblick bot sich dem Reinigungspersonal, des Kreuzfahrtschiffes ›Harmony‹, als die Passagierkabine 12011 auf Deck 3 geöffnet wurde. Seit zwei Tagen hing nach Aussagen der Reinigungskräfte an der Kabinentür ein Schild mit der Bitte, nicht zu stören. Nach dem Einlaufen im Zielhafen Patras hatten alle Passagiere das Schiff verlassen. Hnan Kwat, 26, öffnete routinemäßig die Kabine. Ihr Blick fiel sofort auf die Leiche des italienischen Geschäftsmannes Lorenzo Brunetti. Der Tote saß in einem Sessel, der Kopf hing im Nacken. Zwischen seinen Augen ein Einschussloch. Nach Angaben der Polizei konnte kein Diebstahl festgestellt werden, Brunettis Wertgegenstände waren unberührt. Spuren eines Kampfes waren nicht vorhanden, die Polizei vermutet, dass Brunetti seinen Mörder gekannt hatte. Am Tatort konnten keinerlei Spuren sichergestellt werden. Gut informierte Kreise reden von der Handschrift des organisierten Verbrechens.«

Nur das Rascheln des Papiers schlich durch den Raum, sonst nichts. Stille.

Lady Roberta legte nachdenklich ihre Lesebrille vor sich auf den Tisch. »Lorenzo war einer unserer neuen Schützlinge.« Sichtlich betroffen nahm sie das nachgefüllte Glas, nippte. »Er war ein begnadeter Journalist mit detektivischem Gespür. Sein Leben verlief auf der Überholspur, bis seine Frau ihn verließ. Er hatte sie betrogen, sie konnte nicht verzeihen. Er kam in schlechte Gesellschaft, begann zu wetten, verschuldete sich und hatte sich darauf eingelassen, bei Wettmanipulationen mitzuwirken. Ein gigantisches Geschäft, wie ich erfahren musste, das längst von der Mafia kontrolliert wird. Es kam, wie es kommen musste, er wurde erwischt und verurteilt. So habe ich Lorenzo kennengelernt. Eine typische Geschichte – ein an sich guter Charakter, der durch widrige Umstände strauchelte.«

Robertas Betroffenheit war beinahe körperlich spürbar. »Ich hatte bei Lorenzo ein sicheres Gefühl wie selten.« Sie schaute Wesley an. »Er war dabei, sich wieder einzugliedern. Ich hatte ihm geraten, sich als Detektiv zu verdingen, da er als Journalist keine Anstellung gefunden hatte. Doch er war davon überzeugt, einer sensationellen Story auf der Spur zu sein, und dass ihm damit ein Comeback als Journalist gelingen würde. Er war, wie er mir sagte, der Lösung eines Rätsels von öffentlichem Interesse sehr nahe. Des Rätsels, warum Passagiere der Drakos-Line verschwinden. Voller Stolz hatte er mir davon berichtet.«

Sichtlich betroffen ließ Lady Roberta eine Pause. »Und ich habe ihm dazu gratuliert.« Mit schmalen Lippen holte sie Luft, blickte nacheinander in die erstarrten Gesichter. »Immer und immer wieder überlege ich, ob ich ihn davon hätte abhalten sollen. Es gibt so viele offene Fragen, die mir einfach keine Ruhe lassen: Was ist mit Lorenzo passiert? Steckt dieser Drakos dahinter? Was hat er entdeckt, dass er sterben musste?« Roberta stand auf, stemmte ihre Fäuste in die Hüften. »Ich möchte, dass ihr das versteht. Ich möchte, dass ihr mich als Team dabei unterstützt.«

Sie setzte sich wieder. »Wie könnte ich zur Ruhe kommen, wenn eine derartige Schuld auf mir lastet, wenn nicht geklärt ist, warum diese … diese … Hinrichtung geschah?« Cynthia legte ihre Hand auf Robertas, blickte zu Aron, der nickte.

»Also gut«, sagte Cynthia. »Wir sind dabei. Aber versprich bitte: keine Alleingänge.« Sie behielt Roberta im Blick, deren wasserblaue Augen wieder ein wenig von ihrem tiefsinnigen Strahlen zurückbekommen hatten. »Ich verspreche es.«

Nur Wesley konnte die gekreuzten Finger unter dem Tisch sehen.

»Eine Sache muss ich euch noch berichten.« Roberta zog ein weiteres Papiergemenge aus dem Stapel, legte es auf den Tisch. Das Logo des Scotland Yard prangte neben einem Top-Secret-Stempel. »Mein langjähriger Freund Inspector Perkins hat sich nach einigem Widerstand bereit erklärt, mir Unterlagen zu besorgen. Aron, könnten Sie den Obduktionsbericht bitte vorlesen?«

Aron griff sich die Blätter und las. Seine Miene wurde von Wort zu Wort finsterer, bis er vor sich hin redete, und schließlich deutlich lauter vorlas.

»… wies die Leiche ein Einschussloch in der Stirn auf, das auf professionelle Täter schließen lässt. Das Neun-Millimeter-Projektil wurde dem Schädel entnommen, die Tatwaffe ist bislang keinem bekannten Fall zugeordnet. In der Höhle des halb geöffneten Mundes der Leiche prangte ein Auge, welches sich bei der anschließenden Untersuchung als Teil einer Ziege herausstellte. Das Auge war fachmännisch entfernt worden (eventuell Fleischer oder Mediziner). Weiterhin war es sorgfältig und mit präzisen Stichen in eine Tasche aus Schweinehaut eingenäht, dass es den Anschein machte, als steckte das Auge zwischen Lidern. Der Hautlappen stammte von dem Hinterteil eines Schweins. Beide Körperteile stammen von weitverbreiteten Arten in Griechenland und können keiner speziellen Zuchtstätte zugeordnet werden. Eventuell handelt es sich um Tiere, die in der Wildnis gelebt haben.«

Kapitel 5

Alexander – Griechenland

Tobend vor Wut warf Christina Drakos den Stapel Zeitungen auf den Tisch, sodass er schlitternd zu Boden raschelte. »Jeder verdammte Schmierfink in der Welt stürzt sich mit einer Horrorgeschichte auf die Drakos Kreuzfahrtschiffe.« Christina stapfte mit geballter Faust umher, während Alexander Drakos teilnahmslos in seinem Ledersessel saß und mit zwei Fingern gedankenversunken sein Whiskyglas auf dem Holztisch drehte. »Ich verstehe nicht, wie du bei alldem so ruhig bleiben kannst«, keifte sie.»Was muss denn noch auf unseren Schiffen passieren, dass du endlich einmal etwas unternimmst?«

Alexander stand auf, ging zu dem bis zum Boden reichenden Fenster des Arbeitszimmers, verschränkte die Arme und blickte über die weiten grünen Hügel, hinter denen die Abendsonne warmrot versank. »Es wird sich alles wieder beruhigen. Jede Schlagzeile ist schnell abgegriffen. Es wird bald interessantere Themen geben. Wenn ich jetzt unüberlegt lospresche, hat die Presse doch nur, was sie will.«

»Lospresche! Ich kann mich nicht erinnern, wann du das letzte Mal losgeprescht bist.« Wutschnaubend schritt Christina in dem riesigen Kaminzimmer des Drakos-Anwesens auf und ab, bis sie abrupt stehen blieb und ihrem Gatten den wippenden Zeigefinger entgegenstreckte. »Ich sage dir, es ist falsch, nichts zu unternehmen. Nichts wird sich beruhigen. Diese Kampagne läuft schon so lange, dass sie ein Bestseller zu werden droht.« Alexander schloss die Augen und atmete tief ein.

»Du hast dich aus dem Nichts bis ganz nach oben gekämpft, Alexander. Vom armen Fischerjungen zum größten Reeder der Welt. Verdammt, willst du das alles jetzt von einem Schmierfink kaputtmachen lassen, ohne dich zu wehren?« Kopfschüttelnd wandte sich Christina ab, marschierte aus dem Zimmer, und ließ die hohe Tür laut hinter sich in die Zarge krachen.

Alexander trat wieder vor eines der großen Fenster. Draußen hatte die Abendsonne das helle Grün inzwischen mit dunklem Purpur übergossen, und in der riesigen Fensterscheibe wirkte sein Spiegelbild wie das eines hilflosen Zwerges. Wo war der Alexander Drakos geblieben, der noch vor fünf Jahren vor Kraft strotzte. Trotz seiner neunundfünfzig Jahre hatte er sich damals jung und stark gefühlt, auf dem Höhepunkt seines Lebens. Stark genug, die damals vierunddreißigjährige Christina zu heiraten. Dieses hübsche Energiebündel.

Damals. Doch an diesem Tag war sie mit ungebremster Wucht an ihm vorübergezogen, und er fragte sich zum ersten Mal, ob es ein Fehler war. Eine Frau, die fünfundzwanzig Jahre jünger ist als du? Mehr als einmal hatte er diese Frage in den Wind geschlagen. Christina tat ihm einfach gut. Sie war anders als die vielen oberflächlichen Frauen. Sie hatte frischen Wind in sein Leben gebracht und überdies zeigte sie ein erfreuliches Talent in geschäftlichen Dingen.

Seine Schultern hingen schlaff, sein Blick verlor sich hilflos. Der Mann, der sich da schwach im Fenster spiegelte, zeigte ihm eine bedrückende Wahrheit.

Nicht die jüngere Christina mit ihrem unbeherrschten Temperament war der Fehler.

Er selbst, Alexander Drakos, war zum Problem geworden.

Kapitel 6

Sophie – Griechenland

Nur in letzter Sekunde hatte Sophie den Zug erreicht, war erschöpft in den Sitz gefallen und unmittelbar danach unter dem gleichmäßigen Ruckeln eingeschlafen. Als sie die Augen öffnete, zuckte Sophie vor Schreck zusammen. Ihr gegenüber hatte unbemerkt ein hagerer Mann in dem Abteil Platz genommen, der mit zur Hälfte geschlossenen Lidern an ihr vorbei zu starren schien. Ihren kleinen Koffer hatte sie vorhin zu ihren Füßen abgestellt, aber sie genierte sich, das zu überprüfen. Sie schämte sich für ihren Schreck beim Anblick des Mannes. Aber sein Gesicht war so entsetzlich von Pickeln übersät und seine oberen dunklen Zähne standen so weit unter der spröden Lippe hervor, dass es sie ekelte. Der hässliche Mann zeigte keine Regung, wippte nur mit dem Kopf im Rhythmus der Schienenstöße. Sophie fühlte unauffällig mit ihren Beinen nach dem Koffer, er stand noch an seinem Platz. Mit einer dezenten Bewegung tastete sie nach ihrer Lederbörse, auch die steckte noch in ihrer Jackentasche. Jene alte Lederbörse, die ihre Mutter zurückgelassen hatte, als sie die Familie verließ. Das abgegriffene Leder hatte sie Tausende Male beschnüffelt und jedes Mal gab es ihr das bizarre Gefühl, ihrer Mutter nahe zu sein. Wie in einem Schrein bewahrte sie das wenige Geld darin auf, das sie seit Monaten angespart hatte. Für den Tag, an dem sie fortgehen würde. Für den heutigen Tag.

Es wäre ihr unhöflich und wie eine Beschuldigung vorgekommen, in Gegenwart des Mannes ihre Habe auf Vollständigkeit zu untersuchen. Hätte er sie bestohlen, wäre er bestimmt nicht dort sitzen geblieben. Noch unglaubwürdiger schien ihr, dass der hässliche Mann ihr die leere Geldbörse wieder zurückgesteckt hätte. Sicher hätte sie bemerkt, wenn sich jemand, aus welchem Grunde auch immer, an ihrer Kleidung zu schaffen gemacht hätte, während sie schlief.

Sie sah aus dem Fenster. Die vorbeiziehende Landschaft und das gleichbleibende Rattern versetzten Sophie wieder in eine gewisse Beruhigung. Hier und da weideten Schafe, kleine marode Häuser verteilten sich unregelmäßig und gelegentlich von schroffen, kleinen Felsen und Steinen unterbrochene Wiesen schwangen weithin. Sie konnte sich nicht erinnern, wann sie das letzte Mal eine Bahnfahrt unternommen hatte. Genau genommen bestand ihre Erinnerung nur aus der zermürbenden Pflege ihres undankbaren Vaters über all die Jahre. Ihr gesamtes Denken und Handeln hatte sich einzig um die Fürsorge für ihn gedreht. Ein Lächeln überzog ihr Gesicht, als sie wieder des unfassbar schönen Gefühls von Freiheit gewahr wurde. Sie befand sich tatsächlich auf dem Weg nach Patras und von dort aus auf dem Weg irgendwohin in der Welt, um ihre Familie zu finden. Ganz gleich, ob es ihr gelingen würde oder nicht, nichts konnte schlimmer sein als ein Leben bei Károlos. Fort. Endlich fort. Heute strahlte der Himmel hinter dem schlierigen Fenster des Zuges so blau wie noch nie, die Wolken waren so weiß wie noch nie und die vorbeiziehenden Wiesen so grün wie noch nie.

Eine eigenartige Unruhe überkam sie wieder.

Wenn die Geldbörse also noch da war, der Koffer sich unberührt an seinem Platz befand, was hat den Kerl dann bewogen, ausgerechnet in diesem Abteil Platz zu nehmen? Der Zug fuhr nahezu ohne Passagiere, wie sie beim Besteigen festgestellt hatte. Sie schielte wieder zu ihm herüber, so unauffällig es ihr möglich war. Er war wirklich abgrundhässlich. Seine Gesichtshaut und seine Haare waren fettig, und Sophie meinte, einen unangenehmen Geruch wahrzunehmen. Kopfwackelnd saß er unverändert vor sich hinstarrend da, dass sein gesamter Körper irgendwie mitschwang. Seine rechte Hand hatte er die ganze Zeit über in der Manteltasche, fiel Sophie auf. Es drängte sie, den Kerl anzusprechen zu fragen, was er im Schilde führt, doch stärker als diese Neugier war die Gewissheit, dass sie lieber schweigend sitzen bleiben würde. Überhastet stand sie auf. Während sie die Schiebetür hinter sich zuzog, überkam sie das Gefühl, der Kerl hätte ihr hinterher gestarrt. Ruckartig drehte sie sich um, doch er saß wie eine Requisite unverändert an seinem Platz. Sophie wischte mit Zeigefinger und Daumen über ihre Augen, sah dann links und rechts den Gang entlang. Wie vereinsamt sie doch war, wie ungeübt im Umgang mit Menschen. Aber das würde sich von nun an ändern. Sie war jetzt frei und würde das für den Rest ihres Lebens bleiben. Nie wieder abhängig. Mit dem Lächeln überkam sie ein Gefühl von vollständiger Freude. Von sofort an würde sie nicht mehr aufhören, zu lächeln. Sie wechselte die Miene von Lächeln auf Maske und zurück. Maske. Sie hatte sich selbst in Gedanken ›Maske‹ genannt. Sie musste sofort in einen Spiegel schauen.

Beim Anblick des Toilettenschildes rechts fiel ihr ein, dass sie eine der Wasserflaschen bereits vollständig ausgetrunken hatte. Nach dem ersten eiligen Schritt in Richtung Toilette musste sie an ihren Koffer denken, der unbeaufsichtigt bei dem schmierigen Kerl im Abteil stand. All ihre kärgliche Habe befand sich darin. Im Grunde nichts, worauf sie nicht hätte verzichten können. Aber es war der kleine Koffer, den sie ebenso sorgsam wie die Geldbörse gehütet hatte. Würde sie zurückgehen und den Koffer holen, käme sie ganz bestimmt zu spät bei der Toilette an.

 

Er war fort! Als Sophie erleichtert zum Abteil zurückgeeilt kam, war der Kerl fort. Ihr kleiner Koffer stand zum Glück noch an seinem Platz. Sie hob ihn an, überflog den Inhalt. Wie es aussah, befand sich alles noch vollständig darin. Im Flur hatte sie niemanden gesehen. Sie schritt die andere Richtung ab, sah dabei in Abteil für Abteil. Doch der Kerl blieb verschwunden. So einfach, wie sie es sich eben noch vorgenommen hatte, war es mit dem Lächeln nicht. Kopfschüttelnd ging sie zurück, setzte sich und konnte bereits den Hafen erkennen.

Sie war da! Neugierig zog sie das Schiebefenster herunter und lugte mit dem Kopf heraus. Die Waggons zischten in einer weiten Kurve Richtung Hafen, der Wind strich warm durch ihr Haar, sodass sie lächeln musste.

 

Sie hatte genügend Zeit, ein wenig umherzuschlendern, sich die lachenden Gesichter der Menschen anzusehen und vor Schaufenstern stehen zu bleiben. Nur ein einziges Mal hatte Sophie als Kind den Hafen von Patras zu sehen bekommen, und obwohl die Erinnerung daran weit zurücklag, kam ihr Einiges seltsam bekannt vor. Als sie sich im Laufen nach einer Boutique umdrehte, stieß sie beinahe gegen einen öffentlichen Telefonapparat. Was würde Károlos wohl gerade tun? Sie schaute auf die Uhr. In zwei Stunden würde das Schiff ablegen, es blieb also genug Zeit, bei ihm anzurufen.

Als der Klingelton unendliche Male ertönt war, und sie schon wieder auflegen wollte, hörte sie ein Knacken. »Ja?« Károlos war in der Phase kurz vor der Besinnungslosigkeit, um Stunden früher als üblich. Sie zögerte, ob es eine gute Idee war, bei ihm anzurufen.

»Papa, ich bin es, Sophie.« Auswendig konnte sie ihren Vater vor sich sehen, wie er empört nach Worten rang, dabei unstet die Augen verzog, bis er schließlich nur noch sinnloses, beleidigendes Gebrüll hervorbrachte.

»Pah!«, stieß er verächtlich hervor, sammelte sich hörbar schnaufend und fuhr dann lallend fort. »Die feine Frau Tochter. Wo steckst du überhaupt?«

»Papa, ich gehe fort.«

»Fort? Soll ich etwa hier im Dreck verkommen, während du auf Reisen gehst?« Zu ihrer Überraschung hatte sein Unterton nicht wie üblich diesen vollständig erniedrigenden Klang. Sophie meinte, etwas Flehendes erkannt zu haben. Ihr Herz krampfte.

»Ich muss gehen, Papa.« Károlos schwieg. Nur das pfeifende Atmen durch seine zugeschwollene Nase war zu hören und es kam ihr vor, als hätte sie seine Tränen spüren können. Sophie hielt den Atem an, fasste sich rasch wieder, schob ihre Zweifel beiseite. Sie sah zu dem Schiff herüber, verzog ihren Mund zu einem Lächeln. »Papa, ich komme nicht zurück. Ich werde jetzt ein Schiff besteigen und nicht zurückkehren.«

»Ein Schiff?« Károlos Stimme krächzte. »Woher hast du denn ein Ticket für ein Schiff?«

Es ändert sich nie, dachte Sophie und zog angestrengt die Mundwinkel hoch. »Du erinnerst dich an meine letzte Anstellung im ›Café Kallas‹?« Sie ließ eine Pause, hörte Károlos schnaufen. »Karla hatte eine Schiffsreise geplant, konnte sie aber nicht antreten, weil ihre Mutter krank wurde. Was manche Kinder nicht so für ihre Eltern tun! Jedenfalls hat sie mich mit dem Ticket bezahlt, statt mir meinen Lohn zu geben. Egal, jedenfalls habe ich von Karla das Ticket.« Sie zog es aus der Tasche, schaute es an, schwieg. Auch Károlos war still. Sophie hob das Ticket hoch, sodass sie träumend über den oberen Rand hinweg das Schiff in der Ferne sehen konnte. »Harmony«, sagte sie in Gedanken.

»Du fährst mit der ›Harmony‹?« Erschrocken ärgerte Sophie sich über ihre eigene Dummheit, den Namen des Schiffes ausgesprochen zu haben. Gleichzeitig straffte sie ihren Körper, hob das Kinn und beschloss, sich nicht mehr zu verstecken. Sie war eine erwachsene Frau und konnte tun und lassen, was sie wollte.

»Ja, Papa. Ich werde jetzt hinaufgehen, die Kabine 12011 suchen und mich erst einmal gründlich ausschlafen. Und dann werde ich meine Familie suchen.«

»Du willst auf einem Schiff deine Familie suchen? Ich bin deine Familie, Sophie. Ich, dein Vater!«

* * *

Károlos vernahm ein lautes Krachen. Zunächst hatte er angenommen, Sophie hätte den Hörer aufgelegt. Doch nach einem Augenblick hörte er Stimmen. Der Hörer musste ihr aus der Hand gerutscht sein und sie unterhielt sich aufgeregt mit jemandem. Károlos griff nach der Flasche, nahm einen tiefen Schluck. Beim besten Willen konnte er nicht verstehen, worum das lautstarke Gespräch am anderen Ende ging. Genervt stellte er die leere Flasche ab.

Er spürte Müdigkeit aufkommen.

»Wer weiß, in welches Schlamassel diese Göre sich da wieder gebracht hat. Soll sie doch zusehen, wie sie zurechtkommt.«

 

Kapitel 7

Alexander- Griechenland

In einem weiteren Punkt hatte Christina auf unheimliche Weise recht. Um die Finanzen der Drakos Line stand es bedrohlich schlecht. Nachdenklich sortierte Alexander die weitere Post hinter den offenen Brief der Bank, blickte dabei auf den Stapel Zeitungen, den Christina wütend auf den Boden geworfen hatte. Er fragte sich, ob ihm langsam sein Instinkt verloren ging. Bemächtigte sich wirklich eine Altersmilde seines Denkens und Handelns, wie Christina es ihm vorhielt? Ein Verschleiß, der seine Schnelligkeit, seine Kaltblütigkeit und seinen Wagemut von einst sterben ließ? Christina und er hatten schon mehrmals über dieses Thema gestritten.

Es sind existenzbedrohende Dinge geschehen und du hast nicht richtig reagiert. Ein derartiger Fehler wäre dir früher nie passiert. Wo ist der Alexander von damals geblieben? Du warst immer derjenige, der vorausschauendes Talent bewies und schneller als andere richtige Entscheidungen gefällt hat. Instinktiv, Alexander!

Er blickte durch das Fenster in den Himmel. Genau jene Eigenschaften, deretwegen damals der weltgrößte Reeder Aristoteles Denassis auf ihn aufmerksam geworden war und sein väterlicher Förderer wurde. »Mein Gott ist das lange her.« Wehmut überkam ihn und er sah vor seinem inneren Auge den kleinen Hafen, die Fischerboote und die alte Markthalle, überfüllt mit Menschen und lautem Gebrüll. Hätte Alexander Drakos noch Tränen in seinem Leben gehabt, so wären diese in jenem Augenblick geflossen. Nur kurz hatten die angenehmen Erinnerungen angehalten, bevor die dunkle Vergangenheit sich durchsetze. Er sah wieder seine weinende Mutter, die er immer wieder füttern und kämmen musste, während sie wirr vor sich hinstarrend redete. »Du bist jetzt elf Jahre alt, Alexander, du musst jetzt die Familie ernähren. Dein Vater kommt nie wieder.«

Alexanders Kehle schnürte sich zu. Wie eine Maschine hatte er damals gearbeitet. Seine Hände wurden rau, doch die Schmerzen in seinem kleinen Körper blieben. Er blickte in seine geöffneten Hände, glitt mit den Fingern über die Handflächen, die noch immer hart wie Leder waren. Heute wüsste jeder Hausarzt, dass ein elfjähriger Junge eine derart schwere Arbeit nicht verrichten darf. Hausarzt! Alexander lehnte sich zurück. Seiner Erinnerung nach gab es in dem kleinen Fischerdorf einzig einen meist betrunkenen Viehdoktor, der in der Hauptsache bei der Geburt von Eseln geholt wurde. Wenn es nötig war, half der Viehdoktor auch schon einmal einer darniederliegenden Frau, flickte Schnitte und Wunden zusammen oder zog einen Zahn. Es gab nicht einmal Autos. Wer hätte damals feststellen sollen, dass er wahrscheinlich an einer posttraumatischen Störung litt, und wer hätte ihn und seine Familie ernähren sollen?

Im Eiltempo hatte sich die Welt verändert. Vieles war besser. Aber auch komplizierter; Gesetze, Banken, Vorschriften.

Aristoteles Denassis musste damals einen wahrhaft glücklichen Moment erlebt haben, als er am Ende seines Lebens Alexander entdeckt hatte und wusste, dass es einen fähigen Nachfolger gab.

 

Alexander Drakos’ geschäftliche Krise war zu seiner ganz persönlichen Lebenskrise geworden. Damit musste er sich abfinden, je eher, desto besser. Glück, befand Alexander, war eine Konzentration von Ereignissen, die er nur eigenständig mit Fleiß, Hartnäckigkeit und manchmal ungewöhnlichen Mitteln herbeiführen konnte. Er würde sich nicht darauf verlassen, dass ihm zufällig ein junger, talentierter Mensch über den Weg läuft, der ihm seinen Mühlstein von den Schultern nimmt.

Ein Heißhunger überkam ihn, und er beschloss, die weitere Bearbeitung der Post im Küchentrakt vorzunehmen. Dort waren Kaffee, Schokolade und Nachmittagssonne in Hülle und Fülle und genau danach war ihm zumute. Er hob die Zeitungen auf und machte sich auf den Weg ins Untergeschoss.

* * *

Es gibt nur einen Weg: vorwärts.

Mit Schwung hatte Alexander auf einem Barhocker in der Küche Platz genommen. Vor sich auf der steinernen Tischplatte hatte er die Post, Zeitungen und zu viel Schokolade ausgebreitet, hielt den Becher mit dem dampfenden Kaffee in beiden Händen und überlegte. Das Display seines Smartphones leuchtete auf, irgendeine Meldung, die er sofort wieder schloss. Er sah auf das Hintergrundbild des Displays. »Die schönste Frau der Welt«, sagte er, während ihm eine Idee kam. »Manchmal liegt die Lösung so nahe.« Er stellte den Kaffeebecher ab, schlug mit einer Faust in die andere Hand. »Das ist besser als Schokolade.«

Christina hatte ihm mit ihren impulsiven Einwänden in letzter Zeit zwar schmerzhafte Vorwürfe gemacht. Doch so sehr ihn dies manchmal verletzte - sie hatte recht! Wie viele vergebliche Versuche hatte sie unternommen, ihn von ihren Fähigkeiten zu überzeugen. Er hatte es aber einfach nicht gesehen. Ja, er hatte vor, sich selbst auf ein Leben nach der Arbeit vorzubereiten. Doch in diese Planung hatte er Christina nie als seine Nachfolgerin einbezogen, sondern wie selbstverständlich als liebende Partnerin, die Ehefrau, die Vertraute, mit der er seinen Ruhestand gemeinsam genießen würde. Dabei war es die ganze Zeit über so offensichtlich, was sie sich wünschte, und er hatte es einfach nicht erkannt. Christina wollte mehr. Sie war noch nicht bereit, ein genießerisches Leben in Ruhe und Harmonie zu führen. Er hatte sie ungewollt in seinen Planungen zu einem willenlosen Schmuckstück gemacht und zu keiner Zeit bedacht, was ihre eigenen Vorstellungen sein mochten.

Es war nicht zu spät! Er würde sich arrangieren müssen, aber es würde funktionieren. Sie würden oft an getrennten Orten sein und nur gelegentliche gemeinsame Zeiten haben. Zwar wäre es nicht komplett das, was er sich ersehnt hatte, aber so konnte das drohende Desaster verhindert werden. Noch etwas war ihm nun klar: Würde er diese vor Tatendrang brodelnde Frau in einen goldenen Käfig sperren, wäre die weitere gemeinsame Zeit eine Hölle auf Erden.

Zum zweiten Mal an einem Tag fühlte es sich für Alexander gut an, zu lächeln. Er hatte einen weiteren verheerenden Fehler abgewendet.

Den Stapel Werbebriefe warf er in den Papierkorb, die anderen Briefe stieß er mit lautem Geräusch auf der Tischplatte in einen gleichmäßigen Stapel. Seine völlig neuen Überlegungen würden bei Christina Begeisterung auslösen. Er freute sich auf ihr Gesicht.

Mit unbedeutenden Kleinigkeiten hielt sich Alexander Drakos schon lange nicht mehr auf. Ein Papierkorb war eine von diesen Belanglosigkeiten. Warum er an diesem Tag auf das zerknüllte Blatt darin aufmerksam geworden war, hätte er nicht sagen können. Unbedarft bückte er sich danach und glättete es mit der Hand. Das Logo des ›Hotel Metropolis‹ in Patras wurde erkennbar. Langsam zog er das Papier weiter auseinander, es zeigte sich, dass es sich um eine Rechnung handelte. Ein Doppelzimmer am 16. März. Er erinnerte sich nicht, jemals in diesem Hotel gewesen zu sein. Neugierig geworden schaute er sich das Schriftstück näher an. Im unteren Teil des Briefbogens wurde eine ganze Reihe von Geschäftsführern genannt, es handelte sich also um ein eher großes Haus. Er bevorzugte jedoch stets kleinere Häuser. Immer wieder hatte Christina ihm zwar auch schon Übernachtungen in mondäneren Häusern gebucht, die sie eher für angemessen gehalten hatte. Aber auch diese Möglichkeit schied aus, er war definitiv noch nie in diesem Hotel gewesen. Grübelnd zog er sein Smartphone aus der Jacketttasche, blätterte in dem Kalender. Am 16. März war er in Marseille gewesen. In einem Hotel zwar, aber nicht in diesem ›Hotel Metropolis‹ und nicht in Patras. Der Tag kam wieder in lebendige Erinnerung. Gedankenversunken ging er angestrengt grübelnd um den Tisch herum. Es war einer dieser Tage, an denen ein harmlos begonnener Streit mit Christina in einem Fiasko mündete. »Manchmal«, hatte Christina an jenem Tag zu ihm gesagt, »kann ich das Ganze einfach nicht ertragen.«

»Aber wir hatten doch verabredet, dass du mich begleitest. Jeanne und Clodette freuen sich auf …«

»Jeanne und Clodette«, hatte sie ihn abfällig unterbrochen, »ich kann Banker einfach nicht ausstehen und die beiden schon gar nicht. Sie sind Blutsauger, Egel, die an dir kleben, wie Ungeziefer. Wenn ich an Clodettes dauerndes falsches Grinsen nur denke, wird mir übel.« Liebevoll hatte er seine Hand auf Christinas Rücken gelegt.

»Bist du etwa eifersüchtig?« Für einen Augenblick schien es ihm nun im Nachhinein, als hätte Christina damals ein Lachen unterdrückt. »Wenn ich heute dabei sein muss, kann ich für nichts garantieren. Wenn dieses Theater wirklich von Wichtigkeit für dich ist, gehst du besser allein.«

»Wenn es wichtig für mich ist?«, hatte er wütend nachgehakt. »Ich glaube, du verkennst einiges, meine Liebe. Die Banken sind füruns das Wichtigste. Ohne die ständigen Zwischenfinanzierungen könnten wir unmöglich existieren.« Alexander hatte Christina beschwörend angesehen, »und Jeanne und Clodette sind unsere wichtigsten Partner.«

»Deine wichtigsten Partner«, hatte Christina betonend geblafft. »Von meinem wichtigsten Partner habe ich eine andere Vorstellung als die eines spröden Brillenträgers, der ununterbrochen nervös mit den Augen zuckt und zu keiner Zeit über etwas anderes als Geld reden kann.«

Ein anfänglich stabiler Faden der Geduld in Alexander hatte sich zu einem dünnen Fädchen gedehnt, das jeden Augenblick zu reißen drohte.

»Meine Partner also. Aber von dem Geld lebt es sich recht angenehm, nicht wahr?«

Wortlos hatte sie sich umgedreht und das Gespräch damit beendet. Christina hatte das Haus an diesem Tag verlassen und Alexander hatte das irgendwie verstanden. Es tat ihm im Nachhinein leid. Er hatte sich unfair verhalten und wollte ihr deshalb eine Auszeit gönnen. Bei irgendeiner Freundin würde sie trefflich über ihn schimpfen, stellte er sich vor. Dann würden die Frauen etwas Sekt trinken, alle Männer dieser Welt mit ihm zusammen in einen großen Sack tun und mit einem Knüppel draufschlagen. Es träfe immer den Richtigen, würden sie sich dann beschwipst kichernd amüsieren. Schließlich würden sie das Thema so ausgiebig behandelt haben, dass sie zwangsläufig auf andere Dinge wie Handtaschen oder Schuhe gekommen wären.

* * *