Dein dunkles Herz - Christine Feehan - E-Book

Dein dunkles Herz E-Book

Christine Feehan

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Beschreibung

Andre Boroi ist ein uralter Jäger. Seit Jahrhunderten bekämpft er Vampire - und die Dunkelheit in seinem Herzen, die droht, ihn selbst in ein Monster zu verwandeln. Als er in einem Kampf schwer verletzt wird, muss er sich in einer Höhle in den Bergen seiner Heimat verstecken. Nie hätte er erwartet, dort auf die eine Frau zu treffen, die ihn vor seinem dunklen Schicksal retten kann. Und plötzlich glimmt in all der Dunkelheit ein Funke auf. Ein Funke der Hoffnung. Und der Leidenschaft ...

Dunkel, gefährlich und extrem heiß - Dein dunkles Herz ist der 28. Band der umfangreichen NEW YORK TIMES und SPIEGEL-Bestsellerserie Die Karpatianer.

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Inhalt

Cover

Grußwort des Verlags

Über dieses Buch

Titel

Stammbaum

Widmung

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

An meine Leser

Danksagung

Über die Autorin

Weitere Titel der Autorin

Impressum

 

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Über dieses Buch

Andre Boroi ist ein uralter Jäger. Seit Jahrhunderten bekämpft er Vampire – und die Dunkelheit in seinem Herzen, die droht, ihn selbst in ein Monster zu verwandeln. Als er in einem Kampf schwer verletzt wird, muss er sich in einer Höhle in den Bergen seiner Heimat verstecken. Nie hätte er erwartet, dort auf die eine Frau zu treffen, die ihn vor seinem dunklen Schicksal retten kann. Und plötzlich glimmt in all der Dunkelheit ein Funke auf. Ein Funke der Hoffnung. Und der Leidenschaft …

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CHRISTINE FEEHAN

Deindunkles Herz

Aus dem amerikanischen Englischvon Anita Nirschl

Für die Mitglieder meiner Online-Community,die allzeit zu einer Bücherdiskussion bereit sind und eineso große Liebe zum Lesen mit mir teilen.Dieses Buch ist für euch, ein Tribut an euren Sinn für

Kapitel 1

Die Bergkette war hoch – hoch genug, dass andere die einsamen, zerklüfteten Gegenden mieden, die Andres Ziel waren. Je höher er stieg, desto dichter wirbelte der Nebel und hüllte ihn in einen sanften, feuchten, grauen Schleier. Man nannte ihn den »Geist«, und wie sein Beiname es besagte, verschmolz er mühelos mit der kühlen, grauen Welt, die er so gut kannte. Er benutzte niemals einen Nachnamen, wenn es sich vermeiden ließ, denn der einzige Name, der ihm etwas bedeutete, war nicht der seiner leiblichen Eltern, und sofern er nicht eine Seelengefährtin fand, würde er es nicht riskieren, diesen Namen jemals zu entehren.

Einige Kilometer weiter oben, beinahe auf dem höchsten Gipfel des Berges gelegen, befand sich das Kloster, das dort auf den Steilhängen schon seit Jahrhunderten thronte und von Geheimnis und ewig wirbelnden Wolken umwittert war. Es war ein heiliger, geschützter Ort, und nur wenige wussten, dass es ihn gab, obwohl im Lauf der Jahre immer wieder etwas von seiner Existenz nach außen gedrungen war. Nur die Tapfersten versuchten jemals, dorthin zu gelangen. Wäre er geneigt gewesen, hätte er dort Schutz suchen können, um sich von seinem letzten Kampf zu erholen.

Das Kloster, das als die »Zuflucht im Schleier der Nebel« bekannt war, beherbergte eine regelrechte Armee uralter karpatianischer Jäger – Männer, die noch nicht die Morgendämmerung gesucht hatten, die jedoch wie Andre nicht mehr wagten, in Gesellschaft anderer zu sein. Sie blieben streng unter sich, mieden alle Menschen und alle Kämpfe und lebten ihr Leben in Einfachheit, bis sie in der Lage waren, loszulassen und in die Morgendämmerung zu treten.

Für Männer, die jahrhundertelang in Ehre gelebt hatten, war es nicht leicht, das Leben loszulassen. Selbst ohne die Fähigkeit, Farben zu sehen und Gefühle zu empfinden, hielten viele dies für feige. Solange ein Krieger nicht im Kampf tödlich verwundet worden war, konnte er nicht einfach ins Freie gehen und der Sonne erlauben, ihn zu nehmen. Es fühlte sich … falsch an. Andre wäre im Kloster willkommen gewesen, doch er war schon zu lange fern von anderen. Er hatte es in Betracht gezogen, am Ende jedoch erkannt, dass er nicht einmal mehr in der Lage war, den Schutz und die Kameradschaft anzunehmen, die er dort finden würde.

Andre machte sich nicht die Mühe, den Blutfluss seiner zahlreichen Wunden zu stoppen. Er wusste, dass er das eigentlich tun sollte. Es war eine Spur, die direkt zu ihm führte. Doch es war schlicht und einfach auch eine Einladung. Jeder, der in seine Nähe kam, würde sterben. Wenn er wieder erwachte – falls er überhaupt wieder erwachte –, würde er ausgehungert sein und sich vor gierigem Verlangen nach Blut winden. Und das war das meiste, was er je gefühlt hatte oder fühlen würde.

Man nahm aber kein Blut von den Alten, es sei denn, man war in größter Not, keinesfalls jedoch tat man es ohne Erlaubnis. Andre gehörte nicht zu der Sorte Karpatianer, die jemals um Asyl oder Erlaubnis bat, nicht einmal die Angehörigen seines Volkes. Er würde wie immer selbst finden, was er brauchte.

Manche Dinge waren eine Frage der Ehre. Andre hatte mehr Jahrhunderte gelebt, als er zählen wollte. Er hatte der Finsternis ehrenhaft widerstanden und dem karpatianischen Volk durch seine Jagd nach Vampiren auf mehreren Kontinenten gedient. Er hatte so oft gegen die Untoten gekämpft, dass er wahrhaftig nicht mehr sagen konnte, wie viele es gewesen waren, und es kümmerte ihn auch gar nicht mehr. Es schien noch so viele von ihnen zu geben und so wenige Jäger. Die Karpatianer waren dabei, den Krieg zu verlieren.

Er hatte jahrhundertelang nach seiner Seelengefährtin gesucht – der einzigen Frau, die ihm seine Fähigkeit, echte Gefühle zu empfinden, und Farben und Leben zurückgeben konnte. Aber er hatte sie nicht gefunden. Andre hatte schon vor langer Zeit den Gedanken aufgegeben, dass sie in diesem Zeitalter existierte. Wenn es sie irgendwo auf dieser Welt gäbe, wäre er ihr inzwischen längst begegnet.

Die unablässig flüsternde Versuchung, zu töten und etwas zu empfinden, wenn auch nur für einen Augenblick, verlockte ihn nicht mehr. Diese Last hatte er jahrhundertelang getragen, doch nun war auch sie fort, und das war schlimm, denn zumindest hatte er dadurch etwas gespürt. Jetzt waren da nur noch eine dunkle, graue Leere und grenzenlose Müdigkeit.

Er würde nicht zum Kloster gehen, um sich auszuruhen, denn unter anderem vertraute er sich selbst nicht mehr genug, um in der Gegenwart anderer zu sein, ob es nun Menschen oder Karpatianer waren. Als er erkannt hatte, wie schlimm es um ihn stand, war ihm klar gewesen, dass er der Sonne erlauben musste, ihn zu nehmen. Nur so konnte er seine Ehre bewahren. Doch dann hatte Costin Popescu ihn angegriffen. Popescu, der Name, den Costin angenommen hatte, war ein Witz. »Sohn eines Priesters«. Costin war alles andere als das!

Andre wandte sich um und musterte die schwindende Nacht. Licht durchzog das Grau, und er spürte bereits das erste warnende Kribbeln der Dämmerung auf seiner Haut. Das war für ihn ebenfalls ohne Bedeutung. Es diente nur dazu, ihn auf die aufgehende Sonne aufmerksam zu machen. Doch das war nicht nötig. Er lebte schon zu viele Jahrhunderte, um nicht den exakten Zeitpunkt von Sonnenauf- und -untergang zu kennen, wo immer er sich auch befand.

Wäre der Meistervampir Popescu ihm wie in den alten Tagen Mann gegen Mann gegenübergetreten, Vampir gegen Karpatianer, dann wäre Andre mit Freuden ehrenhaft gestorben, solange er nur den Vampir mit sich in den Tod genommen hätte. Mit einem Meistervampir zu kämpfen war sehr gefährlich. Sie besaßen gewaltige Kräfte und waren erfahren in der Schlacht, und meist war der Kampf mit ihnen deshalb fair.

Die Welt hatte sich für Andres Geschmack zu sehr verändert. Er gehörte nicht mehr dazu und war sich dieser Tatsache deutlich bewusst. Er war nie jemand gewesen, der die Gesellschaft anderer suchte. Andre zog hochgelegene oder wilde Orte vor, alles, wo er nicht auf Menschen traf. Er war nicht zivilisiert, nicht zahm. Er lebte nach seinem eigenen Kodex.

Selbst die Vampire hatten sich verändert. Es gab keine Ehre oder Fairness mehr in dieser Schlacht. In den alten Tagen hatten Vampire allein gejagt und getötet. Nun hatten die Meistervampire begonnen, geringere Vampire zu rekrutieren und in Rudeln zu jagen. Costin Popescu hatte vier Vampire um sich gesammelt, die ihm folgten und seine Befehle erfüllten. Zwei davon waren vermutlich begierig genug darauf, Andres Blutspur zu verfolgen. Das kräftige, alte karpatianische Blut würde sie direkt zu ihm führen. Die anderen beiden waren ein wenig erfahrener gewesen, und Popescu hatte ihnen noch das eine oder andere über den Kampf mit einem alten Jäger beigebracht. Zum Glück war es Andre gelungen, einen der beiden erfahreneren zu töten. Daher blieben Costin Popescu nur noch drei Schachfiguren seiner kleinen Armee.

Nun konnte Andre nicht friedlich in die Morgendämmerung treten und seine letzte Ruhe finden, wie es eigentlich sein sollte, weil seine Ehre ihn dazu zwang, die Welt von Popescu und seiner Bande blutdurstiger Spießgesellen zu befreien.

Andre fand den schmalen Eingang der Höhle, in der er rasten und seine Wunden versorgen wollte. Sie war nur schwer zugänglich. Man musste schon direkt über den Eingang stolpern, um ihn überhaupt zu entdecken, und nur sehr wenige erklommen je die zerklüfteten Hänge bis in diese Höhe. Schon als Junge hatte er diese Höhle als Ruheort genutzt.

Er erinnerte sich noch an die funkelnden Edelsteine und Kristalle, die an den Wänden der zahlreichen Kammern in allen Farben schimmerten. Manchmal fiel ein Lichtstrahl durch den schmalen Kamin und erhellte die von Adern kostbarer Mineralien durchzogenen Wände. Andre war oft in die Höhle zurückgekommen, in der Hoffnung, diesen wunderschönen Anblick wiederzusehen, den er in sein Gedächtnis eingebrannt geglaubt hatte. Er war so sicher gewesen, die Erinnerung daran würde nie verblassen, genauso wenig wie die Begeisterung, die er bei diesem Anblick verspürte. Doch er hatte seine Gefühle schon weit vor den üblichen zweihundert Jahren verloren, und der Verlust seiner Fähigkeit, Farben zu sehen, war bald darauf erfolgt. Die Höhle war grau wie alles andere in seiner Erinnerung.

In seiner Jugend hatte er die unterirdischen Kammern zu seinem Zuhause gemacht, lange nachdem er alle Familienmitglieder verloren hatte. Alles, was ihm aus seinen früheren Tagen etwas bedeutet hatte, lagerte in einer unterirdischen »Gruft«, die er aus dem Fels gehauen hatte, tief unter der Kammer, in der er oft ruhte. Vor ein paar Jahrhunderten, als ihm klar geworden war, dass er der Letzte seines Familienzweigs sein würde, hatte er die Gruft versiegelt und kehrte nur noch in die Höhlen zurück, wenn es nötig war.

Mit einem Seufzen trat er durch die kühle, schmale Öffnung. Er musste sie mit Schutzzaubern belegen. Popescus Lakaien würden sich zwar nicht in der Sonne aufhalten können, dennoch wäre es Selbstmord, nicht für seine Sicherheit zu sorgen, während er schlief. Diesen Luxus konnte er sich nicht leisten, bis er die Welt von den Vampiren befreit hatte, die Jagd auf Unschuldige machten. Er hob die Hände und begann das komplizierte, aber äußerst notwendige Ritual, Schutzzauber zu wirken, um seine Ruhestätte zu sichern.

Er hatte eine gewaltige Menge Blut verloren, und unerwartete Schwäche überkam ihn, als er sich daranmachte, das Erdreich zu öffnen. Möglicherweise hatte er zu lange gewartet. Seine Verletzungen waren schwer, und vielleicht, nur vielleicht, würde das Schicksal eingreifen, und Andre würde sich nicht wieder erheben.

Mit wild klopfendem Herzen saß Teagan Joanes in ihrem kleinen Reisezelt auf ihrem Schlafsack. Sie hatte einen großen Fehler gemacht, einen riesengroßen. Sie war eine erfahrene Rucksacktouristin, und wenn sie Wandertouren in fremden Ländern unternahm, wählte sie ihren Führer stets sorgfältig aus. Sie war nicht so dumm, in irgendeinem fremden Land allein ohne einen Kumpel loszuziehen. Sie hatte es nie, nicht ein einziges Mal, für unsicher gehalten, mit einem Mann in die Berge zu wandern, den sie seit über drei Jahren kannte.

Sie waren gute Freunde. In den Vereinigten Staaten, auf der Universität, war sie seine Nachhilfelehrerin gewesen, hatte mit ihm gebüffelt und zu Mittag oder Abend gegessen, während sie gelernt hatten. Er stammte aus einem anderen Land, sah sehr gut aus und hatte einen starken Akzent; deshalb war er bei den Frauen auf dem Campus äußerst beliebt. Er hatte viele Verabredungen, ging aber selten öfter als zwei Mal mit demselben Mädchen aus. Ihre Beziehung war rein freundschaftlich gewesen. Er hatte Teagan kein einziges Mal angemacht. Sie hatte sich immer wohl bei ihm gefühlt. Was war passiert?

Teagan überlegte verzweifelt, was sie getan oder gesagt haben könnte, um Armend Jashari auch nur eine Minute lang glauben zu lassen, sie wolle plötzlich mehr von ihm als nur Freundschaft. Sie waren über das Internet in Kontakt geblieben und hatten sich alle paar Tage gesimst, nur um in Verbindung zu bleiben, aber daran war nie auch nur ansatzweise etwas Sexuelles gewesen. Als Teagan in die Karpaten hatte reisen müssen, war es für sie selbstverständlich gewesen, Armend Bescheid zu sagen, dass sie kommen würde.

Er hatte sich ihr sofort freiwillig als Bergführer in die hochgelegenen Regionen angeboten, und natürlich hatte sie das Angebot angenommen. Sie fühlte sich wohl bei ihm. Nein, sie musste sich korrigieren: Sie hatte sich wohl bei ihm gefühlt. Jetzt waren die schlechten Schwingungen zwischen ihnen wirklich beängstigend geworden.

Teagan schlief angezogen in ihrer Jeans und einem T-Shirt, nur zur Sicherheit. Als sie nun hörte, dass er um ihr Zelt herumschlich, zog sie schnell die Stiefel an. Er steigerte sich in etwas hinein, das erkannte sie an der Art, wie er unruhig auf und ab marschierte. Hastig rollte sie ihren Schlafsack zusammen und band ihn an ihren Rucksack, dabei wünschte sie sich inständig, sie könnte ihr Zelt verlassen, ohne von Armend gesehen zu werden.

Sie vertraute ihren Instinkten, und im Augenblick schrien die sie geradezu an, um ihr Leben zu rennen. Ohne Vorwarnung wurde der Eingang ihres Zeltes aufgerissen, und Armend stürzte sich in ihr Reich.

Mit schmalen Augen sah Teagan den Mann an, der in ihr Zelt gekrochen kam, ihren Bergführer und Freund. Das hatte sie zumindest geglaubt. Er benahm sich nicht im Geringsten wie ein Freund, eher wie ein verwöhntes, reiches Kind, das glaubte, sich alles nehmen zu können, was es wollte, sie eingeschlossen.

»Was fällt dir ein?«, rief sie in ihrem drohendsten Tonfall, der besagte, dass Armend ein toter Mann war, falls er auch nur noch einen Schritt näher kam. Meistens blieb dieser Tonfall allerdings wirkungslos. Teagan war alles andere als groß und Furcht einflößend, doch sie konnte ihrer Stimme Taten folgen lassen, falls es notwendig war, und im Augenblick befürchtete sie, dass es notwendig werden würde.

»Du willst es doch. Du hast mich schon vom ersten Tag an gewollt, als du mich vor drei Jahren kennengelernt hast«, knurrte Armend. »Tu nicht so unschuldig! Du bist mir ständig nachgelaufen, und dann hast du beschlossen, rüberzukommen und mich zu bitten, dich in die Berge zu führen.«

»Du hast es mir angeboten, Armend«, fühlte sie sich gezwungen klarzustellen. »Das war deine Idee.«

»Du wolltest, dass ich dich führe.«

»Du warst mein Freund, und ich dachte …« Sie verstummte. Nie hatte sie in Betracht gezogen, dass das passieren könnte, doch das war offensichtlich ein Fehler gewesen.

»Ich weiß, was du willst. Hör auf, die Unnahbare zu spielen!«

»Wir haben zusammen studiert, Armend.« Teagan bemühte sich um einen ruhigen Tonfall, da sie Armend nicht aufregen oder wütend machen wollte. Manchmal wirkte Logik. Das Zelt war klein und bot nicht viel Bewegungsfreiheit. »Wir hatten Kurse zusammen. Wir haben gemeinsam gegessen, gelernt und geredet. Ich dachte, du wärst mein Freund.«

Er verdrehte die Augen. »Männer und Frauen können keine Freunde sein. Dachtest du, ich würde nicht merken, wie du mich angesehen hast?« Seine Erregung ließ seinen Akzent noch stärker hervortreten.

Armend Jashari war in die Vereinigten Staaten geschickt worden, um dort zur Schule zu gehen. Seine Eltern waren sehr reich, und das in einem Land, in dem nur wenige Leute vermögend waren. Eindeutig war Armend in dem Glauben aufgewachsen, er könne alles tun, was er wollte, einschließlich eine Frau bedrängen, die unmissverständlich Nein gesagt hatte.

»Es tut mir leid, wenn es zwischen uns zu irgendwelchen Missverständnissen gekommen ist. Ich dachte ehrlich, wir wären Freunde. Ich hatte einen sehr guten Grund, hierherzukommen, den ich dir auch erklärt habe, und ich nahm an, du hättest das verstanden. Es kam mir normal vor, einen Freund zu kontaktieren, der mit den Bergen vertraut ist, in die ich wandern muss. Ich wollte dir keine falschen Hoffnungen machen oder dich auf den Gedanken bringen, ich wäre an irgendetwas anderem als Freundschaft interessiert«, sagte Teagan.

Sie hatte nie mit ihm geflirtet, kein einziges Mal. Armend hatte während ihrer ganzen gemeinsamen Studienzeit keinerlei Andeutungen gemacht, dass er mehr als Freundschaft von ihr wollte. Teagan war ziemlich jung für den Masterstudiengang in Geologie gewesen. Armend war gut fünf Jahre älter als sie. Darüber hinaus sah sie auch noch äußerst jung aus … und wie ein Junge. Armand hatte sie stets wie eine jüngere Schwester behandelt. Er hatte viel Zeit mit ihr verbracht, war dabei aber mit einer Menge anderer Frauen ausgegangen – Frauen, die wie Teagans Schwestern aussahen.

Sie hatte drei Schwestern. Alle waren groß wie Models, mit weiblichen Kurven und feinen Gesichtszügen. Teagan war zehn Jahre nach ihrer jüngsten Schwester zur Welt gekommen. Alle drei waren sportlich, schön, intelligent und inzwischen verheiratet und hatten Kinder. Sie dagegen war … eben Teagan. Sie konnte sich vorstellen, dass Armand ihre Schwestern attraktiv finden würde, aber sie selbst war nicht knapp eins achtzig groß und hatte keinen üppigen Busen und weich gerundete Hüften. Sie zog Männer nicht so an wie ihre Schwestern. Und definitiv machte sie ihnen keine falschen Hoffnungen.

»Du bist doch nicht wirklich hier, um nach einer bestimmten Art Kristall oder Stein zu suchen«, wandte Armend ein und kroch weiter vorwärts.

Teagan griff nach ihrem einzigen Kochtopf. Darin kochte sie, wenn sie Wanderungen unternahm – was oft der Fall war. Der Topf war schwarz vom häufigen Gebrauch auf dem Feuer. »Wag es ja nicht, näher zu kommen!«

»Du elende Schlampe! Machst einen scharf und zierst dich dann«, knurrte Armend. Seine Züge wurden hässlich, und er ballte die Hände zu Fäusten. »Ich bin den ganzen Weg hier hochgekommen für einen Mitleidsfick. Das ist es, was du für mich bist. Meine Jungs haben gelacht, als ich ihnen deinen Brief gezeigt habe. Sie campen ein paar Kilometer von hier entfernt und warten darauf, dass sie auch zum Zuge kommen.«

Teagan bemühte sich um eine ausdruckslose Miene. Er hatte Freunde, die in der Nähe zelteten? Sie hatte ihm so sehr vertraut, dass sie allein mit ihm in die Karpaten gewandert war. Er sollte sie auf den Berg führen, damit sie genau den richtigen Kristall oder Stein finden konnte, den sie brauchte. Es war unerlässlich, dass sie ihn fand. Sie war auf einer Mission; sie brauchte den Kristall. Teagan würde es spüren, sobald sie ihn gefunden hatte. Ihr Körper reagierte auf solche Dinge. Sobald sie über seine Spur stolperte, würde sie ihr bis zu dem Kristall folgen können, doch zuerst musste ihr Körper seine Schwingungen spüren und sie aufnehmen wie eine Stimmgabel. Teagan hatte sich darauf vorbereitet, einen Monat in den Bergen zu verbringen, denn es war manchmal sehr schwierig, die schwache Spur zu finden, die sie zu dem Kristall führen würde.

»Ich sollte dir wohl für dein Mitgefühl danken, aber jetzt mal im Ernst, Armend: Ein ›Mitleidsfick‹, wie du dich ausdrückst, kommt absolut nicht infrage. Ich will nicht, dass du mich anfasst, geschweige denn derart persönlich wirst. Also Mitleid hin oder her, das steht nicht zur Debatte und ist absolut indiskutabel. Verschwinde aus meinem Zelt!«

»Du bist nichts als eine dumme kleine Jungfrau, was? Eine elende Maulhure.«

Teagan zog eine Augenbraue hoch und biss die Zähne zusammen. Sie hatte ein hitziges Temperament, und Armend war sehr kurz davor, das Fass zum Überlaufen zu bringen. Er würde sie definitiv angreifen, also konnte sie seinen Angriff ebenso gut provozieren, dann war sie wenigstens darauf vorbereitet. »An mir ist überhaupt nichts Dummes, Armend. Ich bin viel intelligenter, als du es je sein wirst. Ich musste dir Nachhilfe geben, schon vergessen? Ohne mich hättest du es nie durch irgendeinen deiner Kurse geschafft.«

Er stürzte sich auf sie und schlug ihr den Kochtopf aus der Hand. Sie war klein, bloß eins siebenundfünfzig, und das auch nur, wenn sie Schuhe trug. Sie war äußerst zierlich und hatte nicht gerade üppige Kurven oder sonst irgendetwas, das Männer verlockend fanden. Was zum Teufel dachte sich Armend nur?

Er warf sich so heftig auf sie, dass er sie umriss. Sie prallte mit dem Kopf gegen den Rahmen ihres Rucksacks und mit dem Rücken so hart auf den Boden, dass es ihr die Luft aus der Lunge presste. Aus ihrer ungünstigen Position heraus schlug sie so hart nach ihm, wie sie konnte, und traf ihn mit der Faust am linken Auge.

Er fluchte und schlug zurück – ins Gesicht. Drei Mal. Teagan sah tatsächlich Sterne, und der Rand ihres Gesichtsfeldes wurde schwarz. Doch sie weigerte sich, das Bewusstsein zu verlieren. Armend zerrte an ihren Kleidern, dabei zerriss er ihr liebstes Camping-Shirt. Sie hatte nur wenige Kleidungsstücke zum Wechseln mitgenommen, denn beim Wandern war das Gewicht des Rucksacks ausschlaggebend. Armend hatte diese spärliche Anzahl gerade um eins verringert.

Es war unmöglich, ihn abzuschütteln oder sich unter ihm hervorzurollen, deshalb spannte sie ihre sehr kräftigen Bauchmuskeln an und setzte sich so ruckartig auf, dass sie ihn mit dem Kopf unters Kinn traf. Es tat höllisch weh, aber das war ihr gleichgültig, denn es beförderte Armend von ihr herunter. Er rollte gegen die Seitenwand des Zeltes und brachte es damit beinahe zum Einsturz.

Hastig kämpfte Teagan sich auf alle viere, um ins Freie zu gelangen. Er trat nach ihr und traf sie hart in die Rückseite ihres Oberschenkels. Ihr Bein wurde taub, doch die Wucht des Trittes schleuderte sie aus dem Zelt hinaus. Sie landete auf dem Bauch und rollte sich fort, so schnell sie konnte. Dabei bemühte sie sich, nicht vor Schmerz aufzuschluchzen. Armend machte keine Faxen. Er meinte es todernst, und es war ihm egal, ob er ihr wehtat oder nicht.

Teagan hatte in der Vergangenheit eine Menge Selbstverteidigungskurse besucht. Sie kletterte und liebte sowohl das Sportklettern als auch das Bouldern, also das Klettern ohne Seil und Klettergurt. Teagan wanderte ständig, überall auf der Welt. Sie war gut in Form und für ihre Größe stark. Sie würde sich nicht von jemandem wie Armend Jashari schlagen und vergewaltigen lassen. Nicht, ohne ihm wehzutun.

Ihre Hand fand den Felsbrocken, den sie gesucht hatte. Er hatte eine gute Größe. Als sie sich hochstemmte und dabei gegen die Wellen von Übelkeit kämpfte, die von den Schlägen ins Gesicht herrührte, traf Armend sie von hinten und stieß sie wieder zu Boden. Seine Hände fanden ihr Haar, und er riss grob ihren Kopf zurück, drehte sie um und setzte sich breitbeinig auf sie. Er boxte sie hart in die Rippen, dann beugte er sich zu ihr herunter und biss sie heftig in die Lippe. Der Schmerz war unerträglich. Teagan schmeckte Blut.

Als er den Kopf hob, war sein Mund rot verschmiert. Er lachte. »Ich werde jetzt Spaß mit dir haben, Teagan. Und dann werden meine Jungs sich mit dir amüsieren. Du wirst tun, was immer wir dir sagen, und du wirst uns anbetteln, dich zu ficken, wenn du lebend von diesem Berg runterkommen willst. Du bist nicht die erste dumme Schlampe, die wir hier hochbringen. Ein paar irren immer noch in diesen Bergen herum und versuchen, den Weg ins Tal zu finden. Oh. Nein, warte! Sie sind einen Abhang hinuntergestürzt. Wir haben uns nicht die Mühe gemacht, ihre elenden Leichen zu bergen, sondern sie einfach den Aasfressern überlassen.«

Nun musste sie sich also auch noch schlechte Menschenkenntnis zum Vorwurf machen. Als er sich wieder zu ihr herunterbeugte, rammte sie ihm mit aller Kraft den Felsbrocken an die Schläfe. Ächzend verdrehte Armend die Augen, brach wie ein nasser Sack über ihr zusammen – und drohte, sie zu erdrücken.

Teagan war nicht sicher, ob sie genug Kraft hatte, um ihn von sich zu wälzen, doch der Gedanke, dass seine Freunde in der Nähe waren – und sie war sicher, dass er diesbezüglich die Wahrheit gesagt hatte –, veranlasste sie dazu, sich mit jedem Quäntchen Kraft, das sie aufbringen konnte, gegen ihn zu stemmen. Es gelang ihr, ihn weit genug von sich zu schieben, dass sie unter ihm hervorkriechen konnte.

Dann setzte der Schock ein, und der Adrenalinstoß ließ sie zittern und beinahe in Tränen ausbrechen. Beides war nicht gut, wenn sie schnellstens von hier verschwinden musste. Sie konnte einfach nicht anders, sie musste die Hand ausstrecken und Armends Puls fühlen, nur um sich zu vergewissern, dass sie ihn nicht umgebracht hatte. Es war abscheulich, ihn berühren zu müssen. Leider lebte er noch. Finster starrte sie ihn an, bevor sie taumelnd auf die Füße kam und hastig ihren Rucksack aus dem Zelt holte. Dann setzte sie sich in Bewegung. Sie lief den Berg hinauf, anstatt bergab zu gehen, wie Armend es von ihr erwarten würde.

Sie hatte keine Ahnung, wie gut er im Spurenlesen war, aber sie würde es ihm nicht leicht machen, sie zu finden. Einen Plan würde sie sich unterwegs zurechtlegen.

Ihr Gesicht schmerzte und schwoll bereits an, und ihre Rippen taten weh. Am liebsten wäre sie zurückgegangen, um ihm noch einmal eins mit dem Felsbrocken überzuziehen. Wenigstens war es eine gewisse Genugtuung, dass sie ihn hart getroffen hatte.

Zuerst musste sie ihren Atem beruhigen, damit ihre Rippen nicht so verflixt schmerzten. Sie wollte hoch genug steigen, um einen genügend großen Bogen schlagen zu können, damit sie beim Abstieg nicht Armend und seinen Freunden in die Arme lief, falls die beschließen sollten, ihr zu folgen. Als sie an Armends Gesichtsausdruck dachte und an das gierige Flackern in seinen Augen bei der Vorstellung, wie viel Macht er und seine Freunde über sie besaßen, war sie überzeugt, dass sie sie suchen würden.

Teagan quälte sich eisern vorwärts und nutzte Bäume und Büsche als Deckung, während sie sich stetig den Berg hinaufarbeitete. Sie war topfit, und normalerweise konnte sie stundenlang bergauf wandern, wenn nötig, doch sie befand sich in großer Höhenlage, und die Rückseite ihres Oberschenkels pochte protestierend bei jedem Schritt. Ihr Gesicht tat so weh, dass sie am liebsten geweint hätte, und ein Auge schwoll langsam zu. Albernerweise schien ihre aufgeplatzte Lippe am schlimmsten zu schmerzen. Teagan goss Wasser auf ein Taschentuch und hielt es im Gehen an die Wunde.

Schließlich kam sie an eine Schneise im Wald, die sich durch deutlich dünneres Gehölz den Berg hinaufwand. Nebelschwaden trieben zwischen den Bäumen – nur dünne Fetzen zwar, doch die Luft war merklich kühler geworden. Teagan war dankbar für diese Erleichterung. In dieser Höhe wirkten die Sonne und die dünnere Luft verheerend, und sie hatte empfindliche Haut. Dazu ließ jeder Schritt ihre Rippen durch die Erschütterung höllisch schmerzen. Sie verfluchte Armend Jashari mit jedem Atemzug.

Nachdem sie ein paar weitere Kilometer hinter sich gebracht hatte, überlegte sie, ob sie es wagen durfte, haltzumachen. Sie brauchte dringend eine Pause. Teagan hatte nur ein paar Mal kurz angehalten, um ihre Notdurft zu verrichten. Dabei hatte sie sorgfältig darauf geachtet, alle Spuren davon zu verdecken, weil sie fürchtete, es könnte Armend wieder auf ihre Fährte bringen.

Als sie eine Senke im niedrigen Gestrüpp entdeckte, entschied sie, dies wäre ein guter Ort, um zu rasten, wenn auch nur für ein paar Minuten. Ihr Bein brauchte eine Pause. Doch kaum war sie ein paar Schritte auf die Stelle zugegangen, blieb sie unvermittelt wie angewurzelt stehen, und ihr Herzschlag beschleunigte sich. Da war es. Einfach so. Als sie schon beinahe selbst angefangen hatte, sich für verrückt zu halten, nahm sie in ihren Adern dieses seltsame Flattern wahr, wie eine Art Vibration.

Teagan trank einen Schluck Wasser, während sie das Gefühl in sich aufnahm. Sie musste in der Lage sein, ihren ganzen Körper auf die Vibration einzustellen, bis sie zu einer Melodie in ihren Adern wurde und zusammen mit ihrem Blut durch ihren Kreislauf strömte. Ihre Gabe, die sie niemandem erklären konnte, ohne dass es verrückt klang.

Ein Hochgefühl erfasste sie. Sie hatte nicht gedacht, die Spur so schnell zu finden, doch irgendwo vor ihr wartete der wunderbare Stein oder Kristall auf sie, den sie so dringend brauchte. Sie musste auf der Stelle eine Entscheidung treffen. Wenn sie der Spur des Steins folgte, riskierte sie es, von Armend und seinen Freunden gefunden zu werden. Wenn sie den Ruf des Steins ignorierte, könnte er für sie für immer verloren sein, und das bedeutete, ihre geliebte Großmutter zu verlieren.

Trixie Joanes hatte sie und ihre drei Schwestern bei sich zu Hause aufgenommen, nachdem die Mutter der Mädchen bei Teagans Geburt gestorben war. Dennoch hatte ihre Großmutter sie nie für den Tod der Tochter verantwortlich gemacht. Wenn überhaupt, hatte sie Teagan nur umso mehr Liebe geschenkt, weil sie die Mutter verloren hatte. Teagan schuldete ihrer Großmutter viel und liebte sie mehr als alles auf der Welt. Doch in letzter Zeit ließ Trixies Verstand nach.

Ihre Schwestern hatten große Angst, dass sie in eine Welt von Wahnvorstellungen abdriftete, und schleppten sie von einem Psychologen zum nächsten. Keiner schien ihr helfen zu können. Also hatte Teagan entschieden, selbst etwas zu unternehmen, und das bedeutete, ihre besondere Gabe einzusetzen, von der nur wenige etwas wissen wollten. Darüber zu sprechen konnte dazu führen, als ebenso »verrückt« angesehen zu werden wie Trixie. Dennoch, Teagan wusste mit allem umzugehen, was die Erde hervorbrachte, mit Mineralien, Edelsteinen, Kristallen und jeder Art von Fels. Sie kannte die Kräfte, die jedem Stein innewohnten, und sie war in der Lage, seine Schwingungen aufzunehmen, diese Kräfte freizusetzen und sie zu nutzen. Den richtigen Stein zu finden, um mit seiner Hilfe Trixies Verstand zu klären, war unerlässlich. Teagan war bereit, alles für ihre Großmutter zu riskieren.

Sofort änderte sie die Richtung und verdoppelte ihre Geschwindigkeit, fest entschlossen, so viel Abstand wie möglich zwischen sich und Armend zu bringen, während sie der Spur des Steins oder Kristalls folgte, auf den ihr Körper sich eingeschwungen hatte.

Armend hatte nie geglaubt, dass ihr Körper tatsächlich auf gewisse Steine und Kristalle reagieren konnte. Sie hatte es ihm natürlich während ihrer Zeit an der Universität erzählt, als sie einmal eine ganze Nacht zusammen gebüffelt hatten. Er hatte wie üblich ein paar Tage mit Feiern vergeudet, worauf sie sich bereit erklärt hatte, den versäumten Stoff vor der Prüfung noch einmal mit ihm durchzugehen. Teagan war selbst übermüdet gewesen, und das brachte sie manchmal dazu, zu viel zu reden. Armend hatte sie ausgelacht, genau wie alle anderen, deshalb hatte sie dieses Thema nicht wieder zur Sprache gebracht. Bis vor Kurzem.

Wie dumm sie gewesen war, dass sie sich ihm anvertraut und von ihren Ängste um ihre geliebte Großmutter erzählt hatte! Aber sie hatte ihm begreiflich machen wollen, warum ihre Suche so wichtig war. Sie konnte verstehen, dass er sie für verrückt hielt. Dabei war er hier der Verrückte, wie sie inzwischen wusste. Er war höchstwahrscheinlich ein Mörder, ein Serienvergewaltiger. Wie sollte sie das nur ihrer Großmutter und ihren Schwestern erklären?

Sie zuckte zusammen, als sie an seine eiskalten Worte dachte. »Mitleidsfick.« Das war schon heftig. Aber es stimmte, die meisten Männer ignorierten sie. Nun ja, »ignorieren« war vielleicht das falsche Wort; schließlich hatte sie hauptsächlich männliche Freunde. Doch sie sahen in ihr stets nur einen Kumpel, eine kleine Schwester. Und das war ihr auch ganz recht, weil sie sich zu keinem von ihnen hingezogen fühlte. Weder zu Männern noch zu Frauen. Sie hatte keine Ahnung, warum, doch so war es nun einmal.

Ihre Schwestern versuchten unablässig, sie zu verkuppeln. Sie riefen an und fragten betont beiläufig, ob sie zum Abendessen vorbeikommen wolle, und wenn sie zustimmte, war da stets »zufällig« auch noch ein Mann eingeladen worden, und natürlich musste sie während des Essens neben ihm sitzen und sich den ganzen Abend lang durch eine Unterhaltung quälen.

Aber ausgerechnet jetzt, hoch in den Bergen, ganz allein ohne eine Menschenseele in der Nähe, musste sie die Aufmerksamkeit eines Mannes erregen, der sich dann auch noch als Vergewaltiger und Mörder entpuppte. Was sollte das?

Sie seufzte. Ihre Beine waren kurz davor, ihr den Dienst zu versagen, und der Schmerz in ihrer Seite strahlte inzwischen in ihre Brust aus, sodass beim Atmen ihre Lunge brannte. Sie musste Rast machen, doch die Angst trieb sie weiter. Sie brauchte einen Ort abseits des Weges, wo sie sich eine Weile hinlegen und ausruhen konnte.

In der Hoffnung, einen versteckten Ruheplatz zu finden, nur für den Fall, dass sie einschlafen sollte, sah Teagan sich um. Sie war erschöpft, und die Schmerzen schienen schlimmer zu werden, obwohl ihr Verstand ihr sagte, dass dem nicht so war. Ihre Gedanken waren einfach nicht mehr durch das Verfolgen der Spur abgelenkt, wodurch sie den Schmerz nun deutlicher wahrnahm. Sie musste auf ihren Körper achten, auf die Stärke der Melodie, die sie in ihren Adern vernahm. Falls sie zu weit in die falsche Richtung ging, würde das Vibrieren schwächer werden. Es erforderte völlige Konzentration, was gut war, um den Schmerz auszublenden, doch sie war inzwischen schon stundenlang unterwegs und musste eine Pause machen.

Aus den Augenwinkeln nahm sie eine Bewegung wahr. Die Bäume waren in dieser Höhe größtenteils verschwunden; nur noch vereinzelt klammerte sich hier und da einer grimmig ans Leben. Während sie dahingewandert war, hatte sich der Nebel unbemerkt verdichtet. Die Welt um sie herum wirkte grau, sogar fremdartig. Wind wirbelte die Nebelschwaden auf, ohne sie jedoch in irgendeine Richtung zu zerstreuen. Sämtliche Geräusche wirkten gedämpft. Dennoch hatte sie eindeutig ein paar Meter links von sich eine Bewegung wahrgenommen.

Teagan biss sich auf die Lippe, weil sie beinahe laut geflucht hätte. Stattdessen überhäufte sie Armend stumm mit Flüchen, während sie sich tief auf den Boden kauerte, um nicht entdeckt zu werden. Teagan wünschte sich, sie wäre eine Hexe und könnte ihm aus der Ferne das Leben zur Hölle machen. Vielleicht Feuerameisen an seinen Beinen hochkrabbeln lassen, die ihn überall bissen, besonders in seine männlichen Körperteile. Das wäre nett.

Es dauerte ein paar Minuten, bis sie erkannte, dass es kein Mensch war, der sich dort im Gebüsch bewegte, sondern ein Tier. Nein, es war mehr als ein Tier. Wölfe? Sie wusste, dass in diesen Bergen alle möglichen Tierarten zu Hause waren. Das hier war einer der letzten Rückzugsorte größerer Raubtiere.

Vorsichtig streifte sie den Rucksack von den Schultern und hätte am liebsten aufgestöhnt, als die Last von ihrem Rücken glitt. Stattdessen behielt sie das dichte Buschwerk fest im Auge. Sie nahm an mindestens fünf verschiedenen Stellen Bewegungen wahr. Ihre Besorgnis wuchs. Sie hatte sich nicht gesäubert, und vermutlich haftete ihr der Geruch von Blut an. Teagan fuhr sich mit der Hand übers Gesicht, und als sie die Finger wieder fortnahm, waren sie blutverschmiert.

Ihre Lippe schmerzte tatsächlich stärker als ihr Kopf, was albern war, da ihr Gesicht wie ein Luftballon angeschwollen war, zumindest fühlte es sich so an. Doch von dem Schmerz in der Lippe wurde ihr übel. Es half auch nicht, dass sie die Angewohnheit hatte, auf ihrer Unterlippe zu kauen. Es war jedes Mal eine Qual, wenn ihre Zähne unbedacht darüberschabten. Sie hatte sich die Wunde nicht in ihrem Taschenspiegel angesehen, nicht einmal ein einziges Mal, aus Angst, dass sie vielleicht genäht werden musste. Oder schlimmer noch, dass der Idiot Armend Tollwut hatte oder so was. Herrje. Sie hätte ihn härter schlagen sollen.

Noch etwas anderes war seltsam: Sie spürte unerklärlichen Kummer, sogar mehr als das. Verzweiflung. Hoffnungslosigkeit. Quälende Einsamkeit. Sie wusste, dass es nicht ihre eigenen Emotionen waren, sondern etwas, das der Nebel mit sich trug. Ein Lied … Ein Lied großen Kummers, nicht nur eines einzigen Individuums, sondern von vielen. Die Noten verschmolzen mit der Symphonie des Berges.

Eines der Tiere trat aus dem Gebüsch hinaus ins Freie. Mit klopfendem Herzen starrte Teagan es an, und ihr Mund wurde trocken. Sie versuchte, die Gestalt als Wolf zu identifizieren. Die Größe kam möglicherweise hin. Teagan konnte sich sogar einbilden, dass auch die Form irgendwie stimmte. Aber dieses Geschöpf war unmöglich ein Wolf. Es sah mehr wie ein Schaf aus. Oder eine Ziege. Gab es wilde Ziegen oder wilde Schafe in den Karpaten?

Der Nebel war sehr dicht geworden, und sie hatte es nicht einmal bemerkt. Die Luft fühlte sich feucht an, doch Teagan war dankbar für die Deckung. In dieser Höhe gab es nicht viel Blattwerk, und sie wollte nicht, dass Armend oder einer seiner Freunde sie entdeckten, während sie der äußerst schwachen Spur des Kristalls folgte. Das Tier bewegte sich wieder, ein paar langsame, gleichmäßige Schritte, und Teagan sank vor Erleichterung in sich zusammen. Eindeutig waren die Karpaten das Zuhause wilder Schafe.

Sie ließ sich auf einen kleinen, flachen Felsen sinken und sah sich um. Ihre innere Stimmgabel, wie sie es nannte, führte sie höher in die Berge, als sie je zu gehen beabsichtigt hatte. Sie trank noch etwas Wasser. Es war wichtig, nicht auszutrocknen.

Ein Blick auf ihre Armbanduhr zeigte Teagan, dass sie der Spur schon seit mehreren Stunden folgte. Sie war hungrig und müde und nicht ganz auf dem Damm. Schlimmer noch, sie war nun vollständig von Nebel umgeben und in eine Decke heftiger Emotionen gehüllt, von denen keine gut war. Diese Töne mit anzuhören, die das Lied des Berges durchdrangen, war eine Qual. Sie war eine Heilerin und wollte dieses Leid instinktiv lindern. Wenn es sich ihr schon so erdrückend auf Brust und Schultern legte, was mochte es dann mit jenen machen, die diese Verzweiflung empfanden?

Teagan hatte nur wenige kurze Pausen eingelegt, weil sie nun wirklich Angst hatte, nachdem sie sich entschieden hatte, den Stein oder Kristall zu suchen, der ihre Großmutter wieder zu Verstand bringen würde. Wenn Trixie wüsste, dass Teagan allein durch die Wildnis der Karpaten streifte, ein Rudel tollwütiger Männer auf den Fersen, dann würde sie ihren sagenumwobenen Kochlöffel zücken, mit dem sie Teagan immer gedroht hatte.

Sie brauchte einen Ort, wo sie sich ausruhen konnte. Ihr verletztes Bein pochte und verkrampfte sich immer wieder, und sie humpelte schon ein wenig. Teagan trank noch etwas Wasser und suchte den Hang über sich nach einem Versteck ab. Es schien, abgesehen vom Nebel, keine wirkliche Deckung zu geben, aber das Grau war so dicht, dass sie nichts oberhalb ihres Standortes erkennen konnte.

Mit einem Seufzen verkorkte sie die Flasche und stand auf. Hier konnte sie nicht bleiben. Sie brauchte irgendeine Art von Schutz, und das bedeutete, sie musste weitersuchen. Und währenddessen konnte sie ebenso gut der Spur folgen, zu der die seltsamen Vibrationen in ihrem Körper sie führten. Beide Wege schienen miteinander verbunden zu sein. Sie führten den Berg hinauf, anstatt hinunter in Richtung Zivilisation.

Sie schulterte wieder ihren Rucksack und machte sich erneut auf den Weg den Pfad entlang. Vorsichtig setzte sie einen Fuß vor den anderen, um sich den Weg im Nebel zu ertasten. Das Blut sang in ihren Adern. Sie war ihrem Ziel eindeutig nahe. Als sie sich nach rechts wandte, wurde das Lied lauter. Es dröhnte in ihren Ohren, ein befriedigendes Trommeln, das sie zu sich rief. Ein paar Schritte weiter, und das Lied durchdrang ihren ganzen Körper. Sie war so nah – so nah, dass sie tatsächlich jene traurigen, klagenden Töne ausblenden konnte, die einen Kontrapunkt zu dem Lied in ihrem Körper bildeten.

Teagan blieb stehen und untersuchte die Felswand direkt vor sich. Ihr Stein war irgendwo im Innern dieses aufragenden Turms aus Fels. Sie ließ die Handfläche über die raue Oberfläche gleiten. Der Nebel war hier oben sogar noch dichter, und sie musste sich ihren Weg buchstäblich ertasten. Plötzlich rutschte ihre Hand ab, und sofort erkannte sie, dass sie eine Öffnung entdeckt hatte.

Einen langen Augenblick starrte sie in die Dunkelheit. Sie war klein genug, um hindurchzupassen, wenn sie ihren Rucksack abnahm und ihn vor sich hertrug. Ihr Herz hämmerte. In der Höhle könnten wilde Tiere hausen. Dennoch, wenn nichts darin wohnte, konnte sie sich dort ausruhen. Die Chance, dass Armend diesen Unterschlupf entdeckte, war gering, und sie musste dringend ein wenig schlafen. Mehr noch, sie musste versuchen, die Schwellung in ihrem Gesicht zu lindern, und einen Blick auf ihre brennende Lippe werfen.

»Nur Mut, Teagan«, flüsterte sie sich selbst zu. »Du hast es für Grandma Trixie so weit geschafft, willst du jetzt versagen, nur weil du Angst hast?«

Diese Frage stellte sie sich oft. Wollte sie versagen, weil sie Angst hatte? Sie mochte sich vor vielem fürchten, aber sie hatte noch nie zugelassen, dass die Angst sie davon abhielt, irgendetwas zu tun, was sie sich in den Kopf gesetzt hatte. Tatsächlich hatte die Angst sie oft sogar angetrieben, da Teagan so fest entschlossen war, sich nicht von ihr beherrschen zu lassen.

Sie machte Anstalten, durch die schmale Öffnung zu schlüpfen, doch irgendetwas hielt sie auf, etwas vollkommen Unsichtbares. Sie streckte die Hand aus und spürte eine Barriere, einen Schild. Er schien aus Noten zu bestehen, wie die Musik in ihrem Körper. Etwas Derartiges war ihr noch nie untergekommen, aber ihr Verstand liebte Rätsel und Muster. Sie liebte es zu klettern, denn das war eine ganze Welt aus Rätseln und Mustern. Wenn sie ein Kletterproblem vor sich sah, stürzte sich ihr Verstand gierig darauf, um es zu lösen.

Sie wusste nicht, ob die Natur dieses dichte Geflecht gewoben hatte oder ob es von etwas anderem geschaffen worden war, doch sie musste es lösen. Der Drang hatte sie bereits erfasst, und es gab kein Zurück mehr.

Teagan sank vor der Öffnung zu Boden, hob die Hände und schloss die Augen, um sich auf die unsichtbaren Fäden dessen, was sie im Geiste als eine Art Harfe vor sich sah, einzustimmen. Die Saiten der Harfe waren völlig verknotet und bildeten ein dichtes Netz. Sie musste sie einfach nur entwirren und wieder gerade ausrichten.

Es war ein kompliziertes Muster, und sie ging so vollständig darin auf, es aufzulösen, dass sie Armend und die kummervollen Schwingungen im Nebel und alles andere, sogar die Schmerzen, völlig vergaß. Alle Harfensaiten mussten entwirrt werden, und das nur durch Klang allein. Es gab keinen sichtbaren Schild, nur ein Lied, das sie in ihrem Innern spürte.

Es dauerte zwei Stunden, das wusste sie, weil sie auf die Uhr gesehen hatte, als sie die Höhle entdeckt hatte. Sie zitterte vor Kälte, und ihre Kleider waren feucht vom dichten Nebel, als sie schließlich alle Saiten ausgerichtet hatte und wusste, dass sie den Eingang durchschreiten konnte. Mit einem Gefühl des Triumphs kam sie auf die Füße, schob den Rucksack vor sich her und schlüpfte hinein. Im selben Augenblick verklangen die verzweifelten Töne und blieben im Nebel zurück.

Dunkelheit verschluckte sie auf der Stelle, und mit der Dunkelheit kam das Klopfen ihres Herzens. Es war laut, beängstigend laut. Teagan riss ihre Taschenlampe hervor und untersuchte vorsichtig den Weg, der vor ihr lag. Der Tunnel war schmal, dennoch konnte sie darin aufrecht gehen. Sorgfältig suchte sie den Boden nach Spuren von Tieren ab. Es war nichts davon zu sehen, dass das Erdreich berührt worden wäre. Sie war sich ziemlich sicher, wenn die Höhle von Wölfen bewohnt wäre, gäbe es dafür Anzeichen … Oder da wäre gleich ein ganzes Rudel, das sich auf sie stürzte und sie bei lebendigem Leibe verschlang.

Sie zwang sich weiterzugehen. Ihr Herz hörte nicht auf zu hämmern, ganz gleich, wie sehr sie sich bemühte, ihre Angst wegzuatmen. Während sie dem schmalen Gang folgte, wurde ihr bewusst, dass sie sich nicht nur weiter in die Höhle hinein, sondern auch tiefer nach unten bewegte. Das Gefälle war nicht sonderlich groß, doch sie wurde sich zunehmend der schweren Felsmassen über ihrem Kopf bewusst. Die Höhle hatte eine hohe Decke, und je tiefer sie sich hineinwagte, desto höher wurde sie. Alle paar Schritte blieb Teagan stehen, um mit der Taschenlampe in alle Richtungen zu leuchten. Sie wollte die sie umgebenden Wände und die Decke über ihr sehen.

Es gab keine Anzeichen von Wölfen oder anderen Tieren, und Teagan wurde zunehmend aufgeregter, dass sie womöglich das perfekte Basislager für die Suche nach ihren Steinen gefunden hatte, ohne von Armend oder seinen Freunden entdeckt zu werden.

Unvermittelt verbreiterte sich der schmale Gang, und sie stand vor der Wahl, ob sie nach links oder nach rechts gehen sollte. Sie lauschte auf das Lied in ihren Adern und entschied sich für die Abzweigung nach rechts. Der Tunnel war kurz und öffnete sich beinahe sofort zu einer breiten Kammer. Sie war wunderschön. Die Wände funkelten, als das Licht der Taschenlampe über sie glitt.

Etwas zog Teagan zum hintersten Teil der Kammer, also folgte sie diesem Bedürfnis. Sie lehnte den Rucksack an die gegenüberliegende Wand neben eine weitere Öffnung, die der Eingang zu einer zweiten, nur unwesentlich kleineren Kammer zu sein schien. Sie trat hinein, um sich umzusehen.

Das Erdreich war vor Kurzem bewegt worden. Das konnte sie deutlich sehen, und als sie mit der Lampe über die frisch aufgewühlte Erde leuchtete, entdeckte sie Tropfen dunkelroten Blutes. Eine Menge davon. Und es war eindeutig frisch. Ihr Herz setzte aus. Teagan war so sicher, dass es aufgehört hatte zu schlagen, dass sie die Hand auf ihre Brust legte und mit offenem Mund nach Luft schnappte. Blut. Direkt vor ihr in der Höhle. Was nun?

Kapitel 2

Teagan folgte der Blutspur durch die zweite Kammer hindurch weiter in die Erde hinunter. Die Höhle wurde wärmer, je tiefer sie hinabstieg. Eigentlich sollte es kühler werden, und Teagan fragte sich, ob es unter ihr wohl vulkanische Aktivität gab. Der Gedanke ließ sie innehalten, doch der Zwang, der Blutspur zu folgen, war zu stark, um ihn zu ignorieren.

Neben einem besonders großen Fleck dunkelroten Blutes kniete sie nieder und berührte die Flüssigkeit mit zitternden Fingern. Das Blut fühlte sich klebrig an, als wäre es erst vor wenigen Stunden gestockt. In dem Moment, in dem sie es berührte, antwortete etwas in ihr, öffnete sich. Sie hätte sich das Blut von den Händen wischen sollen, doch sie brachte es nicht über sich. Stattdessen ballte sie die Hand fest zur Faust, als wollte sie ihn dort festhalten. Instinktiv wusste sie, dass der Verletzte ein Mann war, und sie musste ihn finden. Sie musste ihn retten.

Teagan fand ihn in der vierten Höhle. Es war eine kleine, vollständig dunkle Kammer, und er schien in einem offenen Grab zu liegen. Ihre Taschenlampe erfasste die Kontur seines Körpers, etwa einen halben Meter tief in der Erde. Das Erdreich umgab ihn, doch Gesicht und Brust waren unbedeckt. Ihr Mund wurde trocken, und es schnürte ihr die Kehle zu. Einen kurzen Augenblick lang war es ihr unmöglich zu atmen. Sie konnte nicht weglaufen, und sie konnte sich auch nicht vorwärtsbewegen. Sie konnte nur reglos dastehen und beten, die Taschenlampe in ihrer zitternden Hand.

Mit klopfendem Herzen starrte sie ihn an, während das Lied in ihren Adern zu einem Crescendo anschwoll, als befände sich irgendwo auf oder unter diesem Mann genau der Stein, den sie brauchte, um ihre Großmutter zu heilen. Sie trat näher, wenn auch zögernd, aus Angst, er könnte wirklich tot sein. Das könnte sie nicht ertragen, aber wenn er noch lebte, musste sie ihm helfen.

Teagan zwang ihre Beine zu funktionieren und fiel neben ihm auf die Knie, um an seinem Hals nach einem Puls zu tasten. Kaum berührte sie ihn, wuchs die schreckliche Furcht in ihr. Sie brauchte ihn lebend, mehr als sie je irgendetwas anderes gebraucht hatte. Er musste leben. Sie wartete auf seinen Herzschlag, betete darum. Doch da war nichts. Nicht einmal der schwächste Hauch eines Pulses.

Ein ängstliches kleines Stöhnen erklang. Es kam nicht von ihm. Doch es galt ihm. Und ihr selbst. Sie wusste tief in ihrem Innern, dass sie an diesen Ort gekommen war, um diesen Mann zu retten, aber ihre Verletzungen hatten sie aufgehalten. Langsam legte sie das Ohr auf seine Brust und hielt den Atem an, um auch nicht das kleinste Geräusch zu machen. Es war kein Herzschlag zu hören. Eigenartigerweise fühlten sich die festen, definierten Muskeln seiner Brust warm an, obwohl er eigentlich kalt sein müsste, wenn er tot war, und das womöglich schon seit Stunden.

Sein Hemd war blutig und zerrissen. In seiner Brust klafften offene Wunden. Diese schrecklichen Wunden müssten tödlich sein und hatten ihn wahrscheinlich auch getötet, dennoch wünschte sie sich inständig, dass er noch lebte. Sie hatte keine Ahnung, warum, doch der Wunsch war so stark, dass sie unter seiner Gewalt erzitterte. Neben den frischen Wunden sah sie auch Spuren alter Verletzungen, vier an der Zahl. Eine in jeder Schulter und eine in jeder Seite, kreisrunde Narben, die einen Durchmesser von gut fünf Zentimetern hatten. Diesem Mann war Kampf nicht fremd.

Sie schloss die Augen. Kummer schnürte ihr die Brust zu. Das Bedürfnis, vor Trauer aufzuheulen, baute sich in ihr auf wie eine Flutwelle, völlig aus dem Nichts, aber so heftig, dass ihr ein weiterer Laut entschlüpfte, ein gequälter Schrei, der in der Stille der Höhle schrecklich laut wirkte. Sie kannte diesen Mann nicht, aber es traf sie schwer. Sie hielt eine Hand vor seinen Mund, um einen möglichen Atemzug zu spüren.

»Komm schon, Süßer!«, sagte sie leise. »Sei nicht tot! Bewusstlos, okay. Damit könnte ich umgehen, aber du musst wieder zurück ins Land der Lebenden kommen.« Sie wagte es, ihre Lippen an sein Ohr zu pressen, damit er sie hörte. Er war so warm. Es schien unmöglich zu sein, dass sie ihn bereits verloren hatte, ohne überhaupt eine Chance gehabt zu haben, ihn zu retten. »Bleib bei mir! Geh nicht! Komm zurück zu mir!« Sie wusste nicht, warum sie ihre Bitte so formulierte, aber der Zwang in ihr, ihn nicht gehen zu lassen, riss ihr die gequälten Worte aus ihrer tiefsten, schmerzenden Seele.

Seine Haut war blass. Ihre war dunkler, ein heller Caffè-Latte-Ton, so hatte ihre Großmutter ihren Teint immer beschrieben. Ihre Mutter war Afroamerikanerin gewesen, aber ihr Vater war Weißer. Er war ein Geschäftsmann gewesen, der ihrer Mutter nachgestellt und sie dann sitzen gelassen hatte, kaum dass er von ihrer Schwangerschaft erfahren hatte. Technisch gesehen waren ihre drei Schwestern ihre Halbschwestern, doch sie hatten sich nicht ein einziges Mal so verhalten, als gehörte sie nicht zu ihnen. Sie und Grandma Trixie nannten sie ihr »Herz«.

Teagan konnte heilen. Diese außerordentliche Gabe hatte sie schon immer besessen. Aber Tote konnte sie nicht wieder zum Leben erwecken. Vor Aufbegehren schnürte es ihr die Kehle zu. Dieser Mann durfte nicht verloren, ihr bereits entglitten sein!

Wieder beugte sie sich vor und strich mit den Fingern sanft über seine Brust, als könnte die zarte Berührung bis tief zu seinem Herzen vordringen. »Ernsthaft, mach sofort die Augen auf!« Sie versuchte, es als Befehl klingen zu lassen, doch es kam als flehende Bitte heraus. Tränen brannten ihr in den Augen, als sie auf sein attraktives Gesicht hinunterblickte.

Er war schön. Selbst im Tod war er schön. Wäre sie eine Künstlerin, würde sie ihn modellieren oder zeichnen wollen, um ihn so für die Ewigkeit festzuhalten.

Seine Lider flatterten, und ihr Herz flatterte mit ihnen. Mit einem erschrockenen Keuchen starrte sie ihn an. Doch seine Lider blieben geschlossen. War das eine Illusion gewesen? Sie hatte die Taschenlampe auf den Boden gestellt, den Lichtkegel zur Decke gerichtet, was einen leichten Lichtschein über den Mann warf, doch größtenteils lag er im Schatten. Es musste eine Illusion gewesen sein. Dennoch … Ihr Herz begann erneut, wild zu klopfen.

Ob er nun tot oder lebendig war, sie würde ihn nicht in diesem Zustand zurücklassen. »Hör mal, Hübscher, ich werde schnell zurücklaufen und meinen Rucksack holen. Ich kann dich säubern. Das ist das Mindeste, was ich für dich tun kann.« Während sie ihm diese Worte ins Ohr flüsterte, legte sie die Hand auf seine Brust, direkt über seinem Herzen. Noch immer hoffte und betete sie. Sie wünschte sich so sehr, dass er am Leben war, auch wenn es dafür nicht das geringste Anzeichen gab.

Während sie ein Schluchzen unterdrückte, sprang sie auf die Füße und zuckte zusammen, als ein stechender Schmerz durch ihr Bein fuhr. Teagan verzog das Gesicht und spürte, dass die Schwellung dort noch nicht zurückgegangen war. Sie warf einen Blick auf ihre Uhr, als sie durch die verschiedenen Kammern zu derjenigen zurückhastete, in der sie ihren Rucksack stehen gelassen hatte. Der Sonnenuntergang rückte näher, und da Armend und seine Freunde sie noch nicht gefunden hatten, würde ihnen das wohl nach Einbruch der Nacht auch nicht gelingen. Teagan würde sich ausruhen können.

Andre hatte in seinem ganzen Leben nur einen einzigen, stets wiederkehrenden Traum gehabt, und es war ein Albtraum – oder genauer gesagt eine Erinnerung, die er zu vergessen wünschte. Er schlief den Schlaf der Karpatianer, bei dem das Herz stillstand und die Atemtätigkeit ruhte. Für einen Menschen musste er dann wie tot wirken. Eine Lähmung legte sich über ihn, und er konnte sich nicht bewegen, auch wenn sein Verstand immer noch aktiv war. Aber dies hier musste ein Traum sein.

Eine sanfte Stimme – die Stimme einer Frau, seiner Seelengefährtin. Der Hauch einer Berührung auf seiner Haut. Das leise Flehen, das sein Herz berührte, obwohl es nicht schlug. Er träumte in Farbe, in heller, leuchtender Farbe. Es war so schön, so real, jede Farbe so deutlich hinter seinen Lidern, ohne eine Spur Grau darin. Blau und Grün und leuchtendes Rot …

Angestrengt bemühte er sich, die Augen zu öffnen, um zu sehen. Er hatte sich nicht vollständig im Erdreich vergraben, wie er es eigentlich sollte. Dazu hatte er viel zu viel Blut verloren und war zu erschöpft gewesen, außerdem wusste er, dass seine Schutzzauber stark waren. Die Vampire würden sich ebenfalls in die Erde begeben haben. Er hatte jeden von ihnen verwundet, einschließlich Costin Popescu, den Meistervampir. Andre hatte gewusst, dass er sicher genug war, und er war einfach zu müde gewesen, um irgendetwas anderes zu tun, als sich in die frische, saubere Erde zu legen.

Dort ruhte er nun, während sein Herz allmählich wieder aufzuwachen begann. Er tat seinen ersten Atemzug und sog dabei ihren Geruch in seine Lunge. Sie war real! Aber konnte das sein, nachdem er so viele Jahrhunderte nach ihr gesucht hatte? Jahrhunderte, nach denen er jede Hoffnung, ihr noch zu begegnen, aufgegeben hatte.

Für einen kurzen Augenblick war es ihm gelungen, die Lähmung zu überwinden und die Augen gerade genug zu öffnen, um einen Blick auf sie zu erhaschen. Ja, sie musste real sein, kein Produkt seiner Fantasie, denn er sah sie in all ihren herrlichen Farben. Dennoch, wie war sie in seine Schlafkammer gekommen? In seine Höhle? Er hatte sie mit komplizierten Schutzzaubern belegt, die nicht auf Magierzaubern basierten, sondern die er im Lauf der Jahrhunderte selbst ersonnen hatte. Schutzzauber, die undurchdringlich sein sollten.

Nein, es war unmöglich. Es musste ein Traum sein. Aber in Farbe? Nichts davon ergab einen Sinn. Kaum begann sein Herz zu schlagen, fingen seine zahlreichen Wunden wieder an zu bluten. Hunger packte ihn und zerrte an ihm. Der Schmerz musste abgeschaltet werden. Automatisch behandelte und behob er seine inneren Verletzungen, während er im Geiste noch einmal jedes Detail dieses flüchtigen Augenblicks durchging, an das er sich erinnerte.

Seine Seelengefährtin war sehr zierlich und klein, doch er hatte die stählerne Stärke in ihr erkennen können, die eiserne Entschlossenheit. Sie war schön, schöner als jede Frau, die er je gesehen hatte – das allein sollte ihm eigentlich schon sagen, dass er träumte. Ihre Haut war atemberaubend, samtweich und dunkel; und jedem Mann würde es schwerfallen, sie nicht zu berühren. Aber sie war von Blutergüssen übersät gewesen. Ihre Wange war grün und blau verfärbt, oben an ihrem Auge und entlang des Kiefers. Ihr Gesicht war geschwollen, die Lippe aufgeplatzt.

Dennoch hatte er sehen können, dass sie einen wunderschönen Mund hatte mit leicht angehobenen Mundwinkeln, einem einladenden Lippenbogen und kleinen, weißen Zähnen. Ihre Augen waren von dunklem, dunklem Schokoladenbraun, die Wimpern dicht und tiefschwarz.

Ihr Haar war lang, von einem üppig glänzenden Schwarz und zu aufwendigen Cornrows geflochten. Sie hatte die dünnen Zöpfe im Nacken zu einem Pferdeschwanz zusammengenommen, der sicher so dick wie sein Arm war und ihr bis zur Taille reichte. Sie hatte gehumpelt, als sie seine Schlafkammer verlassen hatte. Er musste träumen, denn wie könnte sie nach all diesen langen Jahrhunderten real sein? Und wie hätte sie seine Schutzzauber überwinden können?

Andre verharrte völlig reglos und ließ seine Umgebung auf sich wirken. Seine Sinne sagten ihm, dass er nicht allein war. Er roch sie. Es war eine Mischung aus frischer Luft, Nebel, den Bergen und noch etwas anderem, etwas, das ihn rief wie ein besonderer Geruch im Sommerwind. Beinahe so, wie die Erde nach einem erfrischenden Regen roch. Er brauchte mehr davon. Er wollte mehr.

Dann hörte er sie, ihre leisen, flinken Schritte, als sie zu ihm zurückkehrte, wie sie es versprochen hatte. Sie hielt ihn für tot. Er hatte den Kummer in ihrer Stimme gehört. Sie hatte ihn gebeten, bei ihr zu bleiben, zu ihr zurückzukommen. War sie gekommen, um ihn zu finden? War er dem Tod nahe gewesen? Er bezweifelte es. Schließlich hatte er noch etwas Wichtiges zu erledigen; er musste mehrere Vampire töten. Niemals hätte er zugelassen, dass sie am Leben blieben, um anderen weiterhin Schaden zuzufügen.

Neben dem Eingang der kleinen Kammer ließ sie einen Rucksack fallen, der beinahe ebenso groß war wie sie selbst. In der Hand hielt sie eine Taschenlampe, deren Licht über die Wände tanzte, als sie auf ihn zueilte. Andre konnte die Farben an den Höhlenwänden sehen, die reichen Adern zahlreicher Mineralien und ein paar Edelsteine, die im Licht funkelten. Der Rand des Lichtkegels erfasste auch eine Kristallformation, die aus der Wand hervorragte und an die er sich noch aus seiner Jugend erinnerte. Er war verblüfft, dass sie ihm nicht mehr aufgefallen war, bis der tanzende Lichtkegel dieser Frau sie für ihn erleuchtet hatte.

Ihr Geruch hüllte ihn ein, und diesmal erkannte er die interessante Mischung aus Wildblumen und Regen. Tief atmete er diesen Duft ein. In diesem Moment schrie sie auf und ließ sich neben ihm zu Boden sinken.

»Du lebst! O mein Gott! Du bist wirklich am Leben.«

Ihre Hände strichen über seine Brust. Die Berührung war federleicht, doch überall, wo ihre Fingerspitzen ihn streiften, spürte er Hitze und noch etwas anderes, etwas, das ihm tief unter die Haut ging. Er erkannte die Berührung einer geborenen Heilerin. Sie besaß gewaltige Kräfte. Völlig reglos lauschte er dem melodischen Tonfall ihrer Stimme. Sie schlug eine Saite in ihm an, die ihr antwortete.

Er erkannte, dass sie amerikanisches Englisch sprach. Sie stammte nicht aus den Karpaten, und sie fühlte sich nicht wie eine Karpatianerin an. Aber sie gehörte ihm, gehörte ihm ganz und gar. Andre wandte den Kopf und nahm sie näher in Augenschein. Ihr geschwollenes Gesicht zu sehen bereitete ihm Schmerzen, echte Schmerzen. Er konnte sie nicht in diesem Zustand lassen. Auf keinen Fall.

Sie war eine erstaunliche Heilerin und hätte sich um sich selbst kümmern sollen, anstatt unbesonnen in eine Höhle zu laufen. Was stimmte nicht mit ihr, dass sie immer noch nicht sah, in welcher Gefahr sie sich befand? Denn sie war in Gefahr. Spürte sie das denn nicht? Er war ausgehungert und hatte zu viel Blut verloren, und sie beugte sich einfach über ihn, mit entblößtem Hals und hämmerndem Puls – und einem Herzen, das nach dem seinen rief. Andre konnte das Wogen ihres Blutes durch die Wunde an ihrem Mund hören, es sogar riechen.

Jemand hatte seine Seelengefährtin vor Kurzem verletzt. Ein männliches Wesen. Andre roch das Testosteron an ihr. Ihr Shirt war zerrissen und entblößte den Ansatz ihrer Brust. Sie war zierlich, dennoch konnte er die kleine, schöne Wölbung sehen, und es erfüllte ihn mit schmerzlicher Sehnsucht. Doch das reichte nicht aus, um die wütende Bestie im Zaum zu halten, die sich in ihm regte. Jemand hatte versucht, ihr Leid zuzufügen.

Er hob die Hand an ihr Gesicht und strich sanft mit dem Daumen über die blau verfärbte Schwellung. »Wer hat dir das angetan?« Sein Englisch war gut, doch er hatte einen britischen Akzent, das wusste er. Dies waren seine ersten Worte an seine Seelengefährtin. Er sprach sanft, mit leiser Stimme, aber in ihr schwang ein deutliches Knurren, ein Unterton mit, der sie erstarren ließ.

Sie kniff die Lippen zusammen und zuckte schmerzlich zusammen. »Konzentrieren wir uns lieber auf dich. Deine Verletzungen sind fürchterlich. Ich bin Teagan. Teagan Joanes.«

»Ich möchte nicht in deine Privatsphäre eindringen, um dir diese Information zu entreißen, aber ich weigere mich, darüber zu diskutieren: Nenn mir seinen Namen!«