Dein Inneres Kind will satt werden - Julia Sahm - E-Book

Dein Inneres Kind will satt werden E-Book

Julia Sahm

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Beschreibung

Abnehmen, aber wie? Endlich Schluss mit emotionalen Fressattacken, erfolglosen Diäten, Jojo-Effekt und Co.! Du möchtest gerne Gewicht verlieren, doch trotz Diäten, Ernährungsplan und Sport hattest du bisher keinen langfristigen Erfolg? Immer wieder überkommt dich der Drang, in emotional aufgewühlten Momenten zu essen? Dann ist dafür womöglich dein hungriges inneres Kind verantwortlich. Die gute Nachricht? Das kannst du mit diesem Buch nun endlich sättigen. Erfolgsautorin Julia Sahm zeigt in ihrem dritten Buch, woran es liegen kann, dass du bei Stress immer wieder zu Essen greifst und eine dauerhafte Gewichtsreduktion scheitert. Mit ihrem praxiserprobten Coachingkonzept, das die Ursachen von Übergewicht bearbeitet, erhältst du Hilfe beim Abnehmen, anstatt nur die Symptome mittels einer Diät zu bekämpfen. Begib dich damit endlich auf deinen Weg zur inneren Freiheit: weg vom emotionalen Essverhalten und hin zu einem liebevolleren Verhältnis zum eigenen Körper und dir selbst! - Das erste Buch, das die Innere-Kind-Arbeit als Maßnahme gegen emotionales Essen und Übergewicht einsetzt - Selbstcoaching statt Diät: Frustessen stoppen und langfristig ein positives Körpergefühl entwickeln - 10 Schritte, um den Hunger deines Inneren Kindes erfolgreich zu stillen und langfristig abzunehmen   Stille den Hunger deines inneren Kindes – und nehme langfristig und gesund ab.Unerfüllte Bedürfnisse und negative Glaubenssätze aus unserer Kindheit zeigen sich oft noch unbewusst im Erwachsenenalter in einer Vielzahl an Lebensbereichen. Die toxische Partnerwahl, fehlendes Selbstbewusstsein und Abhängigkeiten sind nur ein paar der möglichen Auswirkungen. Oder eben auch chronisches Übergewicht. Egal, welche guten Vorsätze du hast und Diäten du ausprobierst, dein emotionaler Hunger schlägt immer wieder zu und lässt dich durch Fressattacken, ungesundes Essen und Co. zunehmen. Der Grund: Dein inneres Kind schreit vor Hunger nach dem Stillen der emotionalen Bedürfnisse mit einer Esssucht - so lange, bis es gehört wird. Nur dann ist es langfristig möglich, das emotionale Essen zu stoppen und abzunehmen. Um zu lernen, mit deinem inneren Kind zu arbeiten und den emotionalen Hunger zu stillen, erhältst du in diesem Buch wertvollen Input. Der erste Teil des Buchs liefert umfangreiches und verständliches Hintergrundwissen zur Funktionsweise der Psychologie des Menschen. Er zeigt auf, welche Rolle emotionales Essen als Reaktion auf schmerzhafte Erfahrungen in der Kindheit spielt. Im zweiten Teil des Buchs liefert dir Julia Sahm ein praktisches Übungsprogramm in zehn Sequenzen, um langfristig dein inneres Kind zu heilen und endlich langfristig und gesund abzunehmen.

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JULIA SAHM

Dein Inneres Kind will satt werden

Julia Sahm

Dein Inneres Kind will satt werden

So stillst du deinen seelischen Hunger und befreist dich von emotionalem Essen

COPRESS

Dieses ebook ist die digitale Ausgabe des gedruckten Buchs mit der ISBN 978-3-7679-1301-1

Copyright © 2024 Stiebner Verlag GmbH, Lothstraße 4, 80335 München

Text: Julia Sahm

Illustration: Adobe Stock/Oli

Cover: Weiss Werkstatt München

Layout & Satz: Danai Afrati

ISBN 978-3-7679-2114-6

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

Die Informationen in diesem Buch wurden von der Autorin und den Mitarbeiter:innen des Verlags sorgfältig geprüft. Eine Garantie wird jedoch nicht übernommen. Autorin und Verlag können für eventuell auftretende Schäden nicht haftbar gemacht werden.

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www.stiebner.com

Inhaltsverzeichnis:

ÜBER DIESES BUCH

DAS HUNGRIGE INNERE KIND

WIESO WIR AUCH ZU HAUSE HEIMWEH HABEN KÖNNEN

Das Bedürfnis nach Bindung

Das Bedürfnis nach Autonomie und Sicherheit

Das Bedürfnis nach Lustbefriedigung

Das Bedürfnis nach Selbstwerterhöhung bzw. Anerkennung

TRAUMA

Entwicklungstrauma vs. Schocktrauma

Über- und Untererregung

Traumabedingte Glaubenssätze

ÜBERLEBENSSTRATEGIEN

Erkenne deine Überlebensstrategien

Verdrängung

Perfektionismus

Schönheitswahn

Harmoniestreben und Überanpassung

Helfersyndrom

Kontrollstreben

Angriff und Attacke

Rückzug und Flucht

Narzissmus

(Ess-)Sucht

EINFÜHRUNG IN DAS THEMA SUCHT

Sucht als chronische (wiederkehrende) Erkrankung

Sucht aus der Perspektive der Gesellschaft

Esssucht aus der Perspektive der Gesellschaft

Der Unterschied zwischen Leidenschaft und Sucht

Die Jagd nach sofortiger Befriedigung

Gibt es so etwas wie süchtig machende Substanzen?

Wie Suchtpotenzial entsteht

Dopamin

Endorphine

Wie die Veranlagung zu einer Sucht entsteht

Veranlagung aufgrund der Gene

Veranlagung aufgrund von beschädigten Neurotransmitter-systemen

Veranlagung aufgrund eines Überschusses an Stresshormonen

Veranlagung aufgrund mangelnder Selbstregulation

Fazit – wie die Veranlagung zu einer Sucht entsteht

Die Suchtpersönlichkeit

Warum gerade Esssucht?

EMOTIONALES ESSEN UND ESSSUCHT ÜBERWINDEN – 10 SCHRITTE ZU SEELISCHER FREIHEIT

Schritt 1: Übe dich in Selbstmitgefühl

Schritt 2: Übe dich in Ehrlichkeit

Schritt 3: Übe dich in Achtsamkeit

Schritt 4: Übe dich in Engagement

Schritt 5: Erkenne deine Suchtgedanken

Schritt 6: Definiere deine Form der Abstinenz

Auslösereiz: Nahrungsmittel

Auslösereiz: Rituale und Gewohnheiten

Auslösereiz: Emotionale Stressoren

Schritt 7: Verschalte dein Gehirn neu

Visualisierung – die Macht der Vorstellungskraft

Rebranding – Gehirnwäsche zu deinem Vorteil

Rewording – die Macht der Sprache

Schritt 8: Lerne Körper und Seele als Einheit zu verstehen

Das autonome Nervensystem (ANS)

Neurozeption

Die Polyvagal-Theorie

Balance zwischen den Zuständen

Das Social-Engagement-System (SES)

Vier Methoden, um dein Nervensystem aktiv zu regulieren

Schritt 9: Stärke deine zwischenmenschliche und spirituelle Verbundenheit

Der Unterschied zwischen Intensität und Intimität

Die Suchtbeziehung

Wahre Intimität

Verbinde dich mit deiner Spiritualität

Verbinde dich mit Gleichgesinnten

Heile deine Beziehungen

Löse und meide toxische Beziehungen

Schritt 10: Reparenting – schenke dir selbst die Liebe, die dir als Kind gefehlt hat

Focusing: Verbinde dich mit deinen Bedürfnissen

Emotional Freedom Technique (EFT): Neue Glaubenssätze verinnerlichen

Spiel: Schenke dir die Leichtigkeit, die dir als Kind gefehlt hat

WIE DU MIT EINSAMKEIT, ENTTÄUSCHUNG UND ÄRGER UMGEHST

ERFAHRUNGSBERICHT MICHAELA GÄSSLE, 53 JAHRE

Danksagung

Vita

Quellen

Über dieses Buch

Mit diesem Buch möchte ich dich dabei unterstützen, die wichtigste Beziehung deines Lebens zu heilen – die Beziehung zu dir selbst. Denn die meisten psychischen und viele physische Probleme sind auf eine destruktive Beziehung zum eigenen Selbst zurückzuführen. Welche Beziehung wir als Erwachsene zu uns selbst führen, hängt wiederum maßgeblich von den Erfahrungen ab, die wir als Kind mit unseren nächsten Bezugspersonen gemacht haben. Unsere ersten Bindungserfahrungen prägen den Weg, den wir intuitiv einschlagen, um durch die holprigen Straßen des Lebens, der Liebe, der Gesundheit und der Arbeit zu navigieren. Auch dein Essverhalten ist nicht einfach auf mangelnde Disziplin oder fehlende Willenskraft zurückzuführen, sondern vielmehr der Ausdruck einer ungesättigten Kinderseele.

Hier erwarten dich keine Ernährungsratschläge oder Fitnessübungen, denn ich gehe davon aus, dass du dieses Buch gerade in den Händen hältst, weil du nach etlichen vergeblichen Diätversuchen auf diesem Gebiet bereits Profi bist. Die Frage, die dieses Buch beantwortet, ist diese: Warum fällt es dir trotz dieses theoretischen Wissens über Ernährung und Sport so schwer, auf Essen zu verzichten? Gemeinsam werden wir auf die Erfahrungen deiner Kindheit blicken und erforschen, in welchem Zusammenhang dein heutiges Essverhalten steht.

Die meisten Menschen glauben, dass ihre Kindheit längst hinter ihnen liegt, in Wirklichkeit beeinflusst ihre Gegenwart jedoch nichts so stark wie die offenen Wunden ihrer Kindheit. Um Heilung zu erfahren, ist es erst mal hilfreich, die Vergangenheit eines Menschen auf die dysfunktionalen kognitiven und emotionalen Muster zu ergründen, die seinen heutigen destruktiven Verhaltensweisen zugrunde liegen. Jedoch reicht dieser Blick in die Vergangenheit allein nicht aus. Er wirkt sich im Gegenteil sogar negativ aus: Stellen wir lediglich die Defizite und den erfahrenen Schmerz in den Mittelpunkt unserer Aufmerksamkeit, laufen wir Gefahr, diese noch zu verstärken. Aus diesem Grund fokussiert sich mein Ansatz auf konkrete Handlungsmöglichkeiten im Hier und Heute, ohne die Vergangenheit dabei außer Acht zu lassen.

Im ersten Teil dieses Buches vermittle ich dir umfangreiches Hintergrundwissen über die Funktionsweise der menschlichen Psyche. Du lernst zum Beispiel, was ein Trauma ist, wie es entsteht und welche destruktiven Überlebensstrategien sich daraus entwickeln können.

Da den wenigsten Menschen bewusst ist, dass ihr Essverhalten alle Kriterien einer Sucht erfüllt, beschäftigen wir uns außerdem ausführlich mit dem Thema Sucht. Das vermittelte psychologische Hintergrundwissen schult dein Reflexionsvermögen und unterstützt dich dabei, ein besseres Verständnis für dich und deine Verhaltensweisen zu entwickeln.

Im zweiten Teil des Buches erwarten dich dann zehn konkrete Handlungsschritte, die dir dabei helfen werden, die im ersten Teil gewonnene Selbsterkenntnis in Selbstwirksamkeit umzusetzen und dich somit bei der Überwindung von emotionalem Essen und Esssucht zu unterstützen.

Dieses Buch ist für alle, die mutig und neugierig genug sind, sich auf die spannende Reise zu dem Teil ihres Selbst zu machen, der sich bisher hinter destruktiven Selbstschutzstrategien versteckt hält. Das Ziel ist, dass du durch das Lesen und Arbeiten in und mit diesem Buch deine verletzte Kinderseele heilst und auf diese Weise eine authentischere, tiefere, lebendigere und leichtere Beziehung zu dir selbst, zu anderen Menschen und allgemein zum Leben aufbaust.

Bitte sei dir jedoch zu jeder Zeit darüber bewusst, dass die Inhalte in diesem Buch keine Psychotherapie ersetzen.

Zusätzlich zu den Ausführungen in diesem Buch werde ich dir auch immer wieder thematisch passende Podcast-Folgen empfehlen. Wenn du magst, hast du so die Möglichkeit, die Inhalte über einen weiteren Sinneskanal aufzunehmen und somit noch tiefer zu verankern.

Ein Podcast ist ein Audiobeitrag, der über das Internet kostenfrei zur Verfügung steht. Meinen Podcast findest du unter dem Namen »Lifestyle schlank« auf meiner Webseite shinecoaching.de oder auf allen Podcast-Apps wie Spotify oder Itunes.

Das hungrige Innere Kind

Ein Kind, das sich von seinen Eltern gesehen, akzeptiert, gewollt und geliebt fühlt, entwickelt positive Gefühle für sich selbst und die Welt und lernt, sich selbst und anderen Menschen zu vertrauen. Auf diese Art und Weise entsteht das sogenannte Urvertrauen. Dieses Urvertrauen sorgt dafür, dass ein Mensch auch als Erwachsener mit viel Leichtigkeit und Unbeschwertheit durchs Leben geht.

Unglücklicherweise erfahren jedoch nur die wenigsten Menschen das Privileg einer unbekümmerten Kindheit. Denn leider ist es für Eltern so gut wie unmöglich, sämtliche Bedürfnisse ihrer Kinder zu erfüllen, vor allem dann nicht, wenn ihre eigenen Bedürfnisse nicht ausreichend befriedigt wurden. Deswegen tragen viel mehr Menschen, als du vielleicht ahnst, tiefe seelische Verletzungen aus ihrer Kindheit mit sich herum.

Erschwerend hinzu kommt die Tatsache, dass diese Verletzungen dem Verletzten selbst meist gar nicht bewusst sind. Denn schon früh entwickeln wir Menschen Überlebensstrategien, die uns helfen, sie zu verdrängen und negative Gefühle zu kompensieren. Verdrängung bedeutet, dass wir etwas aus unserem Bewusstsein in unser Unterbewusstsein verschieben. Ab dem Zeitpunkt ist unserem Verstand die Verletzung zwar nicht mehr bewusst, das heißt jedoch nicht, dass die Verletzung tatsächlich verschwunden oder gar verheilt ist. Auch nach dem erfolgreichen Verdrängen ist die Verletzung ein Teil von uns und beeinflusst aus dem Unterbewusstsein heraus klammheimlich unser restliches Leben.

Damit du besser verstehst, was ich damit meine, möchte ich dir an dieser Stelle den Unterschied zwischen Bewusstsein und Unterbewusstsein erklären.

Das Bewusstsein ist verantwortlich für deine Fähigkeit, logisch zu denken, und für deine objektive Entscheidungsfähigkeit. Es ist der analytische und denkende Teil deines Verstandes. Der Teil, der hier gerade aufmerksam diese Zeilen liest, Dinge infrage stellt und rationalisiert. Das Bewusstsein bewertet Geschehnisse, fällt Urteile und unterscheidet zwischen Gut und Böse, zwischen Richtig und Falsch.

Das Unterbewusste hingegen kennt keine Rationalität. Es arbeitet nicht analytisch und verfolgt keine Logik. Es regelt alle unbewussten körperlichen Prozesse wie deine Atmung, deinen Herzschlag oder deine Verdauung. Gleichzeitig ist es der Speicher all deiner Erfahrungen. Alles, was du jemals erlebt, empfunden, gerochen oder gesehen hast, ist in deinem Unterbewusstsein gespeichert. Du kannst dich vielleicht an viele Dinge bewusst nicht mehr erinnern, trotzdem ist alles auf der Festplatte deines Unterbewusstseins gespeichert.

Nicht nur der Ablauf einer Erfahrung wird auf dieser Festplatte gespeichert, sondern auch der dazugehörige Emotionscode. Mit Emotionscode meine ich das, was du während der Erfahrung gefühlt hast. Dein Unterbewusstsein speichert jedes Gefühl, das du jemals gefühlt hast. Es vergisst einfach nichts!

Während du dich mit deinem bewussten Verstand an viele Geschehnisse in deinem Leben nicht mehr erinnern wirst, ist der in der damaligen Situation entstandene Emotionscode in dir trotzdem für immer aktiv. Du verziehst beispielsweise das Gesicht oder produzierst Speichel, wenn du dir lediglich vorstellst, eine Zitrone zu essen. Warum ist das so? Weil du irgendwann mal die Erfahrung gemacht hast, dass Zitronen sauer sind. Hättest du in deinem Leben noch nie eine Zitrone gegessen, würdest du bei der reinen Vorstellung, eine Zitrone zu essen, nicht so reagieren. Die Erfahrung ist in deinem Unterbewusstsein abgespeichert und sobald du an eine Zitrone denkst, werden diese Erfahrung und die dazugehörige Reaktion sofort automatisch wieder abgerufen.

Die Summe aller Kindheitserfahrungen, positiver wie negativer, wird in der Psychologie oft »das Innere Kind« genannt. Wenn ich im weiteren Verlauf vom hungrigen Inneren Kind spreche, beziehe ich mich damit auf die negativen Kindheitsprägungen, die manche Kolleg:innen auch als Schattenkind bezeichnen. Der Teil des Inneren Kindes ist hungrig nach Liebe, Anerkennung, Sicherheit und Geborgenheit und versucht, diesen Hunger mit übermäßigem Essen zu stillen.

Zum Glück erleben wir in unserer Kindheit jedoch auch schöne Dinge und werden also auch positiv geprägt. Wenn ich vom satten Inneren Kind spreche, dann beziehe ich mich auf diese positiven Prägungen, die einige meiner Kolleg:innen wie Julia Tomuschat und Stefanie Stahl auch Sonnenkind nennen.

Das Innere Kind ist also ein wesentlicher Teil unseres Unterbewusstseins. Bildlich kannst du dir das vielleicht so vorstellen: Das Innere Kind sitzt in unserem Unterbewusstsein in einer Schaltzentrale und zieht von dort aus die Fäden für unser Verhalten im Hier und Jetzt. Aus dieser Schaltzentrale heraus versucht es mit aller Kraft dafür zu kämpfen, dass unser erwachsenes Ich nicht die gleichen Verletzungen und Kränkungen erfährt, die wir in unserer Kindheit bereits erfahren mussten. Um sich für den Kampf zu wappnen und Sicherheit herzustellen, erlernt es Überlebensstrategien wie Angriff und Attacke, Kontroll- oder Machtstreben. Gleichzeitig kämpft es unermüdlich dafür, dass das Erwachsene Ich die Anerkennung bekommt, die ihm als Kind gefehlt hat.

Damit es nicht wie als Kind in der Bedeutungslosigkeit versinkt, setzt es Selbstschutzstrategien wie Perfektionsstreben, Schönheitswahn, Harmoniestreben/Überanpassung, Helfersyndrom oder Narzissmus ein. All diese unbewussten Überlebensstrategien kosten das erwachsene Ich sehr viel Kraft und Energie. Der entstandene Stress und die fehlende Energie werden dann nicht selten über Suchtverhaltensweisen wie eben übermäßiges Essen oder Konsum von Alkohol und anderen Drogen kompensiert. Die Flucht in die Sucht ist also indirekt eine weitere Überlebensstrategie, auf die ich in diesem Buch besonders eingehen möchte.

Auf der bewussten Ebene erscheinen wir alle wie autonome Erwachsene, in Wahrheit werden jedoch all unsere »erwachsenen« Entscheidungen auf unbewusster Ebene durch unser Inneres Kind beeinflusst. Und obwohl unser Inneres Kind mit seinen Selbstschutzstrategien die besten Absichten verfolgt, ist es trotzdem »nur« ein Kind und deshalb nicht in der Lage, erwachsene Entscheidungen zu treffen. Oder würdest du ein dreijähriges Kind bei einer wichtigen Entscheidung um Rat bitten? Wahrscheinlich nicht.

In der Realität lassen wir Menschen uns jedoch täglich unbewusst von unserem Inneren Kind beraten, was wiederum fatale Auswirkungen auf unser Leben und auch auf unsere Gesellschaft hat. Kinder sind nämlich von Natur aus bis zu einem gewissen Alter egozentrisch. Das bedeutet, dass sie alles, was geschieht, auf sich selbst beziehen. Sie erleben sich selbst als das Zentrum der Welt. Dieser Egozentrismus ist keine Charaktereigenschaft, sondern eine ganz normale Entwicklungsphase, die jedes Kind durchläuft.

Der Begriff Egozentrismus geht auf den Schweizer Entwicklungspsychologen Jean Piaget zurück, der damit vor allem die Unfähigkeit eines Kindes beschreibt, sich in die Rolle eines anderen hineinzuversetzen bzw. den Blickwinkel eines anderen einzunehmen. Kinder gehen davon aus, dass alle anderen Menschen ihre Vorstellungen, Gedanken und Bedürfnisse teilen. Die Fähigkeit, sich in andere hineinzuversetzen und zwischen Bedürfnissen und Vorstellungen zu differenzieren, lernen Menschen erst im späteren Verlauf ihres Lebens. 1

Auch die Fähigkeit, logisch und rational zu denken, erwirbt ein Mensch erst im Laufe seiner Entwicklung. Ein Erwachsener, der permanent mit seinem hungrigen Kind identifiziert ist, handelt deshalb auch als Erwachsener überdurchschnittlich oft egozentrisch, irrational und unlogisch.

Wenn ich davon spreche, mit dem Inneren Kind identifiziert zu sein, meine ich damit, dass das Kind in der »Schaltzentrale« das Steuer in der Hand hält, ohne dass wir uns dessen bewusst sind. Aufgrund dieses fehlenden Bewusstseins geht es in den meisten Büros, Sportvereinen oder Beziehungen auch oft zu wie im Kindergarten. In Wahrheit streiten dort gar nicht die Erwachsenen miteinander, sondern ihre verletzten Inneren Kinder. Auf bewusster Ebene geht es um die Fertigstellung eines Projekts, das Einhalten der Spielregeln oder das Verschließen der Zahnpastatube; in Wirklichkeit sind diese Streitgründe jedoch lediglich Trigger (Auslöser), die tiefe Kränkungen und Verletzungen aus der Kindheit hervorrufen.

Vielleicht hilft dir das folgende Beispiel, das Gesagte besser zu verstehen: Meine Klientin Anna schlägt schreiend und weinend auf ihren Partner Peter ein. Was ist passiert? Peter ist heute nicht wie versprochen um 19 Uhr, sondern erst um 19.20 Uhr nach Hause gekommen. Peter ist von Annas Reaktion genervt und überfordert. Er versteht das ganze Drama nicht. Anna erlebt jedoch in diesem Moment tatsächlich ein Drama, nämlich eine Art Retraumatisierung.

Solche Situationen kamen in Annas und Peters Beziehung öfter vor. Sobald Anna sich von einem emotionalen Ausbruch wieder erholt hatte, fragte sie sich regelmäßig selbst, warum sie so überempfindlich auf Verspätungen reagierte. Jahrelang fand sie keine Antwort darauf. Sie verstand lediglich, dass Peters Verspätungen in ihr das Gefühl hervorrufen, nicht wichtig genug zu sein.

Für Peter war eine Verspätung dagegen nur eine Lappalie. Er fühlte sich wiederum durch das Schreien und Schlagen seiner Partnerin sehr verletzt.

Während einer Coachingsitzung stieg Anna plötzlich ein Bild aus ihrer Kindheit in den Kopf. Auf diesem Bild sitzt sie als kleines Mädchen vor ihrer Ballettklasse und wartet auf ihre Mutter. Die Mutter, die sonst immer pünktlich erschien, verspätete sich an diesem Tag um zwei Stunden. Diese zwei Stunden fühlten sich für Anna wie eine Ewigkeit an. Während sie wartete, plagten sie quälende Gedanken. Natürlich hatte sie Angst, dass ihrer Mutter etwas zugestoßen sein könnte. Aber etwas anderes nagte zusätzlich an ihr: Am Tag zuvor hatte sie sich mit ihrer Mutter gestritten. Wollte sie sie nun nicht mehr bei sich haben?

Kurz bevor die Ballettschule schloss, kam ihre Mutter endlich hereingestürmt. Anna rannte weinend auf sie zu. Sie wünschte sich nichts sehnlicher als eine beruhigende Umarmung. Doch Annas Mutter war in diesem Augenblick nicht in der Lage, ihr Kind zu umarmen, denn Annas Bruder war von einem Auto angefahren worden und lag im Krankenhaus. Die Mutter zitterte am ganzen Leib und Anna konnte spüren, dass sie vollkommen unter Strom stand. Anstatt ihre weinende Tochter in den Arm zu nehmen, schrie sie Anna an: »Reiß dich zusammen! So ein Theater macht ja nicht mal dein Bruder, und der liegt im Krankenhaus!«

Für lange Zeit war in Annas Familie nichts mehr, wie es früher einmal war. Ihr Bruder lag mit schweren Verletzungen mehrere Wochen im Krankenhaus und ihre Mutter war mit der Situation überfordert. So blieb für die kleine Anna wenig Liebe und Aufmerksamkeit übrig. Kein Wunder, dass dieses Erlebnis eine tiefe Verletzung in Annas Psyche hinterließ.

Da sich diese Wunde jedoch jahrelang in Annas Unterbewusstsein versteckte, konnte sie auch nie richtig geheilt werden. Im Gegenteil, sobald sich eine nahestehende Person verspätete, riss sie regelmäßig wieder auf. Erst als sich Anna darüber bewusst wurde, konnte sie die Wunde peux a peux heilen und lernen, auf Verspätungen anders zu reagieren.

Anna hatte also verstanden, dass gar nicht ihr Mann an ihren schrecklichen Gefühlen schuld war, sondern ein unverarbeitetes Trauma aus ihrer Kindheit, also sprach sie diese frühkindliche Verletzung ihrem Partner gegenüber offen an. Und nun bemühte sich Peter, vermehrt pünktlich zu sein oder seine Verspätungen zumindest anzukündigen. Außerdem überlegten die beiden gemeinsam, was Anna, sollte es wieder einmal zu einem Gefühlsausbruch kommen, in einem solchen Moment wirklich braucht. Sie kamen zu dem Schluss, dass Anna sich, wie damals beim Wiedersehen mit ihrer Mutter, immer noch einfach eine feste Umarmung wünscht. Annas Selbstreflexion und das Teilen ihrer Erkenntnis schenkte dem Paar neue Handlungsmöglichkeiten, die die Qualität ihrer Beziehung enorm erhöhte.

Je bewusster wir uns also über die Verletzungen unserer Kindheit werden, desto leichter können wir unsere Gefühle und schließlich auch unser Verhalten im Hier und Jetzt verändern. Erst wenn wir ein Bewusstsein für die Bedürfnisse unseres Inneren Kindes entwickeln, können wir diesen verletzten Anteil als einen Teil von uns annehmen und ihn bis zu einem gewissen Grad heilen.

Wieso wir auch zu Hause Heimweh haben können

In den ersten sechs Lebensjahren bildet sich die Gehirnstruktur eines Menschen mit seinen ganzen neuronalen Netzen und Verschaltungen aus. Die Erfahrungen, die ein Mensch mit seinen Eltern oder anderen nahen Bezugspersonen zu dieser Zeit macht, prägen sich tief in sein Unterbewusstsein ein. Um sich gesund entwickeln zu können, muss ein Kind nicht nur in seinen körperlichen Grundbedürfnissen wie Essen, Trinken, Schlaf, Wärme oder Atmung befriedigt werden, sondern auch in seinen psychischen Grundbedürfnissen.

In der Psychologie gibt es zur Anzahl und Art psychischer Grundbedürfnisse verschiedene Theorien, die sich leicht unterscheiden. Besonders anerkannt und empirisch gut belegt ist der Ansatz des Psychologen Klaus Grawe, der folgende vier Grundbedürfnisse benennt:

Das Bedürfnis nach Bindung

Das Bedürfnis nach Autonomie und Kontrolle

Das Bedürfnis nach Lustbefriedigung bzw. Unlustvermeidung

Das Bedürfnis nach Selbstwerterhöhung bzw. Anerkennung

Wird eines oder mehrere dieser Grundbedürfnisse in der Kindheit nicht ausreichend erfüllt, führt dies zu psychischen Symptomen. Auch wenn man meinen könnte, dass wir von unendlich vielen verschiedenen emotionalen Problemen geplagt werden, lassen sich alle auf die Verletzung eines oder mehrerer dieser vier Grundbedürfnisse zurückführen.

In dem Maße, in dem diese Grundbedürfnisse in der Frühzeit unseres Lebens erfüllt werden, entwickeln wir Fähigkeiten, die uns im Erwachsenenalter ermöglichen, sie weiterhin im Auge zu behalten und zu befriedigen.

DAS BEDÜRFNIS NACH BINDUNG

Das Bedürfnis nach Bindung ist ein biologischer Überlebensmechanismus, der sicherstellt, dass ein Säugling eine Person in seiner Nähe hat, die ihn versorgt und schützt. Säuglinge fühlen sich mit ihrer Mutter eins. Sie wissen nicht, wo sie selbst aufhören und wo die Mutter anfängt. Sie sind sozusagen mit ihr verschmolzen. Die Mutter hat deshalb die schwierige Aufgabe, die Bedürfnisse des Babys zu interpretieren. Liegt sie meistens richtig mit ihren Vermutungen, entsteht eine vertrauensvolle Bindung zwischen ihr und dem Kind.

In diesem Optimalfall lernt der Säugling, dass seine Bedürfnisse wichtig und richtig sind und dass andere Menschen sich gut um ihn sorgen. So erfährt er die Welt von Anfang an als einen vertrauenswürdigen Ort. Das erworbene Urvertrauen bietet ihm die Grundlage dafür, sich auch im weiteren Verlauf seines Lebens sicher an andere Menschen binden zu können.

Wird einem Menschen eine solche verlässliche Bindungserfahrung verwehrt, entwickelt er Bindungsstörungen und in vielen Fällen auch psychische Erkrankungen, die auf Traumata zurückzuführen sind. Wenn Eltern ihre Kinder vernachlässigen, ablehnen oder sogar misshandeln, wird das kindliche Bedürfnis nach Bindung erheblich frustriert. Das Ausmaß der Vernachlässigung bestimmt das Ausmaß der Frustration und damit auch die Größe des Selbstwertgefühls und des Urvertrauens. Wird unser Bindungsbedürfnis in den ersten Jahren nicht befriedigt, fehlt uns ein Leben lang das Vertrauen in andere Menschen und wir erleben zudem Bindungsoder Verlustängste.

DAS BEDÜRFNIS NACH AUTONOMIE UND SICHERHEIT

Am anderen Ende unseres Bindungsbedürfnisses steht das Bedürfnis nach Autonomie. Ein Kind will nicht nur umsorgt werden, sondern auch die Welt entdecken. Im Alter zwischen einem und drei Jahren erfahren Kinder zunehmend, dass sich ihre eigenen Wünsche von denen anderer Menschen unterscheiden. Kinder haben ein großes Bedürfnis, eigenständig zu sein, und jede selbstständige Handlung stärkt ihr Selbstvertrauen. Im Idealfall sollten Eltern ihren Kindern zu dieser Zeit ermöglichen, ihren Radius zu erweitern, während sie gleichzeitig immer noch Schutz und Sicherheit bieten. Damit bedienen sie sowohl das Bedürfnis nach Bindung als auch das nach Autonomie.

Autonomie bedeutet Kontrolle und Kontrolle bedeutet Sicherheit. Wenn Eltern ihre Kinder überbehüten, zu stark kontrollieren oder zu enge Grenzen setzen, frustrieren sie die Autonomieentwicklung ihres Kindes. Diese Ängstlichkeit und das übertriebene Kontrollbedürfnis werden vom Kind verinnerlicht. Das führt dazu, dass es auch im Erwachsenenalter oft noch sehr unselbstständig ist und die Verantwortung für sein Leben auf andere Menschen überträgt.

Kinder, die in ihrem Bedürfnis nach Bindung oder Autonomie frustriert werden, finden sich im Erwachsenenalter oft in einem von zwei Extremen wieder. Entweder sie haben ein übersteigertes Bedürfnis nach Autonomie oder nach Bindung. In beiden Fällen beeinflusst diese extreme Ausrichtung ihre Bindungsfähigkeit. Ein übertriebenes Bedürfnis nach Autonomie äußert sich zum Beispiel in Bindungsangst, während ein extremes Bedürfnis nach Bindung Verlustangst auslöst.

DAS BEDÜRFNIS NACH LUSTBEFRIEDIGUNG

Es liegt in der Natur des Menschen, nach Lust und Freude zu streben und Unlustgefühlen aus dem Weg zu gehen. Wir alle sehnen uns nach lustvollen Erfahrungen wie gutem Essen, guten Gesprächen, gutem Sex, harmonischen Beziehungen und erfolgreichen Ergebnissen im Job. Gleichzeitig wollen wir negative Erfahrungen wie das Einhalten einer Diät, den Schmerz einer Trennung, zwischenmenschliche Konflikte oder Misserfolge bei der Arbeit vermeiden.

Gefühle wie Freude, Glück, Leichtigkeit, Lebendigkeit, Sicherheit und Geborgenheit heißen wir mit offenen Armen willkommen, während wir Angst, Schmerz, Enttäuschung oder Verletzung lieber vermeiden. Ein gesunder und ausgeglichener Umgang mit Lust- und Unlustgefühlen ist eine der wichtigsten Fähigkeiten, die uns unsere Eltern beibringen können.

Lernen Kinder nicht die Fähigkeit zur Frustrationstoleranz, zum Belohnungsaufschub und zum Triebverzicht, werden sie ein Leben lang impulsgesteuerte Handlungen vollziehen. Diese verschaffen zwar unmittelbare Befriedigung, führen jedoch langfristig zu physischen und psychischen Problemen.

Eltern stehen vor der herausfordernden Aufgabe, ihr Kind weder zu sehr zu verwöhnen noch zu sehr zu begrenzen. Verwöhnten Kindern fällt es auch im Erwachsenenalter schwer, ihr Lustempfinden zu begrenzen. Auf der anderen Seite entwickeln sich Kinder, die zu sehr begrenzt wurden, oft zu Rebellen, die aus Trotz im späteren Leben maßlos ihrem Lustempfinden nachgeben. Die Balance zwischen Lusterfüllung und Triebverzicht zu finden ist jedoch, unabhängig von der individuellen kindlichen Prägung, für alle Menschen eine lebenslange Herausforderung.

DAS BEDÜRFNIS NACH SELBSTWERTERHÖHUNG BZW. ANERKENNUNG

Jeder von uns hat das Bedürfnis, von anderen Menschen wertgeschätzt und anerkannt zu werden. Forscher erklären dieses Bedürfnis evolutionsbiologisch so, dass unsere Vorfahren in Horden zusammenlebten und voll und ganz auf ihre Gruppe angewiesen waren, um in der Natur überleben zu können. Ein Einzelner wäre den Angriffen wilder Tiere schutzlos ausgeliefert gewesen. Und auch die Jagd eines Einzelnen war weniger erfolgversprechend als die gemeinschaftliche Jagd.

Außerdem sind wir genetisch darauf ausgelegt, uns fortzupflanzen, und auch deshalb ist Verbundenheit und Anerkennung ein Grundbedürfnis. Ohne vom anderen Geschlecht als begehrenswert wahrgenommen zu werden, könnten wir unsere Gene nicht weitertragen.

Studien zeigen, dass Personen, die gegen ihren Willen dauerhaft isoliert werden, sogar das Interesse am Leben verlieren, keinen Appetit mehr verspüren, schneller erkranken und in vielen Fällen sogar sterben. Man könnte also auch sagen, dass das Bedürfnis nach Anerkennung dem Bedürfnis nach Bindung entspringt.

Auch unser Selbstwert entwickelt sich nicht von allein, sondern wir erfahren unseren Wert durch die Reaktionen anderer Menschen, die als Spiegel für uns fungieren. Der erste Spiegel, in den wir schauen, ist in der Regel das Gesicht unserer Mutter. Wenn eine Mutter beispielsweise ihr Kind anlächelt, weiß das Kind, dass seine Mutter glücklich darüber ist, dass es da ist. Wir sind also schon seit dem Säuglingsalter darauf konditioniert, unseren Selbstwert an der Reaktion anderer festzumachen.

Menschen, die als Kind viel Anerkennung und Liebe durch ihre Eltern erfahren haben, entwickeln ein starkes Selbstwertgefühl und sind im späteren Leben weniger abhängig von externer Bestätigung.

Trauma

ENTWICKLUNGSTRAUMA VS. SCHOCKTRAUMA

Dass Eltern in der Lage sind, die vier Grundbedürfnisse zu 100 Prozent zu erfüllen, ist eine unrealistische Idealvorstellung. Wie bereits erwähnt, sind auch unsere Eltern nur die Kinder ihrer Eltern und oft wurden auch ihre Grundbedürfnisse nicht ausreichend erfüllt. Für die gesunde Entwicklung und physische Stabilität eines Kindes ist es auch gar nicht notwendig, die vier Grundbedürfnisse in allen Facetten zu 100 Prozent zu befriedigen. Werden die kindlichen Bedürfnisse jedoch grundsätzlich oder über einen sehr langen Zeitraum nicht erfüllt, beeinträchtigt das die Entwicklung eines Kindes nachhaltig und führt in vielen Fällen sogar zu einem Trauma.

Wenn wir in unserer Gesellschaft über den Begriff Trauma sprechen, verstehen die meisten Menschen darunter die nachhaltigen psychischen Auswirkungen eines katastrophalen Erlebnisses wie sexueller Missbrauch, Naturkatastrophen, schwere Unfälle oder Krieg. Aber Traumata können auch viel leiser und unauffälliger entstehen.

Es gibt zwei Grundarten von Trauma. Bei einem einmaligen Erlebnis, das den Betreffenden in eine akute Lage der Hilflosigkeit versetzt hat, spricht man von einem Schocktrauma. Es spaltet das Leben des Betroffenen in ein Vorher und ein Nachher. Er hat einen direkten Vergleich, weil er weiß, wie sich das Leben vor dem Trauma angefühlt hat.

Dem Schocktrauma gegenüber steht das sogenannte Entwicklungstrauma. In der Fachliteratur spricht man auch von einem Bindungs- oder Beziehungstrauma, denn es entsteht durch unsere ersten Bindungserfahrungen. Wird ein Kind in jungen Jahren wiederholt Traumatisierungen ausgesetzt, hinterlässt das Spuren, die sich das restliche Leben lang immer wieder äußern. Um ein Entwicklungstrauma zu erleiden, muss ein Kind nicht einmal gravierende gewalttätige Ereignisse erleben.

Schon kleinere Unsicherheiten im zwischenmenschlichen Bereich, zum Beispiel wenn das Schreien eines Kindes nicht beantwortet wird, es sich nicht gesehen und beachtet fühlt oder es zu größeren Bindungsunterbrechungen wie Krankenhausaufenthalten kommt, können Entwicklungstraumata herbeiführen.

Grundsätzlich entsteht ein Trauma auch nicht durch Geschehnisse im Außen, sondern dadurch, wie diese Erlebnisse im Inneren eines Menschen verarbeitet werden. Identische Erlebnisse lösen also nicht bei jedem Menschen im gleichen Maß ein Trauma aus.

In den ersten Lebensjahren brauchen Säuglinge und Kleinkinder sichere, vorhersehbare, zugängliche und liebevolle Bezugspersonen. In der Geborgenheit der Interaktion mit diesen Bezugspersonen kann sich das Gehirn des Neugeborenen gesund und harmonisch entwickeln. Werden die Bedürfnisse des Kindes nicht erfüllt, wird es zunächst einmal lautstark protestieren. Bleibt der Protest immer wieder erfolglos, wird es irgendwann resignieren und verstummen.

Andauernde mangelnde Fürsorge und emotionale Vernachlässigung vonseiten der Eltern löst bei einem Kind eine anhaltende Stressreaktion aus, die eine gesunde Gehirnentwicklung verhindert. Bis zum dritten Lebensjahr können Kinder ihre Gefühle ab einem gewissen Stresslevel nicht selbst regulieren. In dieser Zeit ist das Nervensystem des Babys noch nicht voll ausgebildet. Das bedeutet, das Baby ist darauf angewiesen, dass die Mutter oder Bezugsperson es mit ihrem Nervensystem reguliert. Die Regulation eines anderen Menschen durch das eigene Nervensystem nennt man Co-Regulation.

Babys brauchen also ihre Bezugspersonen, um ihre eigenen Gefühle einschätzen, ordnen und regulieren zu können. Dabei sind sie sehr feinfühlig und nehmen ungefiltert die Stimmungen und Spannungen ihrer Umgebung wahr.

Ein Entwicklungstrauma entsteht also durch lang anhaltenden und wiederholten Stress aufgrund von emotionaler Vernachlässigung, mangelnder Einfühlung und physischer wie psychischer Gewalt und führt zu Störungen der Selbstregulation und einer geringen Stresstoleranz. Das hat wiederum zur Folge, dass ein Mensch mit einem Entwicklungstrauma seine Gefühle auch als Erwachsener nicht ausreichend regulieren kann und sich oft in Zuständen von Über- oder Untererregung befindet.

ÜBERUND UNTERERREGUNG

Die Höhen und Tiefen des Alltags bringen Menschen, die unter Über- oder Untererregung leiden, viel schneller aus dem Gleichgewicht. Psychisch gesunde Menschen befinden sich in der Regel in einer ausbalancierten Erregungszone und erleben Zustände der Unter- oder Übererregung lediglich in besonderen Stresssituationen wie Prüfungen, Unfällen, Schicksalsschlägen etc. Bei traumatisierten Menschen konnte sich das Nervensystem jedoch nicht optimal entwickeln, dadurch entsteht eine verminderte Stresstoleranz. Die Betroffenen befinden sich deshalb viel schneller in Zuständen der Unter- oder Übererregung und brauchen länger, um in eine ausbalancierte Erregungszone zurückzukehren, wenn sie diese überhaupt jemals erreichen.

Dabei neigen von Natur aus extravertierte Kinder eher zu Symptomen der Übererregung (hyperarousal). In diesem Zustand schaltet das Nervensystem in den Kampf- oder Fluchtmodus. Im Zustand einer Übererregung hält der Körper eine Stressreaktion aufrecht, obwohl faktisch gesehen gar keine Gefahr mehr besteht. Das sympathische Nervensystem bleibt aktiviert und versetzt den Organismus in ständige Alarmbereitschaft. Übererregung führt zu Symptomen wie Unruhe, Aggressivität, Hyperaktivität, erhöhte Wachsamkeit (Hypervigilanz), Konzentrationsstörungen, Schlafstörungen, Anspannung und Überanstrengung.

Diese Symptome sind für die Betroffenen nicht nur äußerst unangenehm, sondern stören auch das Funktionieren im Alltag. Konzentrationsschwierigkeiten erschweren die Arbeit, Schlafstörungen mindern die Produktivität, Aggressionen führen zu vermehrten zwischenmenschlichen Konflikten und Überanstrengung und Anspannung führen auf lange Sicht meistens zu einem Burn-out. Leider werden die körperlichen Symptome einer Übererregung von den Betroffenen selbst, aber auch von Ärzten nur in den seltensten Fällen in Zusammenhang mit einem Entwicklungstrauma gebracht.

Von Natur aus introvertierte Kinder neigen eher zu Symptomen der Untererregung (hypoarousal). In diesem Zustand schaltet das Nervensystem in den Erstarrungsmodus. Diesen Modus kannst du dir ähnlich vorstellen wie den Totstellreflex bei Tieren. Statt sich aktiv zu wehren und zu schützen, ergeben sich die Betroffenen quasi ihrem Schicksal. Sie haben früh verinnerlicht, dass, wenn ihnen etwas Schreckliches widerfährt, sie ohnehin nichts verändern können, und so fallen sie häufig in einen dissoziierten Zustand.

Um sich etwas konkreter vorzustellen, was Dissoziation ist, kann es helfen, sich das Gegenteil von Dissoziation anzuschauen: die Assoziation. Assoziation bedeutet, dass wir Gedanken und Gefühle, Körperempfindungen und Handlung miteinander verknüpfen. Im Gegensatz dazu werden diese Prozesse während der Dissoziation voneinander getrennt. Dissoziation ist also die Abspaltung von Gedanken, Gefühlen, Körperempfindungen oder Handlungen.

Bis zu einem gewissen Ausmaß kennt jeder – auch psychisch gesunde Menschen – dissoziative Zustände. Die meisten dissoziativen Zustände im Leben nehmen wir sogar als angenehm wahr. Wenn wir zum Beispiel während eines kreativen Prozesses oder beim Sport »gedankenverloren« Zeit und Raum um uns herum vergessen. Oder wenn jemand kurz nach einem schweren Verkehrsunfall trotz Verletzung keinen Schmerz empfindet.

Dissoziation ist zunächst einmal eine gesunde Schutzreaktion unserer Psyche. Ohne die Fähigkeit zu dissoziieren würde ein Kind, das beispielsweise von seinen Eltern misshandelt wird, bei jedem Anblick der Eltern in extreme Angstzustände verfallen. Die Dissoziation ist also eine Überlebensstrategie. Man kann sich den Prozess so vorstellen, als würde der Mensch schmerzhafte Erinnerungen in ein separates Zimmer sperren und die Tür verschließen. Solange die Tür ordentlich verschlossen ist, kann selbst ein Kind, das von seinen Eltern misshandelt wird, in seinem Alltag zurechtkommen.

Wenn Menschen diese Überlebensstrategie jedoch im erwachsenen Alter weiterhin regelmäßig anwenden, um schwierige Situationen zu meistern, büßen sie gleichzeitig einen großen Teil ihrer Lebensqualität ein. Das Problem ist nämlich, dass ein Mensch nicht ein einzelnes Gefühl abspalten kann. Bei der Abspaltung eines negativen Gefühls wird stattdessen auch automatisch das gegensätzliche Gefühl in das separate Zimmer gesperrt. Wenn jemand beispielsweise aufgrund von Verlust- oder Bindungsangst sein Bindungsbedürfnis in ein Zimmer sperrt, sperrt er gleichzeitig das Gefühl der Nähe und Verbundenheit in dasselbe Zimmer. Denn wenn er sein Bindungsbedürfnis emotional nicht zulässt, wird er auch nicht in der Lage sein, tiefe Bindungen zu anderen Menschen einzugehen. Dementsprechend wird er auch niemals die Nähe und Geborgenheit erfahren, die er sich eigentlich wünscht. Die beiden Gegensätze sind sozusagen die zwei Seiten einer Medaille – und wir können immer nur die ganze Medaille in einen Raum sperren.

TRAUMABEDINGTE GLAUBENSSÄTZE

Das Fatale an einem Entwicklungstrauma ist: Es gibt kein DAVOR. Ein Kind kann nicht abwägen, ob das Verhalten der Eltern falsch oder richtig oder gut oder schlecht ist, es hält die Umstände einfach für normal. Es kann nicht beurteilen, dass der Vater lediglich schreit, weil er einen schlechten Tag hatte, oder dass die Mutter ihm keine Aufmerksamkeit schenkt, weil sie unter Depressionen leidet. Kinder erleben ihre Eltern als unfehlbar und beziehen deren Ablehnung, Wut, fehlende Aufmerksamkeit und Traurigkeit darauf, selbst nicht in Ordnung zu sein.

In der Bemühung, die Beziehung zur Bindungsperson aufrechtzuerhalten, fangen sie an, ihre eigenen Bedürfnisse, Wünsche, Gefühle und Körperempfindungen zu unterdrücken. Für ein Kind ist die Bindung zu einer primären Bezugsperson überlebenswichtig und deshalb sind die Bedürfnisse der Eltern immer wichtiger als die eigenen. Das Unterdrücken der eigenen Bedürfnisse dient also als Überlebensstrategie.

Zusätzlich neigen Kinder dazu, ihre Eltern zu idealisieren. Das müssen sie sogar, denn sie sind existenziell darauf angewiesen, ihnen zu vertrauen. Wenn sie ihre Eltern nicht idealisieren würden, würden sie große Angst verspüren, ihren unfähigen Eltern ausgeliefert zu sein. Diese Idealisierung hält oft bis ins Erwachsenenalter an.