Deine Lüge ist mein Verderben - Mildred Speet - E-Book

Deine Lüge ist mein Verderben E-Book

Speet Mildred

0,0
3,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Aufgrund von Indizien wird der 15-jährige Aiden Green des Mordes an seinem Neffen Brandon verurteilt, dessen Leiche bis heute verschwunden ist. 12 Jahre erlebt er die Hölle auf Erden, an denen der Gefängniswärter Turner nicht ganz unschuldig ist, bis er endlich wieder entlassen wird. Zurück im Trailer Park, wo ihn alle für einen Kindermörder halten, außer seine Jugendliebe Mia Brown, ist das Leben noch immer genauso erbarmungslos wie vor dem Gefängnis. Doch eines Tages trifft Aiden in einer Bar Turner, den er in blutiger Wut verfolgt und umbringt. Aber das ist nicht genug, Aiden will endlich erfahren, wer seinen Neffen getötet hat, und stößt auf dunkle Geheimnisse. Plötzlich findet er sich in einer noch dunkleren Hölle wieder, von der er dachte, sie niemals erleben zu müssen. Dieses Buch ist die 2. Auflage und war bereits schon veröffentlicht unter dem Titel "Blutige Wut".

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Mildred Speet

Deine lüge ist mein Verderben

Copyright © 2023 by Rebel Stories Verlag, 89567 Sontheim

All rights reserved.

Cover: Premade - Neu Vercovert

ISBN: 978-3-910386-14-3 (Taschenbuch)

www.rebel-stories-verlag.com

Rebel Stories Verlag

ÜBER DIE AUTORIN

Mildred Speet ist im Jahr 1978 geboren. Als Kind und auch als Teenager liebte sie es, in fremde Welten einzutauchen. Die ersten Tippversuche wagte sie mit acht Jahren auf einer alten Schreibmaschine. Das Leben hielt jedoch andere Aufgaben für sie bereit und die Leidenschaft für das Schreiben holte sie erst spät wieder ein. Mildred Speet hat bereits einen Thriller und einen Krimi veröffentlicht und schreibt außerdem kleine Lovestorys für Zeitungen.

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Bücher von Mildred Speet

Sein ausgemergelter Körper kauerte schlaff auf der Pritsche. Die Beine ruhelos, starrte Aiden auf das Gitter. Der Blick seiner blauen Augen wanderte durch seine Zelle. Unter Stöhnen richtete er sich auf. Seine knochigen Hände berührten den kalten Stahl, der ihm so bittersüß vertraut war. Das abgenagte Fleisch rund um seine Fingernägel war entzündet und schmerzte. Seine Ohren zuckten, als er das Knirschen von Lederschuhen vernahm.

Mit einem Rattern öffnete sich die Gittertür seiner Gefängniszelle. Sein Atem ging schwer, als Jacob Turner aus dem Dunkel auftauchte und sich ihm langsam und bedächtig näherte. Dessen schmieriges Grinsen reichte über sein ganzes Gesicht. Er legte seine Hände an die Hüfte und sein fetter Wanst berührte die Gitterstäbe. Er schwieg und starrte Aiden mit einem durchdringenden Blick an.

Aiden wusste, dass Turner ihn am liebsten tot in der Gefängniszelle gesehen hätte, doch sein Wunsch wurde nicht erfüllt. Nicht heute.

Turner legte seine Finger um einen Gitterstab und drückte die Faust so fest zusammen, dass das Weiße seiner Knochen durch die Haut schimmerte. Er fletschte die Zähne wie ein wildes Tier, sein Mundwinkel zuckte und Aiden zitterte unkontrolliert. Die Furcht vor diesem Monster fraß ihn von innen auf und brachte ihn einem Zusammenbruch nah.

»Du hättest in dieser Zelle sterben und uns von deiner Existenz befreien sollen. Kindermörder überleben nicht«, knurrte Turner.

Unter Aidens Haut loderte ein Feuer, das ihm kalten Schweiß auf die Haut trieb, während er innerlich zu verbrennen drohte. Die Angst, die durch seine Adern floss, ließ ihn kaum atmen. Er wich zurück, als Turner das Gitter öffnete. Seine gesamte Strafe über war Turner der Aufseher dieses Blocks gewesen. Es war sein Revier und er duldete keine Fehler und keinen Ungehorsam.

Turner behielt ihn fest im Blick und fuhr sich durch sein schütteres Haar. »Raus mit dir!«, fauchte er und vollführte eine wegwerfende Bewegung mit seiner linken Hand.

Aidens Beine wurden immer schwächer, seine Schritte waren zittrig. Die anderen Insassen drängten sich an die Gitterstäbe, als er an ihnen vorbeiging. In der letzten Zelle saß Billy. Turner blieb stehen, legte seine Hand auf Aidens Schulter und drückte fest zu.

»Willst du dich nicht verabschieden?«, fragte er mit einer eisigen Stimme. Billy kam langsam an das Gitter und griff sich dabei in den Schritt. Die Gier in seinen wässrigen blauen Augen ließ Aiden zittern.

Billy ließ die Hüften kreisen. »Wir werden dich sehr vermissen, Schätzchen. Ich und mein Schwanz. Vergiss uns nicht. Vielleicht sehen wir uns wieder«, zischte er.

Warmer Speichel lief in Aidens Mund zusammen. Eine dumpfe Übelkeit drückte auf seinen Kehlkopf und das Schlucken fiel ihm schwer. Vor seinem inneren Auge sah er Billy, der an Turner vorbei in seine Zelle trat. In der Stille der Nacht hatte er ihm Worte ins Ohr geflüstert, die Aiden noch jetzt eine Gänsehaut über den Rücken jagten. Er sah vor sich, wie Billy sich über ihn beugte, wie er ihn grob mit dem Gesicht in die Matratze drückte. Wie er ihn auszog. Er spürte die kalte Luft an seinem Hintern und dann … spürte er den Schmerz. Den Schmerz, den Billys Schwanz ihm zugefügt hatte. Wieder und wieder.

Aiden versuchte gegen die Furcht, die jede Faser seines Körpers vergiftete, anzukämpfen. Nah trat er an das Gitter heran.

»Wir werden uns nie wiedersehen. Ich bin jetzt frei und du wirst in dieser Zelle verrotten«, stieß er aus und zwang sich zu einem höhnischen Grinsen.

Billys Visage verwandelte sich in eine hasserfüllte Fratze. Er griff durch die Gitterstäbe und zog Aiden nah an sich heran. Sein fauliger Atem streifte Aidens Gesicht, während er das kalte Gitter hart an seiner Brust spürte.

»Ich werde für immer und ewig in deinen Gedanken weiterleben und du wirst dich jeden Tag an unsere gemeinsamen Nächte erinnern, das verspreche ich dir.«

Turner riss Aiden vom Gitter weg.

»Genug der Abschiedsbekundungen.«

Sein fettes, schlaffes Hinterteil flanierte vor Aiden her. Das letzte Gitter wurde geöffnet. Ein Mitarbeiter reichte Turner einen Beutel mit persönlichen Gegenständen.

»So viele Erinnerungen, die alle in diese kleine Tasche passen«, sagte Turner mit einer Nachdenklichkeit in seiner Stimme, die Aiden fremd erschien. Das Erste, was ihm auffiel, war der verblichene Superman-Comic, der am Tag seiner Verhaftung in seiner Hose gesteckt hatte. Die alte Taschenuhr seines Vaters und die Kleidung, die er an jenem Tag getragen hatte.

»Du weißt, dass du da draußen nicht überleben wirst«, meinte Turner und Aiden wurde schmerzlich bewusst, dass er recht hatte. Er würde nur in die nächste Hölle einziehen.

Das schwere Tor setzte sich in Bewegung. Die Sonne brannte vom wolkenlosen Himmel auf die Erde. Zwölf Jahre seines Lebens hatte Aiden verloren. Seine Jugend war ihm geraubt worden und es war unmöglich, die verlorene Zeit zurückzubekommen.

Madison lehnte an ihrem schwarzen Ford Pick-up. Ihre kurzen, stämmigen und gebräunten Beine steckten in Cowboystiefeln und Jeans-Shorts. Das blonde Haar lockte sich auf ihren Schultern.

Aiden wagte es kaum, einen Schritt vorwärts zu machen. In seinem Kopf war er immer noch ein Gefangener. Er spürte noch immer die Gitterstäbe um sich herum. Nur langsam bewegte er sich auf Madison zu, bis sie nur noch ein Atemzug trennte.

Sie tat einen Schritt nach vorne, öffnete ihre Arme. Ihr Lächeln schien ehrlich, doch warum war sie hier? Es war ihr Sohn der ermordet worden war, und Aiden war dafür verurteilt worden.

Glaubte sie an seine Unschuld?

Sie standen sich gegenüber und obwohl die Sonne erbarmungslos auf sie niederbrannte, fror er.

»Du bist frei«, flüsterte Madison.

»Bin ich das wirklich oder ist das wieder nur ein Traum?«, fragte Aiden leise.

Madison kam näher, streckte ihre Hand aus und zwickte Aiden in den Oberarm.

»Autsch«, stieß er aus.

»Siehst du. Es ist kein Traum. Jetzt steig ein. Wir fahren heim.«

»Heim? Es gibt für mich kein Zurück«, sagte Aiden mit einem Bedauern in seiner Stimme.

»Wo willst du sonst hin? Du kannst nur zu deiner Familie.«

Er atmete schwer. Seine Stirn lag in Falten und er wusste, dass es für ihn keine andere Möglichkeit gab. Nur zögerlich öffnete er die Tür des Wagens. Im Inneren stand die Luft. Madison ließ die Fenster herunter, als er einstieg, und die warme Luft von draußen vermischte sich mit der im Innenraum.

Aiden streckte seine Hand aus dem offenen Fenster und die Freiheit streifte seine blasse Haut, als Madison vom Gefängnis-Parkplatz fuhr. Er konnte kaum fassen, dass er nun frei war. Das Leben zog an ihm vorbei und er war von nun an ein Teil davon. Seine Lippen verzogen sich ganz von allein zu einem befreiten Lächeln, während der Betonbau hinter ihnen zurückblieb. Der Anblick der grauen Wände wich dem ausgedörrten Grün der Bäume und dem von der Sonne verbrannten Gras am Straßenrand. Sie fuhren durch die immer gleiche Landschaft, die Aiden einerseits so bekannt war, andererseits aber so spannend, als wäre er noch nie hier gewesen. Es war Ewigkeiten her, dass er sich mehr als ein paar Meter vom Fleck bewegt hatte. Die Geschwindigkeit, mit der das Auto die Landstraße runtersauste, löste ein Kribbeln in seinem Magen aus.

Eine halbe Stunde später bogen sie in den Trailer Park ein. Die schweren Reifen des Pick-ups gruben sich tief in den trockenen Sand und wirbelten ihn auf.

Aidens Herz trommelte gegen seine Brust. Er führte die Finger an die Lippen und kaute auf dem schmerzenden Fleisch herum. Ignorierte den brennenden Schmerz, den er damit auslöste. Er wagte es nicht, aus dem Wagen zu steigen, denn er befürchtete, dass er das Tor zur nächsten Hölle aufstoßen würde. Die Bewohner würden ihn niemals in ihrer Mitte aufnehmen.

Dann sah er seine Eltern aus ihrem Trailer kommen. Die Trailer standen nahe beieinander. Vereinzelt gab es winzige Grünflächen, die ein wenig Begrenzung boten. Grace und John wirkten ausgelaugt, schwach und müde.

Mit zitternden Fingern zog Aiden am Türgriff, stieg aus und spürte, wie das Beben sich in seinem gesamten Körper ausbreitete.

Er hatte seinen Eltern verboten, ihn im Gefängnis zu besuchen. Der Anblick ihres Sohnes in Haftkleidung wäre mehr gewesen, als sie ertragen könnten. Die Scham darüber, einen verurteilten Mörder zum Sohn zu haben, und die Verachtung der anderen, war Strafe genug, doch seine Mutter Grace hatte Aiden jede Woche einen Brief geschrieben. Zwölf Jahre lang. Ihre Worte waren seine einzige Verbindung in eine Welt, die ihm fremd geworden war.

Grace öffnete unter Tränen ihre Arme und Aiden fühlte sich wieder wie der 15-jährige Junge, der ihr entrissen worden war. Er ließ sich in ihre Arme fallen und inhalierte tief ihr Parfum, das ihm so vertraut war. Sie roch genau wie damals. Holzig und blumig.

»Mein lieber Junge. Du bist endlich wieder daheim«, schluchzte sie. Sie streichelte sein Gesicht und Aiden wurde bewusst, dass seine Mutter eine alte Frau geworden war. Der Schmerz und das unsägliche Leid hatten tiefen Spuren in ihrem Gesicht hinterlassen. Erst als er sich wieder von ihr abwandte, bemerkte er, in welch schlechten Zustand sein Vater John war. Sein gebrechlicher Körper wurde von einem Stock gestützt und sein rechter Mundwinkel hing herunter. Kein Wort kam ihm über die Lippen.

»Dad? Was ist passiert?«, fragte Aiden besorgt. Grace tätschelte die Schulter ihres Mannes.

»Er hatte einen Schlaganfall. Es hat ihn hart getroffen und er kann kaum noch sprechen«, sagte sie betroffen und blickte John an.

Aiden vermochte im Gesicht seines Vaters keine Gefühlsregung zu erkennen. John starrte seinen Sohn mit seinen ruhelosen, dunklen Augen an, nur ein angestrengtes Stöhnen drang aus seiner Kehle. Behutsam umarmte er seinen Vater.

»Ist schon gut, Dad. Du musst nichts sagen.«

Grace klatschte in die Hände. »Lasst uns reingehen. Ich habe das Essen vorbereitet. Es gibt Käse-Makkaroni, dein Leibgericht.« Sie öffnete die Tür, die mit einem scharfen Knarzen aufschwang.

Madison blieb am Pick-up stehen. Sie wollte, dass ihr Bruder die ersten Minuten zurück in seinem Zuhause mit seinen Eltern allein verbringen konnte.

Aiden stützte seinen Vater, der mit Mühe die Stufen zu bezwingen versuchte. Als John das obere Ende erreicht hatte, spürte Aiden eine kräftige Hand an seinem Arm. Er wirbelte herum und sah in ein Gesicht, das voller Abscheu war. Eitrige Beulen verwandelten die Haut in eine Kraterlandschaft. Aiden erkannte weder den Bürstenhaarschnitt noch die schmächtigen Schultern, die in einer Jeans-Kutte steckten. Das Gefängnis hatte alle Erinnerungen aus seinem Kopf gerissen. Stechend grüne Augen fixierten ihn und er überlegte fieberhaft, wer da vor ihm stand, doch sein Gedächtnis ließ ihn im Stich.

»Du hast keine Ahnung wer ich bin, oder?«, nuschelte der Typ, der eine Zigarette im Mundwinkel hängen hatte.

Diese Stimme. Er kannte sie. Wie kleine Blitze, die in seinen Kopf einschlugen, drangen die Erinnerungen auf ihn ein.

Es war Scott.

Einst sein bester Freund.

Bilder tanzten vor Aidens geistigem Auge und plötzlich konnte er sich an alles erinnern. Wo bis gerade eben nur die Gefängniszelle gewesen war, sah er den heißen Sommertag im August, an dem sie das Auto von Scotts Vater geklaut hatten, um damit ans Meer zu fahren und ihr erstes Bier zu testen. Diese Dummheit hatte beiden eine Tracht Prügel eingebracht, aber die Mädchen hatten die Jungs seit diesem Tag umschwärmt wie Bienen eine Blume.

»Scott. Ich … ich habe dich nicht vergessen.«

»Warum bist du genau hierher zurückgekehrt? Du bist ein Kindermörder und solchen Abschaum können wir hier nicht gebrauchen«, stieß Scott mit hasserfüllter Stimme aus.

»Ich … ich habe Brandon nichts getan. Ich habe ihn nicht getötet!«

»Du wurdest mit seinem Blut an deinen Händen gefunden. Man hat dich verurteilt. Du hast zwölf Jahre eingesessen. Ist das etwa kein Beweis?«

»Ich habe Brandon nicht ermordet. Er war mein Neffe, ich habe ihn geliebt!«, schwor Aiden und spürte Tränen in seinen Augen und ein Brennen in seiner Nase.

Scott bleckte seine gelben Zähne, packte Aiden am Kragen und stieß ihn gegen den Wohnwagen.

»Wo hast du seine Leiche verscharrt?«

Madison stieß sich von ihrem Pick-up ab und drängte sich zwischen die beiden.

»Lass ihn in Ruhe!«, forderte sie.

»Bist du von allen guten Geistern verlassen? Es war dein Sohn, den Aiden auf dem Gewissen hat«, brüllte Scott.

Stille. Scotts Worte verklangen und niemand sagte etwas. Nur ihr Atmen war zu hören.

»Du wirst hier keine zwei Wochen überleben«, drohte Scott Aiden, hob nochmal die Hand und ballte sie zur Faust, ehe er sich abwandte.

Aiden sah ihm nach. Das Blut pulsierte in seinen Adern und trieb seinen Herzschlag in die Höhe. Er tauschte einen Blick mit Madison, dann stieg er erneut die Treppe hinauf und trat ins Innere des Wohnwagens, wo das reinste Chaos herrschte. Schuhe lagen auf dem Boden und dreckiges Geschirr stapelte sich im Spülbecken. Es roch nach verdorbenem Essen, schmutziger Kleidung und Erbrochenem. Aidens Mutter war immer eine reinliche Frau gewesen. Früher hätte sie nie ein solches Durcheinander geduldet. Sauberkeit stand bei ihr an oberster Stelle. Stets hatten er und sein Vater die Schuhe vor dem Trailer ausziehen und die schmutzige Wäsche sofort in den Korb legen müssen.

»Mom. Vielleicht sollte ich ein wenig Ordnung machen.«

»Was meinst du?«, fragte Grace mit einem verwirrten Gesichtsausdruck. Sie schien gar nicht wahrzunehmen, dass sie auf einer Müllhalde hauste.

»Ich brauche frische Luft«, murmelte Aiden. Alles war anders. Es war zu viel. Er küsste seine Mutter auf die Stirn und wandte sich zur Tür.

»Was ist mit dem Essen?«, rief Grace ihrem Sohn nach.

Aiden zog die Tür zu, hockte sich auf die hölzernen Stufen und rang nach Luft. Es fühlte sich an, als läge eine Klaue mit festem Griff um seinen Hals und würde ihm das Atmen schwer machen. Minutenlang saß er nur da und dachte darüber nach, Miami zu verlassen. Fortzugehen und neu anzufangen, doch er konnte seine Eltern nicht im Stich lassen, oder?

Der Kummer hatte den beiden die Lebenskraft geraubt. Seine Eltern waren ins Verderben gestürzt und er war sich nicht sicher, ob seine Anwesenheit ihnen half oder alles noch schlimmer machen würde.

Ein klägliches Jaulen riss Aiden aus seinen Gedanken und fuhr ihm durch Mark und Bein. Er riss den Kopf hoch und versuchte, seine Atmung unter Kontrolle zu bringen. In der gleißenden Mittagssonne richtete er sich auf und folgte dem Jaulen, das wieder und wieder an sein Ohr drang, quer durch den Trailer Park.

Einige der Bewohner saßen auf Klappstühlen vor ihrer Behausung und beäugten Aiden neugierig. Dieser Teil des Parks war heruntergekommen. Verbranntes Gras und verwelkte Blumen kreuzten seinen Weg. Männerstimmen, die ohrenbetäubend grölten. Schwerer Zigarrenqualm lag in der Luft.

Hinter dem letzten Wohnwagen, am Rand des Parks, entdeckte er einen Käfig, der von den grölenden Männern umringt war. In ihm zwei Hunde, die unerbittlich gegeneinander kämpften. Abgerissene Ohren und blutige Hautfetzen zeigten Aiden ein Bild des Grauens. Die Männer wedelten mit Dollarscheinen und stachelten die Hunde weiter an.

Scott war unter ihnen. Entschlossen lief Aiden auf ihn zu. Er packte seine Kutte und riss ihn grob herum, während einer der Hunde zu Boden fiel und das Jaulen immer leiser wurde.

»Was zum Teufel ist das hier?«, fragte Aiden mit erschrocken aufgerissenen Augen. Scott glotzte ihn verdattert an.

»Verpiss dich. Das hier geht dich einen Scheiß an.«

Aiden hielt inne. Scott war ein anderer geworden. Ein Fremder.

»Wir waren beste Freunde, hast du das vergessen? Was ist mit dir passiert? Du hattest selbst einen Hund, und jetzt das hier?«

Ein grelles Lachen drang aus Scotts Mund.

»Das da ist mein Hund und er schlägt sich ganz gut, oder was meinst du?«, erwiderte er emotionslos.

Aiden wusste, was Schmerz bedeutete. Sein Körper, sein Geist, waren mit Elend durchflutet worden. Er ließ von Scott ab und öffnete die Tür zum Käfig. Die übrigen Männer brüllten und demonstrierten. Einer von ihnen übertrumpfte alle anderen mit seinem Gebrüll und ballte seine Hand zu einer Faust. »Hey! Was hast du hier verloren? Sofort raus aus dem Käfig. Der Kampf ist noch nicht vorbei!«

Aiden beäugte den Hund, der noch nicht am Boden zusammengebrochen war. Sein Zustand war kaum besser als der des leblosen Tieres. Schwer atmend kauerte er in einer Ecke und schien zu geschwächt, als dass er Aiden angreifen würde. Dieser beugte sich in den Käfig über den schwerverletzten Hund, der kaum noch am Leben war. Tiefe Wunden klafften an seinem Bauch. Aus der Schnauze triefte Blut und das abgerissene Ohr lag neben ihm im Dreck. Das Tier atmete flach und war dem Tod näher als dem Leben.

»Ich hole dich hier raus«, flüsterte Aiden, als er plötzlich einen Tritt in seine Seite spürte. Er wurde zur Seite geworfen und erblickte Scott, der einen Revolver hielt. Ein ohrenbetäubender Knall ertönte, als er den Abzug drückte, ein Fiepen hallte in Aidens Kopf wider. Die Kugel ging direkt in den Kopf des am Boden liegenden Hundes und ein Rinnsal aus warmem Blut suchte sich seinen Weg durch den aufgewirbelten Sand.

Aidens Herz pochte gegen seinen Brustkorb, seine Ohren schmerzten und fiepten. Mit zitternden Fingern streckte er die Hand aus und berührte den leblosen Körper. Ein stechender Schmerz zuckte durch seine Adern.

»Scheiß Köter«, stieß Scott aus und spuckte auf den leblosen Körper.

In Aiden wuchs eine unbändige Wut. Er rappelte sich auf, stürzte sich auf Scott und warf ihn zu Boden.

»Du hast eine elende Seele«, fauchte er, doch Scott ließ sich davon nicht beeindrucken und begann, höhnisch zu lachen. Ihre Nasen berührten sich. »Ich komme direkt aus der Hölle. Ich zeige sie dir, wenn du nicht augenblicklich mit dem Lachen aufhörst«, drohte Aiden.

Scotts Miene erstarrte. Er sah in Aidens Augen und konnte einen Wahnsinn erkennen, der das Lachen aus seinem Gesicht verbannte. Er spürte, wie die Furcht durch sein Fleisch kroch und er stieß Aiden zur Seite.

»Du bist doch total durchgeknallt. Es ist nur ein scheiß Köter, nichts weiter«, blaffte er.

»Du hast keinen blassen Schimmer, was ein Leben wert ist«, flüsterte Aiden und richtete sich mühsam auf.

Scott blieb noch einen Moment am Boden liegen und starrte Aiden an, ehe er sich ebenfalls aufrappelte und wortlos zwischen den Trailern verschwand.

Die anderen Schaulustigen sagten kein Wort. Für sie war die Show vorbei und die Gruppe löste sich auf. Nur ein Mann blieb. Er betrachtete den anderen Hund, der sich immer noch schwer atmend und mit eingezogenem Schwanz gegen die Gitterstäbe drückte. Er beugte sich in den Käfig, zog das Tier heran, hob es hoch und flüchtete ebenfalls.

Aidens ausgestreckte Hände zitterten, als er den regungslosen Körper berührte. Er war noch warm, doch das Leben war inzwischen entflohen. Behutsam hob er den Hund auf. Sein Kopf baumelte wie ein Teil einer Marionette, deren Fäden gekappt worden waren.

Der warme Wind huschte durch die Blätter der Palmen und wiegte sie hin und her. Aiden konnte unmöglich mit seinen bloßen Händen ein Loch in den Boden graben. Es würde Stunden dauern und er wusste nicht, ob Scott erneut auftauchen würde, um ihm eine Lehre zu erteilen. Also legte er den Hund ab und lief zurück zum Trailer seiner Eltern. Er wusste, dass sein Vater eine Schaufel besaß. Unter der Treppe lag sie. Er bückte sich, um sie aufzuheben, und als er sich wieder aufrichtete, sah er in ein lächelndes Gesicht. Das Herz schlug wild in seinem Brustkorb und die heiße Luft, die er einatmete, brannte in seiner Lunge.

Die junge Frau verschränkte lässig die Arme vor ihrer Brust. Das lange braune Haar war zu einem Pferdeschwanz gebunden und ihre dunklen Augen musterten Aiden von Kopf bis Fuß. Ihre Haut schimmerte wie zerbrechliches Porzellan. Mia – seine erste große Liebe.

Auf der Highschool war sie das beliebteste Mädchen gewesen. Nahezu jeder Junge hatte versucht, ihre Aufmerksamkeit zu bekommen und um sie gebuhlt, doch Mia hatte jeden einzelnen abblitzen lassen – bis auf Aiden. Ihr schelmisches Grinsen war noch dasselbe.

»Was … was machst du hier?«, stammelte er.

»Überrascht es dich, mich zu sehen?«

»Ehrlich gesagt, ja. Du wolltest immer hier raus, dem Elend in diesem Trailer Park entfliehen. Warum bist du noch hier?«

Mia blickte zu Boden. »Ich … ich habe es nicht übers Herz gebracht, meine Eltern im Stich zu lassen. Warum bist du wieder hier? Die Menschen hier verachten dich. Sie haben nicht vergessen, warum du im Gefängnis warst.«

»Ich bin hier, weil ich es nicht getan habe. Ich habe meinen Neffen nicht ermordet. Er war noch ein Kind und ich habe ihn geliebt. Ich hätte ihm nie etwas antun können!«

Mia trat an Aiden heran, blickte ihm tief in die Augen, streckte ihre Hand aus und berührte sanft seine Wange.

»Ich habe immer gewusst, dass du es nicht getan hast. Ich habe mich nie von dem Gerede der anderen beeinflussen lassen.« Tränen sammelten sich in ihren Augen und sie senkte schuldbewusst den Kopf. Der Verlust hatte ihr das Herz gebrochen. All die Jahre über hatte sie Aiden nicht aus ihrem Leben streichen können. »Es tut mir leid, dass ich dich nie besucht habe. Ich wollte, aber alle hier haben mich davon abgehalten.«

»Du musst dich nicht entschuldigen. Ich hätte nicht zugelassen, dass du mich so siehst und merkst, was aus mir geworden ist.«

»Du bist immer noch derselbe Junge, den ich … den ich …« Mias Gefühle waren noch dieselben. Die Schmetterlinge schlugen in ihrem Inneren mit den Flügeln. Sie musste herausfinden, ob Aiden noch derselbe war, der ihr vor zwölf Jahren entrissen worden war. »Was hast du mit der Schaufel vor?«

»Hast du gewusst, dass Scott Hundekämpfe macht?«

Mia blickte zu Boden. Sie wusste davon, doch sie hatte Scott keinen Einhalt gebieten können, so sehr sie auch auf ihn eingeredet hatte.

»Ja, ich weiß davon. Ich habe versucht, ihn davon abzubringen, aber die Lust am Blut steigert sich bei ihm von Tag zu Tag und dann ist da noch das Geld. Er verdient sich eine goldene Nase mit diesen Kämpfen.«

»Soll das heißen, dass er das öfter macht?«

Mia nickte. »Ja«, flüsterte sie.

Aidens Halsschlagader pulsierte. Er trat wütend gegen die Treppe. »Dieses verdammte Arschloch«, fluchte er.

»Scott hat sich verändert. Auch wenn du es nicht ahnst, aber deine Inhaftierung hat ihn verändert. Mit jedem Tag, den du hinter Gittern verbracht hast, wurde er zorniger und eine Eiseskälte machte sich in ihm breit. Du warst sein bester Freund und das hat er nicht verkraftet.«

»Es hatte nicht den Anschein, dass ich ihm gefehlt habe. Ganz im Gegenteil. Er ist auf mich losgegangen und hat mich beschimpft.«

»Das wird sich alles klären. Also, was willst du mit der Schaufel?«

»Einen toten Hund begraben.«

Mias Augen weiteten sich. »Es ist nicht der Erste. Nur werden die armen Geschöpfe normalerweise nicht begraben.«

»Was meinst du?«

»Normalerweise landen diese armen Kreaturen in der Mülltonne.«

Aiden presste seine Kiefer zusammen. »Wie auch immer. Dieser Hund wird begraben.«

»Ich begleite dich, wenn du möchtest.«

Er nickte. Schweigsam gingen beide nebeneinanderher. Tausend Fragen brannten Mia auf der Zunge, doch sie wollte Aiden nicht bedrängen. Immer wieder blickte sie ihn verstohlen an und das Verlangen, ihn zu berühren, brodelte in ihr wie ein Vulkan. Ihre Augen wanderten über seinen Körper. Er war zu einem Mann geworden. Der Junge, der er einst gewesen war, existierte nicht mehr.

Sie erreichten den Käfig. Der Sand war noch feucht und hatte inzwischen all das Blut, das aus dem leblosen Körper gelaufen war, aufgesaugt. Mia blickte verstört auf das arme Tier, das der Willkür eines Mannes ausgesetzt gewesen war und sein Leben auf grausame Weise verloren hatte.

»Wo willst du ihn begraben?«, fragte sie mit belegter Stimme.

»Gibt es noch den Meertraubenbaum am Ende des Parks?«

»Ja, den gibt es noch.«

Aiden überreiche ihr die Schaufel, hob den Hund vorsichtig vom Boden auf und trug ihn zum Baum. Die Sonne brannte gnadenlos vom Himmel und der Schweiß tropfte von seiner Nasenspitze, als er das Grab auszuheben begann. Er zog sein Shirt aus und bei seinem Anblick schlug Mias Herz höher. Dann betrachtete sie seinen Torso genauer. Sein Rücken war übersät von tiefen Narben. Ihr stockte der Atem und sie schlug sich entsetzt die Hand vor den Mund. Aiden bemerkte ihren erschrockenen Blick nicht. Sie kam näher, streckte ihre zitternde Hand aus und berührte seine Haut. Aiden schreckte auf.

»Bitte nicht.«

»Was, um alles in der Welt, ist mit dir passiert?«, fragte sie, ihre Lippen bebten.

»Ich … ich kann nicht …«

»Ich werde dich nicht bedrängen, aber du sollst wissen, dass ich immer für dich da bin.«

Aiden nickte und setzte seine Arbeit fort.

---ENDE DER LESEPROBE---