Depressionen im Sport - Frank Schneider - E-Book

Depressionen im Sport E-Book

Frank Schneider

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Beschreibung

Die Jagd nach sportlichem Erfolg lässt keinen Platz für Schwäche. Dabei sind Depressionen und andere psychische Erkrankungen keineswegs selten bei Sportlern, wie die Fälle Sven Hannawald, Sebastian Deisler und Britta Steffen zeigen. Doch Stigmatisierung und mangelnde Information haben oft fatale Folgen – bis hin zum Suizid, den Robert Enke beging. Prof. Dr. med. Frank Schneider bietet Sportlern, Trainern und Angehörigen wertvolle Orientierung: Wie kann man Depressionen erkennen, was sind die Ursachen und besonderen Gefahren bei Sportlern, welche Behandlungsmöglichkeiten wie Medikamente und Psychotherapie gibt es? Er macht den Betroffenen Mut: Es gibt einen Ausweg aus der Krise.

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Die Ratschläge in diesem Buch sind von Autor und Verlag sorgfältig geprüft, dennoch kann keine Garantie übernommen werden.Jegliche Haftung des Autors bzw. des Verlages und seiner Beauftragten für Gesundheitsschäden sowie Personen-, Sach- und Vermögensschäden ist ausgeschlossen.

© für die Originalausgabe und das eBook:

2013 F. A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten

Umschlaggestaltung: Wolfgang Heinzel

Umschlagfoto: shutterstock-images

eBook-Produktion: VerlagsService Dr. Helmut Neuberger & Karl Schaumann GmbH, Heimstetten

ISBN 978-3-7766-8165-9

www.herbig-verlag.de

Geleitwort

Liebe Leserin, lieber Leser,

es ist ein gutes Gefühl, dass sich so viele Menschen dem Thema seelische Gesundheit zuwenden! Je größer das Wissen über psychische Erkrankungen ist und je selbstverständlicher wir mit dem Thema umgehen, desto besser. Vorbeugung, Diagnose und Behandlung können dann viel früher und viel effektiver einsetzen.

Im Jahr 2010 haben wir die Robert-Enke-Stiftung gegründet, um Projekte, Maßnahmen sowie Einrichtungen zu unterstützen, die vor allem über Depressionen aufklären und der Erforschung und Behandlung depressiver Störungen dienen. Auf diesem Weg sind wir mit der Unterstützung des Deutschen Fußball-Bundes, der Deutschen Fußball Liga und von Hannover 96 sowie einer Vielzahl weiterer Partner bereits ein großes Stück vorangekommen. Wir haben Projekte initiiert, unterstützt und erfolgreich durchgeführt. In diesem Zusammenhang sind die Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik von Professor Schneider an der RWTH Aachen, das Referat »Sportpsychiatrie und Sportpsychotherapie« der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde sowie die Robert-Enke-Stiftung im Jahr 2012 auch gemeinsam für ihre Aktivitäten im Bereich der seelischen Erkrankungen bei Sportlern ausgezeichnet worden: Ein toller Erfolg unserer Arbeit!

Professor Schneider, einem der Kuratoriumsmitglieder der Robert-Enke-Stiftung, möchte ich an dieser Stelle dafür danken, dass er das Thema »Depressionen im Sport« derart kompetent aufgegriffen hat. Denn es ist nicht einfach, die komplizierten biologischen und psychosozialen Zusammenhänge der psychischen Erkrankungen für eine breite Leserschaft so anschaulich und so kurzweilig darzustellen, wie es hier gelungen ist.

In dem Buch wird aufgezeigt, dass jeder krank werden kann; es hier nicht um Schuld geht. Wir erfahren, was es mit Depressionen und anderen psychischen Erkrankungen auf sich hat, und dass es inzwischen gut behandelbare Erkrankungen sind. Wichtig ist, dass Hilfen leicht zugänglich sind und Experten von Betroffenen sowohl schnell als auch unkompliziert aufgesucht werden können. Die vorliegende Lektüre nennt viele solcher Hilfsangebote – nicht nur deshalb wünsche ich ihr eine weite Verbreitung.

Ich erhoffe mir, dass dieses Buch dazu beiträgt, seelische Krisen frühzeitig zu erkennen und zu behandeln. Niemand soll sich stigmatisiert fühlen oder ausgegrenzt werden, wenn er eine psychische Erkrankung erleidet und entsprechende Hilfen sowie Behandlungen erfragt.

Barsinghausen, im Oktober 2012

Teresa Enke

Inhalt

Geleitwort

Einführung

Depressionen: Was verstehen wir darunter?

Woher kommt eine Depression?

Zeichen der Depression

Manie und bipolare Störungen

Manie

Bipolare affektive Störungen

Zusammenfassung

Welche anderen seelischen Erkrankungen gibt es?

Burnout durch Überforderung?

Warum ist der Begriff »Burnout« so populär geworden?

Was lernen wir aus dieser Diskussion?

»Athleten-Burnout«

Übertraining und Übertrainingssyndrom

Angststörungen

Agoraphobie

Panikstörung

Soziale Phobie

Spezifische Phobien

Generalisierte Angststörung

Therapie

Zwangsstörungen

Zwangsgedanken

Zwangshandlungen

Therapie

Anpassungs- und Belastungsstörungen

Anpassungsstörungen

Akute Belastungsreaktion

Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS)

Somatoforme Störungen

Essstörungen

Anorexia nervosa

Anorexia athletica

Bulimia nervosa

Binge-Eating-Störung

Schlafstörungen

Persönlichkeitsstörungen

Schizophrene Psychosen

Missbrauch und Abhängigkeit

Alkohol

Illegale Drogen

Anabole Steroide

Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS)

Demenzen und Delirien

Sport als Ursache von Hirnschädigungen

Zusammenfassung

Was tun, wenn Sportler psychisch krank werden?

Soll ich die Krankheit verheimlichen?

Im Sport pausieren oder weitermachen?

Zusammenfassung

Die schlimmste Konsequenz: Suizid

Woran kann man eine Suizidgefährdung erkennen?

Was tun?

Berichterstattung in den Medien

Zusammenfassung

Bausteine der Behandlung

Medikamentöse Behandlung

Was tun, wenn eine Besserung ausbleibt?

Machen die Medikamente abhängig?

Anti-Doping-Richtlinien

Weitere Behandlungsverfahren

Wachtherapie

Lichttherapie

Elektrokonvulsive Therapie (EKT)

Psychotherapie

Verhaltenstherapie

Klassische Verhaltenstherapie

Kognitive Verhaltenstherapie

Psychoanalytisch begründete Verfahren

Entspannungsverfahren

Zusammenfassung

Antworten auf häufig gestellte Fragen

Service

Glossar

Hilfreiche Adressen und Internetseiten

Quellenverzeichnis und weiterführende Literatur zu Spezialthemen

Einführung

Sportlerinnen und Sportler sind gesund und verletzen sich höchstens einmal an der Achillessehne. So ist die weitgehende Meinung bei Außenstehenden, wenn sie Weltmeisterschaften oder Olympische Spiele verfolgen. Sie strotzen vor Kraft und Gesundheit, können in Wettkämpfen die stärksten mentalen Belastungen wegstecken. Innerhalb der Leistungssportszene weiß man aber durchaus, dass es neben der Achillesferse noch andere verwundbare Stellen gibt, und dazu gehört eben auch die »Psyche«.

Aus einer großen, bundesweiten Studie ist bekannt, dass fast die Hälfte (ca. 43 Prozent) der Menschen in Deutschland im Laufe ihres Lebens einmal eine psychische Erkrankung erleidet. Warum sollen Leistungssportler davon ausgeschlossen sein? Nur, weil sie vielleicht manchmal Helden sein wollen und sollen? Das ist natürlich kein Grund. Auch Leistungssportler können psychische Erkrankungen erleiden, die adäquat diagnostiziert und behandelt werden müssen. Für diese Erkrankungen kann man gar nichts, sie kommen oft wie eine Grippe. Allerdings hängt ihr Auftreten eng mit Stressoren zusammen wie beruflichen oder privaten Konflikten, Trennung vom Partner, Schlafmangel, um nur ein paar wenige Beispiele zu nennen.

Höhen und Tiefen kennen alle Athleten eigentlich gut aus ihren Wettkämpfen: Sieg und Niederlage, Helden- und Versagerstatus können sich sehr, sehr schnell abwechseln. Aus Niederlagen können Betroffene indes viel lernen. So ist es auch mit den Erkrankungen. Viele Patienten berichten mir nach ihrer Genesung, dass sie gestärkt aus der Krankheit hervorgegangen sind, reifer, fähiger, ihren eigenen Weg zu gehen.

Dazu ist es notwendig, dass die Athleten selbst, aber auch ihre Betreuer, Berater und Trainer sowie die Organisatoren von Sportwettkämpfen, die Verbandsfunktionäre und selbstverständlich die Angehörigen umfassend über die Erkrankungen, wie auch über die Risikofaktoren und »Frühwarnsymptome« informiert sind.

Auf der anderen Seite wissen wir, dass körperliche Aktivität – in Maßen betrieben – Geist und Körper fit hält. Sport ist Bewegung und Bewegung hilft, psychische Krankheiten zu überwinden. Es gibt jedoch auch Zeiten, in denen sich Leistungssportler aufgrund einer psychischen Erkrankung nur ganz beschränkt sportlich betätigen können und sollen. Dies gilt es, im Einzelfall durch den Arzt herauszufinden.

Die Stigmatisierung von Patienten mit psychischen Erkrankungen ist gerade im Sport relevant: Leistungssportler, die sich zu ihren psychischen Erkrankungen öffentlich bekannten, wurden noch bis vor wenigen Jahren ins Abseits gestellt. Dies hat sich mittlerweile zum Positiven geändert. In den meisten Vereinen und Verbänden ist inzwischen das Bewusstsein vorhanden, dass jeder Mensch, auch ein Sportler, psychisch erkranken kann. Heutzutage wird meistens adäquat reagiert. Die Sportler erhalten Hilfe und Unterstützung. Viele Athleten schämen sich außerdem nicht mehr, sich zu ihrer Erkrankung zu bekennen und sich behandeln zu lassen. Und dies ist gut so.

Es gibt viele psychische Erkrankungen. In diesem Buch liegt der Schwerpunkt auf den depressiven Syndromen, weil sie im Sportbereich am häufigsten sind. Aber auch die wichtigsten anderen Erkrankungen wie Angststörungen, Essstörungen, die Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS), Alkohol- und Drogenmissbrauch und viele andere mehr werden thematisiert. Sie halten also ein kleines Lehrbuch über psychische Erkrankungen in Ihren Händen. Nach der Lektüre sollten Sie in der Lage sein, Krankheitszeichen richtig einzuschätzen und adäquat zu reagieren. Generell gilt: Bei jedem Verdacht auf eine gravierende psychische Erkrankung sollte umgehend ein Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie konsultiert, im allerersten Schritt zunächst auch der Hausarzt befragt werden. In der Regel gilt: Je früher eine psychische Erkrankung erkannt und behandelt wird, desto weniger stark wird sie zukünftig ausgeprägt sein und umso kürzer werden die Beschwerden anhalten.

Leider ist es so, dass Sportmediziner, die ja in der Regel Internisten, Orthopäden oder Unfallchirurgen sind, mit diesen psychiatrischen Krankheitsbildern gar keine oder wenig Erfahrungen haben. Dies gilt auch für Sportpsychologen, deren Ziele im Verein und Verband oft ganz andere sind. Ich halte es grundsätzlich für eine gute Idee, wenn Sportler bei psychischen Problemen zu einem »Externen« gehen, also nicht zu einem dem Verein rechenschaftspflichtigen Berater, der vielleicht auch vom Verein bezahlt wird. Ob und was der Sportler an seinem Arbeitsplatz sagt, will gut überlegt sein, dafür sind externe Ärzte und Psychologen meist die besseren Diskussionspartner. Aber dies gilt eigentlich bei allen Arbeitsplätzen, nicht nur auf dem Sportplatz.

Neben der Diagnostik stelle ich Ihnen auch die relevanten Therapien vor: Die Fachleute sprechen von multimodaler Therapie, d. h. bei vielen psychischen Erkrankungen ist sowohl der Einsatz von Medikamenten als auch der von psychotherapeutischen Techniken angezeigt. Für Sportler gibt es allerdings spezifische Bedingungen und Einschränkungen zu beachten. Beim Verschreiben von Medikamenten müssen beispielsweise die einschlägigen Richtlinien der Anti-Doping-Agenturen berücksichtigt werden. Und jede Psychotherapie hat sich den besonderen Bedingungen von Leistungssportlern in den organisatorischen und zeitlichen Rahmenbedingungen anzupassen.

Dieses Buch soll einen Einblick geben, welche psychischen Erkrankungen (nicht nur) bei Leistungssportlern vorkommen können, welche Ursachen diesen zugrunde liegen können, wie man die Erkrankungen am besten behandelt und wer der richtige Ansprechpartner ist. Welches Wissen wird Ihnen auf den folgenden Seiten vermittelt? Ich beschränke mich auf solches, welches in den einschlägigen wissenschaftlichen Leitlinien der Fachgesellschaften sowie in großen Übersichtsarbeiten (z. B. den »Cochrane Reviews«) publiziert und darüber hinaus ganz aktuell ist. »Evidenzbasierung« heißt hier das Schlüsselwort. Es bedeutet, dass diagnostische und therapeutische Verfahren in den medizinischen Bereichen nicht auf einfachen Einschätzungen, Vermutungen, traditionellen Ansichten oder gar »Aberglauben« beruhen dürfen, sondern durch wissenschaftliche Untersuchungen sicher belegt sein müssen.

Im Serviceteil am Ende des Buches finden Sie zunächst ein ausführliches Glossar, in dem mit einfachen Worten alle Fachbegriffe noch einmal erläutert werden. Dieser Abschnitt enthält auch Informationen über die sportpsychiatrisch-psychotherapeutischen Sprechstunden an einigen Universitätskliniken in Deutschland. Diese haben sich zu einem Ring zusammengefunden, um flächendeckend erster Ansprechpartner für Leistungssportler mit psychischen Erkrankungen zu sein.

Und es sei nochmals betont: Psychische Erkrankungen wie Depressionen können jeden Menschen treffen. Es handelt sich dabei nicht um vorausgegangenes Fehlverhalten oder Versagen, sondern um Erkrankungen des Gehirns, die aufgrund einer gewissen biologischen Verletzlichkeit im Zusammenwirken mit äußerem Stress auftreten. Es gibt übrigens auch nicht die typische Sportler-Persönlichkeit, genauso wenig wie es eine Krebs-Persönlichkeit oder eine Achillessehnen-Persönlichkeit gibt. Jeder Mensch ist einzigartig. Im Text finden Sie zahlreiche Fallbeispiele aus der Praxis. Diese sind selbstverständlich anonymisiert.

In diesem Sinne hoffe ich, dass Ihnen das vorliegende Buch im Sportalltag weiterhilft. Niemand kann etwas für eine psychische Erkrankung, aber jeder mittelbar und unmittelbar Betroffene sollte wissen, wo und wie geholfen werden kann.

Prof. Dr. med. Dr. rer. soc. Frank Schneider

Depressionen: Was verstehen wir darunter?

Depressionen sind Erkrankungen, die früher als »Gemütskrankheiten« bezeichnet wurden. Sie gehören zu den häufigsten und schwersten psychischen Leiden. Die Wahrscheinlichkeit für jeden Einzelnen von uns, einmal im Leben an einer solchen Erkrankung zu leiden, beträgt knapp 20 Prozent. Die Krankheit tritt insbesondere im dritten Lebensjahrzehnt und dann wieder gehäuft im höheren Lebensalter auf. Frauen sind etwa doppelt so häufig betroffen wie Männer.

Das Gute ist: Depressionen sind gut behandelbare Erkrankungen!

Schlecht ist: Depressionen können zum Tod führen. Etwa ein Drittel der depressiv Erkrankten unternimmt einen Suizidversuch. Es wird geschätzt, dass sich bis zu 15 Prozent aller Patienten mit Depressionen das Leben nehmen. Durch konsequente Präventions- und Behandlungskonzepte konnte die Suizidrate in den letzten Jahrzehnten aber gesenkt werden.

Häufig gehen Depressionen mit anderen Erkrankungen wie Angststörungen, Substanzmissbrauch oder -abhängigkeit, mit Persönlichkeitsstörungen, Ess- und Zwangsstörungen sowie somatoformen Störungen (siehe Glossar) einher, die in den folgenden Abschnitten ebenfalls vorgestellt werden.

Depressionen gehören allgemein zu den affektiven Erkrankungen. Dies ist der Oberbegriff. Depressionen können einmalig im Verlauf eines Lebens auftreten oder auch mehrfach in Episoden.

Kommen nur depressive Episoden vor, spricht der Mediziner von unipolaren Depressionen. Treten sowohl depressive als auch manische Episoden auf, wobei letztere quasi das Gegenstück einer Depression beschreiben, spricht man von bipolaren affektiven Störungen. Manische Phasen machen bei den bipolaren Verläufen etwa 10 bis 20 Prozent der Erkrankungsepisoden aus.

Insgesamt sind bipolare affektive Störungen deutlich seltener als unipolare Depressionen. Für bipolare affektive Störungen liegt die Wahrscheinlichkeit des Auftretens bei etwa 2 Prozent. Sie beginnen meist um das 18. Lebensjahr. Männer und Frauen sind gleich häufig betroffen. Die Suizidgefährdung ist hier allerdings viel höher als bei unipolaren Verläufen.

Affektive Störungen

Der Begriff der affektiven Störungen beschreibt eine Gruppe psychischer Erkrankungen, bei der insbesondere die Stimmung, der Antrieb und das vegetative Nervensystem betroffen sind. Das vegetative Nervensystem steuert körperliche Prozesse, über die wir uns normalerweise keine Gedanken machen, wie z. B. Herzschlag, Verdauung, Körpertemperatur.

Zu den affektiven Störungen gehören:

Depression: Charakteristisch sind eine sehr niedergedrückte Stimmung, Antriebsminderung, Interesselosigkeit sowie Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörungen; zudem finden sich häufig körperlich-vegetative Auffälligkeiten.Manie: Gegenpol der Depression, Erkrankungsbild mit situationsunangemessener gehobener oder gereizter Stimmungslage, Antriebssteigerung, Rededrang, Gedankenrasen/Ideenflucht und häufig Größenideen.Bipolare affektive Störung: Typischerweise treten sowohl depressive als auch manische oder angedeutet manische (hypomanische) Krankheitsepisoden auf.

Nach der Internationalen Klassifikation psychischer Störungen der Weltgesundheitsorganisation (ICD-10; Kap. V (F); siehe Glossar) werden episodenhafte affektive Störungen (also manische oder depressive Episoden) von chronisch anhaltenden Störungen oft leichterer Ausprägung (Dysthymia, Zyklothymia) unterschieden. Eine Dysthymia wird diagnostiziert, wenn ein Zustand leichter depressiver Verstimmung mehr als zwei Jahre anhält. Parallel dazu meint Zyklothymia eine länger als zwei Jahre andauernde Instabilität der Stimmung mit Phasen leichter Depression und leichter Manie (Hypomanie).

Worin unterscheidet sich eine Depression von einer vorübergehenden schlechten Stimmung?

Ein wesentliches Unterscheidungskriterium ist, dass der Depressive unfähig geworden ist, auf sich ändernde Bedingungen emotional zu reagieren.

So schöpft beispielsweise jemand, der nur schlecht gestimmt ist, nach einer sich für ihn positiv ändernden Situation wieder neue Zuversicht und seine Stimmung hellt sich in dieser neuen Situation oder bei Aussicht auf etwas Schönes wieder auf. Bei einem Menschen mit einer Depression gelingt dies nicht.

Woher kommt eine Depression?

Leistungssportler stehen unter einem immensen Druck: ständig 100 Prozent geben zu wollen und zu »müssen«, in ständigem Konkurrenzkampf mit Mitstreitern stehen und immer besser sein müssen (der Beste!) – schneller, höher, weiter … Dies schafft – zumindest auf Dauer – keiner, auch kein Profi! Der Körper wird über eine lange Zeit gefordert und zum Teil überfordert. In der Folge lässt die Leistung nach, woraufhin das Trainingspensum weiter erhöht wird, die Erschöpfung wächst, Misserfolgserlebnisse nehmen zu, kurz: Es droht eine Abwärtsspirale (siehe Abbildung). Doch worin genau liegen nun die Ursachen einer Depression, warum entwickelt der eine unter den gegebenen Bedingungen eine Depression und der andere nicht?

Abwärtsspirale

Wir wissen, dass sowohl biologische als auch psychosoziale Faktoren für das Entstehen einer Depression eine Rolle spielen. Es gibt eine genetische Veranlagung (»biologische Verletzlichkeit«). So weiß man aus Adoptions- und Zwillingsstudien, dass ein eineiiger Zwilling, wenn er einen Zwilling mit bipolarer Erkrankung hat, in bis zu 80 Prozent der Fälle auch daran erkrankt. Hat sein Zwilling eine unipolare depressive Erkrankung, liegt die Rate bei ca. 50 Prozent.

Andere gesicherte Ursachen beziehen sich auf die Botenstoffe im Gehirn, die Neurotransmitter (siehe Glossar). So sprechen die Wissenschaftler beispielsweise von der Monoamin-Mangel-Hypothese der Depression, also der Verminderung der Neurotransmitter Serotonin und Noradrenalin sowie Dopamin, die im Spalt zwischen den einzelnen Nervenzellen des Gehirns vorkommen und Informationen zwischen den Nervenzellen weiterleiten. Ein anderes gesichertes Modell ist das Überwiegen des cholinergen Systems (mit dem Botenstoff Acetylcholin) während der Depression und das Überwiegen des noradrenergen Systems (mit dem Neurotransmitter Noradrenalin) während der Manie. Insgesamt kann man von einer Dysbalance der verschiedenen Nervenbotenstoffe sprechen. Daneben wissen wir, dass häufig sowohl eine Regulationsstörung der Hormone (z. B. Kortisol, Schilddrüsenhormone) als auch strukturelle und funktionelle Auffälligkeiten einzelner Gehirnregionen beteiligt sind.

Psychische Ursachen für eine Depression liegen z. B. in der »erlernten Hilflosigkeit« – einer Hilflosigkeit, die auf dem Boden einer andauernden, als unkontrollierbar und unvorhersehbar befundenen Belastung »erlernt« wurde. Das Gefühl, Dinge nicht mehr selbst kontrollieren zu können, führt zur Hilflosigkeit, und dies wiederum kann in eine Depression münden. Generell haben unsere Gedanken und Bewertungen der Dinge einen ganz großen Einfluss auf unser Gefühlsleben. Denn es sind nicht die Dinge bzw. Ereignisse an sich, die bestimmen, wie wir uns fühlen, sondern unser Denken darüber, unsere Bewertungen. Damit beschäftigen sich vor allem die kognitiven Ansätze der Depressions-Therapie. Diese führten auch den Begriff der »kognitiven Triade« ein, durch welche das Denken eines Depressiven beschrieben werden kann: die kognitive Triade umfasst die negative Wahrnehmung der eigenen Person (»Ich bin ein Versager«), der Umwelt (»Alle sind gegen mich«) und der Zukunft (»Es wird nie besser werden«).

Ein Beispiel für eine negative Grundannahme, die in eine Depression münden und diese aufrechterhalten kann, ist der Gedanke, dass der eigene Wert davon abhängt, wie erfolgreich man ist. Dies führt dazu, dass man sich selbst ständig unter Druck setzt. Ein solcher Gedanke ist bereits im Alltag nicht günstig, kann aber besonders im Leistungssport zu Versagensängsten und Minderwertigkeitsgefühlen führen – den charakteristischen Symptomen einer Depression.

Negative Denkschemata

Typisch für Menschen mit einer Depression ist eine negative Sichtweise, wie durch eine »schwarze Brille«. Dem liegen negative Denkschemata zugrunde, die zu Denkfehlern führen, z. B. Übergeneralisierungen (aus Kleinigkeiten werden weitreichende Schlüsse gezogen) oder eine eingeengte Wahrnehmung (»Tunnelblick«). Diese Denkschemata versuchen, sich immer wieder selbst zu bestätigen und damit bestehen zu bleiben.

Beispiele

Übergeneralisierung: Marion L. verspätet sich um wenige Minuten zum Schwimmtraining. Daraus zieht sie den Schluss, dass sie in allen Bereichen, so auch in ihrer sportlichen Leistungsfähigkeit, unzuverlässig ist.

Selektives Verallgemeinern: Einen verpatzten Sprung nach vier erfolgreichen, weiten Sprüngen betrachtet die Weitspringerin Claudia F. als Beweis für ihre sportliche Unfähigkeit.

An dieser Stelle sei erwähnt, dass in jeder wahrgenommenen Depression auch eine Chance steckt – die Chance, Zugang zu den zugrunde liegenden negativen Denkschemata zu gewinnen und diese zu verändern (siehe Kapitel »Bausteine der Behandlung«, Abschnitt »Psychotherapie«).

Zuletzt seien soziale Faktoren genannt, die in Form stressreicher, belastender Lebensereignisse (Wettkämpfe, Überforderungen, Misserfolgserlebnisse, Verluste, Kränkungen) mögliche Auslöser einer affektiven Störung wie einer Depression sein können.

Entwurzelung als Risikofaktor

Ein ganz wichtiger Faktor für das Entstehen seelischer Krisen sind Entwurzelungen: Es sollen in der deutschen Fußball-Bundesliga Sportler aus 66 Nationen spielen, von denen natürlich nicht alle nervenkrank werden. Aber eine Reihe dieser Spieler kommt mit dem System hier nicht zurecht, die Betroffenen fühlen sich alleingelassen und einsam, werden nicht aufgefangen. Gerade auch um diese Migranten müssen wir uns kümmern.

Einer Depression bei Leistungssportlern gehen oft folgende Ereignisse voraus:

ein Übertrainingssyndrom (siehe Kapitel »Welche anderen seelischen Erkrankungen gibt es?«, Abschnitt »Burnout durch Überforderung?«)akute Verletzungen und verzögerte Rehabilitationsverläufeeinzelne wichtige Niederlagen oder Serien von Misserfolgen in WettkämpfenFrustrationen und Stress im Verein oder Verband (wie z. B. persönliche Probleme mit dem Trainer oder im Team)Trainingsproblemezunehmendes AlterBeenden der Karriere (typischerweise tritt die depressive Symptomatik erst zwei, drei Jahren nach Beendigung auf)

Es sei aber nochmals darauf hingewiesen, dass eine Depression viele Ursachen haben kann und nicht allein einem Ereignis zugeschrieben werden kann.

Zeichen der Depression

Fallbeispiel