Der 4. Versuch - S. Pomej - E-Book

Der 4. Versuch E-Book

S. Pomej

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Beschreibung

Astronaut Frank Askin hat alles, was sich ein Mann wünschen kann: Geld, Ruhm, eine schöne Frau - und seit dem letzten Einsatz leider auch PTSD. Seine Frau will die Scheidung, sein Arzt geheime Informationen und sein Vorgesetzter seine Frau, was sein Trauma weiter anheizt. Diesem Teufelskreis will Frank durch den nächsten Raumflug entrinnen, doch es kommt noch schlimmer! Der Landgang auf dem fremden Planeten wird zum Albtraum...

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Wir mögen die Welt kennenlernen, wie wir wollen, sie wird immer eine Tag- und eine Nachtseite behalten. Goethe

Inhaltsverzeichnis

1_Verdacht

2_Hausbesuch

3_Traumdeutung

4_Recherche

5_Erinnerung

6_Fremdsprache

7_Neuling

8_Treffpunkt

9_Eheleben

10_Sprachwissenschaft

11_Märchen

12_Wiedersehen

13_Training

14_Hypnotisiert

15_Chefsache

16_Einsatzbefehl

17_Rendezvous

18_Abreibung

19_Anweisung

20_Reise

21_Annäherung

22_Beeindruckt

23_Landgang

24_Einladung

25_Unterirdisch

26_Parasitär

27_Gefahr

28_Rettungsaktion

29_Suche

30_Erkenntnis

1_Verdacht

20.3.2118

Ein Blick in seine Augen lässt mir das Herz einfrieren. Ich beginne langsam, ihn zu hassen. Jeden Tag ein wenig mehr.

22.3.2118

Seit er zurück ist, überkommt mich die Panik, sooft ich ihn sehe. Äußerlich unverändert, mit einer Miene, als wäre er aus tiefem Schlaf gerissen worden und darüber sehr erbost, starrt er mich an wie ein Hypnotiseur.

24.3.2118

Im Schlaf spricht er eine Sprache, die ich weder verstehe, noch jemals gehört habe - und ich bin weit gereist. Ich nahm einige Sätze auf und ließ sie durch den Übersetzer laufen. Die Ausbeute zeigte sich lückenhaft: Kontrolle gewonnen - woher kommt - was ist gewesen - warum folgt - ihr - wo?

30.3.2118

Heute wollte er ein Gericht, das wir noch niemals zuvor gemeinsam gegessen haben.

Der Computer brauchte einige Zeit, bis er alle Zutaten zusammensammelte und an den Herd die genaue Backzeit und Temperatur übermittelte. Er wurde sehr ungeduldig, sah mich an, als wolle er mich gleich auffressen.

2.4.2118

Stunde um Stunde denke ich über die fehlenden Worte nach. Die folgende Lösung fiel mir ein: Wir haben über ihn die Kontrolle gewonnen. Woher kommt seine Rasse? Was ist gewesen, bevor er zu uns kam? Warum folgt er seinen Anweisungen? Ihr seid wo?

Er ist mir unheimlich.

"Haben Sie das Journal gelesen?", fragte Frank ungeduldig.

"Ja, es widerstrebt mir zwar, fremde Tagebücher zu lesen, aber ich konnte mich überwinden."

"So fremd ist Ihnen meine Frau gar nicht, in unseren Sitzungen habe ich Ihnen doch schon von ihr erzählt."

"Ja, das ist wohl richtig, aber Ihre Frau ist nicht meine Patientin, Sie sind mein Patient, Frank", erinnerte er ihn unnötigerweise und beobachtete eine verärgert hochgezogene Augenbraue bei ihm. "Da diese Einträge allerdings anscheinend auch Sie betreffen-"

Scharf unterbrach ihn Frank: "Wieso anscheinend? Es ist absolut klar, dass sie mich meint! Wenn mir auch noch nie aufgefallen ist, im Schlaf zu sprechen."

Seine Sitzhaltung verkrampfte sich, seine Hände umklammerten beide Armlehnen und verfärbten sich an den Fingerknöcheln weiß.

"Hat sie Sie nie darauf angesprochen?"

"Nein, seit meiner Rückkehr hat sie immer häufiger Migräne, wenn Sie wissen, was ich damit meine." Seine Mundwinkel senkten sich verächtlich nach unten, die Hände entspannten sich etwas.

"Jaja... Sie haben nur die wichtigsten Auszüge daraus kopiert?"

"Nein, das Luder hat einen Kopierschutz eingebaut, den ich nicht ganz überbrücken konnte."

"Hm, kommen wir wieder zu Ihrem Beruf, was passierte auf dem Planeten?"

"Unterliegt der Geheimhaltung", antwortete er gehetzt.

Der Doktor ließ eine Pause entstehen, lehnte sich in seinem hellbraunen Ledersessel zurück, sodass ein quietschendes Geräusch entstand, das Frank automatisch kurz leicht zusammenzucken ließ.

"Wieso fragen Sie nach meinem Einsatz, es geht doch um den wachsenden Hass meiner Frau gegen mich."

"Das könnte etwas mit Ihrem Einsatz zu tun haben."

"Kann ich mir nicht vorstellen." Franks Augen schweiften vom fleischigen Gesicht des Doktors ab und wanderten ein wenig seitlich, um einen Blick durch das Fenster zu erhaschen, wo gerade einige Schäfchenwolken vom Wind vorbeigetrieben wurden.

"Ihre Frau wollte sich doch schon vor Ihrem Abflug von Ihnen scheiden lassen."

"Stimmt, aber das konnte ich ihr ausreden."

"Interessant. Mit welchen Argumenten?"

"Mit Versprechungen."

"Welcher Art?"

"Monetärer."

"Sie sind etwas einsilbig, Frank."

"Meinen Sie, Ivy wollte sich scheiden lassen, weil ich zu wenig mit ihr rede?" Sein harter Blick heftete sich wieder an das großflächige Gesicht eineinhalb Meter vor ihm.

"Das könnte sein. Vielleicht empfindet sie auch Ihre lange Abwesenheit als inakzeptabel."

"SO? Anfangs hatte sie damit kein Problem."

"Die Menschen ändern sich mit der Zeit, Frank. Vor allem die Frauen. Sie sind schon wegen ihrer Fähigkeit, Leben zu gebären, viel reflektierter als wir. Und auch Männer ändern sich, wenn es in ihrem Beruf zu Konflikten kommt. Offenbar merkte Ivy bei Ihnen eine Veränderung, die sie nicht mag." Da sein Patient beharrlich schwieg, fügte er hinzu: "Eine Veränderung, die sie feststellte, nachdem Sie zurückgekehrt sind. Und das bringt sie offenbar mit dem Einsatz auf dem Planeten in Verbindung."

"Dort passierte nichts, was eine Veränderung in mir ausgelöst hat", behauptete er in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete.

"Bei vielen Paaren ist es einfach der banale Alltag, der zu einer aufgestauten Wut und damit zu einem Trennungswunsch führt."

"Sie sagten mir doch, für eine funktionierende Partnerschaft müssen einer negativen Situation fünf positive folgen."

"Schön, dass Sie sich das gemerkt haben, viele Ehemänner vergessen das sehr schnell wieder", freute sich der Doktor.

"Ich kaufte ihr nach meiner Rückkehr eine Flugscheibe, ließ ihr im 39. Stockwerk unserer Wohneinheit einen Balkon bauen, ..." Bei der Aufzählung ließ er immer Platz für das "HM!" des Doktors. "Also, was soll ich noch alles für die reflektierte Frau Gemahlin tun?"

"Sie haben nur materielle Zuwendungen aufgezählt, keine ideellen, wie Liebe, Aufmerksamkeit und so weiter."

"Für Ivy zählen nur materielle Dinge."

"Hm. Frauen sind sehr emotional."

"Den Sex hat sie mir doch verweigert!" Mit einer ausholenden Geste zeigte er kurz Richtung Tür.

"Wie oft?"

"Pfff, hab' nicht mitgezählt... schätze, es waren schon ein Dutzend Male."

"Verweigerung ehelicher Pflichten ist noch immer ein Scheidungsgrund. Warum wollen Sie also mit ihr verheiratet bleiben?"

"Wie sagen die Franzosen so treffend: Le coeur a ses raisons que la raison ne connait point."

Dem Doktor, der ebenfalls der französischen Sprache mächtig war, entkam ein seltenes Schmunzeln. "Ja, das Herz hat seine Gründe, die der Verstand nicht kennt. Trotzdem..."

"Es klingt irgendwie kindisch, aber ich habe sie ins Herz geschlossen. Und ich kann sie mir noch nicht herausreißen."

"Sie äußerten zu Beginn unserer Sitzung einen Verdacht", erinnerte sich der Doktor. "Warum denken Sie, Ihre Frau will Sie töten?"

"Na, weil sie mich offenbar hasst!" Seine dunklen Augen funkelten nun, als brannte dahinter ein Feuer.

"Und Sie wissen auch warum", stellte der Doktor fest.

"Nicht wegen des Betrugs. Schnee von gestern! Sondern, weil sie denkt, ich wäre von dem Flug verändert zurück gekommen."

"Ich hatte also recht mit meiner Vermutung."

"Zum Teil. Sie denkt es, aber es ist nicht so!" Die letzten fünf Worte sprach er mit Nachdruck aus.

"Hat Ivy schon einen Anschlag auf Ihr Leben unternommen?"

"Nein, sicher steckt sie noch in der Planphase."

"Bestimmt irren Sie sich. Denken Sie doch an die Kinder!"

"Die Kinder sind bei meiner Ex-Frau."

"Ach ja, Sie sind ja zum zweiten Mal verheiratet."

"Zum dritten Mal", korrigierte er unwirsch. "Die Zweite starb bei einem Unfall."

"Was die Sätze betrifft, die sich Ivy in ihrem Journal so einfach zusammengereimt hat,..."

"Was ist damit?"

"Solche Übersetzungsprogramme geben nicht zu, dass sie einer Sprache nicht mächtig sind. Sie lokalisieren im Text Ähnlichkeiten mit bekannten Sprachen und übersetzen dann deren Bedeutung."

"Das heißt, dass die Übersetzung falsch ist", folgerte er mit sichtlicher Erleichterung.

"Nicht unbedingt. Es würde helfen, wenn ich selbst mit Ivy reden könnte."

"Was erwarten Sie sich davon?" Misstrauen und aufkeimende Eifersucht drangen aus seinen Worten.

"Aufklärung! Sie beschuldigen Ivy schließlich eines bevorstehenden Verbrechens, das ich eventuell verhindern kann."

In Franks kantigem Gesicht spielten sich ersichtliche Regungen ab, die auf einen komplizierten Denkprozess schließen ließen.

"Ich kann mir vorstellen, was Sie jetzt denken", offenbarte ihm der Doktor.

"So?" Anzeichen von Unglauben tauchten in seiner Mimik auf.

"Ja, Sie denken, ich könnte den Worten Ihrer Frau entnehmen, dass sie bei Ihnen eine Wesensänderung wahrnahm, die Ihnen selbst noch nicht aufgefallen ist."

"Pah, wie soll mir eine Wesensänderung bei mir entgehen?"

"Sie würden sich wundern, was ich schon bei meinen Patienten alles erlebt habe. Manche entwickelten auf langen Raumflügen Paranoia, die sie auch bei der Rückkehr nicht ablegten, ohne sie als solche wahrzunehmen. Einer erklärte mir, es sei nur seine angeborene Vorsicht, die ihn immer dazu veranlasse, sich bei jedem Ausgang aus seinem Haus einen fünf Seiten langen Plan zur Vorsicht zu entwerfen."

"Haha!" Franks Lachen war herzhaft und die erste angenehme Reaktion in der heutigen Sitzung. Es hallte richtig in den klinisch weißen Wänden der Praxis nach.

"Freut mich, dass Sie sich amüsieren."

"Haha, hieß Ihr Patient vielleicht Jason Wenthworth?"

"Ich werde Ihnen keinen Namen nennen. Das tue ich niemals. Ist dieser Wenthworth ein Kollege von Ihnen?"

"Ja, ein richtiger Pedant. So ein Verhalten könnte auf ihn passen."

"Kommen wir wieder zu Ihrer Gattin."

"Wenn es sein muss..." Automatisch zog er die Schultern hoch, so als wolle er sich gegen Kälte schützen.

"Haben Sie noch Passagen des Journals in Erinnerung, die Ihren Verdacht erhärten?"

Frank Askin schloss seine Augen, versuchte sich zu erinnern, ehe er langsam aus seinem Gedächtnis vorlas: "Seine Hände bewegen sich im Schlaf, sie scheinen auf ein Instrumentenbrett zu tippen. Gestern aß er seinen Pudding nicht, den er sonst immer hastig runterschlingt wie ein halb verhungertes Kind. Seine Augen haben so einen gewissen Glanz, der vorher nicht da war. Wenn er sie für immer schließt, wird mir der Glanz für ewig in Erinnerung bleiben. Ein Glanz, als hätten seine Augen das Elysium geschaut."

Der Doktor hörte aufmerksam zu, wartete auf die Fortsetzung, doch sein Patient saß in dem breiten Sessel zurückgelehnt und schien eingeschlafen zu sein. Die Pupillen unter den geschlossenen Lidern bewegten sich wie bei der REM-Phase. Er träumte offenbar und der Doktor ärgerte sich, dass er den Traum nicht sehen konnte, da er daraus viel mehr Information hätte generieren können als aus den knappen Kommentaren seines verschlossenen Patienten. Franks Hände zuckten kurz, dann gab sein halb geöffneter Mund ein kehliges Geräusch von sich, einem Schmerzenslaut ähnlich.

"Frank!"

Erschrocken fuhr er hoch und starrte in des Doktors massiges Gesicht.

"Was haben Sie gerade geträumt?"

"Ich erinnere mich nicht an den Traum. Hab' ich überhaupt geschlafen?"

"Es sah ganz danach aus."

"Verzeihung, aber ich bin so müde. Gestern wagte ich nicht einzuschlafen, nachdem ich meine Gattin in berechtigtem Verdacht, mich töten zu wollen habe." Ein langer Seufzer folgte diesem Satz.

"Ich widerspreche Ihnen äußerst ungern, Frank, aber dieser Verdacht ist meiner Ansicht nach ganz und gar nicht berechtigt."

"Und wann ist er es? Bei meiner Leichenbeschau?"

Der Doktor rollte kurz seine Pupillen nach oben. "Nun, wenn Sie einen handfesten Beweis in Händen haben."

"Das Journal reicht nicht?"

"Nein, es zeigt nur die übliche eheliche Frustration."

"Zizz!" Ein Zischlaut verließ seine zusammengepressten Lippen.

"Denken Sie nicht, ich ergreife die Partei Ihrer Frau, es ist auch aus gerichtlicher Sicht nicht ausreichend."

"Ich denke nicht daran, meine Frau zu verklagen."

"Vielleicht wäre es angebracht, wenn ich mit Ivy spreche."

"Glauben Sie, sie verrät Ihnen ihre Pläne?" Ein überhebliches Schmunzeln umspielte seine Lippen.

"Wir werden das erst wissen, nachdem ich mit ihr gesprochen habe."

"Ja, im Sprechen ist sie mir überlegen. Die redet wie ein Hörbuch."

"Verbleiben wir für heute so, dass Sie Ihrer Frau einen Termin bei mir vorschlagen."

Frank Askin schüttelte den Kopf. "Nein, das wird nicht funktionieren, denn sie würde das ablehnen, wenn es von mir kommt. Besser wäre, wenn SIE sie in die Mangel nehmen."

"Was verstehen Sie darunter?"

"Ganz einfach, Sie sprechen sie einfach an. Unter irgendeinem Vorwand."

"Ach so ... Ja, so können wir es auch machen. Ich werde sie anrufen und einladen."

"NEIN! Sie würde nicht kommen. Sie müssten sich schon zu uns nach Hause bemühen, Doktor Cullen, an einem Tag, an dem ich nicht daheim bin. Am besten an einem Freitag nach 14 Uhr, da muss ich nämlich immer zum Physiotraining."

"HM, also gut. Beschreiben Sie mir Ihre Frau."

"Elf Jahre jünger als ich. 177 Zentimeter groß, 20 Zentimeter lange Haare, momentan blond, Proportionen: 95-52-88."

"Sie sind ja sehr exakt mit Zahlen."

"Die sind in meinem Job sehr wichtig."

"Eigentlich habe ich mit der erbetenen Beschreibung eine Charakterisierung gemeint", präzisierte der Doktor.

"Anfangs war sie wie ein Engel, zu schön, um wahr zu sein. Nicht nur ihr Aussehen, auch ihr Verhalten, ihre zutrauliche, anschmiegsame Art, die sie leider immer mehr verloren hat."

"HM! Wird Ivy am nächsten Freitag zu Hause sein?"

"Ja, sie sitzt an dem Tag neuerdings am Balkon und lässt sich die Sonne auf den Bauch scheinen."

"Und welchen Vorwand schlagen Sie vor?"

"Am zugänglichsten wäre sie, wenn es um Geld geht. Sie könnten ihr einreden, dass Sie mich wegen der Versicherungssumme neu einschätzen müssen."

"Hm, dann wird sie mir womöglich nichts über Ihre nächtlichen Ausbrüche erzählen."

"Welche Ausbrüche?" Frank zog seine buschigen Augenbrauen zusammen.

"Dass Sie im Schlaf eine fremde Sprache sprechen."

"Stimmt. Außer Sie erzählen ihr von den Eigenheiten Ihrer andern Patienten."

"Deren Eigenheiten unterliegen meiner Schweigepflicht."

"Aber Doktor, vorhin erzählten Sie mir doch von dem Paranoiker."

"Hm, Sie meinen, ich könnte mit dieser kleinen Anekdote Ivy zum Ausplaudern IHRER Eigenheiten bringen?"

"Bestimmt. Wenn sie mit ihrer Story über mich, die IHRE übertrumpfen kann, dann wird sie's tun", sagte er mit apodiktischer Sicherheit.

"Abgemacht! Ich denke, der Besuch wird mir auch ermöglichen, dem Geheimnis Ihrer nächtlichen Plaudereien auf die Spur zu kommen."

"Das hoffe ich!"

2_Hausbesuch

Vor dem Hochhaus tippte der Doktor die Nummer der Wohneinheit von Frank Askin ein und auf dem Display erschien das Gesicht einer betörend schönen Frau.

"Ja?", hauchte sie.

"Guten Tag, Mrs. Askin, ich bin der behandelnde Arzt Ihres Mannes, Dr. Cullen, und würde Sie gern einige Minuten sprechen."

"Seit wann dehnen Sie Ihre Ordination auf Ehepartner aus?"

"Es geht um eine rein versicherungstechnische Nachforschung."

"Ach so."

Der Summton öffnete das Tor und der Doktor fuhr mit dem Lift in die 39. Etage hoch, wo Ivy Askin in einem knappen weißen Bikini, welcher ihre gebräunte Haut ausgezeichnet betonte, auf ihn wartete. Der Geruch nach Sonnenöl drang in seine Nase und ihre sekundären Geschlechtsmerkmale zogen automatisch seinen Blick auf sich.

"Es wird nicht lange dauern", versprach er und trat in das komfortabel eingerichtete Apartment ein.

"Wir können am Balkon miteinander sprechen, mögen Sie einen Drink, Dr. Cullen?"

"Ja, wenn Sie Orangensaft haben, nehm' ich ihn gern pur als Erfrischung."

Barfuß lief sie zur Bar, schenkte aus einem Glaskrug den Saft in ein Longdrinkglas ein und reichte es ihm lächelnd.

"Danke, ich komme gleich zur Sache", begann er schon auf dem Weg zum Balkon, wo zwei Korbstühle standen, "körperlich ist Ihr Mann topfit, doch seelisch scheint er ein wenig angeschlagen zu sein."

Mit einer anmutigen Geste deutete sie in die Ferne. "Ist dieser Ausblick nicht fabelhaft?"

Ein wolkenloser Himmel spannte sich über eine urban verbaute Gegend, in der nur wenige grüne Flecken Entspannungsoasen anzeigten. Gegenüber stand in einer Entfernung von zwei Kilometern ein weiteres Hochhaus, auf dessen Dach ein Flugscheiben-Parkplatz lag. Dort herrschte ein reges An-und Abfliegen dieser lautlosen Scheiben, die sich nur die obere Gesellschaftsschicht leisten konnte.

"In der Tat. Ich selbst wohne in einem Turm, daher bin ich den Blick von oben auf die Landschaft gewohnt."

"Einen formidablen Anzug haben Sie, Dr. Cullen. Blau ist meine Lieblingsfarbe."

"Danke, obwohl ich auch lieber in Badebekleidung hier sitzen würde."

"Was meinen Sie mit seelisch angeschlagen?", erkundigte sie sich, setzte sich auf den einen Korbstuhl und schlug die Beine übereinander.

Der Doktor nahm auf dem anderen Stuhl Platz, nippte von dem Saft und stellte das Glas auf das Balkongeländer. "Nun ja, er berichtete mir von Albträumen."

"Ja, das kann ich mir vorstellen." Beim Nicken fiel ihr eine Haarsträhne quer über das Gesicht, die sie sich elegant mit ihren langen, blutrot lackierten Fingernägeln zurückstrich.

"Hat er Ihnen davon berichtet?"

"Nein", schüttelte sie den Kopf. Ihr Haar glänzte in der Sonne wie gesponnenes Gold. "Er stöhnt im Schlaf."

"Das bedeutet, er verarbeitet die Erlebnisse von seinen Weltraumausflügen und leidet darunter, dass er sie Ihnen nicht erzählen darf."

"Mir erzählt er sowieso recht wenig." Ihre ebenmäßigen Züge zeigten so etwas wie Enttäuschung.

"Stimmt, er ist ein wortkarger Typ. Ich hatte da mal einen Patienten, der sprach im Schlaf."

"Wirklich?"

"Oh ja, er plauderte darin die ganzen Geheimnisse aus, die er bei Tag streng bei sich behielt."

"Also, mein Mann spricht auch im Schlaf", gestand sie nun, "allerdings verstehe ich kein Wort von dem, was er sagt."

"Exorbitant. Spricht er so undeutlich?"

"Deutlich, doch unverständlich. Es ist ein Dialekt, den ich noch nie gehört habe. Und ich bin in meinem Leben schon ziemlich weit herumgekommen. Von der Arktis bis zur Spitze von Kap Hoorn ist mir kein weißer Fleck auf unserer guten Mutter Erde mehr fremd. Manchmal beneide ich Frank um seine Möglichkeit, von hier weit hinaus ins All zu fliegen..." Verträumt blickte sie in die Sonne, blinzelte und sah danach wieder den Doktor an.

"Wie schade, dass ich den Dialekt nicht gehört habe, denn ich bin auch schon viel in der Welt herumgereist und musste beruflich viel mit den Leuten sprechen. Eventuell hätte ich es besser verstehen können."

"Ich bekam nur das Gefühl, dass es etwas ganz Fürchterliches wäre, was er von sich gab."

"Wie kamen Sie auf diese Idee, Mrs. Askin?"

"Weibliche Intuition."

"Könnten Sie die Laute, die er nachts von sich gibt, aufnehmen, damit ich sie in meiner Praxis analysieren kann?"

"Würde das helfen?" Bei der Frage riss sie ihre mit schwarzem Eyeliner umrandeten Lider so weit auf, dass ihre dunkelblaue Iris vom Weiß der Augen noch besser betont wurde.

"Ganz sicher! Ich könnte danach meine Behandlung effizienter gestalten."

"Das wird sich machen lassen", versprach sie und lächelte wieder.

"Dann will ich Sie nicht länger stören", kündigte er an und erhob sich. In einem Zug trank er sein Glas leer und stellte es neben sich auf den Boden. Beim Aufrichten bekam er wieder den Duft ihrer mit Sonnenöl eingecremten Haut in die Nase. "Ich komme dann nächsten Freitag und hole mir die Aufzeichnung ab, wenn es Ihnen recht ist."

"In Ordnung."

Als sie aufstehen wollte, winkte er ab: "Bleiben Sie ruhig sitzen, Mrs. Askin, ich finde allein hinaus."

"Dann auf Wiedersehen, Dr. Cullen!" Mit geschlossenen Augen lehnte sie sich zurück, legte ihre Beine auf den frei gewordenen Korbstuhl und wandte ihr Gesicht Richtung Sonne.

Auf dem Weg nach draußen kam er am Computer vorbei, auf dessen Bildschirm in rascher Abfolge geometrische Figuren in allen Farben oszillierten, sich in springlebendige, dreidimensionale Aquariumsfische verwandelten, die aus dem Bild sprangen und sich in Nichts auflösten. Daneben lag ein iPhone-Armreif, den Ivy wohl abgelegt hatte, um nahtlos braun zu werden. Mit einem Blick zum Balkon vergewisserte er sich, dass sie ihm nicht folgte. Aus der linken Hosentasche holte er seinen USC-Stick heraus und steckte ihn an den Computer an. Es handelte sich um einen jener smarten Sticks, die eine Ultra-Fast-Copy-Funktion besaßen, und nur für Personen mit einer Sondergenehmigung erhältlich waren. Es dauerte nur fünf Sekunden und der Doktor konnte den Stick wieder herausziehen. In diesem Augenblick läutete der iPhone-Armreif und er erschrak.

Zum Ausgang war es zu weit, so eilte er in den Raum gleich neben dem Schreibtisch, dessen Tür nur angelehnt war. Gerade rechtzeitig konnte er dahinter verschwinden und sah sich im ehelichen Schlafzimmer stehen. Das Doppelbett zeigte sich ungemacht, die Laken zerwühlt und mit einigen Flecken verunreinigt. Draußen hörte er seine Gastgeberin das Gespräch annehmen.

"Hallo, Maurice! Nein, ich bin ganz allein.

Frank ist beim Training. Mhm! Hahaha. Du bist mir einer. Sicher können wir uns treffen."

Dem Doktor wurde mulmig zumute, denn wenn sie ausgehen würde, musste sie sich vorher ankleiden und dazu bestimmt das Schlafzimmer aufsuchen. Mit dem Anflug von Verzweiflung suchte er nach einem Versteck, doch unter dem Bett fand er zu wenig Raum für seinen dicklichen Körper und die Schränke schienen ihm zu schmal, um sich hineinzuzwängen. Vorhänge gab es an den Fenstern keine, hinter denen er sich verbergen konnte. Draußen hörte er Ivy schrill auflachen.

"Hihihaa! Maurice, du bist ein ganz Schlimmer! Ja, im Odeon bekommst du sicher einen Fensterplatz für uns. Wann soll ich dort sein? Das schaff ich leicht! Bin gleich bei dir, falls mir nichts dazwischen kommt!"

Dem Tête-à-Tête schien sie schon entgegenzufiebern, Doktor Cullen begann zu schwitzen, er musste handeln, um der Peinlichkeit der Entdeckung zu entgehen.

Daher holte er aus seiner rechten Hosentasche seinen Betäubungsspray heraus.

Eine Prise davon in das ebenmäßige Gesicht der blonden Frau und sie würde bewusstlos zu Boden sinken und sich nachher nicht mehr erinnern können, was die paar Minuten davor passiert war. Schon hörte er sie mit gedämpften Schritten zur Tür tapsen, die sich leicht öffnete. Noch bevor sie eintrat, streckte er den Arm aus, betätigte den Sprayknopf und das Betäubungsmittel konnte mittels einer kleinen Sprühwolke seine Wirkung entfalten.

Lautlos sank sie nieder, ihr schlanker Körper verursachte beim Auftreffen auf dem beigen Teppichboden kaum ein Geräusch. Hastig steckte er die kleine Spraydose wieder ein, beäugte sich Ivy Askin, verdrängte die Versuchung, sich an ihr zu vergehen und hob sie vorsichtig hoch.

Merkwürdig, sinnierte er: Wie alle Frauen besteht sie nur aus Muskelmasse, Fettgewebe mit Haut überzogen und verströmt dennoch die Aura einer schlafenden Göttin.

Mit sicheren Schritten trug er seine höchstens 50 Kilogramm schwere Last zurück auf den Balkon und setzte sie ganz vorsichtig wieder hin. Vom Hochhaus gegenüber, das über keine Balkone verfügte, konnte ihn niemand gesehen haben. Die Fenster hatten sich alle verdunkelt, um die Bewohner vor zuviel Hitze zu bewahren.

Beim Drapieren ihrer Beine konnte er sich nicht zurückhalten und strich langsam an der Innenseite ihrer Schenkel entlang. Ihre Haut fühlte sich wie Seide an. Nun konnte er Frank verstehen - von so einer Frau lässt sich kaum ein Mann scheiden. Widerwillig riss er sich von ihrem verführerischen Anblick los und eilte zum Ausgang. Doch beim Computer blieb er nochmals stehen, holte aus der Innentasche seines Sakkos einen kleinen Störsender in Form eines harmlos aussehenden Schlüsselanhängers heraus, mit dem er den Armreif außer Betrieb setzte.

Ebenfalls ein sehr nützliches Gadget, das nur gewissen Auserwählten zur Verfügung stand.

Danach tupfte er sich mit einem Tissue aus einem goldfarbenen Spender hinter dem Computer die Stirnglatze ab und schritt entschlossen aus dem Apartment.

Insgeheim freute er sich über seinen gelungenen Coup, sowie auch über das Wiedersehen in einer Woche. Wer immer dieser Maurice auch war, er würde umsonst auf sie warten, sie würde sich an seinen Anruf nicht erinnern können. Zufrieden grinste der Doktor beim Ausstieg aus dem Lift.

Draußen auf der Straße kam ihm spontan die Idee, doch selbst ins Odeon einzukehren.

So ein feines Restaurant konnte er sich leicht leisten. Voriges Jahr hatte er sogar schon einmal darin dinniert. Es lag in einer Entfernung von nur wenigen Gehminuten und er schlenderte zwischen andern Passanten gemütlich dorthin. Am Eingang stand eine livrierte Empfangsdame und erkundigte sich, ob er reserviert habe.

"Nein, ich entschloss mich ganz plötzlich.

Haben Sie irgendwo ein Plätzchen für mich frei?"

"Ja, ein Einzelplatz an der Balustrade, unser Service-Roboter führt Sie hin, Sir."

"Danke, junge Dame", raunte er ihr zu und folgte dem Roboter - einem Modell mit immer fröhlichem Gesicht - einige Stufen hinauf an einen achteckigen Tisch mit bequemem Sessel davor.

Von seinem Platz konnte Dr. Cullen das gesamte Lokal gut überblicken. Es bot sechs Fensterplätze, die allesamt besetzt waren. Und nur einer davon von einer männlichen Einzelperson.

"Was möchten Sie trinken, Sir?", erkundigte sich die junge Kellnerin in einem aufreizenden schwarzen Kleidchen mit einer weißen Schürze. Sie mochte im gleichen Alter wie Ivy sein, doch trotz ebenfalls blonder Mähne nicht halb so verführerisch.

"Äh- ich nehme einen doppelten Cognac und zu essen hätte ich gerne Ihre Spezialität.

Sie haben doch noch die Flusskrebse vom Mars?"

"Selbstverständlich. Wieviele darf ich Ihnen bringen?"

"Mit zwei Dutzend werde ich das Auslangen finden."

"Sehr wohl, Sir."

Als sie sich entfernte, verschwendete der Doktor keinen Blick auf ihr Hinterteil, in Gedanken lag er bei Ivy Askin, fühlte ihre seidige Haut und fuhr mit seinen Fingern durch ihr blondes Haar. Dann schweiften seine Gedanken wieder zu dem Anrufer namens Maurice. War der am Fenster sehnsüchtig Wartende dieser Kerl? Ein Ehebrecher? Eifersucht stieg in ihm stellvertretend für Frank auf. Maurice schien Frank nicht unähnlich. Auf die Entfernung schätzte Cullen ihn ebenfalls auf höchstens Mitte dreißig. Wie der Raumfahrer zeigte er sich blendend aussehend, hochgewachsen, breitschultrig und dunkelhaarig. Der schiefergraue Anzug spannte über seine Oberarmmuskeln.

Die Kellnerin servierte dem Doktor den Cognac, den dieser langsam genoss, während Maurice auf seinen smarten Armreif tippte.

Offenbar versuchte er erfolglos, Ivy anzurufen.

Dr. Cullen fühlte einen Triumpf, da er doch klugerweise Ivys Armreif außer Gefecht gesetzt hatte. Störungen ereigneten sich durchaus auch ohne Sender und konnten bis zu einer Stunde dauern, eine durch einen Störsender verursachte, löschte zudem noch den letzten Anruf. Grinsend schob er einen Ärmel hoch und hob seinen eignen smarten Armreif auf Augenhöhe. Mit dessen Zoom-Funktion holte er das Gesicht dieses Maurice heran und ließ es durch das medizinische Erkennungsprogramm laufen. Ein Programm, auf das nur Ärzte zugreifen konnten. Das Resultat erstaunte Cullen, denn Maurice hieß mit vollem Namen Maurice Emanuel Adjaneff und war als leitender Angestellter der Raumfahrtfirma NSTA eingetragen.

Soso, dachte Cullen amüsiert, während der Gatte im All weilt, kommt Mr. Adjaneff als Tröster der Strohwitwen zum Einsatz.

Die Flusskrebse schmeckten ihm formidable, vor allem, weil die Aussicht auf einen versetzten Gigolo den Appetit zusätzlich anregte. Maurice Adjaneff verließ nach einer halben Stunde das Odeon und Cullen bestellte sich noch ein Mousse au Chokolat als Dessert.

3_Traumdeutung

"Wie wäre es heute wieder mit einem Ausflug in den Tranquiller-Room, Mr. Askin?"