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William Chambers Morrow (1854 -1923) war ein amerikanischer Journalist und Schriftsteller, der von Kollegen wie Ambrose Bierce für seine stilistisch herausragenden Erzählungen mit psychologischem Tiefgang und makabren Pointen in der Tradition von E.A. Poe gerühmt wurde. Wie dieser gilt Morrow heute unter Kennern als einer der wichtigsten Wegbereiter der modernen Horrorliteratur. Die hier erstmals auf Deutsch vorliegende legendäre Kurzgeschichtensammlung DER AFFE, DER IDIOT UND ANDERE LEUTE aus dem Jahr 1897 blieb zu Morrows Lebzeiten die einzige Zusammenstellung seiner Stories in Buchform. Sie enthält 14 der besten Geschichten von Morrow wie SEIN UNBESIEGBARER FEIND oder DER MONSTER-MACHER. In der Reihe UNTOTE KLASSIKER präsentiert der JOJOMEDIA Verlag unentdeckte , vergessene oder vergriffene Highlights aus den Bereichen Horror und Unheimliche Phantastik (im angloamerikanischen Raum auch als "Weird Fiction" bezeichnet) in neuer, zeitgemäßer und hochwertiger Aufmachung. Jeder Band enthält neben eigens für die Reihe UNTOTE KLASSIKER gestalteten kunstvollen Illustrationen auch ein vertiefendes Vorwort mit ausführlichen Hintergrundinformationen zu Buch und Autor.
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Seitenzahl: 302
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Zum Geleit:
Untote Klassiker
Vorwort:
Von grausamen Schicksalen, Tod und Erlösung
William Chambers Morrow – Der große Unbekannte der klassischen Weird Fiction
Die Auferstehung der kleinen Wang Tai
Der Held der Seuche
Sein unbesiegbarer Feind
Das feststeckende Stilett
Bei einer Flasche Absinth
Der Kerkerinsasse
Ein ehrenhaftes Spiel
Der heimtückische Velasco
Eine ungewöhnliche Sicht der Dinge
Ein Hilferuf aus dem Meer
Der Monstermacher
Originelle Rache
Zwei außergewöhnliche Männer
Das anhängliche Amulett
In der Reihe UNTOTE KLASSIKER präsentiert der JOJOMEDIA Verlag unentdeckte, vergessene oder vergriffene Highlights aus den Bereichen Horror und Unheimliche Phantastik (auch als »Weird Fiction« bezeichnet) in neuer, hochwertiger und zeitgemäßer Aufmachung.
Jeder Band enthält neben eigens für die Reihe UNTOTE KLASSIKER gestalteten kunstvollen Illustrationen auch ein vertiefendes Vorwort mit ausführlichen Hintergrundinformationen zu Buch und Autor.
Die UNTOTEN KLASSIKER gibt es als exklusives Hardcover, als edles Paperback mit strukturgeprägtem Einband und als E-Book.
Unter der Bezeichnung »Weird Fiction« subsumiert man im angloamerikanischen Raum gemeinhin Werke der »Unheimlichen Literatur«, die zu einem Gutteil zugleich auch dem Subgenre der »Übernatürlichen Phantastik« zugerechnet werden – also Science-Fiction-, Fantasy- und Horror-Geschichten mit Elementen, die sich nicht mit der gängigen realistischen Welterfahrung und den bekannten Naturgesetzen in Einklang bringen lassen. Eine Hochblüte erlebte die »Weird Fiction« in dem gleichnamigen US-Pulp-Magazin, das von 1923 bis 1954 durchgängig in 279 Ausgaben erschien und sich nach diversen Wiederbelebungsversuchen in späteren Jahren mit Beiträgen von bekannten zeitgenössischen Autoren bis weit über das Millennium hinaus halten konnte.
Obwohl heute auch eine Reihe von europäischen Autoren wie M.R. James, William Hope Hodgson oder Arthur Machen zu den Klassikern der »Weird Fiction« gezählt werden, liegen ihre Anfänge – stellt man die Schauerromantik hintan – doch zu einem wesentlichen Teil in den Vereinigten Staaten. Dabei fallen immer wieder die Namen von drei Schriftstellern, die die »Weird Fiction« der allgemeinen Ansicht nach als Wegbereiter maßgeblich begründet und beeinflusst haben – es handelt sich um »das dunkle Dreigestirn« Edgar Allen Poe, Ambrose Bierce und Howard Phillips Lovecraft.
Poe (1809 – 1849) gilt heute vor allem durch seine Erzählungen, die ebenso wie seine düsteren und sprachgewaltigen Gedichte (»Der Rabe«) häufig im Spannungsfeld zwischen psychologischen Grenzsituationen des aufkeimenden Wahnsinns, todesschwangeren Allegorien und phantastischen Einflüssen angesiedelt sind, als DER Pionier der modernen Horrorliteratur sowie auch der Detektiv- bzw. Kriminalgeschichte. Ambrose Bierce (1842 – 1914) verfasste neben sarkastischen Aphorismen (»Des Teufels Wörterbuch«) makabre und zynische Short Stories – insbesondere vor dem Hintergrund des amerikanischen Bürgerkriegs – mit teilweise übernatürlichem Einschlag, die durch ihre stilistische Raffinesse heute als literarische Meisterwerke angesehen werden, und Howard Phillips Lovecraft (1890 – 1937) beschwor in seinen Geschichten von den Großen Alten und dem Cthulhu-Mythos ein unsagbares kosmisches Grauen. Allen drei gemeinsam ist übrigens, dass sie sich vorwiegend in Erzählungen und Kurzgeschichten ausdrückten und nicht in Romanlänge – zahlreiche Experten sehen deshalb die kurze Form nach wie vor als die ideale im Bereich der unheimlichen Literatur an.
Kaum jemandem ist hingegen heute noch der Name von William Chambers Morrow (1854 – 1923) ein Begriff. Dieser von seinen Zeitgenossen hochgeschätzte Journalist und Schriftsteller war selbst in seiner Heimat, den Vereinigten Staaten, über viele Jahre hinweg vollkommen in Vergessenheit geraten – sicher auch der Tatsache geschuldet, dass er in seinen letzten Lebensjahren als Autor kaum mehr produktiv war und sich, im Gegensatz beispielsweise zu Lovecraft, nach seinem Tod keine Anhänger und Förderer fanden, die das Andenken an sein Werk hochhielten. So ist auch nur ein einziges authentisches Porträt in Form eines in einer Zeitung abgedruckten Bildes von Morrow überliefert, und nicht einmal seine Grabstelle ist bekannt.
Zwar wurden Morrows Geschichten zu seinen Lebzeiten sowohl vom Publikum als auch von der Kritik durchwegs positiv aufgenommen – eine Rezension in »The San Francisco Call« aus dem Jahr 1897 zum Erscheinen seiner Storysammlung »The Ape, the Idiot & other People« charakterisiert sie so: »Nur davon zu sprechen, dass sie auf brillante Weise erschreckend sind, würde das Werk schlecht beschreiben, und selbst wenn dies ihre einzige Wirkung wäre, würde der einfallsreiche Aufbau, der geschickte Gebrauch der Sprache sowie die reichhaltige und originelle Vorstellungskraft sie zu einer unvergleichlichen literarischen Errungenschaft von aufregendem Interesse und seltenem Wert machen.« –, und der Journalist Vincent Starrett widmete Morrow in seinem Buch »Buried Caesars« aus dem Jahr 1923 über herausragende literarische Persönlichkeiten seiner Zeit ein Kapitel, in dem er dessen Stil mit dem von Ambrose Bierce verglich (worauf wir noch zurückkommen werden!), doch bis auf einige wenige Geschichten, die auch noch später nachgedruckt wurden (unter anderem im Magazin »Weird Tales«), verschwand Morrows Name für viele Jahre aus der öffentlichen Wahrnehmung.
Seine Wiederentdeckung und späte Würdigung als einer der maßgeblichsten frühen Meister der »Weird Fiction« blieb vor allem den umfangreichen Studien von Sam Moskovitz und S.T. Joshi auf dem Gebiet der unheimlich-phantastischen Literatur vorbehalten. Es war vor allem Moskovitz, der so ziemlich alle heute über Morrow bekannten Informationen zusammentrug, inklusive einer Bibliographie seiner zunächst ausschließlich in Zeitungen und Zeitschriften publizierten Geschichten. Moskovitz, der seit den Vierziger Jahren als Science-Fiction-Autor und Herausgeber tätig war, veröffentlichte 1992 die Ergebnisse seiner Recherchen in einem ausführlichen Artikel unter dem Titel »W.C. Morrow: Forgotten Master of Horror« (enthalten in »Discovering Classic Horror Fiction I« von Darrell Schweitzer). Dieser Artikel, der alle wesentlichen über Leben und Werk von Morrow bekannten Fakten enthält, trug entscheidend dazu bei, Morrow beinahe hundert Jahre nach seinen größten Erfolgen wieder ins Gespräch zu bringen.
Joshi wiederum, bekannt für seine umfassende Beschäftigung mit dem Thema (»Unutterable Horror: A History of Supernatural Fiction«) und seine monumentale Lovecraft-Biographie, stellte im Jahr 2000 gemeinsam mit Stephen Dziemianovicz einen Band mit einer Reihe weiterer Geschichten von William Chambers Morrow zusammen (»The Monster Maker & Other Stories«), die noch nie zuvor in Buchform publiziert worden waren, und hob ebenfalls dessen wichtige Stellung in der Entwicklung der »Weird Fiction« hervor. Diese Ausgabe war zwar auf eine niedrige Stückzahl limitiert, sorgte aber dennoch dafür, dass weitere Kreise von Lesern wieder auf Morrow aufmerksam wurden und Neuauflagen von »The Ape, the Idiot & other People« sowie anderen seiner wenigen zu Lebzeiten erschienenen Bücher herausgebracht wurden.
Was weiß man über Leben und Werk von W. C. Morrow, wie er sich in seinen Credits nannte, der im deutschsprachigen Raum mit Ausnahme von zwei vor Jahren in Anthologien veröffentlichten Stories (»His Unconquerable Enemy« und »The Monster Maker«) nach wie vor ein großer Unbekannter ist?
Morrow wurde am 7. Juli 1854 im tiefsten Süden der USA, in Selma, Alabama geboren. Sein Vater war ein baptistischer Geistlicher und betrieb mit seiner Frau, mit der er mehrere Kinder hatte, eine Farm mit einigen Sklaven. Der amerikanische Bürgerkrieg hatte zur Folge, dass die Sklavenhaltung offiziell verboten wurde und die Familie die Farm verlor. Morrow behandelte das Thema der Sklaverei und ihrer blutigen Auswüchse später kritisch in einigen seiner ersten Geschichten. Über seine Jugendjahre ist nicht viel bekannt, außer dass seine Eltern im Jahr 1870 ein Hotel betrieben und die Familie, zu der zu dieser Zeit auch noch eine ältere und eine jüngere Schwester gehörten, in der Stadt Evergreen in der Nähe von Mobile lebten. Fünf Jahre später wird Morrow mit 21 Jahren als Besitzer des Gulf City Hotels in Mobile angeführt, sein Vater als Manager. In der Zwischenzeit hatte der junge Morrow offenbar das Howard College in Birmingham und irgendwann zwischen 1869 und 1879 auch die Universität von Alabama in Tuscaloosa besucht.
Morrows Vater starb 1879, wahrscheinlich hatte sich sein Sohn aber schon zuvor nach Kalifornien aufgemacht, um dort als Journalist zu arbeiten. Über das weitere Schicksal von Morrows Familie Familie finden sich keine Unterlagen. Sicher sein dürfte, dass Morrow bis dahin bereits eine Reihe von Kurzgeschichten geschrieben hatte, die er nun verschiedenen Zeitschriften und Zeitungen an der Westküste anbot. Angemerkt werden sollte, dass Kalifornien – und insbesondere San Francisco – zu jener Zeit als kultureller Mittelpunkt und publizistische Hochburg galt. Jede Menge angehender Journalisten und Schriftsteller versuchten dort ihr Glück – unter anderem Leute wie Jack London und Ambrose Bierce, die später zu Weltruhm kamen.
Eben dieser Ambrose Bierce war es, der das Talent von Morrow erkannte. Bierce war 1879 als Herausgeber der angesehenen Wochenzeitschrift »The Argonaut« tätig, die zwei Jahre zuvor in San Francisco gegründet worden war. Nachdem ein befreundeter Journalist Morrow Bierce, der als gnadenloser Kritiker galt, vorgestellt hatte, war dieser begeistert über das Material, das Morrow anzubieten hatte, und kaufte sofort einige Kurzgeschichten an. Insbesondere gefielen Bierce an Morrows Arbeiten die für die damalige Zeit ungewöhnliche »grafische« Charakterisierung der handelnden Personen, die authentische Atmosphäre und das Lokalkolorit, die sorgfältig auf überraschende Enden hin konstruierten Plots und das allgegenwärtige Gefühl des Grauens und des Merkwürdigen, das selbst in der Darstellung scheinbar alltäglicher Ereignisse zum Ausdruck kam.
Das ist umso bemerkenswerter, als Bierce zu diesem Zeitpunkt zwar bereits als hervorragender Kolumnist und Essayist bekannt war, selbst aber noch keine seiner später hochgelobten Stories geschrieben hatte, die sich genau derselben Stilistik bedienten, die typisch für Morrow war. Sam Moskovitz betont daher in seinem Artikel über Morrow, dass Bierce wohl maßgeblich von Morrow beeinflusst wurde und nicht umgekehrt, wie man fälschlich annehmen könnte.
Bierce blieb auch nach dieser ersten Begegnung ein Freund und Förderer von Morrow, unter anderem vermittelte er ihn einige Jahre später an den »San Francisco Examiner« des legendären Zeitungsmagnaten (und wahrscheinlich reichsten Mannes Kaliforniens) William Randolph Hearst, in dem einige von Morrows bekanntesten Geschichten erschienen. Bezeichnend für Bierces Wertschätzung von Morrows effektvoller Art zu schreiben, ist auch ein Zitat aus einem seiner Kolumnenbeiträge, in dem ein nervöser Leser erklärt: »Ich habe eine von Will Morrows Geschichten in meiner Tasche, aber ich traue mich nicht dorthin zu gehen, wo es hell genug ist um sie zu lesen.«
In den ersten Stories von Morrow, die in »The Argonaut« erschienen, werden mit eindeutigen Horror-Stilmitteln in der Form der Darstellung häufig Episoden geschildert, deren Handlungsort in den Südstaaten angesiedelt ist und die einen thematischen Bezug zur Sklaverei und zur Rassenproblematik aufweisen. Hervorzuheben sind besonders »Awful Shadows«, in der ein schwarzer Vergewaltiger und Kindesmörder auf besonders grausame Weise gelyncht werden soll, sowie »The Three Hundred«, eine Erzählung über Kindersoldaten, deren inhaltliche Grundzüge sich noch in den 1950er-Jahren in einer TV-Serienfolge wiederfinden.
1880 gründete einer der beiden Eigentümer des »Argonaut«, Fred Somers, ein neues Monatsmagazin, das besonders hohe qualitative Ansprüche erfüllen sollte: »The Californian«. Für die erste Ausgabe verpflichtete er die führenden Autoren des »Argonaut«, darunter Bierce, Emma Frances Dawson und Robert Duncan Milne, der für seine abenteuerlichen Science-Fiction-Geschichten bekannt war und heute als erster Berufsschriftsteller dieses Genres gehandelt wird. Auch Morrow zählte zu diesem Kreis der Auserwählten und lieferte für den »Californian« die Erzählung »The Man from Georgia« ab, die unter dem Titel »The Hero of the Plague« 1897 als früheste seiner Stories in die Sammlung »The Ape, the Idiot & other People« aufgenommen wurde.
Morrow schrieb in den darauffolgenden beiden Jahren, in denen «The Californian« Bestand hatte, noch einige weitere Beiträge für dieses Magazin, darunter eine Kriminalgeschichte in Romanlänge mit dem Titel »Strange Confessions«, die als Serie darin abgedruckt wurde und die in San José spielt, wo Morrow parallel zu seiner literarischen Tätigkeit als Journalist arbeitete.
1881 heiratete Morrow seine Frau Lydia, geborene Houghton, die aus Iowa stammte und sich ebenfalls für Literatur interessierte. Lydia arbeitete als Telefonistin und stand ihrem Mann daneben beratend als seine wichtigste Kritikerin zur Seite. Die beiden lebten zunächst in Fresno im Sacramento Valley und hatten ein Kind, das allerdings tot geboren wurde oder kurz nach der Geburt starb.
Durch die Popularität, die Morrow mit seinen Beiträgen in »The Argonaut« und »The Californian« gewonnen hatte, ergab sich 1882 für ihn die Chance, seinen ersten Roman im Buchformat zu veröffentlichen – »Blood Money«, eine Geschichte vor dem realen Hintergrund einer Auseinandersetzung von Siedlern mit der Eisenbahngesellschaft Southern Pacific Railroads, die mit dem Tod von sieben Menschen endete und später als Muschelschlammtragödie in die US-Annalen einging. Morrow attackierte in diesem Roman, der auch mit blutigen Details nicht geizt (unter anderem die Selbstamputation eines Beines mithilfe eines Taschenmessers), die unlauteren Methoden und das Vorgehen der Eisenbahngesellschaft heftig. Diese war allerdings zu dem Zeitpunkt, als der Roman erschien, auch einer der größten Werbekunden der Zeitungen und Zeitschriften des Landes, was zur Folge hatte, dass der Roman nicht rezensiert wurde und zu einem veritablen Misserfolg geriet. Ironischerweise nahm Morrow Jahre später eine Stelle in der PR-Abteilung dieses Unternehmens an, was ihm als Opportunismus vorgehalten wurde. Die Einstellung des »Californian« und der Fehlschlag mit »Blood Money« entmutigten Morrow derart, dass er in den nächsten fünf Jahren keine literarischen Beiträge mehr veröffentlichte, sondern vorerst nur noch als Reporter, und später – nachdem er mit seiner Frau nach San José umgezogen war – als Gerichtsbeamter beruflich tätig war. Morrow kehrte erst 1887 auf die literarische Bühne zurück, das allerdings triumphal.
Inspiriert von den immens beliebten Science-Fiction-Stories seiner Freunde Robert Duncan Milne und E.H. Clough, die noch immer für »The Argonaut« schrieben, erschien in der Ausgabe von 15. Oktober Morrows Kurzgeschichte »The Surgeon‘s Experiment«, die danach unter dem neuen Titel »The Monster Maker« häufig nachgedruckt wurde. Die handwerklich wie immer überzeugende, inhaltlich heutzutage etwas krude anmutende Mischung aus klassischen Science-Fiction- und Horrorversatzstücken über einen »Mad Scientist« und sein bedauernswertes Opfer stellte Morrows Versuch dar, eine unheimliche Geschichte auf Basis der damals scheinbar grenzenlosen wissenschaftlichen Möglichkeiten zu schreiben, und er hatte damit Erfolg.
Anschließend erschienen in den nächsten 12 Jahren in rascher Folge, vor allem in »The Argonaut« und im »Examiner« von Randolph Hearst, die rund 50 Kurzgeschichten, die Morrows Hauptwerk ausmachen – darunter auch die Mehrzahl der Erzählungen, die 1897 in die erste und einzige Sammlung zu seinen Lebzeiten, »The Ape, the Idiot & other People«, aufgenommen wurden und die seinen herausragenden Ruf als Autor begründeten. Dazu zählen natürlich die 1891 erstmals veröffentlichte Titelgeschichte »The Ape and the Idiot«, die später in »The Resurrection of Little Wang Tai« umbenannt wurde, seine vielleicht berühmteste Story »His Unconquerable Enemy« oder die Meisterwerke »Treacherous Velasco« und »An Uncommon View on It«.
Wodurch unterscheiden sich Morrows Erzählungen von denen anderer Autoren, und was charakterisiert sie im Speziellen? Christopher Michael Davis bezeichnet »His Unconquerable Enemy« in einem fachkundigen Blogbeitrag als die zweifellos beste Geschichte, die Morrow je geschrieben hat. Sie gehört zu einer Kategorie von Horror, die frei von übernatürlichen Elementen ist und stattdessen auf »realistisches« Grauen setzt – die Konfrontation der menschlichen Natur mit einer Welt voll exzessiver Gewalt und Grausamkeit, in der physische und psychische Qual sowie ein furchtbarer Tod unvermeidbar erscheinen. Damit stehen diese und viele weitere Geschichten von Morrow in der Tradition der sogenannten »Contes Cruels«. Dieser Begriff der „grausamen Geschichten“ geht auf die gleichnamigen Sammlungen einschlägiger Erzählungen des Franzosen Auguste Villiers de L‘Isle Adam (1838 – 1889) und seines Bewunderers Octave Mirbeau (1848 – 1917) zurück. Ein interessanter Querverweis in diesem Zusammenhang, der die thematische Verbundenheit zwischen Morrows Arbeiten und den »Contes Cruels« belegt, ist der Hinweis auf das Buch »Bohemian Paris of Today«, ein Reisebericht über die kulturelle Underground-Szene des damaligen Paris mit Institutionen wie dem berüchtigten Cabaret L‘Enfer, den Morrow nach Notizen von Edouard Cucuel im Jahr 1899 veröffentlichte. Die Entwicklung der »grausamen Geschichten« hin zu einem Sub-Genre des Horrors lässt sich über Autoren wie Hanns Heinz Ewers, John Collier, Charles Birkin und Roald Dahl, das blutige Grand-Guignol-Theater in Frankreich, die Slasher-Filme der 70er- und 80er-Jahre, ikonische Kunstfiguren wie »Hannibal the Cannibal« und den Serienkiller-Hype bis zum expliziten Splatterpunk, Torture Porn und Extreme Horror der Gegenwart weiterverfolgen.
Wesentlich zu erwähnen ist weiters, dass die Unterscheidung von künstlerischen Werken in thematische Nischen oder „Genres“ zur Zeit Morrows noch alles andere als gang und gäbe war. Ähnlich wie Poe bediente sich Morrows diverser literarischer Kategorien und Ausrichtungen von der Satire über die spannende Abenteuergeschichte bis hin zu typischen Horrormotiven, die reale Gewalt, Folter und Krieg ebenso umfassen wie die Verirrungen des menschlichen Geistes und übernatürliche Elemente des Schreckens. Auch wenn Morrow kein klassischer Vertreter des »Supernatural Horrors« ist, finden sich doch in zahlreichen seiner hier versammelten Stories phantastische Aspekte. Es ist vermutlich nicht weit hergeholt, in dem bleichen Würfelspieler aus »Over an Absinth Bottle« eine metaphorische Inkarnation des Todes zu sehen, oder die Geschehnisse in »An Original Revenge«, »The Faithful Amulett« und »The Resurrection of Little Wang Tai« als Ergebnis des Wirkens von unerklärlichen Mächten oder Kräften zu interpretieren, von den pseudowissenschaftlichen Erklärungen in »The Monster Maker« und »The Permanent Stiletto« ganz zu schweigen.
Diese Diskussion deckt ohnehin nur einen kleinen Nebenaspekt ab, wenn man sich mit dem Werk von Morrow beschäftigt und dessen literarischen Stellenwert einzuordnen versucht. Entscheidend ist vielmehr, dass Morrows Geschichten kaum jemals banal daherkommen und er die Handlung meist mit Botschaften und Diskussionen zu großen moralischen Themen wie Schuld und Sühne, Ehre und Rache, Schicksal und Verhängnis verknüpft – eindrucksvoll demonstriert zum Beispiel in »A Game of Honor«, »An Uncommon View of It« oder »The Inmate of the Dungeon«.
Ein weiteres Merkmal von Morrows Geschichten ist sein anspruchsvoller Schreibstil, für den er schon seinerzeit gelobt wurde, mit teils komplexem Satzbau einerseits und lakonischen Schilderungen von außergewöhnlichen Begebenheiten ohne ein überflüssiges Wort andererseits. Die Handlung wirkt oft wie am Reißbrett konstruiert, mit bizarren Situationen, originellen Wendungen und überraschenden Schlusspointen. Dazu kommen häufig ein ironischer Blickwinkel und ein grimmiger Humor, der manchmal sogar ans Absurde grenzt. So wirken die Lachreiz erregenden Dialoge der Menschenfresser in »A Story told by the Sea«, das deutliche Bezüge zu Poe‘s »The Narrative of Arthur Gordon Pym of Nantucket« aufweist, die verqueren Gedankengänge des Protagonisten in »An Uncommon View of It«, die flehentlichen Bitten und das bitterböse Ende von »Treacherous Velasco« oder die schrägen Charaktere in »Two Singular Man« und »The Faithful Amulett« wie aus einem Film von Quentin Tarantino entlehnt und machen die Lektüre auch heute noch zu einem höchst unterhaltsamen Lesevergnügen. Ein treffender Hinweis in diesem Zusammenhang ist, dass Morrow gelegentlich auch selbst Literaturkritiken für den »Examiner« verfasste, in denen er programmatisch gegen den »Veritismus« auftrat, eine Form des Schreibens, die auf ein Höchstmaß an Realismus abzielt. Er stellte dem sein Ideal von Geschichten »des Wunderbaren, des Schrecklichen, des Erhabenen und Inspirierenden, des Phantasievollen und Unmöglichen, des Fantastischen, des Launischen, des Fremden, des Skurrilen, des Unkonventionellen und des wahrhaft Poetischen« gegenüber.
Wenn es etwas gibt, das man heute an Morrow kritisieren kann, dann ist es genau die schon erwähnte, für die damalige Zeit neuartige „grafische“ Charakterisierung von Personen mit der inflationären Verwendung von Vergleichen und der Beschreibung gewisser Situationen mit Wörtern wie „seltsam“, „unheimlich“ oder „merkwürdig“.
Nach der Veröffentlichung von »The Ape, the Idiot & other People« schrieb Morrow nur noch wenige Erzählungen und Kurzgeschichten. Stattdessen gründete er eine Schule für angehende Schriftsteller und produzierte 1901 sogar eine Broschüre mit dem Titel »The Art of Writing for Publication«, was sein Freund Ambrose Bierce – bissig wie immer – so kommentierte: »Es ist schade, dass Morrow andere lehrt, schlecht zu schreiben, anstatt selbst gut zu schreiben. Aber ich glaube, wir müssen uns darüber nicht beschweren, und wenn doch, dann über das Schweinepublikum und nicht über Morrow. Er würde zweifellos Bücher schreiben, wenn er es sich leisten könnte, so wie ich es auch tun würde.« Und: »Wenn er seinen Schülern das Schreiben nur halb so gut beibringen kann, wie er selbst es tut, kann man ihn als erfolgreich bezeichnen.«
In Anbetracht der Tatsache, dass Bierce selbst für anerkannte Größen wie Oscar Wilde nur ein vernichtendes Urteil übrig hatte, kann diese Wertschätzung nicht hoch genug eingeordnet werden.
Dieser Kommentar legt auch nahe, dass sich Morrow in späteren Jahren seinen Broterwerb hauptsächlich mit anderen Tätigkeiten als seiner literarischen Arbeit verdiente. Er schrieb noch zwei romantische Abenteuerromane, »A Man; His Mark« (1900) und »Lentala of the South« (1908), die sowohl vom Sujet her als auch formal wenig mit seinen früheren Kurzgeschichten zu tun haben, außerdem zwei Reiseberichte, darunter den schon erwähnten »Bohemian Paris of Today«. Über sein weiteres Leben bis zu seinem Tod im Alter von 68 Jahren 1923 in Ojai, Kalifornien, ist so gut wie nichts bekannt.
Sam Moskovitz bedauert in seinem umfassenden Überblick über das Leben und die schriftstellerische Karriere von William Chambers Morrow die Kurzfristigkeit seines literarischen Ruhms und schätzt, dass es neben den in »The Ape, the Idiot & other People« enthaltenen Erzählungen mindestens dreißig weitere verdienen würden, dauerhaft erhalten zu bleiben und als im wahrsten Sinn des Wortes großartige amerikanische Kurzgeschichten gewürdigt zu werden – eine Meinung, der man sich nur anschließen kann, vor allem, wenn man auch einen Blick in die von S. T. Joshi zusammengestellte Sammlung »The Monster Maker« wirft, die weitere von Morrows Geschichten mit phantastischem oder übernatürlichem Einschlag enthält. Vielleicht liefern der nahende 100. Todestag von Morrow und die vorliegende deutschsprachige Erstausgabe von »The Ape, the Idiot & other People«, die ausdrücklich die Absicht verfolgt, Morrow auch hierzulande die ihm gebührende Anerkennung im Bereich der »Weird Fiction« zu verschaffen, einen Anlass für weitere Veröffentlichungen – womöglich sogar in einem weiteren Band der UNTOTEN KLASSIKER. William Chambers Morrow Werke haben es zweifellos verdient, als solche zu gelten.
Der Herausgeber
Wien, im Mai 2020
Eine Kolonne von Zirkuswagen kroch hintereinander aufgereiht unter der brütenden Hitze der Julisonne langsam eine staubige Straße im Santa Clara Valley entlang. Wolken aus Staub hüllten die knallbunten Wagen der Menagerie ein. Die Außentüren der Käfige waren geöffnet worden, um den hechelnden Tieren Luft zu verschaffen, aber mit der Luft kam der Staub, und der Staub machte Romulus besonders gereizt. Nie zuvor hatte er sich so sehr nach Freiheit gesehnt. So lange er zurückdenken konnte, war er in einem solchen Käfig gefangen gewesen; seine ganze Kindheit und Jugend lang. In seinem Gedächtnis gab es nicht die geringste Spur einer Erinnerung an Tage der Freiheit und an Zeiten, in denen er sich vielleicht durch das Geäst der Äquatorwälder geschwungen hatte. Für ihn bestand das Leben aus Trostlosigkeit und Verzweiflung, und der ganze Schmerz wurde noch durch die Staubwolken verschärft, die durch die Gittertür wirbelten.
Deshalb suchte Romulus nach Fluchtmöglichkeiten. Scharfsichtig entdeckte er eine Schwachstelle in der Verriegelung seines Gefängnisses, brach sie schnell und geschickt auf und sprang als freier Menschenaffe auf die Straße. Keiner der müden, schläfrigen Fahrer bemerkte seine Flucht. Gebührende Vorsicht veranlasste ihn dazu, unter einem Strauch am Wegesrand Sicherheit zu suchen, bis die Prozession vorbeigezogen war. Dann stand ihm die ganze Welt offen.
Seine Freiheit war unermesslich süß, für eine Weile aber auch verwirrend. Als er beinahe instinktiv nach oben griff, um die Trapezstange zu fassen, die in seinem Käfig gehangen hatte, fuhren seine Hände ins Leere – da war nur Luft, die keinen Widerstand bot. Das irritierte und erschreckte ihn. Die ganze Welt wirkte viel freundlicher und weitläufiger, seit die schwarzen Gitterstäbe seines Gefängnisses seine Sicht nicht mehr beeinträchtigten. Und dann gab es da zu seinem Erstaunen anstelle der schmuddeligen Abdeckung seines Käfigs die gewaltige Ausdehnung des blauen Himmels, dessen enorme Tiefe und Entfernung ihm Angst machte.
Ein herum huschendes Erdhörnchen, das nach seinem Bau suchte, weckte seine Aufmerksamkeit, und er beobachtete das kleine Tier mit beträchtlicher Neugierde. Als Romulus ihm zu seinem Bau nachlief, verletzte er sich an scharfen Weizenstoppeln. Dadurch wurde er vorsichtiger. Da das Erdhörnchen verschwunden war, sah er sich um und entdeckte zwei Eulen, die auf einer kleinen Erhebung in der Nähe saßen. Ihr würdevoller Blick, der auf ihn gerichtet war, erfüllte ihn mit Respekt, aber seine Neugier erlaubte es ihm nicht, auf einen genaueren Augenschein zu verzichten. Vorsichtig näherte er sich den Eulen, dann hielt er inne, hockte sich hin und schnitt groteske Gesichter. Keine Reaktion. Romulus kratzte sich am Kopf und dachte nach. Dann deutete er eine Finte an, als wollte er sich auf die Eulen stürzen, und diese flogen davon. Romulus starrte ihnen mit größter Verblüffung hinterher, denn noch nie zuvor hatte er etwas gesehen, das durch die Luft flog. Aber die Welt war so weit und die Freiheit so riesengroß, dass sicher alles was frei war, fliegen sollte. Deshalb sprang Romulus in die Luft und vollführte ebensolche Bewegungen mit seinen Armen wie die Eulen mit ihren Flügeln gemacht hatten; und die erste schmerzhafte Enttäuschung seiner Freiheit bestand darin, dass er sich danach mit ausgestreckten Gliedmaßen auf dem Feld liegend wiederfand.
Sein aufgeweckter Geist suchte nach anderen Aufgaben. In einiger Entfernung befand sich ein Haus, und vor der Eingangstür stand ein Mann. Romulus kannte den Menschen als das gemeinste und grausamste aller Lebewesen und als gewissenlosen Zuchtmeister schwächerer Geschöpfe, also mied er das Haus und wich über die Felder aus. Bald stieß er auf ein sehr großes Ding, das ihn beeindruckte. Es war eine Virginia-Eiche, zwischen deren Blättern Vögel sangen. Seine anhaltende Neugier war größer als seine Angst, und Romulus schlich sich näher und näher. Der Baum hatte etwas Freundliches an sich; der erfrischende Schatten, den er spendete, die kühlen Tiefen seines Blätterwerks, das leichte Schwanken der Äste im sanften Nordwind – all das verlockte Romulus noch näher heran zu kommen. Als er den knorrigen alten Stamm erreichte, hüpfte er mit einem Satz nach oben in die Baumkrone und war erfüllt von Entzücken. Die kleinen Vögel flogen davon. Romulus ließ sich auf einem Ast nieder, streckte sich in voller Länge darauf aus und genoss die Ruhe und den Trost des Augenblicks. Aber er war ein Affe und brauchte eine Beschäftigung, also kletterte er über die kleineren Äste weiter hinaus und rüttelte in der Manier seiner Vorfahren an ihnen.
Nachdem er diese Freuden ausgekostet hatte, sprang Romulus wieder auf den Boden herunter und begann erneut die Welt zu erkunden; aber die Welt war so weit, und seine Einsamkeit bedrückte ihn. Da entdeckte er einen Hund und folgte ihm. Der Hund, der das seltsame Wesen herankommen sah, versuchte ihn durch Bellen zu verscheuchen; aber Romulus hatte schon früher ähnliche Tiere gesehen und ähnliche Geräusche gehört und ließ sich davon keine Furcht einjagen. Kühn näherte er sich dem Hund mit langen Sprüngen auf allen vieren. Der Hund, verschreckt von der merkwürdig aussehenden Kreatur, lief kläffend weg und ließ Romulus wieder mit der Freiheit und der Welt allein.
Romulus streunte weiter über die Felder, überquerte ab und zu eine Straße und hielt sich von allen Lebewesen fern. Es dauerte nicht lange, da kam er zu einer aus hohen Pfosten bestehenden Umzäunung. Darin stand ein großes Haus inmitten von Eukalyptusbäumen. Romulus war durstig, und das Plätschern eines Brunnens zwischen den Bäumen klang verlockend. Er hätte vielleicht den Mut gefunden, sich hineinzuwagen, wenn er in diesem Moment nicht auf der anderen Seite des Zaunes ein menschliches Wesen entdeckt hätte, das sich keine drei Meter von ihm entfernt befand. Romulus sprang mit einem Schreckensschrei zurück, hielt dann inne und starrte in gebückter Haltung auf diesen Feind der gesamten Schöpfung, jederzeit bereit, um seines Lebens und seiner Freiheit willen zu flüchten.
Aber der Blick, mit dem dieser ihn betrachtete, war so freundlich und zugleich so merkwürdig und anders als alles, was er jemals zuvor gesehen hatte, dass seine Neugierde und Entdeckungslust seinen Instinkt zu fliehen im Zaum hielten. Romulus wusste weder, dass das große Haus in der Einfriedung eine Irrenanstalt war, noch dass der Bursche mit dem seltsamen, aber freundlichen Gesichtsausdruck einer der Insassen war. Er spürte nur, dass etwas Liebenswürdiges darin lag. Dieser Blick war nicht der harte und grausame des Menagerie-Wärters, und auch nicht der leere und neugierige der Zuschauer, die mit ihrem Eintrittsgeld und ihrem Besuch die schändliche und ausschließlich menschliche Angewohnheit unterstützten, wilde Tiere zu fangen und diese ihr ganzes Leben lang in der Folter der Gefangenschaft zu halten.
Romulus war so interessiert an dem, was er sah, dass er seine Furcht vergaß, seinen Kopf zur Seite legte und eine seltsame Grimasse schnitt; seine Bewegungen und seine Haltung waren so komisch, dass Moses, der Idiot, ihn zwischen den Zaunpfählen hindurch angrinste. Aber dieses Grinsen war nicht das einzige Zeichen der Freude, das Moses zeigte. Ein eigenartiges Schlackern seines Körpers von Kopf bis Fuß ging einem einfältigen schallenden Gelächter voraus, das die intensivste Form von Begeisterung ausdrückte, zu der er fähig war. Moses war noch niemals einem solch sonderbaren Geschöpf begegnet wie diesem kleinen braunen Mann, der über und über mit Haaren bedeckt war; er hatte sogar noch nie zuvor einen Affen gesehen, was allen Kindern für gewöhnlich Vergnügen bereitete, und er hatte noch weniger mit der menschlichen Art gemein als Romulus. Moses war neunzehn; aber obwohl er groß und kräftig war, seine Stimme nicht mehr kindlich klang und sein Gesicht von einem unansehnlichen kurzen Bart bedeckt war, hatte er ein unschuldiges schlichtes Gemüt. Seine Kleider waren viel zu klein, und ein dichter Haarschopf wuchs wild auf seinem Kopf, der ansonsten bloß war.
So sahen sich diese beiden seltsamen Wesen an, erfüllt von Zuneigung und Neugierde. Keiner beherrschte die Macht der Sprache, und daher konnte auch keiner den anderen anlügen. War es der Instinkt, der Romulus glauben ließ, dass es unter all den zweibeinigen Teufeln, die das Antlitz der Erde verunstalteten, einen so sanftmütigen Geist gab, der ihn lieben konnte? Und lag es am Instinkt, dass Romulus erkannte, so wenig er von der Welt wusste, dass er den klareren und helleren Verstand von ihnen beiden besaß? Und dass ihm bewusst wurde, während er die bisher unvorstellbare Süße der Freiheit verspürte, dass dieser Gefährte ein Gefangener war, wie er es selbst gewesen war, der sich danach sehnte seine Fesseln abzustreifen? Und wenn Romulus darüber nachgedacht hätte, war es ein Gefühl des Anstands oder das Verlangen nach Kameradschaft, das ihn dazu brachte, dieses Individuum zu retten, das noch schwächer und unglücklicher war als er selbst?
Er ging vorsichtig zum Zaun, steckte seine Hand hindurch und berührte Moses. Höchst erfreut nahm der Junge die Hand des Affen in seine, und die beiden verstanden sich sofort. Romulus veranlasste den Burschen, ihm zu folgen, indem er ein paar Schritte ging, dann zurückblickte und seine Hand wiederholt durch den Zaun streckte, bis seine Absicht sich ihren Weg in den Geist des Idioten bahnte. Der Zaun war zu hoch, um darüber zu klettern, aber nun, da der Wunsch nach Freiheit ihn übermannt hatte, trat Moses die Zaunpfähle mit seinen riesigen Füßen ein und verließ sein Gefängnis.
Jetzt waren beide auf freiem Fuß. Der Himmel hob sich und der Horizont weitete sich. In einem Bach löschten sie ihren Durst, und in einem Obstgarten fanden sie reife Aprikosen; aber was kann den Hunger eines Affen oder eines Idioten stillen? Die Welt war groß und schön und voller Wonne, und das vorzügliche Gefühl grenzenloser Freiheit floss wie schwer alter Wein durch ihre Adern. Das alles bereitete Romulus und seinem Schützling unendliches Vergnügen, als sie über die Felder liefen.
Ich werde nichts Genaues von all dem erzählen, was die beiden an diesem wilden, verrückten, glücklichen Nachmittag im trunkenen Taumel der Freiheit taten. Ich könnte beiläufig erwähnen, dass sie irgendwo den Käfig eines Kanarienvogels öffneten, der außerhalb der Sichtweite eines Hauses an einem Kirschbaum schwang, dass sie vor einem anderen Haus die Gurte lösten, mit denen ein Baby in seinen Kinderwagen gefesselt war, und dass sie vielleicht aus Angst vor Verhaftung mit ihrem Treiben aufhörten; aber all diese Dinge haben nichts mit dem Höhepunkt ihrer Abenteuer zu tun, der nun herannahte.
Als die Sonne im Westen in gelbem Glanz untergegangen war und die Farbe der großen Kuppel des Observatoriums am Mount Hamilton von Silber zu Kupfer wechselte, kamen die beiden erschöpften und schon wieder hungrigen Herumtreiber zu einem eigenartigen Ort. Es war eine große Eiche, die einen langen, kegelförmigen Schatten nach Osten warf, sowie die kühle Tiefe ihrer Blätter, welche sie zuerst anlockte. Um den Baum herum befanden sich Hügel mit darauf aufgestellten Holzbrettern, deren Bedeutung sie gekannt hätten, wenn sie klüger gewesen wären. Aber wie konnten ein Affe oder ein Idiot von einer Freiheit wissen, die so süß und so still und so uneingeschränkt und vollständig ist wie der Tod? Und woher sollten sie wissen, dass die Gewinner eines solch wertvollen Preises betrauert, mit Tränen beweint und in der stolzen Pracht des Leids begraben wurden? Wie konnten sie nichts von all dem wissend ahnen, dass sich in einiger Entfernung ein Friedhof befand, verziert mit Hecken, Brunnen, Statuen, seltenen Pflanzen und kostbaren Denkmälern, der demjenigen so gänzlich unähnlich war, auf den sie sich verirrt hatten? Ach, meine Freunde, wie kann man der Trauer ohne Geld einen angemessenen Ausdruck verleihen? Sicher ist, dass Trauer, die durch nichts bezeugt wird, die nutzloseste aller Gefühlsregungen ist.
Im Schatten dieser Eiche gab es jedenfalls keinen Prunk und Pomp, denn der kaputte Zaun, der diesen Ort vom Einfluss der christlichen Zivilisation abgrenzte, enthielt nur Gräber mit Gebeinen, die nicht in Frieden in einem Boden ruhen konnten, auf den das Kreuz seinen Schatten warf. Romulus und Moses wussten nichts von diesen Dingen; sie wussten nichts von Gesetzen, die eine Exhumierung von Toten innerhalb von zwei Jahren verboten; nichts von einem fremden Volk aus dem fernen Asien, das den christlichen Boden geringschätzte, auf dem es lebte, und die Zivilisation verachtete, aus der es Geld herauswrang. Ein Volk, das seine Toten getreu nach Gesetzen begrub, denen gegenüber Widerstand zu leisten es ihm an Kraft fehlte, und das die Knochen zwei Jahre später wieder ausgrub, um sie zurück in die alte Heimat zu schicken und unter der Obhut seines eigenen Gottes zur ewigen Ruhe zu betten.
Sollten Romulus oder Moses über diese Leute urteilen? Sie hatten Besseres zu tun.
Sie waren kaum damit fertig geworden, einen merkwürdigen Ziegelofen, in dem Gebetszettel verbrannt worden waren, und einen niedrigen Altar, der mit dem Wachs von verbrauchten Kerzen bedeckt war, zu untersuchen, als sie eine sich entlang des zerbrochenen Zauns nähernde Staubwolke dazu gemahnte, Vorsicht walten zu lassen. Romulus flüchtete am schnellsten, denn ein Zirkuszug erzeugte solche Staubwolken auf der Straße, und er sprang mit einem Satz flink und geschwind in das Astwerk der Eiche hoch.
Der schwere Moses kletterte mühsam hinterher und stieß aufgrund der überlegenen Geschicklichkeit seines Beschützers ein anerkennendes Gelächter aus. Es brachte Moses neuerlich zum Lachen, als er sah, wie sich der kleine haarige Mann auf einem Ast ausstreckte und ob dieses luxuriösen Komforts wohlig stöhnte. Beinahe wäre er hinunter gestürzt, als er versuchte, es dem gewandten Romulus nachzumachen. Doch sie verhielten sich still und ruhig, als sich die Staubwolke an einem Tor auflöste und eine kleine Ansammlung von Kutschen und Wagen in die Umzäunung entließ.
Man hatte ein neues Grab ausgehoben – ein flaches Grab, denn man darf nicht zu tief im christlichen Boden der weißen Barbaren liegen –, aber es war ein sehr kleines Grab, dem sich der Trauerzug nun näherte. Sogar Romulus hätte es ausgefüllt, und was Moses betraf, war es kaum größer als seine Füße.
Weil die kleine Wang Tai tot war, sollten ihre zerbrechlichen Knochen in diesem kleinen Grab vierundzwanzig Monate lang drei Fuß tief unter der Erde nach christlichem Recht ruhen. Die Neugierde gewann Oberhand über die Furcht, die Romulus und Moses verspürten, als aus der vordersten Kutsche der Klang krächzender Oboen, dünner Fiedeln, blecherner Trommeln und rauer Zimbeln ertönte, die der kleinen Wang Tai ein Klagelied spielten; weniger zum göttlichen Schutz ihrer winzigen Seele als zu ihrer Befreiung von der höllischen Qual des Lebens.
Inmitten der anderen ging eine zierliche Frau, deren Gestalt von Kummer und Gram gebeugt war, denn die kleine Wang Tai hatte eine Mutter, und jede Mutter besitzt ein Mutterherz. Sie war nur eine einfache Frau aus Asien in sonderbaren weiten Hosenröcken, die um ihre Schenkel schlotterten, und Schuhen mit dicken Sohlen. Ihr offenes schwarzes Haar war zu einem strengen Knoten gesteckt, ihre Augen waren ebenfalls von schwarzer Farbe und hatten einen sanften Blick. Ihr Gesicht trug einen leeren Ausdruck und war feucht von Tränen und gezeichnet von Trauer. Und darauf lag, wie ein himmlisches Strahlen, das süßeste, traurigste, tiefste und zärtlichste menschliche Leid – das einzige, das die Zeit niemals heilen kann.
So beerdigten sie die kleine Wang Tai, und Romulus und Moses beobachteten alles genau. Im Ofen wurden Gebetszettel verbrannt, am Altar wurden Kerzen angezündet; und zur Labung der Engel, die kommen sollten, um die Seele der kleinen Wang Tai in die weiten Tiefen des blauen Himmels zu tragen, wurden einige