Der Bestattungsvirtuose - Rupert Schöttle - E-Book

Der Bestattungsvirtuose E-Book

Rupert Schöttle

4,9

Beschreibung

Marius Volkhammer besitzt ein echtes Stradivari-Cello. Auf Bestattungen verdient er sich sein Geld, bis sein Instrument aus seiner Wohnung gestohlen wird. Die Ermittlungen führen die Inspektoren Kajetan Vogel und Alfons Walz nicht nur in die schönsten Gassen Wiens, sondern auch in die Welt der Instrumentenmafia. Hauptverdächtiger ist ein bekannter Instrumentenhändler, der Volkhammer einige Wochen zuvor ein äußerst lukratives Angebot für das Cello unterbreitet hatte. Als ein grausamer Mord geschieht, stoßen die beiden Inspektoren auf eine neue Fährte.

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Rupert Schöttle

Der Bestattungsvirtuose

Kriminalroman

Impressum

Personen und Handlung sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen

sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

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www.gmeiner-digital.de

Gmeiner Digital

Ein Imprint der Gmeiner-Verlag GmbH

© 2015 – Gmeiner-Verlag GmbH

Im Ehnried 5, 88605 Meßkirch

Telefon 0 75 75/20 95-0

[email protected]

Alle Rechte vorbehalten

E-Book: Mirjam Hecht

Umschlagbild: © yarn – istockphoto.com und © revart – istockphoto.com

Umschlaggestaltung: Alexander Somogyi

ISBN 978-3-7349-9360-2

Widmung

Für Karin und Mariam

1. Kapitel (Samstag)

Wie stets, widmete er den Samstagnachmittag ausschließlich seiner Geliebten.

Ohne Ausnahme.

Und dafür nahm er sich viel Zeit.

Obwohl er sich von der Gewohnheit leiten ließ und den Ablauf des intimen Beisammenseins niemals variierte, gehörte dieses Ereignis noch immer zu den stets wiederkehrenden Höhepunkten seines Lebens.

Er konnte sich einfach nichts Schöneres vorstellen.

In diesen Augenblicken war er ein vollkommen glücklicher Mensch.

Nachdem er sie sorgsam auf sein Bett gelegt hatte, entledigte er sich der Brille, verhüllte seine zu Schweiß neigenden Hände mit weißen Stoffhandschuhen und schaltete schließlich eine kleine Halogenlampe an, die er eigens zu dem Zwecke angeschafft hatte, um auch die kleinste Nuance ihres wundervollen Körpers mit den Augen abtasten zu können. Die Lampe in der Hand und mit dem Gesicht fast ihren Leib berührend wurde jedes Winkelchen auf das Genaueste ausgeleuchtet. Zentimeter für Zentimeter ließ er das helle Licht über ihren braunen Körper gleiten, was in ihm jedes Mal aufs Neue ein tiefes Glücksgefühl ob ihrer Schönheit erzeugte. Behutsam drehte er sie in alle möglichen Positionen, damit seinen kurzsichtigen Augen auch nicht das kleinste Detail verborgen bliebe.

In solchen Momenten schien die Zeit für ihn stillzustehen.

Erst nachdem er sie zur Gänze mit seinen Blicken untersucht hatte, berührte er ihren Körper mit seiner noch immer verhüllten Hand. Zärtlich strich er den schlanken Hals hinab. Dessen Ebenmaß bereitete ihm auch dieses Mal lustvolles Entzücken, gerade so, als ob er dessen zarte Oberfläche noch nie zuvor befühlt hätte. Dabei kannte er doch jedes noch so kleine Winkelchen ihres makellosen Körpers schon seit mehr als 20 Jahren. Selbstvergessen fuhr er mit der Zunge an der Oberlippe entlang, während er jeden Quadratzentimeter mit den Fingerspitzen betastete.

Andächtig nahm er dann ein weiches Tuch zur Hand, welches er zuvor mit einer Lotion getränkt hatte, die intensiv nach den ätherischen Ölen von Limonen duftete. Bedächtig massierte er damit so lange ihren Nacken, bis die Flüssigkeit völlig in die Oberfläche eingezogen war, nicht einmal ein Hauch von Feuchtigkeit durfte mehr zu ahnen sein. Heute verweilte er besonders lange in dieser Region ihres grandiosen Leibes und spürte noch der geringsten Unebenheit nach, gerade so, als ob er das Vergnügen, sich auch mit ihren anderen nicht minder reizvollen Körperteilen zu beschäftigen, besonders lange hinauszögern wollte. Erst als ihr Nacken sich so glatt anfühlte, als sei er gerade erschaffen worden, was er mit der Spitze seines Zeige- und Mittelfingers sorgfältig überprüfte, ließ er endlich von ihm ab. Mit einem zufriedenen Grunzen nahm er erneut das Fläschchen mit der pflegenden Lotion zur Hand, um das schon etwas fleckige Tuch an anderer Stelle zu befeuchten.

Der Raum füllte sich langsam mit dem köstlichen Duft von frischen Limonen. Auf seinem bäuerlichen Gesicht zeigte sich ein Ausdruck von gesammelter Zufriedenheit, während er leise die wundervolle Melodie aus dem langsamen Satz des Cellokonzerts von Édouard Lalo summte.

Nun wandte er sich den Schultern zu, deren Rundungen zugegebenermaßen nicht ganz die Perfektion ihrer übrigen Gestalt hatten. Allzu kritische Beobachter hatten ihm zuweilen sogar einreden wollen, dass der Verlauf dieses Körperteils den harmonischen Gesamteindruck ihrer Erscheinung störe, aber er schätzte gerade diesen kleinen Makel in besonderem Maße, weil in seinen Augen perfektes Ebenmaß echte Schönheit grundsätzlich ausschloss. Eine vollendete Wohlgestalt sei gar nicht erstrebenswert, da es gerade die kleinen Unvollkommenheiten seien, die einer wirklichen Schönheit jenen Charakter verliehen, der sie so anbetungswürdig mache. So zumindest argumentierte er immer, wenn es tatsächlich einmal jemand wagte, diesen Makel in seiner Gegenwart zu erwähnen.

Nachdem er die Schultern von allen Staubpartikeln befreit hatte, massierte er die cremige Flüssigkeit mit langsamen Kreisbewegungen in diese Region ihres Körpers ein. Zentimeter für Zentimeter arbeitete er sich vor, wobei er in regelmäßigen Abständen das Tuch wendete und es erneut mit der Lotion tränkte. Zum Abschluss nahm er wieder seine kleine Lampe zur Hand und untersuchte die soeben bearbeitete Fläche, die Augen so knapp über den tastenden Fingern, dass seine Barthaare leicht knisternd über die gerade gereinigte Oberfläche glitten. Als er beide Schultern mit kundigen Händen auf verbliebene Unreinheiten untersucht hatte (vor allem die linke Seite neigte ein wenig zur Sprödigkeit und bedurfte der besonderen Pflege), stand er auf, um sich zu strecken. Immerhin hatte er gerade eine gute halbe Stunde neben seiner Geliebten gekniet. Nachdem er ein wenig in der Wohnung umhergegangen war, hatten seine schmerzenden Glieder ihre Beweglichkeit zurückgewonnen. Mit einem wohligen Seufzen wandte er sich nun jenem Teil ihres braun schimmernden Körpers zu, der ihm der Liebste war: dem Rücken. Die Vollkommenheit seiner sanften Wölbung faszinierte ihn jedes Mal aufs Neue. Versonnen zeichnete er jede seiner Linien nach, während er sich an den warmen Farbtönen berauschte, die je nach Lichteinfall ihre Intensität wechselten. Vor allem der wunderbar harmonische Übergang vom Rücken zu den Hüften ließ ihn bei jeder Berührung innerlich aufjubeln. Es befriedigte ihn zutiefst, die glatte Oberfläche mit seinen Händen so lange zu liebkosen, bis sich sein von der Anstrengung schon leicht gerötetes Gesicht darin spiegelte. Genauso verfuhr er mit der Vorderseite ihres Körpers. Nachdem auch diese von jedem irritierenden Makel befreit worden war, wischte er sich mit einem großen Handtuch den Schweiß vom Gesicht, bevor er zu jenem Teil überging, der die größte Akribie erforderte und unter Experten ihre Besonderheit ausmachte. Die vollendete Rundung ihrer Schnecke, das gestanden ihm selbst die kritischsten Kenner zu, galt als der schlagende Beweis für ihre singuläre Klasse. Die Rundungen dieses kunstvoll in sich verschlungenen Körperteils waren von absolutem Ebenmaß. Jedes Detail wurde von ihm akkurat untersucht und schließlich ausgeleuchtet.

Endlich ließ er befriedigt von ihr ab.

Es war vollbracht.

In makelloser Schönheit erstrahlte sie nun vor seinen prüfenden Augen.

Nach jedem Samstagnachmittag, den er sich mit solcherart zärtlichen Momenten versüßt hatte, kam Marius Volkhammer letztendlich zur immer gleichen Frage: Warum in aller Welt ist das weiblichste aller Instrumente in den meisten Sprachen ein Neutrum? Warum nennt man sie eigentlich das Violoncello?

Marius Volkhammer hatte einst das Schicksal so vieler seiner Kommilitonen teilen müssen und nach seinem Studienabschluss im Konzertfach Violoncello an der Musikhochschule in Wien (die sich unterdessen hochtrabend Musikuniversität nennt) keine Anstellung in einem Orchester gefunden. In einem solchen Falle bieten sich freilich etliche Möglichkeiten, die allerdings nicht unbedingt etwas mit dem durch endloses Üben erarbeiteten Diplom zu tun haben. Nicht wenige seiner Kollegen, die immerhin die großen Konzerte der Weltliteratur zu spielen imstande gewesen waren, unterrichteten unterdessen an einer der zahlreichen Musikschulen Österreichs, wo sie wiederum den unzähligen Musikpädagogen, die ihr weniger ambitioniertes Studium eigentlich auf diese Tätigkeit angelegt hatten, die Arbeit streitig machten. Die sich keineswegs immer erfreulich gestaltete, da es noch immer viele Eltern gab, die meinten, dass die Handhabung eines Instruments, und sei es gar ein so unhandliches wie das Violoncello, zur Grundlage großbürgerlicher Bildung gehöre. Die weniger Glücklichen unter den examinierten Musikern wiederum brachten sich mit Privatstunden durchs bescheidene Leben oder suchten sich, wenn sie nicht gar das Metier wechselten, Nischen, in denen sich überleben ließ, was angesichts der billigen und hervorragend ausgebildeten Kräfte aus den östlichen Nachbarländern immer schwieriger wurde. Denn auch hier waren die Möglichkeiten begrenzt. Sie reichten vom wenig komfortablen Musizieren auf der Straße, der Teilnahme an Kur- oder Walzerkonzerten bis hin zum Handel mit Instrumenten auf bescheidenem Niveau. Mit solch wenig einträglichen Tätigkeiten, die einem Absolventen einer Universität eigentlich nicht angemessen waren, musste sich Marius Volkhammer glücklicherweise nie abgeben, hatte er doch frühzeitig einen Aufgabenbereich gefunden, der in diesem Ausmaß nur in der für ihre Nekrophilie berühmten »Welthauptstadt der Musik« möglich war.

Durch die zufällige Bekanntschaft mit einem pensionierten Mitglied des Volksopernchors, dem dank seiner Beziehungen zu den diversen Friedhofsverwaltungen die Organisation der musikalischen Begräbnismusiken oblag, kam der junge Volkhammer schon bald mit jenen verschworenen Zirkeln in Berührung, die sich auf diese etwas makabre Art des Musizierens spezialisiert hatten und alle einschlägigen Geschäfte unter sich aufteilten. Gerade als er sein Studium beendet hatte, wurde der angestammte Beerdigungscellist durch eine von seiner Trunksucht verursachte Lähmung befallen, deren lange Dauer damals noch nicht abzusehen war. Um keinen gefährlichen Konkurrenten heranzuziehen, war man auf den etwas naiv wirkenden Volkhammer verfallen, von dem man glaubte, dass er zu gegebener Zeit, wenn also der in einer Trinkerheilanstalt weilende Kollege wieder spielbereit sein würde, leichter abzuschieben wäre. Zudem hing man in diesen Kreisen noch dem weit verbreiteten Irrglauben an, dass ein Musiker, der an der Wiener Hochschule studiert hatte, sein Auskommen schon bald in einem Orchester oder an einer universitären Lehranstalt finden würde. Bis klar wurde, dass sich der absente Kollege dank seines Hangs zu Hochgeistigem sicherlich niemals wieder unfallfrei mit dem Saitenspiel würde beschäftigen können, war Volkhammer dank seines umgänglichen Wesens und vor allem auch aufgrund seines exquisiten Instruments arriviert und dachte nicht im Entferntesten daran, einem Orchester beizutreten (obgleich er es einige Male still und heimlich versucht hatte).

Besonders bei langsamen Evergreens kollektiver Trauer wie Händels »Largo« oder Gounods »Ave Maria« steigerte die sonore Fülle seines Instruments, das vom Cremoneser Meister Antonio Stradivari im Jahre 1702 gebaut worden war, die ohnehin gerührte Stimmung in eine tränenselige Verzückung, die selbst die hartleibigsten Erbschleicher nicht unberührt lassen konnte. Sogar die jeglicher emotionalen Äußerung abholden Totengräber, im morbiden Wien als »Pompfüneberer« bezeichnet, die die Zeit bis zur endgültigen Bestattung üblicherweise mit einer veritablen Kartenpartie, vorwiegend dem sogenannten »Bauernschnapser«, zu überbrücken gewohnt waren, hielten zuweilen in ihrem doch recht ordinären Spiel inne, um den süßen Klängen des einzigartigen Violoncells zu lauschen. Ohne die Verdienste des Herrn Volkhammer schmälern zu wollen – natürlich klingt auch das beste Instrument nur so gut, wie es der Spielende zulässt – ohne sein Stradivari wäre ihm sicherlich seine immerhin Respekt gebietende Karriere als »Bestattungsvirtuose«, als der er sich dank seines hintergründigen Humors auf seiner Visitkarte bezeichnete, wohl nicht beschieden gewesen.

Trotz seiner durchaus beachtlichen Einnahmen war an einen Kauf eines solchen Instrumentes freilich nicht zu denken, immerhin beträgt der Marktwert eines derartigen Cellos, so überhaupt erhältlich, heutzutage an die vier Millionen Euro. Doch die Gnade der Geburt in seine Familie hatte ihn von den Sorgen um den Erwerb eines adäquaten Instrumentes enthoben. Sein am Cello dilettierender Großvater, der als Apotheker in einer niederösterreichischen Kleinstadt sein Dasein fristete, hatte dieses Instrument in unseliger Zeit, nämlich im Jahre 1938, von einer plötzlich emigrierenden und ihm freundschaftlich zugeneigten Familie wohlfeil erwerben können.

Trotz seiner bescheidenen Kenntnisse an diesem Instrument war sich der Großvater des in seinen Besitz gekommenen Schatzes wohlbewusst. Kurzerhand übersprang er in der Erbfolge eine Generation und vermachte das Cello seinem geliebten Enkel, wohl wissend, dass sein völlig unmusischer Sohn, der immerhin die Apotheke übernehmen durfte, dieses Kleinod womöglich versilbert hätte, um sich etwas so Gewöhnliches wie ein Mercedes-Coupé zu kaufen, was dieser ihm einmal in einem eher scherzhaften Streit angedroht hatte. Doch wenn es um sein Instrument ging, verstand der Großvater, ebenfalls Marius mit Namen, nicht den geringsten Spaß und suchte schon am nächsten Tag einen mit ihm befreundeten Notar auf, um sein Testament zu Gunsten seines damals gerade sechsjährigen Enkels zu ändern. Falls er, Marius senior, vor der Volljährigkeit seines Enkels sterben sollte, musste das Cello einem Treuhänder übergeben werden, der das Cremoneser Kleinod bis zu dessen 19. Geburtstag aufbewahren sollte. Dieses Vermächtnis zog freilich die fatale Konsequenz nach sich, dass damit die Berufswahl des damals noch völlig ahnungslosen Marius junior vorgegeben war.

Das etwas dickliche Kind wurde mit einem Schlag von seinen Spielzeugautos weg und an das Cello gezwungen, das damals naturgemäß noch keineswegs das Stradivari war, sondern ein Schulinstrument sächsischer Herkunft mit einer den kindlichen Patschhändchen angemessenen Mensur. Denn sein Vater, im kurzlebigen Überschwang auf den Namen Adolf getauft, war ein bösartiger Mensch. Wenn er schon auf sein Mercedes-Coupé verzichten musste, ein Traum, der ihm im Übrigen zeitlebens verwehrt bleiben sollte, warum sollte dann ausgerechnet sein so reich beschenkter Sohn eine unbeschwerte Kindheit verleben? Jeden Tag, von seinem achten Lebensjahr an, zwang er ihn, mindestens eine Stunde zu üben. Diese Maßnahme hätte, wenn sie nur sinnvoll durchgeführt worden wäre, durchaus ihre Früchte tragen können, doch leider geriet der Knabe in die Hände von Eugen Weichselberger, der an der örtlichen Musikschule unterrichtete. Ursprünglich war dieser als Tubist in der lokalen Berufs-Blaskapelle beschäftigt gewesen, die jedoch nach dem Krieg wegen des geschwundenen Bedarfs an allfälliger Marschmusik aufgelöst worden war. Aus diesem Umstand heraus musste sich der nunmehr arbeitslose Bläser nach einer anderen Verdienstmöglichkeit umsehen, wobei sein besonderes Augenmerk auf die örtliche Musikschule fiel, die eine städtische und damit krisensichere Anstellung versprach. Ihr Direktor, als Trompeter ohnehin ein Kollege aus der Blech-Sektion, stand dem Anliegen Weichselbergers durchaus wohlwollend gegenüber, zumal dieser auf dem Tanzboden zuweilen auch zur Bassgeige griff und sich dadurch als Virtuose auf gleich zwei Instrumenten empfahl. Denn, so das Kalkül des zur nachkriegszeitlichen Sparsamkeit gezwungenen Direktors, je mehr Instrumente ein Pädagoge zu spielen befähigt ist, desto weniger Lehrkräfte benötigt man. So lag es nahe, dass Weichselberger empfohlen wurde, auch diejenigen Kinder zu unterrichten, die beabsichtigten, das Cellospiel zu erlernen, obwohl er selbst nie ein solches Instrument in der Hand gehabt hatte. Zumal, so der etwas einfältige Musikschulleiter, der Kontrabass nichts anderes sei als dessen großer Bruder, also ein naher Anverwandter und im Gebrauch ähnlich, in etwa wie eine B-Trompete und eine Es-Trompete. Weichselberger widersprach nicht. Zu kostbar war in jenen Tagen ein Arbeitsplatz.

Diese etwas robuste Einstellung zum Instrumentalunterricht sollte dem kleinen Marius das spätere Leben erheblich erschweren, denn auch sein Vater kümmerte sich nicht um die Sinnhaftigkeit des Unterrichts. Er war der Meinung, dass sich wahres Talent immer durchsetzt, wobei es völlig unerheblich sei, von welcher Qualität der Lehrer ist. Adolf war nur an der einen Stunde interessiert, die sein Filius von seiner Freizeit opfern musste. Schließlich hatte er allen Grund zur Trauer, musste er doch wegen des Eigensinns seines Vaters anstelle eines flotten Mercedes-Coupés noch immer einen biederen Opel Rekord chauffieren, während der ortsansässige Fleischhauer schon längst auf sechs Zylindern daherkam. Und das war für das Selbstverständnis eines Vollakademikers ein schwer haltbarer Zustand. Schweinsohren hatte er ohnehin.

Wäre sein Großvater damals noch am Leben gewesen, hätte er diesem unmusischen Treiben sicherlich Einhalt geboten und Marius junior wäre vielleicht sogar bei den Wiener Philharmonikern gelandet, doch leider erlag er schon bald, nachdem er sein Testament geändert hatte, einem Herzinfarkt.

Das Schicksal meinte es nicht gut mit Marius, nicht nur, was die väterliche Zuneigung und das Cellospiel betraf. Seine Mutter, dem flotten Adolf schon seit ihrer gemeinsam verbrachten Zeit im örtlichen Gymnasium geradezu untertänig verbunden, war leider auch nur ein schwaches Licht in der Düsternis des pubertierenden Jungen. Helga Volkhammer, Tochter eines einfachen Bankangestellten und in bürgerlich-bescheidenen Umständen aufgewachsen, rieb sich geradezu an der Aufgabe auf, den Ansprüchen, die gemeinhin an eine »Frau Apotheker« gestellt wurden, zu genügen. Und diese Tätigkeit beanspruchte sie zur Gänze. Immerhin hatte sie neben der Führung des Haushaltes die verantwortungsvolle Aufgabe des Verkaufs in der Apotheke zu bewältigen, eine Angestellte rechnete sich nicht in dem kleinen Betrieb.

Aus diesem Grund galt ihre Fürsorge vor allem dem vergötterten Adolf. So blieb nicht viel für den dicken Marius übrig, der überdies seinem feschen Vater überhaupt nicht ähnlich sah, sondern ganz nach seinem etwas grobknochigen und stets übergewichtigen Großvater geriet, der aus den schon bekannten Gründen in der Familie nicht sehr angesehen war. Denn auch Helga Volkhammer wäre schon sehr gerne in einem adäquaten Gefährt durch die Hauptstraße gerauscht. Stattdessen musste sie tagein, tagaus das »Gekratze« ihres falsch angeleiteten Sohnes ertragen.

Unter diesen Umständen war es nicht weiter verwunderlich, dass Marius nach seiner Matura keine Einwände hatte, als seine Eltern verfügten, er müsse nach Wien gehen – das Studienfach stand ohnehin schon fest. Allerdings wäre dieser Plan fast noch durch widrige Umstände vereitelt worden, denn Marius musste sich wie jeder angehende Student an der Musikhochschule einer Aufnahmeprüfung unterziehen. Diese sollte er aber nur dank der engagierten Fürsprache seines künftigen Professors bestehen, der zwar keineswegs von den Fähigkeiten des jungen Mannes überzeugt war, aber aus eher weltanschaulichen Gründen für ihn plädierte.

Professor Heinz Mahlisch lag nämlich im andauernden Clinch mit einem seiner deutschen Kollegen, der großmäulig behauptete, dass ausschließlich seine technischen Anleitungen dazu geeignet seien, die manuellen Schwierigkeiten auf dem Cello in natürlicher Haltung zu bewältigen. Dieser Meinung war Mahlisch nun ganz und gar nicht, wusste er doch von etlichen Studenten, die aufgrund der von seinem Widerpart propagierten »organischen Spielweise« mit erheblichen Rückenproblemen zu kämpfen hatten. Mahlisch selbst kam aus einer ganz anderen Schule, hatte in Paris und Genf studiert, und war von seiner Art des Spielens ebenso überzeugt wie der Antipode von der seinigen.

Um dieser ständig wieder aufflackernden Diskussion ein für alle Mal ein Ende zu machen, wollte Mahlisch ein Exempel statuieren, je früher, desto besser. Just, als die Diskussionen anlässlich einer Diplomprüfung eines Studenten von Mahlisch wieder einmal einen Höhepunkt erreicht hatten, bei denen selbst vor persönlichen Übergriffen nicht haltgemacht wurde, kam unser blauäugiger Marius Volkhammer daher und spielte in der Absicht vor, dem ehrwürdigen Institut beizutreten. Dafür hatte er neben einer mittelschweren Etüde von Dotzauer die »Elégie« von Gabriel Fauré vorbereitet. Zwar klang das Stradivari göttlich, doch wies vor allem seine bogenführende Hand so gravierende Mängel auf, dass die versammelten Professoren diese aufgrund der langjährigen Misshaltung für irreparabel hielten. Üblicherweise hätte man ihn ohne Zögern abgewiesen, doch Mahlisch erklärte sich zur Überraschung aller Anwesenden dazu bereit, den armen Marius unter seine pädagogischen Fittiche zu nehmen. Freilich nicht ohne Hintersinn, wie man sich denken kann, schließlich war ihm doch damit die Möglichkeit gegeben, die Überlegenheit seiner Technik an einem eigentlich untauglichen Objekt zu demonstrieren. Voll des Übermuts wettete er mit seinem Kollegen gar um eine Kiste Champagner, diesen aussichtslos scheinenden Fall innerhalb von sechs Jahren so weit zu bringen, dass dieser das Diplom als Konzertcellist bestehen würde. Siegessicher schlug der Deutsche ein, und so wurde unser Marius am Ende wegen einer simplen Wette zum Cellisten ausgebildet.

Zu seinem Glück, wie wir heute wissen, und auch Mahlisch war erstaunt, mit welcher Verbissenheit sein Student die grundlegende und langwierige Umstellung seiner Technik auf die seines neuen Lehrers verfolgte. Schon nach einem Jahr hatte er erstaunliche Fortschritte gemacht und schloss zu den Schwächsten seiner Kommilitonen auf, nicht zuletzt deshalb, weil sein Professor, zu dem er unterdessen ein Vertrauensverhältnis entwickelt hatte, ihm besonders viel Zeit widmete. Wir wissen, warum. Nicht so Marius, der es genoss, dass sich nach seinem schon längst dahingegangenen Großvater endlich wieder einmal jemand eingehend mit ihm beschäftigte. So nimmt es nicht wunder, dass sich parallel zu seinen cellistischen Fortschritten auch seine Persönlichkeit entwickelte. Zwar übte er wie ein Besessener, sechs Stunden am Tag glaubte er seinem Lehrer schuldig zu sein. Doch am Abend genoss der dem beschaulichen Landleben Entronnene das studentische Treiben in der Großstadt, in das ihn seine Mitbewohner, er hatte in einem Studentenwohnheim in der Innenstadt eine Bleibe in einem Zweibettzimmer gefunden, einführten.

Nach sechs Jahren, die er überwiegend mit regelmäßigem Üben zugebracht hatte, das nur von wenigen, meist vergeblichen Liebesbemühungen und freudlosen Heimatbesuchen unterbrochen worden war, gewann Mahlisch schließlich seine Kiste Champagner. Die hatte er sich auch redlich verdient, und er sollte sich zeitlebens freudvoll des Anblicks erinnern, den sein deutscher Kollege bot, als Marius ein durchaus achtbares Diplomkonzert spielte, das gar mit einer Auszeichnung geadelt wurde.

Doch diese Zeit lag nun schon lange zurück. 20 Jahre waren es im Sommer gewesen und das Dokument der so hart erarbeiteten Prüfung hing nunmehr fein gerahmt und leicht angestaubt im kleinsten Zimmer seiner durchaus geräumigen Altbauwohnung, in Augenhöhe und damit als Lektüre für den Sitzenden gedacht. Doch die Einzigen, die es gelegentlich noch lasen, waren die wenigen Gäste, die vereinzelt zu ihm fanden, lebte doch Marius, seinem etwas schrulligen Charakter gemäß, ausgesprochen zurückgezogen. Er selbst beachtete die Urkunde schon lange nicht mehr, diente das Cellospiel doch bloß noch dem Broterwerb und nicht mehr der Stillung hitziger Leidenschaften.

So nimmt es nicht wunder, dass Volkhammers hauptsächliche Auseinandersetzung mit seinem Stradivari-Cello unterdessen darin bestand, dass er es jeden Samstag mit der nämlichen Genauigkeit polierte, mit der er es einst alltäglich beackert hatte. Zum Üben hatte ihm in den letzten Jahren ohnehin jegliche Lust gefehlt, weil die musikalischen Wünsche der Hinterbliebenen immer dieselben waren und er daher auch keine Motivation mehr dafür entwickeln konnte, neue Stücke einzustudieren.

Da sich der Tagesablauf des Junggesellen also nicht allzu arbeitsintensiv gestaltete, hatte Volkhammer während der letzten Jahre eine Leidenschaft für das Bridge-Spiel entwickelt. Dieser gedachte er heute nachzugehen und suchte infolgedessen den Club am Rudolfsplatz auf, in dem täglich Turniere stattfanden. Dies tat er umso lieber, als er an diesem Abend zum ersten Male persönlich auf seinen Lieblingspartner treffen sollte, mit dem er seit etwa einem halben Jahr im Internet recht erfolgreich zusammenspielte.

2. Kapitel (Samstag)

Kajetan Vogel war bester Laune.

Nicht eigentlich aus beruflichen Gründen, obwohl er dazu allen Grund gehabt hätte, hatte er doch gerade wesentlich dazu beigetragen, den Chef eines österreichweit agierenden Rings von serbischen Drogenkurieren dingfest zu machen, wodurch immerhin nach fast einem halben Jahr mühsamer Ermittlungen ein lästiger Fall endlich zum Abschluss gebracht worden war.

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