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Prag am Ende des 16. Jahrhunderts: Matthias Gaiswinkler, ein junger Salinenbeamter aus Aussee, ist an den Hof Rudolfs II. gereist. Eines frühen Morgens findet er auf der Straße die Leiche eines unbekannten Mannes. Schnell steht fest: Er wurde Opfer eines Verbrechens. Vom Obersthofmeister des Kaisers mit der Lösung des Falls beauftragt, führt ihn die Spur durch die verwinkelten Gassen der Stadt bis zu den Alchemisten. Doch alle Verdächtigen hüllen sich in Schweigen. Dann taucht ein Hinweis zu einer längst vergangenen Reise nach Konstantinopel auf: Alles hat mit dem Bezoar zu tun, einem geheimnisumwitterten, kostbaren Stein, der magische Kräfte haben soll. Bald darauf gerät auch Gaiswinkler in Gefahr und ein weiterer Mord geschieht. In einer mitreißenden Geschichte erwecken Michaela und Karl Vocelka das historische Prag zum Leben. Die anerkannten Historiker schildern spannend, informativ und detailgetreu die Vorgänge rund um den kaiserlichen Hof und erzählen von den Menschen in einer Zeit gesellschaftlicher und politischer Umbrüche. Klappentext Der Kaiser nickte zustimmend. Dann wandte er sich an seine beiden Gesprächspartner, um die Unterhaltung zu beenden: "Alles, was wir an diesem Morgen hier besprochen haben, bleibt ein Geheimnis, daran erinnere ich nochmals. Es wäre wundervoll, den Bezoar samt den Schriften zu finden, doch der Weg dazu führt nicht am Mörder vorbei. Wie es scheint, ist dieser auch der Dieb des Steins. Gaiswinkler, bleib Er an der Sache dran. Wenn Unterstützung gebraucht wird, kann der Obersthofmeister über alles verfügen." Damit wurden die zwei entlassen. Sich in einer tiefen Verbeugung nach hinten bewegend, um Seiner Majestät nicht das Hinterteil zeigen zu müssen, verließen sie den Raum.
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Seitenzahl: 371
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Prag am Ende des 16. Jahrhunderts: Matthias Gaiswinkler, ein junger Salinenbeamter aus Aussee, ist an den Hof Rudolfs II. gereist. Eines frühen Morgens findet er auf der Straße die Leiche eines unbekannten Mannes. Schnell steht fest: Er wurde Opfer eines Verbrechens. Vom Obersthofmeister des Kaisers mit der Lösung des Falls beauftragt, führt ihn die Spur durch die verwinkelten Gassen der Stadt bis zu den Alchemisten. Doch alle Verdächtigen hüllen sich in Schweigen. Dann taucht ein Hinweis zu einer längst vergangenen Reise nach Konstantinopel auf: Alles hat mit dem Bezoar zu tun, einem geheimnisumwitterten, kostbaren Stein, der magische Kräfte haben soll. Bald darauf gerät auch Gaiswinkler in Gefahr und ein weiterer Mord geschieht.
In einer mitreißenden Geschichte erwecken die Autoren das historische Prag zum Leben. Die anerkannten Historiker schildern spannend, informativ und detailgetreu die Vorgänge rund um den kaiserlichen Hof und erzählen von den Menschen in einer Zeit gesellschaftlicher und politischer Umbrüche.
Der Kaiser nickte zustimmend. Dann wandte er sich an seine beiden Gesprächspartner, um die Unterhaltung zu beenden: „Alles, was wir an diesem Morgen hier besprochen haben, bleibt ein Geheimnis, daran erinnere ich nochmals. Es wäre wundervoll, den Bezoar samt den Schriften zu ¬ finden, doch der Weg dazu führt nicht am Mörder vorbei. Wie es scheint, ist dieser auch der Dieb des Steins. Gaiswinkler, bleib Er an der Sache dran. Wenn Unterstützung gebraucht wird, kann der Obersthofmeister über alles verfügen.“
Damit wurden die zwei entlassen. Sich in einer tiefen Verbeugung nach hinten bewegend, um Seiner Majestät nicht das Hinterteil zeigen zu müssen, verließen sie den Raum.
PROLOG
KAPITEL 1
KAPITEL 2
KAPITEL 3
KAPITEL 4
KAPITEL 5
KAPITEL 6
KAPITEL 7
KAPITEL 8
KAPITEL 9
KAPITEL 10
KAPITEL 11
KAPITEL 12
KAPITEL 13
KAPITEL 14
KAPITEL 15
KAPITEL 16
KAPITEL 17
KAPITEL 18
KAPITEL 19
KAPITEL 20
KAPITEL 21
KAPITEL 22
KAPITEL 23
KAPITEL 24
KAPITEL 25
KAPITEL 26
KAPITEL 27
KAPITEL 28
KAPITEL 29
KAPITEL 30
KAPITEL 31
KAPITEL 32
KAPITEL 33
KAPITEL 34
KAPITEL 35
KAPITEL 36
KAPITEL 37
KAPITEL 38
KAPITEL 39
KAPITEL 40
KAPITEL 41
KAPITEL 42
NACHWORT: Eine Reise zwischen historischer Realität und schöpferischem Schreiben
GLOSSAR
DANKSAGUNG
Konstantinopel, im September 1580
Am Abend brach ein Gewitter auf den langsam zur Ruhe gekommenen Stadtteil, der gegenüber der Altstadt lag, nieder. Schon zu Mittag waren die Vögel kreischend über den Bäumen gekreist, offenbar ahnend, dass ein Unwetter nahte. Feucht und schwer hatte sich die Hitze über das pulsierende Treiben in den Straßen gelegt, und vom Bosporus her war keine Brise zu spüren gewesen. Nun befand sich die Luft in stürmischer Bewegung. Die grell herabschießenden Blitze und das Peitschen des Regens machten den Aufenthalt im Freien immer unerträglicher. Das Viertel zeigte sich fast menschenleer. Der Fremde, den er seit Stunden verfolgte, blieb nur wenige Häuser vor ihm stehen und suchte Schutz unter dem einzigen Dach, das dort hervorragte und dem strömenden Wasser Halt bot.
Es war dieser Augenblick, der ihm seine Entscheidung erleichterte. Sein ursprünglicher Plan wäre nicht durchführbar gewesen, denn die Zeiten, in denen sich der Mann zu Hause aufhielt, schienen für sein Vorhaben zu unsicher. Allerdings missfiel ihm, dass er ihm den Dolch in den Rücken stoßen musste, bisher hatte er stets mit der Waffe in der Hand von Angesicht zu Angesicht gekämpft. Doch seine Gier war größer, und das Töten ging mühelos. Nach zwei, drei Atemzügen und einem längeren, lauten Röcheln, das niemand außer ihm hörte, erschlaffte der Körper seines Opfers.
Er nahm alles an sich, was der Tote bei sich trug, die Schlüssel und auch den Sack mit den Münzen, damit man an einen Straßenräuber dachte, wenn man die Leiche fand. Anschließend zog er mit einem kräftigen Ruck den Dolch aus der Wunde und hielt ihn so lange in den Regen, bis das Blut gänzlich von der Klinge abgewaschen war, bevor er ihn wieder in seinen Mantel steckte. Dann machte er sich auf. Obwohl er den Weg fast atemlos rannte, war er bald völlig durchnässt. Auf dem lehmigen Boden hatten sich schmutzige Pfützen gebildet, und da er ihnen in seiner Hast nicht auswich, drang das trübe Wasser mit jedem Schritt stärker in seine Schuhe ein. Es kümmerte ihn nicht. Als endlich das Haus des Fremden vor ihm lag, schimmerte, wie erwartet, hinter den Fenstern kein Licht, die Mauern hoben sich in tiefen Schatten aus der Dunkelheit. Dennoch blieb er wachsam und schob sich die feuchte Kapuze ein Stück weiter ins Gesicht, während er sich auf den Eingang zubewegte. Die Haustür öffnete sich ohne Mühe und fiel hinter ihm geräuschlos wieder ins Schloss.
Im Inneren des Gebäudes, das aus mehreren kleinen Räumen zu bestehen schien, war es düster, sodass er zunächst kaum etwas sah, ehe er mit den letzten Resten der Glut des Ofens in der Küche eine Kerze entzündete. Danach zog er sich die nassen Schuhe von den Füßen und schlich mit dem flackernden Schein leise und geschmeidig von einer Kammer zur anderen. In jeder standen Truhen und Schatullen, die er alle sorgfältig durchsuchte, Stück um Stück. Sie enthielten viel Ungewöhnliches, auch Edelsteine und kostbares Geschmeide, aber all das interessierte ihn nicht. Und so wurde er immer ungeduldiger. Nach der letzten Kammer gelangte er dann zu der Tür, hinter der er den Trakt mit dem Schlafgemach vermutete. Voller Hoffnung, dass er dort das, was er so sehr begehrte, noch finden würde, ging er auf sie zu. Doch als er sie öffnen wollte, erschrak er. Auf dem Flur zeichnete sich unter einem Türspalt ein schwaches Licht ab, und seine Ohren vernahmen kehliges Lachen sowie zwei Stimmen, von denen er glaubte, obgleich sie gedämpft waren, eine zu erkennen. Ohne sich weiter umzublicken, lief er zum Eingang des Hauses zurück, wo er sich – mit den Schuhen in der Hand – eilig wieder in die ungestüme Landschaft von Pera davonmachte. Er war zornerfüllt, alles schien vergeblich gewesen zu sein.
Prag, im November 1594
„Welch eine Tortur!“ Christoph Praunfalk ließ sich schwer auf den Stuhl fallen und streckte die müden Beine von sich. Sofort kam einer der Diener gelaufen, um ihn von den klobigen Reisestiefeln zu befreien.
Praunfalk hasste das Reisen. Das beschwerliche Reiten und auch die Fahrten in den zugigen, rumpelnden Kutschen waren allzu sehr eine Qual. Manchmal ertappte er sich bei dem Gedanken, dass die Mönche mit ihrer Stabilitas loci vielleicht nicht so unrecht hatten: Das ganze Leben an einem Ort zu verbringen, ersparte einem solche Mühen. Als frommer Protestant schüttelte er diese Gedanken aber schnell von sich ab. Auch den Wunsch, wie die Hexen fliegen zu können, der ihm während der Reise zweimal durch den Kopf gegangen war, hatte er sofort unterdrückt und schnell ein Vaterunser gesprochen. Mit solchen Dingen sollte man nicht scherzen, war doch der Teufel allgegenwärtig. Er konnte stets danach trachten, einen zu verführen und in einen erbarmungslosen Pakt zu ziehen, aus dem es kein Entrinnen gab. Selbst wenn einen die Festigkeit des Glaubens und Vertrauens in die Gnade Gottes, die Praunfalk sehr wohl besaß, gut vor diesen Anfechtungen schützte.
Anfang November nach Prag an den Hof des Kaisers zu reisen, war wahrlich alles andere als ein Vergnügen gewesen. Knapp zwei Wochen hatten er und sein Begleiter Matthias Gaiswinkler für diesen Weg von Aussee aus benötigt. Bereits am steilen, schneebedeckten Pass Richtung Hallstatt, auf dem der junge Hengst, den er anstatt seiner kurz zuvor verstorbenen Lieblingsstute ritt, heftig bockte, wäre Praunfalk am liebsten umgekehrt. Lediglich mit gutem Zureden und der Hilfe seines Gefährten hatte er es schließlich doch geschafft, das widerwillige Ross zu bändigen. Danach waren sie bei stürmischem Wind nur schleppend vorangekommen, auf vertrautem Gelände entlang der Traun, über Gmunden und Wels bis Linz, wo sie die Donau überqueren wollten. Jene Strecke war bedeutend für den Salzhandel. Unweit ihres Pfades erblickten sie zahlreiche Boote und Flöße, die Salzkufen, kegelförmige hölzerne Fässer, auf dem Wasserweg bis Linz, der Landeshauptstadt von Österreich ob der Enns, transportierten. Sie waren mit gepresstem Salz aus dem Salzkammergut gefüllt. Das weiße Gold wurde anschließend in einem Salzstadel unterhalb des Linzer Schlosses gelagert, bis man es auf Wagen verladen konnte. Etliche Fuhrwerke nahmen damit den langen, mühsamen und nicht ungefährlichen Weg nach Böhmen und füllten die Straßen nach Norden. Für den österreichischen Herrscher war das Geschäft mit dem Salz ein konkurrenzloses, das ihm reichen Gewinn einbrachte. Praunfalk und Gaiswinkler kannten es als Beschäftigte der Salinenverwaltung nur allzu gut.
In Linz waren die beiden einige Tage bei seinen Verwandten geblieben, vor allem, um sich auszuruhen. Nicht ungern hatten sie hier Rast gemacht. Es herrschte reges Leben in den Gassen, der Handel blühte in der Stadt, zwar etwas weniger als in den letzten Jahrzehnten, aber doch. Man sah Kaufleute aus Salzburg, aus den Reichsstädten wie Augsburg oder Nürnberg und aus anderen Teilen des Heiligen Römischen Reiches. Eine bunte Vielfalt an Waren, darunter auch kostbare aus Venedig, wurde auf den Märkten, die zu den vornehmsten des Landes zählten, angeboten. Mit zwei neuen, warmen Fellen sowie besserem Schuhwerk ausgestattet und reichlich frischem Proviant versorgt, hatten sie sich danach wieder auf den Weg Richtung Norden begeben. Auf dem Goldenen Steig, der Handelsroute, ritten sie über Freistadt nach Böhmen. Ohne weiteren längeren Aufenthalt, bloß mit wenigen Übernachtungen in Gasthöfen, von denen sich so mancher als wilde Spelunke herausstellte, waren sie dann schließlich über Budweis, Sobeslau, Tabor und Beneschau nach Prag gekommen. Hier saß Christoph Praunfalk nun im Palast der Familie Hoffmann von Grünbühel, die mit ihm über einige Ecken verwandt war, und spürte die Anstrengungen der langen Reise.
Auch Matthias Gaiswinkler hatte es sich mittlerweile bequem gemacht, allerdings in einer etwas kleineren Stube des Prager Palais und ohne die Hilfe von Dienern. Als Sohn einer einfachen Familie war er daran gewöhnt. Noch einmal dachte er an den magischen Augenblick zurück, als sie die Hauptstadt Böhmens erstmals erblickt hatten. Er war mit dem Packpferd, das die Vorräte und die vielen für ihre Geschäfte notwendigen Schriftstücke und Amtsbücher trug, vorausgeritten, als die größer als vermutete Stadt plötzlich vor ihm aufgetaucht war, mit ihren unzähligen, sich im schwachen Sonnenlicht spiegelnden Türmen. Schon als Kind hatte er in der bescheidenen väterlichen Bibliothek Bilder von Prag gesehen, in einer alten, reich illustrierten Weltchronik, die nur sein Vater anfassen durfte. Oft war er damals, des Lesens noch nicht mächtig, heimlich zu dem Buch geschlichen, da ihn die bunten Holzschnitte fasziniert hatten. Wie diese Chronik wohl in den Besitz seines Vaters, eines Wirtes im Salinenort Aussee, gekommen war? Vielleicht hatte sie ein durchziehender Adeliger oder Kleriker mangels barer Münze für ein ausgiebiges Mahl und mehrere Gläser Wein in Zahlung gegeben? Sein Vater würde die Darstellung der Weltgeschichte sicherlich nicht zuletzt der vielen Abbildungen wegen genommen haben, obwohl er stolz war, lesen zu können. Die Lutherbibel und mehrere protestantische Erbauungsbücher zeigten, wie so manche Flugschrift, durch ihre deutlichen Benützungsspuren, dass er jene Kunst nicht nur beherrschte, sondern auch ausübte. Doch nicht nur diese Illustrationen aus seiner Kindheit, auch Erzählungen von der Kaiserstadt Prag, in der Seine Majestät Rudolf der Ander seines Namens seit einigen Jahren residierte, hatten Matthias Gaiswinklers Vorstellung von der Stadt geprägt. Wunderliche Dinge berichtete man von der kaiserlichen Burg auf dem Hügel Hradschin. Künstler und Gelehrte wurden von ihr angeblich angezogen wie von einem Magneten, zugleich war von seltsamen Gegenständen, die der Kaiser sammelte, und geheimnisvollen Experimenten seiner Alchemisten die Rede. Gaiswinkler fand Prag seit jeher wunderbar, noch viel schöner als die Städte Padua und Venedig, die er kannte. In Padua hatte er sogar studiert, vor fünf Jahren, auf seiner Reise nach Italien als Begleitung von Niklas Herzheimer. Dem jungen Adeligen war er aus seiner ursprünglichen Rolle als Spielgefährte so sehr Vertrauter und Freund geworden, dass ihn dessen Vater mit auf die Kavalierstour nach Italien schickte. Gemeinsam mit einem ehemaligen Theologiestudenten, mit dem sie Latein übten – einer verkrachten Existenz –, waren sie losgezogen. Sie hatten die Schätze Venedigs bestaunt und danach ein Jahr lang in Padua verbracht, dort juristische Vorlesungen an der Universität besucht und mit den vielen anderen Studierenden fruchtbare Diskussionen und durchzechte Nächte erlebt.
So lange, bis Niklas Herzheimer plötzlich und unerwartet bei einem Besuch in Venedig starb. Betrübt und enttäuscht hatte Gaiswinkler, dem daraufhin kein Geld mehr zur Verfügung stand, die Heimreise antreten müssen – zurück nach Aussee, wo jeder jeden kannte und alles, was man tat, sich fast zeitgleich unter den Bewohnern verbreitete. Im Unterschied zu Padua, das einem eine gewisse Anonymität garantierte. Seine Träume vom Vollenden des Studiums und von einem größeren beruflichen Aufstieg waren dahin gewesen. Die angeeignete Bildung befähigte ihn jedoch, zumindest in der Salinenverwaltung eine Anstellung anzutreten, bei der er den schönen Titel eines Salzamtsgegenschreibers führte. In der Funktion oblag ihm die Aufgabe, die komplizierte Verrechnung des Salzamtes zu kontrollieren. Diese Beschäftigung hatte ihn auch mit dem fast gleichaltrigen Christoph Praunfalk, seines Zeichens Hallamtsverweser zu Aussee, zusammengeführt, mit dem ihn – ähnlich wie mit Niklas – bald eine freundschaftliche Beziehung verband. Eine Freundschaft, bei der allerdings nicht nur in Gesellschaft, sondern auch im privaten Rahmen der Standesunterschied deutlich sichtbar wurde. Wie eben jetzt, als er sich mühsam selbst aus seinen Stiefeln schälen musste, während sein adeliger Gefährte im Palais des Grafen Heinrich Hoffmann von Grünbühel die Diener bestimmt nur so tanzen ließ. Dennoch, Gaiswinkler fühlte sich wohl, nach der langen, ermüdenden Reise in zeitweise eisiger Kälte wieder in einem geheizten Raum zu sein.
Vor ihm standen ein Teller mit Blutwurst und Brot sowie ein Krug Bier. Das späte Nachtmahl hatte ihm eine junge Magd gebracht, die Deutsch mit einem – wie er fand – lustigen Akzent sprach. Sie hieß Božena und war sehr nett anzusehen. Ihre langen blonden Zöpfe umrahmten als dick geflochtener Haarkranz ihr Gesicht, in dem sich bezaubernde Grübchen zeigten, wenn sie lächelte. Er spürte zunehmend die Müdigkeit, und so leerte er schnell den Teller als auch in wenigen Zügen den Krug mit dem herb und hopfig schmeckenden Getränk. Angenehm gesättigt und auf die nächsten Tage gespannt, fiel er bald darauf in einen traumlosen Schlaf.
„Mir ist unverständlich, Matthias, wie du nach dem langen Reiten so fidel aussehen kannst. Ich habe die Nacht kaum ein Auge zugemacht. Mein Gesäß und meine Schenkel sind ganz wund, so als ob sie der Teufel mit glühenden Kohlen gebrannt hätte“, sagte Praunfalk, während er mit der einen Hand seinen Freund in sein Gemach hinein- und mit der anderen den Diener, der ihm die Waschschüssel gebracht hatte, aus diesem hinauswinkte. Er saß im Schlafgewand im Bett, an zwei große Kissen gelehnt. Seine blasse Gesichtsfarbe, die jene der Rothaarigen war, schien an dem Morgen noch weitaus bleicher als sonst. „Ich möchte den heutigen Tag im Hause verbringen, um mich von den Strapazen der Reise zu erholen. Die meiste Zeit auf meinem Zimmer.“
„Was vermutlich auch für uns anderen hier besser ist“, dachte Gaiswinkler, denn Christoph Praunfalk neigte dazu, seine Krankheiten leidend durchzustehen und sein Gegenüber mit Jammern zu beanspruchen. Ihm selbst lag jegliche Zimperlichkeit fern. Und das nicht nur, weil er weniger schmächtig gebaut war. Bereits in seiner frühen Jugend hatte er im Wirtshaus aushelfen müssen. Vor allem ab dem Zeitpunkt, als seine Mutter starb, war er seinem Vater für mehrere Jahre eine wichtige Arbeitskraft gewesen. Manchmal, wenn die Gäste zu viel tranken und zu raufen begannen, hatte er einschreiten müssen, wobei er nicht nur Hiebe austeilte, sondern genauso welche bekam. Da konnte man nicht wehleidig sein. Auch jetzt fühlte er sich, obwohl er ebenfalls Schmerzen verspürte, frisch. Und so erwiderte er: „Eine Portion von dieser Salbe, die du gewöhnlich dafür verwendest, wird deine Beschwerden sicherlich bald lindern. Gib mir das Rezept. Ich werde mich bei einem der Dienstboten nach einer guten Apotheke erkundigen und den Balsam besorgen.“ Er wollte ein wenig hinaus in die Stadt, die er noch nicht kannte. Als er gegen Mittag den Weg auf der Kleinseite hinabmarschierte, schob sich die Sonne gerade durch die Nebeldecke und warf ein fahles Licht auf die kahlen Bäume der Gärten, deren Pracht sich in diesem kalten November bloß erahnen ließ. Etliche adelige Herren hatten hier in den letzten Jahren prunkvolle Paläste errichten lassen, nachdem durch einen zerstörerischen Brand vor fünf Jahrzehnten viel an Land brach geworden war. Gaiswinkler sah Fassaden mit kunstvoll ausgeführten Hauszeichen, bunten Malereien und Reliefs, in denen es vor Löwen, Adlern, Füchsen und Schlangen nur so wimmelte. Sie gaben Auskunft über die Besitzer und ermöglichten Orientierung. Vorbei an ihren geheimnisvollen Geschichten und Legenden, die er zu verstehen suchte, gelangte er zum Stadttor, durch das man auf die Steinerne Brücke kam. Einige Augenblicke hielt er auf dem schon mehr als zweihundert Jahre alten, aber beständig den Elementen trotzenden Bauwerk, welches über die Moldau führte, inne und blickte auf den sanft strömenden Fluss hinab. Unweit der Kampa-Insel kreisten spöttisch rufend drei Möwen über dem Wasser, sonst war zu dieser Jahreszeit dort kaum Leben zu sehen. Um ihn herum hingegen herrschten Getümmel, Stimmengewirr und Hufgeklapper. Zahlreiche Menschen, die meisten von ihnen fein herausgeputzt, drängten sich neben Fuhrwerken und Kutschen auf der einzigen Verbindung zwischen den beiden Ufern; nicht wenige davon in Richtung Altstadt, in der auch die Apotheke Im Richterhaus lag, die ihm Božena empfohlen hatte.
Wie gerne hätte er länger in den Gassen der Altstadt mit ihren schmalen, eng aneinandergeschmiegten Häusern verweilt, sich unter das bunte Treiben gemischt, welches sich vollkommen von der provinziellen Bescheidenheit seines Heimatortes unterschied. Es gab so viel zu staunen und zu betrachten, auch auf dem großen Platz, dem Altstädter Ring, wo sich an der Rathausmauer die vielen Zeiger, Rädchen und Gewichte der astronomischen Uhr in einem komplizierten Tanz bewegten. Doch er riss sich los, er wollte rasch die Salbe kaufen und in sein Quartier bringen.
Als er wenig später die Apotheke betrat, traute er kaum seinen Augen. Er war auf seinen Italienreisen in mehreren Apotheken gewesen, aber eine solch große und reich sortierte Sammlung von Medikamenten aller Art, wie er sie hier erblickte, hatte er noch nie gesehen. Man fand nicht nur die üblichen Schränke mit Porzellan-, Holz- und Glasgefäßen, Dosen und Fläschchen mit lateinischen Aufschriften, die das ganze Wissen der Welt und ihrer Zusammensetzung zu versinnbildlichen schienen, sondern auch ausgestopfte Tiere, darunter ein Gürteltier aus der Neuen Welt und ein Krokodil, das an einer fein geschmiedeten Kette von der Decke hing. Getrocknete Wurzeln von exotischen Hölzern, irgendwoher aus dem fernen Indien oder gar aus China oder Zipangu, lagen neben Mumienteilen und in Alkohol eingelegten Fledermäusen, Schlangen, Skorpionen, Würmern und getrockneten Kreaturen, für die Gaiswinkler gar keinen Namen wusste. Da die Salbe, für die ihm Praunfalk das Rezept eines klugen italienischen Arztes mitgegeben hatte, länger zur Herstellung benötigte, blieb ihm alle Zeit der Welt, sich mit den zur Schau gestellten Dingen zu beschäftigen.
Dem alten Apotheker, einem bärtigen, weißhaarigen Mann, der nur aus Haut und Knochen zu bestehen schien, aber quirlig wirkte, war das Interesse des jungen Mannes nicht entgangen. Während er am Rezepturtisch verschiedene Essenzen nach und nach auf eine der hängenden Waagschalen legte und sorgfältig deren Gewicht bestimmte, begann er mit ihm ein Gespräch: „Junger Mann, an Eurem Gruß hörte ich, dass Ihr nicht aus Böhmen seid. Woher kommt Ihr denn, und was führt Euch in unsere Stadt?“
So erzählte Gaiswinkler ein wenig über sich: Dass er aus Österreich stamme und in der Saline von Aussee als Salzamtsgegenschreiber mit der Kontrolle der Abrechnungen beschäftigt sei. Und dass es mit diesen Abrechnungen Probleme gebe, die man nicht ohne die Zustimmung des Hofes lösen könne. Deswegen habe er mit dem Salzamtsverweser hierher reisen müssen. „Gehe ich recht in der Annahme, dass Ihr, Herr Magister, schon immer in Prag lebt?“, fragte er dann.
„Ich bin hier geboren und aufgewachsen, stamme aber, wie mein Name verrät – ich heiße Sebastian Alting –, von einer deutschen Familie ab, die schon seit mehreren Generationen Mediziner und Apotheker hervorbringt“, erwiderte der alte Mann. „In meiner Jugend war ich viel in den Städten des Heiligen Römischen Reiches unterwegs. Ich habe an der Universität in Mainz studiert, bin jedoch bald danach wieder in meine Heimatstadt zurückgekehrt, denn ich lebe gern in Prag. Es ist groß, doch nicht riesig und unüberschaubar, und – seitdem der Kaiser hierher übersiedelt ist – auch eine Stadt mit zahlreichen Menschen, die sich teure Arzneien leisten können“, fügte er verschmitzt hinzu.
Gaiswinkler fing nun an, Fragen zu den präsentierten Wunderlichkeiten zu stellen, ihn interessierten ihre Herkunft und ihre jeweilige Bedeutung in der Pharmazie. Da ihm seine Wissbegier etwas unangenehm war, wollte er diese begründen: „Verzeiht bitte, dass ich Euch so mit meiner Neugier löchere. Ich habe mich zwar für das Studium der Juristerei entschieden, weil mir dieses als eine bessere Möglichkeit des Vorankommens erschien, das Fach der Heilkunde hat mich aber immer wieder fasziniert. In Padua gelang es mir einmal, einer Obduktion im Theatrum anatomicum beizuwohnen. Man sezierte ein junges Mädchen, das etliche Tage tot im Wasser des Bacchiglione gelegen war. Um die Heilpflanzen zu studieren, habe ich oft den alten botanischen Garten der Stadt besucht. Alles in allem bin ich allerdings in der Medizin leider nicht mehr als ein interessierter Laie geblieben.“
Was er dabei jedoch aus Bescheidenheit nicht erwähnte, war, dass er sich nicht nur durch Vorlesungen und die Lektüre von wissenschaftlichen Büchern, sondern auch durch die Unterhaltungen mit Menschen, welche in bestimmten Bereichen über umfassende Kenntnisse verfügten, auf mehreren Gebieten eine für seinen Stand erstaunliche Bildung angeeignet hatte. Ohne nach dem Ansehen zu differenzieren, sprach er ebenso gerne mit Bauern und Landstreichern wie mit hoch gebildeten Geistlichen, Adeligen oder Gelehrten, die ihm wegen seines Scharfsinns oft viel von ihrer Zeit und Aufmerksamkeit schenkten.
Auch der Magister fand den jungen, lernbegierigen Mann mit dem dichten, dunklen Haar und dem hellwachen Blick kurzweilig und einnehmend. Vor allem dessen schnelle Auffassungsgabe und fehlende Eitelkeit, mit seinem Wissen zu protzen, beeindruckten ihn sehr. Er gab ihm bereitwillig Erklärungen und ließ ihn sogar noch einen Blick in das sich im hinteren Teil der Offizin befindliche Laboratorium werfen, wo zwei seiner Helfer in Mörsern Wurzeln und Kräuter zerrieben und einer die Destillationsapparaturen überwachte.
Als Gaiswinkler später mit dem Salbentöpfchen zurück zum Palais des Grafen schritt, dachte er noch länger über die Unterhaltung mit dem alten Mann nach und darüber, was dieser ihm zum Abschied gesagt hatte: „Wenn Ihr hier wieder vorbeikommt, auch falls Ihr nichts von unseren Arzneien braucht, so schaut herein, es ist mir ein Vergnügen, mich mit Euch zu unterhalten. Gott schütze Euch, und gebt acht. Der Hof des Kaisers ist eine Schlangengrube, in der jeder gegen jeden kämpft. Lasst Euch in keine dieser Intrigen hineinziehen. Mit Eurer offenen Art könnt Ihr dabei nur in große Schwierigkeiten kommen, denn die Falschheit und Lüge scheinen Euch fern zu sein.“ Ob dieser mahnenden Worte neugierig geworden, beschloss er, sich die Burg, die diesen ominösen Hof beherbergte, einmal näher von außen anzusehen.
Die Gelegenheit dazu bot sich schon am folgenden Vormittag. Während seine eigenen Beschwerden durch die Salbe, mit der auch er sich kräftig eingerieben hatte, über Nacht vollständig verschwunden waren, laborierte sein Freund weiterhin an seinem wunden Sitzfleisch. Mit gequälter Miene und trübem Blick saß Praunfalk beim Morgenmahl, das sie diesmal gemeinsam im großen Esszimmer des Palais einnahmen. Auch nachdem man den ersten der drei Gänge serviert hatte, war seine Laune nicht besser geworden. Trotz der eingedämpften jungen Hühner, die nach Zitronen und Sellerie schmeckten, dem rauchig-würzig duftenden Spanferkel, der mit Maroni und Quitten gefüllten gebratenen Gans und der süßlich-herb gewürzten warmen Pastete von einer Schnepfe sah er so übertrieben leidend drein, dass Božena Gaiswinkler ein verschmitztes Lächeln zuwarf, als sie ihnen eine weitere Kanne mit verdünntem Wein auf den Tisch stellte.
„Ich möchte mir noch einen Tag Schonung auferlegen“, erklärte Praunfalk, „aber ich benötige deine Anwesenheit nicht. Geh ruhig in die Stadt.“
Und so wanderte Matthias Gaiswinkler wieder allein durch die engen, verwinkelten Gassen der Kleinseite, diesmal allerdings hinauf zum Hradschin, der kaiserlichen Burg. Hoch oben am Berg thronte diese Ansammlung von Gebäuden – Häuser und Paläste, wie ein schützender Wall aneinandergereiht. Darunter breiteten sich in einem weiten Halbkreis Gärten aus. Vom Zentrum der Bauwerke blickte mächtig der Veitsdom auf ihn herab, die Krönungskirche der böhmischen Könige. Wahrlich eine der gewaltigsten Kirchen, die er je gesehen hatte, und das, obgleich sie noch keineswegs fertiggestellt war. Wie viele Generationen würden daran wohl noch bauen?
Gaiswinkler hatte bei seinem Studienaufenthalt in Italien Rathäuser, Kathedralen und den Dogenpalast in Venedig besucht, daheim in der Steiermark kannte er etliche Burgen, so etwa Strechau, dessen Gefüge sich auf einem hohen Bergkamm erstreckte. Einer derart imposanten Anlage war er jedoch noch nie nahegekommen. Alles schien ihm auch noch viel größer und beeindruckender als die Hofburg in Wien, und er glaubte zu verstehen, warum sich der Kaiser vor einigen Jahren entschlossen hatte, seinen Hof von dort nach Prag zu verlegen. Gewiss gab es hier mehr Platz für die sagenumwobenen Sammlungen, über die so viel gesprochen wurde, die aber noch kaum jemand zu Gesicht bekommen hatte, da Rudolf der Ander seines Namens seine Schätze nur wenigen Auserwählten zeigte. Lediglich einem engen Kreis an Vertrauten gewährte er Zugang. Vor allem, so erzählte man sich, sei der Kaiser gar nicht gewillt, hochrangige Leute wie Fürsten des Reiches, Botschafter anderer Länder oder Adelige in seine Kunst- und Wunderkammern einzulassen, wenn sie nicht Verständnis und Empfinden für diese aufbrachten. Sachverstand zählte für ihn mehr als die äußere Stellung. Er sei, so sagte man weiter, ein Mann, der nach der Weisheit suchte, der sich mit der Astronomie, dem Schicksalslauf der Sterne und der Alchemie, die zu großen Erkenntnissen über die Natur beitrug, beschäftigte und sich ganz in dieser seiner Welt verlieren konnte. Böse Zungen behaupteten dabei auch, dass ihm seine Vorlieben für Kunst und Wissenschaft viel wichtiger seien als die Politik, die er häufig vernachlässigte.
Wie gerne hätte Gaiswinkler diesen seltsamen Kaiser einmal von Angesicht zu Angesicht gesehen, um sich selbst ein Bild zu machen. Doch ihm war bewusst, welch beträchtlicher Abstand in Rang und Zeremoniell ihn von diesem Wunsch trennte. Nicht einmal sein adeliger Vorgesetzter Praunfalk würde es vermutlich schaffen, bis zu Seiner Majestät vorzudringen, sondern irgendwo in der höheren oder gar der mittleren Verwaltung des Hofes hängenbleiben. Und nur mit einem der Höflinge sprechen können, der in der Hallamtsangelegenheit, derentwegen sie nach Prag gekommen waren, letztendlich eine Entscheidung treffen würde.
Der junge Salzamtsgegenschreiber, der wie die meisten seiner Zeitgenossen an dem bestehenden politischen System nichts Grundlegendes auszusetzen hatte, empfand solche Dinge dennoch als ungerecht. Die Verschiedenartigkeit der Menschen entsprach nicht den Vorstellungen der Religion. Las man doch in der Bibel nichts davon, dass die Adeligen von größerem Wert waren als die Bauern oder die Bürger der Städte, und er als frommer Lutheraner konnte nur das akzeptieren, was in der Bibel stand. Luther sprach zwar von der „gottgewollten Obrigkeit“, aber bei aller Glaubensfestigkeit, da fand er den Reformator, den er glühend verehrte, etwas inkonsequent. Denn von dieser gottgewollten Obrigkeit war in der Bibel nicht die Rede. Auch wenn Sätze wie etwa im Markusevangelium 12, 13–17, „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist“, eine gottgewollte Ordnung der Welt nahelegten.
So vor sich hin sinnend war er auf der Schlossstiege schon fast beim Burgtor angekommen. Es lag im östlichen Bereich der Residenz, unter dem Schuldgefängnis, in einem etliche Jahrhunderte alten, rechteckigen Turm, dessen geschwärzte Mauern noch die Spuren des letzten Stadtbrandes zeigten. Plötzlich riss ihn ein durchdringendes Geschrei aus seinen Gedanken: „Penelope hierher! Du mannstolles Weibsstück. PENELOPE, Mistvieh, komm her!“
Er blickte auf und sah einen großen, schwarz-weiß gefleckten Hund in seine Richtung rennen, dem stolpernd ein winziger Mensch mit krummen Beinen hinterhereilte. Zunächst hielt er diesen für ein Kind, bis er bei genauerem Hinsehen merkte, dass es sich um einen zwergwüchsigen Erwachsenen handelte. Geistesgegenwärtig sprang Gaiswinkler zur Seite, auf das ausbüxende Tier zu. Es gelang ihm, es am Halsband zu fassen und so lange festzuhalten, bis der Zwerg keuchend bei ihm ankam. Der Mann, der ihm knapp bis zur Hüfte reichte, trug einen seltsamen, zu sechs Zöpfen geflochtenen und mit verschiedenfärbigen Schleifen versehenen Bart. Er war edel gekleidet, in ein seidenes, gelb-grün gestreiftes Wams mit gepufften blauen Hosen und einen roten, pelzbesetzten Mantel. Viele Falten durchzogen sein derbes Gesicht, doch zugleich besaß er joviale Züge und einen verschlagenen Blick, wodurch sich sein Alter nur schwer schätzen ließ.
„Euch gebührt großer Dank für Eure Hilfe, mein Herr“, sagte der kleine Mann, nachdem er wieder zu Atem gekommen war. „Diese Hündin zieht mir den letzten Nerv. Sie gehört einem Bekannten, der Bereiter im Stall des Kaisers ist. Ich führe sie von Zeit zu Zeit spazieren. Ursprünglich war Penelope ein freundliches und gehorsames Tier. Seitdem jedoch einmal der rote Straßenköter, der sich unten in der Malá Strana herumtreibt, in den Burghof gekommen ist und sie besprungen hat, ist sie wie ausgewechselt. Wir haben den Köter damals verscheucht, aber sie ist ihm nachgelaufen. Nun reißt sie sich jedes Mal los, wenn sie ihn außerhalb der Burganlage wittert, um zu ihm zu stürmen. Und ich muss dieses rasende Hundeweib dann einfangen. Aber ich bitte um Entschuldigung, ich habe mich noch gar nicht vorgestellt. Mein Name ist Thommerl Niderthor. Ich bin einer der Hofzwerge des Kaisers.“
Gaiswinkler nannte ebenfalls seinen Namen, und da Thommerl mit der widerspenstigen Hündin wieder zurück zur Burg spazierte, um sie bei ihrem Besitzer abzuliefern, gingen sie ein Stück des Weges gemeinsam. „Gestattet, wenn ich Euch etwas frage, aber ich bin ein überaus neugieriger Mensch. Welche Aufgaben habt Ihr bei Hof?“, erkundigte er sich in das Gekläffe von Penelope hinein.
„Nun, wie Ihr vielleicht wisst, wurde unser Kaiser als Kind in Spanien erzogen. Dort sind Zwerge am Hof sehr begehrt. Doch nicht nur Leute, die so klein sind wie ich, werden gesammelt. Auch andere, die nicht so aussehen wie das, was den Menschen üblicherweise äußerlich eigen ist, holt man sich herbei. Zum Beispiel riesenhafte Gestalten oder Haarmenschen – das sind jene, die ein Fell wie ein Tier tragen. Und oft erfreut man sich auch an entstellten Kreaturen“, antwortete Thommerl, während er mit aller Kraft versuchte, von der Hündin nicht in die andere Richtung gezogen zu werden. „Ich stamme aus Tirol und bin dort auf einem Bauernhof aufgewachsen. Wie sich recht früh zeigte, blieb ich immer so klein, wie ich mit sechs Jahren schon war. Für die schwere Arbeit am Hof meines Vaters war ich unbrauchbar. So war die Familie glücklich, als mich eines Tages ein Adeliger, der dem Landesfürsten etwas Gutes tun wollte, entdeckte und zum Hofzwerg machte. Vielleicht klingt es nicht ganz so erstrebenswert, wenn man wegen seines Aussehens nur wie ein Gegenstand betrachtet wird. Aber man muss wenigstens keine schwere Arbeit verrichten. Man ist allseits beliebt. Dem Herrscher gegenüber kann man sogar Witze über seine Person machen. Er nimmt sie nicht übel, da man eine ähnliche Rolle wie der Hofnarr innehat. Also bin ich mit meinem Leben sehr zufrieden und hoffe – so Gott will – bis ans Ende meines Lebens hier am Hof zu bleiben.“
Nachdem Thommerl vor dem Burgtor noch einige Geschichten über bedeutende Höflinge und Künstler bei Hof geschildert hatte – er schien alles zu wissen, was sich in der Burg des Kaisers abspielte –, fragte er Gaiswinkler nach seiner Herkunft. Ehe der junge Ausseer sich’s versah, hatte er viel von seinem Leben, dem Grund seines gegenwärtigen Besuchs und wer ihm in der Stadt Unterkunft bot, erzählt. Besonderes Interesse schien der Hofzwerg für seinen Gastgeber Heinrich Hoffmann von Grünbühel zu haben. Er erkundigte sich eingehend nach der Tätigkeit, der Familie und sogar nach der Ausstattung des Palais des Adeligen. Dieses Interesse erschien Gaiswinkler eigenartig. Als er sich schließlich freundlich von Thommerl Niderthor verabschiedete, konnte er sich nicht des Eindrucks erwehren, dass er von ihm systematisch ausgehorcht worden war. Zwar gab es nichts zu verbergen, es waren nicht die großen, an den Grundfesten des Reiches rüttelnden Dinge, die er preisgegeben hatte, doch er verspürte ein eigenartiges Gefühl. So kehrte er etwas verunsichert und nicht nur wegen des einsetzenden Regens schnell zurück in sein Quartier.
Im Laufe des Nachmittags hatte sich auch Christoph Praunfalk wieder besser gefühlt. Er spazierte vor dem Abendmahl noch ein wenig durch die aufwendig gestalteten Räume des weitläufigen Palais, warf dabei aber einen weitaus kürzeren Blick auf die reich bemalten Felder der hölzernen Kassettendecken als Gaiswinkler, der die farbenfrohen Darstellungen aus der Pflanzen- und Tierwelt am vorhergehenden Tag eingehend studiert hatte. Kunst und Wissenschaft interessierten ihn im Gegensatz zu seinem Freund sowohl im Allgemeinen als auch hier, in der legendenumwobenen Stadt der hundert Türme, weniger. Sein Interesse lag vor allem darin, in den nächsten Tagen das Machtgefüge bei Hof näher kennenzulernen und, falls möglich, Bekanntschaften zu gewinnen. Denn auf dem Hradschin trafen sich bedeutende Herren aus allen Teilen des Reiches. Nicht nur Adelige aus den böhmischen Ländern, die schon durch ihre Stellung in den Ständen eine besondere Rolle innehatten, ließen sich blicken, auch Edelleute aus den österreichischen Erbländern bis ins ferne Tirol und nach Vorderösterreich, aus den Besitztümern der Habsburger in Süddeutschland und natürlich aus den ungarischen Ländern, wo es durch die lange Grenze sowie den Kriegszustand mit dem Osmanischen Reich beträchtlich viele Probleme gab, kamen immer wieder an den Kaiserhof.
Vielleicht konnte ihm ja sein Onkel dabei behilflich sein, einige Kontakte zu knüpfen? Und so beschloss er, Heinrich Hoffmann von Grünbühel, den er seit seiner Ankunft erst einmal kurz gesehen hatte, da dieser oft auswärts beschäftigt war, im Arbeitszimmer aufzusuchen. Er fand ihn, über viele Papiere gebeugt, an einem großen Schreibtisch nahe dem Fenster, durch das zu dieser Uhrzeit gerade noch genügend Licht zum Lesen fiel.
„Der Teufel soll diesen Papierkram holen. Ich kann nicht und nicht auf meine Güter in der Steiermark heimkehren. Seit Monaten habe ich hier damit zu tun, diesen Streit mit meinem Nachbarn um die großen Felder an der Enns – ohnehin nur saure Wiesen, auf denen man gerade einige Rindviecher weiden kann – zu gewinnen. Aber diese verfluchten Juristen mit ihren komplizierten Verträgen machen mich krank“, meinte Grünbühel mit bitterer Stimme, nachdem Praunfalk ihn begrüßt hatte. „Mein Großvater erzählte mir immer, dass man sich früher einfach etwas ausmachte, sich dann die Hände schüttelte, und damit war alles klar. Niemandem wäre es eingefallen, diesen mündlichen Vertrag zu brechen. Aber heute ist es notwendig, alles in drei Urkunden, die sich meistens widersprechen, aufzuschreiben. Und wegen jeder Kleinigkeit muss man vor Gericht ziehen. Advokat sollte man sein in diesen Tagen. Die Einkünfte aus einer meiner Herrschaften gehen nur für diesen Prozess auf. Aber entschuldige, lieber Neffe, dass mich der Zorn so mitreißt. Wie geht es dir? Schon erholt von dem langen Ritt? Ich glaube, das Wundwerden liegt bei uns in der Familie. Ich bedarf auch jedes Mal nach einer längeren Reise einiger Tage der Schonung.“
„Danke, lieber Onkel, es geht schon wieder. Morgen werde ich mich in der Stadt umsehen und dann möglichst bald mit den kaiserlichen Behörden Kontakt aufnehmen bezüglich der Salinengeschichten in Aussee, die ja der Anlass meiner Reise sind. Kennst du jemanden, der mir Türen öffnen könnte, damit ich die Sache beschleunigen kann und nicht so lange in Prag bleiben muss wie du mit deinem Prozess?“
„Na ja, einige von den Höflingen kenne ich schon. Am besten vermutlich Joachim Freiherr von Eitzing, der mehrere Besitztümer in Niederösterreich hat. Er war im Dienste Kaiser Maximilians II. und machte seine Karriere bei Hof. 1577 wurde er von Kaiser Rudolf II. als Botschafter ins Osmanische Reich geschickt, wo er Sultan Murad III. die Nachricht vom Tode Maximilians und von der Thronbesteigung Rudolfs überbringen sollte. Du wirst dich nicht daran erinnern, aber ich war damals, kaum siebzehn Lenze alt, in seinem Gefolge in der Hauptstadt des Sultans. Eitzing und ich haben uns dabei ein wenig angefreundet. So eine weite Reise voller Gefahren – mit etwas Pech hätten wir ja auch in der Festung der sieben Türme landen können – verbindet eben. Wir blieben fast fünf Jahre in Konstantinopel und kehrten erst 1582 nach Wien zurück. Es war eine spannende Zeit in meinem Leben. Ich kann dir demnächst ja einmal ausführlicher darüber erzählen, aber jetzt habe ich noch Wichtiges zu tun. In den nächsten Tagen werde ich jedenfalls einmal bei Joachim von Eitzing, der sich im Augenblick noch auf Reisen befindet, vorbeischauen und sehen, was ich für dich machen kann.“
Praunfalk hatte den diskreten Hinweis verstanden und zog sich, nicht ohne sich ehrerbietigst bedankt zu haben, schnell zurück, um seinen Onkel nicht weiter von der Arbeit abzuhalten. Am Weg zu seinem Zimmer begegnete er Gaiswinkler. Dieser war gerade regendurchweicht von seinem Ausflug zur Burg heimgekommen und sah nachdenklich drein. Später bei der Abendmahlzeit vereinbarten die beiden dann, zeitig am nächsten Morgen für eine Stadterkundung aufzubrechen und das Frühmahl in einem der Wirtshäuser Prags einzunehmen.
Es war fast noch dunkel, als sie in der Früh das Palais verließen. Über Nacht schien es wärmer geworden zu sein und statt des eisig kalten Windes der letzten Tage wehte ein mildes Lüftchen. Schon kurz nach dem Portal ihres Quartiers übernahm Gaiswinkler unwillkürlich die Führung. Sie schlenderten zunächst durch die Gassen der Kleinseite, in denen trotz der zeitigen Stunde erstaunlich viele Menschen unterwegs waren. Die meisten strömten den Hügel hinauf, offensichtlich war der Hradschin ihr Ziel. Nicht selten hörten die beiden auch das eine oder andere italienische Wort – Maurer, Steinmetze, Stuckateure und Maler, die aus verschiedenen Teilen Italiens stammten und sich hier in der Nähe der Kirche des heiligen Thomas sowie am Fuße der Weinhänge des Laurenzibergs niedergelassen hatten, eilten zu ihren Arbeitsstätten in der Burgstadt.
Bei einem von deren Landsleuten, einem fröhlich aussehenden Krämer, der Stoffe aus Seide und Brokat in das Gewölbe eines der Giebelhäuser trug und dabei mit sonorer Stimme ein venezianisches Volkslied schmetterte, hielt Gaiswinkler inne. „Buongiorno, mio signore“, sagte er und erkundigte sich dann höflich, wo denn in der Gegend ein gutes Wirtshaus zu finden sei. Danach plauderte er eine Weile mit dem Kaufmann, zwar nur ganz allgemeine Dinge, doch es freute ihn, sich wieder einmal in der italienischen Sprache unterhalten zu können. So bemerkte er fast nur am Rande, dass sich Praunfalk inzwischen entfernt hatte. Rasch verabschiedete er sich, um nach dessen rotem Schopf Ausschau zu halten. Er erblickte seinen Gefährten erst nach einiger Zeit und nur für einen kurzen Moment. Denn fast in derselben Sekunde entwich dieser, bereits mehrere Häuser weiter unten, dort in eine Seitengasse. „Merkwürdig“, dachte er, die Straße hinuntereilend, „vorher ist Christoph fast wie Leim an mir geklebt, jetzt macht er sich geradezu aus dem Staub.“ Als er ihm dann jedoch in das düstere Gässchen gefolgt war und hier gerade noch ein Mädchen in einem flatternden blausilber schimmernden Rock hinter einem der Haustore verschwinden sah, schmunzelte er innerlich: Sein Freund besaß ein reges Interesse an jungen Frauen, auch häufig an solchen, die nicht seiner Schicht angehörten.
Seiner anvisierten Beute beraubt, machte Praunfalk kehrt. Mit leicht gerötetem Antlitz und verlegen wirkend kam er auf ihn zu. Doch nicht, weil dieser Situation eine gewisse Peinlichkeit eigen war, blieb Gaiswinkler wortkarg. Seine Aufmerksamkeit wurde von etwas anderem gefesselt: Ein gutes Stück entfernt, ganz am dunklen Ende der engen Gasse, die nur von einer Seite her einen Zugang hatte, glaubte er, eine am Boden ausgestreckte menschliche Gestalt wahrzunehmen. Einen Augenblick lang dachte er, dass es sich um einen Habenichts handle, der dort sein Nachtlager aufgeschlagen hatte oder seinen Rausch ausnüchterte. Doch irgendetwas an den Beinen – mehr erkannte er von seiner Position aus nicht – irritierte ihn. „Die Strümpfe …“, murmelte er vor sich hin, während er, am verdutzten Praunfalk vorbei, näher an die Person heranschritt. Die letzten Häuser des Gässchens waren windschief und verfallen, sie schienen verlassen. Vor dem hintersten lag, mit Kopf und Rumpf unter dem morschen Eingang des Gebäudes verborgen, ein bewegungsloser Mann, dessen Kleidung ihn auf den ersten Blick als einen Bessergestellten auswies. Es war also eindeutig kein Bettler, der hier genächtigt hatte, sondern ein Edelmann, den er vor sich fand.
Gaiswinkler beugte sich zu dem Mann herab, um herauszufinden, ob dieser noch lebte. Der Körper war eiskalt, es gab keine Regung in ihm. „Der armen Seele hilft niemand mehr. Dieser Mensch ist tot, und wie ich am Geruch festzustellen glaube, schon seit längerer Zeit. Hätten wir sommerliches Wetter, würden hundert Fliegen auf ihm sitzen“, stellte er fest, an seinen mittlerweile hinzugekommenen Gefährten gewandt, der solche Szenen nicht vertrug und bleich und leicht zitternd die Leiche betrachtete.
Der Tote – er mochte so um die vierzig sein – trug ein besticktes graues, eng anliegendes Wams und dazu kurze schwarze, gepuffte Hosen, wie es die spanische Mode vorschrieb. Seine langen roten Strümpfe steckten in engen, bis zu den Knöcheln reichenden Schuhen. Das Barett lag neben seinem Körper, den ein dunkler Mantel teilweise verdeckte. Drei Dinge sprangen sofort ins Auge: das schmerzverzerrte, blau angelaufene Gesicht mit der heraushängenden Zunge, das einen Ausdruck von Überraschung und Schreck zu zeigen schien, die dicke Schnur, die um den Hals zusammengezogen war, und der kurze, abgerissene Teil einer goldenen Kette, der sich am Gelenk seiner verkrampften rechten Hand befand. Es stand eindeutig fest: Dieser Mann war nicht eines natürlichen Todes gestorben, sondern ermordet worden.
„Ich denke, wir müssen am Hradschin oben das Verbrechen melden. Einer von uns sollte aber hierbleiben, um die Leiche zu bewachen“, meinte Gaiswinkler, der entschieden der praktischer Veranlagte der beiden war.
„Mir wäre lieber, wenn du hinauf gehen würdest, Matthias. Du warst ja schon beim Schloss und findest den Weg dorthin leichter als ich.“
„Gut, dann machen wir das so. Du hättest zwar als Adeliger sicherlich mehr Einfluss, allerdings könnte es auch notwendig sein, eine energischere Seite zu zeigen. Und die besitze ich wohl eher als du.“
Praunfalk murrte über diese Bemerkung zwar ein wenig, war aber letztlich ganz zufrieden, sich den Weg bergauf im Eilschritt zu ersparen. Vielleicht würde ja auch das Mädchen nochmals vorbeikommen und sich ein Gespräch mit ihm ergeben.
Es mochte hierauf knapp eine Stunde vergangen sein, bis der junge Salzamtsgegenschreiber, der mit großer Geschwindigkeit zum Burgtor hinaufgelaufen war und dort die Wache informiert hatte, zurückkehrte; in Begleitung einiger Trabanten und des Obersthofmeisters, welcher für die Angehörigen des Hofes – und einen solchen vermutete man in dem Toten nach der sehr klaren Schilderung seines Aussehens – zuständig war. Am Fundort der Leiche stand Praunfalk eng umringt von einer Menge an Menschen, eifrig bemüht, diese in ihre Schranken zu weisen. Mit einem Lächeln bemerkte Gaiswinkler, dass sich unter den drängenden Neugierigen auch eine sehr hübsche junge Frau in einem blauen, mit Silber durchwirkten Rock befand. Wäre sein Freund ihr nicht gefolgt, hätte wohl jemand anderer die Leiche gefunden.
Obersthofmeister Wolf Siegmund Rumpff vom Wullross ließ sich von einem riesenhaften Trabanten den Weg zu dem Toten bahnen und studierte diesen eingehend, wobei er sich mehrmals über seinen gezwirbelten Schnurrbart strich. „Den Mann kenne ich nicht mit Namen“, sagte er schließlich. „Obwohl ich mir nicht sicher bin, ob ich ihn nicht schon in der Burg gesehen habe. Vielleicht ein Bittsteller, der zu Seiner Majestät zur Audienz kommen wollte?“, grübelte er laut vor sich hin. Danach wandte er sich unwirsch an den nahe der Leiche stehenden Praunfalk. „Wer seid ihr, und was habt ihr hier zu suchen?“, grollte er und schloss damit auch gleich Gaiswinkler ein, dem er am Weg vom Burgtor herunter keine Gelegenheit gegeben hatte, sich näher vorzustellen. „Vielleicht seid ihr beiden ja gar die Strauchdiebe, die diesen Mann umgebracht und ausgeraubt haben. Und nun tut ihr so, als ob ihr den Toten gefunden hättet.“
Praunfalk nannte seinen Namen und stellte sich und seinen Begleiter als Hallamtsverweser und Salzamtsgegenschreiber der Ausseer Saline vor. In seinen Augen zeigte sich ein dunkles Funkeln, was für ihn ungewöhnlich war, denn auch nur der leiseste Anflug eines Aufbrausens schien ihm üblicherweise fremd. Der Obersthofmeister wurde daraufhin aber ein wenig freundlicher und murmelte sogar so etwas wie eine Entschuldigung. Dann stellte er sich selbst und den Umstehenden die Frage, was jetzt zu geschehen habe.
Gaiswinkler, der das Geschehen still beobachtet und sich die Gesichter der Schaulustigen eingeprägt hatte, überraschte diese Unsicherheit. Galt doch der Obersthofmeister als einer der wichtigsten Politiker des Hofes. Soweit er aus Klatsch und Tratsch wusste, hatte Wolf Siegmund Rumpff vom Wullross, dessen Vater aus einer unbedeutenden niedrigen Adelsfamilie stammte und unter Kaiser Ferdinand I.