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SÂR DUBNOTAL Nr. 3 enthält zwei Geschichten: Der blutige Streik Sâr Dubnotal reist in eine englische Bergarbeiterprovinz, um dort einen Fall zu klären. Eine mysteriöse Frau in Grün erscheint vor katastrophalen Bergbauunglücken, die sich stets an einem Freitag dem 13. ereignen. Die Verrückte der Rimbaud-Passage Sâr Dubnotal gerät in eine Verschwörung und versucht, die Unschuld einer jungen Frau zu beweisen sowie wichtige außenpolitische Aufzeichnungen für die französische Regierung zu bergen.
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Seitenzahl: 221
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Kult Romane
Buch 20
Der blutige Streit
Die grüne Frau
Jakob und Sarah
Die Grubenexplosion
Hundert Bergleute gerettet
Die beiden Mumien
Der Aufstand der Bergleute
Epilog
Die Verrückte der Rimbaut-Passage
Tod aus heiterem Himmel
Was die Sterne sagen
Kuhhandel
Neue Personen treten auf
Hector Leloup praktiziert Hypnose
Die tragische Nacht
Sâr Dubnotal greift ein
Epilog
Anmerkungen
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Copyright © 2024 BLITZ-Verlag
Hurster Straße 2a, 51570 Windeck
Redaktion: Hans-Peter Kögler
Logo und Umschlaggestaltung: Mario Heyer
Satz: Gero Reimer
Alle Rechte vorbehalten.
www.Blitz-Verlag.de
ISBN: 978-….
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„Wir werden also nach Cardiff fahren, Meister?“
„Jawohl, Rudolf!“, erwiderte Sâr Dubnotal. „Du kannst Rhoda Rooks, mein Medium, sowie meine drei Assistenten Otto, Frank und Fréjus benachrichtigen, dass sie sich sofort zur Abreise fertig machen sollen.“
Rudolf, der Lieblingsschüler des großen Psychagogen, beeilte sich, den Befehl seines Meisters auszuführen. Sâr Dubnotal nahm in einem der Polsterstühle Platz, um über die eigenartige Angelegenheit nachzudenken, die ihn nun bewog, sein beschauliches Landhaus in der Nähe von London am Ufer der Themse so plötzlich zu verlassen.
Einer seiner auswärtigen Korrespondenten hatte ihm nämlich von einem Ereignis berichtet, das sein höchstes Interesse erregte. Ein in der Grafschaft Wales gelegener Kohlenschacht sollte – der Aussage der Bergleute nach – schon seit längerer Zeit durch Spuk unsicher gemacht werden.
Derartige übernatürliche Erscheinungen bildeten das Lebensstudium des großen Gelehrten, und er nahm deshalb jede Gelegenheit wahr, sein Wissen durch Erforschung solch rätselhafter Vorkommnisse noch zu bereichern. So hatte er kurzerhand beschlossen, sich an Ort und Stelle davon zu überzeugen, wie viel an der Sache Wahres war.
Der Schacht, in dem ein Geist umgehen sollte, hieß Viktoria-Schacht oder Viktoria-Mine und lag einige Dutzend Meilen landeinwärts von Cardiff.
„Wie mein Korrespondent mir schreibt, nennen die Bergleute jene geheimnisvolle Erscheinung die grüne Frau“, murmelte der große Psychagoge vor sich hin. „Nun, ich werde ja bald erfahren, weshalb dieser Geist, der doch wahrscheinlich nur eine ruhelose Seele ist, sich in diesem Bergwerk zeigt.“
Eine Stunde später befand sich Sâr Dubnotal in Begleitung seiner drei Assistenten, Rudolfs und Rhoda Rooks’ auf dem Wege nach dem Bahnhof, wo sie den Schnellzug nach Cardiff benutzten. Dort angekommen, hielten sie sich nicht lange auf, sondern bestiegen in der Queen-Street-Station sofort einen anderen Zug, der sie durch das Tal von Taff nach Pontypridd brachte. Hier hörte die Eisenbahn auf, und so benutzten sie einen Wagen, um zu ihrem Ziel, dem Dörfchen Cilpymidd, in dessen Nähe sich die Viktoria-Mine befand, zu gelangen.
In dem Bergwerk wurden ungefähr zwölfhundert Menschen beschäftigt, die größtenteils in dem benachbarten Städtchen Limestone wohnten.
Nachdem Sâr Dubnotal mit seiner Begleitung in der Dorfschenke abgestiegen war, erkundigte er sich nach dem Namen des Chefingenieurs. Der hieß Dogson und hatte seine Wohnung in der Nähe des Schachtes und den zu diesem gehörenden Schuppen und sonstigen Baulichkeiten.
Der große Psychagoge beschloss, sofort den Ingenieur aufzusuchen, der, wie er bereits im Wirtshaus von den sich dort aufhaltenden Bergleuten erfahren hatte, in höchstem Grade unbeliebt war.
Ohne Weiteres machte er sich nun auf den Weg nach der kleinen Villa Mr. Dogsons. Dort angekommen, übergab er dem öffnenden Dienstmädchen seine Karte. Einige Minuten später kehrte das Mädchen mit dem Bescheid zurück, dass Mr. Dogson im Moment beschäftigt sei und ihn bitten lasse, sich ein wenig zu gedulden.
„Mit größtem Vergnügen“, sagte der Gelehrte höflich. „Mister Dogson muss sich meinetwegen nicht beeilen.“
„Oh, ich denke nicht, dass Sie lange zu warten haben werden“, erwiderte das Mädchen. „Mister Dogson spricht nur mit einem der Steiger, und das Gespräch dürfte bald beendet sein, da der Herr Chefingenieur alle geschäftlichen Dinge in der Regel ziemlich rasch erledigt. Wenn ich mich nicht irre“, setzte das hübsche, dunkeläugige Mädchen lachend hinzu, „wird der Steiger in den nächsten fünf Minuten das Haus schneller verlassen, als er gekommen ist.“
Sâr Dubnotal zog es vor, nichts auf den Wortschwall des augenscheinlich ziemlich geschwätzig veranlagten, dienstbaren Geistes zu erwidern, sondern ließ sich von dem Mädchen nach drinnen führen, wo er in einem Sessel Platz nahm. Dieser stand in der Nähe einer Wand, die offenbar nur aus Brettern hergestellt war, denn man konnte jedes Wort verstehen, das nebenan gewechselt wurde, umso mehr, als die im angrenzenden Zimmer befindlichen Personen, die zweifellos der Chefingenieur und der Steiger waren, ziemlich laut miteinander redeten.
Es ging äußerst erregt her, und das Gespräch schien jeden Augenblick in einen Streit ausarten zu können.
„Aber ich versichere Ihnen, Herr Chefingenieur, dass es ganz unmöglich ist, ganz unmöglich“, ertönte gerade eine Stimme, die vermutlich die des Steigers war, „meine Kameraden werden es einfach nicht tun.“
„Wer hat hier zu befehlen?“, antwortete jetzt eine andere in herrischem Tone. „Ihre Kameraden oder ich? Ist es nun schon so weit gekommen, dass ich mir von meinen Untergebenen Vorschriften machen lassen muss?“
„Gewiss nicht, Herr Chefingenieur!“, antwortete der Steiger. „Aber es handelt sich hier um das Wohl und Wehe von zwölfhundert Menschen, und Sie können doch wahrhaftig nicht verlangen, dass sie ihr Leben riskieren, indem sie an einem Freitag einfahren, der auf den Dreizehnten fällt.“
„Und durch dieses zufällige Zusammentreffen eines Monatsdatums mit einem Wochentage fühlen Sie sich alle in Ihrem Leben bedroht?“, hörte Sâr Dubnotal den Ingenieur höhnisch fragen.
„Es dürfte Ihnen doch wohl schon hinlänglich bekannt sein, Mister Dogson“, erwiderte der Steiger, „dass jeder, der jemals in die Viktoria-Mine eingefahren ist, von diesem Glauben unverbrüchlich überzeugt ist.“
„Na, hören Sie mal, Guindleth“, lachte der Ingenieur, „bis jetzt habe ich stets angenommen, dass Sie aus anderem Holz geschnitzt sind als Ihre Kameraden, doch jetzt sehe ich ein, dass Sie ebenso beschränkt und abergläubisch sind wie alle anderen. Ich begreife Sie eigentlich gar nicht, Guindleth! Wie können Sie es wagen, mir mit einem derart hirnlosen Verlangen unter die Augen zu treten? Sie müssen doch tatsächlich auf den Kopf gefallen sein!“
„Verzeihen Sie, Herr Chefingenieur“, entgegnete der Steiger noch immer respektvoll, jedoch energisch. „Ich bin nicht hierhergekommen, um mich von Ihnen beschimpfen zu lassen. Ich befinde mich hier in meiner Eigenschaft als Vertreter der Bergleute, um von Ihnen Klarheit über einen Punkt zu erhalten, dessen Erledigung für uns alle von größter Wichtigkeit ist. Falls Sie nicht geneigt sind, auf unsere Wünsche einzugehen, so bitte ich Sie, es nur zu sagen. Ich habe dann nichts weiter zu tun, als meinen Kameraden Ihren Bescheid zu überbringen.“
„Und was gedenken Ihre Kameraden zu tun, falls ich mich ablehnend verhalte?“, fragte Mister Dogson mit schneidender Stimme.
„Darüber kann ich vorläufig nichts sagen, Herr Chefingenieur, jedenfalls wird eine derartige Antwort viel böses Blut verursachen.“
„Ist das die Möglichkeit?“, rief der Ingenieur unwillig aus. „Ich begreife tatsächlich nicht, wie es in unserem Zeitalter des Fortschritts und der Aufklärung noch immer so viele beschränkte und abergläubische Menschen geben kann. Zum Teufel, wozu soll es denn schließlich führen, wenn man der Dummheit der Massen Zugeständnisse machen müsste? Jedes geregelte Arbeiten würde doch schließlich vollständig unmöglich werden.“
„Durch diesen einen Feiertag wird die Bergwerksgesellschaft wohl kaum ruiniert werden“, entgegnete der Steiger gelassen. „Ich glaube, dass doch auf alle Fälle eine Unterbrechung von vierundzwanzig Stunden der Einstellung jeglicher Arbeit auf unbestimmte Zeit vorzuziehen ist.“
„Was wollen Sie damit sagen?“, fiel der Chefingenieur ein.
„Ich wollte damit nur andeuten, dass Sie, indem Sie unsere Bitte so ohne Weiteres ablehnen, sich der Möglichkeit aussetzen, dass die gesamte Belegschaft in einen Streik eintritt.“
„Vor einer solchen Möglichkeit ist mir absolut nicht bange, Guindleth“, erwiderte Mister Dogson kalt. „So beschränkt und kurzsichtig Ihre Kameraden auch sind, so werden sie es sich doch jedenfalls noch sehr überlegen, ehe sie uns den Fehdehandschuh hinwerfen und den Streik erklären. Sie wissen sehr gut, Guindleth, dass die Bergwerksgesellschaft erst kürzlich mit der Regierung eine größere Lieferung abgeschlossen hat, und dass wir in den nächsten zwei Monaten 100.000 Tonnen Kohle für die Kriegsschiffe fördern müssen. Um unseren Vertrag zu erfüllen, ist es notwendig, dass wir mit der größten Anstrengung arbeiten, und wir sind daher nicht imstande, der Belegschaft außer dem gesetzlichen wöchentlichen Ruhetag noch einen Extra-Feiertag zu bewilligen. Außerdem feiern Sie auch alle Sonntage, das genügt vollständig, und ich sehe gar nicht ein, dass Sie jetzt noch mehr verlangen.“
„Was das Letztere betrifft, so haben wir selbstverständlich auch eingesehen, dass wir der Gesellschaft nicht zumuten können, so ohne Weiteres einen Arbeitstag ausfallen zu lassen, und wir haben daher beschlossen, täglich zwei Überstunden zu machen, bis die verlorene Zeit wieder hereingebracht ist.“
„Überstunden werden nicht von der Arbeiterschaft, sondern von mir angeordnet“, unterbrach der Ingenieur den Steiger. „Der Dreizehnte des Monats, der auf einen Freitag fällt, ist genauso ein Arbeitstag wie jeder andere, und ich sage Ihnen nochmals, dass hierin keine Ausnahme gemacht wird.“
„Ich bitte Sie, das doch noch einmal zu überdenken, ehe Sie mir die entscheidende Antwort geben“, wandte der Steiger in respektvollem Tone ein. „Warum wollen Sie plötzlich mit einem alten Brauch brechen? Sie wissen ja selbst, dass seit langen Jahren stets gefeiert worden ist, wenn der Dreizehnte auf einen Freitag fiel.“
„Das ist allerdings richtig. Leider haben meine Vorgänger nicht die nötige Energie besessen, eine derart lächerliche Unsitte abzuschaffen. Dafür werde ich es jetzt tun.“
„Aber die grüne Frau ...“
„Lassen Sie mich um Gottes willen mit Ihrer grünen Frau in Ruhe!“, schrie der Chefingenieur mit überkippender Stimme. „Ich habe niemals die geringste Spur von einer grünen Frau im Schacht bemerkt und werde sie wohl auch in meinem ganzen Leben nicht zu Gesicht bekommen – aus dem einfachen Grunde, weil sie bloß in der Einbildung gewisser Nichtstuer und Trunkenbolde besteht.“
„Ich bitte Sie, Herr Chefingenieur, mich und meine Kameraden nicht noch mehr zu beleidigen, als Sie es bisher bereits getan haben. Wir sind weder Nichtstuer noch Trunkenbolde, sondern ehrliche, anständige Arbeiter, die es nicht nötig haben, sich eine derartige Behandlung gefallen zu lassen. Was jedoch die grüne Frau anbelangt, so haben Sie sie deshalb noch nicht zu Gesicht bekommen, weil Sie noch niemals an einem Dreizehnten im Schacht gewesen sind.“
Der Ingenieur lachte laut und höhnisch auf, dann fragte er: „Haben Sie die Erscheinung vielleicht schon einmal gesehen, Guindleth?“
„Jawohl, Herr Chefingenieur, und Gott behüte, dass ich sie jemals wieder zu Gesicht bekomme. Es war vor sechs Jahren und ich bin einer von denen gewesen, die aus der Katastrophe lebend hervorgegangen sind, die sich anlässlich des Erscheinens der grünen Frau damals abgespielt hat.“
„Ich bin eigentlich mächtig neugierig, zu erfahren, worum es sich bei dieser rätselhaften grünen Frau handelt!“, bemerkte Mr. Dogson spöttisch.
„Sie tun sehr unrecht daran, wenn Sie darüber in so verächtlicher Weise sprechen“, antwortete Guindleth ernst. „Sie sind erst seit zwei Jahren im Betrieb tätig und wissen daher auch nicht, was sich früher anlässlich des Erscheinens der grünen Frau zugetragen hat. Ich kann Ihnen aber versichern, Herr Chefingenieur, und ich weiß es aus eigener Erfahrung, da ich schon seit ungefähr fünfundzwanzig Jahren im Schacht arbeite, dass ihr Auftreten jedes Mal einen größeren Unglücksfall im Gefolge gehabt hat.“
„Die Erscheinung ist natürlich ein Gespenst oder so was Ähnliches, nicht wahr?“, fragte Mr. Dogson.
„Ganz gewiss, sie ist ein Geist, und zwar der Geist einer Frau“, erwiderte der Steiger in geheimnisvollem Ton. „Die Erscheinung tritt nur in den Stollen und Gängen des Bergwerks auf, wenn ein Freitag auf den Dreizehnten des Monats fällt. Wir nennen sie die grüne Frau, weil das Gespenst von Kopf bis zum Fuß in ein Leichentuch gehüllt ist, das einen grünen Schimmer ausstrahlt. Es trägt in seiner Hand eine Grubenlampe mit ebenfalls grünlicher Flamme, womit es die schlagenden Wetter1 entzündet, sobald sich an dem Tage Menschen im Schacht befinden. Und deshalb ...“
Der Steiger konnte den Satz nicht vollenden, denn der Ingenieur unterbrach ihn brüsk.
„Hören Sie auf mit diesem Ammenmärchen“, rief er unwirsch. „Ich habe Ihnen meine Ansicht über die ganze Sache kundgetan und Sie kennen daher meine Entscheidung. Gehen Sie zu Ihren Kameraden zurück und berichten Sie ihnen, was ich Ihnen gesagt habe. Erklären Sie ihnen aber zur gleichen Zeit, dass ich nichts mehr von dem Ganzen hören will, denn ich habe schon viel zu viel Zeit mit Ihnen verschwendet, Guindleth!“
Während im Arbeitszimmer des Ingenieurs diese Unterredung stattfand, hatte auf der anderen Seite der Wand Sâr Dubnotal, unbeweglich im Sessel sitzend, den Worten des Chefingenieurs und des Steigers mit steigendem Interesse zugehört. Jetzt erhob er sich, um das Empfangszimmer zu verlassen.
Er konnte nun von einer Unterredung mit dem Chefingenieur ganz absehen, denn der Zufall hatte es gefügt, dass er durch das belauschte Gespräch mehr erfahren hatte, als er vielleicht nach einer stundenlangen Verhandlung mit Dogson, der ein unhöflicher und sehr von seiner eigenen Wichtigkeit eingenommener Mensch zu sein schien, gewusst hätte.
Wenn ihm einer Sympathie eingeflößt hatte, so war es der Steiger, der, obgleich nur ein einfacher, wenig gebildeter Mann, einen bedeutend besseren Eindruck auf ihn gemacht hatte, als jener sich so herrisch und brutal gebärdende Beamte, der zu der sogenannten besseren Gesellschaft zählte.
Jetzt ertönte von Neuem das unangenehme Organ des Ingenieurs. „Ich werde übrigens ein Exempel statuieren, damit Ihre Kameraden wissen, woran sie sind, falls sie es wirklich vorziehen, meine Befehle nicht zu respektieren“, schrie er erbost. „Mit Ihnen als dem wahrscheinlichen Rädelsführer werde ich den Anfang machen. Ich kündige Ihnen hiermit, und Sie haben binnen acht Tagen die Grube zu verlassen. Das wird hoffentlich dazu beitragen, die erregten Gemüter Ihrer Kameraden etwas zu beruhigen“, fügte er höhnisch grinsend hinzu.
„Aber Sie gestatten, Herr Chefingenieur ...“
Das war das Letzte, was Sâr Dubnotal von der Unterredung der beiden hörte, denn er war in diesem Augenblick aus dem Empfangszimmer gegangen und schritt nun den Gang hinab, um das Haus endgültig zu verlassen.
Das Dienstmädchen, das höchstwahrscheinlich die herannahenden Schritte im Hausflur gehört hatte, kam aus der Küche heraus und machte ein äußerst erstauntes Gesicht, als sie den Fremden, den sie vor einer Weile in das Empfangszimmer geführt hatte, den Gang entlangkommen sah.
„Ich kann nicht mehr länger warten“, meinte der große Psychagoge, zu dem Mädchen gewandt. „Die Unterredung dauert mir doch etwas zu lange. Bitte sagen Sie Ihrem Herrn, dass ich ihm ein anderes Mal meine Aufwartung machen werde.“
„Könnten Sie mir nicht Tag und Stunde, wann Sie wiederzukommen gedenken, angeben, damit ich Mister Dogson davon Mitteilung machen kann?“, fragte das Dienstmädchen zuvorkommend.
„Oh, so genau vermag ich das nicht zu bestimmen, vielleicht morgen oder übermorgen.“
Bevor das Mädchen dem Besucher die Haustür öffnete, warf sie erst noch einen verstohlenen Blick in den Raum, um sich zu vergewissern, ob der Herr, der es plötzlich so eilig mit seinem Weggang hatte, nicht etwa aus Versehen irgendetwas mitgenommen hatte. Man konnte ja nie wissen ... Doch es schien sich noch alles am gewohnten Platz zu befinden, und das Mädchen zögerte jetzt nicht mehr länger, Sâr Dubnotal, dem die argwöhnischen Blicke des Mädchens wohl aufgefallen waren, aus dem Hause zu lassen.
Da die Unterredung mit dem Steiger zu einem schnellen Ende kommen konnte und der Meister nicht wünschte, zurückgerufen zu werden, entfernte er sich von der Villa des Ingenieurs mit eiligen Schritten.
Nachdem er um die nächste Straßenecke gebogen war, verfiel er wieder in ein langsameres Tempo, dann zog er ein Notizbuch aus der Tasche und blieb stehen, um scheinbar etwas darin nachzusehen. Er tat dies einesteils aus dem Grunde, um die Aufmerksamkeit von Passanten von sich abzulenken, die ihn mit neugierigen Blicken betrachteten, weil er die Villa so schnell verlassen hatte, und andernteils, um das Erscheinen des Steigers abzuwarten.
Seine Geduld wurde auf keine harte Probe gestellt. Schon nach kurzer Zeit schritt Guindleth die Stufen der zur Villa des Ingenieurs führenden Freitreppe herab. Gesenkten Hauptes und mit auf den Rücken gekreuzten Händen kam er die Straße herunter. Offenbar hatte sich der Mann seine plötzliche Entlassung sehr zu Herzen genommen.
Sâr Dubnotal ließ ihn ruhig an sich vorübergehen und folgte ihm dann in einiger Entfernung. Nachdem Guindleth mehrere Straßen des Dorfes passiert hatte, blieb er vor einem kleinen Häuschen stehen, das offenbar ihm selbst gehörte. Augenscheinlich war er unschlüssig, ob er eintreten oder aber weitergehen sollte. Dieses Zögern machte sich der Meister zunutze. Rasch hatte er den Mann eingeholt, und indem er höflich den Hut zog, fragte er: „Ich habe doch das Vergnügen, Mister Guindleth vor mir zu sehen? Ja, würden Sie mir vielleicht gestatten, einige Worte an Sie zu richten?“
Der Bergmann wandte sich um und sah den Sprecher, den er noch nie zuvor zu Gesicht bekommen hatte, von Kopf bis Fuß argwöhnisch an, und seine Miene, die sowieso schon infolge der mit dem Ingenieur geführten Unterredung sorgenvoll genug war, nahm einen noch unwilligeren Ausdruck an.
Was mochte der Fremde von ihm wollen? Er wusste genau, dass er ihn noch nie zuvor gesehen hatte. Woher konnte der Mann seinen Namen wissen?
Und so antwortete er schließlich, um überhaupt etwas auf die Frage des Unbekannten zu erwidern: „Womit kann ich dem Herrn dienen?“
„Mir sollen Sie mit gar nichts dienen“, sagte Sâr Dubnotal gelassen.
„Nun, was wünschen Sie dann von mir?“
„Ich möchte in Ihrem eigenen Interesse einige Worte mit Ihnen wechseln.“
Guindleth wusste noch immer nicht, was er von dem Fremden halten sollte. Er misstraute ihm instinktiv, und so murmelte er in verlegenem Ton: „Entschuldigen Sie, Mister, wenn ich mich nicht mit Ihnen aufhalten kann. Ich habe eine dringende Angelegenheit zu erledigen.“
„Ich werde Ihnen nur einige Augenblicke Ihrer kostbaren Zeit rauben“, erwiderte der Psychagoge lächelnd. „Auch kann ich Ihnen von vornherein versichern, dass Sie es nicht bereuen werden, mir Gehör geschenkt zu haben. Sie kommen doch soeben von einer Unterredung, die Sie mit dem Chefingenieur Dogson geführt haben – oder verhält es sich nicht so?“
Als der Steiger zögernd bejahte, fuhr Sâr Dubnotal freundlich fort: „Sie haben von mir nichts zu befürchten, Mister Guindleth. Ich bin mit der ganzen Sachlage vertraut, und um Ihren Argwohn zu zerstreuen, den Sie augenscheinlich gegen mich hegen, werde ich Ihnen auf Ihren Wunsch sofort erklären, aus welchem Grund ich so gut über Sie unterrichtet bin.“
Der Bergmann neigte leicht seinen Kopf zum Zeichen der Zustimmung, worauf ihm der Meister in aller Kürze den Zweck seines eigenen Besuchs bei Dogson auseinandersetzte und ihm dann freimütig erklärte, dass er unfreiwilliger Zeuge des Gesprächs geworden war.
Die Offenheit, mit der Sâr Dubnotal dem Steiger gegenüber sprach, machte auf den äußerst misstrauisch veranlagten Bergmann einen sehr guten Eindruck. Vielleicht ging es ihm auch wie so vielen anderen, dass er sich dem zwingenden Blick des Geisterbanners nicht entziehen konnte – und unwillkürlich das tat, was der große Gelehrte von ihm wünschte.
„Dann befinden Sie sich also nicht auf der Seite des Chefingenieurs?“, fragte der Steiger, nachdem Sâr Dubnotal seine Erzählung beendet hatte.
„Wie können Sie nur auf einen solchen Gedanken kommen, Mister Guindleth?“, gab Sâr Dubnotal pikiert zurück.
„Nun, man kann niemals vorsichtig genug sein“, erwiderte der Bergmann. „Sie glauben ja gar nicht, wie viele Spitzel und Angeber hier herumlaufen, die ihre große Freude daran haben, wenn sie einen Menschen ins Unglück stürzen können.“
„Das gebe ich gern zu, mein Freund“, entgegnete der große Psychagoge. „Ich hoffe jedoch, dass Sie meine Anwesenheit jetzt in einem ganz anderen Licht betrachten als vorhin. Wie ich Ihnen schon sagte, interessiert mich das Auftreten jener rätselhaften Erscheinung im Schacht aufs Höchste, und der Grund, weshalb ich Sie sprechen wollte, ist einfach nur der, einige Einzelheiten über die mysteriöse grüne Frau zu erfahren.“
„Ich habe nicht die geringste Lust, hiervon zu sprechen“, erwiderte Guindleth mürrisch. „Dogson hat mich aus Ärger darüber, dass ich es wagte, ihm die Wünsche der Knappschaft vorzutragen, kurzerhand entlassen. Es zieht mich zu Frau und Kind, denen ich wohl oder übel die betrübliche Nachricht mitteilen muss. Dann habe ich auch die Pflicht, sofort zu meinen Kameraden zu eilen und ihnen das Ergebnis meiner Unterredung mit dem Chefingenieur mitzuteilen.“
Sâr Dubnotal blickte für einen Augenblick nachdenklich zu Boden.
„Wir stehen uns allerdings momentan noch fremd gegenüber, Mister Guindleth“, begann er dann von Neuem. „Aber ich gebe Ihnen mein Wort, dass ich nur wohlgemeinte Absichten hege, und es freut mich, dass ich einen ehrlichen, offendenkenden Mann vor mir habe. Vielleicht werden Sie noch dem Schicksal danken, meine Bekanntschaft gemacht zu haben. Blicken Sie mir einmal voll ins Gesicht! Sehe ich etwa wie ein Angeber oder ein hinterhältiger Mensch aus?“
„Nein, gewiss nicht!“, antwortete der Steiger verlegen. „Sie haben das Aussehen eines äußerst wohlwollenden Herrn, aber ...“
„Es freut mich, das zu hören, Mister Guindleth“, unterbrach Sâr Dubnotal den Bergmann. „Da ich Ihnen, wie Sie selbst zugeben, vertrauensvoll erscheine, so bitte ich Sie, mir einen Augenblick Gehör zu schenken. Also vor allen Dingen würde ich Ihnen raten, weder Ihrer Frau von dem Unglück, das Sie betroffen hat, zu erzählen, noch Ihren Kameraden etwas von der Entscheidung des Chefingenieurs mitzuteilen. Vielleicht wendet sich noch alles zum Guten und Sie werden Ihre Arbeitsstelle nicht verlieren. Sollte dieser Fall dennoch eintreten, werde ich für Sie und die Ihren reichlich sorgen und Ihnen eine Stellung verschaffen, die vielleicht noch lohnender als die jetzige ist.“
Diese Worte Sâr Dubnotals zerstörten auch die letzten Zweifel und die letzte Spur von Argwohn, die der Bergmann noch im Grunde seiner Seele gegen den Unbekannten gehegt hatte.
„Gut“, erwiderte er schließlich. „Ich will Ihrem Rat folgen. Ich werde also vorläufig keinem Menschen etwas davon sagen, was zwischen mir und dem Chefingenieur vorgefallen ist. Wollen Sie bitte für einen Augenblick mit in mein Haus hereinkommen?“, fuhr er fort, den großen Psychagogen mit einer Handbewegung zum Eintreten einladend. „Wir können uns dort ungestörter unterhalten.“
„Darum wollte ich Sie gerade bitten“, entgegnete Sâr Dubnotal lächelnd.
Guindleth ging voran und einige Sekunden später betrat der Meister das bescheidene Heim des Bergmanns, der ihn seiner Frau als einen seiner Freunde vorstellte, wobei er allerdings das Pseudonym, dessen sich Sâr Dubnotal für gewöhnlich bediente, ziemlich verstümmelte, indem er aus Severus el Tebib Seprus Eltubig machte ...
„Bitte, nehmen Sie Platz, Mister Seprus“, sagte der Steiger, nachdem er seinen Gast in die sogenannte gute Stube geführt hatte. „Sie werden es mir doch hoffentlich nicht abschlagen, ein Glas Bier mit mir zu trinken. Frau, bring uns bitte einen Krug Ale und zwei Gläser!“, rief er in die Küche hinaus. Nach einigen Minuten erschien die Frau des Bergmanns, eine reine Schürze umgebunden, ein Tablett tragend, auf dem ein Krug schäumenden Bieres und die gewünschten Gläser standen.
Der große Geisterbanner musste wohl oder übel der für ihn etwas unangenehmen Einladung des Steigers Folge leisten, wenn er den Mann nicht beleidigen wollte – und so leerte er das Glas des für ihn so ungewohnten Getränkes, wobei der Steiger nicht verfehlt hatte, vorher kräftig gegen dasjenige des Meisters anzustoßen.
Nun setzten sie die draußen vor dem Haus unterbrochene Unterhaltung fort, wobei Sâr Dubnotal das Gespräch sogleich wieder auf die grüne Frau lenkte.
„Ihrer Unterredung mit dem Ingenieur entnahm ich, dass das Gespenst die Stollen und Gänge des Viktoria-Schachtes nur dann unsicher macht, wenn der Freitag auf einen Dreizehnten fällt?“
„Jawohl, Mister“, bestätigte der Steiger. „Und wehe dem Vorwitzigen, der an einem solchen Tag einfährt. Ich selbst bin nur wie durch ein Wunder dem Tode entronnen.“ Der Bergmann schenkte von Neuem die Gläser ein, dann fuhr er fort, nachdem er das seinige in einem Zuge geleert hatte.
„Es ist jetzt ungefähr sechs Jahre her, Mister Seprus, dass der Unfall, von dem ich Ihnen nun erzählen werde, passiert ist. Seit mehr als dreißig Jahren hatte niemand gewagt, einzufahren, wenn der Freitag auf einen Dreizehnten fiel. Alte Leute konnten sich noch erinnern, dass sich vor dieser Zeit stets Unfälle ereignet hatten, wenn an einem solchen Tage im Schacht gearbeitet worden war.
Zu jener Zeit, von der ich augenblicklich spreche, hatte die Gesellschaft ebenso wie jetzt größere Aufträge abgeschlossen. Es kursierten Kriegsgerüchte, und die Admiralität war beauftragt, große Kohlevorräte anzulegen. Um die vertragsmäßigen Lieferungen einzuhalten, war es sogar nötig, dass wir sonntags einfuhren, und als unglücklicherweise auch ein Freitag auf den Dreizehnten fiel, wurde, da die Gesellschaft doppelten Lohn für diesen Tag in Aussicht gestellt hatte, allgemein beschlossen, mit dem alten Brauch wenigstens für diesmal zu brechen.
Selbstverständlich fehlte es nicht an warnenden Stimmen, besonders unter den älteren Kollegen. Doch sie wurden von den jüngeren überstimmt, und es wurde richtig an jenem Dreizehnten eingefahren – wie an jedem anderen Wochentage. Die Folge davon war, dass die grüne Frau mit ihrer Lampe das Grubengas entzündete und ein schlagendes Wetter 153 Mann unserer Kameraden hinwegraffte.“
„Das ist ja entsetzlich“, murmelte der Meister. „Hat sich denn die Erscheinung seither wieder einmal gezeigt?“
„Darüber lässt sich nichts sagen“, erwiderte der Steiger, indem er mit den Achseln zuckte. „Sie können sich wohl denken, dass niemand von uns Lust hatte, dasselbe Schicksal zu erleiden wie unsere Kameraden, die ihren Vorwitz mit dem Leben bezahlen mussten. Wäre wiederum an einem Dreizehnten, der auf einen Freitag fiel, eingefahren worden, so hätten wir wahrscheinlich eine ähnliche Katastrophe erlebt wie vor sechs Jahren.“
„Ah, und aus diesem Grunde weigern sich Ihre Kameraden jetzt, am folgenden Freitag in die Grube einzufahren?“
„Ganz richtig, Mister. Der nächste Freitag fällt auf einen Dreizehnten, und das ist der Grund, warum wir vierundzwanzig Stunden aussetzen wollen.“
Der große Psychagoge blickte für eine geraume Weile nachdenklich vor sich hin. Schließlich sagte er: „Sind Sie vielleicht in der Lage, Mister Guindleth, mir das Äußere jener rätselhaften grünen Frau näher zu beschreiben?“