Der Bunker - Clemens Murath - E-Book

Der Bunker E-Book

Clemens Murath

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Beschreibung

UN-Sonderermittlerin Elaine Szolnay und Frank Bosman vom LKA Berlin tun sich zusammen, um den ehemaligen Warlord Remi Ekrem zur Strecke zu bringen. Szolnay will ihn für Kriegsverbrechen, die er während des Kosovo-Krieges begangen hat, Bosman wegen Drogenhandels, denn Ekrem überschwemmt Berlin über die Balkanroute mit heißem Stoff. Und nicht nur das. Als Bosman ihm zu nahe kommt, wird er vom Jäger zum Gejagten. Abgeschnitten von allen Ressourcen, muss er untertauchen, um seine Unschuld zu beweisen.

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Seitenzahl: 518

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Das Buch

In seinem zweiten Fall bekommt es Frank Bosman in Berlin mit den Kosovo-Albanern zu tun, die in der organisierten Kriminalität expandieren und ihn tief in seine eigene Vergangenheit zurückführen. Vor Jahren war er zusammen mit seinem Partner Schuster als Polizeiausbilder in Prizren stationiert, um die lokalen Einsatzkräfte auf Vordermann zu bringen. Doch die UN-Mission war zum Scheitern verurteilt. Ehemalige Warlords saßen in allen relevanten politischen Ämtern und deckten das Verbrechen. Auch UN-Sonderermittlerin Elaine Szolnay ermittelte gegen den Boss der Bosse, Remi Ekrem, dem sie vorwarf, serbische Gefangene exekutiert und deren Organe verkauft zu haben. Doch Ekrem hatte Protektion.

Jetzt holt die Geschichte Bosman wieder ein, als Elaine überraschend in Berlin auftaucht, um ihre Ermittlungen gegen Ekrem fortzusetzen. Ein neuer Zeuge belastet ihn schwer. Die Spuren führen in eine Berliner Privatklinik und zu einer Horde Rechtsradikaler, die in der Nähe der tschechischen Grenze den Umsturz plant, Jagd auf Flüchtlinge macht und in einen Bunker sperrt, der auf dem Privatbesitz eines Reichsbürgers liegt. Als Bosman und Elaine der Wahrheit zu nahe kommen, schlägt der Gegner erbarmungslos zurück.

Der Autor

Clemens Murath lebt in Berlin und hat über dreißig verfilmte und mehrfach ausgezeichnete Drehbücher geschrieben (Deutscher Drehbuchpreis für »Im Schatten des Jaguar«, Grimme-Preis Nominierung für »Es ist nicht vorbei«). »Der Libanese« war sein Krimi-Debüt und der Auftakt einer Serie mit dem Ermittler Frank Bosman vom Berliner LKA.

Clemens Murath

Der Bunker

Ein Frank-Bosman-Roman

WILHELM HEYNE VERLAGMÜNCHEN

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Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

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Copyright © 2022 by Clemens Murath

Copyright © 2022 der deutschsprachigen Ausgabe

by Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH

Redaktion: Lars Zwickies

Lektorat: Markus Naegele

Umschlaggestaltung und -motiv: Johannes Wiebel | punchdesign, München, unter Verwendung eines Motivs von zef art - stock.adobe.com

Hersteller: Udo Brenner

Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering

ISBN: 978-3-641-25619-7V002

1

Das Treffen mit Lopez in Zürich war gut gelaufen, und dennoch hat Ferris ein mieses Gefühl. Wo hatte er den Kerl bloß schon mal gesehen?

Er kommt nicht drauf, was ihn ärgert.

»Ich könnte schwören, dass ich ihn von irgendwoher kenne«, sagt er zu Remi Ekrem. »Wie er redet und sich bewegt.«

»Na und?«, sagt Ekrem.

Na und?

Ferris schaut seinen Boss an. Der fette Sack hängt im Bademantel auf der Couch vor dem überdimensionierten Flachbildschirm, wo seine türkische Lieblingssoap Suleiman Empire läuft. Die Fenster der Villa sind geöffnet, und von draußen schallt der blecherne Ruf eines Muezzins rein. Dann geht es überall in der Stadt los, ein einziges Gejaule.

Willkommen in Prizren, Kosovo. August 2019.

»Ich wette, das endet böse mit Suleiman«, sagt Ekrem und deutet mit der Fernbedienung auf die Glotze, die er etwas lauter stellt. »Sein Schwager will ihn abservieren.«

»Und ich will, dass du mit Goran redest.«

»Die Feinde lauern immer da, wo man sie am wenigsten erwartet«, sagt Ekrem. »Denk an Julius Cäsar. Das müsste Suleiman eigentlich wissen. Tut er auch, aber Fatima lullt ihn ein. Immer diese scheiß Weiber, ich sag’s dir.«

Der Typ macht ihn wahnsinnig.

Ferris kratzt über seine Bartstoppeln, in die sich das erste Grau mischt. »Hör zu, ich will morgen ein Back-up haben. Nur zur Sicherheit.«

Ekrem greift nach einem Fruchtshake auf dem Tisch, trinkt einen Schluck davon und sagt: »Ich wette, dass Fatima was mit ihrem Schwager anfängt.«

»Ruf Goran an.«

»Warum soll ich ihn anrufen?«

Es ist sinnlos, mit Ekrem zu reden. Ferris kennt dessen depressive Phasen, aber wie es aussieht, wird es von Mal zu Mal schlimmer. Selbst Mona scheint den Respekt zu verlieren, fängt an, Ferris schöne Augen zu machen. Sie spielt hier mit dem Feuer, und das sollte sie besser nicht tun.

Ferris ist ihr vorhin in der Küche begegnet, wo sie frisches Obst in dem Mixer schredderte. Sie stellte das Gerät aus und sagte: »Du bist ein gut aussehender Mann, Ferris, weißt du das?«

Was soll man darauf antworten?

»Warum hast du keine Frau und keine Kinder?«

»Hat sich noch nicht ergeben.«

»So was ergibt sich nicht, Ferris, da muss man was für tun.«

Sie lächelte ihn an. Ferris räusperte sich und sagte: »Und warum habt ihr noch keine Kinder?«

»Remi kriegt keinen mehr hoch.«

Das wollte Ferris nicht hören, obwohl er es sich schon gedacht hatte, so wie der Mann sich gehen ließ.

»Wo ist er denn?«

»Drüben im Wohnzimmer.«

Mona füllte ein Glas von dem Fruchtshake ab, schlug ein Ei rein, verrührte es und reichte ihm den Drink.

»Danke«, sagte Ferris, »aber ich mag kein rohes Ei.«

»Ist auch nicht für dich.«

Am nächsten Tag geht es los.

Die Kolonne verlässt das Anwesen, das oberhalb der Altstadt von Prizren im ethnisch gesäuberten serbischen Viertel hinter Mauern mit NATO-Draht verborgen liegt. Vorne in dem schwarzen Hummer sitzt Ekrems Leibgarde. Sie haben ihre Kalaschnikows unter den Sitzen liegen und können sicher sein, dass sie an der Grenze zu Albanien niemand kontrollieren wird. Dahinter im Mercedes folgen Ekrem und Ferris mit Luhan und dem Fahrer und dahinter dann noch einmal fünf Leute in einem schwarzen Range Rover. Einer von ihnen trägt einen Anzug und sieht nicht so aus, als hätte er sich schon jemals die Finger schmutzig gemacht. Sie werden sich um die Ware kümmern, die anderen sind für Ekrems Sicherheit zuständig. Mit der Hälfte der Männer hat er schon den Krieg gewonnen, und sie würden nicht zögern, wieder für ihn in den Krieg zu ziehen.

Nach ein paar Kilometern hält die Kolonne das erste Mal an, weil Ekrem pinkeln muss. Die Beifahrertür schwingt auf, und Luhan steigt aus. Er stellt sich ein paar Meter neben den Boss, der umständlich seinen Schwanz unter der Wampe rauspult, und schlägt seinen Blouson beiseite, sodass jeder den Griff seiner schicken Beretta sehen kann, der aus dem Hosenbund rauslugt. Sein Blick hinter der verspiegelten Ray-Ban ist vermutlich betonhart.

Aber wo ist das Publikum?, denkt Ferris.

Er macht aus seiner Verachtung für Luhan keinen Hehl. Ein Typ Mitte zwanzig mit olivfarbener Haut, die muskelbepackten Arme voller Tattoos. Auf dem Kopf trägt er sein glänzend schwarzes Haar zu einem schicken Dutt geflochten, wie eine Schwuchtel. Er scharwenzelt die ganze Zeit um Mona herum, reicht ihr das Handtuch, wenn sie in ihrem knappen Bikini perlend aus dem Pool steigt. Neulich hat Ferris beobachtet, wie er ihr den Nacken mit Sonnenmilch einrieb. Mona lag auf dem Bauch auf der Liege, ihr BH hinten geöffnet.

Kurz vor Kukës, als sie hinter der albanischen Grenze auf der neuen Autobahn durch die tiefen Bergschluchten fahren, kriegt Ekrem Hunger. Sie sind in vier Stunden mit Lopez in Durrës verabredet und haben noch drei Stunden Fahrtzeit vor sich. Eine Stunde Puffer, das ist nicht viel bei so einer Sache.

»Pass auf«, sagt Ferris zu Ekrem, »wir sind ein bisschen knapp dran, was hältst du davon, wenn wir an der Tankstelle ein paar Snacks holen?«

»Ich will keine Snacks, ich will Köfte.«

Köfte, um zehn Uhr morgens nach einem üppigen Frühstück mit Käse, Oliven, Tomaten, zwei gebratenen Eiern, Hähnchenschenkeln und Quittenkompott.

»Remi, wir sollten nicht zu spät kommen.«

»Wir kommen nicht zu spät«, sagt Ekrem und klopft dem Fahrer auf die Schulter. »Nimm die nächste Ausfahrt.«

Ferris spürt den Triumph in Luhans Augen hinter der Sonnenbrille, die ihn im Rückspiegel beobachten. Es gefällt dem Kerl zu sehen, wie Ekrem ihn hier herumkommandiert und auf seinen Platz verweist. Ferris schluckt es runter wie bittere Galle. Wer kümmert sich denn hier um alles? Wer tritt denn diesem feisten Sack ständig in den Arsch, um den Laden am Laufen zu halten? Und wer hat gestern noch mit Goran telefoniert?

Über eine holprige Straße erreichen sie Kukës, einen heruntergekommenen Ort, wo orientalischer Basar auf stalinistische Erinnerungsarchitektur trifft. Ferris weiß, wo Ekrem hinwill: zu seinem alten Kumpel Bekir Hasani, dem ein Restaurant gehört, wo schon am Vormittag Köfte neben Paprikaschoten auf dem Grill brutzelt. Ekrem wird respektvoll empfangen, so wie es sich für einen ehemaligen Kriegshelden gehört, der hier sein militärisches Rückzugsgebiet hatte, unerreichbar für die Serben. Selfies werden gemacht, tellerweise Gerichte aufgetischt, Raki ausgeschenkt, und Ekrem lässt sich feiern, als gebe es kein Morgen und keine hundert Kilo Kokain, die in Durrës auf sie warten.

Ferris schaut nervös auf die Uhr, als Shatira ihm aus Berlin über Telegram eine verschlüsselte Textnachricht mit der Adresse des Supermarktes schickt, wo die Ladung in Bananenkisten versteckt angeliefert werden soll. Wenigstens auf den ist noch Verlass. Der Junge hat gute Arbeit geleistet, hat die Libanesen weggehauen, ihre Reviere übernommen und einen Taxiservice aufgebaut, der die Endkunden direkt on demand beliefert, frei Haus ab einem Bestellwert von hundert Euro. Das Business brummt. Shatira kommt gar nicht mehr hinterher. Er braucht dringend Nachschub, und den wird er kriegen.

»Kommt jetzt«, sagt Ferris und steht auf. »Wir müssen los.«

»Hey …«, sagt Ekrem, woraufhin sich Luhans Schultern merklich anspannen. Ferris pellt ein paar Euroscheine aus seiner Hosentasche und wirft sie auf den Tisch, während er sich bei Bekir für die Gastfreundschaft bedankt. Doch Bekir nimmt das Geld und gibt es Ferris zurück. Geht aufs Haus. Remi Ekrem ist ein Held, ein wahrer Patriot und jederzeit willkommen. Ekrem nickt gerührt und steht ächzend auf.

Weitere Selfies.

Küsschen werden ausgetauscht, Hände geschüttelt, Schultern geklopft. Es dauert weitere zehn Minuten, bis alle endlich in ihren Karren sitzen und weiterfahren können.

Lopez ist schon da, als sie eine halbe Stunde zu spät in Durrës aufschlagen. Er trägt eine dunkle Sonnenbrille zum hellen Leinenanzug, schwarzes T-Shirt, goldene Halskette. Sieht aus, als wäre er direkt aus der Glotze ins Leben gestolpert, denkt Ferris, wie er so mit seinen Leuten an einem schwarzen Mercedes lehnt, dort, vor der Lagerhalle an der lauten Straße mit Geschäften, Kfz-Werkstätten und Baumärkten. Lopez schnipst seine Kippe weg, zertritt sie mit dem Stiefelabsatz und kommt auf Ferris und Ekrem zu, während Luhan sich umblickt, ob die Luft rein ist.

»Ihr seid spät dran«, sagt Lopez.

Ekrem schaut ihn aus trüben Augen an. »Wir hatten noch was zu erledigen.«

»Der Container ist schon unterwegs, er müsste gleich hier sein.«

»Gut so«, sagt Ekrem, legt Lopez den Arm um die Schulter und geht mit ihm in die Lagerhalle.

Ferris hinterher.

Klar ist der Container unterwegs, denkt er. Wer hat sich denn darum gekümmert, dass er im Hafen nicht kontrolliert wird? Und jetzt läuft er hinterher wie ein Angestellter. Was er in gewisser Weise ja auch ist. Er ist kein Ekrem, gehört nicht zur Familie. Dafür hat er seit dem Krieg immer loyal gedient. Ist das der Lohn dafür? Dass Ekrem ihn vor Luhan, dem Trottel, zurechtweist? Dass er ihn hinterhertrotten lässt wie einen Dackel, obwohl Ferris den Deal mit Lopez eingefädelt hat?

In der Halle stapeln sich Baustoffe. Zementsäcke, Folien, Dämmwolle, Dachrinnen, Rohre, Kabel und was man zum Hausbau sonst noch so alles braucht. Einer von Ekrems Männern parkt den Range Rover in der Halle mit der Schnauze zum offenen Tor. Ekrem fragt Lopez: »Wann fliegst du zurück?«

»Sobald wir hier fertig sind.«

»Nach Caracas?«

»Nein, Istanbul. Ich hab da noch was zu erledigen. Ich will ins türkische Filmbusiness investieren. Die produzieren jede Menge Soaps, die sie in den ganzen Nahen Osten bis in den Iran verkaufen, ein riesiger Markt.«

»Kennst du Suleiman Empire?«

»Nee«, sagt Lopez, und Ferris wundert sich. Will ins Filmbusiness und kennt nicht mal die Blockbuster?

»Wenn du die Leute triffst, die das machen«, sagt Ekrem, »dann sag ihnen, dass ihre Schreiber keine Ahnung haben. Suleiman müsste viel vorsichtiger sein.«

»Ja, es ist immer dasselbe mit den Drehbuchautoren. Manchmal fragt man sich, wofür sie ihre Kohle kriegen«, klagt Lopez und schaut zu dem Sattelschlepper rüber, der langsam in die Halle rollt und die Sonne verdunkelt. Scheppernd rasselt das Stahltor runter, Licht flammt auf. Der Fahrer des Sattelschleppers bleibt in seiner Kabine sitzen. Zwei von Lopez’ Leuten springen hinten auf den Wagen, zerschneiden mit einem Bolzenschneider die Plombe und öffnen den Container. Sie wuchten Obstkartons mit Bananen raus und übergeben sie Ekrems Leuten, die sie neben dem Lkw stapeln.

Keiner sagt ein Wort.

Anschließend schleppen die Jungs vier schwere Kisten raus und setzen sie vor Ekrem ab, der zu dem Mann im Anzug rüberschaut, woraufhin dieser ein Teppichmesser zieht und die Kartons öffnet. Sauber gestapelte Kokainpäckchen leuchten ihm entgegen. Er greift ein Zufallspaket aus jedem Karton heraus, ritzt die Tüten auf und häufelt ein wenig Koks aus jeder Probe auf eine saubere Glasplatte, die er aus seinem Köfferchen geholt und mit einem weichen Tuch abgewischt hat. Er leckt seinen kleinen Finger an, tunkt ihn in eine Probe, reibt sich das Pulver unter den Gaumen und schließt einen Moment lang die Augen wie ein Sommelier in Südfrankreich. Dann holt er ein braunes Fläschchen aus dem Koffer und gibt mit der Pipette ein paar Tropfen RED auf das Koks. Die weißen Kristalle färben sich hellblau und dunkeln dann nach zu einem klaren, reinen Ultramarin.

Es sind keinerlei Verunreinigungen sichtbar.

Der Chemiker schaut Ekrem an und nickt. »Das sind gut 96 Prozent Reinheit. Erstklassige Ware.«

Ein Lächeln auf Lopez’ Lippen.

Ekrem gibt ihm die Hand. »Das war der Testlauf. Das nächste Mal reden wir über das richtige Geschäft.«

»Con mucho gusto.«

Ekrem schnipst mit den Fingern Richtung Luhan, der ihm ein Smartphone reicht, mit dem er drei Millionen Euro auf das Konto überweist, das Lopez ihm nennt.

»Gracias, compadre«, sagt Lopez.

Ferris winkt seine Leute ran, die die Kartons wiegen, wieder zutapen und hinten in den Range Rover schieben. Sie werden die Ladung nach Vlores bringen, wo das Schnellboot mit den beiden 450-HP-Evinrude-Motoren bereitsteht. Von da aus sind es nur siebzig Kilometer über die Adria. Drüben in Italien sind sie auf der sicheren Seite, in der EU, wo sie keine Grenzkontrollen befürchten müssen.

Der Weg bis nach Berlin ist frei.

Ekrem schaut Lopez an und sagt: »Hör zu, was du da vorhin über das türkische Filmbusiness erzählt hast, das könnte mich auch interessieren. Ich kenne ein paar von Erdogans Leuten ganz gut. Wir sollten mal in Ruhe drüber reden.«

»Worüber?«

»Investment opportunities«, sagt Ekrem.

Sie treten hinaus ins helle Sonnenlicht. Links lehnt einer von Lopez’ Männern mit überkreuzten Armen am Mercedes. Auf der anderen Seite hat sich Ekrems Security vor dem Hummer positioniert. Sie tragen alle Sonnenbrillen, und auch Ferris zieht seine aus der Hemdtasche, als plötzlich zwei gepanzerte Vans von der Straße vor die Halle rasen, bremsen und sich querstellen. Türen fliegen auf, Sondereinsatzkräfte springen heraus, beziehen hinter den Wagen Position.

Links und rechts tauchen weitere maskierte Männer auf, über ihnen knattert ein Helikopter.

Geschrei, Gerenne, Schüsse.

Ferris sieht, wie einer seiner Leute zu Boden geht. Es ist Luhan. Ferris reißt die Arme hoch und brüllt: »Aufhören, nicht schießen, nicht schießen, Waffen runter!«

Widerwillig lassen seine Leute die Waffen fallen. Die albanische Polizei stürmt vor, legt den Gefangenen Kabelbinder an. Mit gefesselten Händen hinter dem Rücken knien sie jetzt im Staub.

Kalte Wut steigt in Ferris auf.

Er hat es geahnt, die ganze Zeit. Er sieht, wie ein Mann durch die Gruppe der maskierten Sicherheitskräfte auf sie zukommt. Er ist vielleicht Mitte vierzig, groß und schlank, und er hat helle Augen. Er erinnert ihn an jemanden, und dann weiß er es.

Fuck.

Frank Bosman bleibt vor Ekrem stehen, schaut auf ihn herab und sagt: »Hey, Remi, lange nicht gesehen.«

2

Berlin. Zwei Monate vorher

Bosman kommt aus dem Görlitzer Park und geht über die Wiener Straße rüber in die Glogauer. Ein paar Dealer hängen herum, einer hat eine Boombox dabei, aus der African Beats wummern. Mit großen Hoffnungen hatten sie sich aus Mali, Guinea und dem Senegal auf den Weg gemacht, um hier in der Hoffnungslosigkeit zu landen, die Polizei im Nacken, die Abschiebung vor Augen. Ein Obdachloser schaut seinem Hund beim Pissen zu, schön an die City Bikes. So weit, so gut, alles wie immer. Doch der Schein trügt, die Zeiten haben sich geändert.

Bosman hat Hamedi getroffen, seinen Informanten. Gestern ist ein türkischer Café-Besitzer von einem Dealer niedergestochen worden, weil er sich geweigert hatte, ihn zu bedienen. Jetzt suchen sie nach Zeugen, doch Hamedi weiß nicht viel mehr als er, die Leute halten dicht. Bosman kommt nicht weiter. Früher wusste er über alles Bescheid. Aber früher hatte hier auch ein libanesischer Clan das Sagen, den sie infiltriert hatten. Jetzt sitzen beide Aziz-Brüder im Knast, der eine wegen Mord und Drogenhandel, der andere wegen diverser Wirtschaftsdelikte. Die Geschichte wirbelte eine Menge Staub auf, als herauskam, dass die Berliner Kreditbank jahrelang Drogengelder für Aziz gewaschen hatte.

So kann’s kommen, denkt Bosman, am Ende fliegen sie alle auf. Irgendwann wird das Verbrechen so komplex, dass überall Sicherheitslücken entstehen. Und dann ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis jemand erwischt wird und das ganze Kartenhaus zum Einsturz bringt, um einen möglichst guten Deal mit der Staatsanwaltschaft für sich rauszuholen.

Und was passiert, wenn ein Machtvakuum entsteht?

Genau, es rückt ein anderer nach. In diesem Fall sind es die Kosovo-Albaner um Shatira Ekrem, die nicht nur den Görlitzer Park, sondern auch die angrenzenden Straßenzüge bis hoch zum Schlesischen Tor und dem RAW-Gelände hinter der Warschauer Brücke zu ihrem Revier gemacht haben. Damit investieren sie in eine Wachstumsbranche, denn der Zustrom hipper Metrotouristen aus aller Welt hält unvermindert an. Sie alle brauchen Stoff, um die Nächte im Kater Holzig oder dem Berghain zu überstehen, wo sonntagmorgens die Jalousien hochgezogen werden und das Partyvolk zu hämmernden Beats die ersten Sonnenstrahlen des anbrechenden Tages begrüßt.

Welcome to Berlin!

Es nervt Bosman. Es nervt ihn, dass er in den Kneipen von jungen Typen mit Bärten auf Englisch angesprochen wird. Es nervt ihn, dass da, wo das alte Café Morena war, jetzt irgendein Asian-Food-Laden eingezogen ist, der hundertste in der Gegend. Und es nervt ihn, dass überall Müll rumsteht. Es scheint Mode geworden zu sein, den Scheiß, den man zu Hause nicht mehr haben will, einfach auf die Straße zu stellen. Vollgesiffte Matratzen, kaputte Drehstühle, Mixer, Klamotten, alles raus, jemand anders wird sich schon drum kümmern. Aber vielleicht ist es ja gerade diese pittoreske Mischung aus kaputtem Slum, Orient und Hipstertum, welche die Touristen aus aller Welt anlockt, denkt Bosman. Wenn unsereins nach Neapel kommt, will er ja auch schön bröckelnden Putz und Wäscheleinen über stinkenden Gassen sehen und wäre enttäuscht, wenn da alles so in Schuss wäre wie in Görlitz oder Rothenburg ob der Tauber.

In dem ehemaligen Videoladen in der Glogauer Straße ist jetzt Achims Tafel untergebracht, eine Essensausgabe für die Verlierer und die Abgehängten, die müde und traurig durch das Leben schlurfen. Früher sah man hier nur ein paar Penner, dann kamen Leute aus Osteuropa und Flüchtlinge dazu, und jetzt trifft man immer mehr junge Mütter und Rentner, die nicht wissen, wie sie über die Runden kommen sollen. Während ein paar Kilometer nördlich am Osthafen schicke Lofts entstehen, bei denen der Quadratmeter zehntausend Euro und mehr kostet. Bosman wundert sich, wer das bezahlen kann, zumal die Wohnungen bereits verkauft sind, bevor überhaupt der erste Bagger anrollt. Der Bau von Sozialwohnungen hingegen stagniert, und Bosman ist klar, dass das nicht lange gut gehen kann. Irgendwann werden die Leute sich das nicht mehr gefallen lassen, und dann kracht es.

Als er reinkommt, begrüßt er Achim und die beiden jungen Studentinnen, die hinter der Theke stehen und Lebensmittelrationen ausgeben. Sie gehen durch das Büro in den Hinterhof, wo Achim seinen Tabak aus der Hosentasche klaubt, die langen grauen Haare aus dem faltigen Gesicht streicht und sich eine dreht.

Achim stammt aus einer Zeit, die es nicht mehr gibt. Eine Zeit, in der man noch keinen Cappuccino trank, gegen Atomkraft und den NATO-Doppelbeschluss demonstrierte und Häuser besetzte. Eine Zeit, in der Gut und Böse noch klar getrennt waren, jedenfalls, wenn man zum KBW gehörte. Auch damals war man der festen Überzeugung, dass die Welt am Abgrund steht. Das ist heute immer noch so oder schon wieder. Erst war es die Angst vor dem Dritten Weltkrieg, dann das Ozonloch, dann das Waldsterben, dann die Finanzkrise, das Versiegen des Golfstroms und jetzt der Klimawandel. Es kommt Bosman so vor, als bräuchten die Leute den Kitzel der Katastrophe, um ihrem grauen Leben einen Kick zu geben. Die Lust am Untergang scheint so alt zu sein wie der Mensch selbst. Je schlimmer das Szenario, desto lustvoller der Untergangsschauder. Aber vielleicht ist das auch nur eine sehr deutsche Sicht auf die Dinge, denkt Bosman. Die Amis oder die Chinesen scheinen da optimistischer zu sein.

»Uns wurde gekündigt«, sagt Achim und zündet seine Kippe an.

»Was?«

»Sie haben die Miete verdoppelt. Das ist die Kündigung.«

»Ist das legal?«

»Das fragst du mich? Du bist doch hier der Bulle.«

»Wann müsst ihr raus?«

»In drei Monaten.«

»Scheiße. Das tut mir leid. Ich halte die Ohren wegen was anderem auf«, sagt Bosman mit wenig Überzeugung in der Stimme.

»Brauchst du nicht, ich mach Schluss.«

Bosman ist überrascht. Okay, Achim ist Mitte sechzig, hat sich sein Leben lang für die Armen und Unterdrückten abgerackert, in Nicaragua, in Vietnam, in Angola und schließlich hier in Berlin. Er hat sich ein bisschen Ruhe redlich verdient. Aber Achim in Rente? Und was für eine Rente? Mehr als ALG II wird das nicht sein.

»Was hast du vor?«

»Keine Ahnung, aber alles hat sein Ende. Ich hab das hier ein paar Jahre gemacht, jetzt sind die Jungen dran. Ich ziehe weiter.«

Er lächelt wie ein Zen-Meister, der sein Fahrrad repariert, und Bosman denkt: Ja, er zieht weiter, wie immer. Seit er Achim kennt, zieht er weiter, von einem sozialen Projekt zum nächsten. Bosman fragt sich, wie es sich anfühlen muss, immer von unten auf das Leben zu blicken. Aber im Grunde tut er ja auch nichts anderes. Er hat es mit dem ganzen Dreck auf der Straße zu tun, wird von morgens bis abends angelogen, muss Wahrheit von Lüge, Meinung von Fakt unterscheiden. Da kann man schon mal die Orientierung verlieren.

»Ich kenne ein paar Leute auf Gomera«, sagt Achim. »Vielleicht gehe ich eine Weile da hin und chille ein bisschen.«

Bosman grinst. »Auch gut. Sag mal, gestern wurde Birol abgestochen, drüben in seinem Café.«

»Ich weiß.«

»Hast du irgendwas gehört?«

Achim hört viel. Seine Klientel rekrutiert sich zu einem nicht unerheblichen Teil aus denen, die im Park verticken oder konsumieren. Er ist nah dran am Geschehen und eine verlässliche Quelle.

»Es ging nicht bloß um einen Kaffee«, sagt Achim. »Seit die Albaner hier das Sagen haben, weht ein kalter Wind. Birol hatte Stress mit ihnen.«

»Warum?«

»Er wollte nicht, dass ihre Dealer vor seinem Laden rumhängen.«

»Weißt du, wer es war?«

»Nein.«

»Sag Bescheid, wenn du was hörst, okay?«

»Mach ich.«

Eine halbe Stunde später hält Bosman auf dem Parkplatz des Präsidiums am Tempelhofer Damm und steigt aus, als Schuster ihm entgegenkommt und zuruft: »Du hast Besuch.«

»Was für ein Besuch?«

Schuster grinst. »Überraschung.«

Er steigt in seinen Wagen. »Ich bin mal kurz weg, ein paar Empanadas holen. Willst du auch was?«

»Nee, danke.«

Bosman schaut Schuster hinterher, der sportlich Gas gibt und sich in den laufenden Verkehr auf dem Tempelhofer Damm einfädelt.

Empanadas?

Seit wann fährt Schuster los, um Empanadas zu kaufen? Irgendwas ist seltsam in letzter Zeit. Manchmal verschwindet er einfach, und keiner weiß, wohin. Hat er vielleicht eine neue Braut am Start? Bosman beschließt, später mit ihm zu reden, während er die Treppen nimmt, die Glastür zum Flur aufstößt und seine Bürotür öffnet.

Auf dem Besuchersessel in der Ecke sitzt eine elegante Frau Ende dreißig, hohe Wangenknochen, teures Kostüm. Sie hat die Beine übereinandergeschlagen und das blonde Haar hochgesteckt, so wie Bosman es immer schon mochte. Silberne Kreolen blitzen an ihren Ohrläppchen auf. Sie schaut ihn mit ihren hellgrauen Augen an und lächelt.

»Hallo, Frank.«

Bosman bleibt überrascht stehen und schließt dann die Bürotür hinter sich. »Wo kommst du denn her?«

»Aus Den Haag.«

»Siehst gut aus.«

»Danke, du auch. Ich habe Schuster vorhin noch getroffen. Er hat mir erzählt, dass ihr einen Haufen Ärger mit den Kosovo-Albanern habt.«

»Ich wette, das wusstest du schon vorher. Warum interessiert ihr euch dafür?«

Elaine schaut ihn an und sagt: »Du erinnerst dich an das Gelbe Haus?«

Wie sollte er sich nicht daran erinnern, auch wenn die Geschichte schon zehn Jahre her ist? An die staubige Gebirgsstraße voller Schlaglöcher im Norden Albaniens, die sie in ihrem weiß lackierten Land Rover Defender entlanggefahren sind, vorne auf der Kühlerhaube der Ersatzreifen. Das Emblem der Vereinten Nationen auf den Türen, die ganze Welt umrahmt von zwei Kornähren. Hinter ihnen zwei weitere Fahrzeuge mit dem forensischen Team und den Hunden. Er war damals zusammen mit Schuster als Polizeiausbilder für die EULEX – die Rechtsstaatlichkeitsmission der Europäischen Union im Kosovo – in Prizren stationiert, um die Kollegen da unten auf Vordermann zu bringen. Nur um festzustellen, dass die sich nicht auf Vordermann bringen ließen, schon gar nicht von solchen Luschen wie den Deutschen, die zu Hause schon Ärger kriegten, wenn sie einem Gefangenen mal eine langten.

Das Haus lag etwas außerhalb von Bajram Curr in dem tief eingeschnittenen Valbonatal, wo sich die Schotterstraße an einem ausgewaschenen Flussbett entlangzog. Ein Gehöft am Ende eines steinigen Weges, das man vom Tal aus gar nicht sah, grau und düster wie der Berghang dahinter. Das UCK-Kommando hatte die gefangenen Serben damals über die Grenze nach Albanien geschafft, hierher, in die Berge, wo niemand nach ihnen suchen würde. Der Zeuge konnte das Haus genau beschreiben, doch es war nicht gelb, wie er ausgesagt hatte, sondern weiß. Aber dann stellten sie fest, dass die Fassade übertüncht worden war, auch wenn der Alte, der hier mit seiner Frau wohnte, das wütend abstritt. Er sagte, dass er die Nase voll davon hatte, von den Verleumdungen und den Verdächtigungen. Sie wären schon das zweite Team, das hier rumschnüffelte. Und was hätten die anderen gefunden? Nichts. Jetzt sollten sie wieder umdrehen und sich zum Teufel scheren.

Während der Leiter der Untersuchungskommission, Dick Vanderbeg, sich mit dem Alten herumstritt, ging Bosmans Blick rüber zu den schneebedeckten Gipfeln der schroffen Berge. Er spürte die Kälte, die sich in den Spätherbst mischte, roch den Geruch von faulendem Holz und nassem Laub. Bald würde der Schnee tiefer in das Tal wandern und ein eisiger Wind wütend an den Sträuchern zerren wie ein verschmähter Liebhaber. Das Jahr ging langsam zu Ende, und wieder war es kein gutes für die Leute hier gewesen.

Er schaute zu der jungen Frau rüber, die zu Dick Vanderbegs Team gehörte. Sie arbeitete als Sonderermittlerin am ICTY – dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien – in Den Haag. Eine engagierte und ehrgeizige Mitarbeiterin, von der Dick sagte, sie würde sich wie ein wütender Hund in die Waden derjenigen verbeißen, die glaubten, sie könnten ungeschoren davonkommen. Sie hieß Elaine Szolnay. Ein Name, der zu ihr passt, dachte Bosman und blickte hinüber zu dem zeternden alten Mann in Lumpen, der offensichtlich log, und weiter zum aufgebrachten Dick Vanderbeg, dem zusehends der Geduldsfaden riss. Elaine kam zu ihm rüber und sagte, sie würden im Haus anfangen.

»Da finden Sie nichts«, sagte Bosman. »Wenn hier Leichen liegen, dann hinter dem Haus. Warum hätten sie sich die Mühe machen sollen, sie im Keller einzuzementieren?«

Er sollte recht behalten.

Die Hunde schlugen hinter dem Schafstall an. Sie organisierten einen kleinen Bagger aus dem Dorf, mit dem sie den ganzen Hof umpflügten. Sie förderten dreiundzwanzig verweste Leichen zutage. Da die Dekomposition schon sehr weit fortgeschritten war, konnten sie nicht mehr feststellen, ob den Opfern die Organe entnommen worden waren. So brachte es Bajram Curr nur zu einem weiteren Kreuz auf der Karte, wo sie die Massengräber einzeichneten – ein heruntergekommener Ort, der nach einem albanischen Freiheitskämpfer benannt worden war, der sich auf der Flucht in einer Höhle erschossen hatte. Der Mann, der in einem Gehöft weiter oben am Berg wohnte und aussagte, was er gesehen hatte, wurde später zusammen mit seiner ganzen Familie hingerichtet. So ging man mit Verrätern um. Die Spur führte zu Remi Ekrem, einem ehemaligen UCK-Kommandanten, doch der Mann war unantastbar. Als Chef des mächtigen Ekrem-Clans kontrollierte er den Südwesten des Kosovo, und als Abgeordneter im Parlament genoss er diplomatische Immunität.

Auch wenn sie an Ekrem nicht rankamen, ermittelten sie in seinem Umfeld weiter und konnten über eine Zeugin einen Arzt ausmachen, der illegal Organe transplantierte. Doch als sie Dr. Ibramovics festnehmen wollten, kamen sie zu spät. Keiner wusste, wo er sich aufhielt. Der »Schwarze Teufel«, wie die überlebenden Patienten ihn wegen seiner buschigen Augenbrauen nannten, war abgetaucht.

Bis jetzt.

»Er hat als Arzt praktiziert«, sagt Elaine, »bis er vor ein paar Wochen erkannt wurde.«

»Und wo?«

»Hier.«

»Was …?«

»In der Paracelsus-Klinik in Wannsee.«

Bosman kann es nicht glauben. Er hat nichts davon gehört. Wie kann das sein in Zeiten, in denen jeder Scheiß an die Öffentlichkeit kommt? Wer verzichtet auf eine Schlagzeile wie »Dr. Frankenstein in Privatklinik festgenommen«?

»Wir haben Stillschweigen vereinbart, um die Ermittlungen nicht zu gefährden.«

»Was so viel heißt wie: Ihr habt einen Deal gemacht.«

Elaine lächelt: »Ja, einen Kronzeugendeal.«

Klar, was sonst?

Durch das gekippte Fenster rauscht der Verkehrslärm vom Tempelhofer Damm rein. Bosman schaut Elaine an, sieht das Funkeln in ihren Augen. »Mit Ibramovics kriegen wir Ekrem dran, Frank. Nach all den Jahren.«

Ja, nach all den Jahren.

Bosman rammt die Fäuste in die Taschen seiner Jeans und geht zum Fenster. Bis heute quälen ihn die Albträume, hört er im Morgengrauen das Knattern der Rotorblätter und sieht die Bilder, die er nie hätte sehen sollen. Er schaut raus auf die Straße, auf den dichten Verkehr, dahinter das Tempelhofer Feld, wo bunte Drachen am Himmel fliegen.

»Ich dachte, der Strafgerichtshof für Jugoslawien ist 2017 aufgelöst worden.«

»Ja, aber der MICT kümmert sich um die anhängigen Verfahren. Es sind über hundert, Ekrem ist nur einer davon.«

Elaine sieht Bosmans fragendes Gesicht und fügt hinzu: »Mechanism for International Criminal Tribunals.Wir sind die Closer. Wir machen die restlichen Fälle zu.«

»Worauf wartest du dann noch?«

»Ekrem sitzt im Kosovo.«

Und der liefert nicht aus. Soll sie etwa dahinfahren, bei Ekrem anklopfen und sagen: »Hey, die Party ist vorbei, jetzt geht’s ab nach Den Haag, wo wir dir den Strick drehen!«? Oder sich auf die örtliche Polizei verlassen, für die der Kerl noch immer ein Kriegsheld ist?

Vergiss es.

So kommt sie nicht an ihn ran, das ist Bosman klar, während ihm allmählich dämmert, warum sie hier ist.

»Ihr wollt ihn doch auch«, sagt Elaine. »Ekrem überschwemmt den Drogenmarkt in Berlin.«

»Sicher«, sagt Bosman. »Aber wie stellst du dir das vor? Wie sollen wir an ihn rankommen? Wir haben im Kosovo keine polizeilichen Befugnisse mehr.«

»Nee«, sagt Elaine. »Aber in Albanien.«

»Das wäre mir neu.«

»Ist es auch.«

Wie sich herausstellt, haben die Verantwortlichen in Brüssel einen Deal mit Tirana eingefädelt. Man wird sich in den EU-Beitrittsgesprächen wohlwollend zeigen, wenn Albanien sich im Gegenzug bereit erklärt, entschlossen gegen die Organisierte Kriminalität vorzugehen und international gesuchte Verbrecher auszuliefern.

So wie Ekrem.

»Okay«, sagt Bosman, »aber wozu brauchst du mich dann? Das ist Sache der albanischen Polizei.«

»Das stimmt«, sagt Elaine. »Aber um ihn festzunehmen, müssen wir ihn erst mal über die Grenze kriegen, oder?«

3

Bosman sitzt bei Harry im Büro und sagt: »Ich brauche einen Schauspieler.«

»Was für einen Schauspieler?«

»Latino. Es geht um die Hauptrolle in einem Kartell-Set-up unten in Albanien.«

»Besteht die Chance, dass er dabei ums Leben kommt?«

»Möglich.«

»Bruce Russo«, sagt Harry sofort. Der Mann, der ihm den letzten Film ruiniert hat.

Russo war der Hauptdarsteller in einer von Harrys letzten Produktionen gewesen. Aber als dann ein Video kursierte, in dem er einer viel zu jungen Frau seinen Schwanz in den Mund schob, war er natürlich erledigt – und Harrys Film auch. Seitdem hat er mit Russo noch eine Rechnung offen.

»Der Ami?«, fragt Bosman.

»Ja.«

Harry streicht seine schütteren Haare wie ein französischer Philosoph nach hinten. Vielleicht ist er jetzt ja gekommen, der süße Moment der Rache. Die Vormittagssonne strahlt durch das große Fenster in sein Büro und wandert über die Trophäen, die seine Leistungen als Filmproduzent belegen: Urkunden, Pokale, Lolas, das übliche Zeug. An der Wand hängen gerahmte Fotos mit Größen aus dem Filmbusiness. Auf einem Bild legt Harry seinen Arm freundschaftlich um Johnny Depp. Was ein Fake ist. Er hat nächtelang mit Photoshop herumgefrickelt, um sich selber an die Stelle von Depps damaliger Freundin Amber Heard zu platzieren.

»Nein, im Ernst«, sagt Bosman. »Wir planen eine verdeckte Operation, um einen albanischen Kingpin hochzunehmen, der tonnenweise Drogen in den Norden transportiert und vom Tribunal in Den Haag wegen Kriegsverbrechen gesucht wird.«

»Was hat er getan?«

»Serbische Kriegsgefangene exekutiert, ihnen die Organe entnommen und verkauft.«

»Leck mich am Arsch.«

»Damals im Krieg vor der NATO-Bombardierung. Ekrem war als Kommandant bei der KLA, der Kosovo Liberation Army, an ethnischen Säuberungen beteiligt.«

»Und den Burschen schnappt ihr euch jetzt?«

»Das ist der Plan.«

Bosman erzählt, dass die Kosovo-Albaner nicht nur die Heroin- und Marihuana-Routen nach Nordeuropa kontrollieren, sondern dass immer mehr Koks dazukommt. Sie knüpfen direkte Kontakte zu den Kartellen in Südamerika, die ihre Container mit Bananen nach Albanien schippern, wo der Stoff in die Balkanroute eingespeist wird. Harry weiß sofort, woher der Wind weht, und sagt: »Okay, den Film habe ich schon hundertmal gesehen. Ihr stellt Kontakt zu Ekrem her und lockt ihn in einen Koksdeal, um ihn hochzunehmen.«

»Wir haben bereits den Kontakt hergestellt, jetzt brauchen wir einen glaubwürdigen Paten.«

»Bruce Russo«, sagt Harry noch einmal und klopft bekräftigend mit den Fingerknöcheln auf die Tischplatte. »Ich sag’s dir, egal, was damals geschehen ist. Seine Mutter ist Mexikanerin, er ist in Tijuana groß geworden und als Jugendlicher nach L.A. gegangen, wo er die üblichen Scheißjobs machen musste, bevor er irgendwann für Bigfoot entdeckt wurde.«

»Bigfoot?«, fragt Bosman.

»Ja, eine Mafiaserie. Er hat da den Paten gespielt, Laurenzo ›Bigfoot‹ Borboni, der sich auf eine Affäre mit einer amerikanischen DEA-Agentin einlässt. HBO, sieben Staffeln.«

»Meinst du, der würde das machen?«

»Soweit ich weiß, ist er seit der Sache mit der jungen Frau damals durch, hat nie wieder eine Rolle gekriegt. Wenn du willst, rede ich mit ihm.«

»Okay, ruf ihn an«, sagt Bosman und steht auf.

Harry gibt ihm die Hand. »Wie geht’s Britta?«

»Sie macht eine Fortbildung.«

»Siehst du, deine Frau hat Ehrgeiz.«

»Deine nicht?«

»Doch, nur an der falschen Stelle«, sagt Harry. »Aber was soll’s, ich habe sie geheiratet, also sollte ich mich auch nicht beschweren. Aber dass sie anfängt, vegan zu kochen und mir in den Ohren zu liegen, weniger zu trinken, das nervt. Mein Gott, wie ich sie hasse, diese ganzen Ökospießer.«

»Kommt doch mal wieder bei uns vorbei. Ich schmeiße den Grill an, und wir packen ein paar ordentliche Rib-Eye-Steaks drauf, wie klingt das?«

»Wie ein Angebot, das man nicht ausschlagen kann«, sagt Harry. »Ich melde mich, sobald ich mit Russo geredet habe.«

4

Bruce Russo sitzt auf dem Sofa und zerteilt ein Häufchen Koks mit einer seiner gesperrten Kreditkarten. Zumindest dafür taugen sie noch. Das Leben hat es in letzter Zeit nicht gut mit ihm gemeint. Die Anwälte der Bitch, die ihn in das Hotelzimmer gelockt hatte, waren bereit, die Anklage zurückzuziehen, nachdem er wiederum bereit war, zwei Millionen Dollar lockerzumachen. Damit war er ruiniert, aber immerhin ein freier Mann – wenn frei sein bedeutet, wie ein Paria behandelt und nicht mehr auf Partys eingeladen zu werden.

Er kann es immer noch nicht glauben, dass er ihr damals auf den Leim gegangen ist. Sie schien ihm gleich ein bisschen jung zu sein, aber sich den Ausweis zeigen zu lassen, während sie schon an seinem Hosenstall rumfummelte, kam ihm natürlich auch nicht in den Sinn.

Er zieht den Strohhalm aus seinem Gin Tonic, dem dritten heute Morgen, pustet ihn trocken, steckt sich das eine Ende in die Nase und rüsselt die zwei Linien routiniert rein. Dann schnieft er, wischt mit dem Handrücken den Rotz ab und lässt sich zurück in das Polster fallen, wo er kurz die Augen schließt, während der Druck in seinem Schädel steigt und er an das Telefonat mit Harry denkt. Was hat der ihm noch mal erzählt? Russo kann sich kaum erinnern. Er war mit kalifornischem Sonnenschein im Gesicht auf seinem Sofa aufgewacht, als sein Handy summend in Richtung Tischkante tanzte. Er brauchte eine Weile, bis er kapierte, dass Harry dran war, aus Berlin.

»Hey, Bruce«, sagte Harry. »How ya doin’?«

»Awesome«, grunzte Russo.

»Listen, I have great work for you.«

Russo kniff die Augen zusammen, die Sonnenstrahlen frästen eine Schmerzbahn durch seinen Schädel. Die letzte Bloody Mary gestern Nacht in Joes Hangoutwar ein Fehler gewesen. Es war immer der eine Drink zu viel, der einen killte.

»Well, uhm … Send the script to my agent.«

»There is no script«, sagte Harry. »This time it’s the real thing.«

What?

Wenn Russo es richtig verstanden hatte, klang das, was Harry ihm da antrug, wie eine Scripted-Reality-Show mit einem Druglord in der Hauptrolle.

No fucking way!

Er war immer noch Künstler und keine Bullenhure.

»Du bist der Beste«, sagte Harry. »Ich kenne niemanden, der einen Drogenboss so gut gespielt hat wie du in Bigfoot. Ohne Scheiß, nicht Al Pacino, nicht Joe Pesci oder Robert De Niro, noch nicht mal James Gandolfini. Das ist die Rolle deines Lebens.«

»Und wie viel wollt ihr dafür bezahlen?«

»Ich kann dir fünfzig Riesen anbieten«, sagte Harry.

»Willst du mich verarschen? Es gab Zeiten, da habe ich fünfzig Riesen am Tag gekriegt.«

»Ja, aber die sind leider vorbei.«

Asshole, dachte Russo.

»Vielleicht kann ich noch zwanzig mehr für dich rausholen, aber dann ist Schluss. Wir sind hier in Germany und nicht in Hollywood.«

»Fuck you«, sagte Russo und legte auf.

Jetzt rafft er sich ächzend hoch und schlappt durch das helle Wohnzimmer ins Bad mit den Fliesen aus Carrara-Marmor. Wenigstens das Haus in Santa Monica ist ihm geblieben, bis auf Weiteres. Er pinkelt im Stehen, geht dann zum Waschbecken und betrachtet sich im Spiegel. Er sieht beschissen aus, Augen wie Pisslöcher im Schnee, teigige Wangen, auf denen bläuliche Stoppeln wuchern. Er hat Titten gekriegt, und auf der Hüfte schwabbelt Speck. Zum Kotzen. Wo ist Bruce Russo, der Mann, von dem es mal hieß, er würde aussehen wie der junge Marlon Brando? Im Urlaub? Wie tief ist er gesunken, dass Leute wie Harry ihn ernsthaft als Lockvogel für die Bullen in Erwägung ziehen?

So geht das nicht weiter.

Nach einer eiskalten Dusche und einem Triple-Espresso, der ihn zusammen mit dem Koks nachhaltig vitalisiert, ist er schon besserer Dinge. Ab heute wird er sein Leben wieder in die Hand nehmen. Schluss mit dem ganzen depressiven Scheiß. Mach einen Strich drunter und schau nach vorne, Bruce, zeig den Arschlöchern, was in dir steckt. Er wird gleich zu Jeff Delgado fahren, seinem Agenten, um mit ihm über die Zukunft zu reden. Immerhin hat Delgado Millionen mit ihm verdient, jetzt ist es an der Zeit, ihm etwas zurückzuzahlen.

Als er in der Doppelgarage die Tür seines BMW öffnet und sich in das duftende Leder gleiten lässt, fühlt er sich stark und sicher. Er fährt gut gelaunt den Wilshire Boulevard von Santa Monica aus in Richtung Beverly Hills, wo die Delgado Talent Agency in einem modernen Bürogebäude residiert. Russo parkt in der Tiefgarage, fährt mit dem Fahrstuhl in den fünften Stock, stößt die Tür aus gefrostetem Glas auf und geht mit einem breiten Lächeln auf die Rezeption zu, während er seine Sonnenbrille absetzt und oben in die Brusttasche seiner Armani-Jacke steckt. »Hi, Shirley, wie geht’s? Ist Jeff da?«

Shirley wiegt zehn Kilo weniger, als sie müsste, und statt vor der Kamera steht sie hinter einem Empfangstresen aus poliertem Nussbaumholz und sagt mit falschem Lächeln: »Hi, Bruce. Ich fürchte, er ist in einem Meeting.«

»Kein Ding, Darling. Bring mir doch bitte einen Kaffee. Ich warte.«

»Könnte aber eine Weile dauern.«

»Ich hab Zeit«, sagt Russo und grinst. Er wird sich nicht abwimmeln lassen, schon gar nicht von so einer dürren Tussi, die glaubt, sie könne auf ihn herabschauen. Eine halbe Stunde später schaut Shirley von ihrem Platz an der Rezeption rüber und sagt: »Jeff erwartet dich jetzt.«

»Danke«, sagt Russo und steht lächelnd auf. Ohne anzuklopfen, öffnet er die Tür zu Delgados Büro und geht hinein. Sein Agent tippt auf der Tastatur herum, Blick auf den Monitor gerichtet, und sagt: »Hey, Bruce, wie geht’s?«

»Super«, sagt Russo. »Mir geht’s bestens.«

Delgado haut auf die Enter-Taste und dreht sich in seinem Bürostuhl zu ihm um. Schicker Anzug, Polo-Shirt und ein gewinnendes Lächeln. »Das freut mich. Was führt dich zu mir?«

»Business«, sagt Russo.

Delgado zieht die Augenbrauen hoch. »Was für ein Business?«

»Deswegen bin ich ja hier, um mit dir darüber zu sprechen. Ich hatte eine beschissene Zeit, das weißt du, und du weißt auch, wie ich verarscht wurde. Ich denke, ich habe genug geblutet. Es ist Zeit, nach vorne zu schauen.«

Delgado schiebt seine Zungenspitze in die Backe und denkt einen Moment lang nach, wobei es Russo so scheint, als würde er nur so tun, als denke er nach. Russo ist Schauspieler. Er erkennt, wenn es nicht echt ist.

»Es gibt kein nach vorne mehr«, sagt Delgado. »Es ist vorbei.«

Russo starrt ihn an.

What?

»Unsere Wege trennen sich hier. Ich habe getan, was ich konnte, aber du bist schlicht und ergreifend nicht mehr vermittelbar. Der Name der Agentur steht allmählich auch auf dem Spiel.«

Es dauert eine Weile, bis die brutale Botschaft in Russos Hirn eingesickert ist wie russisches Plutonium. »Du willst mich feuern?«

»Nein«, sagt Delgado, »das will ich nicht, aber ich fürchte, mir bleibt keine andere Wahl.«

»Du ziehst den Schwanz ein? Obwohl du weißt, dass ich unschuldig bin?«

»Bruce, das Mädchen war minderjährig.«

»Woher sollte ich das wissen?«

»Das ist nicht der Punkt.«

»Sie hat mich reingelegt. Sie hat das heimlich gefilmt, mit ihrem scheiß Handy, und am nächsten Tag ist sie damit heulend zu den Bullen und hat behauptet, das wäre gegen ihren Willen geschehen!«

»Tut mir leid, Bruce, es ist vorbei.«

»Was willst du mir damit sagen? Dass du mich rausschmeißt, nachdem ich dich reich gemacht habe? Was bist du für ein verdammtes Arschloch. Fuck you!«

Delgado schaut genervt aus dem Fenster.

»Fuck you!!!«

»Du musstest nicht mit ihr in das Hotelzimmer gehen, und wenn du auch nur ein Gramm Grips in der Birne hättest, dann hättest du das auch nicht getan. Oder glaubst du allen Ernstes, dass eine junge Frau dir den Schwanz lutscht, weil es ihr Spaß macht?«

Russo schweigt betroffen. Dann sagt er: »So denkst du?«

»Ja, so denke ich.«

Russo spürt, wie ihm schlecht wird. Er weiß nicht, ob das an den Bloody Marys von gestern Abend oder den Gin Tonics von heute Morgen liegt, oder daran, dass er begreift, einen neuen Tiefpunkt erreicht zu haben. Er ist endgültig raus aus dem Spiel.

Als er benommen die Tiefgarage erreicht, sieht er den roten Porsche 911 Carrera, Baujahr 1989, hinter einer Säule stehen – Delgados ganzer Stolz. Russo geht rüber zu seinem eigenen Wagen, öffnet den Kofferraum und holt einen Baseballschläger raus. Er kehrt zurück, schert sich nicht um die Überwachungskameras, sondern drischt erst die Außenspiegel des Porsche ab, zertrümmert dann die Scheinwerfer vorne und hämmert wie ein Irrer auf die Windschutzscheibe ein, die knisternd zu einem Spinnennetz mutiert. Als er wieder zu Hause ist, mixt er sich erst mal eine Bloody Mary. Zwei Stunden später stehen die Bullen vor der Tür und überreichen ihm eine Vorladung. Schwere Sachbeschädigung. Nächste Woche ist Anhörung bei Judge Thompson.

Ein paar Stunden später küsst die untergehende Sonne die roten Adobe-Dächer der Häuser um Russo herum. Er liegt völlig stoned in einem Lounge Chair an seinem trockenen Pool, in dem das Moos wuchert und die Frösche quaken. Neben ihm steht eine leere Flasche Tequila. Russo angelt nach seinem Handy, das neben ihm auf dem Boden liegt, ruft Harry an und sagt:»I’m in.«

5

Elaine kommt aus einem Schuhgeschäft in der Bergmannstraße, wo sie sich sündhaft teure Prada-Stiefeletten gekauft hat, an denen sie einfach nicht vorbeigehen konnte, als Bosman anruft und sagt, dass sie jemanden für die Rolle des Paten gefunden haben.

»Russo? Wo kommt er her?«

»Direkt aus dem kalifornischen Sonnenschein.«

Ach du Scheiße, denkt sie, als sie ihn gleich auf ihrem iPhone googelt, und sagt zu Bosman: »Das ist nicht dein Ernst.«

»Harry sagt, er ist der Beste.«

»Fragt sich nur, in welchem Department. Wir können doch nicht mit einem Sexualstraftäter zusammenarbeiten.«

»Das Gericht hat ihn freigesprochen.«

»Nein, er hat sich freigekauft«, liest sie auf ihrem Display.

»Elaine«, sagt Bosman, »der Typ ist Schauspieler. Die ticken nicht so wie du und ich. Denk an James Gandolfini, der Tony Soprano gespielt hat. Irgendwann hat er sich in New Jersey nur noch Tony nennen lassen.«

Das weiß er von Harry.

»Und was willst du mir damit sagen? Dass sie deswegen tun und lassen können, was sie wollen?«

»Hast du schon zu Mittag gegessen?«

»Nein.«

»Jeder verdient eine zweite Chance«, sagt Bosman. »Er hat genug geblutet.«

»Mir kommen die Tränen.«

»Und mir knurrt der Magen. In einer halben Stunde bei Erol?«

»Schaffe ich nicht. Um zwei.«

Sie war ein wenig nervös gewesen, als sie nach Berlin kam. Wie würde es sein, Bosman wieder gegenüberzustehen? Wie würde er aussehen, wie würde er drauf sein? Sie hatten sich seit zehn Jahren nicht mehr gesehen, jeder hatte seine Wunden geleckt. Doch als sie in seinem Büro auf ihn wartete, er durch die Tür hereinkam und sagte: Wo kommst du denn her?, als wäre es die normalste Sache der Welt, dass sie hier saß, war die alte Vertrautheit sofort wieder da. Er hat sich gut gehalten, ist etwas schmaler geworden, das Haar an den Schläfen und die Bartstoppeln am Kinn sind grau, die Falten um den Mund und unter den Augen tiefer. Doch auch sie steht jeden Morgen vor dem Spiegel und massiert ihre Hydrocreme mit den Fingerspitzen ein.

Als sie den Adana Grill betritt, ist er schon da. Er steht auf und rückt ihr den Stuhl zurecht. Sie küsst ihn zur Begrüßung auf die Wange, und sie setzen sich einander gegenüber. Sie meiden zu viel Nähe, alle beide, und das ist gut so.

»Ich habe mir mal die Karte von Nordalbanien angeschaut«, sagt Bosman. »Ich glaube, wir sollten in Durrës zuschlagen, das ist die größte Hafenstadt. Wir fädeln einen Hundert-Kilo-Testlauf ein, Übergabe am Hafen, da schlagen wir zu.«

»Wie kriegen wir den Stoff dahin?«

»Welchen Stoff?«

Elaine lehnt sich zurück und schaut ihn etwas spöttisch an. »Du meinst, der Schauspieler tut nur so, als hätte er ihn?«

»Das ist es, was Schauspieler tun.«

»Und was hast du dann in der Hand, wenn wir Ekrem festnehmen? Zwei Typen, die sich treffen und über das Wetter reden? Wie willst du beweisen, dass das Ganze ein Drogendeal ist?«

»Die Beweislage dürfte klar sein.«

»Ich bin enttäuscht, Frank. Wo ist dein Ehrgeiz?«

Bosman grinst.

Emrah Tahin, als Leiter der Abteilung OK 4 zuständig für die Bekämpfung der Organisierten Kriminalität in der Stadt, sitzt in der Kantine alleine an einem Tisch und futtert Menü drei: Pangasius-Filet mit Bratkartoffeln und Salat. Es ist nicht mehr viel los, die meisten Kollegen haben bereits gegessen, als Bosman und Schuster reinkommen. Emrah ist nicht erfreut, sie zu sehen. Er hasst es, beim Essen gestört zu werden. Warum sonst geht er wohl immer später als alle anderen? Und warum zieht er es vor, alleine zu sitzen?

Eben.

Um seine Ruhe zu haben.

Und jetzt erklären die beiden ihm hier, dass sie hundert Kilo Kokain aus der Asservatenkammer brauchen, um Ekrem eine Falle zu stellen.

»Wie bitte? Spinnt ihr?«

»Er ist einer der größten Drogenlieferanten, wir haben jeden Tag hier auf der Straße damit zu tun«, sagt Schuster.

»Der Pablo Escobar des Balkans«, sagt Bosman. »Wenn wir ihn hochnehmen, kannst du noch deinen Enkeln davon erzählen.«

Emrah traut den beiden nicht über den Weg, aus guten Gründen. Andererseits ist das Rennen um den Posten des Polizeidirektors noch immer offen. Intimfeind Kromschröder bringt sich in Stellung, da kann es nicht schaden, mit einem spektakulären Schlag gegen die Drogenmafia zu punkten.

»Wenn wir ihn bei einem Drogendeal erwischen, haben wir endlich genug, um ihn hinter Gitter zu bringen«, sagt Bosman.

Von dem Haftbefehl des Internationalen Gerichtshofs sagt er nichts. Die Lage wäre Emrah zu kompliziert, mit den Zuständigkeiten, welches Gericht über ihn urteilt, wann und in welcher Abfolge. Hat er als Erster Zugriff und kann in den Schlagzeilen glänzen, oder will der Gerichtshof den Ruhm? Also hält Bosman lieber den Mund.

»Wie wollt ihr ihn schnappen? Er hockt im Kosovo, wo die Leute ihn als Kriegsheld verehren.«

»Deshalb müssen wir ihn da rausholen.«

»Aha, vergolde meinen Tag.«

Bosman erzählt von dem Auslieferungsabkommen mit Albanien. Emrah ist überrascht. »Woher weißt du denn das?«

»Ich lese Zeitung.«

»Wir bauen einen V-Mann auf«, sagt Schuster, »der sich als Kokainhändler aus Venezuela ausgibt.«

»Wieso Venezuela? Da ist alles im Arsch, da ist Bürgerkrieg, die Leute verhungern.«

»Eben«, sagt Bosman. »Das macht es für Ekrem unmöglich, die Legende unseres Mannes zu überprüfen.«

Emrah schweigt.

»Wir chartern einen Container, verladen ihn in Belém in Brasilien auf ein Schiff, das einen albanischen Hafen anfährt, und verstecken das Koks zwischen den ganzen Bananenkisten.«

»Wieso Brasilien?«

»Weil aus dem beschissenen Venezuela kein Schiff mehr abfährt«, sagt Schuster, »und die Leute ihr Koks sowieso im Dschungel anbauen und von da aus über den Amazonas nach Belém bringen.«

Emrah lehnt sich in seinem Stuhl zurück, vor ihm das Pangasius-Filet, das kalt wird. »Ihr verarscht mich doch. Wenn ihr bei der Übergabe zuschlagt, braucht ihr doch gar keinen Stoff.«

»So läuft das nicht«, sagt Bosman. »Ekrem wird erst überweisen, wenn er die Ware gesehen und getestet hat. Das sind drei Millionen, der Verkaufswert hier auf der Straße locker das Doppelte. Da wollen wir doch wohl nicht drauf verzichten.«

»Und der Staatsanwalt auch nicht«, sagt Schuster. »Damit nageln wir ihn fest.«

Emrah starrt ihn an. »Ekrem wird da sicherlich nicht alleine auftauchen. Wie wollt ihr einen Konvoi mit hundert Kilo Kokain und einer Privatarmee aus Söldnern aufhalten und den Mann verhaften? Das müsst ihr mir mal erklären.«

Und sie erklären es ihm.

Die russischen Kasernen liegen verlassen im hellen Sonnenlicht unter deutschen Fichten, deutsches Moos an den Wänden und deutscher Efeu, der die blinden Fenster umrankt. Eine Kulisse wie in einem Endzeitthriller, denkt Bosman, als er von der Landstraße abbiegt und durch das offene Tor an den leeren Wächterhäuschen vorbei auf das Gelände fährt.

»Ich glaube, du musst da vorne links abbiegen«, sagt Schuster und deutet auf die Kreuzung vor ihnen. Unter ihnen tackern die Reifen über die Betonplatten, mit denen die Genossen seinerzeit wahlweise Straßen oder Häuser gebaut haben, als von vorne ein blauer 7er BMW um die Ecke kommt und sie mit hoher Geschwindigkeit passiert. Zwei junge Typen sitzen darin, die komisch rüberglotzen.

»Was sind das denn für Spacken?«, fragt Bosman. »Eds Leute?«

»Keine Ahnung. Bieg ab.«

Bosman biegt ab und sieht im Rückspiegel, wie der BMW hinter ihm driftend und mit rauchenden Reifen wendet.

»Kinder.«

Plötzlich detoniert vor ihm ein Sprengsatz. Rauch vernebelt die Sicht.

»Fuck!«

Bosman tritt in die Eisen, als auch schon seine Tür aufgerissen wird. Er hustet, die Augen tränen, zwei schwarz vermummte Kommandokräfte haben ihre Waffen auf seinen Kopf gerichtet, Riesengeschrei: »Runter, los, runter, runter auf den Boden!«

»Hey, ihr Arschlöcher!«

Bosman schlägt um sich, jemand packt seinen Nacken, drückt ihn mit einem Zentnergewicht runter in den Dreck, seine Arme werden nach hinten gerissen. Wie durch eine Nebelwand hört er Schreie.

»Aufhören, stopp!Abbruch!!!«

»Oh, scheiße!«

Der Druck in Bosmans Nacken lässt nach, er hebt den Blick und schaut in das Gesicht eines jungen Mannes, der einen Helm in der Hand hält, mit der anderen sein Haarnetz abzieht und seine gepflegte Mähne schüttelt. »Sorry, Mann, tut uns leid.«

Er reicht Bosman die Hand und zieht ihn hoch. Auf der anderen Seite des Wagens steht Schuster mit einem Typen, der Ed Schröder sein muss. Eins neunzig groß, mit blankem Charakterschädel wie John Malkovich. Hinter ihrem Wagen steht der BMW, der sie passiert und dann gewendet hat.

»Mann, Leute«, schimpft Ed. »Ihr könnt doch nicht einfach so losrennen ohne positive Zielidentifikation! Wie oft habe ich euch das eingeschärft. Erst bei Freigabe legt ihr los, keine Sekunde früher. Ist das denn so schwer?«

Betretene Blicke.

Tätowierte Oberarme, die Eisen biegen können. Stiernacken, die aus T-Shirts ragen. Sie halten die Helme in den Händen und sehen aus wie Schulbuben beim Anschiss. Ed starrt den Fahrer des BMW an, der hinter ihnen in einem Spin gewendet hat. »Und wie oft habe ich euch gesagt, ihr sollt die Karre nicht so hochziehen. Wir sind hier nicht im Film, verdammt nochmal. Hier wird nicht gespielt, jeder fucking move ist real! Wenn ihr das nicht in eure Birnen reinkriegt, dann wird das nichts, Männer. Es gibt kein Training, es gibt nur den Ernstfall, habt ihr das verstanden?«

»Jawoll.«

»Und du«, sagt Ed zu dem Mann mit der Mähne, »du schneidest dir erst mal die Haare, vorher brauchst du hier nicht mehr anzutanzen.«

Dann wendet er sich an Schuster und Bosman und sagt: »Sorry, Jungs, das sind die Rekruten. Ich sag euch, es wird immer schlimmer heutzutage. Von Abitur reden wir schon lange nicht mehr. Kommt rein.«

Er lässt ihnen den Vortritt in sein Büro.

Es ist funktional eingerichtet. Hier stehen immer noch die alten Sowjet-Tische und Stühle mit Plastikbezug in Ostfarben. Diverse Flaggen, Auszeichnungen, Fotos und Pokale an den Wänden. Ed deutet auf eine Sitzecke, auf der schon Honecker gesessen haben könnte.

»Was kann ich für euch tun?«

»Wir brauchen drei Leute für ein Kartell-Set-up in Albanien«, sagt Schuster. »Latinos, Bodyguards für einen Koksdealer aus Venezuela.«

»Also spanisch-südamerikanischer Hintergrund.«

»Spezifischer«, sagt Bosman. »Kolumbien, Venezuela, Mittelamerika.«

Ed schaut ihn an. »Meinst du, die Albaner können das auseinanderhalten?«

»Das weiß ich nicht, aber ich muss es auseinanderhalten können.«

»Wir wollen auf Nummer sicher gehen«, sagt Schuster.

»Okay, verstehe.«

Ed geht zum großen amerikanischen Kühlschrank und holt drei Gatorade-Flaschen raus. »Worum geht’s genau?«

Die Dosen zischen auf.

»Wir faken einen Koksdeal in Durrës, Albanien«, sagt Schuster, »um die Zielperson aus dem Kosovo zu locken, weil wir da nicht an ihn rankommen. Wir haben schon einen falschen Pablo Escobar, aber wir brauchen noch seine Sekundanten.«

»Und solche Leute habt ihr nicht beim LKA?«

»Leider nicht«, sagt Schuster. »Es mag am Social Profiling liegen oder am allgegenwärtigen Rassismus in der deutschen Polizei, aber Latinos sind bei uns tatsächlich unterrepräsentiert.«

Ed grinst und sagt: »Ich glaube, da kann ich euch helfen.«

6

Bosmans erster Eindruck von Russo: Der Mann ist stoned. Ob immer noch oder schon wieder, lässt sich bei Alkoholikern wie ihm nicht genau sagen.

Schlecht.

»Er vergisst dauernd den Text«, sagt er zu Harry und wendet die Steaks auf dem wackeligen Holzkohlegrill, den er im begrünten Hinterhof seines Berliner Mietshauses aufgebaut hat. Harry trinkt einen Schluck Weißwein und zwinkert zu Britta rüber, die mit Helen am Biertisch bei Nudelsalat und diversen veganen Speisen sitzt.

»Nina hat ihn ein Dutzend Mal durch die Routine geprügelt«, sagt Bosman. »Wann wurde er als Hector Lopez geboren, wo wurde er geboren, wie heißt seine Mutter, wie viele Geschwister hat er? Wer ist Pedro Aguila? Und Russo sagt: ›Ähm … der Typ, den ich in Calexico erschossen habe?‹ Nein, Bruce. Das ist dein Anwalt in Miami. ›Wieso heißt er Pedro Aguila? Ich habe amerikanische Anwälte.‹ Bruce, Aguila ist Amerikaner. ›Und wieso heißt er dann wie ein fucking spic?‹«

Es ist zum Verzweifeln.

»Mit dem Kostüm geht es weiter«, sagt Bosman und ahmt Russo nach. »Wie, das soll ich anziehen? Ich laufe doch nicht rum wie bei fucking Narcos!«

»Na ja«, sagt Harry. »Jetzt siehst du mal, womit ich mich jeden Tag rumschlagen muss.«

»Aber das Beste war …«, sagt Bosman, während er die zischenden Steaks mit seiner Grillzange wendet, »… als er seinen venezolanischen Reisepass gekriegt hat, fing er an, über das Passfoto zu meckern.«

»Ja, so sind sie, die Schauspieler. Es ist echt zum Kotzen. Aber hör mal, ich habe nachgedacht. Was hältst du davon, wenn ich die ganze Sache begleite?«

Bosman schaut ihn an.

»Mit einem kleinen Kamerateam, minimale Produktionskosten. Wir machen eine Doku draus, mit einer emotionalen Geschichte über einen abgehalfterten Schauspieler, der die Rolle seines Lebens spielt. Wir sind live dabei, wenn ihr Ekrem hochnehmt, Sieg der internationalen Kooperation, ein Coup für den Internationalen Gerichtshof. Mann, Frank, das ist eine Geschichte! Ich bin mir ziemlich sicher, nein, ich weiß, dass ich die gut verkaufen kann. Zehn Prozent bleiben bei dir.«

»Vergiss es«, sagt Bosman, »und hol die Teller rüber. Die Steaks sind fertig.«

»Was spricht dagegen?«

»Eine Menge.«

Dann ist es endlich so weit.

Wochen der Vorbereitung liegen hinter ihnen. Wochen, in denen Russo für ein erstes Treffen mit Ferris in Zürich auf Vordermann gebracht werden musste. Wochen, in denen Polizeipräsidentin Bäumler davon überzeugt werden musste, hundert Kilo Kokain aus der Asservatenkammer freizugeben. Wochen, in denen das Kokain in einem Container versteckt einmal über den Atlantik nach Belém und dann wieder zurückgeschippert werden musste, damit die Frachtpapiere sauber sind und Ekrem den Weg des Containers mit einem GPS-Peilsender nachverfolgen konnte. Elaine war nur sporadisch dabei. Sie hatte in Den Haag zu tun und ließ sich von Bosman über den Stand der Vorbereitung informieren. Die Telefongespräche waren informell. Sie vermieden es, persönlich zu werden.

Zwei Tage bevor die MS Seastar einlaufen sollte, war Russo alias Hector Lopez aus Caracas schon mit seinem Team im Hotel Epidamm in Durrës eingetroffen. Dort bekam er einen Anruf von Ferris, der die Sache mit dem Dispatcher im Hafen geregelt hatte: Der Container würde sofort nach dem Anlegen als einer der ersten gelöscht und auf einen Sattelschlepper verladen, der ihn in eine der zahlreichen Lagerhallen bringen würde. Russo bekam die Adresse, die Bosman gleich nach dem Anruf bei Google Maps eingab. Die Halle stand an der Straße von Durrës nach Tirana, etwa zehn Kilometer außerhalb der Stadt. Bosman rief Mihal Agolli an, den Mann, der in Albanien den Einsatz leiten würde. Als sie einen Tag später in Tirana landeten, wurden Bosman, Schuster und Elaine von einem schwarzen Van abgeholt, zusammen mit den beiden Leuten vom BKA, die ihnen zugeteilt wurden, um den Transport von Ekrem nach Berlin zu sichern. Die Chartermaschine war schon gebucht.

Jetzt sitzen alle zusammen in der Bar des Hilton Garden Inn in Tirana, einem modernen Hotelbau direkt am Gjergj Fishta Boulevard, der sich die Lana entlangzieht und nach dem Nationaldichter benannt worden ist, als Mihal Agolli hereinkommt. Bosman hat ein paarmal mit ihm telefoniert und Mails wegen der Einsatzplanung ausgetauscht, jetzt sieht er ihn zum ersten Mal. Er ist etwas kleiner, als er gedacht hat, ein drahtiger Mann Ende fünfzig in einem ausgebeulten blauen Anzug mit einem Relief albanischer Schluchten im Gesicht und einem Händedruck wie eine Notenpresse. »Mihal Agolli.«

»Frank Bosman.«

Er stellt der Reihe nach Elaine, Schuster und die beiden Kollegen vor, dann nehmen sie alle Platz, und Agolli erklärt den Einsatz: Die Lagerhalle wird eingekreist, zwei Scharfschützen sind auf dem Dach einer gegenüberliegenden Bauruine postiert.

»Sehr gut«, sagt Bosman. »Da wäre noch eine Sache.«

Agolli schaut ihn an.

»Wir dürfen erst zuschlagen, nachdem Ekrem das Geld auf unser BKA-Konto überwiesen hat. Wir brauchen das für die Beweisaufnahme.«

»Und woher wisst ihr, dass das Geld eingegangen ist?«

»Das sehen wir online.«

»Gut«, sagt Agolli. »Kein Problem.«

Dann bestellt er Raki für alle.

Auf morgen.

Zur selben Zeit liegt Bruce Russo keine dreißig Kilometer westlich von ihnen im Bademantel auf dem Bett seiner Suite im Hotel Epidamm in Durrës, die aussieht wie die Filmkulisse eines Rokoko-Schlosses, alles in dunklen Rottönen gehalten, und zappt lustlos durch die TV-Kanäle.

Nur Schrott.

Er wirft die Fernbedienung frustriert auf den Boden und leert den dritten Gin Tonic, der neben ihm auf dem Nachttisch steht. Morgen wird er die Rolle seines Lebens spielen. So hat Harry es ihm verkauft.

Für 75.000 Euro, auf die sie sich schließlich geeinigt hatten.