Der Camino hat mich gerufen - Wolfgang Rödler - E-Book

Der Camino hat mich gerufen E-Book

Wolfgang Rödler

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Beschreibung

Der Camino hat mich gerufen Begegnungen und Erfahrungen auf dem Jakobsweg Ein Pilgertagebuch Für viele Pilger ist der Jakobsweg zur wichtigsten Reise ihres Lebens geworden. Dieses Buch motiviert dazu, selber einmal auf dem Camino zu wandern.

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Seitenzahl: 223

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Für Elke, meiner treuen Camino- und Lebensgefährtin.

Sie war die Initiatorin unserer Pilgerwanderung.

Und für unsere Camino-Freunde, die wir auf dem Jakobsweg getroffen haben und die uns Einblick in ihr Leben und Denken gaben.

Inhaltsverzeichnis:

Vorwort

Der Jakobsweg

Saint-Jean-Pied-de-Port 16.4.2018

Roncevalles 17.4.2018

Larrasoana 18.4.2018

Pamplona 19.4.2018

Puente la Reina 20.4.2018

Estella 21.4.2018

Los Arcos 22.4.2018

Logrono 23.4.2018

Navarrete 24.4.2018

Nájera 25.4.2018

Santo Domingo de la Calzada 26.4.2018

Belorado 27.4.2018

Burgos 28.4.2018

Burgos 29.4.2018

Hontanas 30.4.2018

Boadillo del Camino 1.5.2018

Villalcazar de Sirga 2.5.2018

Calzadilla de la Cueza 3.5.2018

Sahagun 4.5.2018

León 5.5.2018

León 6.5.2018

León 7.5.2018

Villadangos del Paramo 8.5.2018

San Justo de la Vega 9.5.2018

Rabanal del Camino 10.5.2018

El Acebo de San Miguel 11.5.2018

Ponferrada 12.5.2018

Villafranca del Bierzo 13.5.2018

Vega de Valcarce 14.5.2018

Biduedo 15.5.2018

Samos 16.5.2018

Sarria 17.5.2018

Portomarin 18.5.2018

Palas de Rei 19.5.2018

Melide 20.5.2018

Arzua 21.5.2018

Pedrouzo/Arca 22.5.2018

Santiago de Compostela 23.5.2018

Santiago de Compostela 24.5.2018

Cee 25.5.2018

Cee 26.5.2018

Fisterra 27.5.2018

Lires 28.5.2018

Muxia 29.5.2018

Santiago de Compostela 30.5.2018

Santiago de Compostela 31.5.2018

Anmerkungen

Vorwort

Im Frühjahr 2018 sind meine Frau Elke und ich den klassischen Jakobsweg in Nordspanien gewandert. Ein Jahr später haben wir darüber einen Bildervortrag im Gemeindehaus der Martinskirche Albstadt-Ebingen gehalten, begleitet von einer Gemäldeausstellung meiner Frau, in der sie in 27 Gemälden und Zeichnungen ihre Impressionen des Caminos festhielt.

Zunächst haben wir mit rund 30 Interessenten für diese Veranstaltung gerechnet und waren völlig überrascht, dass zum Beginn unseres Vortrages der Saal bis auf den letzten Platz besetzt war. Über 100 Personen waren gekommen, was unsere kühnsten Erwartungen bei Weitem übertroffen hat.

Das große Interesse an diesem Thema und zahlreiche spätere Nachfragen zu unserer Pilgerwanderung haben den Plan reifen lassen, den Inhalt des Vortrages zu erweitern, in Buchform zu bringen und mit einem Teil der Bilder, die an dem Vortragsabend ausgestellt waren, zu ergänzen. Das Ergebnis halten Sie in den Händen.

Vielleicht werden Sie ja beim Lesen des Buches dazu motiviert, selber einmal auf dem Jakobsweg zu wandern. Es wäre auf jeden Fall einen Versuch wert, denn für viele Pilger ist der Camino zur wichtigsten Reise ihres Lebens geworden.

Albstadt, im Mai 2020

Wolfgang Rödler

Der Erlös aus dem Verkauf dieses Buches kommt dem sogenannten Spendenweg ‚alles unter einem Dach‘ zur Außenrenovierung der Martinskirche in Albstadt-Ebingen zugute.

Der Jakobsweg

Der Jakobsweg erlebt seit Jahren einen rasanten Aufschwung. Hunderttausende nehmen jedes Jahr die Mühe auf sich, diesen Weg zu gehen. Was motiviert diese Pilger? Woher kommt der Mythos dieses legendären Wanderweges?

Unter dem Namen ‚Jakobsweg‘ verbirgt sich eine Vielzahl von Wegen, die sich wie ein Spinnennetz über ganz Europa ziehen. Sie haben alle das gleiche Ziel: Santiago de Compostela.

Als klassischer Jakobsweg gilt dabei die Strecke, die als Navarrischer Weg im französischen Pyrenäenort Saint-Jean-Pied-de-Port beginnt, sich in Puente la Reina mit dem Aragonischen Weg (Ausgangsort Puerto de Samport) zum Französischen Weg vereinigt, der dann über die ehemaligen Königsstädte Pamplona, Burgos und Leon bis ans westliche Ende Spaniens führt. Über dreihundert Städte und Dörfer sind entlang dieser ziemlich genau 800 Kilometer langen Route entstanden, die zu einer der wirtschaftlichen und kulturellen Hauptschlagadern Spaniens geworden ist.

Schon in vorchristlicher Zeit galt diese Strecke als besonderer Weg, an dem sich viele heilige Stätten befanden. So hatten bereits die Kelten entlang dieses Pfades eine ganze Reihe von heiligen Hainen und Plätzen, die sie besonders verehrten, insbesondere das Kap in Finisterra, das für sie das Ende der Welt darstellte. Auch die Römer kannten die besondere Kraft dieses Weges und erstellten entlang seines Verlaufs verschiedene Tempel und Kultzeichen, so zum Beispiel am heutigen Cruz de Ferro.

In der Kathedrale von Santiago de Compostela befindet sich der eigentliche Ursprung des gesamten Jakobswegmythos – das Grab des Apostels Jakobus. Der Legende nach soll Jakobus, einer der zwölf Apostel, nach dem Kreuzestod Jesu nach Spanien gereist sein, um dort zu missionieren. Nach seiner Rückkehr sei er auf Befehl von König Herodes gefangen genommen und anschließend geköpft worden. Einige seiner Anhänger hätten dann seinen Leichnam gestohlen und in Jaffa auf ein Schiff verladen, dessen Besatzung aus unsichtbaren Engeln bestanden habe. Das Schiff sei sieben Tage über das Mittelmeer gesegelt und schließlich in Galicien bei der heutigen Hafenstadt Muxia angelandet. Dort sei der Leichnam auf einen Ochsenkarren verladen worden und an dem Ort, an dem sich die Ochsen niedergelassen haben, sollen die Gebeine des Heiligen begraben worden sein.

Das fügte sich gut! Spanien erlebte in dieser Zeit einen radikalen Umbruch. Große Teile des Landes waren seit dem Einfall der Mauren, einem islamischen Berbervolk aus Nordafrika, im Jahr 711 besetzt worden. Die ‚Entdeckung‘ des Jakobusgrabes stellte nun eine nicht hoch genug einzuschätzende Gelegenheit dar, den Spaniern und vor allem den verhassten Okkupatoren deutlich zu machen, dass Spanien ein urchristliches Land sei, denn Gott selber habe durch das Auffinden des Jakobusgrabes ein himmlisches Zeichen gegeben, dass er mittels des Heiligen seine schützende Hand über ganz Spanien halte werde. Das war natürlich Balsam für die geschundene spanische Seele. Es entwickelte sich daraus der Mythos, dass Jakobus höchstpersönlich in der Schlacht von Clavigo im Jahr 844 auf einem weißen Schlachtross reitend eingegriffen und damit den christlichen Heeren zum Sieg verholfen habe. Seither gilt er als ‚Santiago Matamoros‘, Jakobus der Maurentöter. So wird er auch noch in vielen Kirchen auf dem Jakobsweg dargestellt und verehrt. Jakobus wurde damit zur Leit- und Identifikationsfigur der Reconquista, der Zurückeroberung Spaniens von den Mauren. Der letzte maurische Herrscher wurde 1492 von den katholischen Königen Ferdinand von Aragon und Isabella von Kastilien besiegt. In der Zwischenzeit hatte sich der Jakobsweg zu einer der wichtigsten christlichen Pilgerrouten entwickelt und war gleichrangig mit den Wallfahrten nach Rom und Jerusalem.

Seine wirtschaftliche Bedeutung war entsprechend gewachsen. Zahlreiche Pilgerherbergen, Kirchen, Klöster, Hospitäler und andere Einrichtungen zur Betreuung der Pilger waren entlang des Caminos entstanden. Ganze Dörfer und Städte lebten fast ausschließlich von den frommen Wanderern, zu deren Schutz sich sogar eigene Ritterorden gebildet hatten, so etwa die Templer, die über großen Einfluss in ganz Spanien verfügten. Schätzungen gehen davon aus, dass zur Hochblüte des Caminos im Mittelalter jährlich zwischen 200.000 und 500.000 Menschen zum Jakobusgrab pilgerten. Wie viele dort tatsächlich angekommen sind, ist unbekannt, es sollen nach mittelalterlichen Berichten aber täglich bis zu 1.000 Pilger gewesen sein.

Die Bedeutung des Caminos in der damaligen Zeit unterstreicht auch eine Bulle von Papst Johannes XXII aus dem Jahr 1332, die all denjenigen die zeitweise Erlassung von Strafen im Fegefeuer versprach, die Pilgern Unterkunft und Verpflegung gewährten.

Ab dem 16. Jahrhundert begann allerdings die Zahl der Pilger drastisch zurückzugehen. Neben der Verdrängung der Mauren von der Iberischen Halbinsel spielte dabei vor allem die Reformation eine große Rolle. Luther war, wie andere Reformatoren auch, kein Freund des Pilgerns. Außerdem wirkten die brutalen Übergriffe der spanischen Inquisition abschreckend, die auch vor frommen Pilgern nicht Halt machte.

So waren zum Beispiel einige Pilger aus Bayern auf dem Rückweg von Santiago de Compostela wochenlang einer ‚peinlichen Befragung‘ (Folter) unterzogen worden, weil sie es angeblich versäumt hatten, vor dem Besuch der Kathedrale ihre Beichte abzulegen.

Zudem entwickelten andere Länder, vor allem Frankreich und Deutschland, eigene Wallfahrtsorte, die als Einnahmequellen große Bedeutung erlangten, weshalb die zuständigen Herrscher auch immer unwilliger den Pilgern, die nach Santiago wandern wollten, die dafür notwendigen Genehmigungen ausstellten. Und wieso sollte man sich auch den Gefahren einer Wanderung ins weit entfernte Galicien aussetzen, wenn man in der Heimat ebenfalls den Pilgersegen und den damit verbundenen Sündennachlass gespendet bekam?

Nach der Aufklärung und der napoleonischen Ära setzte sich in ganz Europa eine intensive Säkularisierungswelle durch. Der Sinn von Pilgerreisen wurde immer mehr in Frage gestellt und die dadurch rasant abnehmende Zahl der Pilger führte zu einem Verfall der karitativen Struktur des Jakobsweges, viele Pilgerherbergen und Hospitäler wurden aufgegeben und anderen Zwecken zugeführt oder dem Zahn der Zeit überlassen. Doch das Pilgern auf dem Camino kam nie ganz zum Erliegen.

Es war daher schon lange an der Zeit, dieser heiligen Sache wieder neuen Aufschwung zu verleihen. Man hatte das Ganze doch zu sehr schleifen lassen, seit die Gebeine des Heiligen Jakobus 1589 spurlos verschwunden sind. Damals hatte man aus Panik vor einem angeblichen Angriff des englischen Seehelden Sir Francis Drake auf das nahegelegene La Coruna und der damit verbundenen Angst, die protestantischen Briten könnten auch Santiago besetzen und die Reliquien des Apostels stehlen, diese vorsichtshalber entfernt und an einem ‚sicheren‘ Ort verborgen, den nur wenige Eingeweihte kannten. Doch versäumten diese nach dem Abzug der Engländer, die Gebeine wieder in die Kathedrale zurückzubringen. Und die waren so gut versteckt, dass man sie später nicht mehr auffinden konnte. Deshalb ließ der Erzbischof von Santiago 1879 erneut nach den Reliquien suchen – und tatsächlich entdeckte man alsbald verschiedene Skelette. Nach der Begutachtung von drei Professoren der Universität von Santiago wurde eines der Gebeine als das des Apostels Jakobus erkannt und zwar deshalb, weil an dem betreffenden Schädel an derselben Stelle ein Loch klaffte, wie es beim verlustig gegangenen Jakobus der Fall gewesen war. Die Begeisterung über den Fund war so euphorisch, dass sogar Papst Leo XIII 1884 die Echtheit der Gebeine in einer Bulle bestätigte. Dass bei späteren Ausgrabungen an gleicher Stelle eine ganze Anzahl weiterer Grablegen aus römischer Zeit entdeckt wurden, spielte dabei keine Rolle mehr. Der Volksglaube überragt und erträgt eben vieles und der Verehrung des spanischen Nationalheiligen haben solche Nebensächlichkeiten sowieso nie einen Abbruch getan.

Nach dem Zweiten Weltkrieg bekam der Jakobsweg eine zusätzliche Bedeutung als Friedens- und Versöhnungspfad. Vor allem der Besuch von Papst Johannes Paul II in Santiago d. C. im Jahre 1982 verhalf dem Camino zu einer erstaunlichen Renaissance. Bei der sogenannten Europa-Feier rief er den alten Kontinent dazu auf, seine christlichen Wurzeln wieder neu zu beleben. 1987 erklärte der Europarat den spanischen Jakobsweg zum ersten Europäischen Kulturweg und 1993 wurde er zum Weltkulturerbe der UNESCO erhoben.

Seit der Jahrtausendwende scheint die Attraktivität des Caminos wieder so hoch zu sein wie in seinen alten Tagen. Waren es 1980 am Ende der Franco-Ära kaum 200 Pilger, so stieg ihre Zahl bis 1990 schon auf knapp 5.000 jährlich, im Jahr 2000 auf über 55.000 und überschritt im Jahr 2018 bereits die 300.000-Grenze deutlich. Aus aller Welt strömen die Pilger auf dem Camino zusammen, wobei über 90 Prozent von ihnen bis dato angeben, aus religiösen oder spirituellen Gründen den Camino zu laufen.

Der Papst fasste die Bedeutung des Jakobsweges in seiner oben erwähnten Rede treffend zusammen:

„Hierher kamen Christen aus allen gesellschaftlichen Schichten, vom König bis zum ärmsten Dorfbewohner. (…) Es kamen Heilige wie Franz von Assisi und Brigitte von Schweden bis hin zu den vielen Sündern, die hier nach Vergebung suchten. (…) Die Pilgerreise nach Santiago war eines der wichtigsten Elemente, um das gegenseitige Verständnis so verschiedener Völker wie der Lateiner, Germanen, Kelten, Angelsachsen und Slaven zu fördern. Sie brachte Menschen näher zusammen, verband und einte sie. Über Jahrhunderte begegneten sich auf der Pilgerfahrt Menschen als Zeugen Christi, die sich zur Frohen Botschaft bekannten. (…)“

(Santiago Matamoros, Kathedrale von Burgos)

(Santiago als Pilger, Klosterkirche Santa Maria la Real, Nájera)

Saint-Jean-Pied-de-Port - 16.4.2018

Auf meinem Abrisskalender steht für den heutigen Tag folgender Spruch: „Manchmal geschieht es, dass ein waghalsiger Schritt ins Ungewisse uns ein Geschenk für die Zukunft gibt.“ Das Zitat stammt von einem gewissen Jorin Utzon, der mir zwar unbekannt ist, aber trotzdem hoffe ich, dass er recht hat. Wir haben den Sprung ins Ungewisse gewagt und sind tatsächlich heute Abend in Saint-Jean-Pied-de Port angekommen. Lange ist es fraglich gewesen, ob wir überhaupt starten sollen oder können.

Seit acht Monaten haben wir uns auf diesen Tag vorbereitet und schon im vergangenen Sommer damit angefangen, die notwendige Ausrüstung zu kaufen: hochwertige Rucksäcke, rückenfreundlich und von allen Seiten leicht zugänglich, bequeme Trekkingschuhe, zusammenklappbare Wanderstöcke, alles von bester Qualität und möglichst leicht. Hier sollte man nicht sparen, denn das bereut man sonst später auf der Wanderung bei jedem Meter. Wir haben angefangen, Spanisch zu büffeln, Elke täglich zwei bis drei Stunden, ich hatte schon nach einer Stunde genug. Auch das sollte sich als äußerst nützlich erweisen.

Denn, wie sich später herausstellte, können viele Spanier kein Englisch und selbst in den Hotels, in denen wir übernachteten, taten sich die meisten Empfangschefs mit Fremdsprachen schwer.

Kurz vor Weihnachten kam dann der große Schock. Ich erlitt einen Bandscheibenvorfall und musste bis Februar auf alle sportlichen Tätigkeiten verzichten. Dafür hatte ich eine Vielzahl von Terminen beim Physiotherapeuten und zur Schlingentischbehandlung.

Unser Wunsch, Anfang Mai den Jakobsweg zu beginnen, schien in weite Ferne gerückt zu sein. Doch ich hielt mich eisern an die Weisungen meines Arztes und hatte tatsächlich Erfolg. Mitte März war meine Therapie abgeschlossen und die Bandscheibe wieder an dem Ort, wo sie eigentlich hingehört. Mein Arzt gab mir daraufhin sein Okay für unsere Wanderung, aber unter folgenden Bedingungen: Ich musste ihm erstens versprechen, eine feste Rückenbandage (eine Art Korsett) während des gesamten Weges zu tragen und zweitens, mein Rucksackgewicht auf maximal acht Kilo zu beschränken. Ich sagte ihm natürlich sofort zu, seine Ratschläge auf jeden Fall zu befolgen. Das erstere war kein Problem. Bei der zweiten Bedingung hingegen musste ich einen Kompromiss eingehen. Nachdem ich nun wirklich alles weggelassen hatte, was für eine so lange Pilgerreise nicht unbedingt notwendig war, kam ich trotz aller Bemühungen beim Probewiegen nie unter 12 Kilo. Ich beruhigte mich aber mit dem Gedanken, dass das Gewicht während unserer Wanderung sowieso durch den Verbrauch der Hygienemittel abnehmen würde und man bei dem bisschen Mehrgewicht ja schließlich nicht gleich das Schlimmste befürchten müsse. Zudem haben wir ja auch nicht umsonst neben unseren regelmäßigen Besuchen des Fitness-Studios noch täglich zusätzliche Übungen zur Stärkung unserer Bauch- und Rückenmuskulatur gemacht. Ich fühlte mich also wieder fit und wir entschlossen uns kurzerhand, den Start vorzuverlegen. Anfang April buchten wir per Internet einen Direktflug von Stuttgart nach Bilbao für den 15. April. Dieser Tag kam schneller als erwartet und wir waren froh, dass es endlich so weit war. Morgens um 5.00 Uhr standen wir auf, schulterten unsere Rucksäcke und liefen die zwei Kilometer durch das noch dunkle Albstadt-Ebingen zum Bahnhof. Der Zug kam pünktlich und wir fuhren bis Reutlingen. Dort erwartete uns mein Bruder, der es sich nicht nehmen ließ, uns mit dem Auto zum Flughafen nach Stuttgart zu bringen. Kurz vor der Ankunft überraschte er uns mit folgendem Angebot: „Also ich kann euch auch wieder zurück nach Albstadt fahren. Jetzt habt ihr noch die Chance. Das ist für mich überhaupt kein Problem. Überlegt es euch gut!“. Aber für uns gab es kein Zurück mehr. Wir nahmen die Rucksäcke und verabschiedeten uns Richtung Abflugterminal. Dort mussten wir feststellen, dass Rucksäcke als Sondergepäck gelten, was für jeden 30,- Euro zusätzlich kostete.

Der Flug, der um 12.15 Uhr mit zwanzigminütiger Verspätung startete, verlief problemlos. Nur die Landung in Bilbao war extrem hart und holperig. Kein Wunder, der Flugpreis mit 80,- Euro pro Person war ja auch sehr günstig. Nachdem wir unser Gepäck abgeholt hatten, gingen wir schnurstracks zur nächsten Infostelle, wo uns gesagt wurde, dass der angefragte Bus bereits vor dem Gebäude stehe und abfahrtbereit sei. Wir hatten Glück, dass wir direkt bei der richtigen Ausgangstür waren und nur noch in den Bus einsteigen mussten, der uns in das Zentrum von Bilbao brachte. Beim dortigen Terminal lief ebenfalls alles bestens. Wir ergatterten gerade noch zwei Tickets für den letzten Bus, der an diesem Tag nach Pamplona fuhr, unserem Zwischenziel, da es keine Direktverbindung nach Saint-Jean-Pied-de-Port gab. In Pamplona mussten wir uns um eine Übernachtungsmöglichkeit kümmern, es war bereits 18.00 Uhr und die Zeit drängte. Nachdem wir bei ein paar Mittelklassehotels erfolglos nach Zimmern gefragt hatten, wurde es uns zu dumm, der Rucksack zu schwer und so entschieden wir uns, ins nächste freie Hotel zu gehen, egal was es kosten würde. Wir entdeckten in unmittelbarer Nähe das 4-Sterne Hotel Tres Reyes, gingen zur Rezeption und checkten ein, da es noch genügend freie Zimmer gab und waren erstaunt, als wir den Preis erfuhren – er lag nur unwesentlich höher als bei den niederklassigeren Hotels.

Nun wollten wir noch etwas gegen unseren Hunger tun und marschierten in die Altstadt, um ein passendes Restaurant zu suchen. Es war Sonntag, die Gaststätten übervoll und extrem laut, somit nicht das, was wir jetzt wollten. Also kauften wir im nächsten Lebensmittelladen für unser Abendessen ein: Baguette, Käse, Schinken und zwei große Flaschen Wasser und verzehrten das Ganze in unserem Hotelzimmer – schmeckte auch gut und es war absolut ruhig. Nicht ganz so ruhig war es während der Nacht. Gegen 3.30 Uhr wurden wir durch einen Höllenlärm aufgeschreckt. Die Müllabfuhr leerte unter unserem Zimmer die Müllcontainer des Hotels und es mussten derer unendlich viele gewesen sein, nach der Dauer des Lärms zu schließen. Wir fanden nur noch schwer in den Schlaf zurück und blieben deshalb bis 9.00 Uhr liegen, da unser Bus erst um 13.30 Uhr losfuhr. Wir genossen das gute Frühstück, wohlwissend, dass es in den Unterkünften auf dem Camino oftmals keines geben würde.

Danach besuchten wir die berühmte Kathedrale und das daran angeschlossene Museum, beides unbedingt empfehlenswert. Nun wurde es langsam Zeit, zum Busbahnhof zu gehen. Aber irgendwie fanden wir diesen nicht mehr und baten deshalb einen älteren spanischen Herrn, der uns auf der Straße entgegenkam, um Auskunft. Er sprach gepflegtes Englisch und so war die Unterhaltung mit ihm kein Problem. Er sagte, dass er uns zum Busbahnhof begleiten werde, da dieser unterirdisch sei und deshalb nicht ganz leicht zu finden. Er fragte nach, wohin wir fahren wollten. Und als wir ihm den Zielort nannten, empfahl er uns, von hier aus zu starten, was ohnehin viele Pilger machen würden, denn in Pamplona beginne schließlich der eigentliche Camino Frances und wir könnten uns drei anstrengende Tagestouren ersparen. Wir wussten das, aber wir wollten den gesamten klassischen Camino vom Anfang bis zum Ende laufen. Außerdem, gab er uns zu bedenken, sei das Wetter in den vergangenen Wochen sehr schlecht gewesen, es habe viel geschneit und die Pässe seien deswegen bis dato gesperrt. Erst gestern sei eine Pilgerin, die trotzdem versucht habe, über die Pyrenäen zu laufen, abgestürzt und hätte mit einem Hubschrauber geborgen werden müssen. Wir wussten aber aus den Nachrichten, dass sich das Wetter bessern sollte und beschlossen deshalb, trotz aller Warnungen, an unseren Plänen festzuhalten. Und wenn es doch nicht gehen sollte, könnten wir ja immer noch mit dem Bus wieder zurück nach Pamplona fahren. Er verstand das und führte uns weiter.

Der freundliche Herr begleitete uns bis zum Fahrkartenschalter, stellte sich mit in die Warteschlange und blieb so lange, bis wir die Tickets in der Tasche hatten. Dann verabschiedet er sich sehr höflich und sagte, für ihn sei es eine Freude gewesen, dass er uns Pilgern habe helfen können. Wir waren berührt über so viel Hilfsbereitschaft und bedankten uns entsprechend. Eine gute halbe Stunde seiner Zeit hatte der Spanier für uns geopfert, wahrliche keine Selbstverständlichkeit. Wir erfuhren später, dass es insbesondere für ältere Spanier immer noch eine Art heilige Verpflichtung sei, Pilgern zu helfen. Ein äußerst lobenswerter Brauch, den wir sehr zu schätzen wussten.

Wir gingen zu dem Busplatz, der für Saint-Jean ausgewiesen war und trafen dort auch gleich die ersten Pilger, erkennbar an den Jakobsmuscheln, die sie an ihren Rucksäcken angebracht hatten. Es ergaben sich sofort erste Gespräche, jeder stellte sich mit dem Vornamen vor und sagte, woher er komme, bis wohin er wandern wolle und man war mit allen per Du. Uns erstaunte die große Offenheit, die von Anfang an unter den Pilgern herrschte. So gab Wolfgang aus Gütersloh an, dass er in fünf Wochen die 800 Kilometer nach Santiago laufen wolle und Carlos aus Kolumbien wollte die Strecke in 30 Tagen schaffen, da er nicht mehr Urlaub zur Verfügung hatte. Wir sagten, dass wir keiner Zeitbeschränkung unterliegen würden, aber uns vorgenommen hätten, den Camino in 40 Tagen zu je 20 Kilometer zu laufen. Dann kam auch schon der Bus, wir verstauten das Gepäck und stiegen ein. Vor dem Losfahren erklärte der Busfahrer in lautstarkem Spanisch und, damit es auch alle verstehen konnten, mit eindrucksvoller Mimik und Gestik, dass uns eine sehr kurvenreiche Fahrt von ca. zweieinhalb Stunden erwarte, auf der es manchem Fahrgast so schlecht werde, dass er sich übergeben müsse. Und um seinen schön geputzten Bus zu schonen, bot er jedem Fahrgast eine Spezialtüte für alle Eventualitäten an. Ich lehnte, wie die meisten anderen auch, dankend ab. Elke ließ sich eine geben, für alle Fälle.

Die Fahrt war dann doch kurvenreicher als gedacht und mit den vielen Abbremsungen und Beschleunigungen nicht ganz so problemlos für die sensiblen Mägen einiger Mitreisender, so dass diese die Notbeutel ihrem eigentlichen Zweck zuführen mussten. Dadurch wurde es mir schließlich auch ganz flau im Magen und ich war froh zu wissen, dass Elke eine entsprechende Tüte parat hatte – nur für alle Fälle. Ich konnte aber das Schlimmste gerade noch verhindern. Am späten Nachmittag kamen wir endlich in Saint-Jean-Pied-de-Port an, dem Ausgangspunkt unserer Pilgerreise, ein schöner mittelalterlicher Ort, der sich an einen Osthang der Pyrenäen schmiegt. Wir mühten uns die steile Hauptstraße hinauf zur Stempelstelle, wo wir freundlich empfangen wurden. Diese wird ausschließlich von ehrenamtlichen Helfern betreut, die einen Teil ihres Urlaubs opfern, um sich um die ankommenden Pilger zu kümmern. Ein netter Holländer händigte uns einen ‚Tourenplaner‘ für den Camino aus und drückte uns den ersten Stempel ins Credencial, den offiziellen Pilgerausweis, den wir uns zu Hause für dreizehn Euro hatten zuschicken lassen, was völlig unnötig war, denn hier gab es ihn ohne große Formalitäten und für nur zwei Euro. Eine gewisse Freude bemächtigte sich unser, denn nun war quasi der Startschuss für unsere Wanderung gegeben. Wir fragten den Holländer, ob er uns eine Unterkunft empfehlen könne. Er entgegnete, dass ihm Empfehlungen solcher Art nicht erlaubt seien, aber er werde nebenan fragen, ob die Nachbarin noch etwas frei habe. Er ging mit uns zum Nebenhaus, öffnete die Tür und rief nach Madame Marie, einer mindestens 80 Jahre alten, aber immer noch sehr rüstigen Dame, die auch sogleich erschien und uns ein äußerst günstiges Zimmer anbot, mit Dusche und Toilette, die sich allerdings auf dem Außenbalkon befanden und auch für die Bewohner der anderen vier Zimmer zur Verfügung standen.

Unser Zimmer atmete den Charme des 19. Jahrhunderts, die Möbel waren entsprechend alt, die Matratzen wahrscheinlich ebenso. Egal, wir hatten eine Übernachtungsmöglichkeit und als Pilger sollte man nicht zu wählerisch sein. Wir legten unsere Sachen ab und gingen hinunter in das Städtchen, um uns dort etwas umzusehen und uns mit Lebensmitteln und Getränken für das Abendessen und den ersten Wandertag zu versorgen. Auf dem Balkon vor unserem Zimmer genossen wir das Abendbrot, zu dem uns Hauswirtin Marie eine ganze Flasche Rotwein spendierte, der hervorragend zum Baguette und dem französischen Käse passte, während es draußen langsam dämmerte und sich die Kälte eines Aprilabends in den Pyrenäen ausbreitete. Wir beschlossen deshalb, rechtzeitig ins Bett zu gehen, um für den nächsten Tag fit zu sein. Auf den abendlichen Duschgang verzichteten wir, weil die ‚Dusche‘ sich in einem halboffenen Bretterverschlag im Freien befand und die Außentemperatur nur wenig über dem Gefrierpunkt lag. Aber zum Schlafen kamen wir nicht so richtig, weil uns die Uraltmatratze immer wieder zurück in die extrem ausgelegene Kuhle zwängte, zudem alle paar Minuten einer unserer Zimmernachbarn die Toilette aufsuchte, die sich auf dem Balkon direkt neben unserem einglasigen und undichten Fenster befand, durch das man jedes Geräusch hören konnte und wir außerdem doch eine gewisse Anspannung vor dem hatten, was uns am nächsten Tag bevorstehen würde.

(Saint-Jean-Pied-de-Port, Originalgröße: 30 x 40 cm, Acryl)

Roncevalles - 17.4.2018

Es geht entlang der ‚Route Napoleon‘, wo überall gelbe Pfeile und Jakobsmuscheln auf blauem Grund ins Auge fallen, die uns den gesamten Jakobsweg als Wegzeichen begleiten werden. Nach acht Kilometern steilem Anstieg erreichen wir die erste Bar in der Auberge Orisson. Es ist bereits 10.00 Uhr und die Sonne strahlt bei frühsommerlichen Temperaturen. Wir machen eine Pause, zumal es die einzige Bar auf der heutigen Strecke ist. Ich kaufe Bier und Kaffee, wir setzen uns an einen freien Tisch und genießen das erste Vesper auf dem Camino mit herrlicher Sicht auf das Tal und Sain-Jean-Pied-de-Port.

Bis hierher verlief alles reibungslos, nur an meinen Fersen macht sich ein dumpfer Schmerz bemerkbar. Ich ziehe also meine Wanderschuhe und die Socken aus, um dem Übel auf den Grund zu gehen. Ganz erstaunt muss ich feststellen, dass sich bereits dicke Blasen an meinen beiden Fersen gebildet haben. Dabei hatte ich noch nie in dieser Hinsicht Probleme und habe beim Kauf der Trekkingschuhe auf sehr gute Qualität geachtet und sie auch eingelaufen. Glücklicherweise befinden sich in meiner Reiseapotheke Blasenpflaster, die jetzt eben zum Einsatz kommen müssen. Der Wanderpulk hat sich mittlerweile aufgelöst und einige Mitwanderer bleiben tatsächlich schon in Orisson, um dort zu übernachten. Wir wandern weiter steil bergauf und können bald die ersten Pyrenäengeier sehen, die mit ihrer bis zu zwei Meter großen Spannweite elegant über einer Felsgruppe kreisen, auf deren Spitze eine Marienstatue steht, zu deren Füße Pilger Münzen, Jakobsmuscheln und andere Andenken abgelegt haben.