2,99 €
Dieses E-Book ist Teil einer zwölfbändigen Reihe, die die Geschichte des deutschen Films anhand der Sammlungsbestände der Deutschen Kinemathek von den Anfängen im Jahr 1895 bis zur Gegenwart dokumentiert. Jeder Band im ePUB-Format konzentriert sich auf eine Dekade und bietet einen prägnanten Überblick über die filmischen Meisterwerke und Meilensteine dieser Epoche, beleuchtet berühmte und wiederzuentdeckende Filme und würdigt das Kino, sein Publikum und die kreativen Köpfe hinter der Vielfalt des deutschen Films. Das Gesamtwerk, das über 2.700 Objekte aus allen Sammlungsbereichen umfasst und sich über 130 Jahre erstreckt, ist zudem als gedrucktes Buch und als PDF in deutscher und englischer Sprache erhältlich. DIE DEUTSCHE KINEMATHEK zählt zu den führenden Institutionen für die Sammlung, Bewahrung und Präsentation des audiovisuellen Erbes. In ihren Archiven werden dauerhaft Hunderttausende von Objekten erhalten und für die film- und fernsehgeschichtliche Forschung zur Verfügung gestellt. Die Bestände umfassen neben Drehbüchern, Fotos, Plakaten, Kostümen und Entwürfen unter anderem auch filmtechnische Geräte. Die Kinemathek kuratiert Filmreihen und Ausstellungen, sie restauriert und digitalisiert Filme. Ihre vielfältigen Angebote, darunter Installationen, Publikationen, Vermittlungsformate und Konferenzen, laden zur Entdeckung der Welt bewegter Bilder ein.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 56
Einleitung
Der Weg zum modernen Kinoprojektor
Die Brüder Lumière in Deutschland
Die Brüder Skladanowsky
Der Erfinder und Unternehmer Oskar Messter
Guido Seeber und die „Lebenden Riesenphotographien“
Vom Wanderkino zum ortsfesten Kino
Filmaufnahmen von Guido Seeber bei der Verabschiedung von Soldaten durch Kaiser Wilhelm II.
Gerhard Lamprecht (I/II): Sammler in der Frühzeit des Kinos
Insert:Der Untergang der Jeannette
Gerhard Lamprecht (II/II): Vom privaten Sammler zur Kinemathek
Kaiser Wilhelm II. im Film
Der Hauptmann von Köpenick und spätere Fassungen
Der Film ist ein Kind des 19. Jahrhunderts und eine Frucht der Industrialisierung. Er traf auf Gesellschaften, die radikale Umbrüche erfuhren. Die Bevölkerung im Deutschen Reich betrug 1871, im Jahr der Reichgründung, 41 Millionen und wuchs bis 1900 auf 56 Millionen an. Die Lebensverhältnisse großer Teile der Bevölkerung veränderten sich in diesem Prozess einschneidend, die Urbanisierung schritt mit großer Dynamik voran. In Berlin wuchs die Einwohnerzahl im genannten Zeitraum von 900 000 auf 1,89 Millionen, in Hamburg von circa 250 000 auf über 700 000, in München von circa 150 000 auf knapp 500 000. Die Großindustrie bedurfte eines Heeres von Arbeitern und Arbeiterinnen, die in Sechs-Tage-Wochen schufteten, noch vergeblich den Acht-Stunden-Tag forderten, der erst in der Weimarer Republik verbindlich wurde, und in Mietskasernen in oft unzumutbaren Wohnverhältnissen lebten.
1 Ladenkino „Das lebende Bild“, Bahnhof Frankfurter Allee, Berlin um 1903
Das Tempo des Lebens veränderte sich. Elektrisches Licht erhellte die Wohnungen der Begüterten, die neuen Warenhäuser und, neben den Gaslaternen, auch schon Straßen und Plätze. Tonwalzen und Grammofon ermöglichten die Aufzeichnung von Musik und Sprache, Telegraf und Telefon die Kommunikation über riesige Entfernungen hinweg, erste Unterwasserkabel verbanden die Kontinente, die Eisenbahn hatte auch abgelegene Gegenden erschlossen und den Austausch zwischen den Metropolen beschleunigt. Im Jahr 1900 flog erstmals ein Zeppelin von Friedrichshafen aus über den Bodensee, und 1909 stellten Wilbur und Orville Wright auf dem Tempelhofer Feld in Berlin ihr Motorflugzeug vor.
Den damaligen Zeitgenossen war der Umbruch, den sie erlebten, bewusst. Ihre Umwelt erzwang eine Wahrnehmung, die der Eindrucksfülle gewachsen war. Nervosität wurde zum Stichwort, um das Leben in den Metropolen zu kennzeichnen.
Die Erfindung der bewegten Bilder war zunächst nur ein weiterer Aspekt des modernen Alltags, faszinierend als technische Innovation, interessant als neues Erlebnis. Schon bald aber erwies sie sich zugleich als fähig, die neuen Lebensverhältnisse besser als alle anderen Medien wiederzugeben. Viele Forscher, Erfinder und auch schon Unternehmer hatten sich der Herausforderung der Bewegungswiedergabe gewidmet. Das Know-how der Chronofotografie, die Konfektionierung lichtempfindlicher fotografischer Streifen (Filme) und Konzepte der Unterhaltungsbranche flossen in die Entstehung des neuen Mediums ein. Es vermittelte die Sensation der Wiedergabe physischer Realität und bot sich zugleich von Anfang an dem konsumierenden Blick eines oft enthusiastischen, Zerstreuung suchenden Publikums dar. Binnen 15 Jahren erreichte es die Menschen weltweit und bildete sich zu einer Institution aus, die, alltäglich geworden, einem Publikum aller Schichten und jeden Alters Abwechslung, Entspannung sowie Information bieten konnte. Aus den Versuchen der Pioniere entstand eine Industrie; es bildete sich, was wir heute als Film und als Kino kennen.
Auf die Bewegungswiedergabe war das Publikum schon durch diverse Apparaturen vorbereit. Sie hießen Wunderrad (Phenakistiskop), Wundertrommel (Zoetrop) oder Mutoskop und nutzten das Trägheitsmoment des Auges, das einzelne Eindrücke nur bis zu einer bestimmten Frequenz als getrennt wahrnimmt, um mit Phasenbildern eine Scheinbewegung zu erzeugen. Pioniere wie Eadweard Muybridge, Étienne Jules Marey und Ottomar Anschütz widmeten sich der Analyse realer Bewegungen mit fotografischen Techniken. Die Aufnahmen rasch hintereinander vorzuführen und damit den Eindruck einer kontinuierlichen Bewegung zu erzeugen, war ein folgerichtiger Schritt. Muybridge gelang dies mit dem Zoopraxiskop, einem stroboskopischen Apparat, in dem die Phasenaufnahmen mittels einer Glühlampe durch einen Schlitz projiziert wurden. Ottomar Anschütz führte im November 1894 erstmals öffentlich „bewegte Bilder“ mit seinem „Projektions-Schnellseher“ vor, der ebenfalls auf getrennten Einzelaufnahmen beruhte – das heißt, nicht bereits auf einem Träger kontinuierlich hintereinander belichteter Bilder. Die Einzelphasen waren auf einer Scheibe angebracht, womit ihre Anzahl, wie bei früheren Verfahren auch, begrenzt war.
2–4 Bildbetrachter Mutoskop, um 1900
Gehäuse und Innenansicht
Schon 1891 hatte William Kennedy Laurie Dickson, der als Ingenieur für Thomas Alva Edison arbeitete, Aufnahmen auf Zelluloid realisiert und mit dem Kinetoskop ein Gerät erfunden, mit dem der Film in Endlosschleife jeweils einer Person vorgeführt werden konnte. Der Filmbetrachter verbreitete sich auch in Europa. In Deutschland sicherte sich Ludwig Stollwerck, Schokoladenfabrikant und Hersteller etlicher Automaten, die Lizenz.
Filmaufnahmen gelangen auch anderen Pionieren: Louis Le Prince eine sehr kurze Einstellung schon 1888, Birt Acres und auch die Brüder Skladanowsky filmten ihre ersten Bewegtbilder 1894. Letztere zielten als erfahrene Schausteller auf eine Präsentation vor großem Publikum. Mit ihrem Bioskop zeigten sie ab dem 1. November 1895 im führenden Berliner Varietétheater Wintergarten sogenannte lebende Bilder. Einen Monat lang beschloss ihre Vorführung die Abendvorstellung. Die einzelnen Sujets zeigten artistische oder sportliche Leistungen; das Programm folgte also in Aufbau und Inhalt dem Modell der Nummerndramaturgie.
Die Apparatur der Skladanowskys war jedoch technisch nicht ausgereift und gegenüber dem von den Brüdern Lumière entwickelten Cinématographe nicht konkurrenzfähig. Mit der ersten öffentlichen Präsentation ihrer Filme am 28. Dezember 1895 in Paris setzte der eigentliche Siegeszug des Mediums ein. Wieder war es Ludwig Stollwerck, der die Neuerung ins Deutsche Reich brachte: Am 16. April 1896 fand die erste Vorführung in Köln statt, gefolgt von Präsentationen in anderen Städten und auf Gewerbeausstellungen in Berlin und Stuttgart.
Auf Präsentationen im Kontext von Apparate-Ausstellungen folgten bald regelmäßige Aufführungen, wobei sich zwei Varianten herausbildeten. Eine folgte dem Beispiel der Skladanowskys und präsentierte in Varietétheatern Zusammenstellungen kurzer Streifen zum Abschluss des Programms. Oskar Messter bespielte so ab September 1896 das Apollo-Theater in Berlin, andere Varietés folgten. Diese Theater besaßen hohes Sozialprestige, zahlten gut und boten eine kontinuierliche Absatzbasis. finale Nummer durften die Filmdarbietungen nicht allzu lang ausfallen, die Einzelfilme blieben daher sehr kurz. Ein häufiger Programmwechsel war unabdingbar, um dem Publikum stets etwas Neues zu bieten. Nach Schätzung der Filmhistorikerin Corinna Müller lieferte Oskar Messter für seine Varieté-Engagements zwischen 1900 und 1906 2000 bis 3000 Filme, von denen er die meisten selbst produzierte. Andere Produzenten, die diese vergleichsweise elitären Abspielstätten bedienten, waren Karl A. Geyer, Jules Greenbaum und Alfred Duskes.
5 Plakat für H. Knauth‘s Cinémato-Gramo-Theatre, in dem Tonbilder vorgeführt wurden, um 1906