Der deutsche Film. Band 3: 1920-1929 -  - E-Book

Der deutsche Film. Band 3: 1920-1929 E-Book

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Beschreibung

Dieses E-Book ist Teil einer zwölfbändigen Reihe, die die Geschichte des deutschen Films anhand der Sammlungsbestände der Deutschen Kinemathek von den Anfängen im Jahr 1895 bis zur Gegenwart dokumentiert. Jeder Band im ePUB-Format konzentriert sich auf eine Dekade und bietet einen prägnanten Überblick über die filmischen Meisterwerke und Meilensteine dieser Epoche, beleuchtet berühmte und wiederzuentdeckende Filme und würdigt das Kino, sein Publikum und die kreativen Köpfe hinter der Vielfalt des deutschen Films. Das Gesamtwerk, das über 2.700 Objekte aus allen Sammlungsbereichen umfasst und sich über 130 Jahre erstreckt, ist zudem als gedrucktes Buch und als PDF in deutscher und englischer Sprache erhältlich. DIE DEUTSCHE KINEMATHEK zählt zu den führenden Institutionen für die Sammlung, Bewahrung und Präsentation des audiovisuellen Erbes. In ihren Archiven werden dauerhaft Hunderttausende von Objekten erhalten und für die film- und fernsehgeschichtliche Forschung zur Verfügung gestellt. Die Bestände umfassen neben Drehbüchern, Fotos, Plakaten, Kostümen und Entwürfen unter anderem auch filmtechnische Geräte. Die Kinemathek kuratiert Filmreihen und Ausstellungen, sie restauriert und digitalisiert Filme. Ihre vielfältigen Angebote, darunter Installationen, Publikationen, Vermittlungsformate und Konferenzen, laden zur Entdeckung der Welt bewegter Bilder ein.

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Inhalt

Einleitung

Das Cabinet des Dr. Caligari (I/II): Zur Werbekampagne und Filmarchitektur

Das Cabinet des Dr. Caligari (II/II): Zur Wirkungsgeschichte

Insert: Ken Adam und der Caligarismus

Das Reichslichtspielgesetz

Plakatzensur – Ernst Lubitschs Sumurun

Deutsche Stummfilmwestern

Konzernbildung in der Filmindustrie

Insert: Erich Pommer

Reichspräsident Ebert am Set von Anna Boleyn

Asta Nielsen spielt Hamlet

Starpostkarten aus den 1920er-Jahren

Der erste Vampirfilm: F. W. Murnaus Nosferatu

Studiogelände Geiselgasteig

Insert: Historie monumental

Filmpublikationen aus den 1920er-Jahren

Der erste Blockbuster: Dr. Mabuse, der Spieler

Animation und Avantgarde: Lotte Reiniger und der Silhouettenfilm

Jüdische Lebenswelten im Film – zwei Beispiele

Buddenbrooks als Stummfilm

Filmrestaurierung (I/IV): Sylvester – Tragödie einer Nacht

Nationalsozialismus und Die Nibelungen

Innovation des Filmschnitts: Der Lyta-Universal-Arbeitstisch

Metropolis – inspiriert von New York?

Die entfesselte Kamera

Die Kino- und Photo-Ausstellung (Kipho)

Die „Babelsberger Bauhütte“: Filmarchitektur und Produktionsbedingungen

Werbung für Verleihfilme der Parufamet

Kulturfilme

Der Filmkomponist Giuseppe Becce

Standfotografie in den 1920er-Jahren

Guido Seebers frühe Geschichte der Kamera

Psychoanalyse im Film

Expeditionsfilme der 1920er-Jahre

Friedrich Wilhelm Murnaus Faust

Gerhard Lamprechts Zille-Filme

Metropolis (I/III): Ausstattung

Metropolis (II/III): Musik und Restaurierung

Metropolis (III/III): Rezeption und Wirkung

Die Kostümbildnerin Aenne Willkomm

Walther Ruttmanns Berlin. Die Sinfonie der Groẞstadt

Crossdressing-Filme in der Weimarer Republik

Preußenfilme um den „Alten Fritz“

Filmrestaurierung (II/IV): Der Katzensteg

Bauhaus und Film

Weibliche Filmschaffende der 1920er-Jahre

Drehbuchautorinnen in den 1920er-Jahren

Weltkriegstrauma und Heimkehrerfilme

Fritz Langs Frau im Mond

Großstadtverkehr im Studio: Joe Mays Asphalt

Louise Brooks: Ein Girl in Babelsberg

Insert: Neue Frisuren

Das Genre Bergfilm und Arnold Fanck

Richard Eichbergs Publikumsfilme

Proletarisches Filmschaffen der 1920er-Jahre

1920–1929

Einleitung

Konjunkturen

Die 1920er-Jahre gelten als besonders fruchtbare, vielleicht innovativste Periode der deutschen Filmgeschichte. Mit dem während des Ersten Weltkriegs praktizierten Ausschluss ausländischer Konkurrenz war die Basis einer eigenen Filmindustrie gestärkt worden, die aber zugleich von internationalen Entwicklungen abgeschnitten war. Man lernte jedoch schnell von den bis 1918 in Deutschland nicht aufgeführten Werken: Veritas Vincit (D 1919, Regie: Joe May) und Der müde Tod (D 1921, Regie: Fritz Lang) ließen in ihrer episodischen Erzählweise das Vorbild, D. W. Griffiths Intolerance (USA 1916), durchscheinen. Nun strahlten deutsche Filme international, animierten Hollywood, Regisseure wie Ernst Lubitsch oder Friedrich Wilhelm Murnau und Stars wie Emil Jannings zu verpflichten. In Deutschland schienen einheimische Filme den Markt ungefährdet zu dominieren.

1 Das Wachsfigurenkabinett, D 1924, Regie: Paul Leni

Harun al Raschid (Emil Jannings), Iwan der Schreckliche (Conrad Veidt), Rinaldo Rinaldini (Wilhelm Dieterle) und Jack the Ripper (Werner Krauß), Szenenfoto

Das Publikum fand in diesen Produktionen ein vielfältiges, attraktives Angebot vor. Zwar verschwanden nach der Einführung des Reichslichtspielgesetzes (12. Mai 1920) die umstrittenen Aufklärungs- und Sittenfilme. Doch mit großem Aufwand realisierte Monumental- und Historienfilme vermochten mit spektakulären Schauwerten zu begeistern. Gänzlich neue Formen entstanden mit dem expressionistischen Film (Das Wachsfigurenkabinett, D 1924, Regie: Paul Leni), dem auf wenige Personen beschränkten Kammerspielfilm (Sylvester – Tragödie einer Nacht, D 1924, Regie: Lupu Pick), den experimentellen Arbeiten des „absoluten Films“, den faszinierenden sportlichen Leistungen im Bergfilm (Das Wunder des Schneeschuhs, D 1920, Regie: Arnold Fanck). Ab Mitte der 1920er-Jahre kamen sozialkritische Werke auf, darunter Gerhard Lamprechts vier sogenannte Zille-Filme, entstanden zwischen 1925 (Die Verrufenen) und 1928 (Unter der Laterne. Trink, trink, Brüderlein, trink), mit genauem Blick auf soziale Verwerfungen. Gewerkschaften (Brüder, D 1929, Regie: Werner Hochbaum) und SPD unterstützten erstmals Filmproduktionen, Willi Münzenberg gründete für die KPD die Prometheus-Film-GmbH, die sowjetische Filme nach Deutschland brachte und eine eigene Produktion aufbaute, in der auch Spielfilme entstanden (Überflüssige Menschen, D 1926, Regie: Alexander Rasumny). Die Welt der Angestellten mit ihren vielen weiblichen Beschäftigten schlug sich in Storys um Sekretärinnen, Verkäuferinnen oder Telefonistinnen nieder, deren selbstbewusste Haltung allerdings bestehende Abhängigkeiten kaum erschüttern konnte. Doch trugen Produzentinnen wie Liddy Hegewald, Drehbuchautorinnen wie Jane Bess, Thea von Harbou, Luise Heilborn-Körbitz oder Irma von Cube sowie zahlreiche Cutterinnen zu einer allmählichen Veränderung der Strukturen bei, bis die Machtübernahme der Nationalsozialisten diese Ansätze beendete. Die Probleme der fragilen, ökonomisch von Hyperinflation, Arbeitslosigkeit und Bankzusammenbrüchen, politisch von rechten Putschversuchen und Fememorden oder kommunistischen Aufständen geprägten Verhältnisse in der jungen Demokratie wurden auf ihre Weise in Filmen wie Dr. Mabuse, der Spieler (D 1922, Regie: Fritz Lang – mit deutlichen Kolportage-Elementen) oder, im Sinne neuer Sachlichkeit, Die freudlose Gasse (D 1925, Regie: G. W. Pabst) aufgegriffen. Eine reiche Genreproduktion lieferte Horror und Fantasy, Komödien, Kriminalfilme, Melodramen, Heimatfilme.

Die Anzahl der in Deutschland hergestellten Filme blieb in diesem Jahrzehnt auf einem hohen Niveau. Gerhard Lamprecht identifizierte für das Jahr 1920 über 500 Titel, darunter allerdings etliche mit einer Laufzeit von weniger als 60 Minuten. Zum Standard jedoch wurden abendfüllende Filme: Mitte der 1920er-Jahre, in einer Phase der politischen und ökonomischen Konsolidierung, entstanden jährlich um die 200 Arbeiten.

Mit dem aufkommenden Tonfilm sah sich die Filmindustrie gegen Ende des Jahrzehnts einer neuen Herausforderung gegenüber, die von den Firmen unterschiedlich gemeistert wurde. Nach der Inflationszeit war diese Umstellung inmitten der Weltwirtschaftskrise mit Massenarbeitslosigkeit, Firmenpleiten und schrumpfender Produktion die zweite ökonomisch brisante Herausforderung; wieder mussten etliche Firmen Insolvenz anmelden.

2 I.N.R.I., D 1925, Regie: Robert Wiene

Während der Dreharbeiten, Werkfoto

Innovationen

In der letzten Dekade des Stummfilms erreichte die durch den Zusammenklang von Bild, Zwischentiteln und Musik definierte Ausdrucksform ihren Höhepunkt. Alles schien den Zeitgenossen damals mit dieser hochentwickelten, modernen Ästhetik auszudrücken zu sein. Das macht im Rückblick die enorme Skepsis großer Teile der Filmpublizistik verständlich: Vom kommenden neuen Medium, erwartet seit dem Erfolg von The Jazz Singer (USA 1927, Regie: Alan Crosland), befürchtete sie nichts als Verluste – den Verlust der Kamerabeweglichkeit aufgrund schwerer, geräuschgedämpfter Apparate, den Verlust visueller Qualität durch die Dominanz des Dialogs, den Verlust fließend assoziativer Bildfolgen durch Anlehnung an Theaterkonventionen. Erste Beispiele des Tonfilms schienen das nur zu deutlich zu bestätigen. Wenig später, ab 1930 schon, konnten erste gelungene Beispiele solche Befürchtungen widerlegen. Doch sie repräsentierten eine andere Kunst.

3 Erste Besichtigung der Luftschiffhalle in Berlin Staaken vor der Umwidmung in ein Filmstudio, Ende 1921: der Regisseur Urban Gad (Mitte) und der Kameramann Karl Hasselmann (r.)

Zur facettenreichen Blüte des Stummfilms trugen in den 1920er-Jahren verschiedene Faktoren bei, darunter sowohl ästhetische wie technische Entwicklungen. So war die Montage, wie sie im russischen Revolutionsfilm entwickelt und in Deutschland für einige Filme adaptiert wurde, eine ästhetische Innovation, die von der Entwicklung neuer Schneidetische profitierte. Fortschritte in der künstlichen Beleuchtung ermöglichten schon bald den Übergang von im Wesentlichen durch Sonnenlicht illuminierten Glasateliers zu massiven Bauten. Als das Atelier in Geiselgasteig durch Hagel beschädigt wurde, entschied man sich dort 1928 konsequenterweise für den Bau eines massiven Studios. Damit folgte man den Beispielen der für Filmaufnahmen umgerüsteten Großbauten wie den ehemaligen Zeppelinhallen in Berlin-Staaken und Frankfurt am Main oder der Großen Halle in Babelsberg (erbaut 1926, heute: Marlene-Dietrich-Halle).

4 Die Kamera Parvo H, gebaut ab 1925, Seriennummer: 2664

Aus dem Besitz des Kameramanns Gerhard Huttula

Filmformat: 35 mm, Hersteller: André Debrie, Paris

Auch das Filmmaterial veränderte sich. Die bis Mitte der 1920er-Jahre übliche Praxis, den Schwarz-Weiß-Film farblich zu gestalten – durch Einfärbung der Gelatine (Virage), wodurch helle Partien farbig erschienen; mittels chemisch induziertem Ersatz der Silbersalze mit Farbsalzen, die dann dunkle Stellen tönten; oder durch eine Kombination beider Verfahren –, wurde zugunsten einer als realistischer empfundenen reinen Schwarz-Weiß-Ästhetik aufgegeben. Die Lichtempfindlichkeit der Emulsionen konnte gesteigert, ihre Reaktion für das ganze Spektrum sensibilisiert werden. Der panchromatische Film, ebenfalls Mitte der 1920er-Jahre eingeführt, reagierte, anders als der orthochromatische Vorläufer, auf alle Wellenlängen des sichtbaren Lichts einschließlich der Rottöne. So war brauner Lippenstift, um Münder zu konturieren, nicht länger nötig. Die Kameratechnik machte Fortschritte, Federwerke und später elektrischer Motorantrieb traten neben die von Hand gekurbelten Geräte. Zudem gewannen sie mittels Dollys (Kamerawagen) auf Schienen oder abgefederten Rädern an Beweglichkeit. Karl Freund filmte Der letzte Mann (D 1924, Regie: Friedrich Wilhelm Murnau) teilweise vom Fahrrad aus, Kameramänner wie Sepp Allgeier und später Hans Schneeberger montierten die Apparatur auf Skier und filmten waghalsige Abfahrten für die Bergfilme Arnold Fancks. Auch wurden erste Kameratypen aus Metall eingeführt, wie die Parvo H von Debrie. Sie kam ebenso wie der robuste Apparat von Leo Stachow bei Metropolis (D 1927, Regie: Fritz Lang) zum Einsatz wie auch das US-Modell Mitchell Standard, von dem die Ufa 1925 zwei Exemplare erwarb und das damals als die beste verfügbare Kamera galt.

5 Mutter Krausens Fahrt ins Glück

D 1929, Regie: Piel Jutzi

Plakat: Otto Nagel

Die Kinos selbst entwickelten sich weiter. Ihre Zahl stieg in diesem Jahrzehnt in Deutschland von 3422 auf 5078 an, 1928 wurde mit 353 Millionen Eintritten der vorläufige Höchststand erreicht, im Jahr darauf machte sich im Rückgang auf 328 Millionen schon die wirtschaftliche Krise bemerkbar. In rascher Folge entstanden in den 1920er-Jahren neue Bauten, regelrechte Kinopaläste. Der Ufa-Palast am Zoo in Berlin war das renommierteste Premierenkino in Deutschland, mit (ab 1925) 2165 Plätzen jedoch nicht das größte. Übertroffen wurde es vom Phoebus-Palast in München mit 2184, 1929 dann vom Ufa-Palast Hamburg mit 2200 Plätzen. Sie präsentierten die Stummfilme in vollem Glanz, mit Bühnenshow und großem Orchester – doch mit der Verbreitung des Tonfilms endete diese Epoche kurz darauf.

Perspektiven

Wenige Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs erschienen zwei Studien, die explizit die Periode des Weimarer Films behandelten. Siegfried Kracauers From Caligari to Hitler. A Psychological History of the German Film kam 1947 heraus, Lotte H. Eisners L’Écran demoniaque (Die dämonische Leinwand) 1952. Kracauer wie Eisner schrieben sie in ihren Exilländern, beide hatten bis 1933 die Entwicklung des deutschen Films intensiv verfolgt und kommentiert. Ihnen stand diese Epoche in der Erinnerung höchst lebendig vor Augen. In der Bundesrepublik erschien eine von Lotte H. Eisner selbst für die deutschen Leser:innen überarbeitete Fassung erstmals 1955. Von Kracauers Buch gab es 1958 zunächst nur eine erheblich gekürzte Ausgabe, erst 1979 konnte Karsten Witte den vollständigen Text herausgeben. Beide Bücher wählten unterschiedliche Schwerpunkte. Eisner interessierten die stilistischen Besonderheiten der deutschen Produktion, sie nutzte kunsthistorische Verfahren, zog Parallelen zu Inszenierungen prägender Theaterregisseure wie Max Reinhardt und Erwin Piscator. Kracauer dagegen nahm in den Filmen Spuren jener Kollektivdispositionen wahr, die den Nationalsozialismus hatten möglich werden lassen. Beide Bücher inspirierten folgende Generationen und gelten heute als Klassiker.

6 „Tonfilmsensation – Menjou küßt Greta Garbo“

Zeichnung: Hans Rewald

Filmball 1929, von der Spitzenorganisation der Filmwirtschaft (SPIO) herausgegebene Publikation

Diese Studien blieben über Jahrzehnte ohne Nachfolger. Das Kino der Weimarer Republik, vor allem die Stummfilme, blieb sowohl in der Bundesrepublik wie in der DDR lange verborgen. Auf Leinwänden erschienen diese Werke selten, gelegentlich im Fernsehen, nicht immer in guten Fassungen. Filmklubs, später Kommunale Kinos suchten dies zu ändern. Doch war die Überlieferung höchst fragmentarisch: Nur ein kleinerer Teil der Filme blieb erhalten. Große Verluste traten schon zur Weimarer Zeit selbst ein, Produktionsfirmen vernichteten Negative und Kopien, sowie ein Film ausgewertet schien. Das leicht entzündliche Nitrozellulose-Material, auf dem bis in die 1950er-Jahre alle Filme basierten, wurde auch später oft vernichtet – damit ging das bestmögliche Ausgangsmaterial für Restaurierungen verloren.

7 Die Kamera Le Parvo L Nach 1922 Filmformat: 35 mm Hersteller: André Debrie, Paris

Da hatte eine neue Generation von Regisseuren bereits ihre eigentlichen Vorbilder im Weimarer Kino erkannt, als Gegenentwurf zu „Papas Kino“ und dem des Nationalsozialismus. Ab 1966 entstanden in der Bundesrepublik Kommunale Kinos, zunächst in Essen (1966), danach in Duisburg (1970), Mannheim (1971) und Frankfurt am Main (1971). Das Staatliche Filmarchiv der DDR unterhielt ein eigenes Kino und arbeitete auch in den damaligen Bezirken des Landes. Andere Filmerbe-Institutionen bemühten sich um einen Blick über den vermeintlichen Kanon hinaus. So stellte das Hamburger Filminstitut CineGraph Regisseure wie Reinhold Schünzel, Joe May, E. A. Dupont oder Richard Oswald ins Zentrum seiner filmhistorischen Kongresse. Gleichermaßen trugen die Retrospektiven der Stiftung Deutsche Kinemathek bei der Berlinale zur Wiederentdeckung des Weimarer Kinos bei. Schließlich vermochten vorbildliche Restaurierungen die Vorstellung dieser Periode zu ergänzen und zu schärfen. Das betraf sowohl berühmte Titel wie Metropolis, der durch die gemeinsame Arbeit der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung und der Deutschen Kinemathek 2010 in fast vollständiger Fassung vorgestellt werden konnte und wieder in seiner ursprünglichen Schönheit erlebbar wurde. Es betraf und betrifft aber zugleich weniger bekannte Werke und Genres. Partner des deutschen Kinematheksverbunds – darunter die Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung in Wiesbaden, das Deutsche Filminstitut & Filmmuseum in Frankfurt am Main, das Filmmuseum München, das Filmmuseum Düsseldorf und das Bundesarchiv in Berlin – haben gerade in den letzten Dekaden mit ihrer Arbeit das Bild des Weimarer Kinos vervollständigt und verändert. rr

8 K 13 513. Die Abenteuer eines Zehnmarkscheines

D 1926, Regie: Berthold Viertel

Verleihbroschüre der Fox-Europa-Produktion

Der Film ist einer der vielen verschollenen Titel der deutschen Filmgeschichte.

Das Cabinet des Dr. Caligari (I/II): Zur Werbekampagne und Filmarchitektur

„Mensch, sieh dich um! / Sag mal, warum ringen sich die Hände? / Weil diese Zeit fiebert und schreit, wackeln alle Wände“, begann Kurt Tucholskys Gedicht „Total Manoli“ von 1920. Der Ausdruck „manoli“, der „verrückt“ bedeutete, gehörte damals fest zum Berliner Sprachgebrauch. Er ging zurück auf eine 1898 am Alexanderplatz installierte Leuchtreklame für die gleichnamige Zigarettenmarke, das sogenannte Manoli-Rad: Ein Kreis nacheinander aufleuchtender Glühlampen erzeugte die Illusion einer Rotation, während in der Mitte die Aufforderung „Raucht Manoli!“ blinkte.

1 Das Cabinet des Dr. Caligari, D 1920, Regie: Robert Wiene

Dr. Caligari (Werner Krauß), Szenenfoto

Die Ende Januar 1920 gestartete Werbekampagne für Robert Wienes Spielfilm Das Cabinet des Dr. Caligari griff alle drei Phänomene auf: den umgangssprachlichen Ausdruck, die Hände aus Tucholskys Gedicht und das Manoli-Rad. Die beiden grafischen Motive, ein Paar expressiver Hände und eine Art hypnotischer Wirbel, wurden mit dem Slogan „Du musst Caligari werden“ kombiniert. Nach der Premiere schrieb die Fachzeitschrift Der Kinematograph: „Seit Wochen schrie einem dieser geheimnisvolle kategorische Imperativ von allen Plakatsäulen entgegen […] Eingeweihte fragten: ‚Sind Sie auch schon Caligari?‘ So wie man früher fragte: ‚Sie sind wohl manoli?‘‘‘ (3.3.1920).

2 Das Cabinet des Dr. Caligari, D 1920, Regie: Robert Wiene

Szenenbildentwurf „Bild für Passage 1“: Walter Reimann, Walter-Reimann-Archiv

Die Kritiken nach der Uraufführung im Berliner Kino Marmorhaus waren euphorisch. Der Film sei „etwas ganz Neues“ notierte Kurt Tucholsky in der Weltbühne (26.2.1920), und für die BZ am Mittag bedeutete das Werk den „entscheidenden Vorsprung des deutschen Films in der Weltproduktion“.

3 Das Cabinet des Dr. Caligari, D 1920, Regie: Robert Wiene

Plakat zur Erstaufführung des Films in Österreich: Atelier Ledl Bernhard

Das Innovative von Das Cabinet des Dr. Caligari im Jahr 1920 – in einer Welt, die, kurz nach dem Ersten Weltkrieg und der pandemischen Spanischen Grippe, zu fiebern und zu schreien schien, in der es keine Gewissheiten mehr gab und scheinbar keine Wand mehr gerade stand – zeigt sich in den Kulissen: der Stadt Holstenwall und ihrer „Irrenanstalt“. Die drei Filmarchitekten Hermann Warm, Walter Reimann und Walter Röhrig hatten verkantete, bühnenartige Räume bauen lassen. Die Leinwandbespannungen der Hintergründe waren wie ausgetuschte Zeichnungen gestaltet, und anstatt ausgeleuchteter Räume gab es auf die Kulissen gemalte Licht- und Schatteneffekte. Ein Reporter des Branchenblatts Film-Kurier, der im Dezember 1919 das Atelier der Decla in Weißensee besuchte, zeigte sich von der Wirkung des Filmsets überwältigt: „Die Einzelheiten sind absonderlich, aber niemals habe ich in einer Dekoration den Eindruck der beklemmenden Oede, der quälenden Einsamkeit so tief und unmittelbar empfunden wie hier.“ Und so standen die verzerrten Perspektiven im Film auch für die bewusst nicht aufgelöste Frage der Story: Sind die Bilder Hirngespinste eines Geisteskranken, oder ist doch der Direktor der Irrenanstalt der Verrückte?

4 Das Cabinet des Dr. Caligari

D 1920, Regie: Robert Wiene

Werbeanzeige der Decla in: Lichtbild-Bühne, Nr. 4, 1920

Grafik: Erich Ludwig Stahl und Otto Arpke

Der nationale und internationale Erfolg von Das Cabinet des Dr. Caligari war das Ereignis des Filmjahrs 1920 und wurde zunächst ganz dem Regisseur und den Filmarchitekten zugesprochen. Gegen diese Sichtweise wandte sich der Autor Hans Janowitz bereits im Jahr der Uraufführung wie auch später in seinem im Exil ab 1939 entstandenen Typoskript „Caligari: The Story of a Famous Story“. Er vertrat die Auffassung, dass die Schöpfung des Caligari-Films allein den beiden Drehbuchautoren – neben ihm Carl Mayer – zuzuschreiben war. Außerdem erklärte er, dass das Drehbuch als Aufbegehren gegen eine Staatsautorität geschrieben worden sei, was die Produktionsfirma durch die offene Rahmenhandlung verwässert habe. Der Filmwissenschaftler Siegfried Kracauer, der Janowitz’ Typoskript kannte, trug mit seiner im New Yorker Exil entstandenen Studie From Caligari to Hitler: A Psychological History of the German Film (1947) zur interpretatorischen Überhöhung von Das Cabinet des Dr. Caligari bei. Rückblickend sah Kracauer in dem Film eine typisch deutsche psychologische Disposition: die Sehnsucht nach einem Tyrannen. pm

5 Das Cabinet des Dr. Caligari, D 1920, Regie: Robert Wiene

Papierfächer, teilweise mit Werbeanzeigen bedruckt, hergestellt anlässlich der Uraufführung, Foto: Marian Stefanowski

6 Das Cabinet des Dr. Caligari, D 1920, Regie: Robert Wiene

Werbeanzeige zur Uraufführung des Films am 26. Februar 1920 in Berlin

Das Cabinet des Dr. Caligari (II/II): Zur Wirkungsgeschichte

Robert Wienes Das Cabinet des Dr. Caligari (D 1920) traf den Zeitgeist einer Epoche im Umbruch. Der Film setzte mit seiner antinaturalistischen Gestaltung Maßstäbe, die bis heute nachwirken. Die fantastisch-stilisierte Ästhetik mit ihren verzerrten Perspektiven wurde in der Folge in mehreren sogenannten expressionischen Filmen imitiert. Friedrich Wilhelm Murnau griff in Nosferatu (D 1922) die diffus-bedrohliche Atmosphäre wieder auf und begründete so das Horrorgenre. Genuine (D 1920), ebenfalls von Wiene und mit Fern Andra in der Titelrolle gedreht, war hingegen kein Erfolg an den Kinokassen. Das expressive Dekor von César Klein sei durch die Handlung nicht motiviert, monierte die Kritik.

1 Das Cabinet des Dr. Caligari

D 1920, Regie: Robert Wiene

Modell der Szene „Rathaus: Caligari und Stadtschreiber“ (Rekonstruktion 1963): Hermann Warm

Foto: Jochen Hergersberg

Hermann-Warm-Archiv

Bei Caligari jedoch fügen sich Inhalt und Form organisch zusammen. Die offene Rahmenhandlung in einer Irrenanstalt, die die Erzählung am Ende (möglicherweise) als Wahnvorstellung entlarvt, etablierte eine neue Konvention des Psychothrillers. Mit dem intensiven Spiel von Licht und Schatten griff in den 1940er-Jahren der Film noir in den USA Elemente des Stummfilmklassikers wieder auf. Später erwies auch der Regisseur Tim Burton mit seinem Gothic-Stil Caligari in mehreren Werken seine Reverenz. Der Look von Johnny Depp in Edward Scissorhands (USA 1990) ist als bewusste Hommage an Conrad Veidts somnambulen Cesare angelegt. Mit schwarzem Rollkragen, zerzaustem Haar und Kajalstrich hatte Veidt einen ikonischen Stil kreiert, der bis heute vielfach von Schauspielenden und Rockstars zitiert wird.

2 Edward Scissorhands

USA 1990, Regie: Tim Burton

Johnny Depp als Edward

Rollenporträt

Seit den 1950er-Jahren gab es wiederholt Versuche, das legendäre Szenenbild im musealen Kontext zu rekonstruieren. Dabei konnte auf die Expertise des Filmarchitekten Hermann Warm zurückgegriffen werden, der die originalen Dekors zusammen mit Walter Reimann und Walter Röhrig entworfen hatte. Für die Münchner Ausstellung „Internationale Filmkunst“ im Haus der Kunst (1958) und für das Musée du Cinéma der Cinémathèque française in Paris (1970/72) baute Warm Teile der Kulissen annähernd in Originalgröße nach. Für die Deutsche Kinemathek rekonstruierte er seine verlorenen Szenenbildentwürfe und fertigte Mitte der 1960er-Jahre mehrere Modelle an, die den Aufbau der Sets veranschaulichen. kj

3 Das Cabinet des Dr. Caligari

D 1920, Regie: Robert Wiene

Conrad Veidt als Cesare

Screenshot aus Restaurierung der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung, Wiesbaden 2013

4 Das Cabinet des Dr. Caligari

D 1920, Regie: Robert Wiene

Für die Internationale Filmkunstausstellung rekonstruierte Hermann Warm 1958 erstmals Teile des Sets in Originalgröße.

Foto: Ingrid Hasenwinkel

Hermann-Warm-Archiv

Ken Adam und der Caligarismus

Der deutsch-britische Production Designer Ken Adam würdigte wiederholt den stilbildenden Einfluss von Wienes Film auf sein Werk. Durch die Gefängniszelle in Das Cabinet des Dr. Caligari sei er zu seinem berühmten „Tarantula Room“ im ersten James-Bond-Film Dr. No (UK 1962, Regie: Terence Young) inspiriert worden. Die Atmosphäre der Bedrohung und der Ausweglosigkeit wird hier durch ein vergittertes Oberlicht und dessen harte Schlagschatten betont. Das Motiv des vergitterten Fensters mit einer übersteigerten Schattenführung sollte kennzeichnend für Adams Handschrift werden. kj

5 Das Cabinet des Dr. Caligari

D 1920, Regie: Robert Wiene

Szenenbildentwurf „Gefängniszelle“ (Rekonstruktion 1963): Hermann Warm

Hermann-Warm-Archiv

6 Dr. No

UK 1962, Regie: Terence Young

Szenenbildentwurf des „Tarantula Room“: Ken Adam

Ken-Adam-Archiv

Das Reichslichtspielgesetz

Im Herbst 1990 gelangten etwa 25 000 sogenannte Zulassungskarten aus der Sowjetunion nach Deutschland. Sie waren zusammen mit anderen Objekten, Dokumenten und Filmmaterialien 1945 von der Roten Armee beschlagnahmt und abtransportiert worden. 45 Jahre später wurden sie restituiert. Gleichwohl befinden sich noch heute zahlreiche Materialien dieser Art in Russland.

1 Verbotene Filme. Eine Streitschrift

von Wolfgang Petzet, Frankfurt am Main 1931

Titelseite

Zusammen mit der Vorzensur war 1907 in Deutschland das Verfahren eingeführt worden, jeder Kopie eines von der jeweils zuständigen Polizei-Zensurstelle zur Vorführung freigegebenen Films ein solches Dokument mitzugeben. Auf der Zulassungskarte waren Filmtitel, Länge, Produktions- und Vertriebsfirma sowie Mitwirkende verzeichnet. Neben kurzen Inhaltsangaben enthielten sie außerdem den Text der Zwischentitel der stummen Filme. Heute sind die Karten eine wichtige Quelle der Forschung zu verloren gegangenen Filmen sowie bei der Rekonstruktion von Filmen. Nicht zuletzt dienen sie der Erforschung der Filmzensur selbst.

2 Das Reichslichtspielgesetz vom 12. Mai 1920 Titelseite

Mit der obligatorischen Freigabeprozedur wurden Filme entweder unverändert oder mit Einschränkungen wie Jugendverbot oder Schnittauflagen für die öffentliche Vorführung zugelassen. Allerdings gab es auch Totalverbote. Weil man von der unmittelbaren Wirkung von Filmen auf das Publikum ausging, bestand von staatlicher Seite ein Interesse, das Medium vor der öffentlichen Aufführung zu prüfen. Da die Zensurstellen– anfangs die Polizei in den Ländern –, während des Ersten Weltkriegs auch das Militär, nicht von Beginn an über Projektoren zur Sichtung der vorgelegten Filme verfügten, wurden stattdessen die verschriftlichten Zwischentitel und die Inhaltsangaben geprüft.

3 Die verschwundene Frau

A 1929, Regie: Karl Hans Leiter

Mary Kid als Dr. med. Hanna Karsten, Illustrierter Film-Kurier, Nr. 1090, 1929