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Als aufgeklärter Dialysepatient hat man viele Möglichkeiten, einen aktiven Beitrag zur eigenen Behandlung zu leisten und unnötige Komplikationen bewusst zu vermeiden. Dieser Ratgeber soll Mut machen und die Notwendigkeit der eigenen Verantwortung verdeutlichen. Er erläutert detailliert alles Wissenswerte zur Dialyse; wie der Dialysevorgang erlebt wird und auf was man bei der Behandlung achten sollte. Er gibt außerdem viele Tipps, wie man seinen Alltag gestalten kann, um weiterhin ein aktives Leben zu führen bzw. zu einem erfüllten Leben zurückzukehren.
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Seitenzahl: 153
Prof. Dr. med. Heide Sperschneider, geb. 1948, ist seit 2002 leitende Ärztin im KfH-Nierenzentrum in Jena. Nach dem Medizinstudium 1966–1972 Ausbildung zum Facharzt für Innere Medizin; 1979 staatliche Anerkennung als Subspezialist für Nephrologie. Promotion 1976, Habilitation 1984. Bis 2002 Oberärztin in der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Verfasserin von über 230 Publikationen. Sie betreut seit über 30 Jahren im stationären und ambulanten Bereich Nierenkranke, Dialysepatienten und Nierentransplantierte.
Seit der ersten Auflage des »Dialyse-Ratgebers« im Hüthig/J.B. Barth-Verlag sind 12 Jahre vergangen. Inzwischen ist die Zahl der Dialysepatienten in Deutschland von 40 000 auf 63 427 (Stand Dezember 2005) angestiegen, jährlich kommen etwa 16 000 Patienten neu hinzu. Wie jede Wissenschaft ist die Medizin ständiger Entwicklung unterworfen. Bei der Neubearbeitung des vorliegenden »Dialyse-Ratgebers« wurden die Fortschritte in den letzten Jahren berücksichtigt.
Anliegen dieses Buches ist es, Ihnen als zukünftigen oder gegenwärtigen Dialysepatienten sowie Ihren Angehörigen aufzuzeigen, dass die Behandlung das Leben trotz der verständlichen Angst vor der Zukunft wieder lebenswert machen kann.
Natürlich bedeutet der Beginn einer Dialysebehandlung einen starken Einschnitt in Ihr gewohntes Leben. Sie müssen es neu gestalten. Das gelingt umso besser, je mehr Informationen Sie über die Krankheit, die Behandlungsmöglichkeiten mit all ihren technischen Verbesserungen, aber auch die möglichen Komplikationen erhalten, die Sie vermeiden können, wenn Sie darüber Bescheid wissen.
Die Möglichkeit der ambulanten Behandlung ist die wesentliche Voraussetzung dafür, dass Sie weiterhin am sozialen und beruflichen Leben teilhaben können. Der Erfolg einer Dialysebehandlung wird am Wohlbefinden, an der Leistungsfähigkeit und dem Überleben gemessen. Er wird nicht nur von der »Dialysedosis«, sondern auch von Ihrer aktiven Mitarbeit bestimmt.
Als Dialysepatient stehen Sie nie allein. Sie können sich auf Ihr Dialyseteam als Partner verlassen und finden Halt in Ihrer Familie. Außerdem können Sie eine Reihe von staatlichen Vergünstigungen erhalten und verschiedene Selbsthilfegruppen bieten die Möglichkeit zum Erfahrungsaustausch. Als aufgeklärter Dialysepatient, der die Vielschichtigkeit der Problematik im Zusammenhang begreift, haben Sie viele Möglichkeiten, einen aktiven Beitrag zur eigenen Behandlung zu leisten. Ein gut informierter und aufgeklärter Patient ist ein besserer Patient!
Sind Sie von einem Nierenversagen betroffen, können Sie sich zu den Glücklichen unter den Patienten mit einem Organversagen zählen, da es mehrere Möglichkeiten einer lebenserhaltenden, sogenannten Nierenersatztherapie (die Funktion der Nieren wird ersetzt) gibt. Dazu gehört die Dialysebehandlung (ca. 95 % der Patienten werden mit Hämodialyse behandelt, ca. 5 % mit Bauchfelldialyse), die für etwa 25 % der Patienten eine »Zwischenlösung« bis zur erfolgreichen Nierentransplantation darstellt. Diese ist ohne Zweifel das beste Nierenersatzverfahren.
Als aufgeklärter Patient werden Sie sehr schnell begreifen, dass Sie Ihre Krankheit nur durch aktive Mitarbeit, ein vertrauensvolles Verhältnis zu Ihrem Arzt und einen niemals endenden Willen zum Durchhalten bewältigen können. Gerade das Durchhaltevermögen wird durch den eisernen Dialyserhythmus und die kaum ausbleibenden Komplikationen sehr gefordert, fordert, spätestens, wenn die fehlende Urinausscheidung einen Kampf um jeden Schluck, jeden Apfel und jeden Becher Joghurt entbrennen lässt.
Die »Kopfarbeit«, die zu einer positiven inneren Einstellung zur Krankheit führt, können nur Sie selbst leisten. Dieses Buch soll Ihnen dabei helfen, den richtigen Weg zu finden, mit Ihrer Krankheit zu leben und unnötige Komplikationen bewusst zu vermeiden. Es soll Ihnen Mut und Selbstvertrauen geben und Ihnen die Notwendigkeit der eigenen Verantwortung verdeutlichen.
Jena, im September 2008
Prof. Dr. med. Heide Sperschneider
Die Nieren sind von bohnenförmiger Gestalt und liegen beiderseits der Lendenwirbelsäule unterhalb der letzten Rippe (→ Abb. 1). Von den Bauchorganen sind sie durch das hintere Bauchfell getrennt. Jede Niere wiegt ca. 150 g, ist in Abhängigkeit von der Körpergröße 12 bis 13 cm lang und 5 bis 6 cm breit. Beide Nieren haben in der Mitte eine Einbuchtung, an der die Nierenschlagader eintritt sowie die Nierenvene und der Harnleiter austreten. Über den 25 bis 27 cm langen Harnleiter fließt der Urin in die Harnblase. Auf dem Längsschnitt (in der aufgeschnittenen Niere, vgl. → Abb. 2) lassen sich mit bloßem Auge zwei verschiedene Strukturen erkennen: die Rinde mit den Nierenkörperchen (Glomeruli) und das in Pyramiden angeordnete Mark. Die Funktionseinheit in der Niere ist das Nephron (→ Abb. 3). Dieses setzt sich aus jeweils einem Nierenkörperchen und dessen harnableitendem System (Nierenkanälchen) zusammen. Jede Niere enthält etwa 1 Million Nephrone.
Abb. 1: Lage der Nieren.
Abb. 2: Anatomie der Niere.
Abb. 3: Aufbau des Nephrons.
Abb. 4: Funktionsweise der Filtration.
Jeden Tag fließt durch beide Nieren die fast unvorstellbare Menge von 1 700 Litern Blut. Das sind 1,2 Liter pro Minute. Aus dem Blut wird in den Nierenkörperchen Plasmawasser (Primärharn) mit bestimmten Inhaltsstoffen abgepresst (abfiltriert). Der größte Teil dieser Flüssigkeit und ihrer Inhaltsstoffe wird im harnableitenden System wieder in den Körper aufgenommen (resorbiert). Als Endprodukt bleibt der Urin zurück, der über den Harnleiter in die Blase gelangt (→ Abb. 4).
Durch Ausscheidung und Rückgewinnung (Resorption) von Flüssigkeit und Stoffen sorgen die Nieren für ein Gleichgewicht im Wasser- und Salzhaushalt des Körpers, beeinflussen entscheidend den Blutdruck und »entgiften« das Blut von Stoffwechselendprodukten. Während die Nieren früher als reine Ausscheidungsorgane angesehen wurden, weiß man heute um ihre Bedeutung als innere Drüsen, d. h. die Nieren sondern auch Hormone in das Blut ab. Im Einzelnen lassen sich die Funktionen folgendermaßen charakterisieren:
Ausscheidung von
»harnpflichtigen« Substanzen, auch Schlackenstoffe genannt (z. B. Harnstoff, Kreatinin, Harnsäure);
überschüssigen Salzen oder deren Bestandteilen (z. B. Natrium, Kalium, Phosphat, Wasserstoffionen);
Giften und Medikamenten.
Regulation der Wasserausscheidung:
Konzentration des Urins bei Durst oder fehlender Flüssigkeitszufuhr (stark riechender oder dunkel gefärbter Urin);
Ausscheidung von überschüssigem Wasser aus Nahrungsmitteln und/oder Getränken (wenig riechender oder heller Urin).
Regulation des Säure-Basen-Haushaltes.
Abbau von körpereigenen Hormonen (z. B. Insulin).
Die Niere als innere Drüse (Absonderung von Hormonen aus der Niere in das Blut)
Bildung des Hormons Erythropoetin, das für den Aufbau von roten Blutkörperchen im Knochenmark unerlässlich ist;
Bildung von dem sogenannten aktiven Vitamin-D-Hormon, welches für den Knochenstoffwechsel und die Aufnahme von Kalzium aus dem Darm wichtig ist;
Bildung des Hormons Renin, das die Blutdruckregulation und die Funktion der Nebennierenrinde beeinflusst.
Aus diesen Funktionen ergibt sich bei einer Einschränkung der Nierenleistung beispielsweise:
Wenn Sie insulinpflichtiger Diabetiker sind, brauchen Sie weniger Insulin, denn es wird langsamer abgebaut;
Viele Medikamente müssen niedriger dosiert werden (sie werden verzögert abgebaut und/oder verzögert ausgeschieden).
Grundsätzlich reicht eine Niere aus, um alle Aufgaben vollständig zu erfüllen. Wer eine funktionierende Niere hat, kann damit dauerhaft gesund sein. Die zweite Niere ist damit eine Art »Rückversicherung« des Körpers. Zu einem endgültigen Nierenversagen (man sagt auch terminale Niereninsuffizienz) kommt es daher nur, wenn beide Nieren erkranken – oder bei einem Menschen, der nur noch eine Niere besitzt (z. B. nach operativer Entfernung der anderen Niere wegen eines Tumors oder einer Verletzung) diese ihre Funktion einstellt.
Das chronische Nierenversagen ist ein Zustand, bei dem die Nieren ihre Funktionen weitgehend und auf Dauer nicht mehr erfüllen können. Das funktionslos gewordene Nierengewebe wird zunehmend in Bindegewebe umgewandelt. Viele Erkrankungen können zum chronischen Nierenversagen führen. Die wichtigsten finden Sie in Tabelle 1. Die angegebenen Prozentzahlen geben den Anteil an den Ursachen einer Hämodialysebehandlung in Deutschland wieder. Der Diabetes mellitus nimmt inzwischen den ersten Platz ein.
Auf die genannten Erkrankungen soll hier nicht näher eingegangen werden. Aber für Sie sind einige Dinge besonders wichtig:
Zahlreiche
Medikamente
können eine Nierenschädigung auslösen, vor allem Schmerzmittel, aber auch Antibiotika. Leider sind einige Schmerzmittel immer noch frei verkäuflich und nicht rezeptpflichtig. Gehen sie deshalb eigenverantwortlich mit solchen Medikamenten um! Nehmen Sie niemals »harmlose« Kopfschmerz- oder Rheumamittel über längere Zeit unkontrolliert ein. Dies kann zur Zerstörung von Nierengewebe und zum Nierenversagen führen (auch Analgetika-Nephropathie genannt).
Leiden Sie unter einer
Zuckerkrankheit (Diabetes)
, kann es nach Jahren zu einer Nierenschädigung kommen (sogenannte diabetische Nephropathie), die zu einer Zerstörung des Nierengewebes und damit zur Dialysepflicht führt. Heute stellt diese Patientengruppe in Deutschland bereits 28 % aller dialysepflichtigen Personen dar. Es sind sowohl Typ-1-Diabetiker (primär insulinpflichtig), viel mehr aber Typ-2-Diabetiker (sogenannter »Alterszucker«) betroffen.
1. Nierenerkrankung bei Diabetes mellitus
28 %
2. Chronische Entzündung der Nierenkörperchen (chronische Glomerulonephritis)
19 %
3. Erkrankungen der Nierengefäße (beispielsweise als Folge eines Bluthochdrucks)
17 %
4. zystische Nierenerkrankung (wassergefüllte Hohlräume in den Nieren, erblich bedingt)
7 %
5. chronische Entzündungen der Harnwege (chronische Pyelonephritis)
12 %
6. andere Ursachen:
dauerhafte Einnahme von Schmerzmitteln (Analgetika-Nephropathie)
Befall der Niere bei anderen Krankheiten z. B. bei sogenannter Amyloidose, Plasmozytom
Kollagenosen, Vaskulititen, Autoimmunerkrankungen
Erbkrankheiten und Anlagefehler
chronisches Nierenversagen bei unklarer Ursache
zusammen 17 %
Ein
Bluthochdruck
erhöht nicht nur das Risiko für Schlaganfall und Herzinfarkt, sondern fördert auch die Zerstörung des Nierengewebes.
Die Entwicklung eines chronischen Nierenversagens bei Diabetikern kann durch konsequente Blutzuckereinstellung und Blutdrucksenkung und Normalisierung der Blutfettwerte verzögert und bei frühzeitiger Behandlung sogar verhindert werden. Ihre Mitarbeit bei der Therapie ist gefordert, damit der Arzt diese Ziele erreichen kann. Ganz wichtig: Falls Sie rauchen, ist Ihre Nierenerkrankung ein Grund mehr dafür, damit unbedingt aufzuhören. Denn
Rauchen schädigt Ihre Nieren zusätzlich.
Der konstante Nachweis einer Eiweißausscheidung im Urin gilt bei Diabetikern und Hypertonikern als sicheres Zeichen einer Nierenschädigung. Schon geringste Mengen von Eiweiß im Urin, auch Mikroalbuminurie genannt, müssen ernst genommen werden. Denn sie zeigen ein Frühstadium an, in dem es noch möglich ist, die chronische Nierenschädigung durch eine gezielte Behandlung zu vermeiden. Die Eiweißausscheidung im Urin muss deshalb regelmäßig kontrolliert werden. Der übliche Streifentest des Urins ist nicht empfindlich genug, um eine Mikroalbuminurie zu entdecken. Über die Gefährlichkeit eines hohen Blutdrucks bei einer Zuckererkrankung haben wir schon gesprochen. Die alte Regel »Blutdruck (oberer Wert) ist Alter + 100« gilt nicht mehr! Dauernde Werte über 140 mmHg sind bereits kritisch. Der Blutdruck muss dauerhaft möglichst auf Werte unter 125/85 mmHg gesenkt werden.
Spezielle Gruppen unter den blutdrucksenkenden Medikamenten, die sogenannten ACE-Hemmer (Angiotensin-Conversions-Enzym-Hemmer) und AT1-Rezeptorantagonisten, senken nicht nur den Blutdruck, sondern können auch die Eiweißausscheidung im Urin besonders gut vermindern und das Fortschreiten der Nierenfunktionsstörung verlangsamen.
Aufklärung und Tipps zur Vorbeugung und Früherkennung bietet Ihnen auch die 1997 gegründete »Deutsche Nierenstiftung«. Sie will der Bevölkerung klar machen, dass Nierenerkrankungen kein unabwendbares Schicksal sind. Auch Schulungsprogramme für nierenkranke Patienten werden angeboten.
Viele Nierenerkrankungen verlaufen leider stumm (ohne Krankheitszeichen), sodass nicht selten erst durch eine Laboruntersuchung eine weit fortgeschrittene Nierenerkrankung festgestellt wird. Vielleicht ist es Ihnen auch so gegangen und Sie haben zu Ihrem Arzt erstaunt gesagt: »An der Niere habe ich doch nie Schmerzen gehabt.« Mit dieser Antwort sind Sie nicht allein!
Aber es gibt Symptome, die auf eine Nierenerkrankung hinweisen können:
Urinauffälligkeiten: Urin blutig, übel riechend oder schäumend, veränderte Urinausscheidung (große Menge, rascher Rückgang oder fehlende Ausscheidung);
Gewichtsanstieg infolge Wassereinlagerungen im Gewebe (Ödeme);
hoher Blutdruck;
schlechtes Allgemeinbefinden; Schwäche, Appetitlosigkeit;
Schmerzen im Bereich der Nieren und ableitenden Harnwege (Harnleiter, Harnblase).
Die in Tabelle 1 aufgeführten Erkrankungen führen häufig zu einer chronischen, langsam fortschreitenden Zerstörung von Nierengewebe. Die Anzahl der funktionstüchtigen Nephrone verringert sich allmählich von 2–3 Millionen auf 100 000. Die wenigen verbleibenden Nephrone haben eine größere Arbeit zu leisten. Diese Mehrbeanspruchung äußert sich zum einen in einer Änderung des Rhythmus der Harnausscheidung (häufiges Wasserlassen nachts) und in der Unfähigkeit, eine Reihe mit der Nahrung aufgenommener Substanzen ausreichend auszuscheiden (z. B. Kalium, Phosphat, Harnsäure). An dieser Überbeanspruchung gehen die Nephrone allmählich zugrunde. Damit »unterhält« sich der Prozess der Selbstzerstörung der Niere, bis schließlich nur noch 2 bis 2,5 % der ursprünglichen Nephrone intakt sind; ein Zustand, der zur Anhäufung von Harnbestandteilen im Blut führt (Azotämie).
Der fortschreitende Prozess der Nierenzerstörung hat zur Folge:
Eine Verkleinerung der Nieren, die der Arzt im Ultraschallbild erkennen kann (»Schrumpfniere«) – es ergibt sich hieraus in der Regel keine Aussage über die Grundkrankheit.
Eine Verminderung der Ausscheidungsfunktion und Drüsenfunktion der Nieren. Diese Situation ist durch veränderte Laborwerte im Blut zu erkennen.
Anstieg der »harnpflichtigen« Substanzen (Schlackenstoffe): Harnstoff 3,5–5,8 mmol/l, 21–34,8 mg/dl; Kreatinin <106 umol/l, 1,12 mg/dl; Harnsäure < 416 umol/l / 6,99 mg/dl.
Anstieg von Phosphat, Wasserstoffionen und Kalium: Phosphor 0,8–1,78 mmol/l/2,5–5,5 mg/dl; Kalium 3,6–5,4 mmol/l oder mval/l.
Mangelnde Bildung von Vitamin-D-Hormonen in den geschädigten Nieren.
Mangel an roten Blutkörperchen (Anämie), u. a. durch Mangel an Erythropoetin: Hämoglobin 7,4–10 mmol/l: Frauen 7,5–10 mmol/l / 12–16 g/dl, Männer 8,1–11,2 mmol/l / 13–18 g/dl; Hämatokrit (37–52 %).
Einen mit einer
inneren Vergiftung
vergleichbaren Zustand mit möglichen Gesundheitsstörungen, die in unterschiedlicher Häufigkeit folgende Symptome zeigen: Magen-Darm-Trakt: Appetitlosigkeit, Übelkeit, Erbrechen. Oft sind es diese Symptome, die den Patienten unter der Verdachtsdiagnose Magenschleimhautentzündung oder Magengeschwür zum Arzt führen.
Zentrales Nervensystem (Gehirn): Müdigkeit, Gedächtnisschwäche, Verwirrtheitszustände;
Bewusstseinstrübungen, Krampfanfälle;
peripheres Nervensystem: Empfindungsstörungen und Krämpfe, vorwiegend in den Beinen;
Muskulatur: Muskelschwund;
Gelenke und Knochen: Knochenschmerzen, Knochenbrüche, Weichteilverkalkungen;
Blut: Anämie, Gerinnungsstörungen;
Herz und Kreislauf: Herzbeutelentzündung, Herzbeutelerguss, Herzmuskelerkrankung, Bluthochdruck;
Haut: Juckreiz, gestörte Wundheilung;
Lunge: Luftnot durch Wasseransammlung in der Lunge;
Innere Drüsen: gestörte Hormonbildung und Hormonausscheidung; Folgen: Ausbleiben der Periode, Unfruchtbarkeit;
Nachlassen des sexuellen Bedürfnisses und der Potenz;
Störung des Abwehrsystems (Immunsystems);
Störungen des Kohlehydratstoffwechsels, des Fett- und des Eiweißstoffwechsels.
Stadium
GFR (ml/min./1,73 m2)
Beschreibung
1
> 90
Niereninsuffizienz mit normaler oder erhöhter GFR
2
60–89
Niereninsuffizienz mit leicht verminderter GFR
3
30–59
moderat verminderte GFR
4
15–29
schwer verminderte GFR
5
< 15/Dialyse
Nierenversagen
▲ Abb. 5: Mögliche Befunde einer Niereninsuffizienz.
Im Endstadium einer Nierenerkrankung bei komplettem Untergang von funktionstüchtigem Nierengewebe stehen nicht die »typischen Nierenbeschwerden« im Vordergrund (Rückenschmerzen, Brennen beim Wasserlassen, Nierenkoliken usw.). Nicht selten klagen die Patienten lediglich über Müdigkeit, Abgeschlagenheit, Kraftlosigkeit und Leistungsminderung. Die Anhäufung von Giftstoffen im Blut, die als Urämie bezeichnet wird, stört die Funktion nahezu aller Organe und Gewebe im Organismus und führt unbehandelt zum Tode.
Mit verschiedenen Verfahren lassen sich heute die Funktionen der Nieren weitgehend ersetzen (Hämodialyse, Bauchfelldialyse, Nierentransplantation, s. Kapitel »Behandlungsmöglichkeiten des chronischen Nierenversagens«). Die beste Methode der Nierenersatztherapie ist die Nierentransplantation. Aber diese Behandlungsform ist nicht für jeden Patienten geeignet. Selbst wenn Sie nicht für eine Nierentransplantation infrage kommen, haben Sie große Chancen, für ein langjähriges Überleben mit guter Lebensqualität.
Bei Kreatininwerten im Blut bis ca. 300 μmol/l (3,4 mg/dl) sind die meisten Patienten beschwerdefrei. Mit fortschreitendem Untergang von funktionstüchtigem Nierengewebe scheidet der Körper stellvertretend die Giftstoffe über Schleimhäute aus (Magen-Darm-Trakt, Bauchfell, Rippenfell, Herzbeutel, Gehirnhäute). Daraus ergeben sich o. g. Gesundheitsstörungen bei einem chronischen Nierenversagen. Nahezu alle Organe des menschlichen Körpers können betroffen sein. Manche Patienten bleiben sogar bis zu Kreatininwerten von 800 bis 1000 umol/l ohne Beschwerden. Das erschwert die richtige Diagnose und rechtzeitige Therapie.
Die Therapie stützt sich auf zwei Grundprinzipien:
Behandlung der Grunderkrankung:
Entfernung von Nieren- oder Harnleitersteinen, Beseitigung eines Urinabflusshindernisses;
gezielte Behandlung einer immer wiederkehrenden Nierengewebeentzündung (Glomerulonephritis);
gezielte Behandlung einer bakteriellen Entzündung der Harnwege (Pyelonephritis);
optimale Blutzuckereinstellung beim Diabetiker;
Beseitigung einer Einengung der Nierenarterie (Nierenarterienstenose), die selten die Ursache eines hohen Blutdrucks (Hypertonie) sein kann;
keine unkontrollierte Einnahme von Schmerzmitteln;
optimale Senkung des Blutdrucks;
Verzicht auf Rauchen.
Maßnahmen, mit denen man das Fortschreiten einer chronischen Nierenerkrankung mit Funktionsverlust verlangsamen kann:
eiweißarme Kost:
Ein Gesunder nimmt täglich 1 bis 1,4 g Eiweiß pro Kilogramm Körpergewicht (nach folgend abgekürzt als g/kg KG) zu sich. Da die genannten »harnpflichtigen« Substanzen (Harnstoff, Kreatinin, Harnsäure) vorwiegend Abbauprodukte des Eiweißstoffwechsels sind, verstehen Sie sicher, warum Sie bei eingeschränkter Nierenfunktion die Eiweißzufuhr reduzieren müssen. Ab ca. 250 bis 300 umol/l (2,8–3,4 mg/dl) Kreatinin sollten Sie bis zum Beginn der Dialysebehandlung nicht mehr als 0,6 g–0,8 g Eiweiß/kg KG täglich zu sich nehmen. Eine Reihe von Nierenerkrankungen geht mit einem hohen Eiweißverlust im Urin einher. Diese Verluste müssen bei der täglichen Eiweißzufuhr berücksichtigt werden. Ihr Arzt wird Sie darüber informieren.
Salz- und Wasserzufuhr:
Die Menge des im Organismus gebundenen Wassers hängt von der Kochsalzzufuhr ab. Kochsalz (Natriumchlorid, NaCl) enthält Natrium, dessen Ausscheidung eine gesunde Niere der Aufnahme anpasst. Funktioniert die Niere nicht mehr richtig, kann sie nicht so viel Natrium ausscheiden und es sammelt sich Wasser im Körper, z. B. in den Beinen, an.
Trotzdem gilt heute, dass Sie als nierenkranker Patient die Kochsalzzufuhr nicht generell beschränken müssen. Dies ist jedoch dann notwendig, wenn Sie Wasseransammlungen in den Beinen oder den Augenlidern (Ödeme) bekommen, unter einem Bluthochdruck leiden oder an Gewicht zunehmen. Eine tägliche Kochsalzzufuhr von 5 g pro Tag sollten Sie dann nicht überschreiten. Gemeint ist nicht nur das Kochsalz aus dem Salzstreuer, sondern auch das in verschiedenen Lebensmitteln enthaltene. Bedenken Sie, dass verstecktes Kochsalz in hohen Mengen in Fertiggerichten enthalten ist.
Beispiele
3 g Kochsalz sind enthalten in:
100 g Salami (etwa 5 Scheiben)
150 g Kasseler
125 g Camembert
50 g Matjesfilet
salzarm sind:
fettarme Milch (0,6 g pro halbem Liter)
Rindfleisch (0,12 g pro 100 g)
Bachforelle (0,1 g pro 100 g)
Auf dem Markt werden zwar kaliumhaltige Ersatzsalze (z. B. Siena-Salz, Ambi-Salz, Nestle-Alevita, Diät-Gewürzsalz) angeboten. Doch auch der hohe Kaliumgehalt kann für Sie als Nierenkranker gefährlich werden. Die meisten Nierenpatienten scheiden bis zum Dialysebeginn ausreichend Urin aus, zwischen 2 und 3 Litern pro Tag. Dies ist auch etwa die Flüssigkeitsmenge, die Sie in diesem Fall täglich zuführen sollten. Trinken Sie nicht mehr als 3 Liter Flüssigkeit pro Tag. Dies verbessert nicht die Nierenfunktion, sondern kann sogar gefährlich werden, besonders, wenn Sie auch herzkrank sind.
Es kann sein, dass Sie zusätzlich wassertreibende Medikamente (Diuretika) brauchen, wenn Sie Ödeme entwickeln oder einen hohen Blutdruck haben.
Behandlung der
Übersäuerung des Körpers
(metabolische Azidose): Die Unfähigkeit der erkrankten Niere, die im Stoffwechsel anfallenden Wasserstoffionen auszuscheiden, führt zu einer ausgeprägten Übersäuerung des Körpers. Mögliche Folgen sind: Kalzium freisetzung aus den Knochen (Knochenschmerzen, Knochenbrüche); Magen-Darm-Beschwerden (Appetitlosigkeit, Übelkeit, Erbrechen); erhöhte Kaliumwerte im Blut; »Kurzatmigkeit«, bedingt durch das Bemühen des Organismus, diese Übersäuerung durch vermehrte Atmung auszugleichen. Die Behandlung besteht in einer eiweißarmen Kost (je eiweißärmer die Kost, umso weniger Säuren werden im Körper gebildet). Gegensteuern kann man auch mit Bikarbonat in Tabletten- oder Pulverform.
Senkung der Phosphatkonzentration im Blut:
Kranke Nieren scheiden auch Phosphat vermindert aus. Deshalb steigt die Phosphatkonzentration zunächst in den Zellen des Körpers, später auch im Blut an. Wenn Phosphat steigt, nimmt Kalzium im Blut ab. Diese Situation bedingt eine ständige Stimulation der Nebenschilddrüsen, die vermehrt Parathormon produzieren, um das Kalzium wieder zu erhöhen. Im fortgeschrittenen Stadium des Nierenversagens führt diese Überfunktion der Nebenschilddrüsen zu erhöhten Kalziumwerten. Die Folge ist eine zunehmende Verkalkung in den Gefäßen, den Weichteilen, in der Umgebung der Gelenke und in verschiedenen inneren Organen, auch an den Herzklappen.