Der Duft nach Liebe und Lavendel - Nicole Knoblauch - E-Book
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Der Duft nach Liebe und Lavendel E-Book

Nicole Knoblauch

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Beschreibung

"Ihre Nähe, ihr Duft, ihre Anteilnahme, alles in ihm schrie danach, sich ihr zu öffnen, sich in ihren Armen zu verlieren und zuzulassen, was klar vor ihm lag: Die Chance auf ein Leben voller Liebe und Glück."

Die Londonerin Rebecca reist nach Antibes an der Côte d’Azur. Zusammen mit dem Reeder Yanis hat sie eine Villa in bester Lage zwischen Nizza und Monaco geerbt. Das Testament von Eva Poirot schickt die beiden auf eine Schnitzeljagd entlang der Küste, in deren Verlauf sie nach und nach herausfinden, warum sie den Besitz erben - denn Yanis und Rebecca kennen weder einander noch die Verstorbene.

Die junge Londonerin verliebt sich sofort in das azurblaue Meer und die traumhafte Landschaft Südfrankreichs. Auch Yanis schleicht sich immer mehr in ihr Herz. Doch vor ihnen liegt ein Sommer voller Geheimnisse, der ihre Leben völlig auf den Kopf und die zarten Gefühle auf eine harte Probe stellen wird ...

Ein wunderbarer Feel-Good-Roman über das Leben, die Erfüllung eigener Träume und über die Liebe, die für immer bleibt.

Alle Geschichten dieser Reihe zaubern dir den Sommer ins Herz und bringen dir den Urlaub nach Hause. Die Romane sind in sich abgeschlossen und können unabhängig voneinander gelesen werden.

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Inhalt

Cover

Grußwort des Verlags

Über dieses Buch

Titel

Zitat

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Epilog

Rezepte

Über die Autorin

Weitere Titel der Autorin

Impressum

 

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Über dieses Buch

Die Londonerin Rebecca reist nach Antibes an der Côte d’Azur. Zusammen mit dem Reeder Yanis hat sie eine Villa in bester Lage zwischen Nizza und Monaco geerbt. Das Testament von Eva Poirot schickt die beiden auf eine Schnitzeljagd entlang der Küste, in deren Verlauf sie nach und nach herausfinden, warum sie den Besitz erben – denn Yanis und Rebecca kennen weder einander noch die Verstorbene.

Die junge Londonerin verliebt sich sofort in das azurblaue Meer und die traumhafte Landschaft Südfrankreichs. Auch Yanis schleicht sich immer mehr in ihr Herz. Doch vor ihnen liegt ein Sommer voller Geheimnisse, der ihre Leben völlig auf den Kopf und die zarten Gefühle auf eine harte Probe stellen wird …

NICOLE KNOBLAUCH

 

›Le cœur a ses raisons que la raison ne connaît point‹ –

Das Herz hat seine Gründe, die der Verstand nicht kennt.

Blaise Pascal

Kapitel 1

»Bist du von allen guten Geistern verlassen?« Julians Stimme überschlug sich fast, und Rebecca war froh, ihn nur aus den Lautsprechern ihres gemieteten Mini Coopers zu hören. Das offene Verdeck sorgte dafür, dass Julians Worte in der warmen Luft der Côte d’Azur verhallten.

Sie hatte mit seiner Reaktion gerechnet und sich deshalb mit dem Anruf Zeit gelassen. Am Morgen war sie von London aus aufgebrochen, ohne ihm etwas zu sagen. Doch jetzt, kurz vor ihrem Ziel, wollte sie Farbe bekennen. Im Prinzip hatte sie nichts Schlimmes oder Verwerfliches vor. Allerdings war ihr bester und ältester Freund nicht mit ihrer Entscheidung einverstanden, wie seine Reaktion deutlich zeigte. Julian hatte ihr strikt davon abgeraten, nach Frankreich zu fahren. Nicht nur als Freund, sondern auch als ihr Anwalt. Er hatte immer wieder betont, wie gefährlich es war, sich auf eine überraschende Erbschaft einzulassen. Ganz besonders, wenn die Nachricht per E-Mail kam und man aufgefordert wurde, dafür in ein Land zu reisen, dessen Sprache man nicht verstand.

»Du willst dich mit dem Typen treffen, der angeblich ebenfalls geerbt haben soll?« Rebecca hatte sich schon gefragt, wann Julian seine Taktik ändern und wieder auf ruhiger, vernünftiger Anwalt umschalten würde. Scheidungsanwalt, wohlgemerkt, nicht Erbrecht.

»Herr Vidal wird da sein. Genau wie Herr Duchamp, der Notar.«

»Der angebliche Notar.« Ein tiefes Seufzen klang aus dem Lautsprecher. »Du hättest wenigstens warten können, bis mein Kollege alles geprüft hat. Findest du es denn kein bisschen merkwürdig, dass du eine Villa an der Côte d’Azur geerbt haben sollst? Für mich klingt das nach nigerianischem Prinz.«

In dem Punkt gab sie Julian sogar recht. Im ersten Moment war sie auch nicht bereit gewesen zu glauben, dass sie von völlig Fremden eine Villa an der Côte d’Azur geerbt haben sollte. Na ja, die Hälfte einer Villa. Die andere Hälfte ging an einen ihr ebenfalls unbekannten Franzosen, über den sie nichts gefunden hatte, da sie lediglich einen Nachnamen kannte. Und Vidal war offensichtlich ein recht häufiger Name.

Trotzdem klang es zu gut, um wahr zu sein. Doch nach zwei Gesprächen mit dem Notar und ein wenig Internetrecherche war sie bereit gewesen, es darauf ankommen zu lassen. Was hatte sie zu verlieren? Es gab keinen Grund zu denken, dass jemand sie übers Ohr hauen wollte. Bei ihr gab es nichts zu holen, und Südfrankreich war auch nicht unbedingt als Zentrum für Menschenhandel bekannt.

»Das hatten wir doch schon geklärt«, sagte sie deshalb und war froh, dass Julian ihr Augenrollen nicht sehen konnte. »Wir haben ihn gegoogelt, genau wie Frau Poirot. Er ist Notar in Nizza, und die tote Unbekannte ist echt. Alles in Ordnung.«

»Ich bleibe dabei, dass jeder eine Website basteln und dort viel behaupten kann. Wir hätten warten sollen, bis mein Freund …«

»Habe ich aber nicht und damit Ende«, unterbrach Rebecca ihn entschieden. »Ich bin in Südfrankreich und bereits auf der Küstenstraße von Nizza nach Mala. Egal, was du sagst, es wird mich nicht davon abhalten, gleich diese beiden Männer zu treffen.« Besser, Julian begriff das endlich.

»Hast du wenigstens Pfefferspray dabei und die lokalen Notrufnummern?«, kam es resigniert von der anderen Seite.

»Ich bin nicht am Ende der Welt. Frankreich ist ein zivilisiertes Land und …«

»Der Süden hat eine irrsinnig hohe Verbrechensstatistik, das weiß jeder. Und du triffst dich mit so einem windigen …«

»Du, die Verbindung wird gerade ganz schlecht, ich fahre in einen Tunnel.« Das war glatt gelogen, aber Rebecca hatte keine Lust, die Diskussion wieder von vorn zu beginnen. Seit sie vor zwei Wochen die Mail von diesem Notar, Maître Duchamp, bekommen hatte, drehten sich die Gespräche mit Julian im Kreis. Solange sie denken konnte, vertraute sie auf seine rationale Urteilskraft. Sie hatten immer aufeinander aufgepasst. Sei es als Kleinkinder auf dem Spielplatz oder später beim Ausgehen in Clubs. Uneinig waren sie sich nur dann, wenn Rebecca Entscheidungen aus dem Bauch heraus traf. Dazu zählte diese Reise nach Nizza zu einhundert Prozent. Ohne ein weiteres Wort legte sie auf und atmete tief durch. Das hier war ihr Leben, ihre Geschichte, die hoffentlich damit endete, dass sich ihr großer Traum erfüllte: das Hotel ihrer Familie in Bath wiederzueröffnen.

Natürlich war es ein Wagnis, nach Südfrankreich zu reisen und ein dubioses Erbe anzutreten, aber darin lag eben der Reiz. Sie wollte etwas erleben, das Nützliche mit dem Angenehmen verbinden. Bisher lief alles reibungslos. Schon der Anblick des azurblauen Wassers beim Landeanflug auf Nizza hatte gereicht, um Rebeccas Herz höherschlagen zu lassen. Das war etwas völlig anderes als England. Sie liebte ihre Heimat, doch diese kleine Auszeit im Süden war … Ihr fiel kein passender Begriff ein. Notwendig? Lange überfällig? Ein Segen? Ein Befreiungsschlag? Beim letzten Gedanken lächelte sie. So weit wollte sie nicht gehen. Sie musste sich nicht befreien. Aber die Reise war trotzdem eine einmalige Chance. Mit dem Geld aus der Erbschaft würde sie endlich ihr großes Ziel in Angriff nehmen und dem in die Jahre gekommenen Bed & Breakfast ihrer Nana neuen Glanz einhauchen. Schließlich hatte Rebecca aus diesem Grund erst eine Ausbildung zur Hotelfachfrau absolviert und danach ein Studium in Hotel- und Tourismusmanagement. Das Einzige, was ihr bisher zur Verwirklichung ihres Vorhabens gefehlt hatte, war Geld. Julian wollte einfach nicht verstehen, dass sie diese Gelegenheit nutzen musste.

Selbst wenn sich am Ende zeigte, dass dieses Testament nur ein Scherz war oder die Villa völlig verfallen und wertlos. Dann hatte sie es wenigstens versucht. Denn Träume wurden nur wahr, wenn man es darauf ankommen ließ.

Sie hatte immer auf Nummer sicher gespielt, nie etwas riskiert. Diesmal würde es anders sein. Allein, weil der Ort anders war. Das Meer zu ihrer Rechten wies kaum Ähnlichkeit zu dem in ihrer Heimat auf. Selbst bei strahlendem Sonnenschein hatte das Wasser an der Küste bei Brighton immer etwas Tintiges und war von Gischt gepeitscht. Hier lag es glatt und ruhig im flirrenden Sonnenlicht und zeigte eine Farbe, die dem Namen gerecht wurde: Côte d’Azur. So einen Farbton hatte sie nie zuvor gesehen. Bilder fingen diese einzigartige Mischung aus Blau und Grün nicht gebührend ein. Es war Liebe auf den ersten Blick, die sich mit jedem Kilometer vertiefte.

Sobald Rebecca auf die Küstenstraße gefahren war, hatte sie das Verdeck des Minis geöffnet. Sie wollte das Meer und diese einmalige Küste mit allen Sinnen genießen. Die leichte Brise, die ihre dunklen Locken im Wind flattern ließ. Das warme Sonnenlicht auf ihrer Haut, das heller und strahlender war, als sie es von zu Hause kannte. Selbst der Geruch war ein anderer; milder, salziger, lebendiger. Das war natürlich Blödsinn, änderte aber nichts an ihrer Wahrnehmung.

Die Küstenstraße in Richtung Mala, einer kleinen Stadt am Cap d’Ail kurz vor der Grenze zu Monaco, hätte malerischer nicht sein können. Rechts das azurblaue Meer und links die sanften Ausläufer der französischen Seealpen.

Laut Navi musste sie gleich abfahren, um zu ihrem Bestimmungsort zu gelangen. Das erforderte all ihre Aufmerksamkeit, denn sie war den Rechtsverkehr nicht gewohnt. Solange die Straße nur schnurstracks geradeaus führte, kein Problem. Aber sobald es ans Abbiegen ging, brauchte sie ihre volle Konzentration.

Geschafft. Sie folgte einer serpentinenartigen Straße und erreichte schließlich ihr Ziel. Wie hatte es der Notar ausgedrückt? Eine Belle-Époque-Villa in bester Lage mit Blick übers Meer bis nach Nizza. Verdeckt hinter einem schmiedeeisernen Tor, Mauern und Zedern erhaschte Rebecca einen ersten Eindruck der dreistöckigen Villa. So viel zu Julians Befürchtung, das Anwesen existiere gar nicht. Sie erkannte weiße Stuckarbeiten über den Fenstern und kunstvoll geschmiedete Balkone an einem ansonsten hellgelben Haus mit einem flachen Dach und einer Balustrade, die auf eine Dachterrasse schließen ließ.

Unwillkürlich schlug Rebecca eine Hand vor den Mund. Sie hatte englische Herrenhäuser gesehen, die kleiner waren als dieses Gebäude. Vor der Einfahrt parkten zwei Autos. Ein schwarzer Mercedes und ein weißes Fiat 500 Cabriolet mit geöffnetem roten Dach. Daneben standen zwei Männer ins Gespräch vertieft. Das mussten die Herren Duchamp und Vidal sein.

Während Rebecca den Wagen parkte, überlegte sie, welcher der Notar und welcher der andere Erbe war. Beide waren höchstens Mitte dreißig und trugen dunkle Anzüge. Bei genauerem Hinsehen fiel ihr auf, dass der eine halblange Locken hatte und sowohl auf Krawatte als auch auf Socken verzichtet hatte. Das war dann wohl der andere Erbe.

Wie erwartet kam der Mann mit Krawatte und Socken auf sie zu. Er breitete die Arme zur Begrüßung aus. Sein Lächeln reichte übers ganze Gesicht. »Sie müssen Madame Davis sein. Herzlich willkommen in Frankreich, ich bin Marcel Duchamp, wir haben telefoniert.« Inzwischen war er bei ihr angekommen, und bevor er sie umarmen konnte, ergriff Rebecca seine rechte Hand und schüttelte sie energisch.

»Freut mich, Sie kennenzulernen.«

»Ich hoffe, Sie hatten einen angenehmen Flug und nicht zu viele Probleme mit dem Verkehr? Für Engländer ist es immer etwas heikel, sich an die hiesigen Verkehrsregeln zu gewöhnen.« Der Notar sprach schnell und mit einem starken Akzent, sodass Rebecca Schwierigkeiten hatte, seinen Worten zu folgen. Das war ihr schon am Telefon aufgefallen, auch wenn er da offenbar versucht hatte, langsam und deutlich zu sprechen.

»Ich hatte es mir schlimmer vorgestellt, danke.«

»Très bien.« Der Notar schob seine Brille zurecht und zeigte auf den zweiten Mann. »Darf ich vorstellen: Monsieur Vidal, Madame Davis.«

Der andere Erbe trat einen Schritt vor, lächelte, und Rebecca wusste sofort, dass sie es mit einem Playboy zu tun hatte, wie er im Buche stand. Die dunklen Locken trug er einen Tick zu lang, ebenso den Dreitagebart, was bestimmt Absicht war. Im Zusammenspiel mit seiner Kleidung ergab sich ein gewisser Laisser-faire-Stil, in dem vermutlich viel Arbeit steckte. Alle Stücke waren genau aufeinander abgestimmt und unterstrichen den jungenhaften Charme dieses Mannes.

»Willkommen an der Côte d’Azur, Mademoiselle Davis, ich bin verzaubert. Yanis Vidal, zu Ihren Diensten.« Im Gegensatz zu Herrn Duchamp hob er ihre Hand an seine Lippen und hauchte einen Kuss kurz darüber in die Luft. Dabei musterte er sie aus blassblauen Augen, die einen faszinierenden Kontrast zu seinem gebräunten Teint und den dunklen Haaren bildeten. »Ich hoffe, Sie verbringen eine gute Zeit bei uns an der Küste.« Sein Akzent war deutlich weniger hörbar, verlieh seinem Englisch aber eine Note, die Rebecca eine angenehme Gänsehaut verursachte. Er ließ ihren Blick nicht los und lächelte auf eine Art, die das Kribbeln in ihrem Bauch verstärkte. Dieser Mann wusste genau, was er tat und wie er auf Frauen wirkte. Auch auf sie.

Nur gut, dass sie durch ihren Job jahrelange Erfahrung damit hatte, solche Männer abzuweisen. Sie bedeuteten nichts als Ärger und ein gebrochenes Herz. In ihrer Zeit in verschiedenen Luxushotels in ganz England hatte sie einige Männer seines Schlags kennengelernt. Sie gönnte jeder Frau den Spaß mit ihnen. Nur für sie war das nichts. Sie suchte eine Beziehung auf Augenhöhe, keinen Mann, der sie mit seinem Geld beeindrucken wollte. Sosehr er ihr auch gefiel, so wenig würde sie sich von ihm einwickeln lassen. Kribbeln im Bauch hin oder her.

Entschlossen entzog sie ihm die Hand, was ihr ein Stirnrunzeln seinerseits einbrachte. »Danke, ich bin zum ersten Mal in Südfrankreich und habe vor, so viel von der Umgebung zu sehen wie möglich. Ich reise gern allein und genieße die Ruhe, die mir solche Ausflüge verschaffen.« Männer wie er verstanden nur klare Ansagen. Wenn überhaupt.

Die Falte auf seiner Stirn vertiefte sich, und Monsieur Vidal setzte zu einer Antwort an, doch der Notar kam ihm zuvor. »An dieser Stelle mische ich mich ein. Vielleicht sollten wir ins Haus gehen, damit ich die Bedingungen der Erbschaft erläutern kann? Hier auf der Straße ist nicht der richtige Ort dafür.«

»Gern«, antworteten Rebecca und Monsieur Vidal zeitgleich.

»Sehr gut. Dann öffne ich jetzt das Tor, und wir fahren hinein.« Er wandte sich einem Zahlenfeld zu, tippte und sagte gleichzeitig: »Sie beide bekommen natürlich alle nötigen Codes. Wenn Sie mir bitte folgen wollen?«

Quietschend und ziemlich langsam fuhr das Gitter zur Seite. Rebecca ging zu ihrem Wagen und stellte überrascht fest, dass Monsieur Duchamp in den Mercedes stieg. Die Wette hätte sie verloren. Ihrer Einschätzung nach war Yanis Vidal nicht der Typ, der sich mit einem kleinen Fiat zufriedengab. Gehörte der seiner Freundin, und er hatte ihn sich nur ausgeliehen?

Im Grunde konnte es ihr egal sein. Sie folgte den beiden Männern auf das Grundstück, und der Anblick brachte sie sofort auf andere Gedanken. Hatte das Anwesen von außen betrachtet imposant gewirkt, war das Wort, das Rebecca nun einfiel: hollywoodreif. Die weißgekieste Auffahrt entsprach ebenso dem Klischee einer südfranzösischen Villa wie die Pinien und Zedern, die sie säumten. Erst jetzt sah sie, dass es sich eigentlich um zwei Gebäude handelte. Das Haupthaus, welches sie von der Straße aus gesehen hatte, und ein kleinerer nach hinten versetzter Bau, der tiefer in Richtung Meer lag.

Rebecca parkte ihren Mini neben dem Fiat und sammelte sich kurz. Diese Villa war mit Sicherheit ein Vermögen wert. Sie konnte nur hoffen, dass ihr Miterbe sie ausbezahlen konnte oder das Geld ebenso dringend brauchte wie sie. Falls das mit dem Erbe überhaupt stimmte. So viel hatten sie das Leben und Julian gelehrt: Erst wenn ein Vertrag unterschrieben war, lohnte es sich, darauf anzustoßen.

Dieser Gedanke half ihr, einigermaßen gefasst aus dem Wagen zu steigen. Sie war fest entschlossen, diese Möglichkeit zu ergreifen.

Kapitel 2

Yanis Vidal trat aus der Hitze der Nachmittagssonne in die kühle Eingangshalle der Villa, die durch einen glücklichen Zufall bald ihm gehören sollte. Ihm und dieser Engländerin. Zugegeben, sie war mir ihren kastanienbraunen Haaren, den dunkelbraunen Augen und dem breiten Mund unter der Stupsnase eine echte Schönheit. Doch zu seiner Überraschung hatte sie auf seinen Flirtversuch nicht reagiert. Das war ihm lange nicht mehr passiert. Normalerweise reichten ein Handkuss und ein Lächeln seinerseits, um die Frauen dahinschmelzen zu lassen.

Wenn du dich da mal nicht überschätzt, mein Sohn. Yanis schloss die Augen und versuchte den Stich zu ignorieren, den ihm die Stimme seines Vaters in Gedanken versetzte. Obwohl dieser vor über einem Jahr gestorben war, hörte er ihn oft im Geiste seine meist scherzhaften, aber stets wohlwollenden Ratschläge erteilen. Er hatte ihm immer nahegelegt, weniger darauf zu geben, wie er auf andere wirkte, und mehr darauf zu achten, was ihm sein Herz sagte.

Er schüttelte den Gedanken an seinen Vater ab und sah sich um. Die Villa hielt auch von innen, was ihr Äußeres versprach: Luxus pur. Allein der schwarz-weiße Marmorfußboden musste ein Vermögen gekostet haben.

Sie würden ein ordentliches Sümmchen für das Anwesen bekommen, und er hatte bereits den ein oder anderen Käufer im Kopf. Immer vorausgesetzt, die Engländerin wollte ebenfalls verkaufen. Er warf ihr einen unauffälligen Blick zu und kam nicht umhin zu bemerken, dass sie weit weniger beeindruckt war, als er erwartet hätte. Er hatte mit einer Frau gerechnet, die er durch die Aussicht auf Luxus und seinen Charme leicht dazu bewegen konnte, die Villa zu veräußern. Allein der Unterhalt dieses Anwesens kostete mit Sicherheit eine Stange Geld, das konnten sich nur wenige leisten. Rebecca Davis schien allerdings ebenfalls wohlhabend zu sein, wenn er ihre gelassene Reaktion auf den Protz und Prunk hier richtig deutete.

Er konnte nur hoffen, dass sie nicht darauf bestand, die Villa zu behalten. Denn selbst wenn sie Geld besaß, war es sicher zu wenig, um ihn auf einen Schlag auszahlen zu können. Aber er brauchte die Summe auf einmal. Dieses Erbe bot ihm die Chance, auf die er schon lange gewartet hatte. Mit dem Verkauf konnte er endlich die Schuld gegenüber seinem Bruder begleichen, eine neue Jacht kaufen und somit als gleichberechtigter Partner bei Vidal&Vidal auftreten. Elian warf ihm nie vor, dass er damals kein Kapital eingebracht hatte, sondern nur seinen Geschäftssinn und ein paar Kontakte. Doch für Yanis war es Ehrensache, ebenfalls aus seinem Privatvermögen in ihren gemeinsamen Jachtverleih zu investieren.

»Kommen Sie«, Maître Duchamp deutete auf eine Tür zu seiner Rechten, »wir setzen uns in die kleine Bibliothek, und ich werde Ihnen die Bedingungen des Erbes erläutern.«

Bedingungen? Ungewöhnlich, aber nicht gänzlich unerwartet. Es kam nicht alle Tage vor, dass man ein solches Anwesen erbte, ohne zu wissen, wer es einem vererbt hatte. Yanis hatte natürlich Nachforschungen über diese Madame Poirot angestellt, der die Villa bis zu ihrem Tod gehört hatte. Viel gefunden hatte er nicht. Eva Poirot war die Frau des Bankiers und mehrfachen Millionärs Laurent Poirot gewesen. Seit dessen Tod vor drei Jahren hatte sie zurückgezogen in dieser Villa gelebt. Das war alles. Kein Hinweis, warum er als Erbe eingesetzt worden war.

»Bitte, setzen wir uns. Ich werde sofort beginnen. Da die Lage etwas kompliziert ist und genauere Erläuterung erfordert, habe ich mir erlaubt, Erfrischungen bereitzustellen.« Sein Blick ging zu einem Beistelltisch, auf dem in einem Champagnerkühler mehrere Flaschen bereitstanden. Softdrinks, wenn Yanis das richtig sah. Er nahm sich eine Cola und wandte sich an Rebecca Davis. »Wasser oder Cola für Sie, Mademoiselle?«

»Cola, danke schön.« Sie lächelte, was sie noch schöner machte, sah ihn dabei aber nur kurz an.

Ihre Fingerspitzen berührten sich leicht, was ein angenehmes Prickeln bei Yanis hinterließ. Mademoiselle Davis war eine außergewöhnlich hübsche Frau, und er reagierte auf sie. Die natürlichste Sache der Welt und dazu unheimlich reizvoll. Seit er den Kinderschuhen entwachsen war, genoss er die Gegenwart schöner Frauen. Sie waren ein Geschenk und sollten auch so behandelt werden.

»Dann fangen wir gleich an?« Der Maître war hinter einen zierlichen Schreibtisch aus Kirschholz getreten und deutete auf die beiden Ledersessel, die davorstanden. Von dort aus hatte man einen hervorragenden Blick auf die Bücher der kleinen Bibliothek. Sie waren allesamt in rotes Leder mit Goldprägung gebunden, was zwar einen herrlichen Anblick bot, aber nicht erlaubte, sie einem Genre zuzuordnen. Rechts von ihnen sah man dank der bodentiefen Fenster hinaus auf eine Terrasse, den darunterliegenden Pool und natürlich das Meer. Das Bild eines großen Olivenbaums hing direkt neben dem Fenster und erregte kurz Yanis’ Aufmerksamkeit. Irgendwie kam er ihm bekannt vor, doch er erinnerte sich nicht, wo dieser spezielle Baum stand – falls es ihn überhaupt gab. Denn im Prinzip hatte hier an der Küste jeder Ort seinen eigenen alten verwachsenen Olivenbaum.

»Wie Sie beide wissen«, begann Maître Duchamp seine Ausführungen, »hat Madame Poirot Sie zu ihren Erben ernannt. Wie ich Ihnen bereits am Telefon versichert habe, werden sich die Umstände bald aufklären. Ich verlese nun einen Brief von Madame Poirot, der erste Erklärungen liefern wird.«

Überrascht drehte Yanis den Kopf und fing den Blick seiner Miterbin ein. Die zuckte mit den Schultern und widmete dann ihre ganze Aufmerksamkeit dem Notar.

Der räusperte sich, holte ein Blatt Papier aus seiner Aktenmappe, strich es glatt und begann zu lesen.

Ma chère Rebecca, mon cher Yanis,

zuerst möchte ich mich bei Rebecca für mein möglicherweise fehlerhaftes Englisch entschuldigen. Es ist Jahrzehnte her, dass ich diese Sprache gesprochen habe, und Maître Duchamp hat einen grauenhaften Akzent, doch es ist mir ein echtes Anliegen, euch diese Botschaft in meinen eigenen Worten zu übermitteln.

Was Yanis angeht, weiß ich, dass er des Englischen mächtig ist und es fast täglich spricht. Er wird den Bedingungen und Rätseln also ohne Probleme folgen können. Doch ich greife vor.

Ihr wisst nicht, wer ich bin oder warum ich euch Haus und Vermögen vermache. Um das herauszufinden, bitte ich um eure Geduld. Wenn man so jung ist wie ihr, ist das eine Tugend, die man oft erst noch erlernen muss, und ich versichere euch, es wird sich lohnen.

Um den Grund zu erfahren, warum ihr erben sollt, werdet ihr ein Spiel spielen. Ich habe Hinweise versteckt, die euch Stück für Stück zur Wahrheit führen werden.

Da mir die Ungeduld junger Menschen gut im Gedächtnis geblieben ist, erhöhen wir den Einsatz: Um das Erbe antreten zu können, braucht ihr mein Stammbuch. Maître Duchamp verfügt lediglich über meine Sterbeurkunde. Er wird euch erläutern, was es damit auf sich hat.

Der Notar unterbrach sich und sah von dem Brief auf. »Ich weiß nicht, wie bewandert Sie in französischem Erbrecht sind, weshalb ich kurz den üblichen Ablauf zusammenfasse?«

Sowohl Yanis als auch Rebecca nickten. Yanis kannte zwar die Formalitäten, der Tod seines Vaters war nicht lange her. Aber warum sollte die alte Dame ihr Stammbuch verstecken? Fürs Erste blieb ihm nichts anderes, als weiter dem Maître zu lauschen.

»Um das Erbe vor dem Gesetz durchzusetzen, verfasst der Notar, in dem Fall also ich, eine sogenannte acte de notoriété. Im Wesentlichen ist das eine Akte, in der neben dem Testament eben auch das Stammbuch des Erblassers enthalten ist, um die Erbfolge zu bestimmen. Ohne diese Akte kann weder eine Überschreibung der Immobilie noch des Privatvermögens stattfinden. Wir haben ein halbes Jahr Zeit, um alles in die Wege zu leiten.«

»Und ohne dieses Buch bekommen wir nichts?«, fragte Rebecca mit ruhiger Stimme.

»So sieht es das Gesetz vor. Sollte das Stammbuch von Madame Poirot nicht innerhalb der nächsten fünf Monate gefunden werden, werden sämtliche Vermögenswerte in eine Stiftung umgewandelt.« Der Notar rückte sich zurecht. »Das schließt Haus und Grundstück mit ein.«

»Nun«, Yanis fuhr sich durchs Haar, »dann werden wir nach diesem Stammbuch suchen, n’est-ce pas?« Er war stolz, dass man ihm seine Aufregung nicht anmerkte.

»Auf jeden Fall!« Ihre Antwort ließ ihn innerlich applaudieren. Der erste Schritt war getan. Sie wollte dieses Erbe offensichtlich genauso dringend wie er.

»Gut, dann verlese ich Madames restliche Anweisungen.« Monsieur Duchamp räusperte sich ein weiteres Mal.

Rebecca und Yanis, ihr wisst jetzt, wonach ihr suchen müsst, aber ihr fragt euch sicher immer noch, was hinter alldem steckt. Daher will ich euch einen Hinweis geben: Es geht darum, eine alte Schuld zu begleichen. Das sollte fürs Erste genügen.

Eine alte Schuld begleichen? Yanis runzelte die Stirn. Einen Sinn fürs Dramatische hatte diese Madame Poirot.

Kommen wir nun zu den Rätseln, von denen ich eingangs gesprochen habe. Stellt es euch wie eine Art Schnitzeljagd vor. Jedes gelöste Rätsel führt euch zu dem Ort, an dem ihr das nächste findet, bis am letzten Ort mein Stammbuch auf euch wartet.

Mehr ist es nicht. Eine einfache Aufgabe, an deren Ende hoffentlich das steht, was Laurent und ich uns erhofft haben.

Verzeiht einer alten Frau die kryptischen Worte.

Habt viel Spaß bei den Rätseln, die ich zusammen mit meinem Mann entworfen habe. Das erste ist in einem Bankschließfach deponiert, auf das nur ihr beide Zugriff habt.

Mir bleibt nur noch, euch viel Glück zu wünschen.

Hochachtungsvoll

Eva Poirot

Maître Duchamp sah mit einem schmalen Lächeln auf und rückte seine Brille zurecht. »Das war es im Wesentlichen. Mir sind die Hände gebunden, bis ich alle Unterlagen habe.«

»Und dieses Stammbuch existiert?« Yanis war skeptisch, er vergeudete nur ungern seine Zeit.

»Ich habe es gesehen«, antwortete der Notar immer noch lächelnd. »Es ist alles so weit vorbereitet, dass ich umgehend beginnen kann, sobald Sie es gefunden haben.«

Das war schon mal eine Erleichterung.

»Und danach«, Mademoiselle Davis sah zuerst zu ihm, dann zu Maître Duchamp, »können wir den Besitz veräußern?«

Diese Worte entlockten Yanis ein breites Grinsen. Umsonst Sorgen gemacht. Sie schien, genau wie er, mehr an Geld interessiert zu sein als an der Villa.

»Das ist eine der Möglichkeiten«, antwortete Monsieur Duchamp. »Sie könnten sie auch selbst nutzen oder vermieten. Das Grundstück kann nicht geteilt werden. Ein etwaiger Verkaufserlös hingegen schon, ebenso wie das dazugehörige Vermögen.«

»Von wie viel Geld sprechen wir?« Äußerlich völlig ruhig faltete sie die Hände im Schoß.

Yanis fragte sich, ob sie wirklich eiskalt war oder nur so tat. Im Grunde konnte es ihm egal sein, weil sie die richtigen Fragen stellte.

»Auch das werden Sie erst erfahren, wenn sie die nötigen Unterlagen gefunden haben. Aber Sie können davon ausgehen, dass Madame Poirot durchaus wohlhabend war.«

Um seine Begeisterung zu verbergen, schloss Yanis kurz die Augen, öffnete sie wieder und lächelte. Ein wenig Freude war angebracht. Für sein Vorhaben brauchte er einen achtstelligen Betrag. Seiner Schätzung nach war die Villa allein gut und gern zwanzig Millionen Euro wert.

»Dann werden wir uns auf Schnitzeljagd begeben.« Mademoiselle Davis’ Augen leuchteten, und sie rutschte unruhig auf ihrem Stuhl hin und her. »Wir brauchen nur die Schlüssel für dieses Schließfach.«

Eine Frau nach seinem Geschmack – und das nicht nur wegen ihres Aussehens.

Rebecca hatte den Ausführungen des Notars mit großem Interesse gelauscht. Eine Schnitzeljagd. Wie unerwartet. Sie musste zugeben, dass ihre Neugier geweckt war.

»Die Codes für die Villa gebe ich Ihnen direkt, genau wie die Schlüssel. Allerdings fürchte ich, dass Sie vor morgen früh in der Bank nichts erreichen werden. Sie befindet sich in Nizza und schließt in wenigen Minuten. Man wird Sie dort aber gebührend empfangen.«

»Wir haben nicht einmal fünfzehn Uhr, wie kann es sein, dass die Bank bereits schließt?« Rebecca runzelte die Stirn. Ihr Kontakt mit Banken beschränkte sich aufs Onlinebanking und den Besuch von Geldautomaten, aber es konnte doch unmöglich sein, dass man an einem ganz normalen Nachmittag nicht an seinen Besitz kam.

»Die Poirot Banque Privée arbeitet sehr exklusiv, und die Öffnungszeiten richten sich nach den Bedürfnissen der Kunden.« Monsieur Duchamp hob entschuldigend die Hände. »Sie beide haben gleich morgen früh um neun einen Termin. Früher ließ es sich wirklich nicht einrichten.«

Rebecca hätte liebend gern sofort mit der Suche nach diesem Stammbuch begonnen. Die Botschaft von Madame Poirot erklärte zwar nicht alles, ließ aber darauf schließen, dass es für die überraschende Erbschaft einen guten Grund gab. Den wollte Rebecca nur zu gern herausfinden. Zeit hatte sie genug. Ihr Urlaub ging noch zwei Wochen, und mit einem Millionenerbe war sie auf den schlecht bezahlten Hoteljob ohnehin nicht mehr angewiesen.

Sie wandte sich an Monsieur Vidal. Sich gut mit ihm zu stellen war sicher von Vorteil. Sie würden zusammenarbeiten müssen, um ans Ziel zu kommen. »Wollen wir das Haus schon einmal erkunden?« Ein kurzer Blick zum Notar. »Das ist erlaubt, oder?«

»Natürlich. Sie können sich so lange umsehen, wie Sie möchten, und sich mit den Gegebenheiten vertraut machen. Hier im Haupthaus ist alles zugänglich. Das Poolhaus ist mit einem eigenen Zahlencode gesichert.« Er holte zwei Zettel aus einer Kladde und reichte sie ihnen. »Hier finden Sie sämtliche Zugangsdaten, Codes und die Adresse der Bank. Und hier«, jetzt übergab er ihnen je ein Gerät in der Größe eines Autoschlüssels. »Das sind Fernbedienungen für das Haupttor. So müssen Sie nicht jedes Mal aus dem Auto aussteigen, wenn Sie das Grundstück betreten oder verlassen wollen.«

Rebecca nahm alles entgegen und studierte den Zettel interessiert. Zu ihrer Überraschung war einer der Codes ihr Geburtsdatum.

»Mein Geburtstag?« Monsieur Vidal sah von seinem Blatt auf. »Das ist nicht gerade sicher, soweit ich weiß.«

»Diese Codes wurden von Madame Poirot festgelegt«, sagte Monsieur Duchamp schulterzuckend. »Das Master-Passwort zum Ändern der Codes erhalten Sie, sobald die Villa in Ihren Besitz übergeht.«

Monsieur Vidal brummte etwas Unverständliches auf Französisch, schüttelte den Kopf und zeigte dann wieder sein Lächeln. »Wie ich sehe, sind wir im gleichen Jahr geboren, Mademoiselle. Ein Hinweis?«

Das war Rebecca ebenfalls aufgefallen. Sie hatte erst vor zwei Wochen ihren dreißigsten Geburtstag gefeiert und war damit vier Monate älter als er. Ob das etwas mit des Rätsels Lösung zu tun hatte? Sie bezweifelte es. »Möglich«, antwortete sie deshalb ausweichend. »Erkunden wir das Haus gemeinsam oder jeder für sich?«

»Gemeinsam, würde ich sagen?« Er setzte wieder dieses einnehmende Lächeln auf, das ihr gleich an ihm aufgefallen war. Ob er das stundenlang vor dem Spiegel geübt hatte? Sie erkannte es, wenn eine Gefühlsregung echt war und aus tiefstem Herzen kam. Das Lächeln von Monsieur Vidal gehörte nicht in diese Kategorie. Sie fragte sich nicht zum ersten Mal, was einen Menschen zu so etwas veranlasste.

»Schön, dann verabschiede ich mich an dieser Stelle. Sie haben meine Nummer, falls es noch Fragen gibt.« Monsieur Duchamp reichte ihnen beiden die Hand und packte seine Unterlagen ein. »Viel Glück, und vergessen Sie nicht, die Alarmanlage zu aktivieren, bevor Sie gehen.« Mit diesen Worten ließ er sie allein.

Rebecca rieb unternehmungslustig die Hände. »Beginnen wir im Untergeschoss?« Ohne auf Monsieur Vidals Antwort zu warten, verließ sie den Raum und stand wieder im Eingangsbereich. Von dort gingen drei weitere Türen ab, von denen eine in ein kleines Badezimmer mit Dusche führte. Sie sahen nur kurz hinein, genau wie in die offene Küche, die sich in ein geräumiges und modern eingerichtetes Wohnzimmer öffnete. Von dort aus hatte man einen fantastischen Blick aufs Meer. Rebecca verharrte und versuchte zu begreifen, dass ein Teil dieses Hauses bald ihr gehören konnte. Zumindest bis sie einen Käufer gefunden hatten.

»Ein wunderschöner Ausblick.« Sie hatte nicht bemerkt, dass Monsieur Vidal neben sie getreten war. »Ich sehe das Meer jeden Tag und bin dennoch immer wieder hingerissen.«

Etwas in seiner Stimme ließ Rebecca aufhorchen. Er klang, nun ja, ehrlich. Gerade so, als würden die Worte ungefiltert seine Gefühlslage wiedergeben. Das machte ihn in ihren Augen deutlich sympathischer.

»Verständlich«, antwortete sie und sah zu ihm. »Gehen wir nach oben?«

»Oder nach draußen? Wenn mich nicht alles täuscht, ist dort eine Treppe nach unten.« Er deutete am Poolhaus vorbei, und tatsächlich entdeckte Rebecca etwas, was direkt in den Fels gehauene Stufen zu sein schienen. »Wollen wir nachsehen, ob es einen Zugang zum Meer gibt? Nur wenige Häuser an der Steilküste haben so etwas, und es würde den Wert enorm steigern.«

»Lassen Sie uns nachsehen.« Das helle Sonnenlicht auf der Terrasse veranlasste Rebecca sofort, ihre Sonnenbrille über die Augen zu schieben. Es war ihr ein Rätsel, wie er es ohne aushielt. Lag es daran, dass er hier lebte? Für Rebeccas empfindliche Augen war es eindeutig zu hell.

»Wir sollten herausfinden, welches Personal noch beschäftigt wird.« Monsieur Vidal sah sich um und deutete auf den Pool. »Garten und Pool sehen aus, als würde jemand für Ordnung sorgen. Genau wie das Innere des Hauses.«

Darüber hatte sich Rebecca bisher keine Gedanken gemacht, musste ihm aber recht geben. Der Unterhalt dieses Anwesens verschlang sicherlich Unsummen. Sie überquerten die Terrasse, deren Fliesen hell im Sonnenlicht schimmerten. In mehreren großen Kübeln blühte üppig Lavendel. Umschwirrt vom Summen Hunderter Bienen und Hummeln, verströmte er einen so angenehmen Duft, dass Rebecca innehielt und einmal tief durch die Nase einatmete.

»Sie mögen Lavendel?« Monsieur Vidal war neben ihr zum Stehen gekommen und sog ebenfalls den Duft in sich auf.

»Der Geruch des Sommers«, sagte sie und schenkte ihm ein Lächeln, welches er erwiderte.

»Hier an der Küste ist er eher selten, doch man findet ihn oft zur Terrassen- und Hofgestaltung. Sehr zu meinem Glück, denn auch ich rieche ihn gern.«

Sie glaubte ihm. Wieder schien er seine aufgesetzte Freundlichkeit abgelegt zu haben und einen kleinen Einblick in sein Innerstes zu gewähren.

Sie erreichten eine Brüstung aus durchsichtigem Material, in die eine Tür eingearbeitet war, hinter der sich tatsächlich Stufen befanden. Diese führten in einer kleinen Serpentine den steilen Felsen hinunter und endeten an einem flachen Teil der Klippe, von dem aus man direkten Zugang zum Meer hatte. Wenn man wollte, könnte man es sich dort zu zweit oder dritt mit einem Handtuch bequem machen. Daneben befand sich ein Steg, der einige Meter ins Wasser hineinragte.

»Ein privater Zugang zum Meer und ein Landungssteg, wie exklusiv. Hier wurde an nichts gespart«, bemerkte Monsieur Vidal mit einem tiefen Seufzer.

Rebecca sah ihn nachdenklich an. »Was, denken Sie, hat eine Frau von Madame Poirots Format dazu veranlasst, uns beide als Erben einzusetzen?«

»Offen gesagt, ich habe keinen blassen Schimmer.« Er schüttelte den Kopf. »Soweit ich weiß, hat meine Familie keine Kontakte nach England.«

»Genauso wenig wie meine nach Frankreich.«

»Wir werden wohl oder übel warten müssen, bis das Rätsel gelöst ist. Madame hat versichert, dass sich alles klären wird. Vertrauen wir ihr.«

Das sagte sich so einfach. Für ihn schien das kein Problem zu sein. Überhaupt kam ihr Yanis Vidal wie ein Mann vor, der das Leben leichtnahm. Daran war im Prinzip nichts auszusetzen, trotzdem war sie neugierig. Sie würde ihn googeln, jetzt nachdem sie seinen vollen Namen kannte. Wenn sie raten musste, würde sie sagen, dass er als Kind reicher Eltern seine Zeit damit verbrachte, mit dem Jetset um die Welt zu reisen und das Leben zu genießen.

Sie hatten inzwischen wieder das Innere der Villa erreicht und waren auf dem Weg in den ersten Stock. Dort befanden sich fünf der zehn Schlafzimmer, jedes mit einem eigenen Bad ausgestattet. Im Stockwerk darüber noch einmal dasselbe und unter dem Dach die große Bibliothek, die ihrem Namen alle Ehre machte. Bücher so weit das Auge reichte und drei Leseecken mit bequemen Sesseln und Tischen. Zusätzlich gab es einen Arbeitsbereich, an dem sich zwei Schreibtische gegenüberstanden. Wie im ganzen Haus sorgte eine Klimaanlage für ein angenehmes Raumklima.

»Wenn ich Ihre Reaktion richtig deute, Mademoiselle, haben wir unseren Lieblingsort gefunden?«

»Es ist umwerfend«, gab Rebecca offen zu.

»Was halten Sie davon, wenn wir gemeinsam zu Abend essen? Nur um uns auszutauschen und ein wenig besser kennenzulernen.«

Der Themenwechsel verschlug ihr im ersten Moment die Sprache, doch sie fing sich schnell wieder. Unter den gegebenen Umständen keine schlechte Idee. Sie musste es nur schaffen, dieses Kribbeln zu unterdrücken, das jedes seiner Worte in ihr auslöste. Denn obwohl sie ihn als das durchschaute, was er war – ein Frauenheld, der wusste, wie er wirkte –, gefiel er ihr.

»Einverstanden. Allerdings müssen Sie das Restaurant vorschlagen. Sie kennen sich in der Gegend aus, nehme ich an?«

»Ist Ihr Hotel in der Nähe von Antibes? Ich kenne da eine kleine Taverne …«

»Wie es der Zufall so will, wohne ich momentan in Antibes. Kennen Sie das Sac à Dos in der Altstadt?«

»Die Jugendherberge?«

Rebecca versteckte ihr Amüsement über seinen pikierten Tonfall nicht und fragte schelmisch: »Ist das nicht gut?«

»Nein, doch, natürlich. Das Haus hat einen einwandfreien Ruf. Ich wundere mich nur, dass eine Frau wie Sie dieses … Etablissement wählt. Dort übernachten in der Regel Rucksacktouristen mit begrenztem Budget.«

»Vielleicht habe ich ja ein niedriges Budget?« Ihr provozierender Tonfall entlockte ihm jetzt ebenfalls ein Grinsen, welches ihr durch und durch ging.

»Mit diesem Auto und diesem Kleid? Jamais, Mademoiselle. Niemals.«

Er war ein guter Beobachter, das musste sie ihm lassen. Woher sollte er wissen, dass ihr teures Kleid secondhand war und der Wagen ein Luxus, für den sie nichts konnte. Sie hatte ein wesentlich preiswerteres Modell gebucht, das jedoch nicht zur Verfügung stand, weshalb man ihr den Mini zum Schnäppchenpreis überlassen hatte. Doch das musste er nicht wissen. »Nicht jedes Rätsel muss gelöst werden, konzentrieren Sie sich lieber auf unser Ziel«, antwortete sie keck und machte sich auf den Weg nach unten.

Monsieur Vidal folgte, und sie verließen zusammen die Villa. Vor ihren Autos blieben sie stehen, und er fragte: »Ich hole Sie um neunzehn Uhr ab?«

»Abgemacht. Dann bis heute Abend.« Sie winkte zum Abschied und stieg schnell in ihren Mini, bevor er ihr mit einem französischen Abschiedsritual kam. Ständiges Umarmen und Küssen schien hier normal zu sein. Die Zeit bis zum Abend wollte sie in Ruhe verbringen. Eventuell noch einmal mit Julian sprechen, um ihm zu sagen, dass alles in Ordnung war.

Sobald sie wieder auf der Küstenstraße war, wählte sie seine Nummer. Er nahm nach dem ersten Klingeln ab. »Geht es dir gut?«

»Mir geht es hervorragend, danke der Nachfrage. Und bevor du anfängst, mir wieder Vorträge zu halten, erzähle ich dir haarklein, was passiert ist.« Sie nahm sich Zeit, erwähnte jedes noch so kleine Detail und schloss mit dem Satz: »Und heute Abend lädt er mich zum Essen ein.«

»Ein romantisches Dinner mit dem Franzosen? Sagtest du nicht, er sei ein Playboy?«

»Mag sein, aber da ich das weiß, ist es ungefährlich.«

»Wenn du das sagst«, brummte Julian.

»Danke für dein Vertrauen.« Sie schaffte es nicht, ihren Ärger zu verstecken.

»Das hat wenig mit Vertrauen zu tun. Es geht vielmehr darum, dass der Kerl weiß, was er tut, und ich nicht will, dass er dir wehtut. Du bist nicht für One-Night-Stands gemacht, und wenn er …«

»Mir so etwas anbietet, lehne ich ab. Ich mache den gleichen Fehler nie zweimal, das weißt du. Er ist nicht Jack, und ich habe inzwischen Übung darin, Männer wie ihn charmant auf Abstand zu halten.«

»Okay. Aber wenn er seine Finger nicht bei sich lässt, rufst du mich an!«

»Und was willst du dann machen?«, fragte sie lachend. »Dich ins Flugzeug setzen und ihn verprügeln?«

»Wenn es sein muss.«

»Das ist süß, aber unnötig. Ich komme zurecht.«

»Ich weiß.« Er seufzte laut. »Und danke für den Anruf. Jetzt bin ich schon ruhiger. Du meldest dich, wenn irgendetwas ist?«

So viel Fürsorge wärmte ihr das Herz. »Natürlich. Ich schreibe dir, sobald ich nach dem Abendessen wieder im Hostel bin.«

»Alles klar. Wir hören uns.«

»Bis dann.« Sie legte auf und atmete einmal befreit durch. Das versprach, ein interessanter Abend zu werden.

Kapitel 3

Es war kurz vor neunzehn Uhr, und Rebecca warf einen letzten Blick in den Spiegel. Sie hatte ein wenig Make-up aufgelegt und das lange, dunkle Haar aufgesteckt. Dazu trug sie eine luftige Marlenehose mit einem engen Wickeltop und flachen Ballerinas. Hoffentlich angemessen für die Lokalität, in die Monsieur Vidal sie ausführen wollte.

Oder auch nicht, wenn man seinen Beruf bedachte. Wider Erwarten war er wohl kein Kind reicher Eltern, sondern ein Selfmademan. Zusammen mit seinem Bruder Elian verlieh er Luxusjachten an Menschen mit zu viel Geld. Rebeccas Internetrecherche hatte ergeben, dass sowohl er als auch sein Bruder zur lokalen High Society zählten. Sie hatten klein angefangen und vermieteten inzwischen an reiche Kunden aus aller Welt.

Die Netzfunde über ihn bestätigten ihre Einschätzung, was sein Verhältnis zu Frauen anging. Beide Brüder waren dafür bekannt, mit wechselnder weiblicher Begleitung zu erscheinen, feste Bindung ausgeschlossen. Yanis Vidal umgab sich offenbar gern mit schönen Frauen. Irgendwie beruhigte sie das. Damit wusste sie, woran sie bei ihm war. Sie würde sich nicht von ihm einwickeln lassen, egal wie attraktiv und charmant er war. Das sollte sie schnell klarstellen und sich dann auf das Wesentliche konzentrieren. Es konnte nicht schaden, ihn ein wenig besser kennenzulernen und sicherzugehen, dass sie die Villa verkaufen würden. Seinen Kommentaren nach zu urteilen war das sein Plan, obwohl er das Geld nicht zu brauchen schien.

Die Temperatur draußen überraschte sie. Es war Ende September und damit um diese Uhrzeit angenehm kühl. Sollte sie zurück und eine Jacke holen? Nur für den Fall, dass es weiter abkühlte.

»Madame, Sie sehen entzückend aus.« Yanis Vidal hatte bereits auf sie gewartet und deutete eine Verbeugung an. In der Hand hielt er einen kleinen Strauß Lavendel, den er ihr überreichte. »Als Zeichen meiner Hochachtung.«

»Oh, vielen Dank.« Halb verblüfft, halb geschmeichelt sah sie auf das Geschenk. Die Blüten verströmten ihren herrlich schweren Duft. »Ein wenig unpraktisch vielleicht.«

»Sie könnten ihn nach oben bringen und in Wasser stellen?« Er lächelte, und wenn sie nicht alles täuschte, war sein Amüsement diesmal echt. »Und bei der Gelegenheit eine dünne Jacke mitbringen? Die Abende werden frisch zu dieser Jahreszeit.«

Zu verwirrt, um etwas Schlagfertiges zu antworten, nickte sie nur und ging zurück zu ihrem Schlafsaal. Da sie keine Vase finden konnte, stellte sie den Strauß in ein Glas und platzierte es vor ihrem Bett auf dem kleinen Nachttisch.

Wie lange war es her, dass ihr ein Mann Blumen geschenkt hatte? Ihr letzter Freund hatte es nicht einmal an ihrem Geburtstag für nötig befunden, schon gar nicht einfach so bei einem Abendessen. So langsam verstand sie, worin sich Vidals Erfolg bei Frauen begründete. Sie sollte sich bei ihm bedanken und für ihre irritierte Reaktion entschuldigen. Er hatte es nett gemeint, und das sollte sie honorieren.

Sobald sie wieder auf die Straße trat, lächelte sie ihn an. »Verzeihen Sie bitte. Ich bin es nicht gewohnt, dass ein Mann mir Blumen mitbringt, nur weil wir zum Essen verabredet sind. Vielen Dank.«

»Nicht der Rede wert. Wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf: Dann kannten Sie bisher die falschen Männer, Mademoiselle.«

Nicht die falschen Männer, nur keine Verführer, wollte Rebecca erwidern, hielt sich aber zurück. Er musste nicht wissen, dass sie im Netz nach ihm gesucht hatte. Das war unhöflich.

Er zeigte die Straße entlang, in die Altstadt hinein, und setzte sich in Bewegung. »Ich schlage ein kleines Lokal am Hafen vor. Es hat einen ganz bezaubernden Garten, in dem man geschützt sitzt. Sie mögen Fisch?«

»Gern.«

»Sehr gut.«

Er drehte sich zu ihr, und Rebecca kam nicht umhin, den hervorragenden Sitz seines Anzugs zu bemerken. Er war dunkelblau, mit hellblauem Hemd, die oberen Knöpfe geöffnet. Dazu trug er Slipper ohne Socken. Wie schon am Nachmittag hingen ihm ein paar einzelne Strähnen seiner kunstvoll verwuschelten Haare ins Gesicht. Erneut dachte sie, dass er viel Aufwand betreiben musste, um so locker und doch stilvoll gekleidet und gestylt zu sein.

»Stimmt etwas nicht mit meinem Aussehen?«

Oh shit, er hatte ihre Blicke bemerkt und richtig gedeutet. Da half nur die Flucht nach vorn. »Ich habe Ihren Kleidungsstil bewundert und die Art, wie Sie Ihr Haar tragen.«

»Direkt und charmant. Ich bedanke mich und gebe das Kompliment gern zurück. In meinem Beruf ist es unerlässlich, jederzeit passend gekleidet zu sein.«

»Sie verleihen Jachten?« Rebecca biss sich auf die Zunge, warum konnte sie ihren Mund nicht halten?

»Wie ich sehe, haben Sie die Zeit genutzt, um sich nach mir zu erkundigen.« Seiner entspannten Haltung nach zu urteilen machte es ihm nichts aus. »Ich habe dasselbe bei Ihnen getan«, gab er augenzwinkernd zu.

War zu erwarten gewesen, dennoch lösten seine Worte ein leicht flaues Gefühl in ihrem Magen aus. »Dann hoffe ich, dass Sie nur Gutes gefunden haben.«

»Mais oui. Sie sind nicht übermäßig mitteilsam in den sozialen Medien. Ein paar Bilder in verschiedenen englischen Hotels, mehr gibt das Netz nicht her. Anders als bei mir.«

Da war sie, die Vorlage, um ihm klarzumachen, dass sie keine seiner Hochglanz-Frauen war. Doch etwas sagte ihr, dass der Zeitpunkt nicht stimmte. Stattdessen ging sie weiter auf seinen Beruf ein.

»Bis vorhin wusste ich nicht einmal, dass man sein Geld damit verdienen kann, Luxusjachten zu vermieten.«

»Ein angesehener und ehrlicher Beruf. Wir sind nicht die Einzigen an der Küste, die damit ihr Geld verdienen. Aber, bei aller Bescheidenheit, die Erfolgreichsten.«

Bescheidenheit war nicht das Wort, das Rebecca dazu einfiel, und dennoch entlockten seine Worte ihr ein Schmunzeln.

»Habe ich etwas Falsches gesagt?« Da war es schon wieder. Dieses Lächeln, das seine Augen nicht erreichte. »Mein Englisch ist nicht …«

»Mit Ihrem Englisch ist alles in Ordnung. Es ist nur …« Sie zögerte. »Sie sind alles andere als bescheiden.«

Er warf den Kopf in den Nacken, und sein Lachen hallte in der engen Gasse der Altstadt wider. Diesmal war es echt, und es machte ihn sympathisch. Zwar war er von sich selbst eingenommen, nahm es aber mit Humor, wenn ein Witz auf seine Kosten ging. Eine Eigenschaft, die sie an Menschen schätzte.

Langsam beruhigte er sich wieder und sagte mit einer Verbeugung in ihre Richtung: »Nun, Mademoiselle, was soll ich sagen? Ich bin, wie ich bin.«

Rebeccas Schmunzeln verstärkte sich. »Wie wir alle.«

Mit einer Handbewegung bedeutete er ihr, dass sie nach links abbiegen mussten. »Lassen Sie uns den Weg außerhalb der alten Stadtmauer nehmen. Von dort aus kann man das Meer sehen.«

Sie verließen die Altstadt durch ein bogenförmiges Tor und kamen auf einen großen Platz, der modern und so hell gestaltet war, dass Rebecca selbst zu dieser Tageszeit kurz die Augen zusammenkneifen musste, um sich an die neuen Lichtverhältnisse zu gewöhnen. Es war, als betrete man eine andere Welt. Auf der Seite, von der sie gekommen waren, herrschte südländischer Altstadtflair; Kopfsteinpflaster und Häuser mit bunten Fensterläden, die sich dicht an dicht in den engen Gassen drängten, dazu kaum Vegetation.