Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Trevor Banks ist charismatisch, gutaussehend und der reiche Sohn eines Duke. Und genau das sollte ihn eigentlich für jegliche Art von Beziehung mit mir disqualifizieren. Schließlich habe ich von einem Leben im Hochadel die Nase gestrichen voll. Aber da ist diese verdammte Anziehung zwischen uns. Will ich mir wirklich die Finger verbrennen – und mein Herz gleich dazu? Diana Devlin ist alles, was ich je wollte. Meine Zukunft wurde jedoch schon vor langer Zeit geplant und sie spielt darin keine Rolle. Soll ich alles riskieren und meinen Gefühlen nachgeben? Oder bleibe ich auf der sicheren Seite und schütze so mich und mein Herz?
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 416
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Copyright © 2022 by
Drachenmond Verlag GmbH
Auf der Weide 6
50354 Hürth
https://www.drachenmond.de
E-Mail: [email protected]
Lektorat: Alexandra Fuchs
Korrektorat: Michaela Retetzki
Layout Ebook: Stephan Bellem
Umschlagdesign: Alexander Kopainski
Bildmaterial: Shutterstock
ISBN 978-3-95991-931-9
Alle Rechte vorbehalten
Glossar
Trevor
28 Monate früher
Trevor
Diana
Trevor
Diana
Trevor
Diana
Trevor
Diana
Trevor
Diana
Trevor
Diana
Trevor
Diana
Trevor
Diana
Trevor
Diana
13 Monate später
Trevor
Diana
9 Monate später
Diana
Trevor
Diana
Trevor
Diana
Trevor
Diana
Trevor
Diana
Trevor
Diana
Trevor
Diana
Trevor
Danksagung
Drachenpost
Danke, dass du einspringst, Trevor.« Sandra schenkt mir ein erleichtertes Lächeln und wiegt ihre schreiende Tochter sanft auf dem Arm. »Die Kleine hat Fieber und Mikel ist allein im Laden, du bist echt meine Rettung. Danke!« Sie umarmt mich und drückt mir eine Liste in die Hand. »Hier stehen die Teilnehmer drauf. Nur erfahrene Leute, die die große Tour wollen. Die meisten haben ihre eigene Ausrüstung dabei. Treffen ist in fünfzehn Minuten am Einstieg. Wenn du fertig bist, gib alles bei Mikel ab. Du bist ein Schatz.«
Nickend lege ich meine Ausrüstung an. So hatte ich mir meinen ersten Urlaubstag nicht vorgestellt, aber es gibt Schlimmeres, als alten Freunden auszuhelfen und den Führer bei einer Höhlentour zu geben.
Ich kenne die Tour durch das kleine Höhlensystem nahe Shanford in- und auswendig, schließlich ist Caving mein größtes Hobby. In meiner Jugend habe ich genau diese Route bereits Dutzende Male begleitet, um ein wenig Geld zu verdienen. Wenn es stimmt, was Sandra sagt und die Leute Profis sind, wird das eine entspannte Sache. Ich kann mich also nicht beschweren und revidiere: genau der richtige Einstieg in meinen wohlverdienten Urlaub.
Sechs Wochen in den Highlands liegen vor mir. Sechs Wochen, in denen ich tun und lassen kann, was ich will. Keine Dienstpläne, keine Notfälle, keine Nächte mit nur zwanzig Minuten Schlaf. Himmlisch. Wahrscheinlich werde ich Onkel Harris in spätestens zwei Wochen anbetteln, ihm in der Praxis helfen zu dürfen, aber für den Moment bin ich froh, dem turbulenten Leben als Assistenzarzt entflohen zu sein.
Fröhlich schnappe ich mir die Liste und den Rest der Ausrüstung, um mich auf den Weg zu machen. Wie versprochen, warten am Einstieg zur Höhle sechs Leute auf mich. Vier sind bereits fertig angezogen, ein Mann und eine Frau schließen gerade ihre Gurte und unterhalten sich lachend.
Irgendetwas am Lachen der Frau sorgt dafür, dass tief in mir drin eine Musik erwacht, die ich für verstummt gehalten hatte. Es fühlt sich fast so an, als ob … aber nein, das kann nicht sein. Sie ist nicht hier, rufe ich mich zur Ordnung. Doch mein Blick geht automatisch zu den beiden Gestalten zurück. Die Frau dreht sich um, ihr Lachen macht Überraschung Platz.
Diana erkennt mich im selben Moment, wie ich sie. Sie ist die Frau, die mein Herz erst zum Singen gebracht und es mir dann aus der Brust gerissen hat. Die Frau, die ich danach so schäbig behandelt habe, wie es nur geht. Und nun ist sie Teil der Gruppe, die ich durch die Shanford-Höhlen führen soll.
Ich revidiere meine Einschätzung erneut: Was für ein beschissener Beginn dieses Urlaubs.
Ist jemand Neues dabei? Das sind doch die Namen der Tabs?« Mit einem schnellen Griff nehme ich Tobin das iPad aus der Hand, ignoriere seinen Protest und lasse mich auf das Sofa unseres Clubraums sinken. Die Liste der Teilnehmer des CUCC für unseren gemeinsamen Trip in zwei Wochen ist eine willkommene Abwechslung.
Mein Tag war bisher nämlich bescheiden. Zum Glück ist der Präpkurs für heute vorbei, denn ich hasse jede einzelne Sekunde davon. Tobin und die anderen Kommilitonen scheinen ausblenden zu können, dass vor ihnen auf dem Tisch ein ehemals lebender und atmender Mensch liegt. Tja, ich kann das nicht. Ich studiere mit Leib und Seele Medizin und freue mich darauf, in die Praxis meines Onkels einzusteigen, aber ich werde mich nie daran gewöhnen, Leichen zu sezieren. Daher war Forensik als mögliches Spezialgebiet nach meinem ersten Präpkurs sofort gestrichen. In mir sträubt sich einfach etwas dagegen, an einem Toten herumzuschneiden. Deswegen ist mir alles Recht, was mich auf andere Gedanken bringt. Ich lege die Beine auf den Tisch und drehe mich so, dass Tobin nichts mehr erkennen kann.
»Gott, Banks, bringt man euch in den Highlands keine Manieren bei?« Tobin greift nach dem iPad, doch ich halte es über den Kopf. Kindisch, aber deshalb nicht weniger spaßig.
»Eigentlich schon. Bei mir haben sie nur leider kläglich versagt. Lass mich einfach mal sehen.«
Tobin seufzt entnervt, schüttelt den Kopf und bedeutet mit einer Handbewegung, dass ich machen soll, was ich will.
»Siehst du, geht doch.« Weil ich ihn nur aufziehen wollte, halte ich das iPad so, dass wir beide einen guten Blick darauf haben. »Hanson, Smith, Burk … Die üblichen Verdächtigen.« Beim letzten Namen auf der Liste bleibe ich hängen. »Diana Devlin?« Fragend sehe ich zu Tobin. »Wie in ›verwandt mit dem Duke of Barndon‹?«
»Was fragst du mich?« Lachend lehnt Tobin sich zurück. »Adelskunde ist dein Fachgebiet, schließlich bist du der Marquis.« Er deutet auf den Namen. »Devlin? Heißen die so?«
»Ja so heißen die. Aber nicht alle Devlins sind miteinander verwandt.« Ich krame in meinem Gedächtnis. »Mir ist, als hätte Kayden eine Schwester erwähnt. Aber wie hieß die?« Ich zucke mit den Schultern. »Wenn es Diana ist, was in drei Teufels Namen macht sie in Cambridge? Die Barndons sind eingefleischte Oxonians.« Ich sehe zu Tobin, der beide Brauen hebt und ein Grinsen unterdrückt. »Was?«
»Alter, ich werde mich nie daran gewöhnen, dass du von einem Duke sprichst, als sei er dein Kumpel. Fehlt nur, dass du die Royals zur nächsten Party einlädst.«
»William und Harry sind ein ganzes Stück älter als ich, und Kayden ist nicht mein Kumpel, wir kennen uns von den langweiligen Adelstreffen.« Der Duke of Barndon und ich haben etwa ein Alter und damit waren wir die Jüngsten bei diesen Treffen. Die meisten Dukes und ihre Nachfolger sind eher betagt. Trotzdem haben wir uns nie angefreundet. Das liegt mit Sicherheit auch daran, dass er mehr Engländer ist als Schotte. Das würde ich allerdings niemals laut in seiner Gegenwart sagen. Er ist eben ein Lowlander und hat keine Vorstellung vom Leben in den Highlands. Ich schiebe den Gedanken zur Seite und wende mich erneut der Liste zu. »Wie gesagt, wahrscheinlich hat sie gar nichts mit Kayden zu tun.« Genervt über mich selbst winke ich ab. »Gerade auf dem Weg hierher habe ich mit Tante Maisie gesprochen und sie hat mir erzählt, dass seine Frau schwanger ist. Das ist wohl präsenter in meinem Kopf, als mir lieb ist.«
»Tante Maisie?«
»Sie ist die Schwester meines Grandpas, lebt in London und liebt Klatsch über alles. Sie unterrichtet mich gern über den Stand der Dinge bei diversen Erben, um mir liebevoll zu zeigen, wie viel verantwortungsbewusster andere Titelträger sind. Wenn es nach ihr ginge, wäre ich längst verheiratet und hätte siebzehn Kinder.« Ich mag meine Großtante und lasse nichts auf sie kommen, aber sie kann ganz schön nerven. »Reden wir nicht mehr davon.« Ich drücke Tobin das iPad wieder in die Hand und sehe mich im Clubhouse um. Es ist eigentlich kein Haus, sondern eine Kellerwohnung unter dem Haus eines Literaturprofessors, der selbst gerne in Höhlen herumkriecht und sich dreckig macht. So würden es zumindest meine Eltern ausdrücken. Caving, Cave Climbing oder auch Höhlenklettern ist kein verbreitetes Hobby, aber meiner Meinung nach das beste, womit man seine Zeit verbringen kann. Außer Sex vielleicht, aber in dieser Hinsicht ist das letzte Urteil noch nicht gesprochen.
Auf jeden Fall erlaubt uns Professor Sakar, seinen Keller zu benutzen. Auch wenn es unordentlich ist, die Möbel vom Sperrmüll stammen und nichts zueinander passt, bin ich gern hier. Alles ist zwanglos, niemand will etwas von mir und ich kann endlich abschalten.
»Auch ein Bier?« Tobin steht vor dem alten Kühlschrank, der trotz der merkwürdigen Geräusche, die er von sich gibt, seinen Dienst tut.
»Klar. Ich bin sowieso durch für heute.« Tobin reicht mir die Flasche, wir stoßen an und seufzen beide nach dem ersten Schluck.
»Jetzt erinnere ich mich an diese Devlin«, sagt Tobin und zeigt mit der Flasche auf mich. »Klein, zierlich, recht kindlich und konservativ gekleidet. Total dein Typ.«
Ich beschließe, Tobins Kommentar über ihr Aussehen zu ignorieren. »Woher kennst du sie?«
»Sie war auf dem Trip nach Wales dabei. Den, bei dem du nicht konntest, weil du auf der royalen Hochzeit von Prinz Harry und Meghan warst.«
Womit endgültig bewiesen wäre, dass es sich nicht um die Schwester des Duke of Barndon handelt. Die wäre mit Sicherheit bei dieser Hochzeit gewesen. »Erinnere mich nicht daran.« Mit einem weiteren Seufzer streiche ich mir über den Bart. »Ich meine Zeit lieber mir euch verbracht. Stattdessen musste ich einen Kilt und den ganzen anderen zeremoniellen Blödsinn tragen.«
»Du tust mir ja so leid, Alter.« Tobin hält mir mit todernstem Gesicht die Flasche hin und wir stoßen erneut an.
Zeit für einen Themenwechsel. »Diese Tour war längst überfällig.« Ich stelle mein Bier ab und lasse mich tiefer ins Sofa sinken. »Clara übernimmt die Frischlinge dieses Jahr, oder?«
»Ja, zusammen mit Sean vom CUCC.« Bei diesen Worten grinst Tobin anzüglich. »Wetten wir, dass die beiden wieder was miteinander anfangen?«
»Ist der Papst katholisch? Ich wette auf nichts, dessen Ausgang feststeht. Gab es in den letzten Jahren eine gemeinsame Aktivität der Oxford und Cambridge Caving Clubs, ohne dass die beiden irgendwann in der Kiste gelandet sind?«
»Kann mich nicht erinnern. Die Quoten sind auch mies. Aber sie stehen bei 7:1 für dich und die kleine Devlin.« Er zwinkert. Mir ist klar, dass er die Wetten nur erwähnt hat, um das loszuwerden.
»Warum denkst du, sie wäre mein Typ? Konservativ klingt nicht nach mir.« Das müsste er eigentlich wissen. Noch dazu frage ich mich, was das ganze überhaupt soll. Ich bin in festen Händen und gehöre nicht zu den Männern, die ständig Frauen hinterherjagen.
»Du lebst praktisch, wie ein Mönch, ist da nicht jede Frau dein Typ? Außerdem gilt sie als zurückhaltend, deshalb sind die Quoten so gut. Ich werde drauf setzten, dass du was mit ihr anfängst, kann die Kohle gut gebrauchen. Also enttäusch mich nicht.«
»Ich will in die Höhlen, den neuen Abschnitt sehen und klettern. Für Weibergeschichten habe ich keine Zeit.« Vielleicht kommt diese Ansage schärfer rüber als nötig, aber Tobin gibt sonst keine Ruhe. Schlimm genug, dass Tante Maisie mir im Nacken sitzt. Kuppelversuche meiner Freunde sind das Letzte, was ich brauchen kann. »Avery und ich legen nur eine Pause ein, was du wüsstest, wenn du mir zuhören würdest.«
»Alter, ich will dir nicht zu nahetreten, aber es ist keine Pause, wenn man vereinbart, wie Singles zu leben. Das sieht für mich verdammt nach Trennung aus.« Er trinkt einen Schluck von seinem Bier und schaut mich über den Flaschenrand an. »Ich sag ja nur: Du bist jung, adlig und reich. Die Frauen fliegen auf dich und deinen Aquaman-Look, auch wenn ich nicht verstehe, warum. Wieso trauerst du einer Frau nach, die bis nach Paris vor dir geflüchtet ist?«
»Du verstehst das nicht.« Mehr habe ich zu dem Thema nicht zu sagen. Avery und ich gehören zusammen. Das steht fest, seit wir als Kinder im Sandkasten miteinander gespielt haben. Sie ist die ideale Duchess. Jeder zu Hause kennt und liebt sie. Sie weiß um meine Verpflichtungen und hat sich lediglich etwas Zeit erbeten, um sich zu verwirklichen. Also studiert sie in Paris Modedesign und ich in Oxford Medizin. Sobald unser Studium endet, werden wir heiraten, in Shanford leben und den Titel übernehmen, wenn es so weit ist.
»Ja, Alter, ich verstehe das nicht. Und sonst auch niemand.« Tobin stellt die leere Flasche ab. »Ich gehe jetzt auf ein oder zwei Pints in den Pub. Und wenn mir eine schöne Frau über den Weg läuft, werde ich sie nicht abweisen.« Er hebt den Zeigefinger der rechten Hand und deutet auf mich. »Kommst du mit?«
»Klar. Ich kann dich schlecht ohne Wingman gehen lassen.« Außerdem helfen ein paar Bier unter Umständen, die Wahrheit zu verdrängen, die in Tobins Worten liegt. Avery ist seit anderthalb Jahren weg und hat sich nicht ein einziges Mal gemeldet. Genauso wenig wie ich. Das entspricht zwar unserer Vereinbarung, aber wenn ich ehrlich bin, habe ich gedacht, wir würden wenigstens ab und zu mal miteinander reden. Das schlimmste an der Sache ist, dass es mich nicht wirklich stört. So langsam sollte ich mir möglicherweise eingestehen, dass diese Beziehung vorbei ist.
Aufwachen, wir sind da.« Jodies durchdringendes Organ reißt mich aus dem Schlaf. Sofort bin ich hellwach. Wir sind in den Dales. Allein der Gedanke, endlich den Bull Pot of the Witches noch einmal in Angriff zu nehmen, versetzt mich in Hochstimmung. Der Eingang in das drei Countys umfassende Höhlensystem der Yorkshire Dales gehört zu den größten Herausforderungen, die Großbritannien zu bieten hat. Und jetzt ist es endlich so weit. Bei meinen Kommilitonen und Mitverrückten im Auto ist die Müdigkeit ebenso verflogen wie bei mir.
»Ist das unsere Unterkunft?« Jodie hüpft vor mir aus dem Wagen und blickt auf ein altes, mehrstöckiges Farmhaus, dessen weißer Anstrich dem Haus den Charakter nimmt. Erbaut ist es aus Steinquadern, die sich sicher völlig natürlich in die Umgebung eingegliedert haben. Der weiße Anstrich sorgt dafür, dass sich das Haus wie ein Fremdkörper abhebt.
Um uns herum wabert leichter Morgennebel, der die Szenerie mystisch und düster wirken lässt. Ich liebe es und sauge die kühle Luft ein. Obwohl es bereits Juli ist, herrscht so früh am Morgen eine Kälte, die schnell in die Knochen zieht. Deshalb wickele ich mich enger in meine Allwetterjacke und lasse den Blick schweifen. Nicht weit entfernt grast eine Schafherde. Neben unserer Bleibe zeigen zwei verfallene Ruinen den Verlauf der Zeit. Sie gehörten wahrscheinlich zu der ehemaligen Farm, die jetzt als Unterkunft für Höhlenforscher oder -kletterer wie uns dient. Einige uralte Obstbäume tragen reichlich Früchte und bieten vermutlich einen bezaubernden Anblick, wenn die Sonne scheint. Genau wie die Umgebung. Unter der Tristesse des Nebels verbirgt sich saftiges Grün, kleine Haine und nicht zuletzt die Höhlen der Yorkshire Dales.
»Die vom OUCC sind noch nicht da«, ruft Sean und schultert sein Gepäck. Außer unserem Van ist weit und breit kein anderes Auto zu sehen. »Das bedeutet, wir haben das Erstwahlrecht bei den Betten. Sobald ihr gleich die Schlafräume seht, wisst ihr, warum wir so früh hier sind.« Er grinst und fordert uns mit einer Handbewegung auf, ihm zu folgen. »Der hiesige Caving Club hat uns das Haus für die ganze Woche überlassen. Wir werden also mit den Oxonians allein sein.«
»Als ob er ein Problem damit hätte«, murmelt Jodie neben mir.
Ich sollte nicht nachfragen, da ich mich nicht in Dinge einmischen will, die mich nichts angehen. Andererseits klingt Jodie angepisst. Da kann es nicht schaden zu wissen, was los ist. Unsere Freundschaft ist frisch. Sie ist erst vor wenigen Wochen nach einem Auslandssemester zurück nach Cambridge gekommen und hat sich auf meine Wohnungsannonce beworben. Meine frühere Mitbewohnerin ist mit ihrem Freund zusammengezogen und ich hatte ein Zimmer in meiner Zweier-WG frei. Als sie beim Vorstellungsgespräch erzählte, dass sie Caving für sich entdeckt hat, war die Sache klar. Ich mag sie und ihre spritzige Art, die mich aus der Reserve lockt. »Sollte ich da was wissen?«
»Ich habe gehört, dass Sean regelmäßig was mit einer der Oxford-Tussies hat.«
Das weiß jeder im CUCC. »Und das ist schlimm, weil?«
»Ist mir eigentlich egal.« Jedes ihrer Worte schreit Lüge. Den Blick, den sie Sean zuwirft, habe ich schon zu oft an Freundinnen gesehen. Sie ist bis über beide Ohren in ihn verknallt, doch er interessiert sich nicht für sie. Es ist immer dasselbe. Die Sache mit der Liebe endet nie gut.
Lass das deinen Bruder nicht hören. Ich seufze. Ja, Kayden hat seine Ehefrau April vor zwei Jahren kennengelernt und ist nach wie vor so verliebt wie am ersten Tag. Ausnahmen bestätigen wohl die Regel.
»Sean und ich waren letztes Jahr für ein paar Wochen zusammen und …« Jodie presst die Lippen aufeinander. »Nicht so wichtig. Wir sind wegen der Höhlen hier. Nicht wegen den Männern.« Sie hebt die Hand zum Abklatschen.
»Amen, Schwester«, antworte ich und schlage ein.
»Obwohl, ich habe gehört, der junge Marquis of Holdoch soll mit von der Partie sein. Ziemlich heiß mit seinem Bart und dem Man Bun. Ein echter Highlander. Kennst du ihn?«
Ein eiskalter Schauer überläuft mich. Hat Jodie rausbekommen, wer mein Bruder ist? »Nein, wieso?«, sage ich so ruhig wie möglich. Eigentlich achte ich darauf, ausschließlich unter meinem bürgerlichen Namen aufzutreten, und lasse das Lady immer weg. Wenn man es genau nimmt, besitze ich gar keinen Titel. Der gehört dem männlichen Erben, in diesem Fall meinen Bruder Kayden. Er ist der Duke of Barndon und wird dieser Rolle mehr als gerecht.
Wieso taucht ausgerechnet jetzt ein anderer Adliger auf? Wie wahrscheinlich ist das bitte? Und nicht irgendeiner, sondern ebenfalls ein schottischer. Der Marquis of Holdoch. Da klingelte es bei mir. Wenn ich mich recht erinnere, müsste er der Sohn des Duke of Lameera sein, dessen ganze Familie als ziemlich exzentrisch gilt. In welche Richtung die Exzentrik geht interessiert mich eigentlich nicht. Der Adelsklüngel ist mir egal und ich halte mich von Klatsch und Tratsch fern, so gut es geht. Hoffentlich kann ich dem Kerl während dieses Ausflugs aus dem Weg gehen. Ich kämpfe doch nicht seit Jahren darum, unerkannt zu bleiben, nur um dann wegen eines aufgeblasenen Duke-Sprösslings aufzufliegen. Wenn ich Glück habe, sagt ihm mein Name nichts und die Sache ist erledigt.
»Hätte ja sein können, dass ihr mal zusammen geklettert seid.« Jodie lächelt und betritt vor mir das Haus.
Wie es aussieht, habe ich mir ganz umsonst Sorgen gemacht. Sie hat keine Ahnung, wer ich bin. Bei Holdoch bin ich mir da weniger sicher. Deshalb werde ich dafür sorgen müssen, dass er die Klappe hält. Sobald er auftaucht, werde ich ihn zur Seite nehmen und das klären.
Neugierig folge ich Jodie nach drinnen und schaue mich um. Durch einen schmalen, weißgekalkten Flur geht es eine enge, steile Treppe nach oben in die Schlafräume. In jedem stehen sechzehn Stockbetten, in einer Bauart, die mir völlig unbekannt ist. Jemand hat lange Bretter in zwei verschiedenen Höhen an den Wänden links und rechts entlang gezogen, jeweils vier Leitern nach oben hingestellt und auf jedes Brett eine einzige, lange Matratze gelegt, die an dicke Turnmatten aus dem Sportunterricht erinnert. Wenigstens gibt es ein circa fünfzehn Zentimeter hohes Gitter vor der oberen Reihe, das ein bisschen Schutz vorm Herausfallen bietet.
Schwere Entscheidung, was schlimmer ist: Einen der Schlafplätze in der Mitte zu bekommen oder nach oben zu müssen. Beides zusammen ist ganz sicher der Super-GAU. Das erklärt, warum Sean sich darüber gefreut hat, dass wir zuerst hier sind. Wir schnappen uns die Betten in den Ecken und ich erwische das untere an der rechten hinteren Wand. Zwar maximal weit weg von der Tür und damit auch von den sanitären Einrichtungen, aber so bekomme ich nachts wenigstens keine fremden Füße an den Kopf. Schränke gibt es nicht, nur offene Ablagen unter den Betten. Auch Nachttischlampen und Steckdosen sucht man vergeblich.
Aber das bin ich gewohnt. Besser als ein Gemeinschaftszelt mit Freilandtoilette und Fluss zum Waschen ist es allemal.
Draußen stoppt ein Auto, Sean öffnet das Fenster und grinst. »Oxford kommt auch endlich an.« Allgemeines Gelächter. Dabei tun mir unsere Caving Kollegen inzwischen fast leid. Rivalität zwischen Oxford und Cambridge hin oder her, es ist gemein, ihnen die besten Betten wegzunehmen, nur weil sie fünfzehn Minuten nach uns anreisen. Allerdings werde ich meinen Platz verteidigen, was mich zwar zu einer Heuchlerin macht, aber hoffentlich zu einer ausgeschlafenen. Diese Woche wird anstrengend und ich muss in jedem Moment voll da, wach und fit sein. Deshalb haben wir auf solchen Touren auch eine eiserne Regel: Alkohol gibt es erst am letzten Abend vor der Abreise. Mir soll es recht sein. Im Gegensatz zu meinem Bruder verbringe ich meine Studienzeit nicht damit, die Wochenenden durchzufeiern. Ich will so schnell wie möglich meinen Abschluss machen, danach in einer Londoner Kleintierklinik anfangen und ein ruhiges, anonymes Leben in der Großstadt führen. Am Wochenende hin und wieder ein wenig Abenteuer beim Caving, das reicht mir zum Glücklichsein.
Vor dem Haus knallen Autotüren, Stimmen erklingen und nähern sich. Ich kann nicht verstehen, was sie sagen, aber eine hat ein Timbre, dass mir eine Gänsehaut verschafft. Die perfekte Gesangsstimme. Nicht, dass ich viel Ahnung von Musik hätte, aber ich liebe Sänger mit ausdrucksstarker, rauer Stimme.
Mit geschlossenen Augen schüttele ich den Kopf. Was für ein Blödsinn. Anstatt mir Gedanken über Stimmen zu machen, sollte ich mir lieber überlegen, wie ich Holdoch allein zu fassen bekomme. Während ich darüber nachgrübele, fällt mir auf, dass ich seinen bürgerlichen Namen gar nicht kenne. Nicht mal seinen Vornamen. Genau das ist der Grund, warum ich mit der Peerage nichts zu tun haben will. Niemand sieht den Menschen hinter dem Titel. Kein schlechter Gedanke, den kann ich gleich als Argument verwenden.
Die Stimmen sind inzwischen im Flur zu hören und eine Frau mit einem wilden Lockenkopf betritt den Schlafsaal. Ihr Blick scannt uns und bleibt dann an Sean hängen. Ein Lächeln breitet sich auf ihrem Gesicht aus. Ich könnte schwören, dass die Spannung im Raum steigt. Sean lächelt ebenfalls und geht ihr entgegen, während Jodie mir gegenüber an der anderen Wand hörbar schnaubt. Unweigerlich vergleiche ich die beiden Frauen. Locken scheinen es Sean angetan zu haben. Denn auch Jodies Haar ist kaum zu bändigen, wenn sie es nicht wie im Moment zu hunderten kleinen Zöpfen geflochten trägt.
»Clara, schön dass ihr es geschafft habt«, begrüßte Sean sie mit einer Umarmung und Küsschen auf die Wange. »Wir haben uns schon mal Betten ausgesucht, ich hoffe, das ist in Ordnung.«
Claras Blick geht von ihm zu den Betten und wieder zurück. »Solange ich Kopf an Kopf mit dir liegen kann, ist mir alles andere egal.«
Würg. Jodie hat recht. Die beiden haben definitiv mehr vor, als nur zusammen zu klettern. Nur wann und wo? Die werden ja wohl nicht hier drinnen … Diana Devlin, deine Fantasie geht mit dir durch. Meine Gedanken sind schlagartig still, als ein Mann den Schlafsaal betritt. Groß, breitschultrig, mit Bart und einem Man Bun zum Niederknien. Bitte lass das nicht den Marquis sein – oder den Mann mit der rauen Stimme. Denn der Kerl hat Gefahr auf die Stirn tätowiert. Ich suche weder eine Beziehung noch stehe ich auf One-Night-Stands, aber ich muss zugeben, wenn dieser Typ der Besitzer der phänomenalen Stimme ist, könnte ich schwach werden. Das passiert mir selten. Keine Ahnung, was es ist, aber ich kann meinen Blick nicht von ihm abwenden.
»Diese Wette hast du gewonnen, Tobin.« Der hoffentlich nicht Marquis flüstert so laut mit dem Kerl hinter ihm, dass alle Anwesenden ihn verstehen. »Die zwei stehen immer noch aufeinander.«
Sean dreht sich nicht zu ihm um, zeigt ihm aber den Finger, was zu allgemeinem Gelächter führt.
Genaugenommen spricht er aus, was jeder hier denkt, aber nett geht anders. Zu allem Überfluss gehört ihm wirklich die schöne Stimme, was auch sonst. Jetzt sieht er sich im Zimmer um. Sein Blick bleibt an mir hängen und er setzt ein Lächeln auf, dass mich vergessen lässt wie man atmen. Dann kommt er schnurstracks auf mich zu. Ohne mich aus den Augen zu lassen, wirft er seinen Rucksack mit einer lässigen Bewegung neben mich auf die Matratze. »Hi! Ich bin Trevor Banks und werde wohl in den nächsten Tagen deine Füße ins Gesicht kriegen.«
Okay, Humor hat er, das ist ein Punkt auf der Plusseite. Gleicht die Bemerkung eben zwar nicht aus, aber macht ihn sympathischer.
»Stell dich nicht so an, Alter«, erklingt die Stimme seines Freundes neben ihm. »Dafür bekomme ich deine ins Gesicht. Oder soll ich dankbar sein, weil es adlige Füße sind?«
Innerlich entfährt mir ein Seufzer. Der heiße Kerl mit der Hammer-Stimme ist also der Marquis. War ja klar. Freut mich das oder nervt es? Wenn ich das nur wüsste. Ändert auf jeden Fall nichts daran, dass ich mit ihm reden muss.
»Hör nicht auf ihn.« Trevor Banks streckt mir die Hand entgegen. »Mit wem habe ich das Vergnügen?«
»Diana«, antworte ich und nehme seine Hand. Sobald sich unsere Finger berühren, stehe ich in Flammen. Lichterloh. Besten Dank auch Schicksal. Allerdings zeigt mir meine Reaktion deutlich: Ich sollte so schnell wie möglich mit ihm klären, dass er mich nicht verpetzt, und dann Abstand halten. So weit das in diesem kleinen Haus eben geht, wenn er praktisch neben mir schläft. Noch besteht immerhin die Möglichkeit, dass wir nicht zusammen klettern, dann könnten wir uns tagsüber aus dem Weg gehen. Ein guter Plan. Zumindest, solange ich die leichte Enttäuschung ignoriere, die in meinem Inneren wabert.
Was passiert hier? Seit ich den Schlafraum betreten habe, zieht mich diese Frau magisch an. Ihren meerblauen Augen, die komplett von dunklem Kajal umrundet sind, sind mir sofort aufgefallen. Dazu dieses Haar, hüftlang, leicht verwuschelt und mit hellen Strähnchen. Sie ist klein und zierlich, ohne verletzlich zu wirken. Als ich ihr die Hand reiche, schiebt sie ihre Ärmel zurück, die sie weit über ihre Hände gezogen hatte. Obwohl sie diesen unförmigen Wollpullover trägt, kann ich den Blick nicht von ihren Brüsten nehmen. Das einzige an ihr, das alles andere als zierlich ist.
Nicht mal, als sie ihren Namen nennt und ich ahne, wen ich vor mir habe, gelingt es mir, ihr in die Augen zu sehen. Ihr Händedruck ist warm und fest und eine verdammte Horde Ameisen krabbelt meinen Arm hoch. Schnell lasse ich sie los, bevor das Kribbeln Regionen erreicht, in denen es nichts verloren hat.
Endlich hebe ich doch den Blick und sehe ihr ins Gesicht. Ob es ihr genauso geht wie mir? Totaler Mindblow. Zumindest sieht sie mich merkwürdig an, mit leicht zur Seite geneigtem Kopf und einem fragenden Ausdruck in den Augen. Zu allem Überfluss leckt sie sich mit der Zungenspitze über die Unterlippe und bringt mich damit beinahe an den Rand meiner Selbstbeherrschung. Wow, sexy! Links oberhalb ihrer Lippe befindet sich ein winziger Schönheitsfleck, der den Namen verdient. Denn er macht sie noch schöner.
Verwirrt blinzele ich mehrfach. Von wegen, braves Mädchen. Diana Devlin ist Versuchung pur. Und ich werde eine Woche lang direkt neben ihr schlafen.
Innerlich stöhne ich und unterdrücke die Hitze, die mir direkt in die Körpermitte fährt. Die Frau ist aus gutem Grund tabu und sobald ich sie nicht mehr ansehen muss, fällt mir sicher wieder ein warum.
»Ähm, ja … dann.« Stottere ich etwa? Resigniert fahre ich mir durch den Bart. »Für welches Team hast du dich angemeldet?« Geht doch. Besser ich rede mit ihr, anstatt sie mit offenem Mund anzustarren.
»Ich möchte tief rein und den neu entdeckten Abstieg machen. Hoffentlich habt ihr jemanden mitgebracht, der genug Erfahrung hat und auch da runter will.« Aus ihrem Mund kling das wie die reinste Verheißung.
»Das wäre dann ich.«
Ein Lächeln erscheint auf ihrem Gesicht, das jedoch sofort wieder verschwindet. »Du willst mich veralbern?«
»Über so etwas macht man keine Scherze. Die Tour ist anspruchsvoll und ich liebe die Herausforderung. Ich klettere seit ich zwölf bin.«
»Dito.« Sie mustert mich aus ihren hellen Augen und mit einem leichten Lächeln, das mich vollkommen in seinen Bann zieht.
Weil ich nicht offen zeigen will, wie sehr sie mich verwirrt, frage ich: »Warst du schon mal im Bull Pot?« Über Caving zu reden sollte unverfänglich sein.
»Ist ein paar Jahre her. War meine erste größere Tour damals.«
»Die Chimney Route oder Direct?« Ich gehe in die Knie, um meinen Rucksack unter dem Bett zu verstauen, und sehe zu ihr hoch.
Sie streicht sich das Haar hinter die Ohren, lächelt und setzt sich im Schneidersitz auf ihre Matratze. »Chimney. Wenn, dann richtig. Abseilen ist toll, aber seien wir ehrlich: Gut wird es erst, wenn es eng wird.«
Diesmal stöhne ich einen Tick zu laut und versuche kläglich, den Laut hinter einem Husten zu verberge. Das macht sie doch absichtlich. »Aye, eng und feucht.« Was rede ich da?
Ihr scheint es zu gefallen, denn der Mundwinkel mit dem Fleck darüber hebt sich leicht. »Wir reden nach wie vor von Höhlen?«
Intelligent und direkt ist sie auch. Für meinen Seelenfrieden wäre es besser, wenn der Cambridge Club noch jemanden dabei hätte, der da runter will. »Ich schon«, antworte ich so lässig wie möglich. »Will sonst wer aus deinem Team mit?« Ich setze mich ebenfalls. Viel zu nah neben sie, aber eventuell gewöhne ich mich an ihre Ausstrahlung, wenn ich mich ihr voll aussetze.
Statt zu antworten, schüttelt sie den Kopf. »Es wird wohl auf uns beide rauslaufen.« Dabei mustert sie mich von oben bis unten. Ihr Blick bleibt schließlich an meinen Schultern hängen. »Bist du nicht zu breit gebaut, um durch die engen Passagen zu passen?«
Das ist das erste Mal, dass jemand meinen Körperbau kritisiert. »Ähm, bisher bin ich nie stecken geblieben.«
»Also verbringen wir zwei die nächste Woche allein miteinander?« Ihrem Tonfall kann ich nicht entnehmen, ob sie das gut oder schlecht findet.
»Sieht so aus.« Ich versuche, meiner Stimme einen neutralen Touch zu geben. Gelingt nur halbwegs. Weil mich ihre Nähe wahnsinnig macht – auf eine betörende, irritierende Art –, stehe ich auf und will mich verabschieden. Erst jetzt sehe ich, dass wir allein sind. Die anderen sind bereits gegangen.
»Trevor?« Mein Name aus ihrem Mund geht mir durch und durch. Wärme pulsiert durch meine Brust und lässt mich lächeln. Nie haben zwei Silben solch eine Reaktion bei mir hervorgerufen.
»Ja?« Meine Worte klingen atemlos und ich hoffe, dass sie es nicht bemerkt.
»Ich muss dich um einen Gefallen bitten.«
Ich nicke, da ich mich außer Stande fühle, zu antworten. Viel zu sehr beschäftigt mich die Tatsache, dass wir die kommende Woche gemeinsam verbringen werden. Ein Gefallen. Unwillkürlich lehne ich mich ein wenig in ihre Richtung, stütze den Arm auf dem oberen Bett ab, atme dabei ihren Duft ein, was allerdings das Chaos in mir verschlimmert. Keine Ahnung, was das ist, wonach sie riecht, aber es verstärkt die Wärme und das Kribbeln.
»Zuerst eine Frage: Du weißt, wer ich bin?«
Die heißeste Frau, die mir je begegnet ist. Das denke ich natürlich nur, will allerdings auch nichts Falsches sagen, daher zögere ich und sie fährt fort.
»Oder vielmehr wer mein Bruder ist?«
Plötzlich dämmert mir, worauf sie hinaus will. »Du bist Kaydens Schwester.«
»Ganz genau.« Ihre Nase kräuselt sich entzückend. »Ich will nicht, dass irgendwer von meiner Familie erfährt. Seit Jahren versuche ich, ein normales Leben zu führen. Keiner meiner Kommilitonen weiß von meiner Herkunft und das soll so bleiben.«
»Ich soll also niemandem davon zu erzählen?« Wenn es mehr nicht ist.
»Genau.«
»Das lässt sich einrichten.«
Sie nickt und deutet mit dem Kinn hinter mich. »Macht dir das nichts aus? Kommentare wie der vorhin. Über die adligen Füße.« Tobins Frotzelei hat sie offenbar getroffen.
»Das perlt an mir ab.«
»Du glücklicher.« Sie spricht leise und zieht wieder die Nase kraus. »Danke, dass du mir hilfst, das zu vermeiden. Ich komme mit sowas nämlich schlechter klar als Kayden und du.«
»Wie du willst«, sage ich schulterzuckend. »Geht niemanden was an.« Ihr Lächeln sorgt dafür, dass auch meine Mundwinkel sich heben. »Das bleibt unser kleines, schmutziges Geheimnis.«
»Hat alles, was du sagst eine anzügliche Note?« Sie hebt die Hand und verdeckt damit ihren Mund. Ganz so, als sei sie selbst überrascht von dem, was sie gerade gesagt hat.
»Grundsätzlich nicht, nur manchmal. Deine Gegenwart scheint es schlimmer zu machen. Sorry.« Das ist eindeutig ein Vorstoß in Richtung flirten und ich warte gespannt auf ihre Reaktion.
Sie nimmt die Hand herunter und lächelt mir verschmitzt zu. »Wer hat gesagt, dass es mich stört?« Mit diesen Worten erhebt sie sich und schreitet aus dem Zimmer, ohne sich noch einmal umzusehen.
Himmel! Mit Diana Devlin zu reden, gleicht dem Überqueren einer Hängebrücke ohne Geländer, Seil oder Auffangnetz. Bereits die wenigen Minuten haben gereicht, um zu wissen, dass sie mich in den Abgrund reißen wird. Und das ist noch gar nicht das Schlimmste. Das Schlimmste ist die Erkenntnis, dass ich zum ersten Mal im Leben gern fallen würde.
Ich runzele die Stirn. Habe ich deshalb so lange an Avery festgehalten? War sie mein Sicherheitsnetz? Wie merkwürdig das Leben ist. Und wie schnell eine Begegnung alles durcheinanderwirbeln kann.
»Wenn ich deinen Blick richtig deute, gefällt sie dir.« Tobin steht im Türrahmen und grinst mich triumphierend an. »Was gut für mich ist.«
»Du und deine Wetten.« Festentschlossen, nicht auf seinen ersten Satz einzugehen, frage ich: »Wen hast du mir da eigentlich beschrieben? Kindlich und konservativ sind nicht die Worte, die mir spontan zu ihr einfallen.«
»Da hat sich in den letzten zwei Jahren einiges getan«, gibt Tobin zu. »Mir waren nicht mal ihre Titten aufgefallen und die sind …« Er macht eine eindeutige Bewegung auf Höhe seiner Brust und pfeift anerkennend.
Die Geste, sein Tonfall und der Pfiff lassen etwas in mir reißen. »Tobin«, fahre ich ihn an, »wir sind Freunde und deshalb sage ich dir das im Guten: So redest du in meiner Gegenwart nicht über Diana. Oder über Frauen allgemein!«
Tobins Augen weiten sich und er hebt abwehrend die Hände. »Na, die hat dich mal beeindruckt. Ich wollte nur darauf hinweisen, dass deine hochgeschätzte und auf ein Podest gestellte Avery da in puncto Körbchengröße sicher nicht mithalten kann. Und jetzt sag ich kein Wort mehr.«
»Ist auch besser«, grummele ich und rufe mir in Erinnerung, dass Tobin eigentlich kein schlechter Kerl ist. Manchmal ein wenig rau in seinen Umgangsformen und absolut auf Frauenbrüste fixiert, aber grundsolide und verlässlich. Wobei Dianas Brüste wirklich zum Niederknien sind.
Über mich selbst lachend schüttle ich den Kopf. »Lass uns zum Frühstück gehen und dann die Ausrüstung checken. Eine kleine Tour sollte heute noch drin sein, um uns ranzutasten.« Seit wann ist eigentlich jedes Wort beim Caving zweideutig? Ich schiele zu Tobin, der offensichtlich nichts Anzügliches erkennt. Also liegt es an mir. Oder an Diana.
»Frühstück klingt gut und der Rest auch.«
Gemeinsam verlassen wir den Schlafraum und gehen nach unten in die geräumige Küche. Dort sind bereits vier Leute damit beschäftigt, Eier, Speck und Bohnen zu braten.
»Hi, ihr seid Trevor und Tobin, stimmt’s?« Ein junger Mann, der dabei ist Eier zu quirlen, schaut kurz in unsere Richtung.
»Aye«, antworte ich. »Dirk, richtig?«
»Bingo! Wenn ihr euch nützlich machen wollt, nehmt schon mal Teller und Besteck mit. Sollte da im Schrank sein.«
»Wird gemacht.« Die Schränke sind beschriftet, sodass wir sofort finden, was wir suchen. So gerüstet machen wir uns auf den Weg in den größten Raum im Erdgeschoss. Der Gemeinschafts- und Essensraum ist genauso ungemütlich wie der Rest des Hauses und wird von einem langen, breiten Eichentisch dominiert. Ein Monstrum wie dieses hätte ich in einem Herrenhaus erwartet, aber nicht in dieser abgelegenen Hütte. Er ist eindeutig zu wuchtig für diesen Raum, passt jedoch ganz hervorragend zu dem großen Kamin, der am hinteren Ende in die Wand eingelassen ist.
Was überhaupt nicht passt, sind die Stühle und Sessel, die als Sitzgelegenheiten dienen. Alle Stile, alle Epochen, bunt gemischt. Mein Blick wird von Diana abgelenkt, die sich über ein Sideboard beugt, und Tee in eine Kanne gießt. Dabei rutscht ihr weiter Pulli über die linke Schulter und zeigt den spitzenbedeckten Träger ihres BHs.
Holy Shit! Bei diesem Anblick lasse ich fast die Teller fallen. Im nächsten Moment muss ich über mich lachen. Wann bin ich zum hormongesteuerten Teenager mutiert? Daran ist bloß Tobins Gerede über Avery schuld. Das hat mir bewusst gemacht, wie lange ich mit keiner Frau mehr zusammen war und jetzt …
»Mach den Mund zu, Banks«, raunt Tobin neben mir und stößt mir mit dem Ellenbogen in die Rippen. »Sieh lieber zu, dass du sie in die Kiste kriegst, damit ich meine Kohle bekomme.«
Kann der auch mal an was anderes denken als an Geld? Schon während der Gedanke aufblitzt, regt sich in mir das schlechte Gewissen. Tobins Familie ist das, was man arm nennt. Sie können ihn nicht unterstützen und er verdient sich sein Medizinstudium als Barkeeper und Rettungssanitäter. Für Wochen wie diese, in denen er nicht arbeitet, spart er hart.
Also grinse ich ihn an und mache mich daran, die Teller auf dem Tisch zu verteilen. Aus dem Augenwinkel beobachte ich weiter Diana, die immer noch Tee kocht. Die Sonne dringt inzwischen durch den Nebel, sodass ein Sonnenstrahl durch die schmalen Fenster fällt und sie in einem überirdischen Licht erstrahlen lässt. In diesem Augenblick erinnert sie mich an die wunderschönen Feen aus den Gutenachtgeschichten meiner Kindheit. Leider bin ich nicht der Einzige, dem Diana aufgefallen ist. Nathan, ebenfalls eine Oxonian, schickt sich an, Kaffee zu kochen, und kommt ihr dabei verdächtig nahe.
»Du bist echt hoffnungslos, Alter.« Tobins Flüstern neben mir bringt mich dazu, den Kopf zu drehen. »Was stehst du hier rum? Wenn du nicht in die Pötte kommst, wird das nix mehr. Geh ran!«
Ich hebe die Brauen und schaue erneut zu Nathan und Diana. Sie lacht über etwas, was er gesagt hat und zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich eifersüchtig bin. Das ist doch Irrsinn. Ich kenne die Frau keine zehn Minuten. Also ignoriere ich die beiden und widme mich meiner Aufgabe. Sechzehn Teller verteilt, check.
Langsam füllt sich der Raum und ich begrüße jeden einzelnen. Dabei stellt sich schnell heraus, dass nur zwei Leute heute mit Diana und mir zum Bull Pot of the Witches wollen: Tobin und ein junges Mädchen aus Cambridge. Ich werde also nicht alleine mit ihr unterwegs sein. Das dürfte sich in den nächsten Tagen ändern, wenn wir die anspruchsvolleren Routen angehen.
Fürs Erste sollte ich aufhören, sie anzustarren, und mich weiter nützlich machen. Ich will gerade wegsehen, als sie den Kopf in meine Richtung dreht, meinen Blick einfängt und lächelt. Ich erwidere es und mein Gehirn schaltet auf Automodus. Meine rationale Seite verabschiedet sich, denn in meinen Gedanken bleibt nur noch Platz für sie. Vielleicht sollte ich exzessiv mit ihr flirten. Jeden einzelnen anzüglichen Gedanken laut aussprechen. Vielleicht wird sie das verschrecken und mir meinen Frieden zurückgeben. Gute Idee! Deswegen zwinkere ich ihr zu und schlendere zu ihr hinüber. Besser ich setzte diesen Plan gleich in die Tat um.
»Hey, braucht ihr Hilfe?« Nathan hat mich offensichtlich nicht kommen sehen, denn er zuckt zusammen und sieht mich dann böse an. Wir sind ähnlich groß, doch er ist deutlich schmaler. Mehr der Typ Intellektueller mit Rollkragenpulli und Brille.
»Nein, wir kommen gut klar«, sagt er und bedeutet mir mit den Augen, zu verschwinden.
Das kann er vergessen. Ich tue so, als würde ich seine eindeutigen Gesten nicht verstehen und wende mich an Diana. »Wir treffen uns mit Tobin und deiner Kommilitonin um zehn am Wagen.«
Bevor sie antworten kann, fragt Nathan: »Ihr klettert zusammen?«
»Ja«, antwortet Diana und streicht sich eine Strähne hinters Ohr. Anbetungswürdig. »Trevor und ich wollen über den Bull Pot of the Witches in das neue Gebiet. Da sollten wir uns schon mal umsehen, damit wir wissen, wo wir am besten …«
»Eindringen«, falle ich ihr ins Wort. Besser gleich mit den Anzüglichkeiten anfangen.
Ihr entfährt ein spontanes Prusten. »Ehrlich, Banks?«
»Na, ich meine ja nur, wir wissen nicht, wie eng und wie feucht es wird, und müssen vorbereitet sein. Vielleicht müssen auch Hindernisse aus dem Weg geschafft werden.« Bei meinen letzten Worten sehe ich zu Nathan und hebe vielsagend die Brauen.
Dessen Lippen bilden einen schmalen Strich und wir liefern uns ein stilles Blickduell. Wenn man bedenkt, dass ich diese Art von Balzgehabe verachte, benehme ich mich mehr als albern. Aber ich schaue nicht weg und schließlich ist es Nathan, der zuerst den Blick senkt. »Hab oben was vergessen«, murmelt er und verschwindet. Na also, geht doch.
»Was wird das?« Dianas Stimmlage liegt irgendwo zwischen amüsiert und genervt.
»Was?«, frage ich unschuldig und kann mir ein Grinsen nicht verkneifen.
»Ich lass dir das durchgehen, weil wir Kletterpartner sind und uns aufeinander verlassen müssen, Banks. Und weil ich keinerlei Interesse an einem romantischen Intermezzo habe. Weder mit dir noch mit ihm. Verstanden?«
»Aye, das habe ich übrigens auch nicht, Tinkerbell.«
»Tinkerbell?« Sie sieht mich mit großen Augen an.
»Du hast so eine merkwürdige Wirkung auf mich. Das hat garantiert mit Zauberei zu tun. Deshalb Tinkerbell.«
Sie nickt langsam. »Okay. Wenn es dir hilft, dich zu ent…« Seufzend winkt sie ab. »Nenn mich, wie du willst, Banks. Wichtig ist, dass wir miteinander auskommen. Wenn das für dich durch Flirten besser funktioniert, soll es mir recht sein. Solange du nicht vergisst, dass ich kein Interesse an einer Beziehung habe, ist zwischen uns alles«, ihre Mundwinkel zucken und sie hebt die Brauen, »geschmeidig?«
Die kleine Fee spielt mit mir – und ich finde ihre Art, eine Sache zu sagen und das Gegenteil zu tun, wahnsinnig heiß. »Na, das hoffe ich doch.« Gern hätte ich mich zu ihr hinübergebeugt, sie berührt, aber das wäre mit Sicherheit drei Stufen zu viel. Deshalb zwinkere ich ihr zu – wird irgendwie zur Gewohnheit – und wende mich ab.
Was ist das zwischen euch?« Jodie sieht mich fragend an, während wir unsere Ausrüstung im Auto der Oxfordjungs verstauen.
»Was meinst du?« Hitze steigt mir ins Gesicht. Natürlich weiß ich genau, wovon sie spricht.
»Na, zwischen dir und dem heißen Marquis auf den alle ein Auge geworfen haben. Der aber nur Interesse an dir hat.«
»Jetzt hör aber auf. Wer sind denn bitte alle? Und wie lange sind wir jetzt hier? Drei Stunden? Wie kommst du also drauf, dass er sich für mich interessiert?«
»Weil er dich die ganze Zeit anstarrt, als wärst du die einzige Frau auf dem Planeten.«
Ihre Worte bescheren mir eine Gänsehaut. Eine von den guten, die Wärme hinterlassen und dieses Gefühl von Verheißung. Ich hatte fast vergessen, wie berauschend sich das anfühlt. Denn egal, was ich mir einzureden versuche, Trevor hat eindeutig eine sexuelle Wirkung auf mich.
»Wenn du mich fragst«, spricht Jodie weiter, »ist es für ihn Liebe auf den ersten Blick.«
Diese Feststellung entlockt mir ein Lachen. »Große Worte.«
»Wahre Worte. Denk an mich, wenn ihr heiratet. Ich will Brautjungfer werden und ein wenig von dem Glanz einer zukünftigen Duchess abbekommen.«
Wieder eine Gänsehaut. Aber diesmal eine von den schlechten. Wenn ich eins nicht will, dann Duchess werden. Da Jodie nichts von meiner Herkunft erfahren soll, nicke ich. »Abgemacht. Sollte ich Banks heiraten, wirst du meine Brautjungfer.«
»Ich werde dich darauf festnageln. Darf ich mir das Kleid aussuchen? Ich hätte gern so ein altmodisches mit Käfig drunter und …«
»Seid ihr so weit, Ladys?« Tobin und Trevor tauchen neben uns auf und hieven ihre Ausrüstung ebenfalls in den Wagen. Beim Wort Ladys zucke ich zusammen, doch der ersten Schrecken klingt schnell ab. Er hat sicher nicht meinen Titel gemeint, sondern einfach so dahingesprochen.
Um meine Reaktion zu überspielen, trete ich zur Seite. »Bereit für alles.«
Trevors Blick schnellt zu mir. Gleich wird eine schlüpfrige Bemerkung folgen. »Ich hätte da ein paar Ideen, Tinkerbell.« Plötzlich steht er so nah neben mir, dass ich seinen Atem an meinem Ohr spüren kann, als er flüstert: »Aber dabei brauchen wir keine Gesellschaft, oder?«
Mich durchläuft es gleichzeitig heiß und kalt. Bevor ich antworten kann, ist er verschwunden und öffnet die Fahrertür. »Einsteigen.«
Schnell setze ich mich auf der Rückbank hinter ihn. So bleibt es mir erspart, sein Gesicht zu sehen. Warum hat er diese Wirkung auf mich? Wenn ich es nüchtern und rational betrachte – eigentlich eine meiner Stärken – ist jedes Wort, das er von sich gibt, unterste Schublade. Normalerweise würden mich seine Bemerkung genervt die Augen verdrehen lassen und dazu bringen, ihm deutlich die Meinung zu sagen. Stattdessen erregt es mich und ich lechze beinahe nach seinem nächsten Kommentar, spiele das Spielchen sogar mit.
Weil es dich anmacht, sieh den Tatsachen ins Auge, Tinkerbell.
Na super. Jetzt höre ich meine eigenen Gedanken im dunklen Timbre dieses sexy Kerls. Mir ist nicht mehr zu helfen.
Jodie krabbelt neben mir auf den Rücksitz und sieht mich mit diesem Blick an, der ausdrückt: Ich hab’s dir doch gesagt. Ich ignoriere sie, so gut es geht, und schaue aus dem Fenster.
Die raue Landschaft mit ihren Weiden und Felsen bringt mein aufgewühltes Inneres zur Ruhe. Was auch immer der Grund dafür ist, dass ich auf Trevor reagiere, kann nur rein körperlich sein. Alles andere ist nach der kurzen Zeit ausgeschlossen. Es sind Pheromone, die Prozesse im Körper starten, über die man keine Kontrolle hat. Jetzt stecke ich in einem Dilemma. Nur wenn mein Körper auf einen Mann reagiert, hat er überhaupt Chancen, es aus der Friendzone herauszuschaffen. Wieso muss es ausgerechnet bei Trevor so sein? Bisher ist es mir nur ein einziges Mal passiert. Auf Alin habe ich vor zwei Jahren ähnlich reagiert, wie auf Trevor jetzt. Er war mein erster und einziger Freund bisher. Auch bei ihm sind meine Hormone völlig durchgedreht, allerdings ist dabei nichts Gutes herausgekommen. Na ja, der Sex war gut, aber … ganz genau, aber, rufe ich mich zur Ordnung. Alin hat sich nie für mich interessiert. Er benutzte mich nur, um an das Land meines Bruders heranzukommen und Kontakte zur verdammten Peerage zu knüpfen. Zum Glück habe ich seine Motive rechtzeitig erkannt und die Sache beendet.
Wenigstens kann ich sicher sein, dass Trevor weder an meinem nichtvorhandenen Geld noch an Whitewater Interesse hat. Doch das ist ein noch größeres Problem. Wenn ich etwas mit ihm anfinge, würde mit voller Wucht auf mich einprasseln, wovor ich eigentlich fliehe. Wenn man dem Adelszirkus entkommen möchte, sollte man keine Beziehung mit einem zukünftigen Duke eingehen. Ich kichere in mich hinein und schließe die Augen. Jetzt denke ich schon an eine Beziehung. Nach gerademal drei Stunden. Absoluter Dämlichkeitsrekord.
Der Wagen stoppt, ich atme tief durch, um mich für den Rest des Tages zu wappnen, und öffne die Lider. Sofort trifft mich Jodies vielsagender Blick, der mit einem frechen Grinsen und einer auffordernden Geste in seine Richtung endet.
Ich ignoriere sie, steige aus und gehe direkt zum Kofferraum. Da die Fahrt nur wenige Minuten gedauert hat, tragen wir bereits unsere Anzüge. Das heißt, wir müssen nur noch in die Gurte schlüpfen, die Helme aufziehen und können los. Dabei sind wir voll konzentriert. Denn obwohl wir erfahrene Caver sind, mischt sich die Vorfreude mit einer gewissen Anspannung. Jeder von uns hat Respekt vor der Höhle und Unfälle sind keine Seltenheit. Die Kräfte der Natur sind leider unberechenbar.
Nach wenigen Metern erreichen wir den Einstieg zum Bull Pot of the Witches, der versteckt in einem kleinen Hain liegt. Die Sonne hat den Nebel größtenteils vertrieben und ihre Strahlen beleuchten die Umgebung wie Spotlights. Eines dieser Strahlenbündel trifft genau auf den Hain und lässt letzte kleine Nebelschwaden emporsteigen. Völlig gefangen von diesem Anblick verharre ich einen Moment.
»Das erinnert mich an zuhause.« Trevors raue Stimme lässt kleine Schauer über meinen Rücken laufen. »Warst du schon mal im Norden?«
Ich schüttle lediglich den Kopf, weil ich garantiert stottern würde, wenn ich ihm antworte. Oder etwas total Dämliches sagen. Da ist Schweigen die bessere Wahl.
»Wenn es dir hier gefällt, solltest du mich unbedingt mal in Shanford besuchen.«
In seiner Stimme liegt eine Sehnsucht, gemischt mit Besitzerstolz, die ich von Kayden kenne. So redet auch mein Bruder über unsere Heimat. Ich kann das kaum nachvollziehen. Selbstverständlich fühle ich mich auf Whitewater heimisch und war beim Gedanken, das Haus verkaufen zu müssen, traurig. Aber die enge Verbundenheit mit Titel und Land fehlt mir völlig. Trevor scheint sie zu kennen.
»Dann willst du eines Tages zurück? In die Highlands?«, frage ich jetzt doch und meine Stimme hört sich zum Glück völlig normal an. Umsonst Sorgen gemacht.
»Auf jeden Fall.«. Die Worte kommen tief aus seinem Inneren und sagen so viel über ihn aus. Ich erwische mich dabei, wie ich meine Hand hebe, um ihm über den Arm zu streichen. Nicht, weil ich ähnlich fühle, sondern weil ich weiß, wie ernst es ihm ist. Genau deshalb sollte ich Abstand halten. Ich will definitiv nichts mit einem Kerl anfangen, der in einem alten Kasten lebt und sich die ganze Zeit darum sorgen muss, wie er das Ding in Schuss hält, welche Teile er der Öffentlichkeit zugänglich macht und wie das die Menschen in seiner Umgebung beeinflusst.
Also lasse ich die Hand unverrichteter Dinge sinken, nicke und gehe ohne ein weiteres Wort zu Tobin und Jodie hinüber. Dieser kurze Blick in die Seele von Trevor Banks hinterlässt eine völlig unangemessene Unruhe in meinem Inneren. Einen Sturm, der an etwas rüttelt, was unverrückbar sein sollte. Ich verstehe nicht, was in mir vorgeht. Wahrscheinlich ist es lediglich die Unruhe vor der Tour. Da können Gefühle und Gedanken schon mal verrücktspielen.
Frisch geduscht und noch ein wenig aufgekratzt von der heutigen Tour, betrete ich den Gemeinschaftsraum und merke sofort, dass sie nicht anwesend ist. Sie bringt eine Saite in mir zum Klingen, die ich noch nie wahrgenommen habe. Ihre Nähe fühlt sich an wie Musik. Inklusive Gänsehautfaktor.
Trevor, komm runter. Such dir eine Beschäftigung oder Alkohol. Nicht dass Alkohol die Lage verbessern würde. Fällt dank der Tour morgen sowieso flach. Also nehme ich mir einen Tee und überlege, wie ich den Rest des Abends verbringe. Nebenan ist eine kleine Bibliothek mit Karten des hiesigen Höhlensystems. Vielleicht sollte ich mich dort vorbereiten. Aber ich habe bereits alles gelesen, was für unser Vorhaben wichtig sein könnte. Gedankenverloren rühre ich in meiner Tasse.
»Sie ist vorhin rausgegangen.«