Animalis – Die Legende des ersten Drachen - Nicole Knoblauch - E-Book

Animalis – Die Legende des ersten Drachen E-Book

Nicole Knoblauch

0,0
5,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

GÜNSTIGER EINFÜHRUNGSPREIS NUR FÜR KURZE ZEIT! Ein romantisches Abenteuer voller Fabelwesen und Magie – für alle Leser*innen von Cassandra Clares "Chroniken der Unterwelt" "›Majestät! Ihr müsst umgehend mit uns kommen.‹ Äh … Obwohl ich weiß, dass neben mir niemand ist, blicke ich sicherheitshalber nach links und rechts. Der kann ja mit Majestät unmöglich mich gemeint haben." Das Leben der angehenden Journalistin Pamina Candela gerät völlig aus den Fugen, nachdem sie in der U-Bahn mit einem jungen Mann zusammenstößt. Wer ist dieser Typ? Und warum verfolgt er sie? Doch das ist nur der Beginn eines Abenteuers, von dem sie nicht einmal zu träumen gewagt hätte. Fabelwesen sind real und sie muss sich schnell damit arrangieren, denn alles Leben wird von dem Erzdämonen Abaddon bedroht und nur eine Allianz aus Fabelwesen des Lichtes und der Dunkelheit kann den Untergang der Welt verhindern.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 486

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Mehr über unsere Autoren und Bücher:

www.piper.de

Wenn Ihnen dieser Roman gefallen hat, schreiben Sie uns unter Nennung des Titels »Animalis – Die Legende des ersten Drachen« an [email protected], und wir empfehlen Ihnen gerne vergleichbare Bücher.

© Piper Verlag GmbH, München 2021

Redaktion: Ulla Mothes

Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence (München), mit abavo vlow (Buchloe)

Covergestaltung: Emily Bähr, www.emilybaehr.de

Covermotiv: Shutterstock.com und Freepik

Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

In diesem E-Book befinden sich Verlinkungen zu Webseiten Dritter. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass sich der Piper Verlag die Inhalte Dritter nicht zu eigen macht, für die Inhalte nicht verantwortlich ist und keine Haftung übernimmt.

Inhalt

Cover & Impressum

In der U-Bahn ⁓ Pamina

In der U-Bahn ⁓ Robin

Starbucks ⁓ Pamina

Inscenes ⁓ Pamina

Der Kaiserpalast ⁓ Pamina

Ich glaub das alles nicht ⁓ Pamina

Bei den Dunklen ⁓ Robin

Prinzessin? ⁓ Pamina

Erklärungen ⁓ Robin

Prinzessin! ⁓ Pamina

Was Dryaden können ⁓ Pamina

Wieder im Inscenes ⁓ Pamina

Überraschungen ⁓ Pamina

Ich hasse mein Leben ⁓ Robin

Im Leichenschauhaus ⁓ Pamina

Nach Hause ⁓ Pamina

Auf dem Weg zum Restaurant ⁓ Robin

Abendessen ⁓ Pamina

Bei Pamina zu Hause ⁓ Robin

Wachphönix ⁓ Pamina

Paparazzi ⁓ Robin

Trolle sind toll ⁓ Pamina

Die Legende des ersten Drachen ⁓ Pamina

Elternbesuch bei den Phönixen ⁓ Pamina

Elternbesuch bei den Drachen ⁓ Robin

Wissenswertes über Schatten ⁓ Pamina

Ein neuer Morgen ⁓ Robin

Wechselbälger ⁓ Pamina

Robins Leben ⁓ Pamina

Die Schwester ⁓ Pamina

Verwirrende Gefühle ⁓ Pamina

Abaddon ⁓ Robin

Training ⁓ Pamina

Wie geht es jetzt weiter? ⁓ Pamina

Erste Schritte ⁓ Robin

Sonnenaufgang ⁓ Pamina

Unstimmigkeiten ⁓ Pamina

Kapitulation ⁓ Pamina

Alles normalisiert sich ⁓ Pamina

Das Schicksal nimmt seinen Lauf ⁓ Pamina

Wie erobert man ein Schloss? ⁓ Pamina

Ein Weg ins Schloss ⁓ Pamina

Vorbereitungen ⁓ Pamina

Branwen und Luan ⁓ Pamina

Das Ritual ⁓ Pamina

War es das jetzt? ⁓ Pamina

Tiefste Tiefen und höchste Höhen ⁓ Robin

Das Ende ⁓ Pamina

Nachwehen ⁓ Robin

Die Einweihungsparty ⁓ Pamina

GLOSSAR DER ANIMALIS

Danksagung

In der U-Bahn ⁓ Pamina

Ich hasse U-Bahnfahren! Zu voll, zu stickig, zu laut. Aber immer noch besser, als sich durch den morgendlichen Großstadtverkehr zu quälen. Um diese Uhrzeit braucht man mit dem Auto gern mal anderthalb Stunden. Mit der U-Bahn keine dreißig Minuten.

Außerdem ist es viel zu früh. Mitten in der Nacht. Schon mein ganzes Leben frage ich mich, warum Menschen eigentlich vor zwölf Uhr mittags aufstehen. Um halb acht mit der Arbeit zu beginnen, ist mein Tod. Aber was tut man nicht alles für den Traumjob.

Ich habe es geschafft, direkt nach meinem Master ein Volontariat beim Inscenes zu ergattern. Das Magazin am Puls der Zeit. Dort werden Trends erkannt und verbreitet. Egal ob in der Mode, im Lifestyle oder in der öffentlichen Meinung. Berichtet Inscenes darüber, ist es im Trend.

Gut, die Arbeitszeiten sind Mist und die Bezahlung auch. Zehn Stunden am Tag für nicht mal den Mindestlohn. Und da sind die unbezahlten Überstunden noch nicht mitgerechnet. Aber wenn ich mein halbes Jahr dort hinter mir habe, kann ich in der Branche alles machen. Und das ist es, was ich will. Schreiben. Nicht über Lifestyle und Mode, sondern über die wirklich wichtigen Themen. Ich möchte dort sein, wo etwas passiert. Berichten, worüber die anderen schweigen. Genau das ermöglicht mir dieses Volontariat. Deshalb quäle ich mich jeden Morgen vor sechs aus dem Bett und fahre in dieser stickigen U-Bahn zur Arbeit.

Noch zwei Stationen. Die Türen schließen, und der Zug fährt erneut an. Ein Ruck geht durch den Wagen, vor meinem inneren Auge blitzt ein rotes und ein blaues Licht auf, bildet irgendwelche Formen und ein sengender Schmerz schießt durch meinen rechten Arm. Noch dazu überkommt mich ein Gefühl, das ich nur allzu gut kenne: Abneigung. Es gibt einfach Menschen, die ich von der ersten Sekunde an nicht leiden kann. Das war schon immer so. Bis in die Pubertät hinein dachte ich, dass jeder Mensch das kennt.

Inzwischen habe ich festgestellt, dass meine Empfindung in dieser Richtung viel heftiger ist als bei anderen Menschen. Dass ich dabei farbige Linien sehe, die sich auf eine faszinierende Art und Weise trennen und wieder verbinden, ist allerdings neu. Durch einen Nebel von Rot und Blau versuche ich, meinen Blick auf die schmerzende Stelle an meinem Arm zu richten und das Unbehagen zu ignorieren. An meiner Jacke klammert sich eine Hand fest. Mein Blick folgt dem Arm und ich erkenne einen dunkelhaarigen Schönling, etwa in meinem Alter.

Er gehört offensichtlich in die Kategorie Mensch, die ich auf Anhieb nicht leiden kann. Diese Abneigung ist buchstäblich körperlich. Eine leichte Übelkeit packt mich, und der Drang, so schnell wie möglich von ihm wegzukommen. In der überfüllten U-Bahn ist das natürlich utopisch. Mir ist auch klar, dass er mir nichts Böses will. Tatsächlich hat er sich an mir festgehalten, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Das ist ja gut und schön, aber muss er so fest zudrücken? Hat der sie noch alle?

»Spinnst du?«, fahre ich ihn an.

Wenn ich den Ausdruck in seinem Gesicht richtig deute, hat er auch Schmerzen.

Verdammt, diese Augen! So eine Farbe habe ich noch nie gesehen. Sie schimmern rötlich. Das muss das Licht sein. Oder der Schmerz, der mir die Sinne vernebelt. Der Mistkerl nimmt einfach seine Hand nicht weg.

Mir bleibt nichts anderes übrig, als meinen Arm ziemlich vehement wegzuziehen. Umfallen wird er schon nicht. Ist ja schließlich voll genug hier. Die Leute um uns herum werfen uns schon komische Blicke zu.

»Sorry«, murmelt der Kerl und starrt zuerst auf mich und dann auf seine Hand.

Ja, hoffentlich tut sie dir weh! Scheiße, brennt das! Ich würde gern nachschauen, was da an meinem Arm so wehtut, aber das ist gerade unmöglich. Schließlich trage ich eine Jacke und eine langärmlige Bluse. Und in der vollen U-Bahn kann ich mich kaum bewegen. Das wird wohl warten müssen, bis ich hier raus bin.

Unter halbgeschlossenen Lidern schiele ich zu dem Typen. Er berührt mich nicht mehr, was auch die Übelkeit vergehen lässt. Stattdessen starrt er auf seine Hand. Ich würde schon gern wissen, ob seine Augen immer noch so eigentümlich leuchten. Das war krass. Schade, dass er in die Kategorie Arsch gehört. Das kaum hörbare »Sorry« kann ich ihm auch nicht wirklich als Entschuldigung durchgehen lassen.

Aber es bringt ja nichts, sich weiter darüber aufzuregen. Ich sollte mich lieber auf die Aufgaben des Tages konzentrieren. Erst werde ich die Berichte durchgehen, die in der Nacht eingetroffen sind, und sie an die zuständigen Redakteure weiterleiten. Danach besorge ich Kaffee und Frühstück für alle und warte darauf, wem ich heute zugeteilt werde. Theoretisch sollte ich am Ende in jedem Bereich der Redaktion gleichlang gearbeitet haben. Mal sehen, ob das hinhaut. Irgendwie hatte ich mir unter dem Job was anderes vorgestellt, als den Laufburschen zu spielen. Aber so ist das wohl in der Branche. Mir wurde zugesagt, dass ich nach der Eingewöhnungsphase auch ein wenig Verantwortung übernehmen dürfe. Darauf warte ich. Das wird meine Chance!

»Nächster Halt: Konstablerwache.« Endlich, das ist meine Station. Ich dränge mich zur Tür und bin froh, die stickige Luft und den komischen Typen endlich hinter mir zu lassen. Jetzt nur noch die Rolltreppe hoch, einen Kaffee holen, und dann kann der Tag beginnen.

Aus irgendeinem Grund blicke ich mich noch einmal um und schaue in merkwürdig schimmernde Augen. Eigentlich sind sie mehr braun als rot. Aber da ist eindeutig ein Lodern! Und er starrt mich direkt an.

Entnervt drehe ich mich weg und marschiere los. Wer weiß, was das für ein Typ ist. Oder ist das mein übermüdetes Gehirn, das aus einer Mücke einen Elefanten macht?

Ohne mich noch einmal umzusehen, gehe ich zügig zum Starbucks gegenüber und bestelle einen Milchkaffee. Beim Rausgehen sehe ich den Kerl vor dem Laden rumlungern. Mist! Der verfolgt mich. Jetzt wird mir schon ein wenig mulmig.

Zum Glück nehmen sie es mit der Sicherheit beim Inscenes ziemlich genau. Da kommt nicht jeder rein. Mit schnellen Schritten lege ich den kurzen Weg zurück, betrete erleichtert das Gebäude in der Zeil, zeige dem Sicherheitsmann meinen Ausweis, passiere den Metalldetektor und bin den Typen endlich los.

Wahrscheinlich mache ich mir Sorgen um nichts. Auch mein Arm tut nicht mehr so weh. Es wird wohl das Beste sein, dieses merkwürdige Erlebnis zu vergessen und mich in die Arbeit zu stürzen.

In der U-Bahn ⁓ Robin

Das ist mit Abstand das Merkwürdigste, was ich je erlebt habe! Und das will was heißen. Diese Frau … ich habe sie berührt, und in meinem Kopf begann ein Film abzulaufen. Dunkelheit, die sich mit Licht verbindet. Ein Phönix und ein Drache in Ewigkeit vereint. Ihre Verbindung symbolisiert durch rote und blaue Kraftlinien, die zu einer werden und zusammen eine Stärke entwickeln, von der ich nie zu träumen gewagt hätte. Das Gefühl ist berauschend.

Sie faucht mich ziemlich an, aber ich kann die Hand nicht wegnehmen. Das fühlt sich trotz der Schmerzen irgendwie falsch an. Unsere Blicke treffen sich. Ihre Augen sind der helle Wahnsinn. Dunkelblau, fast schwarz, durchzogen von wenigen leuchtenden Punkten. Fast wie der Sternenhimmel. Und dann ist es vorbei, und zurück bleibt ein heftiger Schmerz.

Als sie ihren Arm wegzieht, kann ich nicht mehr als »Sorry«, murmeln. Meine Hand schmerzt, und ein Blick darauf macht alles noch schlimmer. Auf meiner Handfläche bilden sich Brandblasen. Fuck, tut das weh!

Die nächsten Minuten nutze ich, um zu überlegen, was ich jetzt tun soll. Eigentlich bin ich gerade dabei, einen Minotaurus zu beschatten, den ich verdächtige, mit Artefakten zu dealen. Aber irgendetwas sagt mir, dass diese Frau wichtiger ist. Ich bin ja viel gewohnt, aber dass ich sehe, wie ein Drache und ein Phönix sich vereinen, ist dann doch etwas Neues. Ich muss herausfinden, wer sie ist.

Meine erste Vermutung ist natürlich: ein Drache. Aber das kann nicht sein. Dann müsste ich sie kennen.

Also folge ich ihr die Rolltreppe hinauf. Dort schaut sie sich um, und wir sehen uns noch einmal in die Augen. Sterne am Nachthimmel. Ja, genau das ist es. Ansonsten ist sie nicht sehr attraktiv. Dunkle Locken, breit gebaut und groß. Nicht mein Typ. Sie sieht wieder weg und beschleunigt ihre Schritte. Würde ich an ihrer Stelle wahrscheinlich auch machen. Sie muss mich für einen verrückten Stalker halten.

Jetzt steht sie in der Schlange im Starbucks, und ich warte draußen auf sie. Nicht gerade unauffällig, aber hier gibt es nichts, wo ich mich verstecken könnte. Natürlich bemerkt sie mich wieder und rennt gleich weg. Ich halte ein wenig Abstand und sehe sie im Gebäude des Inscenes verschwinden. Was zur Hölle … Denn genau das ist dieser Ort. Also nicht die Hölle im biblischen Sinn. Aber die Kreaturen, die dort arbeiten, sind das Allerletzte. Der Abschaum unserer Gesellschaft. Diese Zeitung ist der Inbegriff all dessen, was ich an meiner Welt verabscheue. Ach was, an beiden Welten. Denn Fräulein Lind ist nicht nur in der Welt der Animalis berüchtigt, sondern auch bei den Menschen. Nicht umsonst bringt sie ihre Zeitung in zwei Versionen heraus. Ein für Menschen und eine für Animalis.

Und die Frau, die mir eben dieses merkwürdige Erlebnis beschert hat, arbeitet dort? Sie sieht nicht wie jemand aus, der in solchen Kreisen verkehrt. Aber das kann natürlich täuschen. Man kann nicht hineinsehen.

Was mich wirklich verwirrt, ist, dass ich nicht spüren konnte, was für ein Animalis sie ist. Dunkel, so viel ist sicher. Aber sonst war da nichts.

Ich muss unbedingt herausfinden, was es damit auf sich hat. Also wähle ich den direkten Weg und betrete das Gebäude des Inscenes, sobald sie in den Aufzügen verschwunden ist.

Irgendwer wird mir sicher Auskunft geben.Schließlich bin ich ein Sohn des Imperators. Noch dazu der, der sich um die Aufgaben kümmert, die zwar die Aufmerksamkeit des Herrscherhauses erfordern, aber nicht die des Herrschers. Und das hier ist eindeutig so eine Sache.

Natürlich trifft mich sofort der überhebliche Blick des Wachmanns. Ich habe ja nicht Phönix auf die Stirn tätowiert. Doch ein kurzes Schütteln mit dem Kopf zeigt ihm für eine Sekunde meine Flügel, und sein Verhalten ändert sich. Auch wenn er ein Gargoyle ist und damit zur Dunklen Seite gehört, weiß er, was sich gehört.

»Was kann ich für Euch tun, Mylord?«

»Die Frau eben«, komme ich gleich zur Sache. »Wer war das?«

»Das … das ist Pamina Candela, Herr.«

Was ist denn das für ein bescheuerter Name? Dahinter muss mehr stecken. Eine schnelle Anfrage über mein Handy bringt keine Ergebnisse, ich muss tiefer bohren. Ich logge mich also in unsere Datenbank ein und suche dort. Man weiß schließlich nie. Es dauert ein paar Minuten, bis ich sie tatsächlich finde. Scheiße, das kann doch nicht wahr sein! Eine Jinx? Und dann auch noch … »Was in Dreiteufelsnamen hat eine Tochter der Kaiserin hier zu schaffen?« Ich merke gar nicht, dass ich laut gesprochen habe.

»Eine … was?« Der Wachmann verliert die Beherrschung und sein Gesicht verwandelt sich in eine hässliche Fratze. Gargoyles. Die waren noch nie gut darin, die Fassung zu bewahren.

Und natürlich kann er nicht wissen, wer die Frau ist. Die verschlüsselte Akte mit dem Vermerk Streng geheim war ein deutlicher Hinweis. Ups.

»Vergiss es. Ich habe mich geirrt.« Meine Worte beruhigen den Gargoyle, und er nimmt wieder menschliche Gestalt an. Die Hellsten sind sie auch nicht.

»Xenia Lind ist doch die Chefin hier, oder?«

»Ja, Mylord. Fräulein Lind.«

»Gut! Danke für die Auskunft.« Ich starre ihn mit meinem besten Ich-bin-der-Sohn-des-Imperators-auf-geheimer-Mission-Blick an. »Ich bin nie hier gewesen, verstanden?«

»Ja, ja natürlich.« Er nickt mehrmals heftig. »Niemand war hier.«

Das muss reichen. Ich verlasse das Gebäude und mache mich auf den Weg zu meinem Vater. Diese Sache verdient seine Aufmerksamkeit.

Starbucks ⁓ Pamina

Ich glaube, ich war noch nie so froh, Feierabend zu haben. Der Tag hat ja schon beschissen angefangen, aber er ging noch schlimmer weiter. Heute war ich der Chefin persönlich zugeteilt: Fräulein Xenia Lind.

Um das klarzustellen: Fräulein Lind ist über vierzig, bekommt einen Ausraster, wenn man sie mit Frau anspricht und ist auch sonst ziemlich durch. Ich durfte heute ihre Blazer aus der Wäscherei holen, einen veganen, glutenfreien Burger besorgen – mal ehrlich, wer isst denn so was? – und ein Geschenk für ihre Nichte zum Geburtstag kaufen. Was davon mir auf meinem Weg als Journalistin helfen soll, weiß ich nicht. Und sie wahrscheinlich auch nicht.

Zu allem Überfluss brennt mein Arm wie die Hölle. Dort, wo der Typ mich berührt hat, ist alles rot und geschwollen. Ich würde ja auf Brandwunde tippen, aber wie soll das denn gehen? Meine Kleidung ist nicht mal angekokelt – mal ganz davon abgesehen, dass eine simple Berührung keine Verbrennungen hervorrufen sollte.

Der Tag hat mich wirklich geschlaucht. Als ich eben noch mal auf dem Klo war, habe ich mir eingebildet, ein Muster in der Schwellung zu erkennen. Ich könnte schwören, dass ich da zwei stilisierte Vögel knutschen sehe. Ein Vogel ist genau das, was ich mir spontan selbst im Spiegel gezeigt habe. Da wusste ich, dass es Zeit ist, nach Hause zu gehen. Ich bin seit elf Stunden hier, und das war offensichtlich zu lang.

Völlig erledigt schleppe ich mich zum Aufzug und dann durch die große Eingangshalle nach draußen. Ich will nur noch in mein Bett. Selbst zum Essen bin ich zu müde.

Ich trete durch die Tür ins Freie, und direkt vor mir steht – das glaube ich jetzt nicht – der Typ von heute Morgen. Er steht einfach da und grinst mich frech an.

Das kann nicht sein Ernst sein. Hat der den ganzen Tag auf mich gewartet, oder was? Wenn ich mehr Energie hätte, würde ich ihm die Meinung geigen, aber das ist mir jetzt zu anstrengend. Also drehe ich mich einfach um und mache mich auf den Weg zur U-Bahn. Ignorieren soll ja helfen.

»Äh, hallo?«

Redet der mit mir? Ich gehe einfach weiter.

»Entschuldigung?«

Er redet tatsächlich mit mir. Ob er merkt, dass ich kein Interesse habe, wenn ich nicht antworte?

»Du bist Pamina, oder?«

Gut, jetzt hat er meine Aufmerksamkeit. Ich bleibe stehen und drehe mich zu ihm um. »Was stimmt nicht mit dir? Verfolgst du mich, oder was?«

»Ja. Nein! Ich …«

»Du weißt also nicht, ob du mir folgst? Woher kennst du meinen Namen? Was willst du von mir?«

»Das ist kompliziert. Vielleicht sollten wir uns irgendwo hinsetzen? Vielleicht in dem Starbucks …« Er deutet vage in Richtung U-Bahnstation.

Das kann doch wohl nicht wahr sein. »Hör zu.« Ich seufze lautstark und betone jedes einzelne Wort: »Ich. Habe. Kein. Interesse.« Dann lasse ich ihn stehen. Wenn das nicht deutlich genug war, weiß ich auch nicht.

»Willst du nicht wissen, was das zu bedeuten hat?«

Er hat mich überholt und hält mir seine Hand vor die Nase. Der Anblick lässt mich innehalten. Auf seiner Handfläche ist deutlich eine Verbrennung zu sehen. Und das Muster sieht genauso aus wie bei mir. Was zum …?

»Das …«, stammle ich. »Aber …«

»Habe ich jetzt deine Aufmerksamkeit? Starbucks?« Er deutet nach vorn.

Verdammt! Meine Gedanken schwirren. Vielleicht sollte ich doch mitgehen? Bist du eigentlich bescheuert? Du kannst doch nicht ernsthaft in Erwägung ziehen, diesem Freak zu vertrauen!

Also tue ich das einzig Richtige. Ich gehe einfach an ihm vorbei, als ob er nicht da wäre. Doch bereits nach zwei Schritten halte ich inne. Es fühlt sich falsch an. Normalerweise bin ich kein Mensch, der auf sein Bauchgefühl hört. Aber diesmal ist es so stark, dass ich nicht dagegen ankomme. Also schaue ich ihn wieder an und frage: »Okay, was ist hier los?«

Ein Lächeln erscheint auf seinem Gesicht. Sieht fast so aus, als wäre er erleichtert. »Keine Ahnung, gute Frage. Tut aber schweineweh. Ich hatte gehofft, du könntest mir mehr dazu sagen.« Seine Stimme klingt dunkel und samtig.

»Wie kommst du darauf?« Ich klinge eher wie ein Reibeisen.

»Na ja, da ich völlig im Dunkeln tappe …« Er fährt sich durchs Haar und lässt die Hand in seinem Nacken liegen. »Meine Mutter meint, es sei ein Drache und ein Phönix, was auch Sinn machen würde, aber ich bin mir da nicht so sicher.«

»Ein Drache und ein Phönix? Deine Mutter?« Vielleicht war das mit dem Bauchgefühl eine dumme Idee. Ich meine, er hat das seiner Mutter gezeigt? Was ist das für ein Kerl? Er ist sicher Mitte zwanzig und rennt als Erstes zu seiner Mutter? Davon, dass er das offenbar sinnvoll findet, fange ich gar nicht erst an. Ich sollte rennen.

»Ich klinge total durchgeknallt, oder? Und ich benehme mich auch so.« Seine Hand gleitet vom Nacken, und er zeigt mir die offenen Handflächen. »Ich kann es erklären. Zumindest teilweise. Wenn du mir eine Chance gibst.« Bei seinen letzten Worten zeigt er mit beiden Zeigefingern in Richtung Starbucks.

Zum ersten Mal nehme ich mir Zeit, ihn genauer zu betrachten. Er ist groß. Es passiert nicht oft, dass ich mit meinen eins neunundsiebzig zu einem Mann aufschauen muss. Der Dreitagebart und das dunkle Haar sind mir heute Morgen schon aufgefallen. Allerdings nicht, dass er es fast so trägt wie der junge Elvis Presley. Und in seinen Augen kann ich immer noch dieses Lodern sehen. So ein merkwürdiges Rotbraun ist mir noch nie untergekommen. Bevor ich darüber nachdenken kann, sage ich: »Was stimmt mit deinen Augen nicht?« Vielleicht hätte ich eher fragen sollen: Was stimmt mit mir nicht?

Er hebt die Brauen. »Was ist mit meinen Augen?«

»Sie lodern wie Flammen!«

»Und in deinen tanzen Sterne.«

Was soll denn das heißen? »Wenn das ein Versuch war, mich anzubaggern …«

»Nein, war es nicht. Es ist die Wahrheit. Das ist mir schon in der U-Bahn aufgefallen. Sie leuchten wie Sterne am Nachthimmel.«

»Dann lodern deine wie die Sonne an einem heißen Tag.« Oh, Mann! Habe ich das eben wirklich gesagt? Gegen meinen Willen entfährt mir ein Lachen. Ich schiele von unten zu ihm hoch und sehe, dass er sich das Grinsen auch nicht verkneifen kann.

»Lass uns noch mal von vorne anfangen. Ich bin Robin Brand. Sehr erfreut, deine Bekanntschaft zu machen.« Er schaut auf seine Finger, dann auf mich und grinst wieder. »Ich gebe dir lieber nicht die Hand, so lange wir nicht wissen …« Er deutet zwischen uns hin und her. »Ein Branding reicht mir für heute.«

»Sehe ich auch so. Ich bin Pamina Candela. Aber ich glaube, das weißt du schon.«

»Stimmt.«

Inzwischen haben wir das Starbucks erreicht. Warum noch mal gehe ich mit ihm? Keine Ahnung. Vielleicht bin ich genauso durchgeknallt wie dieser Robin. Er öffnet mir gentlemanlike die Tür. »Nach Ihnen, schöne Frau!«

»Nicht übertreiben.« Aber dennoch kann ich nicht anders, als mich geschmeichelt zu fühlen. Manchmal frage ich mich, ob ich die Gleichberechtigung irgendwie verpasst habe. Was ist schon dabei, wenn mir ein Mann die Tür aufhält? Und noch dazu dieser Typ. Egaler geht es ja wohl nicht. Mein Verstand sagt mir immer noch, dass ich die Beine in die Hand nehmen sollte. Nur bewegen sie sich in die falsche Richtung. Ich renne nicht vor diesem Kerl weg, sondern stehe mit ihm in der Schlange bei Starbucks. Und es fühlt sich immer noch richtig an, obwohl es das nicht sollte. Was ist das für ein kranker Mist?

Weil ich mich auf keinen Fall von ihm einladen lassen will, bestelle ich schnell einen Vanilla-Latte und zahle. Er nimmt es kommentarlos hin.

Sobald wir unsere Getränke haben, setzen wir uns an einen der kleinen Tische. Jetzt muss er liefern. »Also, raus mit der Sprache: Warum habe ich von deiner Berührung eine Verbrennung am Arm? Und du an der Hand? Und warum sind meine Kleider völlig unversehrt? Und warum sieht die Verbrennung aus wie zwei Vögel?«

»Nicht Vögel, Drache und Phönix.«

Ja, klar, was auch sonst.

Er trinkt einen Schluck von seinem Kaffee. »Warum wir diese Male haben, weiß ich auch nicht. Aber ich habe eine Frage an dich: War da etwas, als ich dich angefasst habe? Also etwas anderes als die überfüllte U-Bahn?«

Ist das eine Fangfrage? Ich habe etwas gesehen, aber wenn ich von blauen und roten Lichtblitzen erzähle, die umeinanderkreisen, hält er mich doch für komplett durchgeknallt!

»Wenn ich deinen Gesichtsausdruck richtig deute, hast du etwas gesehen. Ich auch. Rote und blaue Kraftlinien, die sich verbinden und explodieren«, sagt er, als ich schweige.

So kann man es natürlich auch ausdrücken. »Kraftlinien?«

»Rote für das Licht, meine Seite. Und blaue für die Dunkelheit, deine Seite.«

»Äh, was? Licht und Dunkelheit? Ernsthaft? Ich bin weg.« Der Typ ist noch durchgeknallter, als ich dachte. Ich verschwinde jetzt lieber, bevor er noch mit Zauberei anfängt. Aufzustehen und mich abzuwenden fällt mir schwerer, als es sollte. Als würde mein Körper seine Nähe suchen. Was natürlich Schwachsinn ist. Mit einer entschiedenen Geste erhebe ich mich und wende mich zur Tür.

»Nein, bitte! Ich weiß, wie das für dich klingen muss. Du bist eine Jinx und …«

»Ich bin was?« Hat der gerade Jinx gesagt? Ist das ein Schimpfwort? Ich halte inne und drehe mich wieder zu ihm.

»Pamina, bitte!« Er streckt die Hand nach mir aus und berührt mich dabei an der Schulter. Diesmal sehe ich es ganz deutlich. Mehr noch, ich spüre es. Alles verblasst, und die Welt wird dunkel. Doch das stimmt nicht. Aus der Dunkelheit formen sich rote und blaue Linien. Ein Phönix und ein Drache. Jetzt erkenne ich sie. Sie umtanzen einander, sprühen Funken und setzen etwas in mir frei. Etwas, was all meine Sinne schärft. Wenn ich nur will, kann ich alles sein, alles werden. Licht und Dunkel müssen sich nur vereinen und dann … Der Kontakt bricht ab, und ich lande hart in der Realität.

Die Geräuschkulisse irritiert mich und ich trete instinktiv einen Schritt von Robin zurück. Ich will ihn schon anfahren, aber er sieht genauso verwirrt aus, wie ich mich fühle.

»Das war …« Er bricht ab und schüttelt mehrmals leicht den Kopf.

»Seltsam«, vollende ich den Satz und berühre meine Schulter. Es fühlt sich nicht an, als hätte ich dort ein neues Brandmal.

»Das kannst du laut sagen.« Er deutet auf den Stuhl. »Setzt du dich wieder? Bitte?«

Habe ich eine Wahl? Schon wieder schauen die Leute um uns herum uns merkwürdig an. »Hast du eine neue Verbrennung an der Hand?«, platze ich heraus.

Er sieht kurz auf seine Finger und schüttelt den Kopf.

Meine Neugier ist geweckt. Wenn ich wissen will, was das zu bedeuten hat, werde ich mir seine Geschichte anhören müssen. »Okay. Aber ich will die Wahrheit.«

»Die ist schwer zu glauben.«

»Nach dem, was eben passiert ist, vielleicht nicht.« Da kommt mir ein Gedanke: »Erscheinen diese Linien nur uns? Ich meine, die Leute haben uns zwar kurz angestarrt, aber es ist keine Panik ausgebrochen.« Das wäre nämlich garantiert passiert, wenn all die Menschen hier gesehen hätten, was ich gesehen habe.

Er kratzt sich am Kopf. »Ist mir auch aufgefallen. Ich nehme an, dass nur wir sie sehen.«

»Und auch dafür lieferst du mir eine Erklärung?«

Er nickt. »So gut ich kann.«

Da bin ich mal gespannt. »Licht und Dunkelheit hast du gesagt. So wie Gut und Böse?«

Zu meiner Erleichterung schüttelt er diesmal den Kopf. »Nein. Damit hat das nichts zu tun. Beide Seiten haben ihre guten und schlechten Wesen.«

»Wesen?«

»Jaaaa. Wie erkläre ich das am besten? Ich würde es dir ja zeigen, aber das geht hier nicht.«

»Okay. Warum sind wir dann hier?«

Offensichtlich frustriert fährt er sich mit der Hand durchs Haar. »Weil ich dachte, eine bekannte, entspannte Atmosphäre würde helfen, erst einmal die Grundlagen zu erklären.«

»Diese ›Wesen‹ sind also nicht die Grundlage?«

»Sie – wir sind der Grund für das, was uns beiden heute passiert ist.« Er untermalt seine Erklärungen mit weitläufigen Gesten. »Weißt du, Fabelwesen existieren.«

»Du meinst, Feen und Elfen?« Unwillkürlich spreche ich leiser. Man weiß ja nie, wer zuhört.

»Im klassischen Sinn ja, aber nicht wie bei Tolkien.« Sein Gesicht verzieht sich zu einem Lächeln.

»Aha. Und Drachen und Phönixe?« Ich flüstere immer noch. Wahrscheinlich gar nicht notwendig, weil sich hier sowieso keiner für uns interessiert, aber unser Gespräch ist so abgedreht, dass ich lieber auf Nummer sicher gehe.

»Genau.« Auch er spricht jetzt leiser.

»Was ist mit Mantikoren und Einhörnern?« Mal sehen, was er dazu sagt.

»Die gibt es. Aber keine Orks oder so was. Auch keine Skelette, Zombies oder Vampire.«

»Okay.« Der scheint seine Fantasiewelt ja sehr detailliert ausgearbeitet zu haben. »Warum gibt es Mantikore, aber keine Orks?«

»Keine Ahnung.« Jetzt lächelt er. »Ist ja nicht so, als ob ich das zu entscheiden hätte.«

Aha. Sehe ich zwar anders, aber gut. »Und du bist eines dieser Wesen?«

»Ja. Wir nennen uns Animalis. Und du bist auch eins, wenn mich nicht alles täuscht.«

Diesen Satz übergehe ich und frage: »Was bist du?«

»Ein Phönix.«

»Und ich?« Ich kann mir schon denken, was er antworten wird, aber ich will es von ihm hören.

Er beißt sich auf die Unterlippe. »Ein Drache? Oder auch nicht. Ich meine, du bist nicht mehr jung und …«

»He! Ich bin gerade mal vierundzwanzig.«

»Wir entwickeln die Fähigkeit zur Verwandlung im Kleinkindalter. Da bist du ganz knapp drüber hinaus.«

Okay. Meine Gedanken überschlagen sich. Einerseits waren da diese Bilder, als er mich berührt hat. Und das Mal an meinem Arm kann ich auch nicht wegdiskutieren. Ob das nun ein Drache und ein Phönix sind, sei mal dahingestellt. Aber Menschen, die sich in Fabelwesen verwandeln? Oder verwandeln sich die Fabelwesen in Menschen?

Ich werfe einen Blick auf Robin. Er scheint zumindest selbst zu glauben, was er mir da erzählt. Aber ist es deshalb wahr? Kann er sich in einen Phönix verwandeln? Es gibt nur eine Möglichkeit, das herauszufinden.

»Zeig es mir. Verwandle dich.«

»Ähm, ich kann das nicht hier machen. Das ist verboten. Außerdem würden die Leute ausflippen.«

»Macht Sinn. Aber wenn es eine Welt mit magischen Wesen gibt …«

»Animalis. Wir nennen uns Animalis. So etwas wie Magie gibt es nicht. Und es ist keine eigene Welt, wir leben unter euch. Meistens.«

»Meistens? Also gibt es Orte, an denen ihr unter euch sein könnt? So was wie Hogwarts oder die Winkelgasse?«

Sein Lachen erfüllt den Raum und die Härchen auf meinen Armen stellen sich auf. Kein unangenehmes Gefühl. »So was Ähnliches. Hier ganz in der Nähe ist ein Portal.«

»Dann nichts wie hin!«

»Wir können da nicht hin.«

War ja klar. Also doch alles nur Blödsinn. Ich nicke und stehe auf. »War nett, dich kennenzulernen, aber ich kann im Moment keine Menschen mit Wahnvorstellungen in meinem Leben brauchen.«

»Das sind keine Wahnvorstellungen. Es ist nur so, dass am Portal keine Menschen erlaubt sind. Und du bist ein Mensch.«

»Eben hast du gesagt, dass ich ein Drache bin!« Kann der sich mal entscheiden?

»Ich habe aber auch gesagt, dass du dich nicht verwandeln kannst. Damit bist du vorläufig ein Mensch und darfst nicht zum Portal.« Er streicht sich schon wieder übers Haar. »Du könntest mit zu mir nach Hause kommen. Da kann ich es dir zeigen.«

Ja, klar! Ich geh mit diesem Irren nach Hause! Er muss meinem Gesicht angesehen haben, wie wenig Lust ich dazu habe, denn er sagt: »Okay, das war ein blöder Vorschlag. Wie wäre es mit dem Inscenes?«

»Dem Inscenes?«

»Ja. Fast alle dort sind Animalis. Das wäre ideal, wir könnten in einen der Konferenzräume gehen, und ich zeige dir meine Phönixform.«

»Animalis? Beim Inscenes? Auch Fräulein Lind?« Das würde einiges erklären.

»Ja, auch Xenia Lind. Sie ist eine Naga. Menschlicher Oberkörper, Schlangenunterkörper.«

Ich schüttle nur den Kopf, weil ich nicht weiß, was ich dazu sagen soll. Wenn ich ehrlich bin, überfordert mich die Situation. Ich bin müde, hungrig, und ich habe Schmerzen. Keine gute Kombi. Um Zeit zu schinden, trinke ich einen Schluck von meinem Latte und gehe meine Optionen durch. Ich könnte einfach gehen. Wäre wahrscheinlich die vernünftigste Variante. Dieses Gespräch vergessen und mein Leben weiterleben. Aber das mit dem Brandmal lässt mich nicht los. Genau wie die Bilder, die ich noch vor wenigen Minuten gesehen habe. Vielleicht spricht da die Journalistin in mir. Einer guten Story kann ich einfach nicht widerstehen. Ich brauche Antworten.

Also doch mit ihm gehen? Im Inscenes bin ich sicher. Dort ist jeder Raum videoüberwacht. Damit kann ich sicherstellen, dass mir nichts passiert, auch wenn dieser Kerl völlig durchgeknallt ist. Soll er sich ruhig zum Affen machen. Dann kann ich ihn immer noch zum Teufel jagen und mein Leben weiterleben. So mache ich es.

»Also gut. Zum Inscenes. Ich bin schon gespannt, wie ein echter Phönix aussieht.«

Inscenes ⁓ Pamina

Wir sind in den größten Besprechungsraum des Inscenes gegangen. Robin sagt, wir brauchen den, weil er sonst als Phönix nicht hineinpasst. Wenn er wie andere Männer ist, dann ist da sicherlich viel Wunschdenken dabei. Aber gut. Ich mach ja alles mit.

Merkwürdig war es allerdings schon, wie ihn die Wachen behandelt haben. Die zwei Männer im Foyer haben sich tatsächlich vor ihm verbeugt. Ich meine: Hallo? Wer ist der Kerl?

Im Moment schiebt er Tische und Stühle zur Seite. Das mit der Größe scheint ihm ernst zu sein. Ich lass ihn mal machen und beobachte dabei ein wenig das Muskelspiel an seinen Armen und seinem Rücken. Denn natürlich ist er nicht nur groß und gut aussehend, sondern auch muskulös. Nicht bullig, aber definiert. Schade, dass er durchgeknallt ist. Okay, ich muss wirklich ziemlich am Arsch sein. Ich mag keine Muskeln, und auch sonst ist der Kerl nicht mein Typ. Glücklicherweise unterbricht er meine konfusen Gedanken.

»Ich denke, so sollte es gehen. Bist du bereit?«

Theatralischer geht’s ja wohl nicht mehr, aber er scheint das durchziehen zu wollen. Also nicke ich und starre ihn erwartungsvoll an. Ich will ja nicht verpassen, wenn … Mit einem lauten Rumms knallt die Tür zum Besprechungsraum gegen die Wand, und drei Männer stürmen herein. Schwarzer Anzug, weißes Hemd, schwarze Krawatte. Die sehen aus wie die Men in Black. Und sie kommen auf mich zu. Der, der mich zuerst erreicht, verbeugt sich. »Majestät! Ihr müsst umgehend mit uns kommen.«

Äh … Obwohl ich weiß, dass neben mir niemand ist, blicke ich sicherheitshalber nach links und rechts. Der kann ja mit Majestät unmöglich mich gemeint haben.

»Also eigentlich ist die Dame mit mir hier.« Robin steht völlig ruhig in der Mitte des Raumes und sieht die drei erwartungsvoll an.

»Wir haben unsere Befehle!«

Robin verschränkt die Arme vor der Brust. »So wie ich. Und meine lauten, die Dame im Auge zu behalten.«

Der, der mich angesprochen hat, geht einige Schritte auf Robin zu. »Ach, und wer denkt, dass er Befehle bezüglich der kaiserlichen Familie geben kann?«

Das wird ja immer schöner. Kaiserliche Familie? Was zur Hölle?

»Mein Vater, der Imperator natürlich.« Er sagt das so, als müsse das jeder wissen. Haben sich die Wachen deshalb vor ihm verbeugt? Im nächsten Moment rolle ich die Augen über meine eigenen Gedanken. Kaiser und Imperatoren, klar! Die haben doch alle einen an der Klatsche.

»Äh, Leute, nichts für ungut, aber ich gehe mal lieber. Dann könnt ihr ganz in Ruhe klären, welcher Herrscher der wichtigere ist.«

»Ihr geht nirgendwo hin, Majestät!« Blitzschnell sind die beiden anderen Männer bei mir und greifen links und rechts nach meinen Armen.

»He, was …« Und dann passieren mehrere Dinge gleichzeitig.

Robin schlägt nach dem Mann direkt vor sich und trifft ihn an der Schläfe. Der sackt daraufhin zu Boden. Fast gleichzeitig ziehen die Männer neben mir ihre Waffen und feuern. Ich höre mein panisches »Nein!« Und im nächsten Moment wird mir klar, dass sie gar nicht mit Kugeln, sondern mit Tasern feuern. Aber das ändert nichts daran, dass sie Robin mit voller Kraft treffen und er zitternd auf die Knie geht. Ich versuche, die Ablenkung zu nutzen und freizukommen, aber ihr Griff ist zu fest.

Der Mann, den Robin umgehauen hat, kommt langsam wieder zu sich und erhebt sich ächzend. Sein Blick fällt auf den immer noch zuckenden Robin. »Seid ihr denn von allen guten Geistern verlassen?« Er zieht die Nadeln der Taser aus Robins rechtem Arm und Oberschenkel. »Habt ihr nicht gehört, was er gesagt hat? Das ist der beschissene Sohn des Imperators. Wisst ihr eigentlich, was das für einen Ärger gibt?«

Die beiden Kerle neben mir schütteln verständnislos die Köpfe. Ihr Anführer massiert resigniert seine Stirn und seufzt. »Das hat man davon, wenn man Trolle beschäftigt.« Er kniet sich wieder hin und fühlt Robins Puls. »Sollte nicht allzu schlimm sein. Wir lassen ihn einfach hier liegen und verfassen einen ausführlichen Bericht, sobald wir im Palast sind.«

Die scheinen das tatsächlich alles ernst zu meinen. »Und was passiert mit mir?«

»Majestät«, er deutet eine Verbeugung an. »Wir werden Euch jetzt zu Euren Eltern bringen. Die Kaiserin ist hocherfreut über die neuste Entwicklung und kann es kaum erwarten, Euch wieder in die Arme zu schließen!«

Noch einmal versuche ich, mich aus dem Griff der beiden Gorillas zu befreien, aber er ist eisern. Sie scheinen meine Anstrengungen nicht einmal zu bemerken. Also muss ich es anders versuchen. »Wenn meine Mutter die Kaiserin ist, müsst ihr dann nicht meinen Befehlen gehorchen?«

»Netter Versuch. Wir gehören zur persönlichen Garde der Kaiserin und sind nur ihr unterstellt. Und jetzt los! Wir haben schon genug Zeit vergeudet.«

Die beiden Gorillas zerren mich Richtung Tür, und ich kann gerade noch sehen, wie der dritte Mann kopfschüttelnd auf Robin hinunterblickt. »Warum musstest du so einen Zirkus veranstalten? Das sind mindestens zwei Stunden Papierkram für mich.« Dann schließt er sich uns an. Kurz überlege ich zu schreien, aber das scheint mir keine so gute Idee zu sein. Ich bin ja nicht mal selbst sicher, ob ich mir das hier alles nur einbilde.

Wider Erwarten gehen wir nicht zum Aufzug, sondern nehmen die Treppe. Und man führt mich auch nicht nach unten, sondern nach oben. Nach zwei Stockwerken kann ich die Rotoren eines Hubschraubers hören. Die haben doch nicht ernsthaft vor, mich mit dem Ding irgendwohin zu fliegen?

Wir haben das oberste Stockwerk erreicht, und da steht tatsächlich ein Hubschrauber. Das darf doch nicht wahr sein! Haben die gerochen, dass ich Flugangst habe? Nie im Leben steige ich in so einen eisernen Sarg! Ich beginne, mich zu wehren, aber die Stahlgriffe um meine Arme halten mich unbarmherzig fest.

Gegen meinen wilden Protest bugsieren mich die Kerle in den Helikopter. Dort wollen sie mich anschnallen. Meine Chance zur Flucht. Sobald die Männer mich loslassen, ducke ich mich und hechte zur Tür. Aber ich bin nicht schnell genug. Etwas trifft mich hart an der Schläfe, und mir wird kurz schwarz vor Augen.

Benommen registriere ich, wie man mich auf den Sitz drückt, anschnallt und mir Kopfhörer aufsetzt. Der Anführer beugt sich lächelnd herüber. »Nichts für ungut, Majestät. Ich befolge nur Befehle.«

Noch bevor ich fragen kann, was er damit meint, stülpt er mir einen Sack über den Kopf, und die Welt wird finster. In was bin ich da nur hineingeraten?

Der Kaiserpalast ⁓ Pamina

Wir fliegen seit etwa zwanzig Minuten, und der Nebel in meinem Kopf lichtet sich langsam wieder. Allerdings steigt damit auch die Panik. Niemand antwortet auf meine Fragen oder redet mit mir. Das muss doch alles ein schlechter Traum sein! Menschen, die sich in Fabelwesen verwandeln? Wenn es nur dieser Robin wäre, aber mein Entführer hat was von Trollen erzählt. Gut, er könnte das natürlich bildlich gemeint haben, aber irgendwie klang es nicht so.

Dann noch diese Visionen, wenn Robin mich berührt. Und das Brandmal. Keine Ahnung, ob es am Flug oder all den anderen Dingen liegt, aber mein Herz wummert inzwischen so stark, dass ich es im ganzen Körper spüre. Jetzt nur nicht die Panik die Oberhand gewinnen lassen. Also versuche ich, mich auf das Wenige zu konzentrieren, was ich weiß – und zu ignorieren, dass ich in einem Helikopter sitze, der mir den sicheren Tod bringen wird.

Was haben sie gesagt? Meine Mutter sei eine Kaiserin? Im ersten Moment klingt das lächerlich. Aber ich bin adoptiert und kenne meine leiblichen Eltern nicht. Das mit der Kaiserin ist allerdings ein wenig absurd. In welchem Land der Welt gibt es noch eine Kaiserin? Und warum würde sie ihr Kind zur Adoption freigeben?

Ich muss doch noch benommener sein, als ich dachte, denn ich habe gar nicht mitbekommen, wie wir gelandet sind. Jetzt stehen wir, der Anführer zieht den Sack von meinem Kopf und nimmt mir die Kopfhörer ab. »Aussteigen, wir sind da!«

Vorsichtig stehe ich auf. Meine Beine gehorchen mir. Das ist doch schon mal etwas. Ich betrachte den Mann neben mir genauer und stelle fest, dass er viel kleiner und schmaler ist als seine beiden Handlanger. »Und was passiert nun?«

»Wir bringen Euch zu Euren Eltern. Kaiserin Branwen und Prinz Luan.«

Branwen und Luan. Das klingt nach einem Königspaar aus einer keltischen Sage. Vielleicht ist das eine Neuauflage der Versteckten Kamera? Oder ich bin irgendwie ins Visier eines dieser Youtuber geraten, die Leute verarschen? Oder – meldet sich da eine ganz leise Stimme – es ist alles wahr.Diese beiden sind meine biologischen Eltern, und ich bin ein Drache mit ominösen Kräften. Ja, klar. Oder einfach total übermüdet.

Es bringt nichts, weiterzugrübeln. Wer weiß, was diese Irren noch mit mir vorhaben. Ich achte besser mal auf die Umgebung, man weiß ja nie.

Wir sind auf einer Wiese gelandet und gehen jetzt auf ein Gebäude zu. Gebäude ist allerdings nicht wirklich das Wort, das zu dem Monstrum vor mir passt. Das Ding sieht aus, als ob Walt Disney und Ludwig II. auf einem LSD-Tripp ein Schloss entworfen hätten. Disney Land meets Neuschwanstein. Ganz in Weiß, mit kleinen Türmchen und goldenen Dächern. Der Eingang ist von vergoldeten Stuckarbeiten umgeben. Wenn das hier eine Verarsche ist, dann hat sich jemand verdammt viel Mühe damit gegeben. Gesehen habe ich dieses Ungetüm zumindest noch nie.

Die Wachen vor dem Eingangstor – natürlich gibt es Wachen – treten respektvoll zur Seite, als ich mit meinen drei Begleitern dort ankomme.

Ich dachte, dass dieses Bauwerk von außen schon maximal kitschig sei, werde aber jetzt eines Besseren belehrt. Drinnen ist es noch viel schlimmer. Eine barocke Kirche ist ein Dreck dagegen. Überall Gold und diese pummeligen kleinen Engel. Jedes Fitzelchen Wand ist mit irgendeiner üppigen Verzierung bedeckt. Wenigstens passen die Farben zusammen: Gold, Silber, Bronze und Weiß. Wenn man’s mag. Ein wenig wundert es mich schon, dass ich keine Angst habe. Andererseits war ich nie ein besonders ängstlicher Mensch. Wenn ich Dinge nicht ändern kann, muss ich eben versuchen, mit ihnen klarzukommen. Punkt.

Wir halten kurz vor einer weiteren Doppeltür – riesig, mit Drachenschnitzereien und natürlich vergoldet. Dort stehen, wie könnte es anders sein, Typen in goldenen Rüstungen. Wahrhaftig und echt Ritterrüstungen in strahlendem Gold. Wahnsinn!

Diesmal sagt mein kleinster Entführer: »Wir bringen die Prinzessin.« Und schon treten auch diese Wachen zur Seite. Der Mann öffnet die Tür, und wir gelangen in einen überdimensional großen Raum. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, ich bin im Spiegelsaal von Versailles. Riesige Spiegel sind immer genau gegenüber einem ebenso großen Fenster angebracht. Unzählige Kristallkronleuchter tauchen den Raum in ein weiches Blau.

Ich gebe zu, der Effekt ist der Hammer! Ganz am Ende des Saals steht ein Thron aus Gold, was sonst. Von dort erhebt sich jetzt eine Frau und kommt mit ausgebreiteten Armen auf mich zu. Mein erster Gedanke: Da hätte man sich aber mehr Mühe geben können. Die Frau ähnelt mir kein bisschen. Sie geht mir nicht mal bis zur Schulter, ist schmal gebaut, hat feuerrotes Haar und jede Menge Sommersprossen. Ich bin groß, breitschultrig, mit dunklen Locken und keiner einzigen Sommersprosse. Auf Anhieb würde ich sagen, wir haben gar nichts gemeinsam. Die Ankunft eines breitschultrigen Riesen unterbricht meine Gedanken. Sein Anblick jagt meinen Puls in die Höhe. Es ist fast, als würde ich in einen Spiegel schauen und dort mein männliches Pendant sehen: die Nase, die Augen, die Haare, der Körperbau, alles gleich. Nur bei mir ein wenig weicher und weiblicher.

»Pamina!« Die Frau ist jetzt bei mir angekommen und schließt mich in die Arme. Also sie legt die Arme um meine Taille, drückt mich kurz und tritt dann einige Schritte zurück. »Das Ebenbild deines Vaters!«

Da spricht sie aus, was mein überfordertes Gehirn nicht wahrhaben wollte. Das ist mein leiblicher Vater. Wenn er es nicht ist, dann revidiere ich, was ich kurz vorher gedacht habe: Da hat sich jemand wirklich Mühe geben.

»Pamina!«, donnert jetzt auch seine Stimme durch den Saal. Er lächelt liebevoll auf die kleine Frau hinab. »Habe ich es dir nicht immer gesagt? Unsere Tochter ist keine Jinx.«

Die Frau – meine Mutter – schüttelt den Kopf. »Das ist noch nicht bewiesen.« Ohne mich weiter zu beachten, wendet sie sich an meinen Entführer. »Hat sie irgendwelche Anzeichen gezeigt, Khodion?«

»Nein, Herrin. Aber sie hat ein merkwürdiges Brandmal auf dem Unterarm. Scheint frisch zu sein. Und sie war mit einem Sohn des Imperators zusammen, als wir sie gefunden haben.«

»Interessant. Pamina! Zeig her!«

Wow, den Befehlston hat sie bestens drauf. Der mütterliche Typ ist diese Frau nicht. Aber kaiserlich kann sie. In Anbetracht der Tatsache, dass ich hier ganz allein in einem Schloss mit was weiß ich wie vielen Wachen bin, tue ich lieber, was sie sagt. Was habe ich auch für eine Wahl? Ich ziehe die Jacke aus und kremple meine Bluse hoch. Da ist es. Inzwischen nicht mehr ganz so geschwollen und klar sichtbar. Ein Drache und ein Vogel, die sich gegenseitig umschlingen.

»Erstaunlich!« Sie dreht sich zu dem Mann, der mir so ähnlichsieht. »Schau dir das an, Luan. So etwas habe ich noch nie gesehen.«

»Das war schon immer dein Problem, Branwen. Du interessierst dich nicht für unsere Geschichte und Traditionen.« Dieser Satz hätte verletzend klingen können, doch in jeder Silbe schwang liebevoller Respekt mit.

»Dafür habe ich ja dich. Was weißt du über dieses Mal?«

Er fährt sich mit der Hand übers Kinn und legt die Stirn in Falten. »Weniger als mir lieb ist. Zwei Stunden, bis die Hellen kommen? Bis dahin weiß ich mehr.« Zu meiner Überraschung wendet er sich an mich. »Wie kommt es, dass du mit einem Sohn des Imperators zusammen warst?«

»Äh, also …« Wie erkläre ich das, ohne wie eine Irre zu klingen? Andererseits scheinen die hier alle nicht ganz dicht zu sein, also sage ich einfach die Wahrheit. »Er hat mich heute Morgen zufällig in der U-Bahn berührt, und dann ist dieses Mal auf meinem Arm erschienen. Dann hat er vor dem Inscenes auf mich gewartet und wollte mir gerade zeigen, wie er sich in einen Phönix verwandelt.« Unwillkürlich ducke ich mich ein klein wenig, um der Lachsalve zu entgehen. Oder der Anschuldigung, eine Lügnerin zu sein. Aber nichts dergleichen passiert.

Die Kaiserin schnaubt lediglich. »Hatten die Hellen nicht gesagt, sie überlassen uns die Sache? Das wird ein Nachspiel haben.«

Luan legt beschwichtigend eine Hand auf ihren Arm. »Wir werden das klären, wenn sie da sind.« Dann wendet er sich an mich. »Wie hieß der Mann?«

»Robin«, antworte ich automatisch. Hätte ich das verschweigen sollen? Irgendwie beschleicht mich das Gefühl, als würde er deshalb Ärger bekommen. Aber warum macht mir das etwas aus? Ich kenne den Kerl ja gar nicht.

Zu meiner Überraschung erfolgt keine große Reaktion, und Luan fährt fort: »Man wird dich in deine Gemächer bringen. Dort kannst du baden, etwas essen und dich ein wenig ausruhen. Khodion bringt dich hin und wird dich dann zur Besprechung holen.« Er beugt sich zu mir hinunter und drückt mir einen dicken Kuss auf die Wange. »Willkommen zu Hause, Tochter!«

Bevor ich antworten kann, verschwindet er auch schon wieder. Meine Mutter, wenn sie es denn ist, ist da weniger herzlich. »In zwei Stunden!« Dann dreht sie sich um und geht wieder auf ihren Thron zu.

Will sie sich da jetzt hinsetzen und zwei Stunden warten? Ich habe keine Zeit, es herauszufinden, denn Khodion fasst mich am Arm. »Folgt mir, Majestät. Es ist alles bereit.«

Ich bin inzwischen so weit, dass es mir egal ist, wo ich etwas zu essen und einen Ort zum Ausruhen bekomme. Also folge ich dem Mann. Was soll ich auch anderes tun? Denn wenn ich ehrlich bin, beginnt mich die ganze Sache zu interessieren. Was auch immer dahintersteckt, ich muss es herausfinden!

Ich glaub das alles nicht ⁓ Pamina

Ich muss nicht erwähnen, dass das Zimmer, in das ich gebracht werde, zum restlichen Schloss passt. Hier mischt sich allerdings tatsächlich Rosa zwischen das Weiß und Gold. Kitschig ist ein viel zu schwaches Wort dafür. Aber ich bin so müde und abgekämpft, dass es mir egal ist.

Khodion deutet auf eine Tür in der rechten Wand. »Dahinter ist ein Bad für Euch vorbereitet, Majestät. Das Essen wird bereitstehen, wenn Ihr fertig seid.« Mit diesen Worten verschwindet er.

Einen Moment lang stehe ich einfach nur da und weiß nicht so genau, was ich jetzt tun soll. Lauf!, ist mein erster Gedanke. Also wende ich mich der Tür nach draußen zu. Abgeschlossen. Ich sehe zum Fenster. Vergittert. Natürlich, was auch sonst. Merkwürdigerweise löst die Tatsache, dass ich eingesperrt bin, keine Panik aus. Eher Resignation.

Was bleibt mir noch? Tatsache ist: Ich komme hier nicht weg, kann mit niemandem Kontakt aufnehmen und … Wie konnte ich das nur vergessen! Niemand hat meine Tasche durchsucht, was heißt, dass ich mein Handy noch habe und jederzeit Hilfe holen kann. Ich krame es heraus, und mein Herz macht einen freudigen Sprung. Mein Weg in die Freiheit!

Doch noch während meine Finger über der Tastatur schweben, halte ich kurz inne. Wen soll ich kontaktieren? Wer würde mir so eine hanebüchene Geschichte glauben? Meine Eltern? Nicht einmal, wenn sie im Land wären. Aber sie machen ein Sabbatjahr und sind nicht in Deutschland.

Franziska fällt mir noch ein. Sie war bis vor einem halben Jahr meine Mitbewohnerin, aber unsere Wege haben sich seitdem getrennt.

Ein frustrierender und beängstigender Gedanke macht sich in mir breit: Wenn ich verschwinde, fällt es niemandem auf. Klar, meine Eltern werden es sicher merken, wenn sie in drei Wochen zurückkommen. Aber sonst? Es ist nicht so, als ob ich keine Freunde hätte. Aber seit ich das Studium beendet habe, habe ich die wenigen, die ich so nennen würde, sträflich vernachlässigt. Es gab nur noch meinen Job. Ich muss nur überlegen, wie ich reagieren würde, wenn einer von ihnen mich anriefe und von Fabelwesen und Kaiserinnen erzählen würde. Bestenfalls würde ich raten, die Drogen wegzulassen. Nein, jemanden anzurufen ist keine gute Idee.

Mein Blick sucht die einzige offene Tür. Dahinter wartet ein heißes Bad auf mich. Vermutlich in einer Wanne, die größer ist als mein ganzes Badezimmer zu Hause. Ich sollte einen Blick riskieren.

Und tatsächlich befindet sich in dem elfenbeinfarben gekachelten Badezimmer eine Wanne im Boden. Ach was, das ist keine Wanne, sondern ein kleiner Pool. Und er ist bis zum Rand gefüllt mit blubberndem Wasser. Kleine Dampfwölkchen kräuseln sich zur Decke, und es riecht angenehm nach Lavendel. Ich überlege nicht lange, ziehe mich aus und lasse mich hineingleiten.

Egal, was das hier auch ist. Das Bad ist himmlisch. Langsam und ganz gegen meinen Willen entspanne ich mich. Der Tag fordert seinen Tribut. Eigentlich sollte ich über meine Situation nachdenken, aber die Gedanken entgleiten mir immer wieder, und ich döse langsam weg.

Das Schlagen einer Tür lässt mich hochschrecken. Merkwürdigerweise ist mir sofort klar, wo ich mich befinde. Ein Blick aus dem vergitterten Fenster verrät, dass es inzwischen dunkel geworden ist. Aber so gerädert, wie ich mich noch immer fühle, kann ich nicht lange geschlafen haben. Das Wasser ist auch noch warm.

Seufzend steige ich aus der Wanne und trockne mich mit einem der flauschigen Handtücher ab – natürlich sind sie rosa. Was soll’s. Immerhin sind sie schön weich.

Sobald ich wieder angezogen bin, schaue ich mich im Zimmer um. Auf einem kleinen Tisch steht ein Tablett mit belegten Broten und einer Flasche Cola. Man versorgt mich mit Koffein, das ist doch schon mal etwas.

Kurz frage ich mich, ob ich die Brote wirklich essen sollte. Wer weiß, ob die nicht vergiftet sind. Andererseits ist das hier alles so merkwürdig, dass vergiftet zu werden wohl meine geringste Sorge ist. Wenn mich jemand hätte umbringen wollen, wäre dazu mehr als genug Gelegenheit gewesen.

Also esse ich. Gar nicht schlecht. Zusammen mit der Cola belebt es mich sogar. Jetzt, da mein Hirn wieder arbeitet, muss ich mir Gedanken darüber machen, wie ich hier wegkomme. Doch bevor ich auch nur den Ansatz eines Plans schmieden kann, geht die Tür auf und Khodion tritt ein. »Man wartet auf Euch!«

Ich will etwas Schnippisches erwidern, aber mir fehlt die Kraft. Ich sollte mir meine Energie für die wichtigen Dinge aufheben. Mit Sicherheit wird das neuerliche Zusammentreffen mit all diesen Leuten kein Zuckerschlecken.

Also trete ich kommentarlos auf den Flur und folge dem Mann. Nach wenigen Metern schließt sich Luan an. Er mustert mich kurz, schürzt die Lippen, sagt aber nichts. Bevor ich mir überlegen kann, was ich sagen soll, öffnet Khodion eine Tür und schiebt mich durch.

Ich will schon protestieren, aber was ich im Thronsaal sehe, verschlägt mir die Sprache.

Bei den Dunklen ⁓ Robin

Jedes Mal, wenn ich mich dem Schloss der Kaiserin nähere, wird mir bewusst, wie bescheiden unsere Familie vergleichsweise lebt. Unsere Burg ist schon lächerlich protzig, aber das hier ist der Abschuss.

Weißer Marmor, aufwendige Stuckarbeiten, Verzierungen in Echtgold. Animalis haben, was das betrifft, einen Schlag weg.

Ich denke, das ist im Grunde reine Eitelkeit. Den Phönix in mir spricht der Glanz des Goldes auf jeden Fall wesentlich mehr an als den Menschen. Und es ist der Kaiserpalast, was soll man da noch groß sagen? Die Geschichten von Drachen, die in ihrem Hort voller Gold sitzen, kommen nicht von ungefähr.

Wie muss dieser Prunk erst auf Pamina wirken? Wenn mich nicht alles täuscht, ist sie gefühlsmäßig durch und durch Mensch. Das ganze Gold und der Pomp müssen sie regelrecht überfahren. Selbst in voller Phönixgestalt ist es mir ein wenig zu viel.

Zum Glück ist es schon dunkel, denn im Sonnenlicht glitzern und glänzen diese goldenen Dächer, dass es in den Augen wehtut.

Ob Pamina klar ist, dass sie sich nicht mehr in ihrer Welt befindet? Wenn man es genau nimmt, ist die Spiegelwelt ja irgendwie schon ihre Welt. Zumindest ein Abbild davon. Wenn auch ein ziemlich blasses. Um es klar zu sagen: Hier wächst nichts, wenn man es nicht dazu zwingt. Die Herrscherfamilien verwenden viel Arbeit darauf, ihre Gärten in voller Pracht sprießen zu lassen. Oder eher die Dryaden, die sich um die Gärten kümmern. In der Menschenwelt wären unsere Paläste viel zu auffällig. Also ist das hier der Kompromiss.

Im Moment gehen wir auf das Haupttor zu. Wir, das sind mein Vater, meine Mutter, mein Bruder und ich. Natürlich immer noch in Phönixgestalt. Man muss ja zeigen, wer man ist. Nicht zum ersten Mal bin ich froh, dass ich nicht der Erstgeborene bin. Mein Blick streift meinen Bruder Jannick, der in dieser Rolle völlig aufgeht. Ihm scheint die Bestimmung als Thronfolger auf dem Leib geschneidert. Ich hingegen bekomme das volle Paket: die Vorteile, ohne die Pflichten. Also ein paar Pflichten habe ich schon, deshalb bewege ich mich gerade auf dieses goldene Kitschding zu. Aber ich kann danach wieder in ein Leben abtauchen, das nach meinen eigenen Vorstellungen läuft.

Jetzt muss ich aber erst mal die formelle Begrüßung über mich ergehen lassen. Jeder Einzelne wird ausgerufen mit vollem Namen und allen Titeln. Als ob hier nicht jeder ganz genau wüsste, wer der andere ist!

Ich blicke mich unauffällig um, kann aber Pamina nirgendwo entdecken. Halten die Dunklen es für besser, sie nicht an diesem Gespräch zu beteiligen? Vielleicht. Anfangs wird sie sicher nicht gebraucht. Aber wenn das Gespräch auf dieses merkwürdige Mal kommt …

In dem Moment öffnet sich eine kleine Tür, und sie betritt den Saal. Ihr sowieso schon blasses Gesicht wird noch blasser und erstarrt zu einer entsetzten Fratze. Sie macht einen Schritt rückwärts, wird aber von dem Kerl, dem ich heute Mittag eine verpasst habe, nach vorn geschoben.

»Aber das ist …« Hinter ihr erscheint Prinz Luan. Er legt ihr beruhigend eine Hand auf den Rücken und sagt etwas, das ich nicht verstehen kann.

Fuck! Wie konnte ich das heute Morgen übersehen? Pamina sieht aus wie ein weiblicher Prinz Luan. Allerdings eine sehr verängstigte Version. Ich erwache aus meiner Erstarrung und wechsle zur Menschenform. Vielleicht hilft ihr ein bekanntes Gesicht.

Und tatsächlich heftet sich ihr Blick auf mich. »Du!«

Oha. Sie scheint nicht gut auf mich zu sprechen zu sein. Außerdem ignoriert sie ihren Vater und stürmt direkt auf mich zu.

»Du bist an allem schuld! Was hast du mit mir gemacht? Mich unter Drogen gesetzt? Oder bist du einer dieser bekloppten Youtuber, die sich daran aufgeilen, andere zu verarschen?«

Jetzt steht sie vor mir wie ein Racheengel. Die Hände in die Hüften gestemmt, das Haar fällt ihr in wilden Locken über die Schultern, und die Wangen sind leicht gerötet. Sie lässt mich nicht zu Wort kommen.

»Ich mach ja viel mit und gebe zu, dass der Aufwand, den du hier betreibst, ganz enorm ist. Ich meine, diesen Kerl da zu finden«, sie deutet auf Prinz Luan, »der mir total ähnlich sieht, ist eine Leistung, die ich durchaus anerkenne. Aber jetzt reicht’s.«

Um sie zu beruhigen, lege ich meine Hand auf ihren Arm. »Ja, das …« Weiter komme ich nicht, denn sofort setzen die Visionen wieder ein. Kein Brennen dieses Mal. Mir fällt nur ein Wort dazu ein: ekstatisch. Ich will mehr! Also ziehe ich sie zu mir heran. Sie folgt meiner Geste und kommt näher. Die Kraftlinien pulsieren, vereinen sich, stieben auseinander, treffen sich wieder und wachsen ins schier Unermessliche. So viel Macht! Sie baut sich auf, immer weiter und weiter …

»Robin! Lass sie los!«

Die donnernde Stimme meines Vaters klärt meinen Verstand so weit, dass ich die Hand wegnehmen kann. Mein Blick trifft Paminas. In ihrem Gesicht sehe ich meine eigene Verwirrung. Das eben war magisch. Es kostet mich all meine Kraft, nicht gleich die Hand wieder auf ihren Arm zu legen. Auch ihr Blick ruht auf der Stelle, an der eben noch meine Finger gelegen haben, und sie lächelt. Wenn sie lächelt, ist sie fast attraktiv.

»Damit hätten wir dann den ersten Punkt der Tagesordnung.« Das ist die Kaiserin. Nur mit Mühe gelingt es mir, meine Aufmerksamkeit auf sie zu richten.

Auch sie hat inzwischen menschliche Gestalt angenommen und geht zu dem ovalen Tisch direkt neben dem Thron. »Bitte.« Dann wendet sie sich an meinen Vater. »Die Kinder setzen wir besser an entgegengesetzte Tischenden, oder was denkt Ihr, Imperator?«

»Wäre wohl das Beste, solange wir nicht wissen, womit wir es zu tun haben.«

»Moment mal!« Pamina sieht immer noch aus wie ein Racheengel. »Ich bleibe nicht mit dem da …«, sie deutet auf mich, »… in einem Raum. Keine Ahnung, was ihr hier für ein Ding abzieht, aber ich habe langsam die Schnauze voll.«

Was hat sie für ein Problem mit mir? Das eben war … mir fällt nichts Besseres ein als weltverändernd. Mit nichts zu vergleichen, was ich je gefühlt habe. Nicht einmal Sex. Das hier war besser. Und dabei hatten wir den Höhepunkt noch nicht einmal erreicht. Wie es sich wohl anfühlt, wenn unsere Körper noch engeren Kontakt haben?

Wenn ich die leichte Röte auf ihren Wangen richtig deute, gehen ihre Gedanken in eine ähnliche Richtung. Allerdings scheint sie nicht so scharf darauf zu sein wie ich. Ich kann sie ja verstehen. Die Ereignisse der letzten Stunden haben mich auch überrollt. Aber wie muss es sich für sie anfühlen? Für jemanden, der unsere Welt nicht kennt, nichts von Drachen, Phönixen, Imperatoren und Kaiserinnen weiß?

»Pamina«, setze ich an, »ich weiß, dass …«

»Stopp!« Es ist nicht Pamina, die mich unterbricht, sondern meine Mutter.

»Hat sich irgendjemand die Mühe gemacht, dem Mädchen zu erklären, wie unsere Welt funktioniert?« Ihr Blick gleitet von Kaiserin Branwen über Prinz Luan zu meinem Vater und meinem Bruder. Dann bleibt er an mir hängen. »Was hast du ihr erzählt, Robin, bevor dieser Kobold«, sie deutet auf den Kerl im schwarzen Anzug, »sie mitgenommen hat?«

»Ich habe ihr von den Animalis erzählt. Dass wir existieren. Vom Inscenes. Sie hat mir nicht geglaubt.« Ich werfe ihr einen Blick zu, doch sie tut so, als würde sie mich nicht beachten. »Bevor ich sie überzeugen konnte, sind die Dunklen aufgetaucht und haben sie mitgenommen.«