Der Dunkelgraf - Ludwig Bechstein - E-Book

Der Dunkelgraf E-Book

Ludwig Bechstein

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Beschreibung

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Seitenzahl: 786

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Ludwig Bechstein

Der Dunkelgraf

Roman

Impressum

Klassiker als ebook herausgegeben bei RUTHeBooks, 2016
ISBN: 978-3-945667-51-4
Für Fragen und Anregungen: [email protected]
RUTHeBooks
Am Kirchplatz 7
D 82340 Feldafing
Tel. +49 (0) 8157 9266 280

Inhalt

Erster Teil

Kapitel 1 - Der Sohn des Hauses
Kapitel 2 - Die alte Reichsgräfin
Kapitel 3 - Der Abschied
Kapitel 4 - Eine Lebensrettung
Kapitel 5 - Der Falk von Kniphausen
Kapitel 6 - Ein Geheimnis
Kapitel 7 - Angés
Kapitel 8 - Das Haus van der Valck
Kapitel 9 - Eine Abend-Gesellschaft
Kapitel 10 - Ein Tag in Paris
Kapitel 11 - Die Reisenden
Kapitel 12 - Briefwechsel

Zweiter Teil

Kapitel 1 - Sophia Botta
Kapitel 2 - Rep en roer
Kapitel 3 - Der Spion
Kapitel 4 - Drei Frauenherzen
Kapitel 5 - Die Emigranten
Kapitel 6 - Der Freunde Trennung
Kapitel 7 - Eine Rückkehr
Kapitel 8 - Die Gabe der Mutter
Kapitel 9 - Die Abenteuer des Leonardus
Kapitel 10 - Ein Tag in Paris
Kapitel 11 - Erlebnisse
Kapitel 12 - Das Wiedersehen

Dritter Teil

Kapitel 1 - Eine Sterbestunde
Kapitel 2 - Das Andenken
Kapitel 3 - Das Gelübde
Kapitel 4 - Katastrophen
Kapitel 5 - Verschiedene Nachrichten
Kapitel 6 - Ein Tag in Wien
Kapitel 7 - Das große Rätsel
Kapitel 8 - Der Geburtstag
Kapitel 9 - Ein alter Bekannter
Kapitel 10 - Stillleben
Kapitel 11 - Der Freundin Tod
Kapitel 12 - Sterben und Erben

Erster Teil

Der Jüngling

Sei den Edlen genaht, niemals gesellt zu den Niedern,
Strebst du zum Ziele des Wegs, oder des Handels Geschäft.
Gut ist Edler Thun und gut sind ihre Gespräche,
Aber Geringer Geschwätz führen die Winde dahin.

Kapitel 1 - Der Sohn des Hauses

Geheimnisvoll murmeln die Wellen und schlagen nur leise an die Ufer des friedlichen Busens, in welchen das Flüßchen Jahde, vorüber rinnend an den einzelnen Häusern des friesischen Dorfes gleichen Namens und der Jahdekirche, sich geräuschlos einsenkt, um dann als breite Stromfläche aus dem zur Fluthzeit fast gerundet erscheinenden Becken mit dem Weserausstrome sich zu vereinen und in die Nordsee sich zu ergießen. Nur wenige größere Fahrzeuge liegen an der Rhede von Färhuk vor Anker, mit Kaufmannsgütern befrachtet, oder auf Einschiffung solcher harrend; es sind Schmakschiffe, die mit vierzig bis fünfzig Lasten die Erzeugnisse des Landes Oldenburg dem Verkehr der nachbarlichen Seehäfen zuführen, und außer ihnen ungleich mehr Barken und Kähne für die Vermittelung des nächstnahen Handelsbetriebes der ausgedehnten Marschlande. Tief in das Land eingebettet, mehr einem großen Binnensee ähnlich, als einem eigentlichen Meerbusen, vor Stürmen geschützt, wie vor heftiger Brandung selbst bei höchster Fluth, ruht dieses Gewässer, und dabei befahrbar von den größten Schiffen, von Klippen frei wie von Treibeis, an jeder Stelle trefflichen Ankergrund darbietend.

Es ist derselbe Jahdebusen, auf welchen in der Gegenwart sich hoffnung- und freudevoll die Blicke zahlreicher deutscher Vaterlandsfreunde richten; auf dem die schwarz-weiße Flagge Preußens von stolzen Kriegsschiffen, die hier ihren Hafen fanden, wehen, und diesem Winkel zwischen Land und Meer dereinst vielleicht eine hohe geschichtliche Bedeutung verleihen wird. Sechs Jahrzehnte zurück! Eine dunkle Frühlingsnacht und dichter Märznebel schleiern all' die Wellen und Wogen, die Geesten und Sielen ein; kaum erreicht die dämmernde Helle der in den Häusern des Dorfes Jahde brennenden Lichter den Deichdamm, der das Jahder Watt umgrenzt. Ueber das erstorbene flüsternde Schilf und Riethgras des vorigen Jahres in den mit zahlreichen Wassergräben durchzogenen Sumpfstrecken um die Dörfchen Jurgengrave und Moorhusen tanzen lustige Irrwische. Dort liegt das Städtchen Varel mit seinem stattlichen Herrenschloß und seiner ummauerten Kirche; dunkel ragen durch den Nebel die Werke des Forts Christiansburg und zwischen diesem und dem Ort spreitzen sich wie ein riesiges Nachtgeisterpaar zwei Windmühlen von bedeutender Größe. Aber die gewaltigen Flügel rasten und ruhen wie eingeschlafen; Stille schwebt über den Wassern, Stille weht mit Geisterhauchen über das trostlos flache Gefilde. Nur ein ferner Ruderschlag plätschert noch, dem Ufer näher kommend, durch das tiefe Schweigen.

An diesem Lenzabende des Jahres 1794, an welchem das verjüngte Leben der Natur noch nicht zum freudigen Erwachen gelangt war, schritt ein noch junger, gutgekleideter Mann in Jägertracht und mit Jagdgeschoß wohlversehen, begleitet von einem Diener und einem braunen Hühnerhunde, durch den Vareler Busch dem Städtchen zu. Der Jüngling mochte das neunzehnte Lebensjahr noch nicht zurückgelegt haben; der Diener war nur einige Jahre älter und ein Sohn des Ortes, eine kräftige friesische Gestalt, mehr stämmig als schlank, von munterem Blick und einem Ausdruck von biederherziger Treue. Er trug die Jagdbeute, mehrere Schnepfenarten, Rallen und Bekkasinen. Sein ihm schweigsam voranschreitender Gebieter war eine zarte, schlanke Gestalt, die noch größeren Wuchs verhieß. Die Gedanken des Jünglings schweiften zur Ferne, aber nach einer unbestimmten. Ein Lenzgefühl zog durch die junge Brust voll Hoffnungsfreudigkeit und Tatendrang; wie sich's geheimnißvoll regte im mütterlichen Schooße der Erde, wie das junge Grün mächtig und unaufhaltsam zum Lichte der verjüngten Sonne drängte – wie jene Vögel, von deren Jagd der junge Weidmann heimkehrte, schon wieder nordwärts strichen, dem allmächtigen Wandertriebe folgend, ebenso jene Kranichzüge, die er am Tage erblickt, und jene Güüsvögel und Himmelsziegen, deren gräuliche Stimmen den nächtlichen Wanderer schrecken – und die alle nur dem einen unumstößlichen Naturgesetze gehorsamten – so zog es auch den Jüngling fort aus diesen einförmigen Gefilden, aus einem Kreise einförmiger Tätigkeiten; er sehnte sich zu lernen, zu leben.

Während der junge Mann mit seinem Begleiter durch die gutgepflegten Gehölze und dann durch reizende ausgedehnte Parkanlagen dem Schlosse zuschritt, hatte sich dem Ufer in der Schloßnähe, soweit als möglich, eine Jacht mit niederländischer Flagge genähert, und mehrere Männer waren im Gefolge von Dienerschaft, die sich mit Reisegepäck belud, aus dem Schiffe in einem Boote nach dem Vareler Siel gefahren und hatten das Land betreten.

Im Herrenschlosse war eine Reihe von Zimmern lichterhellt, so daß der Schimmer, der heraus auf den dichten Nebel fiel, fast meteorisch erschien. Es war dies eine ungewöhnliche Erscheinung, denn meist stand das Schloß unbewohnt, nur in treuer Hut eines alten, redlichen Kastellans. Das hohe Geschlecht, welchem Amt und Vogtei oder die edle Herrschaft Varel eigen war, besaß der Schlösser und Güter viele, und die Glieder dieser berühmten Familie wohnten zerstreut, zumal ihrem Verbande jenes einigende schönste Band mangelte, welches Liebe heißt.

Im Schlosse hastete Dienerschaft geschäftig umher. Der Erbherr war angekommen, mit Räthen und Schreibern, nicht in bester Stimmung, wie es schien, und nach einer durch Frühlingsstürme widerwärtigen Wasser-Reise. Sein fester Sporntritt erschütterte Fußboden und Fenster des Zimmers, in welchem er unruhevoll auf- und abging. Es war ein noch junger Herr, erst zweiunddreißig Jahre zählend, aber sein Gesicht zeigte männliche Reife, sein Bart und seine Tracht ließen in ihm den Krieger hohen Ranges erkennen.

An einem Tische, auf welchem zwei silberne Armleuchter brannten, saßen zwei Männer, bemüht, zahlreiche Papiere und Briefschaften, die einem Reisekoffer entnommen wurden, sorglich in einer gewissen Reihe und Ordnung auf den Tisch vor sich hin zu legen; es waren augenscheinlich Documente, denn von mehreren hingen an schwarzgelben oder rothweißen Seidenschnüren große Kapseln, und die Farben dieser Schnüre ließen erkennen, daß es Lehenbriefe römischer Kaiser einestheils, anderntheils der Könige Dänemarks seien, und daß jene Kapseln die Siegel umschlossen, welche den Pergamenten, an denen sie befestigt waren, ihre volle Gültigkeit gaben.

Ein Diener riß die Türe auf, und rief herein: Der Herr Haushofmeister Ihrer Excellenz der Frau Reichsgräfin Wittwe!

Warten! antwortete kurz und rasch der Graf, und murmelte halblaut durch die Zähne: Hat es sehr eilig, das ancien régime! – Dann sagte er laut: Nehmen Sie, Herr Hofrath Brünings, ein wenig Akt von dem, was der Großbotschafter der chère grand Mère auszurichten und vorzubringen hat, und Sie, Herr Secretär Wippermann, tun, als haben Sie eine Schreiberei vor, und schreiben ein wenig nach, denn in unsern Angelegenheiten darf kein Wort auf die Erde fallen und verloren gehen. Es ist die höchste Zeit für uns, wenn wir nicht als Kirchenmäuse aus unsern Herrschaften davon ziehen wollen, die Neigungen der Frau Großmama anzunehmen und zu sammeln, wenn auch nicht eben antike Münzen.

Nach diesen Worten, welche offenbar eine gereizte Stimmung des Gebieters kund gaben, klingelte der junge Reichsgraf und Erbherr und der Diener öffnete dem Haushofmeister der alten Gräfin die Zimmerthüre. Der Angemeldete trat mit tiefem ehrerbietigem Gruße ein; ein Mann von mittler Größe, würdiger Haltung, bereits ergrautem Haar, von Gesichtsfarbe blaß und angegriffen aussehend, und äußerst fein gekleidet. Der Graf erwiderte die ehrfurchtsvolle Begrüßung des Dieners nur mit einer leichten Fingerbewegung nach dem Haupt, die Herren am Tische, welche bei seinem Eintritt aufgestanden waren, grüßten ebenfalls ziemlich flüchtig, und warfen stechende, lauernde Blicke auf den Haushofmeister.

Nun – Herr Windt – guten Abend! Was bringen Sie? nahm der Gebieter das Wort.

Zuvörderst, Excellenz! unterthänigsten Willkommengruß im edlen Herrenhause Varel Namens gesammter Dienerschaft des Schlosses und gesammter Einwohnerschaft des Ortes, versetzte der Haushofmeister in gebückter Haltung; dann sich aufrichtend, sprach er weiter: Ihre Excellenz, die verwittwete Frau Reichsgräfin lassen Höchstihnen durch mich Hochdero Freude ausdrücken und Dank sagen, daß Excellenz auf Hochderen Ersuchen hierher gekommen sind, und hoffen, es werde nun Alles, was bisher verwirrt und gespalten war, durch dieses persönliche Begegnen sich friedlich lösen und einen lassen.

Hofft die Großmutter das? fragte der Graf. Wie gern hofft' ich es auch, müßte ich nur nicht das Gegentheil fürchten!

Wollen Excellenz die hohe Gnade haben, mir zu erlauben, Denenselben gleich jetzt das mir Befohlene unterthänigst vorzutragen, oder befehlen Sie eine andere Stunde?

Tragen Sie vor, werther Herr Windt, tragen Sie immerhin vor! versetzte der Graf im vornehm spöttischen Tone. Jedenfalls wird es besser sein, Sie tragen vor, ehe das Essen aufgetragen wird. Ich hoffe ja mit Zuversicht, Sie werden mir nicht gleich den Appetit ganz verderben. Auch dauert es hoffentlich nicht allzulange?

Wie im Scherz zog der Graf seine Uhr, blickte darauf und fuhr fort: Ich gönne Ihnen eine volle Viertelstunde, allein setzen wir uns, setzen wir uns alle, meine Herren; als gesetzte Männer werden wir ohne Zweifel den Vortrag des Herrn Haushofmeisters, General-Intendanten, Geheimen Rathes und Factotums unserer geliebtesten Frau Großmutter um so standhafter anhören. Nehmen auch Sie sich einen Sessel, Herr Windt, und eröffnen wir somit gleich die erste der uns leider sicherlich hier bevorstehenden vielen Sitzungen.

Der Haushofmeister achtete nicht auf den spöttischen stichelnden Ton des jungen Erbherrn, er schrieb ihn dessen Mangel an Schicklichkeitsgefühl im Benehmen gegen ältere Personen zu und dem Verdruß, durch ihn im Auftrag seiner Gebieterin hierher bemüht worden zu sein, gerade zu einer Zeit, wo einerseits der Graf, der jetzt in Holland wohnte, als persönlicher Freund des Erbstatthalters der Niederlande und dessen Sohnes, des Erbprinzen von Oranien, vollauf mit der Bewaffnung der Niederlande gegen Frankreich beschäftigt war, anderseits die politischen Ereignisse in Frankreich fast alle andern und selbst persönliche Angelegenheiten einzelner Familien zurückdrängten und in Schatten treten ließen.

Stets im ehrfurchtsvollen Tone, ruhig und gemessen sprach nun Windt, und richtete sein Wort lediglich an den Grafen, indem er gar nicht zu bemerken schien, daß er außer diesem noch zwei andere Zuhörer hatte: Excellenz! Hochgnädigster Herr Graf! Lange Jahre hindurch sind auf der Frau Gräfin Wittwe ererbtes väterliches Vermögen habsüchtige Anschläge gemacht, und durch mancherlei Mittelspersonen ausgeführt worden, so daß es gewiß jedem billig und edel Denkenden einleuchtet, wie beträchtlich der vielfache Verlust sein muß, welchen Hochdieselbe dadurch erlitten. Einer fast von Haus und Hof, fast von ihrem ganzen Erbe verdrängten, ein halbes Jahrhundert mit ihrem Gemahl, mit ihren leiblichen Kindern und Kindeskindern in Processe verwickelten, nun bereits im neunundsiebenzigsten Lebensjahre stehenden Dame kann das Harte, welches diese traurige Nothwendigkeit für ihre mütterliche, gefühlvolle Seele hatte und stets haben muß, ebenso wenig vergessen gemacht werden, als der wirklich erlittene beträchtliche Schaden ihr je zu ersetzen ist.

Erlauben Sie mir, Herr Windt – unterbrach der Graf: nur die eine Anmerkung, daß in gewisser Beziehung auf die verehrte Frau Großmutter das Sprichwort paßt: Minder gut, wäre besser! Eben diese mütterliche gefühlvolle Seele ist es, die das reiche Familienerbtheil zersplitterte, drückende Verlegenheiten herbeiführte, zu Schritten hindrängte, vor denen man vor dem Auge der Welt erröthen muß. Die vielen Schenkungen, oft an unwürdige Spekulanten, die unnützen Aufkäufe, die verderbliche Sammelsucht, die Eitelkeit, als Gelehrte glänzen zu wollen, und die maaßlosen Täuschungen aller Art, denen die alte Frau anheimfiel – das ist's, das ist die Ursache alles Unheils von je gewesen. Gott sei mein Zeuge, daß ich und die Familie den Frieden wollen, daß ich und mein Bruder Johann Carl gern bereit sind, selbst mit Opfern ihr, die mit einem Fuß im Grabe steht, wie uns und unsern Kindern endlich Ruhe zu gewinnen.

Der Graf sprach diese Worte mit ernster Männlichkeit, keine Spur mehr in seiner Rede von der vorhinigen leichtfertigen, höhnenden Redeweise, und sie verfehlten nicht ihre Wirkung auf das Gemüth des Vortragenden. Dieser fuhr weich und mit Wärme fort: Wonnereich wird es für meine angebetete Herrin sein, wenn ich ihr verkünde, daß sie den Gedanken jetzt billigerer Gesinnungen ihrer, ihr dadurch gewiß aufs Neue theuerer werdenden Enkel mit Zuversicht hegen darf; wenn sie hoffen darf, es werde endlich einmal dem ebenso verderblichen als widernatürlichen Rechtsstreit ein Ende gemacht werden! In dieser frohen Hoffnung ist auch sie auf jede Weise bereit, alle bisher Jahre lang gehäuften, unbeschreiblichen und zahllosen Kränkungen großmüthigst zu vergessen, ihren Herren Enkeln ihre ganze großmütterliche Liebe zu schenken, allen den beträchtlichen Vortheilen, welche die Rechte ihr gewähren, besonders in Bezug auf die Anspruchsklage wegen der alleräußersten Beeinträchtigung zu entsagen, jedoch nur unter dem ausdrücklichen Beding und nicht ohne denselben, daß die hochgnädigen Herren Enkel auch ihrerseits billigere und den Verhältnissen angemessene Gesinnungen gegenwärtig dadurch bethätigen, daß sie ohne alle bisherige – in den vieljährigen Processen bis zum Ueberfluß angewandten Ränke und Rechtsverdrehungen – die Forderungen Ihrer Excellenz, anstatt der mit vollem Recht anzusetzenden, in das Unermeßliche sich belaufenden, ganz unableugbaren Schäden und Kosten – auf Treue und Glauben als richtig anerkennen, und wo nicht bei Heller und Pfennig vergüten, dennoch eine annehmliche, beträchtliche Abfindungssumme dafür bieten.

So! – warf der Graf gedehnt ein, und ein Strahl bitteren Hohnes blitzte wieder aus seinen Augen. Die Frau Großmama sind in der Tat gut berathen und wahrhaft eine »weise Frau«. Wenn wir also tun, was sie wünscht und befiehlt, dann werden wir die teueren Herren Enkel sein – wie aber dann, Herr Windt, wenn wir das nicht tun an unserer theuersten Großmama?

Wenn ich mir eine unterthänige Bemerkung und Einrede gestatten darf – nahm jetzt an seinem Tisch der Hofrath Brünings das Wort, ein Mann mit einem langen, kalten Diplomatengesicht, voll strengen Ernstes, ohne Farbe, von stocksteifer Haltung und dabei spindeldürr: so dürften wohl um Wege des Friedens anzubahnen und der künftigen hocherwünschten Einigung fruchtbares Land zu gewinnen, die Oelblätter der Friedenstaube, welche der Herr Haushofmeister dermalen vorzustellen die Ehre haben – nicht in ätzendes Gift getaucht sein, und ihre grünen Zungen nicht zu spitzigen Dolchen werden. Euer Excellenz werden Redensarten, wie Ränke und Rechtsverdrehungen mit gebührendem Protest zurückweisen.

Ich werde das, lieber Hofrath, gewiß, ich werde! versetzte der Graf; doch mag nun Ihre Rüge für das unbedachte Wort genügen. Wir kennen unsere hochgnädige, oft sehr ungnädige Frau Großmutter nur allzu gut; wir wissen, daß sie zwar sorgfältig ihre alten Münzen, aber nie die Worte gegen ihre nächsten Anverwandten auf die Goldwaage legt. Es ist nicht Kriegsbrauch, einen Abgeordneten in das feindliche Heerlager für das zu bestrafen, was sein Feldherr ihm auszurichten anbefahl. Fahren Sie fort, Herr Windt: Sie haben immer noch eine halbe Viertelstunde.

Der Haushofmeister wurde unruhig. Herr Graf, – nahm er wieder das Wort: wenn ich auch voraussehe, daß ich nicht im Stande sein werde, in dieser kargen Frist zu Herzen Dringendes und völlig Ueberzeugendes auszusprechen, so darf ich doch wohl, und wie ich ganz gehorsamst zu bitten mich erkühne, ohne fremde Unterbrechung vorerst Folgendes anführen. Das Wichtigste, was ich in vorbereitender Weise und als Grundlage der späteren Verhandlungen mitzutheilen habe, läßt sich in dreizehn Punkten zusammen fassen.

Dreizehn? wiederholte der Graf spöttisch betonend: das ist eine sehr mißbeliebte verhängnißvolle Zahl. Doch lassen Sie hören!

Es sind fast dieselben dreizehn Punkte wieder, fuhr Windt fort, welche dem im Jahre 1754 zu Berlin geschlossenen Vergleich zur Grundlage dienten, welche dem Reichs-Hofrath siebzehnhundertsechzig vorlagen, und deren Erledigung, ebenso wie eine, der gepriesenen edlen Denkart derer Herren Grafen würdige Erklärung nur durch Diejenigen über alle Gebühr hingezögert wurde, welche darin einen persönlichen Vortheil gesucht und leider nur zu sehr gefunden haben.

Das Diplomatengesicht des Hofrath Brünings schien sich bei diesen Worten in etwas zu verlängern, und seine Nase noch um ein merkliches spitziger zu werden, als sie ohnehin bereits war. Herr Wippermann begann sich unter Kopfschütteln zu räuspern und stampfte unwillig seine Feder auf. Windt aber sprach ruhig weiter: Ohne weitschweifig zu werden, so nimmt meine hochgnädige Gebieterin wiederum in Anspruch, erstens das halb ihrer hochfürstlichen Frau Mutter, halb ihr selbst von der Wittwe de Moore zu Amsterdam vermachte Kapital; zweitens den vollständigen Ertrag der Güter von Varel und Kniphausen bis zum Augenblick ihrer Entsetzung von denselben durch ungerechten Richterspruch und durch Gewalt, nebst vollständiger Rechnungsablage; drittens die Kammerzahlungen von den Vareler Einkünften seit siebzehnhundert und siebenundvierzig, welche die Dänen gewaltsam in Besitz genommen haben, auf wessen Betrieb, wissen Eure Excellenz am besten; viertens die receßmäßige Zahlungsleistung aller Forderungen, auf welche der Frau Reichsgräfin Excellenz Ansprüche der Schadloshaltung zustehen, und von denen sie als rechtmäßige Erbin, Eigenthümerin und Besitzerin durch das auf Schikane begründete Oldenburger Urtheil hinweggedrängt worden ist; ein Urtheil, das vor dem Richterstuhl der gesunden Vernunft, des entschiedensten Rechtes und der selbstredenden Billigkeit in Nichts zerfallen muß, weil bei demselben die Frau Gräfin gar nicht gehört worden sind, und der Hauptgrund aller Verbindlichkeit über den Haufen geworfen wurde.

Wieder wollte Hofrath Brünings mit Heftigkeit entgegnend auffahren, der Graf aber winkte ihm gebieterisch, und sagte: Stille! die Frau Großmutter haben das Wort.

Fünftens – fuhr Windt mit unerschütterlicher Ruhe fort: erneut Ihre Excellenz, die hochgräfliche Wittwe, die Ersatzforderung von zehntausend Thalern nebst aufgelaufenen Zinsen für ihre von dem hochseligen Herrn Grafen versetzten Juwelen. Gewiß werden Recht und Billigkeit liebender, edel denkender Enkel in diesen Ersatz zu willigen keinen Anstand nehmen, und nicht der erlauchten Frau Großmutter ferner ansinnen, aus ihrem Kammervermögen auch noch fernerhin die für diese Schuldsummen auflaufenden Zinsen zu bezahlen. Sechstens haben der Frau Gräfin Wittwe Excellenz für die Summe von sechstausend fünfhundert Thaler von ihrem Silbergeräth verpfändet, und das dafür aufgenommene Geld zum wahren Nutzen, nämlich zu dringend nöthigen Deichverbesserungen verwendet, sonst wäre vielleicht heute Varel nicht mehr vorhanden, sondern wäre in die Reihe jener versunkenen Ortschaften getreten, welche im Jahre fünfzehnhundert und neun durch die Antonifluth der Jahdebusen in seinen Schoos aufnahm. Siebentens begehrt meine hochgnädige Herrin die endliche Rückerstattung des ihr vorenthaltenen, mit den gräflichen Gütern in gar keinem Zusammenhang stehenden Kapitals von Friedrich Even; achtens die der Frau Gräfin im Berliner Vergleich zugesprochenen, aber stets vorenthaltenen Jahrgelder nebst Zinsen vom Jahre siebzehnhundert vierundfünfzig an. Die durch diese Vorenthaltung erlittene Einbuße ist eine schreckliche arithmetische Wahrheit. Neuntens Erstattung aller bisher aufgewendeten Prozeßkosten, sowie vieler, bei dem gewaltsamen Ueberfall geraubten Habseligkeiten, wobei unersetzbare Verluste ewig zu beklagen sind. Zehntens haben der Frau Gräfin Excellenz ihrem hochseligen Herrn Gemahl, sowie Kindern und Enkeln mütterliche Schenkungen von achtzig bis neunzigtausend Thalern gemacht, sollten Hochdiese nicht ein Recht beanspruchen dürfen, von so überreichlich begabten Enkeln die Berücksichtigung billiger Wünsche zu erwarten? Eilftens haben die Frau Gräfin Wittwe Excellenz nie und nirgends auf Ersatz der höchst bedeutenden Verbesserungskosten verzichtet, welche auf die Herrschaften, Schlösser und Kammergüter verwendet worden sind. Dennoch will Hochdieselbe jetzt großmüthig darauf verzichten, und nur die unbedeutende Summe für die Anlegung der ungemein nutzbaren Meierei zu Kniphausen in Anspruch nehmen. Nur berühren will ich unterthänig zwölftens den Werth der sechs schweren silbernen Armleuchter, die der hochselige Herr Graf vom Silber-Inventar der Frau Gräfin Wittwe genommen und zu selbsteigenem Gebrauch von Doorwerth nach dem Haag haben bringen lassen. Endlich dreizehntens: wird die billige Denkungsart geliebtester Enkel – gegen alle die beträchtlichen übergroßen Vortheile, welche diese dermalige Entsagung auf die bisherigen, rechtlichen, so eben erwähnten Ansprüche gewährt und in der Folge noch mehr gewähren wird – in der Verpflichtung nur einen geringen Ersatz erblicken, außer der Befriedigung der erwähnten Forderungen auf alle und jede Einsprüche auf letztwillige Verfügungen der Frau Gräfin Wittwe Excellenz zu verzichten, auch alle Vermächtnisse und Schenkungen – wie sie immer heißen mögen, und wie die Hochgenannte über das, was ihr von dem Ihrigen verbleibt, verfügen möge – unverbrüchlich zu halten und feierlichst und verbindlichst allen und jeden Ansprüchen und Einsprüchen entsagen, ebenso der überlebenden Dienerschaft nebst standesmäßigem Trauergeld ihre Jahresgehalte fortzahlen. – Herr Graf, ich bin zu Ende.

Tandem tandemque! rief Hofrath Brünings und Secretär Wippermann legte, tief Odem schöpfend, seine Feder aus der Hand.

Der Graf lächelte bitter und sprach: Ich danke Ihnen, lieber Windt, daß Sie nicht gleich ein Scalpiermesser mitgebracht haben, mir von Kopf bis zu den Füßen auch die Haut vollends abzustreifen, wie weiland Apoll dem Marsyas! Sie erwarten gewiß jetzt keine Antwort von mir. Darf ich bitten, mit diesen beiden Herren mein Gast zu sein? Ich habe auch noch den Kammerrath Melchers herauf bitten lassen.

Soeben wollte Windt Höfliches erwiedern, als der Jäger des Erbherrn, Jacob, die Türe öffnete und herein rief: Der junge Herr bittet, Euer Excellenz aufwarten zu dürfen.

Ach – das Großmuttersöhnchen! Mag kommen! – erwiderte der Graf, mehr mit einem Tone der Abneigung als der Freude, und jener junge Jägersmann, der vorhin durch das Abenddunkel und den Vareler Busch nach dem Schlosse im Geleit seines Dieners und Hundes gewandert war, trat mit rascher, edler Haltung ein, ging jugendlich unbefangen auf den Erbherrn zu, und sprach ihn offen und zutraulich an: Guten Abend und willkommen zugleich, Vetter Wilhelm! Die Großmama freut sich, gleich mir, wenn du wohl bist.

Guten Abend, edler Junkherr Ludwig Carl auf Varel! erwiderte ohne alle Herzlichkeit der Erbherr, und fuhr fort, da der Jüngling nur ihn im Auge zu haben schien, und die fast widerstrebend zurückgezogene Hand des Grafen zum warmen Druck ergriff: Die Herren! die Herren! Wir sind ja nicht allein, mein ungestümer Vetter!

Diese Zurechtweisung verfehlte ihre Wirkung nicht. Ludwig Carl neigte sich grüßend gegen die Anwesenden, welche sich jetzt anschickten, das Zimmer zu verlassen.

Auf Wiedersehen beim Abendessen, meine Herren! rief der Graf, worauf Brünings und Wippermann sich in das anstoßende Zimmer zurückzogen, Windt aber durch die Hauptthüre abtrat, nicht ohne einen Blick voll Teilnahme und Besorgniß auf den Jüngling fallen zu lassen.

Die beiden Söhne des hohen Hauses standen einander allein gegenüber.

Was fehlt dir, Vetter? du bist nicht wie sonst? fragte Ludwig mit der biederherzigen Offenheit eines jungen Menschen, der Welt und Leben noch wenig kennt, seinen um dreizehn Jahre älteren nahen Verwandten, und erhielt zur Antwort: Möglich, daß du Recht hast; ja, ich bin mißmuthig und unzufrieden, und glaube mir, ich habe dessen übervolle Ursache. Von meiner Laufbahn und meiner Tätigkeit werde ich hierher gezerrt, muß widrige Kämpfe mit Wind und Wellen bestehen und hier – wiederum noch widrigere Kämpfe mit Wellen und Windt. Die Großmutter wälzt ganze Springfluthen von Zorn und Galle und widersinniger Forderungen mir an Bord, und ich sehe abermals des Haders, Zwiespaltes und der äußersten Rechtsverletzungen kein Ende. Wär' ich doch beim Erbstatthalter geblieben, denn hier auf meinem Eigentum spiele ich eine wahrhaft klägliche Rolle!

Ich glaube nicht, daß die Großmama dir Unrechtes ansinnt, versetzte der junge Herr.

So? du glaubst es nicht! So lüge ich wohl! fuhr der Erbherr wild und zornig heraus, indem seine Aufregung sich von Minute zu Minute steigerte, je mehr die Menge gehäufter Forderungen, welche Windt vorhin vorgetragen, ihm durch die Gedanken wirrte und ihn völlig ratlos zu machen drohte.

Wenn ich in Alles willigen wollte, ja, wenn ich könnte, was mir in einem Odem angesonnen wird, so könnte ich mit meiner Gemahlin und meinen Kindern, so könnte auch der Graf von Athlone, mein Bruder, mit den Seinen zum Bettelstabe greifen und außer Landes wandern, und wer bliebe dann die Herrschaft der Herrschaften? Die Frau Großmutter und ihr Pathchen, ihr Schoos- und Hätschelkindchen, du! Und das scheint der überlangen Rede kurzer Sinn, daß wir gehen sollen!

Dem Jüngling erschrak das Herz in der Brust bei dieser harten und heftigen Rede. Wilhelm, ich bitte dich, rief er: wie kannst du solches denken und sagen?

Denken? warum nicht? zürnte dagegen der Erbherr. Sagen? warum nicht? Werdet ihr mir Denken und Sagen verbieten oder gar verwehren? Ich lasse mir nichts verwehren! Ich und mein Bruder, wir sind im Rechte – du? Wer bist denn du? Was die Frau Großmutter aus dir macht, das bist du! Ihre Puppe, ihr Spielzeug warst du als Kind, jetzt bist du ihr Münz-Katalogschreiber, ihr Münzwardein, hahaha! du bist noch mehr, du leimst und kleisterst ihr die Pappkästchen zusammen, in der sie den alten Kram einlegt, der oft so schmutzig ist, daß ich ihn nicht mit Fingern anfassen möchte; kurz, du bist des Herrn Windt würdiger Schüler, der Großmama würdiger Zögling und Günstling! Für dich und nur für dich sinnt sie täglich und stündlich darauf, meinen Bruder und mich zu berauben!

Wilhelm! rief Ludwig mit flammendem Blick. Daß du mich so beschimpfst und beleidigst, mich, der ich mit liebevollem und arglosem Herzen zu dir komme, dich in deiner Heimath zu begrüßen, das ist schlecht von dir, das ist ehrlos! So benimmt sich kein deutscher Edelmann; höchstens ein flämischer Bauer!

Was? Mir das! Mir – dem regierenden Erbherrn, dem Officier?! schrie Graf Wilhelm außer sich. Du ehrloser Bube! du Schandfleck unsers Hauses, du Bastard!

Daß dich Gottes Donner treffe für dieses Wort! schrie, jetzt auch zur heftigsten Wuth gestachelt, der junge Herr und seine schwarzen Augen flammten wie glühende Kohlen. Verflucht soll die Stunde sein, in der ich dich wieder meinen Verwandten nenne! Verflucht der morgende Tag, wenn ich in diesem Hause seinen Abend erlebe! – Du sollst nicht gehen, ich gehe schon – aber dir und all' deinen Häusern bleibe zum ewigen Fluche ewige Verwirrung und ewiger Hader! So lange du lebst, soll dieses Schimpfwort auf deiner Seele brennen! Bin ich ein Bastard, wie du sagst, so bin ich einer von hoher Abkunft, aus hohem Hause, du aber sollst noch herabsteigen in den Koth zu den Leibeigenen, und sollst selbst Bastarde zeugen in wüster, wilder Ehe, und sollst verachtet von der Verwandtschaft deines stolzen Hauses steigende Verarmung gewahren!

Der Teufel redet aus dir, Bube, und seine – meine Großmutter! – das war alles, was Graf Wilhelm noch sprach, den Boden stampfend, daß Alles klirrte und schütterte; in blinder Wuth griff er nach einer geladenen Pistole, die mit anderen abgelegten Reise-Waffen auf einem Seitentisch lag; der Hahn knackte und auf dem Fittig der Secunde schwebte der Verwandtenmord. Aber in demselben Augenblicke, und wie der Graf die Waffe zum Schuß erhob, ging ein rollendes Geräusch durch das Zimmer, wich ein lebensgroßes Ahnenbild zur Seite, aus der verborgenen Türöffnung strahlte heller Kerzenschein, und mitten in diesem Glanze stand in längst veralteter Tracht, im aschefarbenen schleppenden Seidenkleide eine hagere Greisin mit hellblitzenden blauen Augensternen, aber verwitterten Zügen; sie hob den rechten Arm und den Finger drohend gegen den Grafen, die linke Hand nach Ludwig Carl ausstreckend, und den feingeschnittenen Lippen des zahnlosen Mundes entrollte mit einer tiefen, fast männlichen Stimme das Wort: Halt! Gegen den jungen Herrn gewendet, rief die unverhoffte Erscheinung, die der aus einer andern Welt völlig glich: Zu mir!

Der Erbherr senkte den schon zum tödtlichen Schuß gehobenen Arm, seiner Hand entsank die Waffe; von Grauen überrieselt, blickte er auf die Erscheinung hin, hinter welcher zwei Diener in reich betreßter Livree jeder in der Hand einen kerzenvollen Armleuchter hielten.

Kapitel 2 - Die alte Reichsgräfin

Mit festen Schritten trat die Greisin aus der verborgenen Türöffnung in das Gemach ihres Enkels, das Bild rollte wieder langsam an seine Stelle, trennte die Herrin von ihren Dienern und schloß deren Zeugenschaft bei der bevorstehenden Unterredung aus. Das Bild stellte den Grafen Anton I, einen von des Hauses Ahnherren dar, in der kleidsamen, stattlichen Tracht der Kämpfer des dreißigjährigen Krieges.

Die Hand der alten Reichsgräfin erfaßte schützend die Rechte ihres Lieblings, und den durchbohrenden Blick ihrer blitzenden Augen fest auf den Erbherrn richtend, sprach sie zu diesem mit ihrer tiefen Stimme und mit Eiseskälte: Wer bist du, Mensch, daß du es wagst, mit Bastarden um dich zu werfen und mit Pistolen meinem unschuldigen Enkel zu drohen? Kennst du diesen, unsers Hauses edlen Ahnherrn, deinen Urgroßvater? Auch erwar ein Bastard, wenn dir dieses Wort so wohl gefällt, und sein Blut rinnt in deinen Adern, wie in denen meines Ludwig. Wer bin ich, und wer bist du? Ich bin die Erbtochter eines Hauses, das seinen Ursprung weit hinaus in der Zeiten Frühe leitet, das den Ländern Dänemark, Schweden und Norwegen seine Könige, Schleswig, Holstein und Oldenburg seine Herzoge gab und dem Czaarenreiche Rußland seine Kaiser! Meine Großmutter brachte unserm Hause eine Herzogskrone mit, meine Mutter eine Landgrafenkrone. Ich bin ein Abkömmling von Helden, welche die Geschichte mit dem Sternenmantel der Unsterblichkeit bekleidet hat; ich stamme väterlicher Seits von den Herzogen von Aquitanien; Philipp von Poitou ist mein Ahnherr! Meine Vorfahren erwarben Ansprüche auf den Thron von Neapel und meine nächsten Verwandten sind Prinzen von Tarent. Von urgroßmütterlicher Seite sind die heilige Elisabeth und alle die hohen Ahnen der Sachsenfürsten aus thüringischem Stamme und der Kurfürsten und Landgrafen zu Hessen auch die meinen. Und ich, ich war die verblendete Thörin, die all' diesen Glanz und Hoheit hingab an einen Mann, der meiner nicht werth war, an einen simpeln Freiherrn, einen – Jäger aus Kurpfalz, der durch mich erst vom Kaiser Carl dem Sechsten zum deutschen Reichsgrafen erhoben wurde, sonst würde ich ihm meine Hand sicher nicht gereicht haben. Dafür habe ich des Teufels Dank in vollem Maaße geerntet, und ernte ihn bis zu dieser Stunde; Thörin ich, die ich glauben konnte, indem ich dich zu gütlichem Vergleiche hierher berief, es schlage in deiner Brust ein versöhnliches und dankbares Herz, das nur irregeleitet sei durch deine falschen, rabulistischen Rathgeber! Nein, du hast ein böses, verstocktes Herz, Wilhelm Gustav Friedrich! Erst reizest du den harmlosen Jüngling, der deiner Habgier ein Dorn im Auge ist, weil du glaubst, ich werde ihm etwas zuwenden – durch giftige Stachelreden, und dann willst du ihn, den Wehrlosen, ermorden! Wohlan, morde ihn, morde auch mich, deine Großmutter, und schaue dann vom Vareler Rabenstein herunter, wie dein Geschlecht sich in das reiche Erbe der Grafen von Aldenburg und der Herzoge von la Tremouille theilt!

Diese Rede der alten Herrin war lang genug, daß während ihrer Dauer die stürmischen Gemüthswellen im empörten Blute Ludwig's sich legen konnten, und sein Schmerzgefühl über die ihm widerfahrene Beleidigung wich dem Gefühl neuen Dankes, das in der Großmutter jetzt auch die Erretterin seines Lebens verehren mußte. Auf Wilhelm's Herz aber fielen die Worte der alten Frau mit ihrem zermalmenden Gewicht, wie die dröhnenden Schläge eines Hammers auf das auf einen Ambos gelegte glühende, funkensprühende Eisen. Unaussprechliche Wuth kochte und glühte in ihm; seinen Augen entsprühten die Funken, sein Herz hallte das Klopfen der Hammerschläge nach, und dennoch fand er kein Wort zornvoller Entgegnung, denn die also heftig und vernichtend auf ihn einredete, war eine Frau, eine hochbetagte Greisin, und war die Mutter seines Erzeugers. Als sie schwieg, rang trotz des stürmischen Kampfes in seinem empfindlichen und höchst reizbaren Gemüthe der Erbherr dennoch nach Fassung, und sprach: Also das sind die Friedenspräliminarien, Frau Großmama? Das ist Ihre versöhnliche Gesinnung, die mit Forderungen an mich herantritt, die mir Schwindel erregen? Und nun dieser Sturm – wo soll ich Anker werfen in diesem Sturme?

Ankere wo du willst, mein Kreuz ist mein Anker! versetzte die alte Reichsgräfin, anspielend aus das silberne Ankerkreuz im blauen Wappenschild der hohen Familie. Du sollst mich kennen lernen, wenn du mich noch nicht kennst; du sollst erfahren, daß ich nicht beabsichtige, diesen hier, meinen Ludwig Carl, mit euerm Erbtheil zu bereichern. Was habt ihr denn sonderlich, wenn ich, ich und noch einmal ich euch enterbe und diesen, meinen Enkel, an Sohnesstatt adoptire?

Gnädige Großmutter! das will ich nicht, das würde ich nicht annehmen! rief der junge Herr. Lassen Sie ihnen alles – ich schwur zu gehen, und ich gehe, so wahr ein Gott lebt! Ich will mich nicht hier behandeln lassen, wie einen Troßbuben, ich will auch nicht zur Last fallen! Nicht ahnen konnte ich, so verhaßt zu sein, so sehr verachtet, daß man glaubt, man dürfe mich wie einen Hund mit Füßen treten. Sie sollen, ja Sie müssen mir das Rätsel meines Daseins lösen, mir Ihren Segen geben und mich dann ziehen lassen, wohin Gott mich führt!

Du wirst jetzt schweigen, Ludwig Carl, und mir gehorchen! wandte sich die Reichsgräfin zu dem Jüngling; und du, Wilhelm, sollst erfahren, was ich beschließe. Bis dahin vergiß nicht, was du mir schuldest! Vergiß nicht, wer ich bin, und vor allem: vergiß nicht noch einmal deine eigene Würde!

Die alte Reichsgräfin schlug in die Hände, Anton's I. Bild rollte Raum gebend zur Seite, und den geliebten Enkel – dessen Hand sie während dieser ganzen Zeit nur vorhin einen Augenblick losgelassen, und gleich nach ihrem Zeichen wieder erfaßt hatte – nachziehend, trat sie durch die Türöffnung in einen genügend breiten Gang, in welchem ihr mit ihr und in ihrem Dienst ergrauter uralter Kammerdiener Weisbrod und Philipp, der Diener des jungen Herrn, noch mit den brennenden Kerzen standen. Alsbald, wie die Türe sich hinter den Eintretenden wieder geschlossen hatte, schritten beide Diener ihnen voran und geleiteten sie durch den längs mehrerer Zimmer vorüberführenden Gang nach den Gemächern der Gräfin.

Dort sprach die letztere zu ihrem Enkel: Gehe sorgenlos zur Ruhe, mein lieber Ludwig Carl, doch gieb mir in meine Hand dein Wort, nichts zu unternehmen, weder gegen ihn, noch gegen dich, bevor du mich morgen um die neunte Stunde hier noch einmal gesprochen. Weisbrod soll dich zu mir rufen. Gute Nacht, mein armes, schwergekränktes, liebes Kind!

Damit bot sie dem Jüngling die Hand, er legte stumm die seinige in die ihre, und zitternd von der Erregung seines Innern küßte Ludwig die ihm huldreich dargebotene zarte Hand der Matrone, eine Hand, die nur Haut und Knochen, aber fein und fast durchscheinend war, und ließ sich dann durch seinen Diener nach seinen Gemächern vorleuchten. –

Der Erbherr hatte sich in einen Sessel geworfen, die Hände vor das Gesicht geschlagen und lange in einer verzweifelten und entsetzlichen Stimmung verharrt. Die so überraschende Erscheinung der Greisin hatte einen unbeschreiblichen Eindruck auf ihn gemacht; er verhehlte sich nicht, daß dieselbe ihn vor einem Mord bewahrt, der mit tiefer und schwerer Reue ihn belastet haben würde, denn sein Charakter war von Natur weich und empfindsam, nicht im entferntesten hart oder entartet, wohl aber heftig und rasch auflodernd.

In dem jener Wand, durch welche die Gräfin gekommen und gegangen war, entgegengesetzten Zimmer, welches vor kurzem der Hofrat Brünings und der Secretär Wippermann betreten hatten, hofften beide, nachdem sie den laut genug geführten Streit und die Stimme der Gräfin mit innerm Beben vernommen hatten, lange und vergebens darauf, wieder zu ihrem Gebieter beschieden zu werden, oder ihn bei sich eintreten zu sehen. Der Erbherr vermochte es nicht über sich, nach dem, was ihm gesagt worden war, vor die Augen seiner Beamten zu treten, und der Hofrat Brünings zog aus der Tasche seiner brocatnen Weste eine goldene Dose, tippte darauf, bot sie dem Gefährten, nahm dann selbst eine Prise, und flüsterte leise zu dem Secretär: Geben Sie acht, lieber Herr Wippermann! Der Name Varel wird sich nicht an die Namen von Münster, Ryswik und Hubertusburg anreihen.

Nein, gewiß nicht, Herr Hofrat! Heute und übermorgen kommt hier noch kein Friedensschluß zu Stande.

Gleichzeitig benießten beide Herren ihre übereinstimmende Prophezeihung.

Der Erbherr ließ die Herren durch seinen Jäger Jacob ersuchen, ihn zu entschuldigen und mit Kammerrath Melchers und Herrn Haushofmeister Windt heute ohne ihn zu speisen. –

Philipp, sprach, aus seinem Wohnzimmer angelangt, der junge Herr zu seinem Diener im platten Deutsch seines Heimathlandes: morgen reite ich in die Fremde, willst du mit?

Ob ich will, mein gnädiger junger Herr? fragte der Diener. Muß ich nicht, wenn der gnädige Herr mir befehlen?

Du mußt nicht, und ich befehle dir nicht – entgegnete Ludwig. Mein Weg geht weit, vielleicht sehr weit in die Welt hinaus, noch weiß ich selbst nicht, wohin er führt. Du hast hier Aeltern, Angehörige, die siehst du nicht so bald, vielleicht niemals wieder – ich kehre nie wieder in dieses Land zurück. Überlege dir es wohl.

Junger gnädiger Herr! versetzte Philipp: Da Sie eingesegnet wurden, kam ich auf Befehl der Frau Gräfin Wittwe Excellenz als Ihr Bedienter zu Ihnen, Sie waren damals dreizehn Jahre alt, ich ein Bürschchen von fünfzehn; jetzt bin ich schon ins sechste Jahr Ihr Diener und Sie haben mich immer gut behandelt, ja, Sie haben noch mehr getan, Sie haben mich aus dem Wasser gezogen, in das ein Unglück mich geworfen, und mir so mein Bischen Leben gerettet; das gehört nun Ihnen ganz und gar. Ich will immer Ihr Diener bleiben. Was hätt' ich hier? Arbeit oder Soldatenbrod – nehmen Sie mich mit, ich will Ihnen treu dienen, und Ihnen folgen, und wenn's bis an der Welt Ende ging'.

Gut, Philipp, so bleibe es dabei, und so wollen wir einpacken; laß die Isabella striegeln und den Braunen, und beide gut füttern, morgen reiten wir von dannen. Dann fare well, Varel!

Mit fester Haltung, bittere und zugleich tiefschmerzliche Empfindungen gewaltsam in sich zurückpressend und in jugendlichen Trotz sich verkehrend, begann Ludwig seine Habseligkeiten, so viel er deren mit sich nehmen wollte, zusammenzulegen, damit Philipp sie in den Mantelsack packe; er lud mit eigener Hand zwei Paar Reiterpistolen und wählte unter zwei krummen Säbeln für Philipp den dauerbarsten und schärfsten; für sich eine Damascenerklinge, auf deren Griff ein Silberplättchen das Wappen der Herzoge von Bouillon zeigte.

Spät suchte Ludwig die Ruhe, noch später fand er sie durch einen kurzen Schlummer; allzuaufgeregt war das Gemüth des Jünglings, der bisher im süßesten Frieden, nur heitern und anregenden Studien obliegend, oder ländlichen Freuden gelebt hatte, und an den nie ein so schneidender Mißton herangetreten war, wie an diesem verhängnißvollen Abende, der vielleicht das Loos über seine ganze Zukunft warf.

Hochbejahrte Personen haben wenig Schlaf; auch der rege Geist der alten Reichsgräfin bedurfte, trotz der morschen Körperhülle, nur wenige Ruhe, eben weil er den Körper beherrschte. Daher mußte die Leibdienerschaft der gräflichen Matrone früh auf sein, das Zimmer angemessen durchwärmen, den belebenden Mokkatrank bereit halten, und dann verbrachte sie gern die ersten Morgenstunden in ungestörter Einsamkeit, und widmete dieselben ihren numismatischen Studien, ihrem weitverzweigten Briefwechsel, dem Ordnen ihrer vielfachen Papiere, die deshalb dennoch nie die gewünschte völlige Ordnung fanden; dem Nachsinnen und Überlegen über die Verwendung ihrer Einkünfte, wie über die traurigen Rechtsstreitigkeiten. Letztere dauerten indessen schon zu viele Jahre, sie war derselben schon zu sehr gewohnt, als daß sie dadurch sonderliche Gemüthsbewegungen auch jetzt noch hätte erfahren können. In ihrer Seele war Alles klar, fest, abgeschlossen, ihre Willenskraft war eisern, wie ihr Sinn, und diese hohe wichtige Errungenschaft fast völliger Leidenschaftlosigkeit war es eben, die der alten Frau diese über das gewöhnliche menschliche Ziel hinausreichende Lebensdauer erhielt und gleichsam sicherte.

Der Nebel der Nacht war gesunken, der Morgen lachte aus blauem Himmel frühlingshell durch die hohen Fenster, die nach dem Parke hinausgingen, an dessen Rändern schon blaue Anemonengruppen und Schneeglöckchen sich blühend zeigten. Die thaubeperlten noch nackten Zweige der Gebüsche erschienen saftgeschwellt und zum Teil rosenroth angehaucht, Knospen öffneten sich schon, und melodische Hainsängerstimmen, die Stimmen von Amseln und Drosseln, durchflöteten mit schallendem Jubel die weitgedehnte Holzung, welche den Namen des Vareler Busches führt.

Die Kammerfrau, welche die Schwester des Haushofmeisters war, trug der Gräfin, die auf bequemem Armstuhl an ihrem großen Schreibtisch saß, an welchen wieder andere Tische gerückt waren, den Kaffee auf und entfernte sich in geräuschloser Stille. Diese Stille liebte die Gräfin so sehr, daß sie in ihrem Zimmer weder Hunde noch Vögel duldete. Nur eine Cypernkatze, ein Prachtexemplar, genoß der großen Gunst, um die Dame weilen zu dürfen, sie bisweilen mit ihrem Geschnurr zu unterhalten und ihre Aufmerksamkeit durch zärtliches Anschmiegen an die hohe Gebieterin von den ernsten Beschäftigungen ab und auf ihre geschmeidige Persönlichkeit zu lenken.

Das Zimmer war hell, hoch und weit, voll Bücher, voll Karten, Globen, Münzschränken, hohe Stöße ausgelochter Tafeln, mit lichtbraunem Leder überzogen, mit untergelegter Pappe zum Einlegen von Münzen waren da und dort zu erblicken. Dokumente und Briefschaften lagen in Fülle umher, das ganze Zimmer glich ungleich mehr dem Arbeitsalon eines reichen Gelehrten, angefüllt mit Geräten, selbst mit Vasen und Kunstarbeiten, sowie mit Seltenheiten ferner Länder, als dem Zimmer einer Dame, denn da stand auch nicht ein einziges Körbchen, außer dem Papierkorb, da lag kein Band, kein Strickzeug, keine Nadel, keine begonnene Stickerei, kein gepreßtes und gemustertes Luxusbriefpapier, wohl aber zeigten die Bücher stolzen Marokineinband mit Goldschnitt, zeigten in Gold gepreßt auf dem Einband das reichsgräfliche Wappen neben einem fürstlichen, und das Briefpapier, das in starkem Vorrath bereit lag, hatte Goldschnitt.

Indem die alte Reichsgräfin zwischen dem Einnehmen ihres Kaffees und der Unterhaltung mit der schönen Katze, die bei diesem Anlaß stets ein schmarotzender Gast war, sich mit der An- und Durchsicht zahlreicher vor ihr hingebreiteter Papiere und Briefe beschäftigte, sprach sie nach Art bejahrter Personen laut mit sich selbst, indem sie bald dieses bald jenes Papier oder deren mehrere aufnahm, flüchtig ansah, auch nach Befinden länger bei einigen verweilte und das so in Augenschein Genommene gleich wieder in guter Ordnung zur Seite legte, um alsbald nach einem andern zu greifen.

Fiscalische Sache zu Oldenburg – Akta wegen des jetzigen Processes – ditto – ditto – ditto – und noch fünfmal ditto – Briefe vom Prinzen von Talmont – dergleichen vom Marquis de Launoy – armer Bernard-René-Jourdan, armer Marquis! Freundlicher, milder Schatten, den die rebellischen Teufel ermordeten, weil sie dir als Gouverneur der Bastille nicht die Bedingungen halten wollten, unter denen du das feste Haus übergeben – Entwurf meines Testamentes – Wienerische Appellations-Sache – Güldenlöwesche Briefe – Briefe von König Friedrich dem Großen – von meinem Voltaire – von Georgine Cavendish, Herzogin von Devonshire – von meinem Heyne und von meinem Georg Friedrich Benecke zu Göttingen – vom Herzog von Holstein-Plön – das Tagebuch der Großmutter.

Dieses Buch betrachtete die Gräfin mit einer gewissen stillen Wehmuth, die sich aber in keiner Weise äußerlich kund gab. Sie Großmutter einst – sprach sie – ich Großmutter jetzt, und beide fast in gleichen Schuhen.

Das Buch war ein in braunes Leder mit einfachen Goldstreifen gebundener und mit abgegriffenem Goldschnitt verzierter Quartband. – Als die Reichsgräfin flüchtig hineingeblickt, legte sie es zur Seite, und griff nach einem in Umschlag mit Bindfaden umschlungenen Papierheft. Mein Tagebuch – sprach sie – so viel mir davon erhalten blieb – nur achtzehn Monate aus meinem langen – vielbewegten Leben – mögen auch diese Blätter hinschwinden – das Buch meiner Tage ist ja doch nun wohl geschlossen.

Auch diese Bogen legte die Reichsgräfin zu dem alten Band, und fuhr fort mit der Musterung ihrer Papiere: – Ehescheidungsproceß – oh hinweg! – Briefe von der Gräfin von Jaxthausen – von der Prinzessin von Waldeck – von der Fürstin Juliane zu Schaumburg-Lippe – von königlichen Häuptern – von meinem lieben Abbe Eckhel zu Wien. Oh Eckhel! Eckhel!

Das Gefühl, welches die alte Reichsgräfin zu diesem Ausruf bewog, entsprang einem unüberwindlichen Schmerz, und dennoch konnte sie diese Blätter nicht so schnell, wie die andern, flüchtig zur Seite legen; ihre Blicke vertieften sich vielmehr in die festen Schriftzüge des größten Alterthumsforschers und Münzkenners seiner Zeit, und dieselben übten auf die Gräfin gleichsam magnetische Anziehungskraft, sie mußte wieder und wieder lesen, was ihr Pein verursachte, wie der Wundarzt wohl bisweilen eine Wunde wiederholt brennen muß, auf daß sie gründlich heile.

Wo ist er, wo ist er, der grausame Brief des strengen Freundes, dem Wahrheit über Alles heilig ist? Ach, jeder seiner Briefe enthält mehr Tadel als Lob – für was muß er mich halten? Für eine alte Närrin jedenfalls. Und wenn es Narrheit war, was ich trieb und noch treibe, was kostet sie mich nicht? Dann unermeßlich viel, ja mehr, als ich verantworten kann.

Welche Worte auf meine Fragen: "Was ich von den Eroberungen für das Kabinet Ihrer Excellenz halte? Daß unter den Stücken, die nach Hamburg gingen und sich dermalen in so schätzbaren Händen befinden, sehr viele ansehnliche sind, doch müßte ich sie sehen, um über deren Aechtheit zu entscheiden!" – Eine Pille, doch recht schön vergoldet.

"Wie ich mit der Anordnung des Ennerischen Katalogs zufrieden sei? – Sehr schlecht – altväterische Art beibehalten, – strotzt von unendlichen Fehlern, und zwar von einer Art, die man nicht leicht einem Anfänger vergeben würde. Man muß erstaunen, aus Frankreich, das mit seiner Gelehrsamkeit so groß tut und uns Deutsche so gern heruntersetzt, ein so ärgerliches Zeug erscheinen zu sehen. Ich rede unparteiisch, weil ich den Verfasser nicht kenne."

So Eckhel – und ich habe diesen Katalog mit Entzücken begrüßt und ihn nach allen Seiten hin empfohlen. Van Damme, den Numismatiker zu Amsterdam, mit dem ich Jahre lang Briefe gewechselt, der große Summen für Münzen mir nach und nach abgelockt, enthüllt Eckhel hier als einen schamlosen Betrüger, und dessen Prachtkatalog mit allen seinen Bildern, den jener so sündentheuer verkauft, sei nichts als Aufwärmung der Platten eines elenden holländischen Werkes von Haverkamp, im Grafenhage erschienen. Und ich kenne dieses alte Werk nicht, und besitze eine Bibliothek von zwanzigtausend Bänden! – Und endlich, mein Katalog, das Schmerzenskind meiner Liebe zur edlen klassischen Münzkunde – wie lautet über diesen der Richterspruch des unbestechlichen Wiener Rhadamanth?

"Einen Blick über Ihro Excellenz ganzen Katalog. Ich sehe darin eine Menge der kostbarsten und seltensten Stücke, aber eben dieser Umstand macht, daß sich die ganze Sammlung vor den Augen ächter Kenner in keinem vortheilhaften Lichte zeigt. Jeder Kenner muß in der Tat über das unnennbare Glück erstaunen, welches so viele und so schätzbare Münzen einem einzigen Privatkabinette sollte zugespielt haben. Zur Probe nur ein Beispiel: auch in den größten Sammlungen, die von großen Fürsten durch viele Jahre sind zusammengebracht worden, findet man oft nicht ein Stück von den bosporischen Königen Ininthimeus, Teiranes, Thotorses – es ist keines im kaiserlichen Kabinet, keines im großherzoglichen, keines im gothaischen und mehren andern; ich habe in meinem Leben keines in Natur gesehen; Herr Baron Herwart, kaiserlicher Gesandter in Konstantinopel, der für das kaiserliche Kabinet durch mehre Jahre in der Nachbarschaft bosporanische Münzen sammelte, und dazu carta bianca hatte, war nicht so glücklich, nur eine einzige Münze von diesen drei Königen zu bekommen, und doch finden sich alle drei in der Sammlung – Ihrer Excellenz! Sollte ein so undenkbares Glück einen Kenner nicht mißtrauisch machen?"

Oder nicht auch ein wenig neidisch? unterbrach die Reichsgräfin ihr Lautlesen mit einem gewissen triumphirenden Gefühl, dann sprach sie weiter, den fernern Inhalt des Briefes überfliegend: Pellerins Kabinet sei das bedeutendste in Bezug auf anekdote und sogenannte einzige Münzen gewesen – ganz besondere Umstände haben ihn begünstigt, langes Leben, verbunden als commis de marine mit allen Konsuln der Levante – ein gewisser La Roche habe in einem kleinen Orte zwischen Grenoble und Lyon mit ganz besonderer Geschicklichkeit die besten pellerinischen Münzen nachgemacht – das der Aufschluß und zugleich mein Münzschlüssel. Eine ganze Schachtel voll angstschweißtreibender Pillen – und der Schluß?

"Ich bitte und hoffe es auch, Ihre Excellenz werden mir mein aufrichtiges Geständniß zu gute halten. Schon beim ersten Anblick des Katalogs wollte ich damit herausrücken, aber ich fürchtete zu beleidigen. Endlich faßte ich mich, weil es meine Rechtschaffenheit von mir forderte und es mir zu arg schien, daß sich schlaue Betrüger länger von der Habe edeldenkender und für die Literatur eingenommener Personen nähren sollten. – Abbe Eckhel."

Genug – er ist nun einmal der Wahrheit unerschütterlich treu; sollte ich dem redlichen Freunde zürnen? Wer die Wahrheit nicht hören will und kann, der ist sehr zu beklagen. Habe ich doch nur das Gute gewollt und die Wissenschaft zu fördern gesucht mit wahrhaft großartigen Opfern – und das Gute und Große aufrichtig gewollt zu haben, gibt schon ein Genügen.

Nun aber hierin nicht weiter – Anderes bringt die andere Stunde.

Die Reichsgräfin legte noch einige Schriften und Briefschaften sich zur Hand, und dann klingelte sie.

Der greise Kammerdiener Weisbrod trat ein.

Ich lasse Herrn Windt bitten!

Was nun werden wird, werden soll, nach dem gestrigen Auftritt? fragte sich die Matrone. O gewiß, ich muß die ganze Last der Sorge mit in die Grube nehmen – doch nicht ungestraft sollen sie mir die letzten Tage meines Alters verbittern, und tun will ich, was ich will, bis zum letzten Athemzuge. –

Windt trat ein, er sah noch bleicher aus, als am gestrigen Abend; seine Gebieterin nahm dies mit ihrem noch immer scharfen Fernblick sogleich wahr und fragte, als sie auf seinen ehrfurchtvollen Gruß gnädig gedankt: Was ist Ihnen, lieber Windt? Sie sehen so sehr angegriffen aus?

Ich bin es, Excellenz! – erwiderte Windt, und seine Stimme war matt und bebend; er war kein Jüngling mehr und die letztvergangene Zeit hatte körperliche wie geistige Anstrengungen in Fülle auf ihn gehäuft.

Es ist auch kein Wunder – fuhr Windt mit offener Freimüthigkeit fort. Ich wurde in Doorwerth von einem heftigen Gichtanfall heimgesucht, zu dem sich etwas Fieber gesellte, da empfing ich dieses kurze Briefchen von dem Herrn Erbgrafen aus dem Haag: "Ich werde nicht über Doorwerth nach Varel gehen, mein lieber Windt, aber gerade von Amsterdam über See und Ostfriesland, weil das viel kürzer ist, und so bitte ich Sie, wenn Sie mit mir die Reise machen wollen, binnen acht Tagen in Amsterdam zu sein. Bis dahin leben Sie wohl und glauben mir, Ihrem" – und so weiter. Aber ich gestehe Ihrer Excellenz, daß ich weder Muth noch Kraft genug in mir fühlte, mich bei dem stürmischen Wetter, wie die letzte Zeit des Aequinoctiums mit sich brachte, auf die See zu begeben und in des Herrn Grafen kleinem Schiffe herum zu treiben. Ich reiste zu Lande, eilend, angestrengt und schlecht. Ich zog mir dadurch eine Lähmung der linken Seite vom Scheitel bis zur Fußsohle zu, und nur einige Ruhe, Wärme und meine gute Natur stellten mich wieder her, auch tragen die guten Nachrichten von Ihrer Excellenz hohem Ergehen dazu bei, mich wieder vollkommen gesund und meinen Diensteifer frisch lebendig zu machen. Und ich will lieber Alles: Hals, Kopf und Kragen verlieren, ehe ich nur eines Haares breit eines Ihrer heiligen Rechte fahren lasse, die ich zwar nicht als Rechtsgelehrter, wohl aber nach gesunder Vernunft und natürlicher Billigkeit als ein redlicher Diener vertheidigen kann. Nur bitte ich um Dauer des hochgnädigsten Vertrauens. Ich sprach, noch ehe ich abreiste, in Doorwerth den Jäger des Herrn Grafen, der mit der Kutsche, zwei Pferden, drei Reitknechten und vier Reitpferden durchkam, um hierher vorauszureisen, und es wurde mir diese Gelegenheit angetragen; die Gesellschaft stand mir aber nicht an. Ich nahm Extrapost.

Sie kennen den gestrigen Vorgang? – fragte die Gräfin.

Ich kenne und beklage ihn, war Windt's Antwort. Er reißt ein, was ich mühsam aufbaute und anbahnte, die friedliche, willfährig entgegenkommende Gesinnung. Halten es Ihre Excellenz zu Gnaden – aber Höchstihre persönliche Einmischung –

Galt dem Schutz meines Pathen – unterbrach die Herrin, stark betonend. Ich danke Gott, daß mir vergönnt war, zu rechter Zeit mich einzumischen, ich wollte es nicht, ich wollte nur ein wenig lauschen, welche Gesinnungen gegen mich sich aussprächen, da geschah das Aeußerste, da mußte ich den Fuß auf die Springfeder setzen, die das Bild wegschiebt, zwei Secunden vielleicht zu spät, und mein Enkel hätte meinen Enkel erschossen, und dieses mein durch Mord noch nie entweihtes Haus mit einer blutigen Unthat befleckt.

Gegen diese Gründe, Excellenz, kann ich nichts sagen – nahm Windt wieder das Wort.

Und was gedenken Sie zu tun? fragte die Gräfin.

Ich gedenke das Beste für Euere Excellenz zu tun, was sich nur immer tun läßt, obschon ich voraussehe, daß es mir ein Stück Lunge kosten wird; ich hoffe, eine wahre, gründliche und dauerhafte Ruhe zu bewirken, aber Ihre Excellenz müssen mich in Gnaden gewähren lassen, und die Erreichung dieser Absicht wäre mir der höchste Ruhm. Ihre Excellenz dürfen auch nicht das Unmögliche weder fordern noch erwarten. Vor Allem muß aller fremde Einfluß abgeschnitten bleiben, denn ich denke, daß, wenn Hochdieselben mit demjenigen, der nächst Höchstihnen Haupt der Familie, regierender Herr, Erstgeborener und eigentlicher Stammhalter ist, einen Vergleich errichten, durchaus kein Dritter, und wäre er der nächste Agnat, hinein zu reden hat.

So schließen Sie den Bruder und meinen Ludwig so zu sagen aus? fragte die Gräfin gespannt.

Hören Ihre Excellenz mich ruhig an, antwortete Windt. Vieles, was gefordert wird, ist dem Herrn Grafen zu erfüllen geradezu unmöglich; er kann nicht die Glieder der gesammten, in England und Holland verstreuten Familie zu einer bindenden Unterschrift bewegen und zusammenbringen; er kann nicht einhundertundfünfzigtausend holländische Gulden zu sechs Procent, wie jetzt üblich, aufnehmen, sie jährlich mit neuntausend Gulden verzinsen; nicht nach zwölf Jahren dieselbe Summe bezahlen und sie mittlerweile mit sechstausend Gulden verzinsen, dazu das zu gewährende Witthum von jährlich viertausend Gulden, und was noch jährlich an das schrecklich vernachlässigte Doorwerth zu wenden ist. Wenn der Herr Graf zu solchen Dingen sich verpflichten, so können Dieselben weder rechnen, noch Wort halten. Er ist und bleibt arm, seine Kinder vielleicht können dereinst fürchterlich reich werden – er – wird Reichthum nie besitzen. Doorwerth liebt er, dieses wünscht er gern zu haben, es ist gut und heilsam, wenn die Güter ungetrennt beisammen bleiben. Ich bin überzeugt, daß der Herr Graf redlich und im guten Glauben zu Werke gehen und noch edler und großmüthiger handeln würde, wenn er es hätte, wie er es nicht hat.

Ei, Sie sind ja plötzlich mein gegnerischer Anwalt geworden? rief mit schlecht verhehlter Gereiztheit die Reichsgräfin. Wie deut' ich das? Was hat Sie denn so umgewandelt? Von der edeln großmüthigen Denkart wurde ja gestern Abend ein Pröbchen zum Besten gegeben. Wäre ein neuer tragischer Stoff geworden für Herrn Hofrat Leisewitz in Braunschweig, der ja den Julius von Tarent geschrieben hat und unserm hohen Hause Dinge und Taten aufbürdet, die nie in ihm geschahen; was ganz schändlich ist, denn nie gab es im Hause der Fürsten von Tarent, das so eng mit meinem eigenen verzweigt und verwachsen ist, eine solche abominable Geschichte, und keiner von allen Fürsten dieses Hauses hieß Constantin, Julius, Guido und wie die von dem laxen Comödienschreiber sonst ersonnenen Namen noch heißen mögen!

Die Poeten, gnädigste Excellenz – entgegnete Windt, heimlich lächelnd über den antidramatischen Zorn seiner Herrin – haben ein Ding, das nennen sie licentiam poeticam – welches ich Hochgräflicher Gnaden, die besser Latein verstehen als ich, nicht zu übersetzen brauche.

Habe nichts dagegen, das Stück ist gut, Herr Lessing hat es gelobt – es ist sogar, wie mir geschrieben wurde, auf fürstlichen Privattheatern – ich glaube am Sachsen-Meiningenschen Hofe, unter Mitwirkung durchlauchter Personen selbst, zur Aufführung gebracht worden; ich verlange nur, die Herren Dichter sollen nicht Namen aus der Luft greifen, sollen nicht das erste beste hohe Haus mit ersonnenen Unthaten beflecken, sondern diese da spielen lassen, wo sie sich geschichtlich zugetragen haben, und sollen ihre Nasen in die Stammbäume stecken und die Leute, die sie brauchen, beim rechten Namen nennen. Des Herrn von Goethe allbewunderter Götz ist auch so ein Ding, das im Nebel und Schwebel spielt, ohne allen geschichtlichen Boden. Er läßt den fehdesüchtigen Raubritter für die deutsche Freiheit sterben, während der alte Kauz daran nicht im Entferntesten dachte, und in aller Gemüthsruhe über achtzig Jahre alt wurde, um Zeit zu haben, seine schlimmen Streiche selbst für die Nachwelt aufzuschreiben. – Ja, sehen Sie mich nur an, lieber Windt, das macht Ihnen wohl rechten Spaß, daß ich alte Frau mich noch über Comödien ereifere, aber sehen Sie, ich bin einmal eine Freundin der Wahrheit, wie mein lieber Abbe Eckhel in Wien auch deren Freund ist, der mich in meiner Eitelkeit und Gelehrsamkeit auf den Tod verwundete, und dem ich, ich sage ich, die Hand noch küssen möchte, mit der er die Feder führte, die mir nicht dumme Schmeicheleien, sondern die reine, in seiner gründlich tiefen und gelehrten Überzeugung wurzelnde Wahrheit schrieb. Doch – wie weit schweifen wir ab von unserm Ziele, mein lieber Windt – fahren Sie fort, Sie schlimmer advocatus diaboli!

Um Gott, Excellenz! Dies Wort ist nicht Ihrer Gnaden Ernst. Ich hätte noch viel zu sagen – aber wenn Hochdieselbe mir zürnen –

Halten Sie mich für ein Kind, Windt? Fürwahr, dann wäre ich wohl ein recht altes. Noch denke ich nicht, obschon ich neunundsiebenzig Jahre zähle – kindisch zu sein.

Kapitel 3 - Der Abschied

Die Reichsgräfin unterbrach dieses Gespräch, indem sie klingelte. Weisbrod trat ein und erhielt den Befehl, den jungen Herrn zu ihr zu bescheiden. Dann nahm sie den Faden der Rede wieder auf und sprach zu Windt: Die gestrige Szene verlockte uns in den Irrgarten der dramatischen Poesie mit seinen unbeschnittenen Laubgängen – bleiben wir bei der Hauptsache: Warum hat sich Ihr Sinn gewendet? Sind Sie eine Windfahne?

Nein, Excellenz! vertheidigte sich Windt: eine solche bin ich nicht, vielmehr hoffe ich bewiesen zu haben, und denke es ferner zu beweisen, daß mir die Wünsche und Vortheile Ihrer Excellenz über Alles gehen. Aber – Excellenz lieben ja die Wahrheit, und Wahrheit muß Wahrheit bleiben. Was auch gestern Störendes, Widriges und aufs neue Hemmendes vorgefallen sein möge, das darf ich doch kühn behaupten, daß das Gemüth des gnädigen Erbherrn durch mich und meine Briefe zu wahrer Liebe und Ehrfurcht gegen Ihre Excellenz gestimmt war; freilich ist er äußerst empfindlich und reizbar und ein unbedachtes Wort ist im Stande, sein ganzes Wesen in Aufruhr zu bringen. Wie ich den Herrn Grafen kenne, sind wenige Worte im Stande, ihn zu bewegen, daß er Alles um sich nieder wirft und liegen läßt, es gehe wie es gehe, aber sein Charakter ist und bleibt redlich. Er ist nicht der Mann, welcher Excellenz beraubt, geplündert und von Land und Leuten verdrängt sehen will, im Gegentheil, er theilte mir gerade heraus mit: Will meine Frau Großmutter Varel wieder zu eigen haben, so nehme sie es gerne, wenn es nur ohne weitere Schulden und dereinst meinen Kindern bleibt.

In der Tat – sehr gnädig! – spöttelte die Herrin und machte einen Knix, aber Windt kehrte sich nicht an ihren Spott.

Der redliche Diener fuhr im Tone vollster Überzeugung fort: Halten Excellenz es mir zu Gnaden, daß ich so frei heraus meine Meinung sage! Die Hauptsache muß so behandelt werden, daß beide Teile mit Ehren nachgeben, mit Ehren annehmen und mit Ehren ablehnen können. Ich brauche wohl nicht erst an den Wahlspruch im reichsgräflichen Wappen zu erinnern.

Craignez honte! versetzte die Herrin, den Wahlspruch anführend, und fügte hinzu: Bravo, Herr Windt! Ich danke Ihnen für diese Lehre.

Eher würde ich selbst auf Ihrer Excellenz Vortheile verzichten, als im Punkt von Hochderselben Ehre nachgeben, und wenn der Herr Graf Alles anzunehmen verspräche, was Ihre Excellenz von ihm verlangen, so würde ich der Erste sein, der zu ihm sagte: Sie handeln ohne Überlegung, ohne Ehre, ohne Zartgefühl, denn Sie können nicht Wort halten. Ihre Excellenz kennen in der Tat den Herrn Grafen zu wenig, er ist Ihnen entwachsen, er ist noch jung, und bei Gelegenheit wohl spöttisch, sarkastisch oder überreizt – er ist aber wahrhaftig ein edler Mann, und der Beste von den Seinen, so viel ich deren in Holland kennen lernte. Was ich von seinen Handlungen weiß, ist nur ehrenhaft. Um sein gegebenes Wort zu erfüllen, hat er sich mit seiner Frau Mutter auf eine Art entzweit, daß sie nie wieder einig wurden. Das kam so: In der unglücklichen Revolution hing sein Leben im Haag jeden Augenblick an einem Zwirnsfaden, und gleichwohl zeigte er stets den höchsten Grad von Entschlossenheit. Um zu seinem Ziele zu gelangen, mußte er sich eine Partei machen, zu der er auch geringe Bürger und Leute der niederen Klasse herbeizog. Diese wollten aber unter keiner anderen Bedingung ihm anhängen, als daß er ihnen gelobe, nach erkämpftem Siege ihr Schout, so viel wie Grand Baillif zu werden, denn das Volk war, wie das stets bei Revolutionen der Fall ist, mit der Polizei und Gerechtigkeitspflege im Haag höchst unzufrieden und suchte sie zu beseitigen. Der Herr Graf gab sein Wort, seine Partei gewann die Oberhand, und das Volk rief ihn aus Dankbarkeit zu seinem Ober-Amtmann aus. Darüber entsetzte sich seine Frau Mutter, die geborene Baronesse de Tuyll Serooskerken, auf das Aeußerste, wie Ihre Excellenz sich denken können.