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Der Highlander und die Schöne aus dem Meer
Clanführer Aulay Buchanan wollte eigentlich nur ein paar Tage Ruhe auf seinem Landsitz am Meer genießen. Doch dann rettet er eine schöne Unbekannte aus den Wellen, die offenbar ihr Gedächtnis verloren hat. Jetta, wie er sie nennt, erinnert sich nur an eines: Jemand trachtet ihr nach dem Leben. Sie und ihre Tugend zu beschützen, wird zunehmend schwierig für Aulay, denn Jetta glaubt zunächst, er sei ihr Ehemann ... und der stolze Highlander ist mehr als versucht, der Leidenschaft nachzugeben, die wie ein Feuer zwischen ihnen lodert.
"Ab jetzt mein Lieblingsbuch von Lynsay Sands. Einfach perfekt!" SAMANTHA auf GOODREADS
Band 6 der "Highlander"-Serie
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Seitenzahl: 522
LYNSAY SANDS
Der Eid des Highlanders
Roman
Ins Deutsche übertragen von Susanne Gerold
Seit er bei einem Kampf eine furchtbare Wunde davongetragen hat, glaubt Clanführer Aulay Buchanan nicht mehr daran, dass er je eine Frau finden wird, die nicht vor seinem vernarbten Gesicht zurückschreckt. So verbringt er seine Zeit am liebsten in seiner Jagdhütte am Meer – wenn seine Pflichten als Laird es zulassen. Doch eines Tages rettet er beim Fischen eine schöne Unbekannte, die an einen Schiffsmast gebunden im Meer treibt. Die wenigen Worte, die sie über die Lippen bringt, bevor sie in eine tiefe Ohnmacht fällt, deuten darauf hin, dass jemand ihr nach dem Leben trachtet. Aber durch ihre schwere Kopfverletzung hat Jetta, wie Aulay sie nennt, ihr Gedächtnis verloren. Als sie wieder zu sich kommt, ist sie der festen Überzeugung, er müsse ihr Ehemann sein – was den stolzen Highlander in arge Bedrängnis bringt. Denn die Leidenschaft, die zwischen ihm und Jetta von dem Moment an brennt, als sie die Augen öffnet, übersteigt alles, was er bisher kannte. Seine Ehre gebietet es ihm jedoch, ihren unschuldigen Avancen zu widerstehen und sie vor der Gefahr aus ihrer Vergangenheit zu beschützen, ganz gleich, wie sehr Jetta ihn in Versuchung führt …
»Du willst fischen gehen?«
Das Entsetzen in der Stimme seines jüngsten Bruders war unüberhörbar, und Aulay spürte, wie leichte Bitterkeit in ihm aufstieg. Seine Mundwinkel zuckten, und während er zur Tür ging, knurrte er: »Genau das habe ich gerade gesagt, Alick – ich will fischen gehen. Du wusstest, dass ich hierhergekommen bin, um mich zu entspannen.«
»Aye, aber ich dachte, du meinst mit Entspannen … entspannen.«
»Worunter du dir vermutlich Saufgelage und das Herumgemache mit Weibsbildern und Ähnliches vorgestellt hast«, entgegnete Aulay trocken.
»Aye«, bestätigte Alick eifrig.
»Nein.« Aulay öffnete die Tür der Jagdhütte, und Sonnenlicht flutete den Raum. Er drehte sich zu seinem Bruder um und schob sich die Haarsträhne aus dem Gesicht, unter der er gewöhnlich seine Narbe versteckte. Es überraschte ihn nicht, dass Alick schwer schluckte und den Blick abwandte. Aulay wusste, dass das helle Sonnenlicht die Narbe in seinem Gesicht noch hässlicher als ohnehin schon aussehen ließ.
»Ich lege keinen Wert darauf, vom Saufen Kopfschmerzen zu bekommen oder mich über alberne Weibsbilder zu ärgern, die wie kleine Kinder kreischen, sobald sie mein Gesicht sehen«, knurrte er und bedeckte die entstellte Gesichtshälfte wieder mit der Haarsträhne. »Ich bin hier, um mich zu entspannen. Und das Fischen entspannt mich. Deshalb habe ich die neue Jagdhütte hier am Meer bauen lassen und nicht dort, wo die alte stand, bevor sie abgebrannt ist.« Er schaute an seinem Bruder vorbei durch die offen stehende Tür, ehe er Alick wieder ansah und weitersprach. »Wenn du willst, kannst du mir gern Gesellschaft leisten. Andernfalls kehrst du vielleicht besser nach Buchanan zurück. Denn hier wird weder herumgehurt noch gesoffen.«
Alick machte sich nicht die Mühe, seine Enttäuschung zu verbergen, aber er schüttelte den Kopf. »Na schön, dann gehen wir eben fischen. Aber wenn wir wirklich nichts anderes als das tun werden, bleibe ich bestimmt nicht die ganzen zwei Wochen hier. Höchstens ein oder zwei Tage.«
»Ganz wie du willst«, entgegnete Aulay scheinbar gleichgültig, während er die Jagdhütte verließ. In Wirklichkeit war er froh, dass sein Bruder nicht länger bleiben wollte. Er hatte allein herkommen wollen, zog er es doch grundsätzlich vor, allein zu sein, wenn er von einer seiner düsteren Stimmungen überwältigt wurde. Und zu dieser Zeit des Jahres überfielen sie ihn immer. Denn morgen jährte sich der Tag der Schlacht, in der sein Zwillingsbruder gefallen und ihm die Verwundung beigebracht worden war, die sein eigenes Leben zerstört hatte. Aulay wusste aus Erfahrung, dass sich schon bald die Melancholie wie ein Umhang über ihn senken und ein oder zwei Wochen begleiten würde. Deshalb war er hierhergekommen. Er zog es vor, mit seiner düsteren Stimmung allein zu sein. Seine Familie neigte dazu, sich einzumischen und mit allen Mitteln zu versuchen, ihn aus seinem Trübsinn herauszuholen. Doch all diese Bemühungen führten lediglich dazu, dass er sich noch schlechter fühlte, weil ihn dann obendrein auch noch sein schlechtes Gewissen plagte, dass er allen so viel Sorge bereitete.
»Schön. Und wo werden wir dann also fischen?«, brummte Alick und folgte ihm nach draußen.
»Auf dem Meer«, erwiderte Aulay trocken. »Wo zum Teufel denn sonst?«
»Oh. Klar, wo sonst auch«, murmelte Alick.
»Ja, wo sonst«, bestätigte Aulay kopfschüttelnd, während er zu seinem Pferd ging, das angebunden und bepackt auf ihn wartete. Er hatte Angelruten, Netze und andere Dinge, die sie vielleicht brauchen würden, zusammengesucht und am Sattel befestigt, während er darauf gewartet hatte, dass Alick aufwachte.
Zu jeder anderen Zeit des Jahres wäre Aulay zu Fuß zum Strand gegangen. Die neue Jagdhütte stand in einem baumbestandenen Tal, geschützt vor den kalten Winterwinden, die vom Meer her wehten. Zum Strand war es zwar ein ordentlicher Spaziergang, aber nicht so weit, dass es wirklich nötig war, den Weg zu Pferde zurückzulegen … es sei denn, dass einen allein schon die bloße Vorstellung erschöpfte, selbst diese geringe Entfernung zu Fuß zurücklegen zu müssen, ganz zu schweigen davon, dass man auch noch mitschleppen musste, was man zum Fischen brauchte.
Zu Pferde war es jedoch nur ein Katzensprung, und so saßen Aulay und Alick schon bald in dem kleinen Boot, das wie stets am Strand bereitgelegen hatte, und ruderten aufs Meer hinaus.
»Wie weit hinaus willst du?«, fragte Alick nach einer kurzen Weile.
»Nicht weit«, antwortete Aulay geduldig.
Alick schwieg fast so lange, wie es dauerte, bis zehn zu zählen, bevor er fragte: »Sind wir bald da?«
Aulay verdrehte die Augen, hörte dann aber unvermittelt auf zu rudern, als etwas in der Ferne seine Aufmerksamkeit erregte. Er kniff die Augen leicht zusammen, um besser sehen zu können, und versuchte, über die Schulter seines Bruders hinweg zu erkennen, was er da sah.
»Was ist?«, fragte Alick, als er bemerkte, wohin Aulay starrte. Er schaute sich um und warf einen Blick hinter sich. »Da treibt etwas im Wasser.«
»Aye.« Aulay senkte die Ruderblätter ins Wasser, wendete das Boot und ruderte auf dieses Etwas zu. Er hatte nicht die geringste Vermutung, was es sein könnte. Es war groß. Zumindest ein Teil davon. Und es schien schmal zu sein.
»Was ist es?«, fragte Alick und änderte seine Sitzrichtung, um den Gegenstand, so gut es ging, in Augenschein nehmen zu können.
»Ich bin mir nicht sicher«, gab Aulay zu.
Während Aulay das Boot ruderte, spähte Alick voraus. »Es scheint ein Schiffsmast zu sein«, sagte er nach einer kurzen Weile.
Aulay brummte zustimmend; jetzt erkannte auch er, dass das große, aus dem Wasser ragende Ding Teil eines Krähennestes war. Es war nur zur Hälfte sichtbar, da sich die andere unter Wasser befand.
»Ich glaube, da ist jemand auf dem unteren Ende des Mastes. Eine Frau«, sagte Alick, während sie sich näherten.
»Eine Frau?«, fragte Aulay zweifelnd und hoffte, dass es nicht so war. Was immer dort lag, es rührte sich nicht und rief auch nicht um Hilfe. Es würde seiner Schwermut sicher nicht guttun, den aufgedunsenen Körper einer Toten im Wasser treiben zu sehen.
»Ich kann ihre Brüste sehen«, verkündete Alick.
»Natürlich kannst du das. Nur du kannst aus solcher Entfernung Brüste erkennen«, versetzte Aulay mit beißendem Spott. Als sie näher herangerudert waren, wurde ihm jedoch klar, was sein Bruder gemeint hatte. Es war deutlich zu erkennen, dass der auf dem Rücken liegende Körper der einer Frau war, wies er doch an den entscheidenden Stellen die entsprechenden Rundungen auf.
»Es ist eine Frau«, erklärte Alick.
Aulay antwortete nicht. Er musterte das Segel, das im Wasser trieb, und ruderte etwas zur Seite, um sich nicht darin zu verheddern.
»Irgendwo muss ein Schiff gesunken sein«, sagte Alick mit gedämpfter Stimme, während er sich in dem kleinen Boot vorbeugte, um besser sehen zu können. »Aber –«
»Aber was?«, fragte Aulay und legte sich wieder stärker in die Riemen.
Alick beugte sich jetzt so weit über den Bug, dass Aulay befürchtete, sein Bruder könnte aus dem Boot fallen.
»Sie ist am Mast festgebunden. Warum zum Teufel hat man sie an den Mast gebunden? Mach schneller, Aulay!«
»Ich mach ja schon so schnell ich kann«, knurrte Aulay, tauchte aber für eine leichte Wende nur eines der Ruder ins Wasser. Er wollte abschätzen, in welchem Winkel sie sich näherten und wie weit sie noch von der toten Frau entfernt waren. Er hatte keine Lust, den Mast zu rammen.
»Meinst du, man hat sie festgebunden, damit sie in dem Sturm nicht über Bord ging?«, fragte Alick.
Aulay konnte die Frau jetzt sehen, die am unteren Ende des Mastes festgebunden war. Mit einem raschen Blick vergewisserte er sich, dass keine weiteren Gegenstände im Wasser trieben.
»Der Mast muss in dem Sturm letzte Nacht abgebrochen sein«, erklärte Alick.
Aulay nickte stumm. Kurz nach ihrer Ankunft in der Jagdhütte war ein Sturm losgebrochen. Der Wind hatte so heftig gewütet und an dem Holzhäuschen gezerrt, dass er sich schon Sorgen gemacht hatte, sie könnten das Dach verlieren. Der Sturm hatte stundenlag getobt, und erst nachdem er sich gelegt hatte, war Aulay eingeschlafen.
Er ließ den Blick wieder über das Wasser schweifen, aber es war nichts zu sehen. Wenn hier ein Schiff gesunken war, musste alles bis auf diesen Mast mit ihm untergegangen sein … was nicht sehr wahrscheinlich war. Zumindest irgendwelche Fässer oder Kisten oder sonst irgendetwas hätte im Wasser treiben müssen. Nicht nur ein einzelner Mast mit einer toten Frau.
»Halte ein bisschen nach links, Aulay, sonst treiben wir an ihr vorbei«, sagte Alick plötzlich.
Aulay hob das rechte Ruder aus dem Wasser und tauchte das linke ein, um einmal kraftvoll durchzuziehen.
»Gut so, gut, noch ein kleines bisschen näher ran, und ich habe sie«, sagte Alick. Er beugte sich so tief über den Bug des Bootes, dass sein Oberkörper nicht mehr zu sehen war.
Aulay zog beide Ruder noch einmal durch, dann nahm er sie aus dem Wasser. Er legte sie ins Boot, erhob sich und ging zu Alick, um ihm zu helfen. Als er ihn erreichte, fing sein jüngerer Bruder an zu fluchen.
»Was ist?«, fragte Aulay.
»Hast du ein Messer? Ich kann die Seile nicht lösen. Die sind total festgezurrt, und die Knoten sind unter Wasser.«
Aulay beugte sich über die Seite des Bootes, um sich ein Bild von der Situation zu verschaffen. Sie befanden sich direkt neben der Frau. Alick hatte recht. Es war unmöglich, irgendwo ein Seilende auszumachen. So würden sie sie nicht befreien können. Sie musste losgeschnitten werden.
»Geh zur Seite«, sagte er und zog seinen Dolch.
Alick machte rasch Platz, und Aulay nahm seine Stelle ein. Als er sich vorbeugte, um die Frau anzusehen, hielt er inne, und seine Augen weiteten sich vor Überraschung. Sie musste wunderschön gewesen sein mit ihrem blassen Gesicht und den tiefschwarzen, glänzenden Haaren. Das Kleid, das sie trug, war zerrissen und zerfetzt, ihre Beine verschwanden bis zu den Knien im Wasser, ihre Oberschenkel waren unbedeckt. Nach dem Sinken des Schiffes muss sie am Mast ein Stück weit nach unten gerutscht sein, vermutete er. Sein Blick glitt zu ihrem Oberkörper und den kaum verhüllten und sehr üppigen Brüsten. Ihr Kleid war hier genauso zerfetzt wie an den Beinen. Der übrige Körper war von Seilen bedeckt, die man, unter ihren Brüsten beginnend bis unterhalb ihrer Hüften, immer wieder um sie geschlungen hatte.
»Ich glaube, sie lebt noch«, sagte Alick plötzlich. Er klang genauso schockiert, wie Aulay sich fühlte, als er das hörte. »Ihre Brüste heben und senken sich.«
»Hör auf, ihre Brüste anzustarren«, knurrte Aulay angewidert. »Das Mädchen braucht Hilfe und nicht irgendeinen jungen Schwachkopf, der ihre Brüste angafft und –«
Aulay brach unvermittelt ab, als die Frau die Augen öffnete. Sie war tatsächlich am Leben. Er starrte in ihre glänzenden hellgrünen Augen und rechnete damit, dass sie sich beim Anblick seines verunstalteten Gesichts entsetzt abwandte und zu schreien begann. Aber sie sah ihn vollkommen ruhig an. Schließlich sagte er zu ihr: »Es ist alles in Ordnung, Mädchen. Du bist in Sicherheit. Wir machen dich so schnell wie möglich von diesem Mast los und bringen dich an Land.«
Ihre Augen weiteten sich bei seinen Worten, und er bemerkte, dass in deren Grün ein Kreis aus goldenen Flecken schwamm. »Engel«, flüsterte sie.
Aulay neigte unsicher den Kopf. »Ist das dein Name, Mädchen?«
»Nein.« Sie schüttelte den Kopf, der immer noch auf dem Mast lag, zuckte aber sofort zusammen, als würde sie unter furchtbaren Schmerzen leiden. Sie schloss die Augen wieder. »Du bist der Engel«, brachte sie mühsam hervor.
Aulay war fest davon überzeugt, dass sie im Delirium sprach, und war kurz davor zu erwidern: »Nein, ich bin ein Highlander, kein Engel«, als sie hinzufügte: »Ich dachte, ich würde sterben, aber Gott hat dich geschickt, um mich zu retten.«
Aulay starrte sie noch verwundert an, als er Alick murmeln hörte: »Hm, sie ist anscheinend im Delirium. Die meisten Frauen halten dich für einen Teufel, der direkt aus der Hölle kommt, seit –«
»Alick«, knurrte Aulay, während er den Dolch unter eines der Seile schob und anfing, es zu zerschneiden.
»Aye?«
»Halt den Mund«, fauchte er. Das erste Seil gab nach, und er machte sich an das nächste.
Alick gehorchte etwa ein paar Dutzend Herzschläge lang, ehe er bemerkte: »Sie hatte Glück, dass sie nicht mit dem Gesicht nach unten ins Wasser gefallen ist. Sie wäre ganz sicher ertrunken.«
Bei diesen Worten hielt Aulay einen kurzen Moment inne. Er runzelte die Stirn bei der Vorstellung, dass dieses schöne Geschöpf auf eine solche Weise den Tod hätte finden können. Mit einer knappen Kopfbewegung schüttelte er diesen Gedanken ab und arbeitete weiter daran, die Stricke durchzuschneiden. Die Frau lag jetzt vollkommen reglos da und öffnete auch die Augen nicht mehr. Aulay war überzeugt, dass sie das Bewusstsein verloren hatte. Dann, nachdem er sechs oder sieben Seile durchtrennt hatte, lösten sich plötzlich alle und fielen von ihr ab. Augenblicklich rutschte die Frau den Mast entlang nach unten, gab dabei ein leises Stöhnen von sich. Aulay packte sie mit seiner freien Hand am Oberarm, damit sie nicht im Wasser versank.
»Alles in Ordnung, ich habe dich«, versicherte er ihr, während er den Dolch rasch in die Scheide zurückschob. Dann zog er die Frau näher zum Boot und beugte sich vor, um sie auf die Arme zu nehmen. Sie stöhnte wieder, als er sie hochhob, und er schwankte unter ihrem Gewicht. Sie wirkte zierlich, doch sie war schwerer, als er erwartet hatte. Er hatte nicht daran gedacht, dass das, was von ihrem Kleid noch übrig war, sich mit Wasser vollgesogen hatte.
Er verharrte einen Augenblick und suchte einen festeren Stand, um sich auf die schwere Last in seinen Armen einzustellen. Dann drehte er sich um und setzte sich auf die Bank, dorthin, wo Alick zuvor gesessen hatte. Er bettete die Frau auf seinen Schoß, hielt sie in seinem Arm und strich ihr mit der freien Hand die nassen Haare aus dem Gesicht.
»Ist alles in Ordnung?«, fragte er und atmete erleichtert auf, als sie wieder die Augen öffnete. Sie lächelte. Aulay murmelte: »Einen guten Tag dir, Mädchen. Wie heißt du? Wenn du uns deinen Namen verrätst und wer deine Familie ist, bringen wir dich wohlbehalten zu ihr zurück.«
»Nein«, sagte sie erschreckt und zuckte vor Schmerz zusammen, als würde ihre eigene Stimme ihr wehtun. Sie kniff die Augen zusammen und murmelte: »Er wird mich töten.«
»Wer?«, fragte Aulay stirnrunzelnd. »Wer wird dich töten?«
Sie stöhnte wieder und murmelte einige Worte. Etwas von einem Verlobten und dass er irgendeine Lady White getötet habe.
»Dein Verlobter?«, fragte Aulay. »Dein Verlobter hat Lady White getötet und wird auch dich töten?«
»Nein«, stöhnte sie erneut und schüttelte unwillkürlich den Kopf, nur um dann aufzuschreien und ihn mit beiden Händen festzuhalten. Nach einem Moment brachte sie hervor: »Nicht mein Verlobter … gezwungen, ihn zu heiraten … wird mich töten wie seine erste Frau.«
Aulay runzelte erneut die Stirn, während er zusah, wie sie gegen den Schmerz kämpfte. Ihre Blässe und ihre fest zusammengepressten Lippen zeigten, wie sehr ihr die Schmerzen zu schaffen machten, die offensichtlich in ihrem Kopf tobten.
»Schon gut«, sagte er beruhigend. Er wiegte sie hin und her, so, wie man ein jammerndes Kind tröstete, und versprach: »Es wird alles gut werden. Niemand wird von uns erfahren, dass du bei uns bist. Du bist jetzt in Sicherheit. Wir sorgen dafür, dass du wieder gesund wirst und zu Kräften kommst. Danach kümmern wir uns um all das andere. Alles wird wieder in Ordnung kommen.«
Zu seiner großen Überraschung zwang sich die Frau, noch einmal die Augen zu öffnen. Sie starrte ihn durch eine ganze Welt voller Qual hindurch an, hob eine Hand und legte sie sanft an die Narbe, die sein Gesicht in zwei Hälften zu teilen schien.
»Danke«, flüsterte sie. Dann seufzte sie kurz, schloss die Augen, und ihre Hände sanken nach unten. Ihre Gesichtszüge erschlafften, der Schmerz verschwand aus ihnen und wich einer Art Gelassenheit, während ihr Kopf nach hinten sackte.
»Ist sie tot?«, fragte Alick besorgt.
»Nein, nur bewusstlos«, antwortete Aulay und rückte seine Hand unter ihrem Kopf zurecht. Er wollte ihn etwas anheben, damit er ihr Gesicht besser sehen konnte. Aber dann spürte er Beulen und Schürfwunden und hielt inne. Er tastete weiter, versuchte die Beulen zu zählen. Es gab so viele, und die meisten fühlten sich riesig an.
»Blut«, sagte Alick betroffen, als Aulay seine Hand zurückzog.
Aulay presste die Lippen zusammen, während er das Blut an seiner Hand betrachtete. »Sie hat etliche Beulen am Hinterkopf.«
»Sie muss bei dem Sturm hin und her geschleudert worden sein. Wahrscheinlich ist sie mit dem Kopf immer wieder gegen den Mast geschlagen. Sie kann von Glück sagen, dass sie überhaupt noch am Leben ist.«
»Aye. Bring uns zum Strand zurück, Alick. Sie muss versorgt werden«, knurrte Aulay.
Alick setzte sich ohne Widerspruch dorthin, wo Aulay zuvor gesessen hatte, und griff nach den Rudern.
»Wenn wir am Strand sind, reite ich nach Buchanan und hole Rory her«, sagte Alick, während er sie zurückruderte.
Aulay nickte. Rory war der zweitjüngste der Buchanan-Brüder. Er war mehrere Jahre als Heiler ausgebildet worden und hatte sich rasch den Ruf als der verdammt Beste von ganz Schottland erarbeitet. Wenn irgendjemand dem Mädchen helfen konnte, dann Rory. Aulay ließ den Blick zu der Frau in seinen Armen wandern: »Hole auch die anderen – Conran, Geordie und Onkel Acair. Aber sonst darf niemand von dem Mädchen erfahren.«
Aulay vertraute sowohl seinem Onkel als auch seinen Brüdern Conran und Geordie; er wusste, dass sie den Mund halten würden. Aber er wollte nicht riskieren, dass irgendjemand sonst von dem Mädchen erfuhr und sich womöglich herumsprach, wo sie sich befand.
»Das geht in Ordnung«, versicherte Alick ihm.
Aulay starrte immer noch auf die Frau auf seinem Schoß. Sie war so blass und zerbrechlich … und wunderschön. Er wünschte sich, sie würde wieder die Augen öffnen und mit ihm sprechen. Sie hatte überhaupt keine Angst gehabt, als sie sein Gesicht gesehen hatte. Er hatte damit gerechnet, dass sie sich die Lunge aus dem Hals schreien würde, wie die meisten Frauen es taten, wenn sie ihn sahen. Stattdessen hatte sie seine Narbe zärtlich berührt und ihn einen Engel genannt. Er spürte immer noch ihre Berührung auf seiner Haut, und er sehnte sich danach, sie erneut zu spüren. Sie schenkte ihm die Hoffnung, dass auch er eine Frau und eine Kameradin haben könnte, die nicht vor ihm zurückwich und –
Ein Ruck ging durch das Boot, als es auf dem Ufersand auflief. Aulay wartete einen Moment, bis es still dalag, dann erhob er sich, die Frau immer noch in den Armen. Kaum hatte er einen Fuß auf den Strand gesetzt und das Boot verlassen, wurde es von einer leichten Welle hochgehoben und rutschte zurück ins Wasser. Jetzt verließ auch Alick das Boot und machte sich daran, es zurück auf den Strand zu ziehen.
»Zieh es weiter den Strand hoch«, wies Aulay ihn an. »Dahin, wo es lag, als wir hergekommen sind. Die Strömung holt es sich sonst.«
Alick nickte und machte sich an die Arbeit. Nachdem er fertig war, ging Aulay zu den Pferden. Dort hielt er inne; sein Blick wanderte von der Frau in seinen Armen zum Sattel.
»Ich halte sie, während du aufsteigst.«
Aulay drehte sich um und sah Alick näher kommen. Er nickte und wartete, bis sein jüngerer Bruder bei ihm war. Dann reichte er ihm die Frau, stieg rasch in den Sattel und beugte sich nach unten, um sie wieder in seine Arme zu heben.
»Schaffst du es allein, sie zur Jagdhütte zu bringen?«, fragte Alick, der jetzt ebenfalls auf sein Pferd stieg.
»Aye«, antwortete Aulay. »Reite nach Buchanan und hol die anderen.«
»Ich komme so schnell wie möglich mit ihnen zurück«, versicherte Alick ihm, wendete das Pferd und ritt davon.
Aulay sah seinem Bruder nach, bis er zwischen den Bäumen verschwunden war, dann drehte er sich um und starrte noch einmal auf den Mast im Meer. Er schien jetzt näher gekommen zu sein, als würde er sich langsam Richtung Strand bewegen. Vermutlich wäre die Frau irgendwann im Laufe des Nachmittags ans Ufer gespült worden, aber es gab nach wie vor keine Hinweise darauf, dass hier ein Schiff untergegangen war.
Sein Blick glitt zu der fremden Frau in seinen Armen, und er runzelte die Stirn. Es würde eine Weile dauern, bis Alick mit Rory herkam. Bis dahin musste er sie in die Jagdhütte bringen, ihr trockene Kleidung anziehen und sie ins Bett stecken. Er würde auch ihre Kopfverletzungen notdürftig versorgen müssen, bis Rory sich darum kümmern konnte. Ganz sicher sollte er das Blut abwaschen.
Er drückte die Frau fest an seine Brust, wendete das Pferd und beeilte sich, zur Jagdhütte zu kommen. Schon wenige Augenblicke später ließ er sich vom Pferd gleiten. Er hielt das Mädchen ganz fest in den Armen, damit sie nicht zu sehr durchgeschüttelt würde, als er hart auf dem Boden aufkam. Sie zuckte zusammen, und er sah sie besorgt an, aber sie rührte sich noch nicht einmal. Rasch trug er sie in die Hütte und die Treppe hinauf in die Schlafkammer.
Innen ähnelte die Hütte fast genau der alten, die zwei Jahre zuvor in Flammen aufgegangen war, als jemand versucht hatte, seine Schwägerin Murine zu töten. In dieser gab es jedoch zwei Schlafkammern im oberen Stockwerk, und zudem war sie insgesamt etwas größer. Aulay trug die Frau nicht in dieses zweite Zimmer, sondern in sein eigenes, war es doch schöner und geräumiger als das andere. Hinzu kam, dass diese andere Kammer, abgesehen von einem schmalen Bett, kaum möbliert war. In seinem Schlafzimmer hingegen standen ein großes Bett, Nachttische und vor dem Kamin ein kleiner Esstisch und Stühle.
Er blieb neben dem Bett stehen und schaute auf die Frau in seinen Armen. Ihr Kleid war immer noch pitschnass, Wasser tropfte daraus auf den Boden. Er hätte es ihr ausziehen sollen, bevor er sie in die Hütte gebracht hatte, begriff er. Jetzt würde er den Schmutz, den er bei jedem Schritt hinterlassen hatte, wegmachen müssen.
Aulay verzog das Gesicht und trug die Frau zum Tisch. Er setzte sie darauf ab und stützte dabei mit einer Hand ihren Rücken, damit sie aufrecht sitzen blieb. Als er versuchte, ihr mit der anderen das Kleid auszuziehen, begriff er rasch, dass ihm das nicht gelingen würde. Zum einen, weil das Kleid wie eine zweite Haut an ihr klebte, und zum anderen, weil er es offensichtlich verlernt hatte, wie man eine Frau auszog. Dabei hatte es einmal eine Zeit gegeben, zu der er so etwas im Handumdrehen gekonnt hatte. Damals hatte er viel Geschick in solchen Dingen gehabt, aber damit war seit einigen Jahren Schluss.
Aulay schob den Gedanken beiseite und zog seinen Dolch, schob ihn vorsichtig in den Ausschnitt des Kleides und schlitzte es rasch auf. Ihm entfuhr vor Überraschung ein leiser Laut, als der Stoff auseinanderklaffte und die nackte Haut freigab: Sie war blass, fast schwanenweiß. Aber er sah auch, dass die Frau fror, weil sie so lange im Wasser gelegen hatte. Die einzigen Farbflecken auf ihrem Leib waren die beiden zimtfarbenen Brustwarzen, die sich vor Kälte aufgerichtet hatten. Die, so vermutete er, dies auch taten, wenn die Frau ihre Lust lebte.
Aulay schluckte und zwang sich, den Blick von ihrem Körper abzuwenden. Er begann, ihr das Kleid auszuziehen, indem er sich daranmachte, die Ärmel nach unten zu schieben.
»Entschuldige, Mädchen, aber hier ist im Augenblick keine Frau, die das machen könnte«, murmelte er und konzentrierte sich auf sein Tun. Zu seiner großen Erleichterung gelang es ihm verhältnismäßig schnell, den nassen Stoff von ihren Armen zu streifen und bis zur ihren Hüften herunterzuziehen. Sein Blick fiel auf die Blutergüsse, die unter ihren Brüsten anfingen und sich vermutlich dort fortsetzten, wo der Rest des Kleides noch ihren Leib bedeckte. Es waren die Abdrücke der Seile, mit denen man sie an den Mast gebunden hatte. Die dunklen Linien verliefen quer über ihren Bauch bis hin zu den Seiten. Aulay beugte sich vor und sah, dass der Rücken der Frau ein einziger blauer Fleck war. Er legte die Hände um ihre Taille und hob die Frau vom Tisch in seine Arme. Sofort rutschte ihr das Kleid vom Körper und landete mit einem nassen Platschen auf dem Fußboden.
Aulay schaute auf das nasse Kleid zu seinen Füßen. »Nun, das war ja gar nicht so schwer, nicht wahr? Ich hatte damit gerechnet, es wäre schwieriger, es dir auszuziehen – gütiger Himmel!«, murmelte er, als er den Kopf hob – ihre Brüste waren direkt vor seinem Mund. Sofort schloss er die Augen und zählte bis zehn … zweimal … und dann noch einmal. Es war einfach zu lang her, seit er das letzte Mal mit einer Frau zusammen gewesen war, und das hier entwickelte sich allmählich zu so etwas wie … na ja, als würde jemand einem verdurstenden Mann das köstlichste Bier vor die Nase halten.
»Reiß dich zusammen, du Idiot«, murmelte er. »Steck sie einfach ins Bett.«
Aulay öffnete zögernd die Augen, um sich zu orientieren, und ging dann auf das Bett zu. Auf halbem Wege dorthin hatte er den rettenden Gedanken, wie er der Versuchung vielleicht besser widerstehen könnte – er müsste nur die Arme ein wenig senken. Sofort folgte er dieser Eingebung, trug die Frau rasch weiter zum Bett und legte sie darauf nieder. Er vermied es, sie anzusehen, als er Decken und Felle über sie zog.
»So!«, sagte er und richtete sich erleichtert auf. Voller Zufriedenheit betrachtete er die Frau, aber dieses gute Gefühl verschwand sofort wieder, als er ihre perfekten weißen, nackten Schultern über den Fellen herausragen sah. Er beugte sich herunter und zog die Felle bis an ihr Kinn, richtete sich dann wieder auf. Erneut musterte er das Mädchen. Rory würde sie untersuchen wollen. Er würde ans Bett treten, die Felle nach unten ziehen, und –
Leise vor sich hin fluchend ging er zu seiner Truhe und nahm das weiße Leinenhemd heraus, das er für sich mitgenommen hatte. Es war ein wenig zerknittert, aber frisch gewaschen. Mit dem Hemd in der Hand kehrte er zum Bett zurück, griff nach den Fellen – und zögerte. Obwohl es ihn beschämte, es zugeben zu müssen, aber er bezweifelte, dass er noch einmal diese perfekte weiße Haut und die harten Brustwarzen ansehen konnte, ohne sie zu berühren. Oder sie vielleicht sogar zu kosten, bevor er ihr das Hemd anzog. Ein Mann konnte einer Verlockung auch nur bis zu einem bestimmten Punkt widerstehen. Und der Teufel in ihm redete ihm bereits ein, dass es niemandem schadete, wenn er nur ein Mal die Lippen um sie schließen und daran lecken würde. Die Frau würde es schließlich nie erfahren.
Es war wirklich lange Zeit her, seit er das letzte Mal bei einer Frau gelegen hatte. Zu lange, wenn ich solche Gedanken habe, dachte Aulay voller Abscheu über sich selbst.
Er biss die Zähne zusammen und beugte sich vor, um nach den Fellen zu greifen. Er hielt inne, als ihm eine Idee kam. Über seine Schlauheit lächelnd ließ er die Felle erst einmal an Ort und Stelle und widmete sich stattdessen der Aufgabe, der Frau das Hemd über den Kopf zu streifen. Was deutlich schwieriger war, als er gedacht hatte. Vielleicht ging er das Ganze aber auch einfach nur falsch an. Er begann mit dem unteren offenen Teil des Hemdes, hob das Mädchen mitsamt Fellen und Decken leicht hoch und zerrte den Stoff so lange nach unten, bis der Kopf schließlich aus der Halsöffnung des Hemdes hervorlugte.
Vorsichtig ließ er sie wieder auf das Bett sinken und zog erst den einen Arm unter den Fellen hervor und dann den anderen. Beide wurden jetzt bis zu den Achselhöhlen von den Fellen bedeckt. Er suchte nach dem Ärmel, schob den dazugehörigen Arm mit der einen Hand hinein und zog ihn mit der anderen heraus. Nachdem er das Gleiche auch mit dem anderen Arm gemacht hatte, packte er den Saum des Hemdes mit beiden Händen, griff zugleich nach den Fellen und zog alles zusammen einfach nach unten. Auf diese Weise bedeckte das Hemd sie, auch wenn die Felle nach unten geschoben wurden.
Aulay beglückwünschte sich schon zu seinem außerordentlichen Einfallsreichtum und wollte die Felle schon wieder hochziehen, als ihm auffiel, dass er ihr das Hemd falsch herum angezogen hatte. Schlimmer noch war, dass der Stoff sie zwar vorne vom Kinn bis zu den Knien, sich aber am Rücken über ihren Schultern sammelte. Auf diese Weise bedeckte das Hemd nur einen Teil von ihr, wenn auch den größten. Er überlegte kurz, ob er ihr das Hemd nicht richtig herum anziehen und darauf achten sollte, dass es vollständig nach unten gezogen war, aber dann schüttelte er den Kopf. Er zog die Felle wieder bis zum Kinn hoch. Nein. Er hatte es geschafft, die Frau aus- und neu anzuziehen, ohne irgendetwas zu tun, dessen er sich schämen müsste, und er wollte nicht riskieren, dass er diesen Erfolg eventuell doch wieder zunichtemachte.
Seufzend richtete Aulay sich auf und sah die Frau an. Er presste die Lippen zusammen, als er das Blut auf dem Kopfkissen sah. Es stammte von den Wunden an ihrem Kopf, und es war viel Blut. Eigentlich hatte er sich die Verletzungen ansehen und das Blut wegwischen wollen, während er auf Rory wartete, aber dieses Vorhaben war in Vergessenheit geraten, während er ihr das Kleid ausgezogen hatte.
Aulay verließ das Zimmer und holte Wasser und saubere Tücher, die er zu Streifen zerschnitt. Er setzte sich auf die Bettkante, richtete die Frau auf und ließ sie an seiner Schulter lehnen, während er die Wunden an ihrem Hinterkopf säuberte. Das dichte Haar ließ die Wunden kaum erkennen, aber das, was er sehen konnte, bot sich ihm als ziemlich übel dar. Umso erleichterter war er, als er Hufgetrappel hörte, das sich der Jagdhütte näherte.
Er bettete die Frau wieder auf ihr Lager und warf das Tuch, mit dem er die Wunden zu säubern versucht hatte, in die Schüssel auf dem Nachttisch. Das Wasser darin war jetzt rot. Danach stand Aulay auf und trat ans Fenster.
»Gott sei Dank«, murmelte er, als er seinen Onkel und seine Brüder sah. Er beobachtete, wie sie abstiegen und die Pferde anbanden, dann verließ er das Zimmer und wartete am oberen Treppenabsatz darauf, dass sie eintraten.
»Aulay«, sagte Rory, der beim Anblick seines Bruders erleichtert wirkte. »Alick hat uns zu Tode erschreckt. Er hat uns alle hierhergescheucht, ohne sich auch nur die Zeit zu nehmen, uns zu erklären, was passiert ist. Ich dachte, du wärst schwer verletzt, weil er es so dringlich gemacht hat.«
»Ich dachte das auch«, sagte Conran grimmig und funkelte seinen jüngsten Bruder an.
»Du hast gesagt, dass niemand außer ihnen erfahren soll, was passiert ist. Ich habe sie auf dem Übungsplatz getroffen, umgeben von Soldaten«, erklärte Alick, als Aulay ihn anstarrte. »Sie haben alle jeweils gegen einen unserer Soldaten gekämpft, und ich hätte sie einzeln wegholen und ihnen alles erklären müssen. Das kam mir nicht sehr sinnvoll vor. Das Mädchen sah schließlich so aus, als könnte es nicht schnell genug Hilfe bekommen.«
»Aye«, bestätigte Aulay ernst.
»Das Mädchen?«, fragte Onkel Acair und sah neugierig von Alick zu Aulay.
Aulay forderte alle mit einer knappen Geste auf, zu ihm zu kommen, bevor er in das Zimmer zurückkehrte, in dem die Frau schlief. Das Geräusch donnernder Schritte verriet ihm, dass seine Brüder und sein Onkel ihm folgten. Als es abrupt aufhörte, drehte Aulay sich um. Onkel Acair und Rory waren fast noch im Türrahmen stehen geblieben, kaum dass sie die Frau im Bett gesehen hatten, und verhinderten so, dass die anderen beiden ebenfalls eintreten konnten.
»Komm schon! Das Mädchen braucht Hilfe«, knurrte Aulay ungeduldig. Rory setzte sich sofort wieder in Bewegung.
»Was ist mit ihr?«, wollte er wissen, während er zum Bett trat.
»Sie hat üble Schläge gegen den Hinterkopf bekommen«, erklärte Aulay, während Rory sich auf die Bettkante setzte und über sie beugte, um ihre Augenlider zu heben.
»Wer ist sie?«
»Wer hat sie geschlagen?«
»Ist das Blut?«
»Was ist mit ihrem Kleid passiert?«
Die Fragen veranlassten Aulay, sich zu seinen anderen Brüdern und seinem Onkel umzudrehen, die jetzt in das Zimmer schwärmten und alles genau in Augenschein nahmen, auch die Frau im Bett.
Als er bemerkte, dass sein Onkel stirnrunzelnd das nasse Kleid betrachtete, das er vom Boden aufgehoben hatte, ignorierte Aulay alle anderen Fragen und beantwortete dessen zuerst. »Ich musste ihr Kleid aufschneiden.«
»Ist das Blut?«, fragte Geordie noch einmal und trat jetzt näher ans Bett, um besser sehen zu können.
»Aye«, knurrte Aulay. »Sie muss sich übel am Kopf verletzt haben, als er immer wieder gegen den Mast geschlagen ist, an dem sie angebunden war. Und den haben wir gefunden, als wir zum Fischen aufs Meer hinausgefahren sind. Der Sturm letzte Nacht war ziemlich heftig.«
»Ist sie noch einmal wach geworden, seit ich weggeritten bin?«, fragte Alick, während er zu ihm trat und auf ihr blasses Gesicht hinunterblickte.
Aulay schüttelte den Kopf.
»Dann wissen wir also nicht, wer sie ist?«
»Nein«, räumte er ein und sah zu, wie Rory die Felle zurückzog, damit er die Frau auf die Seite drehen konnte, ihr Gesicht abgewandt von ihnen. Diese Position macht es viel leichter für ihn, ihren Kopf zu untersuchen, erkannte Aulay und schüttelte innerlich den Kopf, weil er nicht selbst darauf gekommen war, als er versucht hatte, die Wunde zu säubern.
»Sie war wach, als ihr sie gefunden habt?«, fragte Rory scharf. Sein Blick wanderte von Aulay zu Alick und zurück.
»Aye«, antworteten beide gleichzeitig, und dann fügte Aulay hinzu: »Sie hat nur wenige Worte gesagt, bevor sie bewusstlos wurde.«
Kopfschüttelnd drehte Rory sich wieder um und untersuchte den Hinterkopf des Mädchens. »Es wundert mich, dass sie wach war, ganz zu schweigen davon, dass sie etwas gesagt hat. Gütiger Gott, sie hat ordentlich was abgekriegt.«
»Aye«, pflichtete Aulay ihm bei. Das, was er hatte sehen können, hatte schlimm ausgesehen.
»Und es kommt davon, dass sie mit dem Kopf gegen den Mast geschlagen ist?«, fragte Rory ungläubig.
»Soweit wir wissen«, antwortete Aulay.
»Wir hatten hier einen heftigen Sturm«, erklärte Alick und wandte sich dann an Aulay: »Anscheinend hat er einen Bogen um Buchanan gemacht. Dort ging nur ein wenig Wind, und es hat leicht geregnet.«
Aulay nickte. So etwas passierte manchmal.
»Der Sturm muss schlimmer als nur ziemlich stark gewesen sein, wenn sie davon solche Verletzungen erlitten hat«, sagte Rory grimmig.
Aulay brummte. »Wahrscheinlich ist der Mast auf den heftigen Wellen wie ein Korken hin und her gehüpft.«
»Warum zum Teufel war sie denn an dem Mast angebunden?«, fragte Onkel Acair empört. Er trat zur anderen Seite des Bettes und musterte sie.
»Vielleicht sollte es verhindern, dass sie bei dem Sturm über Bord ging«, wiederholte er seine frühere Vermutung.
»Das hätte man auch erreicht, wenn man dafür gesorgt hätte, dass sie unter Deck bleibt. Dann wäre sie nicht dem Meer ausgesetzt gewesen und mit dem Kopf immer wieder gegen das Holz geschlagen«, merkte Geordie verdrossen an.
»Du hast erwähnt, dass sie etwas gesagt hat, als ihr sie gefunden habt?«, hakte Onkel Acair nach.
Aulay nickte nur, statt seiner antwortete Alick. »Aye. Aulay hat gesagt, dass er nach ihrer Familie schicken lassen würde, wenn sie ihm ihren Namen sagt, aber davon wollte sie nichts wissen. Der Gedanke schien ihr Angst zu machen. Sie fing an, von einer Lady White zu reden und dass jemand versuchen würde, sie zu töten. Um sie zu beruhigen, musste Aulay versprechen, dass er nicht nach ihrer Familie sucht, bevor sie wieder gesund und wohlauf ist.«
Das stimmte zwar nicht ganz, aber es war nah genug an der Wahrheit, dass Aulay nichts dazu sagte. Er wandte sich Rory zu, der sich aufgerichtet hatte.
»Und?«, fragte Aulay schroff. Ihm gefiel die grimmige Miene seines Bruders ganz und gar nicht. Er hatte diesen Ausdruck schon früher bei ihm gesehen, gewöhnlich immer dann, wenn er es mit einem Patienten zu tun hatte, von dem er nicht glaubte, dass er überleben würde.
»Ihr Zustand ist schlimm, Aulay, aber ich tue, was ich kann, um ihr zu helfen«, entgegnete er ernst. »Ich muss die Haare am Hinterkopf wegschneiden, um die Wunde besser behandeln zu können. Und ich brauche kochendes Wasser, saubere Tücher und meine Heilmittel.«
»Hast du deine Tasche nicht mitgenommen?«, fragte Aulay alarmiert.
»Doch, aber ich habe sie unten auf dem Tisch abgestellt, als ich gesehen habe, dass es dir gut geht. Da wusste ich noch nichts von dem Mädchen.«
»Ich hole sie«, bot Alick sofort an und verließ das Zimmer.
»Und ich besorge Wasser und saubere Tücher«, sagte Geordie und folgte Alick.
Für einen Moment herrschte Stille im Zimmer, dann wandte sich Acair seinem Neffen Aulay zu: »Also haben wir es wieder mit einem Mädchen zu tun, das jemand töten will?«
»So sieht es aus«, entgegnete Aulay. Allmählich hatte es wirklich den Anschein, als würde das bei den Buchanan-Brüdern zur Gewohnheit werden. Zwei seiner Brüder hatten Frauen geheiratet, deren Leben in Gefahr gewesen war und die sie beschützt hatten. Da drängte sich unwillkürlich die Frage auf, ob es sich jetzt ein drittes Mal ebenso verhielt. Und wenn ja, welcher Bruder sich glücklich schätzen durfte, diese wunderschöne Frau zu bekommen, die hier in seinem Bett lag. »Es war schwer, dem zu folgen, was sie gesagt hat. Aber es klang, als wäre sie gezwungen worden, jemanden zu heiraten, der nicht ihr Verlobter war und der seine erste Frau getötet hat. Sie schien überzeugt davon zu sein, dass er auch sie töten würde.«
»Und was war mit dieser Lady White?«, fragte Conran.
Aulay zuckte mit den Schultern. »Vielleicht ist sie mit dem Schiff untergegangen.«
Die Männer nickten, als würde das einen Sinn ergeben, und dann blickten sie wieder zu der Frau hin.
»Wenn du ihr versprochen hast, nicht nach ihrer Familie zu suchen, bevor sie sich erholt hat, müssen wir das Versprechen halten«, erklärte Onkel Acair nach einer kurzen Weile.
»Aye«, sagte Aulay fest entschlossen. Das war das Einzige, was für ihn völlig klar war.
»Aber es dürfte nicht schwer sein, herauszufinden, welches Schiff in dem Sturm untergegangen ist, und so zu erfahren, wer diese Frau ist«, meinte Conran. »Dafür müssen wir nicht die Familie aufsuchen.«
»Das stimmt«, pflichtete Aulay ihm bei, ehe er ernst anfügte: »Aber niemand erfährt, dass sie hier ist und lebt, bis ich es sage.«
Conran nickte, und alle sahen zur Tür, als Alick mit Rorys Tasche voller Kräuter und anderer Mittel zurückkehrte.
»Danke, Alick.« Rory nahm die Tasche und befahl: »Alle außer Aulay können jetzt gehen.«
Als sie das Zimmer verließen, fügte Rory hinzu: »Geordie soll die Tücher und das Wasser hochbringen, wenn es kocht.«
»Aye«, antworteten alle drei Männer gleichzeitig.
Kaum waren sie weg, wandte Aulay sich an Rory. Er wölbte die Brauen. »Was soll ich tun?«
»Du musst mir helfen, ihr den Kopf zu rasieren.«
Aulay starrte erschreckt auf die wunderschönen schwarzen Locken der Frau.
»Nur am Hinterkopf. Ich muss die Wunden sehen können, wenn ich sie säubern will. Die Haare werden nachwachsen«, beruhigte Rory ihn und holte ein gefährlich aussehendes Messer aus der Medizintasche. Er warf einen Blick auf die Frau und fügte leise hinzu: »Falls sie überlebt.«
Aulays Brust zog sich bei diesen Worten zusammen. Sie bestätigten, was er vermutet hatte: dass Rory nicht glaubte, dass sie eine große Chance hatte. Er sah die zierliche, blasse Frau im Bett an. Wie sie dalag, wirkte sie zart und schwach, aber Aulay war ganz sicher, dass sie das nicht war. Die Schmerzen, die sie gehabt zu haben schien, und dass sie lange genug durchgehalten hatte, bis sie wusste, dass er sie nicht ihrer Familie übergeben würde, zeugten von einer Frau mit starkem Willen. Sie wird überleben, entschied er. Denn er würde alles in seiner Macht Stehende dafür tun tat.
Schläfrig öffnete sie die Augen und starrte neugierig den Mann an, der auf dem Stuhl neben ihrem Bett saß. Ihre Augen brannten vor Trockenheit, ihr Mund war wie ausgedörrt, ihr ganzer Körper schmerzte, und sie fühlte sich schwach und wie zerschlagen. Aber all das nahm sie nur am Rande ihres Bewusstseins wahr. Ihre Aufmerksamkeit galt dem Mann an ihrem Bett. Er kam ihr bekannt vor, auch wenn sie nicht sagen konnte, woher. Ihr fiel kein Name ein, als sie ihn ansah, aber er sah gut aus mit seinen langen kastanienbraunen Haaren und einem Gesicht, das fast zu schön gewesen wäre, hätte es da nicht diese Narbe gegeben, die dicht neben der Nase von der Stirn bis zum Kinn verlief. Es schien, als teilte sie sein Gesicht in zwei Hälften.
Sie musterte die Narbe mit zusammengekniffenen Augen. Es sah aus, als hätte ihn jemand mit einer Axt bearbeitet. Vielleicht auch mit einer Schwertspitze. Die Narbe verlief verhältnismäßig gerade, und sie war auch nicht gerunzelt oder entzündet; sie musste mindestens fünf oder sechs Jahre alt sein. Sie betrachtete sie noch ein bisschen länger, ehe sie sich darauf konzentrierte, den Mann zu betrachten. Er hatte Schultern, die mindestens doppelt so breit waren wie ihre. Und er hatte, soweit sie es sehen konnte, einen wahrhaft muskulösen Oberkörper. Und lange, kräftige Beine, wie sie bemerkte, als ihr Blick nach unten glitt. Der Mann trug ein Plaid, das im Augenblick in Unordnung geraten war und mehr von seinen Beinen zeigte, als es als schicklich galt.
Aber nun, an dem Mann war eigentlich nur wenig, was als schicklich gelten konnte. Er hätte gar nicht mit ihr in diesem Zimmer sein dürfen … sofern er nicht ihr Vater war, ihr Bruder oder ihr Gemahl. Und um ihr Vater sein zu können, war er eindeutig zu jung. Was die Möglichkeit betraf, dass er ihr Bruder war, so schüttelte sie innerlich den Kopf, als sie den Blick von seiner Brust zu seinen Beinen schweifen ließ. Die Gefühle, die sie dabei empfand, waren ganz und gar nicht schwesterlich, und daher kam sie zu dem Schluss, dass er nicht ihr Bruder war. Zumindest hoffte sie es.
Der Gedanke brachte sie dazu, die Stirn zu runzeln. Müsste sie das nicht eigentlich wissen? Es schien ihr ziemlich klar zu sein, dass sie es wissen müsste. Aber sie wusste es nicht. Sie kannte nicht einmal ihren eigenen Namen, begriff sie plötzlich entsetzt und versuchte panisch, sich zu erinnern … an irgendetwas. Egal, an was. Aber das Einzige, was geschah, war, dass ihr der Kopf wehtat. Sehr sogar.
Aulay bewegte sich im Schlaf, zuckte zusammen und erwachte davon, dass sein Nacken schmerzte. Verdammt, er war schon wieder eingeschlafen, begriff er und verzog das Gesicht. Er öffnete die Augen, erstarrte aber sogleich, als er sah, dass auch Jetta die Augen geöffnet hatte. Bei diesem Gedanken runzelte er die Stirn. Er hatte keine Ahnung, wie das Mädchen wirklich hieß, aber er und seine Brüder hatten beschlossen, sie Jetta zu nennen. Er war derjenige, der den Namen vorgeschlagen hatte. Ihr wunderschönes tiefschwarzes Haar hatte es für ihn entschieden, und der Name passte zu ihr, trotz der Tatsache, dass ihr Haar am Hinterkopf bis auf die letzte Strähne hatte abrasiert werden müssen, um ihre Wunden zu reinigen.
Aber jetzt war sie wach, und schon bald würde er ihren echten Namen erfahren, sagte Aulay sich, während er sich aufrichtete. Das hieß, wenn sie nicht einfach anfing zu schreien, sobald sie sein Gesicht sah. Diese Möglichkeit brachte ihn dazu, noch einmal ihr Gesicht zu betrachten. Er runzelte die Stirn leicht und fragte sich, wie lange sie schon wach war. Hatte sie ihn angesehen? Hatte sie die schreckliche Narbe bemerkt? Wahrscheinlich, dachte er. Sie war schließlich nicht zu übersehen. Diese verdammte Narbe war alles, das er sah, wenn er in den Spiegel aus poliertem Silber in seinem Schlafzimmer auf Buchanan blickte. Und es war auch alles, was die anderen sahen. Das wusste er ganz sicher. Jeder wusste, dass Frauen und Kinder zu schreien begannen und wegliefen, wenn sie die Narbe sahen. Obwohl das mit dem schreiend Davonlaufen hauptsächlich passiert war, als sie noch ganz frisch gewesen war. Die Reaktionen in der letzten Zeit waren verhaltener gewesen, vor Ekel hochgezogene Mundwinkel oder einfach nur das Abwenden eines Blickes.
»Bist du mein Gemahl?«, fragte sie mit heiserer Stimme. Aulay blinzelte und starrte die Frau überrascht an.
»Was?«
»Nun ja, nur einem Gemahl oder Bruder würde man gestatten, sich in meinem Zimmer aufzuhalten«, erklärte sie, und zog dann fragend eine Augenbraue hoch. »Du bist nicht mein Bruder?«
»Guter Gott, nein«, entgegnete Aulay sofort. Er hatte jetzt drei Wochen bei der Frau gewacht, sie versorgt, ihr immer wieder Brühe eingeflößt und dabei geholfen, sie im Bett umzudrehen, damit sie sich nicht wund lag. Keines der Gefühle, die er in dieser Zeit entwickelt hatte, hätte man auch nur annähernd als brüderlich bezeichnen können.
»Dann bist du mein Gemahl«, schloss sie lächelnd. Aulay starrte sie ausdruckslos an. Es war nicht die Reaktion, die er erwartet hatte. Seine eigene Verlobte hatte sich geweigert, ihn zu heiraten, und damit auf ein sehr üppiges Brautgeld verzichtet. Sie hatte es vorgezogen, wegzugehen, statt ihre Tage damit zu verbringen, »ein Leben lang dieses abscheuliche Gesicht anblicken« zu müssen, wie sie es ausgedrückt hatte. Aber die Frau hier lächelte tatsächlich bei der Vorstellung, dass er ihr Gemahl war.
»Bin ich krank gewesen?«
Aulay bemerkte, dass sie neugierig zu sein schien und ein bisschen unruhig, aber keineswegs erschrocken wirkte. Er nickte und sagte schließlich: »Aye. Du warst drei Wochen krank.«
Ihre Augen weiteten sich. »Drei Wochen? Was hatte ich denn?« Sie runzelte die Stirn, dann riet sie: »Fieber? Es muss ein Fieber gewesen sein. Ich erinnere mich nicht daran, dass ich krank war, und so was passiert nur mit Fieber.«
»Nein. Du hast dir den Kopf aufgeschlagen und bist dann in einen tiefen Schlaf gefallen.«
»Ich habe mir den Kopf aufgeschlagen?«, fragte sie, und jetzt wurden ihre Augen noch größer. »Kann ich mich deshalb nicht daran erinnern?«
Aulay runzelte die Stirn und beugte sich nach vorn. »An was genau kannst du dich nicht erinnern, Mädchen?«
»An alles«, sagte sie fast klagend. Sie setzte sich im Bett auf. »Ich erinnere mich nicht an dich, nicht an dieses Zimmer, nicht einmal an meinen Namen. Ich –« Sie machte eine Pause und schüttelte hilflos den Kopf. Dann zuckte sie zusammen und presste die Augen zusammen, als hätte sie Schmerzen.
»Ist alles in Ordnung?« Aulay stand sofort auf und trat näher zum Bett. Er beugte sich über sie. »Hast du Kopfschmerzen?«
»Ein bisschen«, sagte sie schwach und nicht sehr aufrichtig, wie er überzeugt war. Es tat ganz offensichtlich mehr weh als nur ein bisschen.
»Hier, Mylaird.«
Aulay richtete sich abrupt auf und wandte sich zur Tür. Mavis kam ins Zimmer gestürmt. Sie war eine kleine, rundliche Frau mit dunklen Haaren, in denen sich reichlich graue Strähnen zeigten. Sie hielt ein Tablett in den Händen und plapperte fröhlich, als sie zu ihm kam.
»Ich bringe noch ein bisschen mehr Brühe für unsere junge Jetta. Ich habe sie aus der Wachtel gemacht, die Ihr gestern gefangen habt. Ihr müsst nur – Oh!« Mavis blieb abrupt stehen, die Augen weit aufgerissen, als sie Jetta auf dem Bett sitzen sah. »Sie ist aufgewacht«, sagte sie verblüfft.
»Aye.« Aulay lächelte schwach über ihre erstaunte Miene. Es war Rorys Idee gewesen, Mavie in die Jagdhütte zu holen. Sie hatte dabei geholfen, das Mädchen zu pflegen. Es gab dabei einfach Dinge zu tun, die Männer nicht gut erledigen konnten, wenn es Frauen betraf. Darum hatte sich Mavis um diese Dinge gekümmert.
»Danke für die Brühe, Mavis«, sagte Aulay jetzt.
»Gerne, Mylaird. Soll ich Master Rory holen?«, fragte die ältere Frau. Sie musterte besorgt Jettas schmerzgepeinigtes Gesicht, während sie das Tablett auf dem Tisch abstellte.
»Aye. Danke.« Aulay sah ihr nach, als sie aus dem Zimmer eilte, ehe er sich wieder an Jetta wandte. Er runzelte die Stirn. Sie hatte die Augen immer noch geschlossen und hielt sich jetzt den Kopf mit den Händen. Es kam ihm vor, als würden ihre Schmerzen eher zunehmen als abnehmen. Hilflos sah er sie einen Moment einfach nur an, dann trat er zu dem Tisch, auf dem Mavis das Tablett abgestellt hatte. Die Brühe und ein Glas Apfelwein standen darauf, aber Aulay interessierte sich mehr für den Trinkschlauch mit Whiskey, der ebenfalls darauf lag. Er nahm ihn und kehrte zum Bett zurück.
»Hier, Mädchen.« Er setzte sich auf die Bettkante und öffnete den Schlauch. »Versuche das hier. Vielleicht hilft es.«
Jetta stöhnte, aber weder öffnete sie die Augen, noch hob sie den Kopf.
»Mädchen«, begann er, hielt aber inne und sah zur Tür, als Schritte zu hören waren.
»Mavis sagt, dass Jetta aufgewacht ist«, sagte Rory, als er ins Zimmer kam.
»Aye.« Aulay stand erleichtert auf und deutete auf sie, während sie die Hände sinken ließ. »Aber sie hat Schmerzen. Sorge dafür, dass sie weggehen.«
Rory zog bei diesem Befehl die Brauen hoch, trat aber dennoch rasch ans Bett und beugte sich über die Patientin. Erst jetzt sah Aulay, dass sie wieder in die Kissen zurückgesunken und wieder in einen tiefen Schlaf gefallen zu sein schien.
»Sie ist eben noch wach gewesen«, versicherte er seinem Bruder mit einem Stirnrunzeln.
»Hat sie irgendetwas gesagt?«, fragte Rory und hob ihre Lider, um ihre Augen zu begutachten.
»Aye«, murmelte Aulay. Er fragte sich, wonach Rory suchte oder was er in ihren Augen erkennen konnte. »Aber sie erinnert sich an nichts.«
Rory sah ihn überrascht an. »An gar nichts?«
»Nein, nicht einmal an ihren Namen.«
»Hmm.« Rory machte sich wieder daran, sie zu untersuchen. »Vielleicht sollte uns das gar nicht überraschen. Sie hat ordentliche Schläge auf den Hinterkopf bekommen. Um die Wahrheit zu sagen, habe ich gar nicht damit gerechnet, dass sie wieder aufwacht.«
»Wird sie ihre Erinnerungen zurückbekommen? Was denkst du?«
Rory richtete sich auf und betrachtete die Frau noch einen Moment, dann schüttelte er den Kopf. »Das ist schwer zu sagen. Vielleicht, vielleicht auch nicht. Kopfverletzungen sind eine komplizierte Sache. Sie hat Glück, dass sie noch am Leben ist.«
Aulay nickte, aber dann räusperte er sich und sagte: »Sie hält mich für ihren Gemahl.«
Rory wandte sich zu ihm um, wölbte die Brauen. »Hast du ihr erklärt, dass du es nicht bist?«
Aulay zögerte und verzog dann das Gesicht. Er schüttelte den Kopf. »Sie sagte, dass sich nur ein Gemahl oder ein Bruder in ihrem Zimmer aufhalten würde, und ich wollte sie nicht aufregen, also …« Er zuckte mit den Schultern.
Rory musterte ihn kurz und murmelte dann wieder: »Hmm.« Er sah Jetta noch einmal an.
»Ist es normal, dass ihr der Kopf noch weh tut?«, fragte Aulay nach einem Moment. »Es sind jetzt drei Wochen vergangen, seit sie sich verletzt hat.«
Rory seufzte. »Kopfverletzungen sind –«
»Kompliziert«, unterbrach Aulay ihn trocken. Es war ein Satz, den er oft gehört hatte, seit er das Mädchen gefunden hatte. Jedes Mal, wenn er seinen Bruder etwas fragte, auf das dieser keine Antwort wusste, hatte er erklärt, dass Kopfverletzungen eine komplizierte Sache seien und sie warten mussten, wie sich alles entwickelte. »Mit anderen Worten, du weißt nicht, warum ihr der Kopf weh tut.«
»Es könnte schlicht daran liegen, dass sie wenig gegessen und getrunken hat. Die Brühe, die wir ihr mehrmals am Tag eingeflößt haben, ist keine richtige Nahrung. Sie hat gerade gereicht, um sie am Leben zu erhalten. Wie du gut sehen kannst«, fügte er hinzu und deutete auf sie. »Sie hat ziemlich viel Gewicht verloren, seit du sie gefunden hast.«
»Aye«, räumte Aulay unglücklich ein und fragte sich, wie er das bis jetzt hatte übersehen können. Natürlich war ihm aufgefallen, dass sie abgenommen hatte. Aber er hatte bis jetzt nicht begriffen, wie zerbrechlich und dünn sie geworden war. Ihr Gesicht war leicht eingesunken, sie hatte dunkle Ringe unter den Augen, und in ihrem Gesicht, an ihren Händen und Handgelenken spannte sich die Haut straff über den Knochen. Sie sah fast wie ein Skelett aus.
»Ich werde etwas Festes zum Essen und Apfelwein hochbringen lassen, für das nächste Mal, wenn sie wach ist«, beschloss Aulay, dann wandte er sich um und begann, auf die Tür zuzugehen.
»Bruder!«
Rory hatte so bestimmt geklungen, dass es Aulay veranlasste, stehen zu bleiben. Er wandte sich zu ihm um. »Aye?«
»Es wäre vielleicht besser, wenn du ihr erst einmal nicht sagst, dass du nicht ihr Gemahl bist. Zumindest eine kleine Weile nicht.« Rory sah ihn ernst an. »Zumindest solange wir nicht sicher sagen können, dass sie sich erholt. Sie wird eine Weile sehr schwach sein, und es ist vielleicht besser, wenn sie sich nicht zu sehr aufregt, bis wir davon ausgehen können, dass sie ganz sicher auf dem Weg der Besserung ist. Sie wird genug damit zu tun haben, dass sie ihr Gedächtnis verloren hat. Das reicht an Aufregung für sie. Wir müssen ihr so viel Trost und Sicherheit wie möglich geben, und das gelingt uns besser, wenn sie glaubt, dass sie sich in der Obhut eines liebenden, fürsorglichen Gemahls befindet und nicht bei Fremden.«
»Aye«, erwiderte Aulay ebenso ernst. Sein Blick glitt erneut zu der Frau. Zu Jetta, wie sie sie weiterhin nennen würden. Zumindest so lange, bis sie sich an ihren wahren Namen erinnern konnte. Sofern sie sich jemals daran erinnern konnte. Ein Teil von ihm hoffte, dass dies niemals der Fall sein würde. Dann würde sie weiterhin glauben, dass er ihr Gemahl war, und er könnte sie bei sich behalten.
Kaum hatte er das gedacht, drehte er sich um und verließ das Zimmer. Natürlich konnte er sie nicht behalten. Sie war kein Hündchen, das ihm nach irgendeinem Abenteuer nach Hause gefolgt war. Irgendwann würde er ihr schließlich sagen müssen, dass er nicht ihr Ehemann war und wie sie wirklich hierher gelangt war. Zweifellos würde die Nachricht, dass sie nicht verheiratet waren, eine große Erleichterung für sie sein. Sie würde nicht mehr jeden Morgen sein hässliches Gesicht anstarren müssen. Tatsächlich würde sie ihn wahrscheinlich verlassen und von ihm weggehen wollen, sobald sie wusste, dass sie nicht mehr bleiben musste.
Bei diesem Gedanken presste Aulay die Lippen fest zusammen und schritt rasch zur Treppe. Er ging hinunter zu Mavis, um dafür zu sorgen, dass das Mädchen feste Nahrung bekam. Wenn Jetta das nächste Mal aufwachen würde, sollte etwas zum Essen und Trinken auf sie warten. Er konnte es nicht ertragen, hilflos danebenzustehen, während sie litt. Wenn das mit dem Essen und Trinken nicht funktionierte, würde er auf eines der übel schmeckenden Mittel zurückgreifen, die Rory ständig herstellte. Eines, das den Schmerz linderte und sie schlafen ließ. Nicht, dass er wollte, dass sie schlief. Es kam ihm so vor, als hätte er ewig darauf gewartet, dass sie aufwachte. Aber es war ihm lieber, dass sie schlief, als dass sie Schmerzen litt.
Als sie erwachte, war es dunkel im Zimmer. Kein Sonnenstrahl drang durch das Fenster. Die einzige Lichtquelle im Raum war das Feuer im Kamin. Es brannte nur schwach und erzeugte überall Schatten.
Sie erinnerte sich an den Schmerz, der sie überfallen hatte, als sie das erste Mal aufgewacht war, und daher unterließ sie es, sich aufzusetzen, sondern öffnete nur die Augen. Sie blieb reglos liegen, während sie den Blick durch das Zimmer schweifen ließ und versuchte, so viele Eindrücke wie möglich zu sammeln. Auf dem Nachttisch rechts von ihr standen ein Becher und eine nicht angezündete Kerze. Dahinter erkannte sie einen geschlossenen Fensterladen. Direkt gegenüber dem Fußende des Bettes standen ein Tisch und zwei Stühle vor dem Kamin. Auf der anderen Seite des Bettes standen ein freier Nachttisch, an der Wand zwei große Truhen und gleich am Bett ein Stuhl. Auf dem dieses Mal niemand saß. Ihr Gemahl war nicht hier. Sie spürte Enttäuschung darüber in sich aufsteigen, dass er nicht anwesend war. Sie hätte ihm gern einige Fragen gestellt. Zum Beispiel, wo sie hier war. Und wie ihr Name lautete. Und wie der seine.
Plötzlich fiel ihr ein, dass sie bereits einige Antworten bekommen hatte, als sie das erste Mal wach geworden war. Vermutlich war sie in Schottland. Zumindest war ihr Gemahl wie ein Schotte gekleidet gewesen, hatte er doch das traditionelle Plaid getragen, das seine Oberschenkel kaum bedeckt hatte. Er hatte auch ganz eindeutig mit schottischem Akzent gesprochen, ebenso wie die Dienerin, die später ins Zimmer gekommen war. Also … musste sie wohl einen Schotten geheiratet haben und jetzt in Schottland leben. Dass sie selbst Schottin war, glaubte sie eher nicht. Ihr Akzent hatte in ihren Ohren englisch geklungen, selbst ihre Gedanken schienen eher einen englischen Akzent zu haben als einen schottischen.
Abgesehen von …
Die Dienerin hatte sie Jetta genannt, fiel ihr unvermittelt ein. Und stellte überrascht fest, dass dieser Name keine Erinnerung in ihr auslöste. Aber schließlich hatte sie zu dem Zeitpunkt starke Schmerzen gehabt.
»Jetta«, murmelte sie und verzog das Gesicht, weil ihre Stimme so kratzig klang. Ihre Kehle und ihr Mund waren furchtbar trocken. Sie schaute zu dem Becher auf dem Nachttisch und biss sich auf die Lippen. War der Schmerz bei ihrem ersten Aufwachen ausgelöst worden, weil sie sich aufgesetzt hatte? Würde er sie erneut überfallen, wenn sie sich jetzt aufrichtete, um nachzusehen, ob etwas in dem Becher war, und einen Schluck zu trinken, falls es so war?
Der Gedanke an den möglichen Schmerz reichte, dass sie liegen blieb, aber dann siegte der Durst, und sie nahm das Risiko auf sich. Sie drehte sich auf die Seite und griff nach dem Becher, um zu sehen, ob überhaupt etwas darin war. Schließlich wäre es sinnlos, den Schmerz für nichts zu riskieren.
Als sie feststellte, dass sich der Becher schwer anfühlte, presste sie die Lippen zusammen und kämpfte sich in eine aufrechte Position. Dann schob sie die Beine aus dem Bett und blieb auf der Bettkante sitzen. Überraschenderweise war es anstrengender, als sie gedacht hatte. Sie erinnerte sich nicht daran, dass das Aufsetzen beim ersten Mal auch so mühsam gewesen war, aber vermutlich war es ihr leichter gefallen, weil sie sich verwirrter und benommener als jetzt gefühlt hatte.
Seufzend griff sie nach dem Becher, hielt aber schlagartig inne, als sie die Umrisse eines auf dem Boden liegenden Menschen erkannte. Für einen Moment packte Furcht ihr Herz, aber sie entspannte sich, als sie das vernarbte Gesicht ihres Gemahls erkannte. Ein kleines Lächeln spielte um ihre Mundwinkel. Was für ein liebevoller Mann. Eben war sie noch enttäuscht gewesen, weil er nicht da gewesen war, aber jetzt begriff sie, dass er auf dem Boden geschlafen hatte. Er hatte offenbar sicherstellen wollen, dass sie in ihrer Ruhe nicht gestört wurde. Es war eine so rücksichtsvolle und freundliche Geste …
Sie schluckte gegen den Kloß an, der ihr plötzlich in der Kehle saß, und griff nach dem Becher.
Wie jämmerlich schwach sie war, wurde Jetta klar, als sie ihn fast fallen gelassen hätte. Hätte sie nicht ihre zweite Hand zu Hilfe genommen, wäre der Becher ihr aus der Hand geglitten. Wie ein Kind umklammerte sie ihn mit beiden Händen, hob ihn an die Lippen und trank einen Schluck. Es war Apfelwein, der süß und vollmundig war; gierig leerte sie den Becher. Zu gierig und zu rasch. Jetta wusste es in dem Moment, als ihr Magen sich zu wehren begann. Einen Moment lang glaubte sie, dass sie alles wieder von sich geben würde. Sie bemühte sich, still dazusitzen, und hielt die Luft an. Schließlich verging die Übelkeit wieder.
Jetta atmete erleichtert tief durch und stellte den Becher zurück auf den Tisch. Sie schaute ihren Gemahl an und zog die Augen zusammen, als ihr bewusst wurde, dass sie seinen