Der Fluch des Kea - Franz Lenz - E-Book

Der Fluch des Kea E-Book

Franz Lenz

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Beschreibung

Sarah, die steinreiche, schöne Pianistin aus München, hat in der Liebe kein Glück. Sie steht zwischen drei Männern. Alex, ihre erste große Liebe, ist mit ihrer besten Freundin verheiratet. Ehemann Robert lebt von ihrem Geld und betrügt sie seit Jahren. Als sie die Scheidung will, wird sie halb tot aufgefunden. Werden Sarahs Millionen ihr zum tödlichen Verhängnis? Für sie beginnt ein nicht enden wollender Schicksalsweg. Kann der dritte Mann in ihrem Leben, der in sie verliebte Romanautor Francis, sie retten? Oder muss er hilflos zusehen, wie die Mörder nochmals zuschlagen? Bis zuletzt tappt die Polizei im Dunkeln.

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Sarah, die steinreiche, schöne Pianistin aus München, hat in der Liebe kein Glück. Sie steht zwischen drei Männern.

Alex, ihre erste große Liebe, ist mit ihrer besten Freundin verheiratet. Ehemann Robert lebt von ihrem Geld und betrügt sie seit Jahren. Als sie die Scheidung will, wird sie halb tot aufgefunden. Werden Sarahs Millionen ihr zum tödlichen Verhängnis? Für sie beginnt ein nicht enden wollender Schicksalsweg.

Kann der dritte Mann in ihrem Leben, der in sie verliebte Roman-autor Francis, sie retten? Oder muss er hilflos zusehen, wie die Mörder nochmals zuschlagen? Bis zuletzt tappt die Polizei im Dunkeln.

Franz Lenz trug schon in jungen Jahren Verantwortung, was ihn früh prägte. Als späterer Rechtsanwalt vertrat er mit besonderem Engagement die Scheidungsangelegenheiten von Frauen.

Mitte fünfzig begann er damit, sich einer weiteren Leidenschaft zu widmen. Mit großer Hingabe verfasst er seitdem ebenso spannende wie gefühlvolle Romane, in denen seine Hauptfiguren empfindsame und zugleich starke Frauen sind, die ihrem tragischen Schicksal trotzen und am Ende die große Liebe erleben dürfen. So in den Romanen Die verlorene Frau - Eine schicksalhafte Liebe sowie Schweigende Augen - Eine geheimnisvolle Liebe.

Hoch emotionale Gedichte, Sinnsprüche und Kurzgeschichten über die Liebe veröffentlichte er in 3 Bänden unter dem Titel

1000 bunte Schmetterlinge - Liebesgedichte und mehr.

Sein im Januar 2017 erschienener Kriminalroman über das Schicksal einer zwischen drei Männern stehenden Frau lautet Der Fluch des Kea - Mörderische Abgründe.

Mehr Informationen über ihn sowie die Inhalte und Hintergründe seiner Bücher finden Sie unter:

www.franzlenz-romane.de

www.franz-lenz-romane.de

All seine Werke widmet er seiner geliebten Frau Brigitte.

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Letztes Kapitel

Die Romanfiguren

Kapitel 1

Die Frau lag schwer verletzt am Boden. Der wertvolle Orientteppich unter ihr war blutgetränkt; ebenso ihr farbenfrohes Kleid. Die klaffende Wunde an ihrem Kopf stammte von einem großen Kerzenständer aus massivem Silber. Ihr Hals wies Würgemale auf und der Kehlkopf schien auf den ersten Blick zertrümmert.

Von dem, was um sie herum vor sich ging, nahm sie nichts wahr. Sie hatte das Bewusstsein verloren.

„Leitzentrale. Hofstetter.“ „Mer brauche de Notarzt. Merzstraß 189A. Sofort!“ Das Kratzen des Sprechfunks übertönte fast den Hilferuf des Polizisten. Am anderen Ende der Verbindung wurde die Anforderung wiederholt. „Merzstraße 189A. Verstanden. Schon unterwegs, Kollege.“

Der Beamte ließ das Funkgerät los; es schnurrte am Spiralband nach unten gegen die Brust. Mit seiner anderen Hand drückte er weiterhin den dicken Mullverband feste auf die stark blutende Schläfe der reglos vor ihm liegenden Frau.

Ein zweiter Uniformierter betrat das große, mit schweren Teppichen ausgelegte Wohnzimmer. „Auch schon da?!“, motzte ihn der am Boden Kniende an. „Muss isch widder alles allein mache. Los, komm, Erich!“

Ohne darauf einzugehen, brach es aus dem anderen entsetzt heraus. „Verdammte Scheiße! Alles voller Blut.“ Er schüttelte sich. „Die ist doch schon tot, oder?“ „Hilf mir endlisch!“, ermahnte er ihn gehetzt. Erst jetzt beugte er sich nach unten und half seinem Kollegen.

„Lebt noch! Die arm Fra hat Puls.“ „Gott sei Dank! Das wird immer schlimmer bei uns. Diese Schweine! Ist schon mein zweiter Mord diesen Monat.“ „Bei der isses doch nur en Versuch!“ „Na hoffentlich - wenn sie´s überlebt.“

„Bringe heit schunn weesche e paar Euro Mensche um.“ „Na ja. Die Villa sieht nach erheblich mehr aus.“ Seine ausgestreckte Hand deutete auf die gerahmten Gemälde an der Wand neben dem wuchtigen Schrank.

„Haste Rescht! Des do is en eschte Frankfurter. Kenn mich demit aus. Sau teuer.“ „Ein Frankfurter? So, wie du einer bist?“ „Witzbold!“ „Woher willst du denn …?“ „Mein Großvadder hat nen Antiquitädelade uff de Zeil gehabt.“ Erich schaute ihn fragend an. „Zeil?“ „E großi Strass in Frankfurt! Owwerhalb vum Weisswurscht-Äquador.“ Er grinste breit.

„Da, wo es die knackige Frankfurter Würstscher gibt, weiß de. Net des zutzelische Zeuch von euch Münchner.“ „Bin kein Bayer! Weißt du doch.“, konterte er und fragte: „Auch umgebracht worden?“ „Hä?“ „Dein reicher Opa. Wie die da?“ „Depp! Der lebt noch; un die arm Fra auch.“

Erich und Fritz mochten einander eigentlich; doch ohne ihr ewiges Foppen ging es bei ihnen nicht. Diese Art ihres Umgangs miteinander half ihnen dabei, das Tragische ihres beruflichen Alltags besser zu verkraften. Was sie tagtäglich erleben mussten, blieb nicht in ihrer Kleidung stecken!

„Hoffentlich schafft sie es! Noch eine Leiche brauche ich vor dem Urlaub echt nicht mehr.“ „Wohin?“ „Mallorca.“ „Ballermann?“ „Sicher nicht! Heidrun ist doch dabei.“ Er runzelte die Stirn. Ob es der letzte Urlaub wird - so schlecht, wie es um unsere Ehe steht?

„Haste schon de Chef gerufe?“ „Logisch! Dem versaue ich doch gerne den Samstagabend.“ Er stutzte. Im Augenwinkel sah er einen Mann im schwarzen Anzug und weißer Fliege durch die gläserne Flügeltüre kommen - einen, den er kannte. „Wenn man vom Teufel spricht. Achtung!“, murmelte er.

„Wir brauchen die KTU. Hat schon jemand …?“ „Ja, die Loni; äh, die Kollegin Maierhuber.“ „Gut! Und die …?“ „Natürlisch, Chef. De Dok is schun unnerwegs.“ „Aber warum habt ihr noch keine Überzüge über die Schuhe gezogen, vermaledeit?“ Verärgert deutete er auf ihre Füße. „Sind doch eben erst reingekommen.“ „Faule Ausrede! Jedes Mal dasselbe mit euch.“

Eine Mischung aus Zorn und Spott gab den folgenden Worten einen sarkastischen Klang. „Doktor Doktor Knut Hansen macht mich wieder dumm an, wenn ihr seine überaus wertvollen Spuren verwischt. Kennt doch unseren pingeligen Hamburger.“ Er warf den beiden die weißen Hüllen zu. „Los!“

„Oper, Chef?“, fragte Erich Hammer und deutete auf den feinen Anzug des Kommissars. Der brummte nur sauer. „Wenn ich einmal mit meiner Frau ins Theater ….“ „Tut uns echt leid!“ Seine Häme hielt er nur mit Mühe zurück.

„Tot?“ Er ging in die Hocke, um den blutverschmierten Oberkörper der Frau nach Verletzungen abzusuchen. Vorsichtig öffnete er die oberen Knöpfe des dekolletierten Kleids und zog es ihr über die Schultern nach unten. Noch bevor er Zeige- und Mittelfinger an ihre Halsschlagader legen konnte, kam schon Erichs Antwort. „Ganz schwacher Puls!“.

„Wo bleiben die Sanis?!“ „Bei demm Verkehr ke Wunner, odder?“ Ohne seiner Bemerkung Beachtung zu schenken, wollte der Kommissar wissen: „Tatwaffe?“ „Schätze, der Kerzenhalter dort. Schwer; sicher echt Silber.“ Er erhob sich.

„Raub? Haustüre?“, setzte er sein Fragen fort. „Nicht aufgebrochen“, klang eine weibliche Stimme von hinten. „Sie muss der Täterin ….“ „Wieso Täterin, Lonilein?“ fiel er ihr ins Wort. „Könnte doch auch ein Täter gewesen sein.“

„Auch wenn ich deine Tochter bin“, kam bissig zurück, „bin ich fünfundzwanzig, verheiratet und heiße Loni. Klar, Herr Kommissar Bachmaier?!“ „Klar!“, gab er reumütig zu. „Also kein Einbruch.“

Mit Blick zu ihr ergänzte er: „Dann muss sie den Täter …“ „Oder die Täterin“, fuhr ihm die junge Kommissarin mit dem sehr kurz geschnittenen, schwarzen Haar schmunzelnd in die Parade. „Okay“, brummte er und fuhr fort. „…. gekannt und rein gelassen haben.“

Er liebte sein einziges Kind und war mächtig stolz; aber seine Tochter blieb für ihn wohl immer sein kleines Lonilein. Außerdem kritisierte er lieber als zu loben; das war ganz und gar nicht sein Ding und geschah nur selten. Schon sein Vater war Polizist und behandelte ihn ebenso rau.

„Denke eher, ein Mann; schau dir die Würgemale am Hals an; das schafft nur einer mit sehr kräftigen Händen.“ Sie beschloss, vorerst zu schweigen. Was bringt es, mit dem Starrkopf weiter zu diskutieren, sagte sie sich.

„Weg da, Kollegen!“ Zwei Männer in weißer Uniform mit einem roten Kreuz auf den Revers stürmten herein. „Kruzifix, wie sieht das denn hier aus? Wie lange liegt sie hier schon?“ Noch während der Antwort „Wir sind seit zehn Minuten hier; mehr wissen wir nicht“ kniete sich der vordere neben die Frau und prüfte die Halsschlagader.

„Lebt! Klaus, versorg sie. Ich hol die Trage und rede mit der Klinik.“ Er rannte zurück in Richtung Ausgang. „Langsam, langsam mit den jungen Pferden!“, rügte ihn eine weitere, äußerst unfreundlich klingende Stimme lautstark. „Müssen Sie Tölpel mich umrennen?!“

Der Kommissar verdrehte die Augen und brummte: „Achtung, unser Hamburger!“ Er sprach das letzte Wort mit deutlich amerikanischem Akzent aus; so, als würde er ein aufgeschnittenes Brötchen mit Hackfleisch, Ketschup und Gurken bestellen.

„Hallo, Doktor Doktor Hansen! Jungs, zur Seite, der Herr Spurensucher ist da.“ Er mochte ihn nicht - was auf Gegenseitigkeit beruhte.

„Ihre unsachlichen Äußerungen heben Sie sich doch besser für Ihre kulturellen Zusammenkünfte im Hofbräuhaus auf, ja!“, fuhr er ihn an und ließ seinen Spott deutlich durchklingen. „Also etwas mehr Ernst, wenn ich bitten darf! Wir sind hier ja nicht auf eine Mass Bier zusammen gekommen.“

Ohne Retourkutsche blieb das jedoch nicht. „Dann sagen Sie uns mal etwas Sachliches zum Tatzeitpunkt, Herr Doppeldoktor.“

Hansen ignorierte seine Frage. Stattdessen nahm er ein silbernes Skalpell aus der einen sowie sein Diktiergerät aus der anderen Jackentasche. Mit einem herrischen „Darf ich mal!“ schob er seine Rechte von der Seite zwischen den Kopf der Frau und den Sanitäter, der versuchte, sie mit Mund zu Mund - Beatmung wach zu bekommen.

Behutsam hob der Kriminaltechniker die rot getränkte Haarsträhne an und protokollierte in sein Diktiergerät: „Opfer weiblich, etwa fünfundvierzig. Ohnmächtig; Reanimierung im Gang. Blutung am Kopf gestillt. Blutlache daneben. Deutliche Schlageinwirkung rechte Schläfe; scharfkantige Wunde, Länge circa fünf Zentimeter.“

Seine behandschuhte, flache Hand hob den Kopf leicht an. „Tiefe Schürfwunde seitlicher Hinterkopf rechts.“ Sein Blick tastete den Arm ab. „Schlag wohl mit linkem Unterarm abgewehrt. Spitzer Knochenaustritt durch die Haut; Elle dürfte gebrochen sein. Blut geronnen. Kehlkopf stark deformiert. Quetschspuren um den gesamten Hals herum; vermutlich Ausübung äußerst starken Drucks.“

Er erhob sich und raunzte seine nun neben ihm stehende Laborassistentin barsch an. „Statt hier blöde den Zuschauer zu spielen, könnte das Fräulein Slomka ja schon lange den Tatort fotografiert haben!“ Leidenschaftslos setzte er sein Diktat fort.

Die Gerügte begann sofort damit, alles fotografisch festzuhalten. Sie hatte Angst vor ihrem Chef; wegen der Probezeit. Sie brauchte den Job dringend. Alleinerziehend; der Kindesvater zahlt nur unregelmäßig.

„Mach dir nichts draus, Heidemarie!“, flüsterte Erich ihr zu. „Er ist halt ein ….“ Das Wort, das er sagen wollte, verkniff er sich; sie verstand ihn dennoch und schnaufte. Er mochte sie; sehr sogar. Sie hielt ihn aber auf Abstand; er war verheiratet.

„Papa!“ Der Kommissar drehte sich um. „Komm mal. Ich hab hier Frau Rudlischek. Sie hatte uns angerufen.“ „Bin schon da.“

Im Flur stand eine etwa sechzigjährige, weinende Frau in einer blau-weiß gemusterten Kittelschürze. „Sie sind Frau Rudilek. Haben Sie die Frau dort entdeckt?“ Sie nickte. „Rudlischek, Swetlana. Bin ich die Haushälterin von Frau Greg - … äh, ich meine, Frau Sommerfeld.“

„Ja, was jetzt?“, hakte er ungeduldig nach. „Sarah ist erst seit Kurzem Witwe. Hat sie ihren Mädchennamen wieder genommen.“ Die Frau wischte sich mit dem Ärmel das Nass von den Wangen. Als sie weiter redete, liefen jedoch sofort neue Tränen das Gesicht hinunter. „Und bald heiraten sie wollte. Wie schreck ….“ Weiter kam sie nicht; ihre Hände pressten sich über ihre bebenden Lippen.

„So, so! Kaum ist der Mann unter der Erde und schon wieder vor den Altar treten; so geht das also heute! Wer ist denn der Auserwählte, bitteschön?“

„Papa!“ Seine Tochter stampfte den Fuß auf den Boden. Du immer mit deinen Moralpredigten, hätte sie ihm am liebsten an den Kopf geworfen. „Lass mich mal weiter machen; von Frau zu Frau geht das, glaub ich, besser.“ Er brummte etwas in seinen Bart - einen, den weder Loni noch seine Frau an ihm mochten.

„Also, liebe Frau Rudlischek; die Überfallene heißt somit Sarah Sommerfeld.“ Sie schrieb den Namen in ihr kleines Notizbuch. „Und wen möchte sie …, also wollte sie …, ich meine, wird sie heiraten?“ „Herrn Klug.“ „Vorname?“ Sie zuckte mit den Schultern. „Weiß genau nicht.“ „Frau Sommerfeld duzen Sie; warum wissen Sie dann …?“

„Macht ihr mal Platz?!“ Es war der Notarzt mit der Trage, der sie unterbrach. „Ist sie wieder da?“ „Keine Chance; ihr Atem ist total schwach.“ „Klaus, wir bringen sie in die Bogenhausener Klinik.“ „Okay! Josef, nimm sie unter den Schultern; ich heb sie an den Schenkeln hoch. Aber vorsichtig! Eins, zwei, hopp!“

„Na dann ab in die Intensiv. Peter wartet schon.“ „Wow! Der Chefarzt selbst.“ „Hab es etwas schlimmer gemacht als es mir vorhin vorkam.“ Klaus schüttelte den Kopf. „Ihr Zustand ist echt bedenklich!“ Die zwei verließen mit dem auf der Trage liegenden Opfer das Haus.

„Frau Sommerfeld …“, fuhr die Kommissarin fort, während der Blick der Haushälterin der schwer Verletzten folgte, „… duzen Sie also, aber den Vornamen ihres Verlobten kennen Sie nicht?“ Die Frau in der Schürze fasste sich ans Kinn und überlegte. „Glaube ich Sarah gesagt hat Axel. Oder ….“ Ihre Stirn legte sich in Falten. „Nein, nein; Alex; vielleicht. Ja, ja! So der Mann heißen; Alex; Alex Klug.“

„Wohnt er hier?“ Sie nickte. „Ist er aber in Berlin bei wichtig Mandant, ich glaube.“

„Wäre besser zu Hause bei ihr geblieben; dann wäre das da nicht passiert“, mischte sich Kommissar Bachmaier ein. Statt seinen Einwurf zu beachten, schob ihn seine genervte Tochter ein wenig zur Seite. „Sie ist Witwe, sagten Sie. Wie heißt denn der verstorbene Ehemann?“ „Gregorius, Robert.“ Sie notierte auch das.

„München?“ Sie schüttelte den Kopf. „Neuseeland.“ „Bitte?“ Sie nickte. „Ja, waren sie beide dort.“ „Urlaub?“ „Nein. Richtig. Nicht lange aber. Passieren schlimme Sachen.“ Mehr wollte sie nicht sagen. Ihre Loyalität verbot es ihr, mehr Details preiszugeben, ohne dazu Sarahs Erlaubnis zu haben.

„Na, Privatkram interessiert aber jetzt wirklich niemand, Lonilein!“ Er schaute die beiden gestresst an.

„Papa!“ Sie drehte sich zu ihm um. Ihr scharfer Blick traf ihn hart. Immer musste er sich in ihre Arbeit einmischen! Dieses Mal ließ er sich aber nicht auf sie ein und fragte streng: „Erstens - wie sind Sie in das Haus gekommen, Frau Rudilek? Zweitens - wo wohnen Sie?“

Er musste Luft holen; Asthma. „Drittens - wann haben Sie das Opfer das letzte Mal gesehen; ich meine, unversehrt? Viertens - was fehlt in der Wohnung? Ich brauche von Ihnen eine Liste des Diebesguts. Und fünftens - wieso …?“

Ein lautes „Chef, kommen Sie mal!“ unterbrach seinen Redeschwall - zu Lonis Erleichterung! „Frau Slomka hat was gefunden.“

Ungern folgte er dem Ruf nicht gerade; die ewigen Rangeleien mit seiner Tochter gingen ihm auf die Nerven - trotz aller Liebe zu ihr. Warum wollte sie einfach nicht akzeptieren, dass er mit seiner Erfahrung sowieso alles besser beherrschte?!

„Was gibt´s, Hammer?“, fragte er, als er neben dem Polizisten stand. „Heidemarie!“ Er wies mit ausgestrecktem Arm auf die am Boden kniende Assistentin. „Und?“ „Eine Brosche mit Brillis drauf. Hat sie im Kampf wohl abgerissen bekommen.“

Noch bevor er es sich genauer anschauen konnte, kam im Befehlston von hinten: „Eintüten, Slomka. Das ist unser Fund.“ Sie gehorchte prompt - und Bachmaier kochte innerlich. Elender Wichtigtuer, wollte er erbost rufen!

„Darf ich sagen Ihnen mal was, Frau Kommissar …, äh, wie war Name Ihr?“ Verwundert schaute sie die Haushälterin an. „Sind sie viel netter als Vater. Streng Mann und Gesicht immer bös. Komme ich vor mit ihm wie was angestellt.“

Loni war nicht nur überrascht, sondern auch hin- und her gerissen zwischen einer freimütigen Zustimmung zur Beschwerde dieser Frau und ihrer Integrität dem Mann ihrer Mutter gegenüber - auch wenn er nicht ihr leiblicher Vater war.

Statt einer Antwort rettete sie sich in eine Entschuldigung. „Oh, verzeihen Sie, Frau Rudlischek. Ich habe mich vorhin gar nicht vorgestellt. Kommissarin Loni Maierhuber. Nun, was muss ich noch von Ihnen wissen?“ Sie überlegte kurz.

„Wohnen Sie hier im Haus Sommerfeld?“ „Nein; oder ja eigentlich. In Wohnung Einlieger in Keller unten; aber mit Eingang eigene. Nur Treppe zwischen uns. Schnell bin ich oben, wenn ruft Sarah mich.“ „Dann haben Sie sicher einen Schlüssel zu Sommerfelds.“ „Natürlich!“ Stolz klang aus diesem Wort heraus. „Habe ich ja schon für Eltern gearbeitet. Aber in richtige Villa mit Park. In meine Heimat keine so schöne Haus. Bin ich aus Dorf kleine in Romania. Als komme ich viele Jahre vorher, großes Ehre, hier in Deutschland arbeiten dürfen.“

„Donnerwetter! Da gehören Sie ja richtig zur Familie.“ Ihr Nicken war noch stolzer. „Aber jetzt …. Nein, ich erleben muss das! Sarah tot. Furchterbar!“, schluchzte sie und griff sich an die Brust. „Aber nein! Sie lebt doch. Ist nur noch nicht bei Bewusstsein, liebe Frau Rudlischek.“ „Wirklich?“ „Ja doch!“ Hoffentlich überlebt sie es auch, dachte sie besorgt bei sich.

„Und warum sind Sie an diesem Abend in Frau Sommerfelds Wohnung gegangen?“ „Höre ich Geräusche komische. Bin ich raus und gerufen von unten ´Hallo, Frau Sommerfeld, ist was?` Gelauscht ich dann. Aber nichts. Macht mich Angst. Dann Haustüre laut zuschlagen. Sarah macht nie laut zu!“

„Und dann?“ „Gehe ich rasch hoch. Türe Wohnung halb offen. Habe ich erst klopfen; bin ich rein vorsichtig. Im Wohnzimmer ich sehe dann ….“ Ihre Stimme erstickte; sie hielt beide Hände über ihr Gesicht.

„Ich schätze, liebe Frau Rudlischek“, beruhigte sie die erschütterte Frau, „damit haben Sie die Täterin gestört und Ihrer Chefin das Leben gerettet.“ Zunächst wenigstens, wendete ihr Verstand wortlos ein.

Die Frau ließ die Arme sinken. „Heiliges Maria!“

„Ja, da waren Sie der rettende Engel.“ Sie überlegte kurz. „Gut! Wenn wir noch Fragen haben, dann werden wir uns melden. Sie dürfen nun wieder nach unten gehen.“ „Aber sagen Sie mich, wie Sarah es geht, ja?“ „Natürlich - sobald wir etwas wissen. Gute Nacht!“ „Gute Nacht, Frau Kommissar!“

Kapitel 2

Zwei Wochen zuvor

„Das war sehr schön!“ Sarah saß noch immer mit gespreizten Beinen auf ihm. Beglückt betrachtete sie den muskulösen Oberkörper unter ihr. Ihre Fingernägel hatten deutliche Spuren ihrer Lust auf ihm hinterlassen. Außer Atem rollte sie sich auf die Matratze.

„Musst du heute wirklich nach Hamburg?“ Sie schmiegte sich eng an ihn. „Was soll ich denn zwei lange Nächte ohne dich machen? Ich werde in dem großen Bett vor Einsamkeit kein Auge zutun können.“

Ohne zu antworten stützte Alex sich auf den linken Ellbogen und ließ seinen Blick über ihren nackten Körper gleiten. „Wie hübsch du bist! Wenn ich daran denke, wie viele Jahre ich mich danach sehnte, dich so ansehen zu können, dann ….“

Er spürte ihren Zeigefinger auf seinen Lippen, noch bevor er seinen Satz beendet hatte. „Nicht, Liebster! Schau nicht zurück. Die Vergangenheit ist vorbei. Nichts daraus können wir zurückholen. Allein das Heute und das Morgen soll unser Leben bestimmen, ja?!“

Er atmete tief durch. „Ach, du hast ja Recht; aber traurig ist es doch, dass du in Neuseeland erst so viel Schlimmes durchmachen musstest, bis wir zusammen finden konnten.“ Sie reckte ihren Kopf ein wenig nach oben und küsste ihn. Wie aus einem Mund kam gleich darauf von beiden ein tief empfundenes „Ich liebe dich so sehr!“

Er nahm ihre Frage von soeben auf. „Komm doch einfach mit.“ Ihre Hand fuhr liebevoll durch sein fülliges Haar. „Du weißt ja, warum es beim besten Willen nicht geht. Oder meinst du, ich würde dich sonst alleine zu der Tagung fliegen lassen? Gewiss nicht, bei den vielen attraktiven Damen, die dort sicher nur darauf warten, mir so einen Prachtkerl wie dich wegzuschnappen.“

„Sarah, Liebes, denke so etwas bitte nie. Das kann nicht passieren! Ich gehöre dir allein! Keine andere wird jemals eine Chance gegen dich haben.“

Schließlich heiße ich ja nicht Robert, hätte er am liebsten gesagt, um seiner Versicherung noch mehr Aussagekraft zu geben. Doch diesen Namen in Sarahs Gegenwart zu nennen wollte er ihr ganz bestimmt nicht antun!

„Weiß ich doch, mein Herz.“ Zärtlich strich sie ihm über die Wange. „Trotzdem!“, fuhr sie verstimmt fort. „Wie gerne würde ich für die zwei Tage nach Hamburg mitkommen. Aber ….“

„Ja, ja“, murrte er, „ich weiß, dass dein geliebter Schriftsteller Mister Francis Spring gestern extra mit dem Flieger aus Neuseeland gekommen ist, um mit dir im Verlag ….“ Erneut spürte er einen Druck auf seinen Lippen. Dieses Mal war es aber nicht nur ihr Finger, sondern ihre ganze Hand.

„Das will ich so nicht hören, Herr Klug; verstanden?!“ War ihr es ernst, pflegte sie ihn mit Nachnamen anzusprechen. „Francis ist nicht mein geliebter Mister Spring. Was zwischen uns war, hat keinerlei Bedeutung mehr. Du weißt sehr genau, warum das mit ihm damals passiert ist.“

Er zog den Arm unter dem Kopf weg und ließ sich auf den Rücken fallen. „Es macht mir dennoch was aus, Frau Sommerfeld“, gab er trotzig zurück - und ärgerte sich gleichzeitig darüber, dass er seine Eifersucht auf diesen Typen noch immer nicht besiegt hatte; und das, obwohl sie sich für ihn entschieden hatte, und sie beide kurz vor der Heirat standen.

„Sei nicht böse, Liebster. Ich versteh dich ja; aber Francis ist heute nur noch ein guter Freund. Dass er mir damals etwas bedeutete, hat eigentlich nur mit meinen tragischen Erlebnissen in Neuseeland zu tun. Ich war in ihn verliebt; aber wahre Liebe fühlt sich anders an.“ Sie schaute Alex liebevoll an.

„Außerdem – dass er nach den Mordprozessen in Auckland einen Kriminalroman über mich geschrieben hat, ist doch auch nicht schlecht, oder?“

„Ja klar“, brummte er versöhnlich und fügte hinzu: „Der Hammer ist dabei, dass der Krimi später ins Deutsche übersetzt wurde und jetzt sogar als Hörbuch erscheinen soll.“

„Siehst du, mein Süßer! Ausschließlich zu diesem Zweck bin ich mit ihm morgen im Verlagsstudio. Wir wollten doch beide persönlich anwesend sein, wenn die Sprecher den Romantext aufnehmen. Ist sicher aufregend mitzuerleben, wie so etwas gemacht wird!“

„Aber da ist ja noch etwas anderes.“ Sie horchte auf.

„Der Roman selbst sei ja auch sehr wichtig für dich, meinte neulich Frau Doktor Vogelsang zu mir, als ich dich zur Therapie begleitete. Er könne dir vermutlich helfen, alles Schlimme besser zu verarbeiten. Mein Gott, was du dort in Neuseeland durchgemacht hast! Du glaubst gar nicht, wie dankbar ich damals war, als ich hörte, dass du überlebtest. Nur schlimm, dass dir diese hasserfüllte Frau noch immer in deinen Träumen erscheint!“

„Ja“, meinte sie und fühlte sich dabei in die schlimme Zeit zurück versetzt, als sie viele Wochen in Auckland auf der Intensivstation lag und mit dem Tod rang.

„Das Schrecklichste dabei war für mich, am eigenen Leib erfahren zu müssen, Opfer eines derart perfiden, falschen Spiels geworden zu sein. Nie hätte ich gedacht, dass Menschen so hinterlistig sein können.“

Er richtete sich auf und schaute ihr tief in die Augen. Wenn du deine Gutgläubigkeit tatsächlich mit dem Leben bezahlt hättest, wäre ich wohl selbst zum Mörder geworden, um deinen Tod zu rächen. Ja, das wäre ich! Wie schrecklich, dachte er weiter, dass Menschen dazu gebracht werden können, anderen nach deren Leben zu trachten; aus welchen Gründen auch immer.

Er sah hinüber zum Wecker auf dem Nachttischschränkchen. „Oh weh! Es ist schon gleich halb zehn. Wir müssen aufstehen.“ „Na klar; sonst kommst du noch zu spät zum Franz-Josef-Strauß“, stimmte sie ihm zu. Er lachte; natürlich meinte sie den Münchner Flughafen.

„Das kommt eben davon, dass wir uns nach dem Aufwachen so lange miteinander beschäftigen müssen.“ Sein Grinsen hätte nicht breiter sein können.

Sie verstand, worauf er anspielte. „Ist aber doch so wunderschön mit dir, du mein toller Liebhaber.“ Wie schlecht, kam ihr dabei in den Sinn, war Robert doch im Bett gewesen! Und, das musste sie sich gleichzeitig eingestehen, wie verklemmt war sie selbst in jenen Ehejahren noch, bevor Francis ihr beibrachte, welche Lust eine Frau beim erotischen Sex haben kann.

Sie erinnerte sich. ´Das Kamasutra`, hatte er stets danach gesagt, ´kennt noch weitere Liebeskünste; die werde ich dir das nächste Mal zeigen`. Ein wohliger Schauer lief über ihren Rücken. Francis, du bist ein toller Mann! Noch bevor sie ins Schwärmen abglitt, rügte ihre innere Stimme sie, sodass sie sich darauf besann, neben wem sie gerade lag.

Als beide sich zwei Stunden später am Airport voneinander verabschiedeten, hatte sie Tränen in den Augen. „Sei nicht traurig, mein Herz. Ich bin schneller wieder zurück, als es dir lieb ist - jetzt, da du im Verlag deinen lieben Francis wieder siehst.“

Hart traf ihr Ellbogen seine Rippe. „Au!“ „Damit du mich nicht vergisst - und als kleine Strafe dafür, dass du so ein blödes Zeug redest.“

Dann küsste sie ihn ein letztes Mal, startete den Wagen und fuhr kurz hupend in Richtung Verlag davon. Sie spürte Traurigkeit in sich; jede Stunde, in der sie nicht mit Alex zusammen sein konnte, tat ihr weh. Zu lange hatte es in ihrem Leben gedauert, bis sie endlich zu ihm fand.

Umso verwunderter war sie noch immer über das, was sie seit Stunden mit Gewalt zu verdrängen versuchte. Vorhin im Bett trat Francis - kurzen Lichtblicken gleich - mehrfach in ihr Bewusstsein. Was sollten diese Empfindungen noch?

„Warum gehst du mir nicht aus dem Sinn? Das mit uns ist doch definitiv abgeschlossen!“, murmelte sie.

Ist es nur die Vorfreude darauf, grübelte sie weiter, Francis gleich wiederzusehen?

Oder etwa …?

Diesen sich ihr aufdrängenden Gedanken verbannte sie sofort aus ihrem Kopf. Ich gehöre zu Alex! Francis war dabei nur ein kleiner Pflasterstein auf dem Weg zu ihm. Merk dir das gefälligst, Sarah Sommerfeld!

Wenig später war sie im Verlagshaus angekommen.

„Ilona, drück schon mal auf den Schalter mit der Aufschrift ´Ruhe! Aufnahme`.“ Die Auszubildende suchte kurz die riesige Tastatur am Reglerpult ab und tat dann, was ihr Boss verlangte. „Erledigt, Klaus“, rief sie - und war dabei stolz darauf, den Aufnahmeleiter seit letzter Woche nicht mehr Herr Havenstein nennen zu müssen. Schließlich duzten sich hier alle.

„So, Leute, nach der kleinen Einführungsrede unseres geschätzten Autors geht es jetzt los. Frau Sommerfeld und er sind also die Protagonisten des autobiografischen und an einigen Stellen auch autofiktionalen Romans, den wir heute als deutsches Hörbuch aufnehmen.“ Aller Augen ruhten bei diesen Worten auf Sarah und Francis.

„Wenn ihr gleich die Aufnahme macht, seid euch damit im Klaren darüber, dass es sich bei dem Roman mit dem Titel ´Sarahs Verhängnis` um eine wahre Geschichte handelt. Ich erwarte somit größtmögliches Einfühlungsvermögen und eine leidenschaftliche Sprache. Klar?“ „Klar, Klaus!“, kam aus der Runde zurück.

„Jacob, wenn ich den Daumen hebe, dann geht das Mikro auf und du bist als erster dran. Okay?“ „Okay! Ich mache das ja nicht zum ersten Mal“, gab Herr Grimm verschnupft zurück. Selbst bei dieser leicht verärgerten Antwort hatte er eine äußerst wohlklingende Stimme, was Sarah schon vor einer halben Stunde bei der Begrüßung angenehm aufgefallen war.

Ja, hatte sie dabei gedacht, er wird den Roman ebenso perfekt vorlesen können wie die anderen drei. Ihnen war sie zuerst vorgestellt worden.

„Wenn Jacob das erste Kapitel gelesen hat“, setzte Klaus seine letzte Anweisung fort, „geht es nahtlos mit dir weiter.“ Er deutete auf Maria. „Danach mit Ludwig und …. Hallo, Katharina! Würde die Russische Kaiserin uns freundlicherweise auch die Ehre ihrer Aufmerksamkeit geben, ja?!“ Er foppte sie gerne ihres Namens wegen, und weil sie am liebsten die russischen Schriftsteller Dostojewski und Tolstoi las.

Sofort beendete sie ihre Unterhaltung mit Ilona. „Tschuldigung!“ Er schenkte ihr ein herzliches Lächeln; er mochte sie; weit mehr, als es seiner Mechtild Recht war. „Also, du bist die vierte im Bunde; und danach geht´s von vorne los. Auf diese Weise schaffen wir den gesamten Text locker bis um vier. Einverstanden?“

Alle vier nickten. „So, und ihr beiden seid jetzt bitte auch still. Erzählen könnt ihr, wenn wir fertig sind.“ Er lachte. Seine freundliche Rüge galt Francis und Sarah, die sich natürlich eine ganze Menge zu berichten hatten. „Sind ja schon still.“

Sarah saß neben ihrem lieben Freund. Jetzt würde es losgehen. Sofort wuchs ihre innere Anspannung.

Intuitiv griff sie nach dessen auf der Armlehne liegenden Hand und drückte sie kurz, bevor sie beide in ihren Schoß gleiten ließ. Nun würden sie das zu hören bekommen, was sie vor gut einem Jahr in Neuseeland als das Schrecklichste erleben mussten, das ihnen jemals im Leben widerfahren war.

„Jacob!“ Havensteins Daumen ging hoch; Herr Grimm als erster Vorleser konzentrierte sich. Rasch überflog er die Überschrift seines Manuskripts:

Sarahs Verhängnis - Eine wahre Geschichte.

Mit ruhiger, tiefer Stimme sprach er in sein Mikrofon. Der Roman begann.

Kapitel 3

Sarahs Verhängnis Eine wahre Geschichte

Gleich der Leichtigkeit eines Windhauchs berührten ihre Fingerspitzen die Tasten. Mit aufgerichtetem Oberkörper saß die grazile Frau vor ihrem Steinway auf dem Klavierhocker. Sanft huschten ihre nackten Füße über die Pedale unter ihr. Die Augen hielt sie geschlossen. Sie kannte das Stück. Wieviel hundert Mal hatte sie es schon ohne Notenblatt gespielt?! Schumanns Träumerei.

Sie liebte die Zartheit der Töne, die für sie dem Atem glichen, welcher einem leicht bebenden Brustkorb entwich, dessen nahezu unmerkliches Zittern vom Glücksgefühl tiefer Liebe stammte. Einer ewig scheinenden Liebe, die sie selbst einmal hoffnungsvoll umhüllte. Damals.

Nur ganz leise wippte ihr Kopf von der einen zur anderen Seite, stets in inniger Harmonie mit dem behutsamen Laut und zarten Leise der Melodie. Im selben Rhythmus wanderten ihre Gedanken wehmütig zu jenen ersten Tagen hinüber. Sie spürte dabei, wie sich ein Lächeln um ihre Mundwinkel legte. „Ja“, hörte sie sich seufzend murmeln, „wie glücklich ich war! Damals.“

Damals, als Roberts Augen die ihren trafen, hatte sie eine wohlige Wärme überflutet, die sich so schnell in ihr ausbreitete, dass es ihr schwindelig zu werden schien. Noch nie zuvor war ihr ein Mann begegnet, der sie allein seiner Ausstrahlung wegen in der ersten Sekunde in einer derart wundersamen Weise berührte.

Nur fast noch nie, korrigierte ihr Gedächtnis sie. Bis auf Alex nämlich. Der kam ihr emotional so nahe, dass sie tatsächlich Gefahr lief, sich ihm viel zu früh hinzugeben; ganz im Widerspruch zu ihrer konservativen Erziehung; die der Eltern ebenso wie jene jahrelange in der Klosterschule.

„Alex“ - ganz sachte kam ihr sein Name über die Lippen. Ihre Erinnerung führte sie in die Zeit, als jener Jurastudent sie nach einem Konzertabend das erste Mal küsste. Ihr lief ein Schauer über den Rücken und sie geriet beim Spielen beinahe aus dem Takt.

Sie fühlte, dass es ihr noch immer etwas ausmachte, kaum drei Monate später mit ihm Schluss gemacht zu haben. Ihr bevorstehendes Examen hatte für sie absoluten Vorrang gehabt. Da gab es weder Zeit noch Muße für tiefer gehende Gefühle.

Sarah rechnete kurz und murmelte dann versonnen: „Da war ich gerade mal dreiundzwanzig. Wie die Zeit vergeht!“ Ob er, überlegte sie, mit mir glücklicher als mit ihr geworden wäre?

Langsam und bedächtig sog sie Luft durch die Nase ein und atmete dann seufzend aus, während ihre flinken Finger der Klaviatur die Tonfolgen des Musikstücks entlockten.

„Alex, ich war so unendlich verliebt in dich. Aber es ging einfach nicht, verstehst du?“, sprach sie, als säße er neben ihr.

Erst jetzt merkte sie, wie sich ihr soeben lediglich gedanklicher Rückblick in die Vergangenheit in laut ausgesprochene Worte verwandelt hatte; in ihrer Fantasie redete sie mit ihrer ersten großen Liebe - so, wie es immer wieder geschah; selbst in ihren Träumen; und das nach so langer Zeit noch immer!

„Na, wenigstens habe ich dich nie aus den Augen verlieren müssen“, flüsterte sie. Eines aber hatte ihr bei solchen Treffen stets Sorgen bereitet. Kamen sie, meist zu viert, zusammen, hoffte sie jedes Mal inständig, seine Frau möge nicht einen der Blicke auffangen, die Alex ihr zuwarf. „Ach Alex, lieber Alex, hätte ich damals nur ….“

Rasch verscheuchte sie ihre gefühlvollen Gedanken an ihn. „Einerlei! Ich bin Roberts Frau geworden und das war richtig so!“

Erst jetzt öffnete Sarah die Augen. Nein, schließlich wollte und durfte sie damals keine feste Bindung zu Alex eingehen. Auch nicht zu anderen Männern. Klar - sie hatte genügend Verehrer, war sie doch eine sehr schöne Frau.

Wenn sie heutzutage mit einem selbstzufriedenen Lächeln in den Spiegel schaute, war sie noch immer sehr von ihrem Äußeren angetan. Selbst Lisa bestätigte ihr das - wenn auch mit einer nicht überhörbaren Portion Neid.

Aber was nutzte ihr das heute, hatte sie gerade neulich ihre beste Freundin aus München wieder am Telefon gefragt. Nichts! Robert machte ihr schon lange keine Komplimente mehr. Und damals, als Alex sie haben wollte, half ihr das gute Aussehen ebenfalls nichts.

Ihr damaliges Verhältnis mit Alex verriet sie Lisa natürlich nie; ganz sicher nicht! Schließlich war sie seine Frau geworden.

Sie schnaufte. „Wie dumm ich war! Allein in meine berufliche Karriere steckte ich all meine Energie und Aufmerksamkeit; nichts anderes zählte wirklich.“

Doch ihre Ausbildung war nicht der einzige Grund. Es gab jenen weit schwerwiegenderen dafür, beim sich Verlieben sehr vorsichtig zu sein. Den hatte Mutter ihr schon früh täglich auf´s Butterbrot geschmiert.

´Tochter`, hatte sie ihr - und das manchmal sogar mit verheulten Augen - dringend geraten, ´lass dich nur auf den Mann ein, bei dem beide zustimmen: Dein Herz und dein Kopf.` Wie deutlich Mutters Stimme in diesem Moment in ihre Erinnerung trat!

´Trägst du erst einmal den gesegneten Ring am Finger, dann gibt es vor Gott nur noch eines: Bis dass der Tod euch scheidet. Einerlei, wie sich später dein Ehemann dir gegenüber verhält. Merk dir das, Kind!`.

Betroffen stellte sie fest, in welchem Maß die elterliche Prägung ihr gesamtes bisheriges Leben beeinflusste. Wäre sie ansonsten noch immer mit Robert verheiratet, obwohl sie seit langem so unglücklich mit ihm war?! „Ach, Mutter!“, entwich es ihr traurig.

Rasch zwang sie sich, etwas Schöneres aus ihrem Gedächtnis aufzurufen. Während des Klavierspielens gelang ihr das Träumen von schönen Dingen am besten. Um das Schlechte mit ihm zu vertreiben, besann sie sich wieder auf die wunderschöne erste Begegnung mit Robert.

Als sie ihren achtundzwanzigsten Geburtstag und gleichzeitig - dies schon nach nur fünf Jahren am Konservatorium - ihre Beförderung zur stellvertretenden Musikleiterin feierte, spürte sie beim Tanzen plötzlich einen Blick auf ihr ruhen. Als sie sich umschaute, sah sie ihn.

Noch am selben Abend waren Mutters Ratschläge wie weggeblasen. Kaum drei Monate später stand sie im weißen Brautkleid neben diesem Mann vor dem Altar. Wie fest sie bei ihrem lauten ´Ja, ich will` davon überzeugt war, in Robert Gregorius denjenigen gefunden zu haben, der sie ein Leben lang auf Händen tragen würde! Damals. „Was ist nur daraus geworden?!“, sprach sie traurig.

Plötzlich drang durch das halb offen stehende Fenster ein hässliches Kreischen ins Zimmer, das sie jäh aus ihrer Erinnerung riss. „Haut ab!“, schrie sie erbost. „Macht ihr euch schon wieder über die Scheibenwischergummis her, ihr verdammten Viecher.“

Wütend spannte sie die Finger an und schlug mit beiden flachen Händen auf die Klaviertasten. Wieder und wieder. Seit sie hierher gezogen waren, hatten die aggressiven Keas schon all das am Jeep angefressen, was nicht niet- und nagelfest war.

Wie sehr sie diese großen Papageivögel hasste! Und dieses Auckland erst Recht! „Wohin hast du mich da gelockt, Robert?! Niemals hätte ich nach Neuseeland mitkommen dürfen! Niemals!“

Wie hatte sie sich nur darauf einlassen können, die elterliche Villa in München zu verkaufen und mit ihm hierher zu ziehen?!

Doch musste sie ihm als seine Ehefrau nicht folgen? Galten Pastor Johannes Pauls Worte von den guten und den schlechten Zeiten wirklich noch? Gab es nach mittlerweile dreiundzwanzig Ehejahren denn überhaupt noch gute Zeiten?

Ein wütendes Schnauben verließ ihre Brust. „Was hast du nur aus meinem Leben gemacht, Robert?!“

Ihre Ellbogen mit Schwung auf die Reihe der schmalen Tasten stützend landete ihr Gesicht schwer in ihren Händen. Das Nass ihrer Tränen rann ihre unbedeckten Unterarme entlang und landete zwischen dem sich wiederholenden schmalen Schwarz und breiteren Weiß des Klaviers.

„Wie konntest du mir das antun?“, drang es verzweifelt aus ihrem Mund. „Wieder und wieder gehst du fremd; dieses Mal mit dieser ….“ Sie brach ihren Satz ab. Niemals mehr, hatte sie sich geschworen, würde ihr der Name jener verhassten Person, die ihre Ehe so sehr ins Wanken brachte, über die Lippen kommen.

Erneut schallte das Geschrei der Keas zu ihr ins Wohnzimmer. Energisch erhob sie sich und rannte zum Fenster. Heftig in die Hände klatschend schrie sie: „Verschwindet!“ und versuchte damit, die zerzausten, rot-grün gefiederten Viecher mit dem starken Krummschnabel zu verjagen. Wärt ihr nur in den Bergen des Südens geblieben, statt auch uns hier auf der Nordinsel zu drangsalieren.

Deren daraufhin für einige Sekunden noch lauter werdendes, hektisches Kreischen verstummte mit einem Mal, als sich der Größte der Keas auf das Wagendach schwang und sie mit starrem und bedrohlich wirkendem Blick fixierte.

Der lang anhaltende, gellende Schrei, den er gleich darauf ausstieß, erschreckte Sarah. Er kam ihr wie eine Prophezeiung, ja sogar wie ein böser Fluch vor. Einem Echo gleich schien der hochgewachsene Vogel ihr entgegenzuschreien: ´Verschwinde du! Verschwinde du! Verschwinde aus unserem Land. So schnell du kannst, sonst wirst du hier bald sterben!`

Intuitiv legte sich ihre Rechte auf den Mund. Ihr Gesicht fühlte sich blass und blutleer an. Für eine Sekunde spürte sie Angst in sich aufkommen. Sarah schüttelte sich. „Was war das denn?“ murmelte sie. „Reiß dich zusammen! Das ist doch nur ein nervender Bergpapagei.“

Sollte ich das vielleicht wirklich tun, war ihr nächster Gedanke? Nicht, weil du blöder Vogel es sagst. Gewiss nicht! Aber, weil Robert mich so belogen hat - und ich so unglücklich mit ihm bin.

Fast wäre die Glasscheibe zersprungen, so zornig schlug sie den Fensterflügel zu.

´Neuseeland ist sehr schön, Liebes`, hatte Robert beteuert. ´Lass uns dort noch einmal von neuem beginnen. Schulden wir das nicht unserer Ehe?!` Vor ihr hatte er sich dann auf die Knie fallen lassen. ´Ich weiß, ich habe eine große Dummheit begangen. Aber die Sache mit dieser Frau ist beendet. Jetzt will ich alles wieder gut machen`, hatte er ihr versprochen.

In seinen Augen lag dabei Reue und Einsicht - ein Ausdruck, dem sie Glauben schenkte. „Wie blöde war ich nur!“, schimpfte sie.

Dennoch! Musste sie ihm nicht verzeihen?! Zum x-ten Mal. Sie war schließlich seine Ehefrau.

Als Robert dann noch immer vor ihr kniend fortfuhr, keimte sogar Hoffnung in ihr auf - darauf, dass er mit diesem beruflichen Neuanfang in Auckland keine Zeit mehr für Affären haben würde.

´Liebes, der Aufbau meiner eigenen Consulting-Firma ist für mich und uns beide doch eine riesige Chance. Und du hast alle Zeit der Welt, um den ganzen Tag Tennis zu spielen. Und Klavier. Deinen Flügel nehmen wir natürlich mit, koste es, was es wolle`.

Ja, auf diese Weise hatte er sie dazu überredet, ihm Glauben zu schenken. Und ja, sie hatte sich darauf eingelassen, hierher zu ziehen. Und ja, sie hatte darauf gebaut, er würde sich ändern. Leider allerdings erneut vergeblich!

´In guten und in schlechten Zeiten`, hatte auch Mutter immer wieder betont; oft blickte sie dabei auf Vaters schwarz gerahmtes Foto auf dem Büffet und streckte ihm auf eine eigenartig drohende Weise ihren Zeigefinger hin.

Gepresst drang ihr Atem durch die Nase. „Robert, wie konntest du mich so belügen, du …?“ Alles in ihr drängte sie dazu, Mistkerl zu sagen, als sie sich seiner Worte erinnerte. ´Aber Sarah`, hatte er kurz nach ihrem Umzug nach Neuseeland - fast einem Vorwurf gleich - zu ihr gesprochen, ´das mit Frau de Clerk hat doch nichts mit uns zu tun. Du allein bist die Frau, die ich liebe`.

Wütend brach aus ihr heraus: „Ist es Liebe, wenn du mir in München versicherst, du hättest mit ihr Schluss gemacht, obwohl du sie dann doch mit hierher ….“ Sie presste ihre flache Hand auf ihren Mund, um nichts Schlimmeres zu sagen. Doch ihr Zorn gewann die Überhand. „Du dreckiger Lügner!“

Erbost erhob sie die Faust nach oben - und spürte den Schmerz, als sich ihre Fingernägel in den Handballen bohrten. Wie dumm sie gewesen war, ihm erneut zu verzeihen und sich auch noch auf diesen idiotischen Umzug einzulassen. Nun saß sie hier in diesem verdammten Häuschen am Rand einer ihr völlig fremden Stadt in einem noch fremderen Land 18.160 Kilometer Luftlinie weit weg von ihrem geliebten München.

Schon fast sieben Monate lang kam Robert nur noch sporadisch zu ihr. Jedes Mal ertrug sie den Duft dieses Frauenparfüms auf seiner nackten Haut. Sie schüttelte den Kopf. Warum nur ließ sie das immer wieder zu und gewährte ihm das, weswegen er gekommen war?

War es die Hoffnung, ihn auf diese Weise zurück zu gewinnen? Oder vielleicht das Glücksgefühl darüber, dass er endlich mit ihr schlief? Selten genug erlebte sie, wie gut es tat, ihn in sich zu spüren. Ihr Liebesleben war ja schon einige Jahre nach der Hochzeit eingeschlafen.

„Haha!“, lachte Sarah sarkastisch. Es war doch Robert, der regelmäßig einschlief, bevor sie überhaupt Anstalten machen konnte, sich an ihn zu schmiegen. Nur dann, wenn eine seiner Weibergeschichten zu Ende ging, wollte er andauernd; so lange, bis ….

´Glaub ihm nicht, Sarah. Lass dich scheiden!`, hatte Lisa ihr geraten. Eindringlich und mit einem derart eigenartigen Unterton, dass sie misstrauisch geworden war. Hatte er mit ihr etwa auch …? „Du Dreckskerl!“ Mit aller Wucht stampfte sie auf - und schrie vor Schmerz; sie hatte vergessen, dass sie barfuß war.

Eine Scheidung? Unvorstellbar für sie! Nicht einmal zur Rede gestellt hatte sie ihn; nach keiner seiner Affären. Allerdings nur bis zu jenem Tag, als Lisa ihr die Fotos zeigte.

Vor etwa einem dreiviertel Jahr, als sie noch in München wohnten. Da konnte sie den wahren Zustand ihrer Ehe nicht mehr verbergen. Wenigstens vor ihrer Freundin nicht. ´Das kannst und wirst du dir nicht gefallen lassen, Sarah!`, hatte sie geschimpft.

All ihre Gegenargumente ließ Lisa nicht gelten und ließ nicht locker. Nach einer Stunde des Streitens drohte sie sogar, die Fotos von ihm und dieser fast nackten Blonden in den Isar-Auen überall herumzuzeigen, würde sie Robert nicht noch am selben Abend die Pistole auf die Brust setzen.

´Sarah, droh ihm mit der Scheidung, wenn er dir nicht verspricht, die Sache mit ihr zu beenden. Sieh es doch mal realistisch! Damit triffst du ihn an seiner Achillesferse. Was ist er denn ohne dein Geld? Ein Nichts. Von dem vergleichsweise Wenigen, das er verdient, kann er seinen … `- laut gelacht hatte sie dabei - ´natürlich deinen Maserati und deinen Roadster doch gar nicht halten. Auch seine Golfurlaube in Dubai und die vielen Rolex-Uhren kann er dann vergessen - und die jungen Dinger nicht mehr damit beeindrucken.

Ich weiß genau, wie er seine Verführungskünste dazu einsetzt, …`. Lisa hatte ihren Satz nicht beendet. Sarah ahnte aber sofort, worauf sie anspielte. Näher darauf eingehen wollte sie jedoch nicht. Wie sehr es sie geschmerzt hätte, wäre er auch mit ihr ins …!

Sarah erinnerte sich weiter an jene hitzige Unterhaltung. ´Oder willst du mir wirklich erzählen, dass du mit Robert glücklich bist, he?` ´Aber`, hatte sie selbst sich zu wehren versucht, ohne auf Lisas Frage einzugehen, ´bei einer Scheidung bekommt er doch die Hälfte´.

´Eben nicht, sagt Alex! Dein riesiges Vermögen hast du von deinen Eltern geerbt. Das fällt, hat er mir erklärt, nicht in diesen … äh … Zugewinn; der ist das, was auszugleichen wäre, sagt er`. ´Naja, als Anwalt wird dein Mann es ja wissen`, hatte sie geantwortet. ´ Na also, dann hör gefälligst auf mich!`

Mit welchem Eifer, wunderte Sarah sich nun wieder einmal, riet ihr die Freundin seitdem zur Scheidung?! Letzten Endes hatte sie aber wohl irgendwie Recht damit.

„Du bist so blöd gewesen, Frau Gregorius! So blöd!“, beschimpfte sie sich jetzt lauthals. Die Quittung hast du nun bekommen, fuhr sie wortlos fort. Sitzt mutterseelenallein hier in Aucklands Vorort Mission Bay am Strand und wartest trotz allem noch immer darauf, dass er zu dir zurückkommt.

Allein die Hoffnung, die Sache mit dieser Frau sei nicht von Dauer, tröstete sie über ihre allmorgendlichen Tränen hinweg. Das Ende war für sie nur eine Frage der Zeit. So war es doch jedes Mal gewesen, ermutigte sie sich.

Obwohl - ein Zweifel nagte an ihr. Dieses Mal war es anders; das Ganze dauerte deutlich länger. Doch schlussendlich würde wieder alles gut werden. Und natürlich würde sie ihm dann verzeihen. Erneut. Sie war doch seine Ehefrau!

Sarah seufzte. „Warum habe ich Sebastians Schmeicheleien nicht nachgegeben und es meinem lieben Mann gleich getan?“ Sie hatte es sich schon ausgemalt. Der durchtrainierte und weit jüngere Münchner Tennislehrer hätte sie geküsst und Robert hätte sie dabei erwischt.

Ein ähnlich rachsüchtiger Gedanke drängte sich ihr auf. Ein ungeheuerlicher sogar. „Was, wenn ich es mit Francis …?“, verließ ihre Lippen. Ihr Tennispartner in Auckland warf doch mindestens ein Auge auf sie! Am Montag würde sie ihn wiedersehen.

Nachdenklich runzelte sie die Stirn. Wäre das nicht die Quittung, die Robert verdiente? Dazu vielleicht auch eine lehrreiche, die ihn ändern könnte? Sie stutzte. Oh je, auf welche verruchten Ideen bringt mich Roberts Verhalten da? Stelle ich mich damit nicht mit diesem Ehebrecher auf eine Stufe?!

„Au!“ Ihre Rechte legte sich intuitiv auf die Brust, dorthin, wo sie das Stechen in der Herzgegend spürte. Sie musste sich unbedingt beruhigen! Die Ärztin hatte sie gewarnt. Sie wusste, was helfen würde.

Schon saß sie wieder auf dem Hocker. Etwas Ruhiges wäre für ihren Zustand im Augenblick sicher besser gewesen, doch das gelang ihr nicht. Mit der Wucht ihres Zorns hieben ihre Finger auf die weißen und schwarzen Tasten.

Oft schon hatte sie dieses vehemente Orgelstück in der Frauenkirche spielen dürfen. Der Küster hatte dann neben ihr gesessen und mit offenem Mund bestaunt, wie ihre Füße auf den hölzernen Stegen unter ihr hin und her tanzten. Irgendwann schrieb sie Bachs Orgelstück ´Toccata und Fuge in d-moll` dann für das Klavier um.

So hämmerte sie jetzt in ihrer Rage auf ihren Mann, auf sich selbst, eigentlich auf die ganze Welt, auf der Klaviatur herum; ja, am meisten auf sich selbst, weil sie nicht von diesem Kerl loskam! Ihr Körper fuhr dabei hektisch auf und ab, während sie ihren Kopf derart heftig bewegte, dass ihr fortwährend ihre langen Haarsträhnen ins Gesicht fielen. Doch sehen musste sie sowieso nichts; sie kannte jeden einzelnen Ton auswendig.

Kapitel 4

Während sie auf diese Weise wütend ihr Klavier traktierte, stutzte sie plötzlich. Sofort ließ sie von den Tasten ab, lauschte und nahm das Klingeln erneut wahr. Tatsächlich! Sie hatte richtig gehört. Das Telefon.

Er?

Augenblicklich schlug ihr Puls noch schneller. Schon rannte sie los und nahm den Hörer ab. „Sarah Gregorius. Robert, bist du´s? Wann kommst du? Oh, wie ich mich freue. Ich koch dir auch was Gutes.“

„Hallo Sarah. Lisa hier.“ Im Bruchteil einer Sekunde spürte sie die Blässe der Ernüchterung in ihren Wangen aufsteigen. „Du, Lisa?“

„Seid also wieder zusammen!“, schlug es ihr vorwurfsvoll entgegen. „Äh…- nein. Wieso rufst du um diese Zeit an?“, lenkte sie ab. „Bei dir ist es doch jetzt ….“ „Ein Uhr nachts. Stimmt! Dachte im Traum an dich. Schon die zweite Nacht hintereinander. Musste dich einfach anrufen!“

„Traum? Wieso träumst du von mir?“ „Vielleicht, weil du meine beste Freundin bist, he? Mach mir Sorgen um dich. Wie geht´s dir? Hast diesen Idioten wieder an dich heran gelassen?“

„Robert ist kein ….“ „Ist er doch!“ schnitt sie ihr das Wort ab. „Und?“ „Was und?“ „Hast du?“ Sarah schluckte. „Nein. Natürlich nicht“, log sie. Wie hätte sie es ihr gegenüber auch zugeben können?! „Klang aber eben ganz anders. Also!“

„Dachte doch nur, er sei es.“ „Aha! Willst ihm gleich was Gutes kochen? Also doch! Sag mal, was muss er dir denn noch alles antun, bis du ´s kapierst?“ Sie kam in Rage und redete immer schneller - ausnahmsweise sogar in ganzen Sätzen; oft gelang ihr das nicht.

„Dein Göttergatte wird immer das bleiben, was er ist: Ein rücksichtsloses Schwein, der dich nur ausnutzt. Seine verlogene Doppelmoral kotzt mich echt an; einerseits wie deine Eltern den Sittenwächter spielen, wenn es um dich geht; andererseits aber fremdgehen. Pfui! Lass dich endlich von ihm scheiden.“

Sarah stöhnte, brachte aber zunächst nur ein empörtes „Lisa!“ heraus, bevor sie die richtige Antwort fand. „Scheidung. Du hast gut reden, nur, weil sich dein Mann nicht für andere Frauen interessiert. Da kann dir eine Scheidung nicht passieren.“

„Stimmt!“ Sie lachte spitz. „Nicht einmal für mich zeigt Alex Interesse. Hat doch nur noch seine Kanzlei im Kopf. Aber ich ….“

Ihren abgebrochenen Satz beendete sie nicht. Sarah nahm ihn gar nicht wahr; sie war viel zu sehr mit der passenden Entgegnung auf Lisas selbstgefälliges Reden beschäftigt. Mein armer lieber Alex! Mir wärst du bestimmt ein guter Ehemann! Der Gedanke an ihn wühlte sie noch mehr auf.

Daran bist du doch selbst schuld, wollte Sarah antworten. Du denkst mit deinen Apotheken nur ans Geldscheffeln und hast ja noch nie Zeit für ihn gehabt; geschweige denn für seinen Wunsch, eine Familie zu gründen.

Du bist so schrecklich egoistisch, dass ich es noch heute bedaure, ihn dir damals vorgestellt zu haben. Allein deiner Kälte wegen hat er sich doch in seinen Beruf vergraben. All das lag ihr auf der Zunge.

Doch sie schwieg. Schon lange behielt sie ihre Kommentare für sich. Lisa kannte ihre Meinung nur zu gut. Allzu oft hatten die beiden deshalb gestritten - zumal ebenso wie Alex auch Sarah so gerne Kinder gehabt hätte.

Etwas anderes aber stand weit mehr zwischen den beiden Frauen als Lisas offensichtliche Unfähigkeit, ihren Mann glücklich zu machen. Doch das blieb für immer ein Geheimnis zwischen Alex und ihr; dass er sie noch immer liebte - und daran zweifelte sie bei seinen verstohlenen Blicken und beiläufigen Berührungen nicht im Geringsten - durfte ihre Freundin nie wissen.

„Du“, begann Sarah mit bemüht ruhiger Stimme, obwohl ihr ganz und gar nicht danach war, „hast deinen wundervollen Alex wenigstens für dich und musst ihn nicht immer wieder mit anderen Frauen teilen. Ist doch so!“

Lisa schwieg und runzelte aufmerksam werdend die Stirn. „Du musst es ja wissen“, kam trocken zurück. Sarah erschrak; hatte sie etwa zu viel Gefühl gezeigt, als sie Alex wundervoll nannte? Hatte sie am Ende eine Ahnung von …. Sie spürte den Schauer, der ihr über den Rücken lief.

„Robert aber …, ach, du weißt es ja! Sag, Lisa - was bleibt mir, wenn ich geschieden wäre? In meinem Alter. Niemals finde ich noch einen anderen; auf Dauer, meine ich. Nein, eine Scheidung kommt nicht in Frage. Basta!“

„Auch wenn er dir immer wieder so wehtut?“ „Auch dann.“ ´Männer sind halt so!` - die Stimme ihrer Mutter drang in ihr Bewusstsein. Sie holte tief Luft. Alex ist da ganz anders.

„Dir ist nicht zu helfen, Frau Gregorius. Seit deiner Heirat bist du tatsächlich immer dümmer geworden.“ „Bitte?“, fragte sie empört. „Was willst du damit wieder sagen?“

Sofort lenkte die Anruferin ein. „Sorry! Mein es doch nur gut. Will dir helfen.“ „Ach so! Na, dann lass uns lieber von etwas anderem reden!“

„Einverstanden! Wie geht´s dir denn sonst so? Erzähl; was machst du so den lieben langen Tag in deinem Strandparadies im schönen Mission Bay? Hab im Internet Bilder davon gesehen; muss total idyllisch sein. Spielst du noch Tennis? Hast du wenigstens nette Nachbarn?“

„Klar spiele ich noch! Sind tolle Leute dort.“ Dabei dachte sie ganz besonders an einen Spieler. „Unsere Vermieterin - sie heißt Monica, Monica Lipton - ist sehr nett. Sie wohnt über uns und hat einen total schönen Blumengarten; manchmal sitzen wir dort zusammen und trinken Wein.“

„Was macht sie?“ „Robert erklärte mir gleich zu Anfang, sie hätte mit ihrem Mann einen großen Gärtnereibetrieb gehabt. Den gibt´s aber nicht mehr.“ „Den Betrieb? Warum nicht?“ „Nein, den Mann; der ist gestorben.“ „Ach! Und hübsch?“ „Die Gärtnerei?“ „Quatsch! Diese Monica natürlich!“

„Die hat eine Superfigur; und ein sehr schönes Gesicht. Sie erzählte mir, mal eine Miss-Wahl gewonnen zu haben. Wenn ich´s mir recht überlege, ähnelt sie im Aussehen ein wenig dieser ….“ Sie vermied es, den verhassten Namen auszusprechen und fuhr stattdessen fort. „Weißt schon - die auf dem Foto an der Isar.“ „Aha!“ Das nährte Lisas Verdacht.

„Wie alt?“ „Ich schätze, keine dreißig; schwer zu sagen.“ Jetzt konnte die Freundin ihre ketzerische Vorstellung nicht mehr zurückhalten. „Junge Witwe also. Reich am Ende noch. Na, pass mal gut auf deinen Robert auf!“

Sarah kniff ihre Augenlider halb zu. „Hör doch auf! Du mit deinen schlechten Gedanken. Außerdem hat er diese ….“

Sie sprach nicht weiter, weil die Wahrheit etwas Bitteres an sich hatte. Lisa erkannte trotz des nur angefangenen Satzes ihre Überlegung und nannte das Kind beim Namen. „Außerdem hat er diese de Clerk; meintest du doch.“ Ihr Lachen klang hässlich. „Was sollte ihn daran hindern, auch mit der Nachbarin ….“ „Lisa! Lass das. Bitte! Sonst leg ich auf.“

Sie merkte, dass sie den Bogen überspannt hatte und gab erst mal klein bei. „Na gut! Was treibst du sonst?“ „Tja, Klavier spiel ich viel. Und währenddessen ….“

Lisa konnte es nicht lassen; und das nicht nur, weil sie Roberts Verhalten verabscheute. Nein, mehr noch deshalb, weil es wichtig war, immer wieder in Sarahs Wunde herum zu stochern, damit sie sich endlich scheiden lassen würde.

„Währenddessen wartest du, bis er dir wieder einen Blumenstrauß bringt, um dich …“, fiel sie ihr ins Wort, „… ins Bett zu kriegen. Sarah! Schieß ihn endlich in den Wind. Für immer, mein ich. Komm zurück nach München.“

Blumenstrauß. Sarah wusste, worauf sie anspielte. Mit der Nase hatte ihre Freundin sie darauf stoßen müssen, was Robert erneut hinter ihrem Rücken am Laufen hatte. Wie peinlich es ihr war, als Lisa ihr die Fotos von den beiden zeigte. Als sie ihn auf das unnachgiebige Drängen der Freundin hin dann doch zur Rede stellte, war er völlig zerknirscht. Kurz darauf stand er da - mit einem riesigen Strauß Orchideen.

„Hättest ihm besser schon unmittelbar nach der Sache mit dieser Dame …“ - Verächtlichkeit klang in diesem Wort durch - „… die Blumen um die Ohren gehauen, statt mit ihm nach Auckland zu ziehen. Verrückt!

Dachtest wirklich, ihn damit ändern zu können? Hatte von Anfang an den Verdacht, dass er sie dorthin mitnimmt. War ja schließlich seine rechte Hand in der Firma. Und die …“ - Sarah hörte ihr abfälliges Lachen - „… hat sie mit den langen, rot lackierten Fingernägeln an seinem Körper ja auch perfekt eingesetzt.“

„Red´ nicht so! Ich ….“ „Tu ich aber, weil´s die Wahrheit ist. Hast mir ja selbst gestanden, wie oft er schon weiblichen Reizen verfallen ist. Lippenstiftflecken am Hemd. Hotelrechnung für ein Doppelzimmer. In seiner Jacke. Und … und … und.“

„Aber was, wenn ich damals schon was gesagt hätte?“, begehrte sie auf. „Am Ende wäre er von mir weg gegangen. Da war es doch klüger, den Mund zu halten. Ansonsten ist mein Robert doch ….“ „Totaler Unfug!“, unterbrach Lisa sie. „Hättest dich wehren müssen; gleich beim ersten Mal. Aber nein! So lernte er, dass er´s mit dir machen kann.“

„Das glaube ich nicht; schau doch; von seinen Weibergeschichten abgesehen ist er mir immer ein guter Ehemann gewesen. Auch jetzt noch. Er ruft mich regelmäßig an und immer, wenn er zu mir kommt, dann ….“

Nicht mehr rechtzeitig merkte sie, dass sie sich verplappert hatte. Lisa entging es nicht. „Lässt dich also tatsächlich wieder auf ihn ein! Hab´s doch vorhin gleich gemerkt!“ „Hm … ja“, druckste sie herum. „Er kümmert sich eben um mich!“

Lisa überging die Antwort. „Soso, immer! Immer, wenn er zu dir kommt, sagst du; war also schon oft bei dir. Wie blöde du bist! Und … was …genau …wollte …der …Kerl …von dir? Jedes Mal. Ich höre!“ Lisa begann wütend auf sie zu werden.