Der Fluch des Scharlachroten Marshalls - Luis Rimmel - E-Book

Der Fluch des Scharlachroten Marshalls E-Book

Luis Rimmel

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Beschreibung

»Die Fremde der Berge kann manchmal einem Tor in eine andere Welt gleichen. Eine Spiegelwelt, in welcher Dinge real sein mögen, die sonst eigentlich nur Träumen entspringen können ... oder auch Albträumen.« Der Winter herrscht in den Bergen. Als Cormac Creekov auf dem Weg ins Tal aber plötzlich damit beauftragt wird, einen zwielichtigen Fremden über das Gebirge zu führen, muss er sich noch einmal in die tödliche Kälte wagen. In den Tiefen der verschneiten Spitzen muss er jedoch schon bald lernen, dass es im Winter keineswegs Lawinen oder Wölfe sind, vor denen man sich am meisten in Acht nehmen sollte ... Diese Novelle ist eine eigenständige Geschichte der Fantasy-Saga "Die Ballade der Fünf Paladine".

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Für Chris McCandless

»Monster gibt es wirklich und Geister gibt es auch. Sie leben in uns und manchmal gewinnen sie.«

Stephen King

Inhaltsverzeichnis

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Der Sensenmann

Kapitel 4

Kapitel 5

Epilog

Prolog

Ein kleines Tröpfchen kämpfte sich langsam den schweren Ast der Fichte hinunter. Es rann über die spitze Nadel hinweg und fiel schließlich hinab auf den feuchten Waldboden, wo sich die erste Knospe eines lieblichen Schneeglöckchens gerade durch die dünne Schneeschicht drückte. Die warme Morgensonne ließ ihre ersten glitzernden Strahlen durch die Kronen der zahlreichen dicht aneinander stehenden Bäume schimmern, in denen die Vögel endlich begannen, ein heiteres Lied anzustimmen.

Plötzlich huschte ein Schatten durch das Dickicht. Er war flink und schnell, sodass ein verwahrloster Wanderer ihn leicht für ein Raubtier gehalten hätte. Flott bahnte er sich seinen Weg durch das zerklüftete Unterholz, sprang über Stock und über Stein und über plätschernde Eisbäche hinweg, gekonnt vorbei an den gähnenden Abgründen tiefer Schluchten, bis er schließlich einen steilen Abhang erreichte. Vor ihm erstreckte sich eine felsige Mulde, in deren Mitte eine kleine Hütte kauerte. Der Winter hatte sie beinahe vollständig unter seinem weißen Mantel bedeckt, doch mit dem Tauwetter kam sie nun gerade wieder Stück für Stück zum Vorschein.

Unbesorgt preschte der kleine Junge hinab in die Mulde und untersuchte gleich neugierig die hölzerne Behausung. Die Tür war noch immer von einer dichten Schneemasse versperrt, also hüpfte er einmal um die Hütte herum, bis er ein kleines Fenster entdeckt hatte. Das Glas war schrecklich milchig und von einer dichten Frostschicht überzogen, doch mithilfe seines warmen Atems und dem kräftigen Reiben seines Ärmels auf der undurchsichtigen Oberfläche konnte er letztendlich doch noch einen Blick hinein erhaschen. Es dauerte jedoch nicht lange, da sprang er plötzlich wie vom Blitz getroffen von dem Fenster weg und stolperte rücklings in den Schnee. Eilig rappelte er sich wieder auf und stürmte sofort, so schnell er konnte, aus der Mulde heraus und in das Dickicht zurück.

Denn dort im Inneren der einsamen Hütte hatte er gerade zwei schwammige Silhouetten erblickt. Er hatte nicht lange genug hineingeschaut, um sie genauer beschreiben zu können, doch ihm war sofort aufgefallen, dass eine von ihnen in einer getrockneten, dunklen Lache lag, während die andere mit offenem Munde an die Hüttenwand gelehnt saß. Und beide von ihnen kauerten dort reglos und erstarrt im Grauen des Winters.

Kapitel 1

Heulend wurde die hölzerne Tür der Almhütte aufgerissen, sodass der Sturm eilig hereinflog und das gesamte Zimmer in einen undurchsichtigen Nebel hüllte. Wie ein Geist raubte er den spärlich verteilten Kerzen ihre kümmerlichen Flammen und hinterließ überall, wo er vorbeizog, eine Spur fahlen Pulvers. Auf den Bänken, wo Kaufleute, Vagabunden und Hirten sich in ihren dicken Pelzen schmiegten, auf dem Tresen, dessen zahlreiche Flaschen bereits von kleinen Frostflocken überzogen waren, und auf jenem abgelegenen Tisch, an dem eine Gruppe von vier Männern in ihr stilles Kartenspiel versunken saß.

»Macht die verdammte Tür zu, ihr Hornochsen!«, brüllte Cormac Creekov und warf zum erneuten Male seine vergilbten Karten auf die Tischplatte. »Sonst kommt die ganze verdammte Kälte von draußen rein und keiner von uns schafft es mehr lebendig zurück ins Tal!«

Alle Blicke richteten sich sofort grimmig auf den sperrangelweit offenstehenden Eingang. Der Neuankömmling zog verlegen seinen Kopf in den Kragen seines Mantels, dann drückte er mit aller Kraft die Tür zurück in ihre Angeln und verbannte den dröhnenden Schneesturm zurück in den Wald, sodass er mit einem Mal wieder fremd und ungefährlich klang. Der Zitherspieler machte sich wieder an sein schiefes Instrument und die verschiedenen Gruppen eingehüllter Bergleute nahmen langsam ihre murmelnden Gespräche wieder auf.

»Allesamt nichts als grün hinter den Ohren«, fluchte Creekov, wischte sich knurrend die Schneeflocken aus dem struppigen Bart und nahm seine Karten wieder in die Hand. »Denken, sie müssten um diese Jahreszeit das Gebirge überqueren. Auf der Suche nach dem großen Abenteuer oder gar einer Herausforderung! Als ob so ein Schneesturm einem mit der richtigen Überzeugung schon nichts anhaben könnte. So eine verdammte Gebirgsüberquerung ist kein Spaziergang.« Er schnaubte verächtlich. »Du bist dran, Shawnowitz!«

Der langwüchsige Mann zu seiner Linken schüttelte träge seinen eingefallenen Kopf, wodurch ihm der Schnee von der Stirn übers Gesicht rutschte. Er beäugte zweifelnd seine Karten und wackelte dabei mit seinem Bein. »Nicht nur das. Ich verstehe sowieso nicht, wie derzeit irgendwer, der nicht vollkommen den Verstand verloren hat, überhaupt einen Fuß auf die andere Seite des Gebirges setzen möchte. Im Osten sagen sie ja immer, hier in Wyros gäbe es nichts als Dunkelheit und Schrecken, aber dort drüben in Dunkenehr fließt gerade das Blut wie das Wasser des reißenden Stromes. Die Alchemisten Gilde und das Dyxtrak-Kartell sind bereits seit Jahren im Krieg um die Vorherrschaft der kriminellen Unterwelt Dunkenehrs, doch langsam spitzt sich die Lage immer mehr zu. Das wird noch ganz unschöne Ausmaße annehmen, das sage ich euch, Leute. Weiter.«

»Nun ja, meine Herren«, bemerkte der kurzgewachsene Chowak zu seiner Linken, nachdem er seine beschlagenen Brillengläser sorgsam abgewischt hatte. »Wenn man ein Raubtier aus einem Ökosystem entfernt, beginnen die kleineren Räuber, sich um die Spitze der Nahrungskette zu bekämpfen. Die Wälder von Dunkenehr sind leider nicht mehr das Gleiche, seit … ihr wisst schon wer … fort ist. Ah ja, Entschuldigung … Weiter.«

Der vierte Mann am Tisch, Ojibski, in Aussehen und Mimik wie immer einem Fels gleichend, kratzte sich an seinem kahlen Haupt und brummte dann einmal tief. »Hmm. Das sagst du, Chowak, aber in Dunkenehr bekommt man teilweise ganz andere Worte mit. Viele sagen, er wäre gar nicht verschwunden. Denn einen Mann wie ihn kann niemand töten, genauso wenig wie er einfach auf natürliche Weise sterben könnte. Viele sagen, der Sensenmann von Dunkenehr wäre noch da draußen und würde nur wie der kommende Winter darauf warten, wieder über uns hereinzuziehen und erneut Angst und Schrecken in den Wäldern Dunkenehrs zu verbrei…«

»Genug!«, brüllte Creekov und schlug einmal kräftig mit den Fäusten auf die Tischplatte, sodass die vergilben Karten allesamt in die Luft hüpften und selbst Ojibski ein klein wenig davon zusammenzuckte.

Cormac Creekov beobachtete jeden seiner Männer, während sein grau-roter Bart sich dabei langsam wieder zu beruhigen begann. Drei raue Burschen, mit denen er nun schon seit Jahren arbeitete, die er aber bis heute immer noch nicht zur Gänze verstanden hatte. Den dürren Shawnowitz hatte er aus den versifften Spielsalons von Seematt gezogen, nachdem dieser sich durch Trickbetrügerei und Taschendiebstahl das ein oder andere Messer an die Kehle provoziert hatte. Chowak hingegen, der jüngste der vier, neunmalklug und naiv wie er nun einmal war, hatte in Neryl eine Karriere als Buchhalter für die Dyxtraks angestrebt, dabei jedoch nicht in Betracht gezogen, dass ein Verbrecherkartell etwas anderes als eine Universitätsbibliothek war und die Dyxtraks alles andere als Freunde von zu vielen Fragen und zu langen Nasen waren. Und Ojibski wiederum hatte sich als Schläger der Alchemisten Gilde zu oft unschöne Worte nicht gefallen lassen und stattdessen sofort mit der Faust geantwortet. Unter anderem auch, indem er den Prinzen von Schwarzberg zu Brei geschlagen hatte. Alle drei hatten sich einst mit großem Eifer der Kriminalität verschrieben, doch Cormac Creekov hatte jeden von ihnen eigenständig aus dem Morast gezogen, sie von ihren vorherigen Vergehen bereinigt und ihnen wieder zu einem anständigen Leben mit einer anständigen Arbeit verholfen.

»Lasst uns nicht über solche Themen sprechen, Männer«, knurrte er sachte und beäugte jeden von ihnen ein weiteres Mal. »Es war ein anstrengendes Jahr, doch dank Shawnowitz’ unschlagbarem Einfallsreichtum, Chowaks grenzenlosem Wissen über die Gesetze der Natur und Ojibskis bärengleicher Stärke konnte kein Schneesturm, keine Lawine und keine noch so Eiseskälte uns von unserem Weg abbringen. Dank unseres Zusammenhalts und unserer Zielstrebigkeit haben wir es geschafft, mehr als ein Dutzend Leute sicher auf die andere Seite des Gebirges zu bringen.« Er schmunzelte einmal unter seinem Bart, der aber so dick war, dass niemand die Form seiner Mundwinkel genau erkennen konnte. »Und jetzt da der Winter hereinbricht und die Berge unsere Anwesenheit nicht länger erwünschen, können wir stolzen Herzens ins Tal zurückkehren und es uns die nächsten Monate mit Schmaus und Trank gut gehen lassen. Ein jeder von uns hat sich das nämlich auch gediegen verdient!«

Zustimmend klopften sie allesamt auf die Tischplatte und hoben grölend ihre Bierkrüge an, sodass sie die ein oder anderen gereizten Blicke aus der Hütte kassierten.

Creekov stellte seinen Krug langsam beiseite und nahm stattdessen wieder die vergilben Karten in die Hand. Bevor er jedoch seinen Spielzug preisgeben konnte, bemerkte er plötzlich etwas Seltsames in seinen Augenwinkeln. Shawnowitz hielt wie immer die Karten in der linken Hand, seine rechte hatte er aber unter dem Tisch versteckt, wo sie gerade eine kurze, verdächtige Bewegung gemacht hatte.

»Shawnowitz!«, dröhnte Creekov, sprang blitzschnell von seinem Stuhl auf und fasste sofort mit seiner Hand unter das Holz vor den Knien seines Sitznachbarn, wo seine Finger gleich ein Stück raues Papier fassten. »Schon wieder!«, brüllte er und hielt Shawnowitz das Ass vor sein eingefallenes Gesicht. »Wie oft muss ich dir noch sagen, dass ich unter uns Vieren einzig faires Spielen sehen möchte? Und trotzdem versuchst du es immer und immer wieder, dir einen Vorteil zu erschummeln!« Tobend warf er die Karte von sich.

»Tut mir leid … Cormac«, murmelte Shawnowitz und verdrehte kaum merklich die Augen.

»Dir tut gar nichts leid.« Creekov kehrte auf seinen Platz zurück und wischte bitter die Karten von der Tischplatte in seine Hand. »Würde es dir Leid zufügen, würdest du es nicht immer und immer wieder tun. Also. Da ich sehe, dass du, Ojibski, ebenfalls nicht die besten Karten hast, werde ich jetzt die Leitung unseres Spiels übernehmen. Wir wollen ja nicht, dass diese Partie andernfalls scheitert. Also, Männer, ich spiele mit dem …«

Wieder wurde die Tür schlagartig aufgerissen und das Heulen des hereinpreschenden Schneesturms verschlang augenblicklich jedes von Creekovs Worten.

»Beim gottverschissenen …!«, begann dieser, warf die Karten gegen die Wand und schnellte in Richtung der offenen Tür – verstummte aber gleich, als er erkannte, was für eine Gestalt dort im vereisten Rahmen stand.

Die gesamte Kleidung, von den nietenbesetzten Stiefel bis hin zu dem langen, ausladenden Mantel, war von Schichten schweren Schnees überzogen, fast als wäre er tagelang durch einen zornigen Sturm gewandert. Der fremde Neuankömmling trat einen Schritt voran, was ein lautes Scheppern erklingen, die Schneemassen wie einen Schleier von ihm herabfallen ließ und einen dunklen Ton von scharlachrot offenbarte.

Creekov riss sofort den Blick von der Tür und fixierte ihn starr auf den Bildern seiner Karten. Mit einem seichten Fingerzucken signalisierte er seinen Männern, das Gleiche zu tun, was sie aber erst viel zu spät wahrnahmen. Schon vernahm er das zuvor schon erklungene Scheppern, welches mit jedem Mal etwas näher klang.

Mit einem Schlucken legte Creekov langsam die Karten zurück auf den Tisch, während der Fremde einen Stuhl von nebenan knarzend heranzog, seinen Mantel weit ausbreitete und sich dann sachte darauf niederließ.

»Ich möchte auf die andere Seite des Gebirges.«

Zunächst herrschte Totenstille, einzig durchbrochen vom Heulen des Winterwindes und dem gelegentlichen Räuspern einer der lauschenden Hüttengäste. Dann, ganz leicht, wandte Creekov den Blick auf seinen Sitznachbarn, dessen Gesicht jedoch hinter einem aufgestellten, spitzen Kragen und der tief gezogenen Krempe eines großen Hutes versteckt war. Einzig ein eisiger Atem drang aus seinem Mund und verwandelte sich in der Winterluft zu blassem Nebel.

»Wenn Ihr dorthin wollt«, begann Creekov schließlich, klopfte auf den Tisch und nahm ein langen Zug aus seinem Krug, »empfehle ich Euch, eine Fähre in Sangclive zu nehmen und damit nach Yakrum, Echmard oder Wystbach zu fahren.«

»Nein.« Der Fremde hob seinen Kopf an, sodass Creekov ihm direkt in seine kalten, leeren Augen blicken konnte. Der Atem, der aus seinem gelben Mund drang, roch unangenehm faulig und war eisig wie ein nächtlicher Schneesturm. Die stählerne Stimme glich einem bedrohlichen Donnergrollen und war tiefer, als Creekov es bei einem gewöhnlichen Mann für möglich gehalten hätte, sodass es fast schon ein Kratzen in seinem eigenen Hals verursachte. »Nein«, wiederholte der Fremde. »Ich möchte das Gebirge überqueren. Ich benötige jemanden, der die Listen und Tücken der Berge kennt und ihre Sprache zu verstehen weiß. Und mir wurde gesagt, dass Ihr, Cormac Creekov, der beste Mann dafür wärt. Ihr habt schon so einiges über das Gebirge gebracht.«

Creekov schob den Krug von sich weg und rieb sich die Augen. Nach einem kurzen Zögern seufzte er. »Da habt Ihr wahrscheinlich Recht. Doch leider kenne ich die Berge auch gut genug, dass ich weiß, dass man zu dieser Jahreszeit keinen Fuß mehr hineinsetzen sollte. Die Nächte sind dunkler als die Abgründe von Ashgil, der Schnee verwandelt sich teilweise in regelrechten Treibsand und die Stürme lassen den Atem in der eigenen Kehle zu Eis werden. Lasst es Euch bitte von einem Mann mit meinen Kenntnissen sagen, mein Herr, dass es wirklich nichts auf dieser Welt gibt, was es wert wäre, nun dieses Gebirge zu überqueren.«

»Oh, doch«, schmunzelte der Fremde und trank einen zischenden Zug von Shawnowitz‘ Whiskey, der in seinem Mund zu Eis werden schien und einen weißen Dampf von sich gab. »Drüben in Dunkenehr lauert wichtige Arbeit auf mich, die nicht bis zum Ende des Winters warten will. Ihr versteht sicher, dass ich deswegen keinerlei Verzögerungen dulden kann.« Er musterte Creekov mit seinem stechenden Blick. »Wisst Ihr, wer ich bin?«

Der Bergführer, die Finger unter der Tischplatte auf seinen Knien herumtrommelnd, beobachtete das knochige Gesicht des Fremden. Beinahe glich es schon einem Totenkopf, sowohl in Form als auch in Ton, und hob sich markant von dem dunklen Rot seiner triefenden Kleidung ab. »Der Scharlachrote Marshall«, sagte Creekov und seine Finger verkrampften sich augenblicklich.

Der Fremde grinste breit und zeigte dabei seine gelben, fauligen Zähne. »In der Tat, der bin ich. Und wisst Ihr auch, Herr Creekov, was genau die Berufung eines Marshalls ist?«

»Die Marshalls sind fahrende Recken«, fiel der untersetzte Chowak ihm plötzlich vom anderen Ende des Tisches ins Wort, »deren Pflicht es ist, Dunkenehr von Schurken und Halunken zu bereinigen und in den Schwarzen Wäldern für Recht und Ordnung zu sorgen – alles im Dienste der Krone von Venoros.«

Der Scharlachrote Marshall drehte seinen knackenden Nacken in Richtung des Gelehrten und musterte ihn mit knirschenden Zähnen. Creekov wiederum wandte seinen Kopf ebenfalls und funkelte den jungen Burschen wild mit seinen Augen an. Doch vergebens.

»Dennoch«, fuhr Chowak nämlich gleich fort, »frage ich mich, was Ihr als geschworener Marshall Dunkenehrs hier westlich des Gebirges zu suchen habt. Denn Wyros ist eigentlich eher kein Teil des Königreichs unter der Krone von Venoros, sofern ich nicht falsch informiert bin. Liegen Eure Pflichten also nicht vielmehr östlich des Gebirges? Und welcher Arbeit seid Ihr hier im Westen nur bitte nachgegangen?«

Creekov kratzte sich an seiner nun noch faltigeren Stirn, während der Marshall sich in seinem Sitz zurücklehnte und vorsichtig eine geballte Faust auf den Tisch legte. »Sieh mal einer an, wen wir denn hier haben. Jemand, der offenbar gerne viele Fragen stellt. Wisst Ihr, kleiner Mann, warum man mich den Scharlachroten Marshall nennt?«

Chowak versuchte, ein Schlucken zu verstecken, gab jedoch keine Antwort von sich.

Der Marshall hingegen lehnte sich etwas vor, legte seinen knochigen Kopf schräg und musterte den Jungen weiter. »Weil ich dafür sorge, dass das schmutzige Blut jener, denen ich ihrer Leben beraube, niemals ihren Körper verlässt. Ich sorge dafür, dass jene, die sich dem Bösen und Sündhaften verschrieben haben, es nicht kommen sehen, wenn der Schleier des Knochenmanns sich über sie legt. Egal, wie tief sie sich in den Tümpel des Frevels begeben haben. Dass es für sie einer göttlichen Bestrafung gleicht, wenn ihnen plötzlich die Seele aus ihren besudelten Körpern gerissen wird. Dass es …«

Ein kräftiger Faustschlag, der die Tischplatte zum Beben brachte. Auf der andere Seite des Tisches schnellte der stramme Ojibskis nach oben, sodass sein Stuhl beinahe umkippte, und starrte mit kochender Visage und geballten Fäusten auf den Marshall herab. Dieser blickte nur unbeeindruckt zurück.

»Genug!«, donnerte Creekov und platzierte beide seiner Handflächen vor sich auf die Tischplatte. »Ojibski, bitte, kein Grund, hier die Fassung zu verlieren.«