Winterwein von Wystbach - Luis Rimmel - E-Book

Winterwein von Wystbach E-Book

Luis Rimmel

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Beschreibung

»Winterwein, oh Winterwein, nun ist Wystbach endlich mein«, sprach das böse Monsterlein, gierig, grausam und gemein. Während die einen darüber diskutieren, ob Magie nun existiert oder nicht, stecken die anderen auf offener Straße Scheiterhaufen in Brand - so lebt sich das Leben nun schon seit geraumer Zeit in der Stadt Wystbach. Als der Janustri Mailo Mahilo sich aber eines Tages auf einen gefährlichen Auftrag einlässt, wird er letztendlich vor eine Entscheidung gestellt, welche die Verhältnisse dieser Stadt für immer auf den Kopf stellen könnte. Diese Novelle ist eine eigenständige Geschichte der Fantasy-Saga "Die Ballade der Fünf Paladine".

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Für Martin Luther King Jr., Malcom X & Rosa Parks

»I have a dream that my four little children will one day live in a nation where they will not be judged by the color of their skin but by the content of their character.«

Martin Luther King Jr.

»Any time you beg another man to set you free, you will never be free. Freedom is something that you have to do for yourselves.«

Malcom X

Wystbach

Stadt der Muße, der Kunst, der Poesie, der Liebe und des Weines. Heimat der Barden, der Dichter, der Philosophen und der Virtuosen. Sitz der renommierten Akademie von Wystbach, wo Wissen und Weisheit gleichermaßen gelehrt werden, und Residenz des großen Adelsgeschlechtes der Herren Mettl, der Könige von Solien. Ein Hafen der Eintracht und der Glückseligkeit. Lang lebe Wystbach in seiner anmutenden Pracht und Gott segne seinen exquisiten Winterwein!

Falimir F. van Farloth über Wystbach – 849

Artikel 11: Magisches Praktizieren

(1) Das Praktizieren einer jedweden Form von Magie, Zauberei oder Hexenkunst ist verboten.

(2) Dazu zählen – jedoch nicht ausschließlich – jedwede Formen von Astralmagie, Blutmagie, Elementarmagie, Heilmagie, Mentalmagie, Naturmagie, Ritualmagie, Schutzmagie, Sexualmagie, Sigillenmagie, Schamanismus, Voodoo, Invokation, Evokation, Maleficium, Goëtie, Aeromantie, Aquamantie, Pyromantie, Oneiromantie, Ovomantie, Nekromantie, Telepathie, Telekinese, Wahrsagerei, Hellseherei, Hexerei und Gestaltwandlung.

(3) Ein Verstoß wird – je nach Ausmaß des Vergehens – mit einem hohen Bußgeld, einer Freiheitsstrafe oder auch der Todesstrafe geahndet.

(4) Das Assistieren oder Anstiften magischer Individuen bei oder zu derartigen Praktiken wird auf gleiche Weise geahndet.

(5) Veranstaltungen oder Versammlungen unter Magie praktizierenden Individuen sind ebenfalls verboten.

Verfassung der Stadt WystbachVersion aus dem Jahre 983

Inhaltsverzeichnis

WYSTBACHER KURIER

KAPITEL 1

GRÜNDUNGSSCHWUR

KAPITEL 2

KAPITEL 3

NARVASTO, WYROS

KAPITEL 4

KAPITEL 5

EPILOG

WYSTBACHER KURIER

6. Nequin.III 1000

Am heutigen Donnerstag, dem 6. Tage des dritten Nequins 1000, ereignete sich eine dramatische Begebenheit auf den Straßen unserer schönen Stadt. In den frühen Morgenstunden ebendieses milden Herbsttages wurden die Bewohner des Quarzbezirks in Aufruhr versetzt, als der Schall einer Explosion das Stadtviertel erschütterte und jedermann sofort aus dem Schlaf riss. Der Ursprung der Detonation lag in den Mauern der hochangesehenen Dracûl-Bank, deren Tresortür man mit Hilfe eines alchemistischen Sprengstoffes aus den Angeln gejagt hatte, um das hart erarbeitete Gold der anständigen Bürger dieser Stadt zu stehlen.

Daraufhin lud der bisher nicht identifizierte Räuber seine Beute auf eine kleine Kutsche und versuchte die Flucht aus der Stadt über das Tor von Messmer. Selbstverständlich stand unsere tüchtige Stadtwache sofort am Tatort zur Stelle und lieferte sich mit dem Übeltäter eine ereignisreiche Verfolgungsjagd. Während der Räuber auf seiner Flucht rücksichtslos Stände, Wagen und Zäune demolierte, gerieten ihm die tapferen Männer der Stadtwache immer näher auf die Fersen. Kurz bevor sie ihn jedoch erreichen und gefangen nehmen konnten, nutzte der Räuber Augenzeugen zufolge einen Zauber, um einen Torbogen über ihm zum Einsturz zu bringen, welcher der Stadtwache den Weg versperrte und ihm die Flucht ermöglichte.

Bis jetzt ist leider die wahre Identität des Schurken nicht geklärt, doch seine schandhafte Nutzung verbotener Magie lässt die Behörden umso tüchtiger auf Hochtouren arbeiten, um dem auf den Grund gehen zu können. Nach den heutigen Ereignissen sollte ein jeder anständige Bürger Wystbachs sich in Acht vor Magie praktizierenden Individuen nehmen und jeden Hinweis sofort an die Wache melden. Vielleicht ist diese Gesellschaft im Untergrund unserer Stadt doch gefährlicher als wir dachten.

KAPITEL 1

»Sie werden uns zum Schluss noch zu Fall bringen!«, donnerte Regent Helirus Goebellin und schlug kräftig auf die runde Tischplatte, sodass sein rabenschwarzer Ziegenbart aufgebracht umherwackelte und sein ebenso schwarzes, schulterlanges Haar wie ein Vorhang vors kantige Gesicht fiel. »Ja, umbringen werden sie uns alle! Jetzt haben sie es endgültig zu weit gebracht, Regent Wyonard, endgültig zu weit! Über Jahre hinweg haben wir die Existenz dieser Missgeburten akzeptiert, haben so getan, als würden sie einfach nicht existieren, und haben sie in den Untergründen unserer schönen Stadt unbehelligt ihr schmutziges Dasein führen lassen. Doch jetzt haben diese missgebildeten Kreaturen eine Schwelle überschritten, nach der selbst die Akzeptanz ihr entschiedenes Ende findet. Wir müssen handeln!«

Direkt neben ihm rückte Regent Benedikt Petrovit erschüttert seine violette Mitra zurecht, die ihm durch den Wutanfall seines Kollegen beinahe vom Kopf gefallen war, und spitzte dann seine dünnen Lippen. »Auch wenn der werte Regent Goebellin als Mitglied der Roten Partei nicht immer die Ansichten meiner Violetten Partei widerspiegelt und ich Euch garantieren kann, Regent Wyonard, dass sein Temperament einem Mann wie mir nicht im Geringsten zusagt, muss ich mich dennoch in dieser Sache wohl auf seine Seite stellen. Dieser Vorfall geht zu weit und übertritt die Grenzen der Toleranz und auch die der Akzeptanz. Selbst ein Mann wie meine Persönlichkeit kann nicht ahnen, wohin all das noch führen könnte. Möglicherweise selbst die Anomie! Wir müssen handeln, so wahr uns die Götter helfen.«

»Verzeiht mir die Unverfrorenheit, meine werten Herren, aber Eure Befürchtungen sind nichts weiter als übertriebene Hysterien.«

Als sie diesen Kommentar vernahmen, bliesen die zwei alten Regenten sich augenblicklich vor Entrüstung auf – ihre Köpfe färbten sich karminrot und sie begannen, in ihrem Stolz gekränkt, sich indigniert zu artikulieren. Regent Goebellin ballte vor Zorn die Fäuste, während Regent Petrovit sich mit einem entsetzten Ausdruck seines Gesichtes mit der Hand aufs Herz fuhr.

»Was erlaubt Ihr Euch eigentlich?«, prustete der Regent der Violetten Partei aufgebracht. »Fräulein Rosenberg, Ihr habt das Privileg, der Sitzung dieses Stadtrates beizuwohnen, das gibt Euch aber sicherlich nicht das Recht, uns Regenten so unverschämt ins Wort zu fallen. Wir sind hier ein Rat angesehener Männer, die sich nicht von einer jungen Dame wie Euch derart respektlos behandeln lassen.«

»Ihr habt dazusitzen und einfach nur zu schweigen«, fügte Regent Goebellin zornig hinzu. »Wir lassen uns hier von einem einfältigen Weib wie Euch nicht über unsere Einschätzungen belehren. Ihr seid Regent Wyonards Praktikantin, nicht mehr.«

Ein gereiztes Schnauben ertönte und die kleine Dame am anderen Ende des Tisches verschränkte verärgert die Arme vor dem straffen Stoff ihres kadmiumgrünen Gehrocks. »Verzeiht mir bitte die erneute Unverfrorenheit, meine werten Herren«, raunte Rosa Rosenberg. »Aber ich bin am Tisch dieses Stadtrats mehr als nur eine einfältige Praktikantin. Wie die werten Herren hoffentlich wissen, habe ich an der renommierten Akademie dieser Stadt studiert und promoviert – etwas, mit dem sich die beiden Herren mir hier gegenüber nicht rühmen können. Über mehrere Jahre hinweg war ich Abgeordnete des Stadtrats von Karrport und nun arbeite ich als Assistentin und Beraterin des ehrenwerten Regenten Randolph Wyonards von Wystbach. Ich bin sicher keine Praktikantin und dazu habe ich mit voller Gewissheit auch das Recht, das Wort in diesen Sitzungen zu ergreifen. Anstatt also darüber zu diskutieren, was ich in der Gegenwart der werten Herren zu tun oder zu lassen habe, sollten wir viel eher über die brenzlige Lage dieser Stadt debattieren. Es sei denn, ich stehe für die ehrenwerten Herren über dem Wohl der Bürger Wystbachs.« Sie lächelte unfreundlich und zwirbelte langsam an einer mahagoniroten Strähne ihres lockigen Haares. »Also, wie gesagt, Eure Befürchtungen sind reine Hysterie.«

Regent Petrovit prustete wieder empört. »Oh, die jugendliche Naivität! Aber ich werde Euch Eure Unwissenheit aufgrund Eures Alters verzeihen, Fräulein Rosenberg. Ihr lebt noch nicht lange genug, um verstehen zu können, was«, er zuckte verächtlich mit den Nasenflügeln, »Magie wirklich bedeutet. Also lasst es mich Euch erklären. Magie ist ein Begriff, den wir für jene Bereiche der Wissenschaft benutzen, die wir uns nicht erklären können. Sie ist wie jede andere erforschte der konventionellen Physik eine Energie, deren Potential jedem Objekt dieser Welt innewohnt. Was sie jedoch ganz eigen und extraordinär macht, ist die Tatsache, dass manche Individuen von Geburt an durch eine bisher unerklärliche Mutation die Gabe besitzen, diese Kräfte zu Teilen zu bändigen. Wenn Ihr also nun, liebes Fräulein Rosenberg, an Magie denkt, seht Ihr vor Eurem inneren Auge die Bilder ebendieser zauberhaften Wasserbändiger, dieser schicksalsdeutenden Wahrsager und dieser weisen Alchemisten. Ja, Ihr denkt an ein Handwerk, das sowohl Kunst als auch Wissenschaft ist, und für uns Sterbliche gar nicht zu begreifen ist. Doch Ihr liegt falsch, Fräulein Rosenberg. Diese Art der Magie entstammt entweder nur aus Märchen oder existiert bereits seit Ewigkeiten nicht mehr, da sie über den Verlauf vieler Jahrhunderte in Vergessenheit geraten ist. Was heute noch zum Spott der Götter von Blasphemisten, Heiden und Ketzern praktiziert wird, ist einzig schwarze Magie – Maleficium, wie sie in der Fachsprache genannt wird. Die schändliche Praxis, die der Welt innenwohnende Kraft der Magie nicht nach den Gesetzen der Natur und der Götter zu nutzen, sondern ebendiese Gesetze zu denaturieren und zu deformieren. Gestaltwandlerei, Nekromantie, Pyromantie, Blutmagie und Goëtie. Magie, die dafür genutzt wird, um anderen zu schaden – sie zu berauben, mit ihrem Verstand zu spielen oder sie schlichtweg umzubringen. Das sind Mächte, hinter denen nur die böse Dämonengöttin Malis stecken kann, da sie ihre Patronin ist.«

»Ich bin jung, Regent Petrovit, aber nicht ungebildet«, fiel ihm Rosa Rosenberg spitz ins Wort. »Während meines Studiums habe ich gelernt, was an der Wissenschaft der Magie Realität und was Aberglaube ist. Und man muss leider betonen, dass der Großteil davon tatsächlich in die Welt des Aberglaubens gehört. So etwas wie Telekinese, Nekromantie oder Gestaltwandlerei ist schlichtweg unmöglich und selbst die Existenz der theoretisch möglichen Praktiken ist teilweise umstritten. So sagt es zumindest der allgemeine wissenschaftliche Konsens. Doch egal was nun die tatsächliche Realität hier ist, diese Gemeinschaft ist mit Sicherheit keine feindselige. Das ist der wahre Aberglaube hier.«

»Nicht feindselig?!«, brüllte Regent Goebellin donnernd auf. »Nicht feindselig, sagt Ihr, Fräulein Rosenberg? Habt Ihr den Wystbacher Kurier heute gelesen? Seid Ihr im Laufe des heutigen Tages irgendwann einmal auf die Straßen des Quarzbezirks gegangen? Die ganze Stadt ist in Aufruhr, weil irgendein dahergelaufener Magier die wohl angesehenste Bank Wystbachs ausgeraubt hat. Er hat den Tresor in die Luft gesprengt und bei seiner Verfolgungsjagd mit der Stadtwache eine Spur aus Chaos und Zerstörung hinterlassen. Und jetzt wollt Ihr mir sagen, wertes Fräulein Rosenberg, seinesgleichen wäre nicht feindselig?«

Rosa Rosenberg verdrehte fauchend die Augen. »Ein einziges Individuum, Regent Goebellin! Das macht doch nicht gleich die gesamte Gemeinschaft feindselig. Nur weil ein einziger Magier ein Krimineller ist, könnt Ihr nicht gleich die ganze magische Gemeinschaft in einen Topf werfen! Nach dieser Logik wären wir ja alle Schurken. Und außerdem, ein paar Explosionen machen einen nicht gleich zum Magier. Der Kriminelle war wahrscheinlich einfach nur ein außerordentlich begabter Alchemist.«

»Oh, Fräulein Rosenberg«, brummte Goebellin mit einer aufgesetzten Grimasse der Bemitleidung. »Ist eine Bohne verdorben, dann verdirbt sie auch den ganzen restlichen Eintopf. Regent Petrovit hat Recht, diese Leute sind keine Zauberer, die faszinierende Wunder zum Wohle der Gesamtbevölkerung vollbringen, sondern böswillige Schwarzmagier, die nur Unheil anrichten. Was der werte Regent Petrovit jedoch übersehen hat, sind die wahren Motive dieser Gemeinschaft. Sie stehen nämlich nicht in den Diensten der Malis, sondern in denen einer ganz anderen Teufelsmacht, welche die Föderation der Pax zerstören möchte.«

»Jetzt werdet Ihr albern, Regent Goebellin«, schmunzelte Rosa Rosenberg. »Ihr meint doch nicht ernsthaft, das Königreich der Schneekrieger würde gemeinsam mit der magischen Gemeinschaft Wystbachs einen Plan schmieden, die Föderation der Pax zu stürzen? Das ist lächerlich!«

Goebellin funkelte sie böse an und schlug mit der Faust auf die Tischplatte. »Oh, spottet nur über mich, solange Ihr wollt, Fräulein Rosenberg. Doch es ist wahr! Wir stehen vor einem Krieg mit dem Königreich der Schneekrieger, das weiß jeder Bettler, aber sie werden uns militärisch nicht bezwingen können, da ihre Speere und Schwerter keine Chance gegen unser Schwarzpulver haben. Deswegen wird dieser hinterlistige Despot, Scorpion von Venoros, uns von innen heraus zerstören wollen und ein Bündnis mit der angeblich unterdrückten Gemeinschaft der Föderation käme ihm da geradezu gelegen. Der Angriff auf unser Bankwesen war der erste Schwertschlag, weitere werden folgen. Deswegen müssen wir ihnen zuvorkommen und sofort handeln!«

»Unsinn!«, schimpfte Rosa Rosenberg wieder gereizt. »Eine tatsächliche Gemeinschaft magischer Individuum gibt es einzig hier in Wystbach und in allen anderen Teilen Menorias – egal ob unter Pax oder Schneekriegern – wird mit dem kläglichen Rest auf die gleiche und verächtliche Manier wie überall sonst verkehrt. Pax und Schneekrieger sind für die magische Gemeinschaft also ein und dieselbe Münze. Sie würden sich niemals mit ihnen verbünden.«

»Aha!«, warf Regent Petrovit affektiert ein. »Wie erklärt Ihr Euch dann, liebes Fräulein Rosenberg, die kursierenden Gerüchte, dass die kriminelle Unterwelt unserer schönen Stadt von einem waschechten Nosferatu geführt wird? Ja, meine werten Herren und mein liebes Fräulein, die Kriminalität Wystbachs ist auf einen blutrünstigen Vampir zurückzuführen, der obendrein den Gerüchten zufolge derzeit auch noch einen Plan aushecken soll, von dem man sagt, dass er die Ordnungen der Welt für immer auf den Kopf stellen wird. Wenn das nicht nach einer Verschwörung klingt, dann sollen mich die Götter für mein Urteilsvermögen bestrafen! Wir haben also ein mächtiges Monster, das die Unterwelt kommandiert, und einen magischen Kriminellen, der eine für den Staat essenzielle Bank ausraubt. Ihr könnt mir doch beim besten Willen nicht darin widersprechen, dass es dazwischen eine Verbindung geben muss.«

Rosa Rosenberg tippte ungeduldig mit den Fingerspitzen auf der Tischplatte umher. »Gerüchte, Regent Petrovit!«, betonte sie. »Ihr könnt doch nicht das Getratsche des abergläubischen Volkes auf den Straßen ernst nehmen. Vampire gibt es keine östlich des Gebirges und selbst westlich davon ist ihre Existenz außerordentlich umstritten. Das sind Schaudergeschichten, die man sich zur Belustigung in Schenken und Kneipen erzählt, keine Fakten. Und was diesen alles verändernden Plan angeht, ist es wahrscheinlich auch nur ein Märchen, das die magische Gemeinschaft sich erzählt, um wenigstens ein wenig Hoffnung …«

»Genug!«, brüllte Regent Goebellin zornig und schlug nun mit beiden Fäusten auf die Tischplatte. »Ich habe die Schnauze gediegen voll davon, dass mir hier ein vorlautes Weibsbild die Leviten lesen möchte. Ihr seid keine Regentin, Fräulein Rosenberg, also habt Ihr in diesem Rat auch kein Mitbestimmungsrecht. Der werte Regent Randolph Wyonard ist unser Bürgermeister, er hat zu entscheiden, nicht seine verzogene Praktikantin.« Er wandte sich an den dicken, alten Mann zu Rosas Rechten, der bisher nur aufmerksam der Debatte gelauscht hatte, ohne sich jedoch daran zu beteiligen. »Regent Wyonard, was ist Eure Ansicht? Die magische Gemeinschaft wagt einen Angriff auf unser Finanzsystem und ist möglicherweise zu noch mehr im Begriff. Werdet Ihr tatenlos dabei zusehen oder werdet Ihr wie ein echter Politiker handeln?«

Regent Randolph Wyonard, der Bürgermeister von Wystbach, nahm die Hand von seinem runden Doppelkinn, entfernte sorgsam die goldene Halbmondbrille von seiner knolligen Nase und rieb sich tiefsinnig die trockenen Augen. »Meine werten Herren und meine hochgeschätzte Rosamund«, sprach er in seiner gewohnt autoritären und zugleich besinnlichen Stimmlage. »Ich habe Eurer Diskussion nun lange genug zugehört und bin zu dem Schluss gelangt, dass wir uns hier in einem moralischen Dilemma befinden. Es könnte natürlich durchaus sein, dass dieser Bankräuber nur ein abtrünniger Magier war, der durch Kriminalität allein sich selbst bereichert und mit dem Rest der magischen Gemeinschaft nichts am Hut hat. Andererseits dürfen wir es jedoch auch nicht ausschließen, dass dahinter das erste Anzeichen einer Verschwörung gegen die Föderation der Pax steckt. Als Regent dieser Stadt und demokratisch gewählter Repräsentant des Volkes der Pax – magischer und nicht-magischer Angehörigkeit – muss ich eine Entscheidung im Sinne der Vernunft treffen, die zum Wohle aller führt.«

»Dann müssen wir eben ein Exempel statuieren!«, schlug Goebellin überzeugt vor. »Die meisten von ihnen treiben sich auf dem Rebenbuckel rum, da dieser der ärmste Bezirk Wystbachs ist. Es gibt dort geheime Orte, wo sie sich immer mal wieder treffen, mit ein bisschen Nachforschung sollten diese ausfindig gemacht werden können. Schicken wir ein paar Männer der Stadtwache dorthin, die sorgen ein wenig für Aufruhr und nehmen ein paar Leute fest. Damit zeigen wir, wer hier in Wystbach an der Macht ist und gegen wen man sich besser nicht auflehnen sollte – und all das ohne Blutvergießen.«

»Damit entschärft Ihr die Lage nicht im Geringsten«, widersprach Rosa Rosenberg ihm sogleich. »Sondern schüttet nur Öl ins Feuer. Wenn Ihr eine Razzia veranstaltet und dabei Unschuldige verprügelt und verhaftet, gebt Ihr dieser magischen Gemeinschaft nur noch einen Grund mehr, uns als ihre Feinde zu sehen. Langsam habe ich das Gefühl, Regent Goebellin, Ihr wollt sie gegen uns aufbringen, damit Ihr in Eurer fanatischen Intoleranz eine Rechtfertigung dafür habt, sie gemeinsam mit Euren Genossen bei der Militia Inquisitionis allesamt niederzuschlachten und damit ein für alle Mal die Straßen Wystbachs von ihnen zu reinigen.«

»Genug, genug, meine liebe Rosamund«, sprach der alte Wyonard beschwichtigend und legte seine Hand sachte auf die Schulter der aufgebrachten Dame. »Wir dürfen hier nicht gleich unser Temperament verlieren. Damit das klar ist, meine werten Herren, ich bin entschieden gegen eine gewaltsame Razzia auf dem Rebenbuckel. Pogrome führen hier zu keiner Lösung, sondern verkomplizieren die Situation nur.«