der Garten - Anja Hilling - E-Book

der Garten E-Book

Anja Hilling

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Beschreibung

Der legendäre Rockstar Sam Embers feiert in der Berliner Wuhlheide sein Comeback. Antonia, allzu routinierte Musikredakteurin und Sprachkünstlerin, mit Ach und Krach noch als jung zu bezeichnen, ist zugegen. Im Konzert reißt es Antonia aus ihrer distanzierten Sicht auf die Dinge. Wie vom Blitz getroffen, vergisst sie das Analysieren und gibt sich der Begeisterung, dem Augenblick hin. Magnetisch angezogen von dem Star der Artrockszene, der anders ist und etwas zu verstehen scheint vom Dialog mit dem Universum. Embers sucht eine Gärtnerin, Antonia heuert an, bricht mit ihrem schicken, langweiligen, ironieverseuchten Leben und lässt Freund und Dachgeschoss hinter sich.Wolfgang und Georg, die Polizeibeamten, die Antonia später im Garten finden, bewältigen melancholisch den Spagat zwischen Philosophie und Spurensicherung. Und dazwischen lässt Anja Hilling Blumen sprechen. Sie heißen Darjeeling Red, Beauty of Livermere und New Dawn und pflegen eine elegante Gelassenheit. Das Leiden der Großstädter an sich selbst und am körperlichen Verfall kommentieren sie klug und ein bisschen maliziös. Ihnen liegt das Wachsen und Vergehen schließlich im Blut. Keine Angst vor einem hässlichen Ende. Sie sind der Chor, die Zuschauer, die Interpreten und werden noch da sein, wenn die Natur Oberhand gewinnt und alles auf Anfang geht. Vielleicht. Anja Hilling schreibt ein komplexes Stück über Großstädter, die "zum Glück zu klug" sind, über ihre Denkbewegungen und die Suche nach Auswegen aus ihrer stillgelegten Existenz. Mit feinem schwarzem Humor, messerscharfen Bildern und einem reichen, sprachlichen Register erfasst Hilling den Gedankenapparat der Figuren. Und stellt dagegen das wilde Sprießen und die pralle Selbstgewissheit der Pflanzen, die auf der Seite der Ewigkeit stehen. der Garten folgt dabei dem klassischen Aufbau der Tragödie.

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Anja Hilling

Der Garten

FELIX BLOCH ERBEN

Verlag für Bühne, Film und Funk

Inhaltsverzeichnis

Title Page

Zitat

die Leute

der Garten

Die Explosion

I. Akt: Tod

1. Warten dass die Party beginnt

2. der Garten

3. Die Beamten

4. Der Garten

5. Wuhlheide

6. Die Beamten

II. Akt: Ironie

1. Wuhlheide

2. Die Beamten

3. der Garten

4. die Beamten

5. Interview

6. die Beamten

III. Akt: Sterblichkeit

1. Liebe (Dachgeschoss)

2. Geborgenheit (Redaktion)

3. Fleisch (Philharmonie)

4. Wuhlheide

5. Freundschaft (Friseur)

IV. Akt: Abschied

1. Wuhlheide

2. die Beamten

3. Edith (mobil I)

4. Henriette (mobil II)

5. Martin (mobil III)

V. Akt: Party

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6:07

6:09

Vierundzwanzig Stunden nach der Explosion

Über die Autorin

Über das Stück

Impressum

„Der Aufruhr macht umsonst mir meine Fenster beben:Er wird mir nicht die Stirn von diesem Pulte heben“

Baudelaire„Die Blumen des Bösen“

die Leute

sind keine festen Größen, sie führen sich nur so auf, sie leben jetzt und irgendwo in der Nähe, in der gleichen Epoche, im gleichen Jahrhundert, im gleichen Land, im gleichen Irrsinn, sie existieren im fetten Bereich, zum Glück zu klug. Sie sind im Hirn zuhause, gewohnt, die Dinge scheiße zu finden. Ihr Blick endet Millimeter bevor etwas Wahres beginnt, und Erkenntnis ist der Saft, den sie aus ihrem Kopf rauspressen. Sie sind irgendwo in ihren Dreißigern, kommen klar hier. Wenn sie frieren nehmen sie den Laptop direkt auf den Schoß, wenn sie nachts aufwachen, bauen sie die Festplatte aus, und wenn sie verrückt werden, hängen sie die Tischordnung für ihre Trauerfeier an die Pinnwand. Ihr Unglück ist ein Tier aus anderen Zeiten, größer als sie selbst und nicht leicht zu fassen. Sie zählen die Stunden, lieben den Alkohol, die Traurigkeit und die Momente des Beifalls, sie sind von sich selbst besessen und sehnen sich nach einem anderen Menschen, der sie erkennt, nicht erlöst. Sie fürchten den Zenit des Körpers, die Tiefe der Linien, das Leuchten der Kopfhaut, Vorsorgeuntersuchungen und noch härtere Fotos, sie haben Angst vor dem Ende, wünschen sich eine unsterbliche Berührung und einen Gedanken, der von fremden Lippen in ihre Venen knallt, so unverhofft und direkt wie ein Rattenbiss, aber die Sprache, die sie verwenden, ist indirekt, vertraut und zugeschissen mit der Hoffnung, von vorne beginnen zu können:

Antonia

Musikredakteurin

Sam Embers

Rockstar

Martin

Student, Antonias Freund

Edith

Friseurin, Antonias Freundin

Henriette

Herausgeberin, Antonias Chefin

Phillip und Sven

Antonias Kollegen

Wolfgang und Georg

Polizeibeamte

der Garten

ist anders, ein Kind, reich und verwahrlost, von Menschen angelegt und dazu geschaffen, sie zu überwuchern, hier wachsen Farben, die nichts mit Wasser zu tun haben, mit Sehnsucht oder Dünger, Blätter, die sich höher aufrichten als ein weiblicher Rumpf. Es gibt Blüten hier in Form eines Auges, in dem Moment, in dem es erstarrt im Angesicht eines Gottes. Blumen, sie vegetieren hier und überall, ihr Leuchten ist nicht ortsgebunden, ihre Schönheit kein persönliches Dilemma und ihr Sterben kein Drama. Sie pressen ihren Körper aus Eisengerüsten, schießen ihr Licht aus Teerplatten, blühen auf, kurz, spektakulär, in unendlicher Wiederholung, tauschen Sauerstoff an erstickenden Plätzen, in Büros, Flaschenhälsen, Konzerthallen. Fluten ihren Saft in jedes menschliches Hirn, das gerade noch in voller Blüte stand. Es sind nur Blumen, ihr Duft bleibt unerreicht, ihre Gnade endlich. Der Garten ist nur ein zufälliger Ort, und das sind nur beispielhafte Vertreter:

Darjeeling Redein Teppichknöterich, zum Bodendecker berufen, wütet klug von unten dank einer schnellen, nicht aufzuhaltenden Ausbreitung einer Matte in Purpurähren.Mont Blanc und Silver Cupzwei Bechermalven, sie blühen zerschmettert wie Porzellan, nehmen alles in sich auf mit einem bodenständigen, etwas arroganten Charme, die eine im rauem Weiß, die andere im leuchtendem Rosa.Albaein Sonnenhut und absoluter Insektenmagnet, der seine cremeweißen Fächer in strahlenförmiger Blüte mit bajuwarischer Tonart auf einem ein Meter hohen Stiel ausbreitet.Helen Campbelleine Spinnenblume mit herausragenden Staubfäden, weiß, weit, ein bisschen betrunken und gierig nach Licht.S. Arnotteine orange gefüllte Dahlie, die schnell wächst und trocken sprüht, sie begehrt die Sonne und fürchtet alles was feucht ist, Erde, Schnecken, Hände.Corkyeine Taglilie, blüht entgegen ihres ängstlichen Inneren in Trompetenform in tausendfacher Entfaltung, hellgelb, sekündlich, erstaunlich, bis der Tag sich neigt, dann ist die Angst besiegt und das aufsehenerregende Leben dieser Lilie auch schon wieder vorbei.Bicolor und Newry Bluezwei Eisenhüte, Solitärstauden, die eine blau-weiß, die andere blau-lila, ihre Blüten sind helmförmig, ziemlich giftig, aber zartfühlend in der Kommunikation, und ihr Laub glänzt dunkelgrün.Beauty of Livermereein feuerroter türkischer Mohn, eine dekorative Schönheit, wild in den Wurzeln, in der Mitte der Blüte dunkel gezeichnet, an den Fiederblättern silber behaart.New Dawn und Sympathiezwei Kletterrosen, rosa und rot gefüllte Climber mit starkem Duft und einer Gestalt, die die menschliche Durchschnittshöhe um ein Doppeltes überragt.

Die Explosion

des Gartens im Zentrum der Leute ist kein Zufall, sie kann als einfache physikalische Reaktion definiert werden, die ziemlich überfällige Plattenverschiebung von Welt und Seele ausgelöst durch einen scheinbar unmöglichen Kontakt. Zwei abgefuckt entfernte Seelen, ein Rockstar und eine Konzertkritikerin. Ihre Umarmung ist ein durstiger Spaß der Natur, die ihr Comeback feiert in den Splittern der menschlichen Brust. Es ist alles möglich, und die Geduld verblüht.

Helen CampbellEine was.Mont BlancEine KritikerinAlbaSchwitzende Zunge. Vergessene Haut.Darjeeling RedDie unantastbare NäheZum Spektakel der Seele.AlbaDie Schlacht der SchönheitUnter dem abgebrühten Geist.Helen CampbellSagt mir nichts.Darjeeling RedIhr besonderes Talent ist im Moment der BegeisterungEinen Schritt zurückzutreten.Und den Schrei der Andern in Worte zu fassen.Helen CampbellWarum.AlbaDas ist ihr Job.Mont BlancAber dann hat sie ihn vergessen.Den wesentlichen Schritt. Ins Studio der GedankenUnd ist hängengeblieben. Im Garten der Euphorie.Helen CampbellHier.Darjeeling RedGenau hier.AlbaFucking flowers.Mont BlancDie Frau tut was sie kann.Überlegt genau.Denkt laut.Sie braucht Worte die in Kälte brennenFür eine Welt die kein Mensch ertragen kann.Darjeeling RedAber die Worte sind wild wenn sie sich nähernHeimatlose SportsgeisterAuf ewiger JagdDen Himmel der Gedanken zu öffnenFür den Flug der Seele.AlbaDas irrsinnige KunststückEine hundertjährige Baumwurzel zu reißenMit einer Buchstabenkombination.Helen CampbellWitzig.DarjeelingJa. Wenn man bedenkt dass alles erlischtIn dem Moment da die Wurzel kommtUnd man kapiert was man wirklich ist.Mont BlancBlütenstaub im Licht.Der sich. Wenn der Körper endet. Und mit ihm die GedankenNoch einmal sammelt in diesem dekadenten Garten.AlbaDer endlich explodiertUnd das Herz zerreißt in formloser Zärtlichkeit.Helen CampbellTodesursache.AlbaZu viel Begeisterung.Helen CampbellUnd. War sie wenigstens erfolgreich.Als Kritikerin.Darjeeling RedBist du völlig vertrocknet.Die Frau hat Zeilen geschriebenDie schärfer warenAls der Augenaufschlag einer AnemoneAm Ende der Nacht.

I. Akt: Tod

1. Warten dass die Party beginnt

Auszug aus einer Konzertkritik

Gestern. Freunde des Artrocks.Bin nicht ich zur Natur.Ist die Natur zu mir zurückgekehrt.Der Himmel war verhangenÜber den Tritonus Intervallen der WuhlheideIn die sich Sam Embers zu einem eiskalten Comeback niederließ.Geharft wurde. Soviel sei verraten.Bis zur endogenen Entbindung einer TrompetenlilieDie mit kühlen Lasern an die Wand gemalt wurdeUnd mit einer sphärischen Phasenverschiebung der UkuleleÜber den Köpfen des Publikums erstarb.In meinen Nerven trieben sich Engel rumMitten im AugustÜber die vereisten Flugbahnen der Gitarrensoli.In meinen Lenden krümmte sich frierendDie Ouvertüre eines weidwunden Kinderchors.Hinter meiner Stirn dröhnte eine OrgelIhr ätherisches Versprechen einer Wiedergeburt.Die Wahrheit ist ein Witz.Schlechtes Timing.Mein Herz z. B. ist zum Anhimmeln geschaffenUnd der Gott den es anpumpt kurz vorm Absprung.Aber ich schwöre.Auf das Mammakarzinom meiner Chefredakteurin.Ich bin auf die Knie gefallenHabe geblutet gefroren und geweint.Als wär ich ein KindUnd würde nicht am WochenendeIn meinen Fünfunddreißigsten reinfeiern.

SvenIst mir zu auserzählt. Die Frostallegorie.HenrietteIch bring das in der Herbstausgabe.SvenDu hast ja auch total den Überblick verloren.HenrietteHammerstrauß.SvenTut das eigentlich weh. Die Brustprothese.HenrietteJetzt wo du s sagst.

CorkySie meinen es nicht persönlichSie interessieren sich nicht mal füreinanderSie schätzen sich fachlich. Ihre radikalste Idee von Liebe.Kollegen.Eine persönliche Entgleisung bleibt ein SchreiDen man formulieren sollte solange er frisch ist. Sie hängen im Raum. Warten dass die Party beginnt.Sie sind die ersten. Das kann man schon mal ertragen. Sven zum Beispiel hat hellgelbe Lilien gekauft.Und wirft sie auf die Couch. Seine Wimpern zittern länger als Chinaschilf.Und seine Haare sind. Als offensive Attacke Gegen die natürlichen Prozesse des VerwelkensEisgrau gefärbt.Er gibt seiner Chefin Feuer.Sie trägt ihre Augen wie Nüsse Und ihr Pony erinnert an die Farbe der Lilien.Henriette.Nachdem ihre linke Brust Einem Titanersatz weichen mussteIst sie nicht mehr die die sie mal gewesen ist. Mit dem Materialaustausch Geriet. Alles. Aus dem Gleichgewicht.Ein Zwinkern gilt jetzt als Flirtversuch.