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Bruno schreibt Dialoge für eine Fernsehserie, "Tränenheim", seit vier Jahren, mit Erfolg, aber ohne Leidenschaft. So ist fast alles in seinem Leben – seine Ehe mit Paula läuft schon lange auf Sparflamme, aber die Affäre mit seiner Assistentin Sybille ist auch nur sowas wie die Ahnung von der großen Liebe. Seinem Chef vom Produktionsbüro würde er gern mal so richtig die Meinung sagen, traut sich aber nicht, und von den Träumen seines achtjährigen Sohnes Zippo hat er auch nur einen blassen Schimmer. Zu Hause sitzt Paula, seine Frau, während er mit Sybille auf dem Rummel Bären schießt. Paula wartet auf Zippo, vor seinem unberührten Käsebrot. Sie weiß, dass er eigentlich viel lieber Brezeln isst und dafür auch schon mal an ihr Kleingeld geht. Sie weiß, er denkt, sie merkt es nicht. Wie Bruno. Aber heute ist es anders, heute ist sie unruhig, vielleicht liegt es auch an den seltsamen Nachrichten aus dem Radio. Wenn du dir Brezeln kaufst, kannst du was erleben, das waren ihre letzten Worte. Als wär das ein Verbrechen, wenn man Brezeln mag. Melanie und Coco sind ein Paar, sogar ein ganz glückliches, bis Cocos drängender Kinderwunsch die Beziehung zerstört. Als Melanie in ihrem Audi dem werdenden Mutterglück entflieht, überfährt sie aus Versehen ein Kind – Zippo, mit einer Tüte Brezeln in der Hand. Schicksal? Das Leben kann so schön sein wie im Film, aber die Realität ist oft trauriger als jede Fernsehserie. Mit Verlust und Trauer kann man lernen umzugehen, oder auch nicht. Für den einen hängt das Glück an einem Schlüssel, der andere sucht danach im Regenwald, ein anderer findet einen Neuanfang in sieben falsch adressierten Kisten. Anja Hillings Stück ist vielschichtig, traurig und poetisch, und dabei immer auch ein bisschen heiter.
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Seitenzahl: 62
Anja Hilling
Monsun
Ein Stück in fünf Akten
FELIX BLOCH ERBEN
Verlag für Bühne, Film und Funk
Inhaltsverzeichnis
Title Page
PERSONENVERZEICHNIS
INTRO
1. AKT (Der Stand der Dinge)
I.
II.
III.
IV.
V.
VI.
VII.
VIII.
2. AKT (Der Wunsch, im Sand zu liegen unter freiem Himmel)
I.
II.
III.
IV.
V.
VI.
VII.
VIII.
3. AKT (Das Kommen und das Gehen, und das, was bleibt, ist ein Fleck)
I.
II.
III.
IV.
V.
VI.
VII.
VIII.
IX.
4. AKT (Das Ende des Sommers, so heiß und so finster)
I.
II.
III.
IV.
V.
VI.
VII.
VIII.
IX.
X.
XI.
5. AKT (Das Fletschen der Welt beim Weiterdrehen)
I.
II.
III.
IV.
V.
VI.
VI.
VII.
VIII.
IX.
X.
XI.
Über die Autorin
Über das Stück
Impressum
Paula Bruno SybilleCocoMelanieund die Stimme einer Radiosprecherin
KULISSEN
Die Zimmer von Wohnungen in Berlin, ein Audi, eine Backstube, ein Volksfest, ein Krankenbett, ein Café, ein Haus an der Ostsee, Stufen zum Strand, der Strand, die Straßen von Brandenburg, ein Kajak im Wasser, ein Moos, ein Hausflur, eine Hütte in Vietnam in den Bergen ...
DIE POPSONGS AUS DEM RADIO
„Dream a little dream of me“ von the Mamas and Papas„Purple Rain” von Prince„Something stupid” von Frank Sinatra„Candy” von Iggy Pop„Take another little piece of my heart” von Janis Joplin
Alles beginnt im Dunklen. Ein Radiointerview feiert das vierjährige Überleben einer Fernsehserie.
Stimme der RadiosprecherinZwei Mädchen. Sagen wir Frauen.Die sind ja auch nicht jünger geworden.Zwei Schwestern.Sie haben alles verloren.Die Eltern die Freude am Leben die Zukunft.Alles.Die armen Schweine.Nur sich.Sich haben sie noch.Brunos StimmeUnd das Haus.Stimme der RadiosprecherinDas Haus gibt s auch noch.Brunos StimmeJa.Stimme der RadiosprecherinDaher der Titel.Brunos StimmeSagen Sie s nicht. Stimme der RadiosprecherinTränenheim.Brunos StimmeIch kann s nicht mehr hören.Stimme der RadiosprecherinAber der Titel.Der ist schon.Brunos StimmeAlso ich hab mir den Scheiß nicht ausgedacht.Stimme der RadiosprecherinBruno.Ich darf Ihnen heute zum vierjährigen Jubiläum Ihrer Serie gratulieren.Brunos StimmeIch schreib nur die Dialoge.Und selbst die.Mal ehrlich. Vielleicht sollten Sie besser mit meiner Assistentin sprechen.Stimme der RadiosprecherinSybille.Brunos StimmeSybille.Stimme der RadiosprecherinVier Jahre. Bruno.Und die Schwestern sind immer noch traurig.Brunos StimmeWenn die lachen kann ich einpacken.Stimme der RadiosprecherinUnd ich.Brunos StimmeSie.Stimme der RadiosprecherinIch hab so was nie gehabt.Schwestern Haus Familie und so was.Können Sie mir das erklären. Wieso ich immer wieder Montag bis FreitagPünktlich um sechsSo wahnsinnig gut draufkomm.Brunos StimmeAlso Sie müssen mir nicht erzählen was für einen Scheiß ich da mache.Stimme der RadiosprecherinMeine Laune steigt schon bei der Titelmelodie.Brunos StimmeIch bin da so reingerutscht.Ins Vorabendprogramm.Glauben Sie ich hab keine Visionen.Ideen.Themen für die große Leinwand.Klar hab ich die.Familie hab ich Frau und Kind.Da springt man nicht einfach ins kalte Wasser der Filmindustrie.Stimme der RadiosprecherinIch hab s Ihnen gesagt.Brunos StimmeWas.Stimme der RadiosprecherinDass ich so was nicht hab.Familie und so was.Brunos StimmeSo kann man doch kein Interview führen.Stimme der RadiosprecherinIch mach meinen Job.Sie Ihren.Brunos StimmeSie machen ihn Scheiße Ihren Job.Stimme der RadiosprecherinSie machen Ihren gut. Ziemlich. Wirklich.Brunos StimmeJetzt reicht s aber.Stimme der RadiosprecherinGut.Brunos StimmeWas. Gut.Stimme der RadiosprecherinDie Zeit ist um.
Schweigen.
Stimme der RadiosprecherinGlückwunsch noch mal.Brunos StimmeZu was.Stimme der RadiosprecherinZu Ihrem Jubiläum.
Ein Radiosong. The Mamas and Papas singen „Dream a little dream of me”.Licht.
In der Küche. „Dream a little dream of me” leise aus dem Radio. Paula sitzt auf einem Stuhl. Mit Jacke, aber ohne Absicht, das Haus zu verlassen. Sie starrt. Ein Käsebrot auf dem Tisch. Das starrt sie an. Sie sieht genau. Das Brot ist zusammengeklappt. Es liegt auf einer Plastikfolie. Sie sieht Kondensbläschen. Sie sieht die Butter, die aus den Löchern im Teig quillt. Sie sieht, dass der Käse sich wellt am Rand. Die Farbe vom Käse könnte auch eine Haarfarbe sein. Manchmal zuckt Paulas Arm. Aber er berührt das Brot nicht, der Arm. Er hängt wieder runter. Schlaff.
PaulaKeine Brezeln.Wenn du dir Brezeln kaufst kannst du was erleben.
Die Musik wird lauter. Einfach so. Paula sieht zum Radio. Sie will aufstehen. Das Radio ausschalten. Sie bleibt sitzen. Sie starrt das Käsebrot an.
In der Bäckerei. Das Radio plätschert auch hier sein leises Lied. Coco steht vorm Ofen. Sie trägt eine weiße Schürze. Ihre Hände sind mehlig. Ihr Haar auch. Sie sieht Brezeln größer werden hinter Glas. Dunkler. Sie steigt auf einen Hocker. Ihr Bauch ist auf Höhe des Sichtfensters. Hier ist es heiß. Man könnte in den Tropen sein. Nur riecht es da anders. Coco wischt die mehligen Hände am Bauch ab. An der Schürze. Sie wischt rhythmisch. Als wär das ein Instrument, kein Bauch.
CocoWenn du sechs bist oder sieben. Zeig ich dir was.Ich zeig dir wie man mit einer Hand einen Knoten in eine Brezel macht.
In der Küche. Die Situation ist unverändert. Paula starrt das Käsebrot an. Aus dem Radio Nachrichten. Laut. Die Welt ist im Arsch, ein dänischer Prinz zu Besuch in Berlin, das Wetter. Es ist Sommer. Es ist heiß. Draußen ist Sonne. Paula geht das alles nichts an. Sie bleibt sitzen. Die Verkehrsmeldungen.
Stimme der RadiosprecherinDer Kottbusser Damm ist einseitig in Richtung Kottbusser Tor gesperrt. Rien ne va plus. Grund ist ein Verkehrsunfall mit tödlichem Ausgang. Bitte putzen Sie.
Ein leises Lachen der Radiosprecherin
Bitte benutzen Sie die ausgeschilderten Umleitungen.
Das Radio will Musik spielen. Paula steht auf. Sie schaltet das Radio aus.
Stille.
PaulaPutzen Sie die Umleitungen.
Sie setzt sich wieder. Starrt das Käsebrot an. Sie streckt den Arm. Nimmt das Brot in die Hand.
Sie beißt rein.
PaulaZippo.
Im Audi. Melanie fährt. Sie trägt eine Brille. Sie trägt die Brille nur zum Autofahren. Sie stört. Melanie verrutscht das Gestell mit der Hand. Sie ist kurz davor, die Brille abzunehmen. Sie lässt sie auf. Sie sieht nach vorn. Auf die Straße. Blind greift sie ins Handschuhfach. Sie hält einen Gegenstand in der Hand. Es ist ein Diktiergerät. Sie schaltet es ein. Sagt nichts. Atmet. Spricht.
MelanieCoco. Meine Liebe.
Sie stellt das Gerät aus. Spult zurück. Schaltet es wieder ein.
MelanieMeine liebe Coco. Ich bin weg. Ich weiß. Das ist nicht der richtige Zeitpunkt.Ich bin. Wie soll ich sagen.Ich werd nach Vietnam gehen in die Berge im Norden.Für eine Dokumentation.Für einen Monat.Die Ostsee na ja. Vielleicht findest du jemand anderen.Der mit dir fährt.Scheiße.
Sie stellt das Gerät aus. Spult zurück. Schaltet es wieder ein.
MelanieMeine liebe Coco. Wunder dich nicht wo meine Zahnbürste ist. Sie ist weg.Mein Shampoo auch.Ich bin weg.Den Toaster kannst du behalten. Was soll ich mit zwei Toastern.Es tut mir Leid.Das hat nichts mit dir zu tun.
Pause.
Nur mit mir.Ich kann das nicht mehr ich ertrag das nicht mehr.Gestern war das neunte. Coco. Das neunte Mal.Neun mal hab ich irgendein Sperma in dich reingepumpt.Das war s.Ich pump nicht mehr.Das hat uns kaputtgekriegt bevor s da war.Das verfluchte Kind.