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Österreich im Mittelalter: In Eselsdorf taucht eines Tages ein fremder Junge auf, der über geheimnisvolle Kräfte verfügt. Er gibt sich den Jugendlichen des Dorfes als ein Neffe Satans zu erkennen, und mit seiner Ankunft häufen sich seltsame Ereignisse. Doch was er dem jungen Theodor, der zu seinem besten Freund wird, über die Welt und den Sinn des Lebens zu berichten hat, ist voller Tiefe und Weisheit.
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Seitenzahl: 206
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Mark Twain
Der geheimnisvolle Fremde
Die Abenteuer des jungen Satan
Dieses ebook wurde erstellt bei
Inhaltsverzeichnis
Titel
Vorwort des Übersetzers
Kapitel I
Kapitel II
Kapitel III
Kapitel IV
Kapitel V
Kapitel VI
Kapitel VII
Kapitel VIII
Kapitel IX
Kapitel X
Kapitel XI
Der Autor / Der Übersetzer
Impressum neobooks
Die meisten von uns denken, wenn sie den Namen Mark Twain hören, an die Abenteuer von Tom Sawyer und Huckleberry Finn – Meisterwerke der amerikanischen Literatur, ohne jeden Zweifel, doch dass sie nur einen kleinen Teil des mehrere tausend Seiten umfassenden Gesamtwerks des Autors ausmachen, ist weithin unbekannt. So kennen in Deutschland nur die wenigsten Twains Short Storys, seine köstlichen satirischen Essays, seine ureigene Version der Paradiesgeschichte – und auch nicht dieses Buch.
Der geheimnisvolle Fremde ist eins der Spätwerke des Schriftstellers, und es ist anders als alles, was Mark Twain im Laufe seines 74-jährigen Lebens geschrieben hat. Die Story, die der Autor in einem österreichischen Dorf ansiedelte, in den finsteren Zeiten des Mittelalters, spielt in der Erlebniswelt dreier Jungen, die eine seltsame Freundschaft mit einem etwa gleichaltrigen Jungen schließen, der nicht zur Dorfgemeinschaft gehört, und dessen Einfluss ihr Leben und ihre Welt nachhaltig und für alle Zeiten verändert.
Ein Jugendbuch? Nun, Jugendlichen wird die spannende Handlung gefallen, Erwachsene jedoch werden überwältigt sein von einem Werk, das in seiner Lebensweisheit der Bibel oder Bhagavad Gita gleichkommt. Dieser fremde Junge namens Satan ist keineswegs ein böses Wesen; er ähnelt eher dem Lichtbringer Luzifer, der ja nichts anderes ist als eine Version von Prometheus, der den Göttern einst das Feuer stahl und es den Menschen brachte – eine Metapher für das Weitergeben von Weisheit.
Ein satanistisches Buch also? Mitnichten. Aber auch kein Buch, das sich den Dogmen der großen westlichen Weltreligionen anschließt. Im Gegensatz zu Christentum, Judentum oder Islam vertritt es eine deterministische, ja oftmals fatalistische wie auch non-dualistische Weltsicht. Das Buch ist ein Denkspiel, ein Ausflug in eine Interpretationsweise der Weltgeschehnisse, die dem abendländisch geprägten Menschen weithin fremd ist – und gerade aus diesem Grund an vielen Stellen so überraschend, dass sie den Leser entweder kopfschüttelnd oder mit tausend Aha-Erlebnissen zurücklässt.
An vielen Stellen mag man die Handlung als grausam empfinden – aber ist die Welt, in der wir leben, nicht oft genug grausam? Zwischen der Frage nach dem Warum und der meist vagen Antwort der etablierten Religionen findet Twain einen Mittelweg, der aufklärt, aber auch verschreckt, der enthüllt, aber auch desillusioniert. Wer das Buch einmal gelesen hat, wird es immer wieder zur Hand nehmen, um Vergleiche zu seinem eigenen Leben zu ziehen und den tieferen Sinn von Ereignissen zu enträtseln, die ohne diese Lebensexegese auf ewig ein Mysterium geblieben wären.
Nach dem typisch schnoddrigen Schreibstil von Mark Twain wird der Leser hier übrigens vergeblich suchen. Auch wenn das Buch erst 1910 fertiggestellt und posthum 1916 veröffentlicht wurde, so spielt es dennoch im Jahre 1590 in einer Atmosphäre, die Twain auch in sprachlicher Hinsicht einzufangen versuchte. Übrigens existierten von dem Werk unterschiedliche Versionen – die hier vorliegende ist die verbreitetste, und wir haben sie in ungekürzter Form wiedergegeben und auf alle Schönungen und politisch korrekten Anpassungen, wie sie in den Neuauflagen älterer literarischer Werke leider immer mehr zur Unsitte werden, tunlichst verzichtet.
Mark Twain war in seiner Jugend bekanntlich ein Heißsporn, ein übermutiger Schiffsjunge, der sich gern prügelte, viele Affären mit Frauen hatte und sogar einmal so bankrott war, dass er nicht mehr wusste, wovon er den nächsten Tag in seinem Leben bestreiten sollte. Doch ist er dadurch nicht der beste Beweis dafür, dass Weisheit nicht in Studierzimmern entsteht, sondern dort, wo die rauen Winde des Lebens wehen?
Lassen Sie sich also von dem geheimnisvollen Fremden an die Hand nehmen und staunen Sie gemeinsam mit dem jungen Theodor über die Wunder des Universums.
Münchberg, im Oktober 2012
Oliver Fehn
Es war 1590 – im Winter. Österreich, weit abgeschieden von der Welt, lag in tiefem Schlummer. Hier herrschte noch immer das Mittelalter, und es sah aus, als solle das für immer so bleiben. Manche wähnten das Land sogar noch um ein paar Jahrhunderte weiter zurück und sagten, die geistigen und geistlichen Uhren in Österreich würden noch immer das Zeitalter des Glaubens anzeigen. Aber sie meinten es als Kompliment, nicht als Verunglimpfung, und so wurde es auch aufgefasst, und alle waren wir stolz darauf. Ich erinnere mich gut daran, obwohl ich damals noch ein Junge war, und ich weiß auch noch, mit welcher Freude es mich erfüllte.
Ja, Österreich lag weit entfernt, lag in tiefem Schlummer, und da unser Dorf mitten in Österreich lag, befand es sich ebenfalls inmitten dieses Schlummers. Es döste friedlich vor sich hin, unberührt in seiner Berg- und Waldeinsamkeit, in der nur selten Nachrichten aus der Welt da draußen seine Träume störten, und war unendlich zufrieden. Ganz vorne floss der endlose Strom, dessen Oberfläche bemalt war mit Wolkenformationen und den Spiegelbildern vorbeitreibender Archen und Steinboote; dahinter führten bewaldete Stufen hinauf zum Grund des erhabenen Felshangs. Vom Gipfel schielte ein gewaltiges Schloss herab, dessen lange Reihe aus Türmen und Bollwerken von wildem Wein umrankt war; und jenseits des Stroms, eine Wegstunde weiter links, erstreckten sich windschiefe Berge, eingehüllt von Wäldern und durchklüftet von verwinkelten Schluchten, zu denen die Sonne niemals vordrang. Auf der rechten Seite klaffte ein steiler Abhang über dem Fluss, und zwischen ihm und den Hügeln – um es mit den Worten eines Laien zu sagen – erstreckte sich eine weite Ebene mit kleinen, verstreuten Gehöften, zusammengeduckt zwischen Obstgärten und schützenden Bäumen.
Die ganze Gegend, die sich über mehrere Wegstunden erstreckte, war der ererbte Besitz eines Prinzen, dessen Diener das Schloss stets gewissenhaft in Schuss hielten, so dass es jederzeit hätte bewohnt werden können, doch weder der Prinz noch seine Familie ließen sich dort öfter als einmal in fünf Jahren blicken. Wenn sie kamen, dann war es, als wäre der Fürst dieser Welt erschienen und hätte all die Herrlichkeiten seines Königreichs mitgebracht; wenn sie wieder abreisten, blieb eine Stille zurück, die dem tiefen Schlaf ähnelte, der auf ein Gelage folgt.
Für uns Jungen war Eselsdorf ein Paradies. Mit Lernen wurden wir nicht allzu sehr gepiesackt. In erster Linie brachte man uns bei, gute Christen zu sein, und die Heilige Jungfrau, die Kirche und die Heiligen zu verehren, das war das Wichtigste. Darüber hinaus brauchten wir nicht viel zu wissen; ja, es war uns nicht einmal erlaubt. Wissen war für den Allerweltsmenschen nicht gut; es verleitete ihn nur dazu, unzufrieden mit dem Los zu sein, das Gott ihm zugedacht hatte, und jegliche Unzufriedenheit mit Seinen Plänen hätte der Allmächtige nicht geduldet. Wir hatten zwei Priester. Einer von ihnen, Pater Adolf, war ein recht fanatischer und eifriger Priester und stand bei allen in hohem Ansehen.
Es gab wahrscheinlich bessere Priester als Pater Adolf, doch kein Geistlicher in unserer Gemeinde wurde jemals mit mehr Ehrfurcht und Respekt behandelt als er. Das lag daran, dass er nicht die geringste Angst vor dem Teufel hatte. Er war der einzige Christ den ich kannte, von dem man das mit Fug und Recht behaupten konnte. Aus diesem Grund fürchteten die Leute ihn sehr. Sie glaubten, ihm müsse etwas Übernatürliches anhaften – wie hätte er sonst so kühn und selbstsicher sein können? Natürlich sprechen alle Menschen nur mit großer Missbilligung vom Teufel, doch sie tun es voll Ehrfurcht, ohne dabei respektlos zu werden. Pater Adolf war da ganz anders. Er bedachte den Teufel mit jedem nur denkbaren Schimpfwort, das ihm gerade einfiel, und allen, die es hörten, lief es kalt über den Rücken. Manchmal verspottete er den Teufel auch nach allen Regeln der Kunst; dann bekreuzigten sich die Leute und sahen zu, dass sie aus seiner Gegenwart flüchten konnten, da ihnen sonst vielleicht etwas Furchtbares zugestoßen wäre.
Pater Adolf hatte dem Teufel mehr als einmal Mann zu Mann gegenüber gestanden und ihm die Stirn geboten. Das war allgemein bekannt. Pater Adolf sagte es selbst. Er machte nie ein Geheimnis daraus, sondern sprach es offen aus. Und dass er die Wahrheit sprach, dafür gab es Beweise – zumindest in einem dieser Fälle. Bei dieser Gelegenheit hatte er mit dem Widersacher gestritten und furchtlos mit seiner Flasche nach ihm geworfen; und dort, in seinem Arbeitszimmer, konnte jeder den rötlichen Klecks an der Wand sehen, wo die Flasche aufgeprallt und zerschellt war.
Doch es war Pater Petrus, der andere Priester, den wir alle am liebsten mochten und den wir am meisten bedauerten. Es gab ein paar Leute, die ihn beschuldigten, er hätte in Gesprächen mit anderen behauptet, Gott sei die Güte selbst und würde schon einen Weg finden, all seine armen Menschenkinder zu erretten. Natürlich war es schrecklich, so etwas zu sagen, aber es gab nie einen eindeutigen Beweis dafür, dass Pater Petrus das wirklich gesagt hatte; und es sah ihm auch gar nicht ähnlich, so etwas zu sagen, da er stets gut und sanft und aufrichtig war. Man warf ihm nicht vor, es von der Kanzel gepredigt zu haben, wo die ganze Gemeinde es hätte hören und bezeugen können, sondern draußen, bei einer Unterhaltung; und so etwas kann schließlich jeder erfinden, der einem Böses will. Und es gab jemanden, der Pater Petrus Böses wollte – einen sehr mächtigen Feind, nämlich den Astrologen, der in einem alten verfallenen Turm jenseits des Tals lebte und jede Nacht den Sternenhimmel erforschte. Alle wussten, dass er Kriege und Hungersnöte voraussagen konnte, obwohl das gar nicht mal so schwer war, da immer irgendwo ein Krieg wütete, und eine Hungersnot in der Regel auch. Aber die Sterne verrieten ihm auch alles über das Leben eines jeden Menschen; es stand in einem dicken Buch, das ihm gehörte, und er konnte auch verlorene Gegenstände wiederfinden, und alle Dorfbewohner mit Ausnahme von Pater Petrus begegneten ihm mit großer Scheu. Selbst Pater Adolf, der dem Teufel getrotzt hatte, zeigte einen gehörigen Respekt vor dem Astrologen, wenn er durch unser Dorf kam, mit seinem großen Spitzhut und der langen, wallenden Kutte mit dem Sternenmuster, in der Hand sein dickes Buch und einen Stab, dem bekanntlich magische Kräfte innewohnten. Sogar der Bischof selbst höre dem Astrologen manchmal zu, hieß es, da der Astrologe neben seinen Sterndeutungen und Prophezeiungen auch ein ziemliches Gedöns um die Frömmigkeit machte, womit er beim Bischof natürlich Eindruck schinden konnte.
Pater Petrus jedoch hielt nichts von dem Astrologen. Er brandmarkte ihn öffentlich als Scharlatan – als Schwindler, der über keinerlei brauchbares Wissen und keinerlei anderen Kräfte verfüge als jeder normale und durchschnittliche Mensch. Dafür hasste der Astrologe den Pater natürlich und versuchte, sein Leben zu ruinieren. Der Astrologe – daran zweifelte keiner von uns – war es auch, der die Geschichte von Pater Petrus' schockierender Bemerkung erfunden und dem Bischof zugetragen hatte. Es hieß, Pater Petrus habe die Bemerkung seiner Nichte Margit gegenüber gemacht – obwohl Margit es abstritt und den Bischof anflehte, er möge ihr glauben und ihren alten Onkel nicht der Armut und Schande anheimgeben. Doch der Bischof schenkte ihr kein Gehör. Er enthob Pater Petrus auf unbefristete Zeit seines Amtes, auch wenn er nicht so weit gehen wollte, ihn zu exkommunizieren, da es schließlich nur einen einzigen Zeugen gab. Pater Petrus war nun schon seit einigen Jahren ohne Amt, und unser anderer Priester, Pater Adolf, hatte seinen Sprengel mit übernommen.
Es waren harte Jahre für den alten Priester und Margit. Zuvor hatte jeder sie gut leiden können, aber das änderte sich na-türlich, als der finstere Blick des Bischofs seinen Schatten auf sie warf. Viele ihrer Freunde wandten sich völlig von ihnen ab, der Rest gab sich kühl und distanziert. Margit war ein bezauberndes Mädchen von achtzehn Jahren, als der Ärger begann, und sie hatte nicht nur den schönsten, sondern auch den klügsten Kopf im ganzen Dorf. Sie lehrte anderen das Harfenspiel, und all ihre Kleider und ihr Taschengeld verdankte sie ihrem eigenen Fleiß. Jetzt aber zogen sich nach und nach all ihre Schüler von ihr zurück; und wenn im Dorf ein Tanzabend oder eine Feier stattfand, überging man sie einfach. Von den jungen Burschen kam keiner mehr zu ihr ins Haus, bis auf Wilhelm Meidling – und auch der hätte es sich sparen können. Margit und ihr Onkel waren traurig und fühlten sich verlassen, da keiner mehr an sie dachte oder sie achtete, und die Sonne war aus ihrem Leben gewichen. Und im Laufe der Jahre wurde alles nur noch schlimmer. Ihre Kleider nutzten sich immer mehr ab, und es wurde immer schwerer für sie, an einen Laib Brot zu kommen. Und nun war definitiv das Ende gekommen. Salomon Isaak hatte sich genügend Geld geliehen, um sich das Haus aneignen zu können, und teilte mit, er werde am nächsten Tag die Zwangsvollstreckung ausführen.
Drei von uns Jungen steckten immer zusammen, und das war schon von Kindesbeinen an so gewesen, weil wir uns von Anfang an mochten, und diese Zuneigung wuchs im Laufe der Jahre immer mehr. Es waren Nikolaus Baumann, der Sohn des obersten Richters am örtlichen Amtsgericht; Seppi Wohlmeyer, der Sohn des Wirtes vom „Goldenen Hirsch“, was das bestbesuchte Wirtshaus im Dorf war, mit einem gemütlichen Biergarten und schattigen Bäumen, deren Äste sich bis zum Fluss erstreckten, sowie einem Bootsverleih; und der dritte war ich – Theodor Fischer, Sohn eines Kirchenorganisten, der auch den örtlichen Gesangsverein leitete, Geigenlehrer war, Komponist, kommunaler Steuereintreiber, Küster, und auch darüber hinaus ein brauchbarer Bürger, den alle respektierten. Wir kannten die Hügel und Wälder so gut wie die Vögel sie kannten, denn in unserer Freizeit streiften wir die ganze Zeit dort herum – es sei denn, wir waren schwimmen oder Boot fahren oder angeln, vergnügten uns auf dem Eis oder fuhren Schlitten.
Vor allem: Wir konnten den Schlosspark besuchen, wann immer wir wollten, und das durften nur wenige. Das lag daran, dass wir die Schützlinge des ältesten Schlossdieners Felix Brandt waren; und wir gingen oft dorthin, vor allem nachts, wenn er von alten Zeiten und seltsamen Geschehnissen berichtete, oder um mit ihm zu rauchen (er hatte es uns beigebracht) und Kaffee zu trinken. Er hatte im Krieg gedient und war bei der Wiener Türkenbelagerung dabei gewesen. Damals, nachdem man die Türken besiegt und vertrieben hatte, befanden sich ganze Säcke von Kaffee unter der Kriegsbeute, und die türkischen Gefangenen erklärten ihm alles über die Eigenarten des Kaffees, und wie man ein schmackhaftes Getränk daraus bereitete. Seitdem hatte er immer Kaffee im Haus, einmal um ihn selbst zu trinken, aber auch um die Ahnungslosen damit zu verblüffen. Wenn es draußen stürmte, durften wir die ganze Nacht bleiben; und wenn es donnerte und blitzte, erzählte er von Gespenstern und allen möglichen Schrecken: Von Schlachten und Morden und Verstümmelungen, und lauter solchem Zeug, und er sorgte dafür, dass man sich im Haus behaglich und geborgen fühlte. Und das meiste von dem, was er erzählte, wusste er aus eigener Erfahrung. Er hatte in seinem Leben schon viele Gespenster gesehen, aber auch Hexen und Zauberer, und einmal hatte er sich um Mitternacht während eines heftigen Sturms in den Bergen verirrt, und als ein Blitz den Himmel erhellte, sah er auf dem Rücken des Windes die Wilde Jagd vorbeibrausen, mit dem Jäger und seinen Geisterhunden, die im Wolkendickicht vorbeistürmten. Auch einem Inkubus war er einmal begegnet, und ein paar Mal hatte er auch die große Fledermaus gesehen, die den Menschen das Blut im Schlaf aus dem Hals abzapft, während sie sanft mit ihren Flügeln fächelt, damit sie schläfrig bleiben, während sie sterben.
Vor übernatürlichen Dingen wie Geistern sollten wir uns niemals fürchten, lautete sein Rat an uns. Sie würden niemandem Schaden zufügen, sondern nur umherwandern, weil sie einsam und verzweifelt seien und sich nach freundlicher Anteilnahme und Mitgefühl sehnten. Und schon bald lernten wir, uns nicht mehr zu fürchten, und begleiteten ihn sogar, wenn er nachts in die verwunschene Kammer im Schlossverlies hinunterstieg. Der Geist tauchte nur ein einziges Mal auf, und man konnte ihn nicht gut erkennen, als er geräuschlos durch die Luft schwebte und dann wieder verschwand. Wir zitterten auch kaum, schließlich hatte er uns das ja beigebracht. Er sagte, manchmal in der Nacht würde der Geist zu ihm hinaufkommen und ihn wecken, indem er ihm mit der feuchtkalten Hand übers Gesicht strich, aber er würde ihm nie etwas zuleide tun, er sehne sich nur nach Anteilnahme und Beachtung. Das Seltsamste aber war, dass er auch Engel gesehen hatte – richtige Engel aus dem Himmel, und er hatte sich sogar mit ihnen unterhalten. Sie hatten keine Flügel und trugen Kleider, und sie redeten, sahen aus und verhielten sich wie ganz normale Menschen, und man hätte sie nie für Engel gehalten, wären da nicht die wundersamen Dinge gewesen, die sie vollbrachten – Dinge, die ein gewöhnlicher Sterblicher niemals hinbekommen würde – und vor allem die Art, auf die sie plötzlich verschwanden, während man mit ihnen sprach, war auch etwas, das kein Sterblicher je zu vollbringen in der Lage war. Die Engel, sagte er, seien immer freundlich und gut gelaunt, nicht düster und schwermütig wie die Geister.
Es war nach diesem Gespräch in einer Mainacht, dass wir am nächsten Morgen erwachten und zusammen mit ihm gut frühstückten, dann hinunter und über die Brücke hinauf zu den Hügeln gingen, und dort nach links abbogen, wo der Weg zu einem bewaldeten Berggipfel führte, einem unserer Lieblingsplätzchen. Dort suchten wir uns einen schattigen Ort, streckten uns im Gras aus, um uns auszuruhen und zu rauchen und über all die merkwürdigen Dinge zu reden, die uns noch frisch im Gedächtnis hafteten und uns beeindruckt hatten. Aber wir hatten keine Gelegenheit zu rauchen; wir waren so gedankenlos gewesen, den Feuerstein und das Stahl liegen zu lassen.
Bald schlenderte zwischen den Bäumen ein junger Bursche auf uns zu. Er setzte sich und begann freundlich mit uns zu reden, als würde er uns kennen. Aber wir gaben ihm keine Antwort, da er ein Fremder war, und Fremde waren wir nicht gewohnt und gingen ihnen aus dem Weg. Er trug neue und gute Kleider, und er war hübsch und hatte ein einnehmendes Gesicht und eine angenehme Stimme, war locker und anmutig und offenherzig, nicht schwerfällig und linkisch und misstrauisch wie andere Jungen. Wir wollten freundlich zu ihm sein, wussten aber nicht, wie wir es anfangen sollten. Ich dachte an meine Pfeife und fragte mich, ob es wohl eine nette Geste wäre, wenn ich sie ihm anbot. Dann aber fiel mir ein, dass wir ja kein Feuer hatten, und das tat mir leid und enttäuschte mich. Er aber sah mich erfreut und fröhlich an und sagte:
„Feuer? Ach, das ist leicht; dafür sorge ich schon.“
Ich war so erstaunt, dass mir die Worte fehlten; schließlich hatte ich ja kein Wort gesagt. Er nahm die Pfeife und hauchte sie mit seinem Atem an, und sofort begann der Tabak rot zu glühen, und blauer Rauch stieg in großen Spiralen empor. Wir sprangen auf und wollten weglaufen, was eine ganz natürliche Reaktion war; und wir waren schon ein paar Schritte weit entfernt, als er uns sehnsüchtig bat, doch zu bleiben. Er verspreche auch, dass er keinem von uns etwas antun werde, er wolle doch nur, dass wir seine Freunde würden und ihm Gesellschaft leisteten. Also blieben wir stehen und wollten zurückgehen, da wir voller Neugier und Verwunderung waren, trauten uns aber nicht. Doch er redete weiter auf uns ein, in leisem, beschwörendem Tonfall; und als wir sahen, dass die Pfeife nicht in die Luft ging und auch sonst nichts Schlimmes geschah, kehrte unser Vertrauen nach und nach zurück, und sogleich war unsere Neugier stärker als unsere Angst, und wir wagten uns zurück – allerdings nur langsam und bereit, bei jedem Warnzeichen die Flucht zu ergreifen.
Es war ihm ein Anliegen, uns wieder aufzulockern, und er wusste, wie es ging; man konnte nicht lange argwöhnisch und ängstlich bleiben, wenn eine andere Person so ernst und schlicht und sanft war und auf so faszinierende Weise sprach wie er. Nein, er gewann unsere Herzen; und es dauerte nicht lange, bis wir uns zufrieden, behaglich und redselig fühlten und froh darüber waren, diesen neuen Freund gefunden zu haben. Als unsere Gezwungenheit sich ganz gelegt hatte, fragten wir ihn, wo er denn gelernt habe, so seltsame Dinge zu tun, und er sagte, er habe es nirgendwo gelernt; es sei ihm einfach so zugeflogen – wie so manch andere merkwürdige Gaben.
„Was für welche denn?“
„Ach, eine ganze Menge; wie viele es sind, weiß ich nicht.“
„Willst du uns ein paar davon vorführen?“
„Ja, bitte!“ riefen die anderen.
„Und ihr lauft auch nicht wieder weg?“
„Nein, ganz bestimmt nicht. Nun komm schon. Magst du?“
„Ja, mit Vergnügen. Aber denkt an euer Versprechen, ja?“
Auf jeden Fall, sagten wir; dann lief er zu einer Pfütze und kam mit Wasser in einer Schale zurück, die er aus einem Blatt gebastelt hatte. Er blies darauf und goss es aus, aber es war kein Wasser mehr, sondern ein Eisklumpen, der genau die Form der Schale hatte. Wir staunten und waren wie verzaubert, aber Angst hatten wir jetzt keine mehr; wir freuten uns sehr, mit ihm zusammen zu sein, und baten ihn, weiter zu machen und noch mehr solche Dinge zu tun. Was er auch tat. Er sagte, wir sollten uns jeder eine Frucht wünschen, und er würde sie uns beschaffen, egal ob sie um diese Jahreszeit wachse oder nicht. Wir redeten alle durcheinander:
„Eine Apfelsine!“
„Einen Apfel!“
„Weintrauben!“
„Greift mal in eure Taschen“, sagte er, und tatsächlich, dort waren die Früchte. Und sie waren vom Feinsten. Wir aßen sie auf und wünschten, wir hätten noch mehr davon. Aber keiner von uns sagte etwas.
„Ihr werdet sie genau dort finden, wo ihr die anderen herhabt“, sagte er, „und auch alles, worauf euch sonst noch der Appetit steht. Ihr braucht eure Wünsche nicht laut auszusprechen. So lange ich bei euch bin, reicht es, wenn ihr euch etwas wünscht, dann werdet ihr es bekommen.“
Und er sagte die Wahrheit. So etwas Wundervolles und Faszinierendes hatten wir noch nie erlebt. Brot, Kuchen, Süßigkeiten, Nüsse – alles was man wollte, war auf einmal da. Er selbst aß nichts, sondern saß nur da und plauderte mit uns, während er zu unserem Amüsement ein merkwürdiges Kunststück nach der anderen vollführte. Er formte aus Lehm ein kleines Spielzeug-Eichhörnchen, und es sauste einen Baum hinauf, blieb auf einem Ast sitzen und trieb dort seine Kapriolen. Dann formte er einen Hund, der nicht viel größer war als eine Maus, und er jagte das Eichhörnchen, tanzte aufgeregt um den Baum herum und bellte, und war so lebendig, wie ein Hund es nur sein kann. Er scheuchte das Eichhörnchen mit seinem Gebell von Baum zu Baum und lief ihm hinterher, bis sie beide irgendwo im Dickicht des Waldes verschwanden. Er formte Vögel aus Lehm und ließ sie frei, und singend flogen sie davon.
Irgendwann fasste ich mir ein Herz und fragte ihn, wer er sei.
„Ein Engel“, sagte er, ganz wie nebenher, entließ einen weiteren Vogel in die Freiheit, klatschte in die Hände, und der Vogel flog davon.
Eine Art Ehrfurcht überfiel uns, als wir ihn das sagen hörten, und wir begannen uns wieder zu fürchten; er aber meinte, wir sollten uns keine Sorgen machen, denn es gebe für uns keinen Grund, sich vor einem Engel zu fürchten, und er könne uns auf jeden Fall gut leiden. Dann plauderte er so zwanglos und ungekünstelt weiter wie gewohnt; und während er sprach, erschuf er die ganze Zeit kleine Männer und Frauen, die etwa so groß waren wie ein Finger, und sie machten sich fleißig an die Arbeit, grenzten und ebneten ein Gebiet von einigen Quadratmetern ein und begannen, eine kunstvolle kleine Burg darauf zu bauen. Die Frauen rührten den Mörtel an und transportierten ihn in kleinen Eimern, die sie auf ihren Köpfen trugen, zu den Baugerüsten, so wie unsere Arbeiterinnen es seit jeher tun, und die Männer steckten die Maße der Gemäuer ab – ganze fünfhundert dieser Spielzeugmenschen drängten munter umher, waren emsig am Werk und wischten sich den Schweiß aus den Gesichtern wie im richtigen Leben. Da es so fesselnd war, diese kleinen Menschen dabei zu beobachten, wie sie die Burg stetig wachsen und an Form und Symmetrie gewinnen ließen, schwand unser Gefühl von Ehrfurcht nach und nach, und wir fühlten uns wieder wohl und geborgen. Wir fragten, ob wir auch ein paar solcher Menschen machen dürften, und er sagte Ja und bat Seppi, ein paar Kanonen für die Mauern herzustellen, und Nikolaus bat er, ein paar Hellebardisten zu erschaffen, mit Harnischen und Beinschienen und Helmen, und ich war für die Kavallerie verantwortlich, mit vielen Pferden, und während er uns seine Aufträge erteilte, rief er uns ständig bei unseren Namen, verriet aber nicht, woher er sie wusste. Dann fragte Seppi ihn nach seinem eigenen Namen, und er antwortete gelassen „Satan“, wobei er mit einem Baustein eine kleine Frau auffing, die von einem Gerüst stürzte, sie wieder an ihren Platz setzte und sagte: „Wie kann man so dämlich sein, rückwärts zu laufen, ohne zu wissen, worauf man sich da einlässt?“