Der Geist auf dem Thron - James Romm - E-Book

Der Geist auf dem Thron E-Book

James Romm

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Beschreibung

Als 323 v.Chr. Alexander der Große völlig überraschend im Alter von kaum 33 Jahren in Babylon stirbt, ist sein ganzes Geschlecht – das makedonische Königshaus der Argeaden - dem Tode geweiht. Was sich in den folgenden 25 Jahren an Intrigen und Gewalt, Mord und Krieg abspielt, kann mit jedem Königsdrama Shakespeares mithalten. James Romm beschreibt meisterhaft die dramatischen Ereignisse im Kampf um das Erbe Alexanders. In einer gespenstischen Sterbeszene nimmt Alexander Abschied von seinen engsten Gefährten, die ihm von Jugend auf vertraut waren und mit ihm buchstäblich die Welt erobert hatten. Die Frage, auf wen sein Reich übergehen solle, soll er mit den Worten beantwortet haben: "Auf den Stärksten". Wer aber der Stärkste ist, muss blutig ausgekämpft werden. Als Resultat dieses Ringens versinkt das riesige Herrschaftsgebilde, das sich über drei Kontinente ausdehnt, in einer nicht enden wollenden Folge von Kriegen. Dabei werden die Familienangehörigen des Toten zu Faustpfändern in den Händen der Diadochen, der ehemaligen Generäle Alexanders, von denen jeder versucht, die gesamte Macht auf sich zu vereinen. In seiner mitreißenden Schilderung der stürmischen Ereignisse und der ebenso leidenschaftlichen wie gewissenlosen Akteure ist dem Autor ein wahres Epos über den Untergang eines Weltreichs gelungen.

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Eumenes der Grieche mit Alexanders Witwe und Sohn

Zum Buch

1977 macht der Archäologe Manolis Andronikos am Rande des nordgriechischen Dorfes Vergina eine wahrhaft sensationelle Entdeckung: Im Zuge seiner Ausgrabungen stößt er auf die Grablege des Makedonenkönigs Philipp II. (um 382–336 v.Chr.) und weiterer Mitglieder seiner Familie. Der Wissenschaftler und sein Grabungsteam stehen vor den stummen Zeugen des Untergangs des Hauses der Argeaden.

Diese monumentale Grabanlage wählt der renommierte amerikanische Altertumswissenschaftler James Romm als Ausgangspunkt für seine grandiose Darstellung des zerfallenden Alexanderreichs. Er beschwört die gespenstische Sterbeszene herauf, in der Alexander im Jahr 323 v. Chr. auf dem Totenbett Abschied nimmt von seinen engsten Gefährten, die ihm von Jugend auf vertraut waren und mit ihm buchstäblich die Welt erobert hatten. Die Frage, auf wen sein Reich übergehen solle, soll er mit den Worten beantwortet haben: „Auf den Stärksten“. Wer aber der Stärkste ist, muss blutig ausgekämpft werden. Als Resultat dieses Ringens versinkt das riesige Herrschaftsgebilde, das sich über drei Kontinente ausdehnt, in einer nicht enden wollenden Folge von Kriegen. Dabei werden die Familienangehörigen des Verstorbenen zu Faustpfändern in den Händen der Diadochen, der ehemaligen Generäle Alexanders, von denen jeder versucht, die gesamte Macht an sich zu bringen. In seiner mitreißenden Schilderung der stürmischen Ereignisse und der ebenso leidenschaftlichen wie gewissenlosen Akteure ist dem Autor ein wahres Epos über den Untergang eines Weltreichs gelungen.

Über den Autor

James Romm ist vielfach durch seine Arbeiten auf dem Gebiet der griechischen und römischen Altertumskunde ausgewiesen und lehrt als Professor for Classics am Bard College in Annandale (New York).

INHALT

DANKSAGUNG

VORWORT

EINLEITUNG – Die Öffnung der Gräber Vergina (Nordgriechenland)

1. LEIBWÄCHTER UND GEFÄHRTEN – Babylon

2. DIE PRÜFUNG DES PERDIKKAS – Babylon

3. DAS LETZTE AUFBÄUMEN DER ATHENER (I) – Die griechische Welt in Europa

Demosthenes (Kalaureia, Juli 323 v. Chr.)

Phokion (Athen, Juli 323 v. Chr.)

Aristoteles (Athen, Juli 323 v. Chr.)

Hypereides (Athen, Juli 323 v. Chr.)

Harpalos trifft in Athen ein

Leosthenes in Tainaron

Das Verbanntendekret und die Rückkehr des Harpalos

Der Bestechungsskandal in Athen

Der Ausbruch des Krieges (Athen und Nordgriechenland, Herbst 323 v. Chr.)

Aristoteles (Athen, Herbst 323 v. Chr.)

Der Hellenische Krieg (Nordgriechenland, Herbst 323 v. Chr.)

Demosthenes (Südliches Griechenland und Athen, Winter 323 v. Chr.)

4. WIDERSTAND, AUFSTAND, RÜCKEROBERUNG – Asien und Nordafrika

Antigonos (Phrygien, Sommer 323 v. Chr.)

Der Aufstand in Baktrien (nördliches Afghanistan, Usbekistan, Tadschikistan, Sommer 323 v. Chr.)

Krateros (Kilikien, Sommer–Winter 323 v. Chr.)

Perdikkas und Peithon (Babylon, Herbst 323 v. Chr.)

Ptolemaios (Ägypten, Herbst 323 – Sommer 322 v. Chr.)

Chandragupta und Chanakya (Gandhara/Indien, 323–318 v. Chr.)

Das Ende des baktrischen Aufstands (Sommer 322 v. Chr.)

5. DAS LETZTE AUFBÄUMEN DER ATHENER (II) – Athen, Nordgriechenland und Hellespont

Hypereides (Athen, Ende 323 v. Chr.)

Olympias (Epirus, Herbst 323 v. Chr.)

Leonnatos und Eumenes (Nordwestanatolien, Winter, Anfang 322 v. Chr.)

Aristoteles (Chalkis, 322 v. Chr.)

Leonnatos (Makedonien und anderswo, spätes Frühjahr 322 v. Chr.)

Hypereides (Athen, spätes Frühjahr 322 v. Chr.)

Krieg zur See (Hellespont, Frühjahr – Sommer 322 v. Chr.)

Das Ende des Hellenischen Krieges (Sommer 322 v. Chr.)

Antipater, Phokion und Demades (Theben, Sommer 322 v. Chr.)

Hypereides (Ägina und Korinth, Ende September – Anfang Oktober 322 v. Chr.)

Demosthenes (Kalaureia, Mitte Oktober 322 v. Chr.)

6. TOD AUF DEM NIL – Westliches Asien und Ägypten

Kleopatra (Sardis, Herbst 322 v. Chr.)

Perdikkas (westliches Asien, Herbst 322 v. Chr.)

Kynane, Adea und Alketas (westliches Asien, Herbst 322 v. Chr.)

Antigonos, Krateros und Antipater (Nordgriechenland/westliches Asien, Ende 322 v. Chr.)

Alexanders Leichnam (Babylon und weiter südlich, Frühjahr 321 v. Chr.)

Perdikkas (westliches Asien, Frühjahr 321 v. Chr.)

Eumenes, Neoptolemos, Antipater und Krateros (Nordanatolien, Sommer 321 v. Chr.)

Eumenes, Krateros und Neoptolemos (Nordanatolien, Sommer 321 v. Chr.)

Perdikkas (Ägypten, Sommer 321 v. Chr.)

7. SCHICKSALSWEGE DES EUMENES – Ägypten, westliches Asien und Makedonien

Ptolemaios, Peithon und Arrhidaios (Ägypten, Sommer 321 v. Chr.)

Die königliche Familie (Ägypten und weiter nördlich, Herbst 321 v. Chr.)

Triparadeisos (Winter, Ende 321 v. Chr.)

Eumenes (Kappadokien, Frühjahr 320 v. Chr.)

Der (reichsweite) Propagandakrieg

Kleopatra, Eumenes und Antipater (Sardis, Frühjahr 320 v. Chr.)

Ptolemaios (Syrien und Jerusalem, Sommer 320 v. Chr.)

Eumenes, Antigonos und Antipater (Anatolien, Winter, Ende 320 v. Chr.)

Antigonos, Kassander, Antipater und die Könige (Anatolien, Winter, Ende 320 v. Chr.)

Antigonos und Eumenes (Anatolien, Frühjahr 319 v. Chr.)

8. DER KRIEG KOMMT NACH HAUSE – Griechenland, Makedonien und Westasien

Demades und Phokion (Athen)

Kassander und Antipater, Demades und Demeas (Pella, Frühjahr 319 v. Chr.)

Antigonos der Einäugige (Pisidien im südlichen Anatolien, Sommer 319 v. Chr.)

Polyperchon und Olympias (Makedonien und Epirus, Herbst 319 v. Chr.)

Eumenes (Festung bei Nora, Winter – Frühjahr 318 v. Chr.)

Phokion und Nikanor (Athen, Winter – Frühjahr 318 v. Chr.)

Eumenes, Antigenes und Teutamos (Kilikien, Sommer 318 v. Chr.)

Polyperchon, Phokion, Hagnonides und König Philipp (Phokis, Frühjahr 318 v. Chr.)

Der Sturz Phokions (Athen, Frühjahr 318 v. Chr.)

Kassander und Polyperchon (Athen, Sommer 318 v. Chr.)

9. DUELLE AUF LEBEN UND TOD – Europa und Asien

Die königliche Familie (Griechenland, Sommer 318 v. Chr.)

Polyperchon (Peloponnes, Sommer 318 v. Chr.)

Eumenes, Antigenes und Teutamos (Phönizien, Herbst 318 v. Chr.)

Polyperchon, Kassander und die königliche Familie (Griechenland, Epirus und Makedonien, Sommer 318 v. Chr.)

Eumenes (Babylonien und weiter östlich, Herbst 318 v. Chr.)

Die königliche Familie (Makedonien, Herbst 318 v. Chr.)

Eumenes und die östliche Koalition (Susiana, Frühjahr 317 v. Chr.)

Antigonos und Eumenes (Fluss Koprates, Susiana, Sommer 317 v. Chr.)

Die königliche Familie und Kassander (Makedonien)

Eumenes und Peukestas (Persepolis, Herbst 317 v. Chr.)

Die Schlacht von Paraitakene (Herbst 317 v. Chr.)

10. DAS SCHLIESSEN DER GRÄBER – 316–308 v. Chr.

Die Schlacht von Gabiene (Winter, Anfang 316 v. Chr.)

Eumenes und Antigonos (Gabiene, Winter, Anfang 316 v. Chr.)

Olympias und Kassander (Pydna und Pella, Winter, Anfang 316 v. Chr.)

Roxane, der junge Alexander und Kassander (Makedonien, Frühjahr 316 v. Chr.)

Philipp Arrhidaios und Adea Eurydike (Aigai)

Roxane und der junge Alexander (Makedonien und Amphipolis, 316–308 v. Chr.)

EPILOG

Anmerkungen

Vorwort

Einleitung: Die Öffnung der Gräber

Kap. 1: Leibwächter und Gefährten

Kap. 2: Die Prüfung des Perdikkas

Kap. 3: Das letzte Aufbäumen der Athener (I)

Kap. 4: Widerstand, Aufstand, Rückeroberung

Kap. 5: Das letzte Aufbäumen der Athener (II)

Kap. 6: Ein Tod auf dem Nil

Kap. 7: Schicksalswege des Eumenes

Kap. 8: Der Krieg kommt nach Hause

Kap. 9: Duelle auf Leben und Tod

Kap. 10: Das Schließen der Gräber

Epilog

Bibliographie

Auswahl deutscher Textausgaben der wichtigsten vom Autor verwendeten antiken Autoren

Web-Adressen, unter denen primäre Quellen im Volltext (allerdings meist in englischer Fassung) abrufbar sind

Allgemeine Studien

Chronologische Probleme

Archäologische und materielle Belege

Fragmentarische Quellen und Kommentare

Alexanders Tod und Bestattung

Antigenes, die Silberschilde und das makedonische Heer

Perdikkas und die Babylonische Reichsordnung

Philipp Arrhidaios

Hypereides, Demosthenes, Demades und Phokion

Antipater, Kassander, Phila und Krateros

Leosthenes und der Lamische Krieg

Der Aufstand der baktrischen Griechen

Antigonos und Demetrios

Chandragupta und Indien

Ptolemaios und Ägypten

Olympias, Kynane, Adea und Thessalonike

Eumenes

Roxane, Alexander IV., Barsine und Herakles

Bildnachweis

Register

Meiner Mutter und meinem Stiefvater Sydney und Victor Reed

Der Tod des Demosthenes auf Kalaureia und der des Hypereides nahe Kleonai ließ die Athener eine tiefe Sehnsucht nach den Zeiten Alexanders und Philipps empfinden. Gerade so verhielt es sich – als Antigonos starb und dessen Nachfolger begannen, Gewalttaten zu verüben und Leid über das Volk zu bringen – mit einem Bauern, den man in Phrygien den Boden umgraben sah. Jemand fragte ihn, was er da mache. Mit einem Seufzer antwortete er: «Ich suche nach Antigonos.»

– Plutarch Phokion 29.1

DANKSAGUNG

Meine Kollegen aus der Zunft der Althistoriker haben meine ständigen Anfragen bereitwillig beantwortet und ihr Wissen großzügig mit mir geteilt. Mein besonderer Dank gilt Edward Anson, Liz Baynham, Gene Borza, Brian Bosworth, Elizabeth Carney, Waldemar Heckel, Judson Herrman und Ian Worthington. Andere stellten ebenso großzügig Fotos und Grafiken zur Verfügung, allen voran Frank Holt, Andrew Stewart und Stella Miller-Collett. Diese Wissenschaftler gaben mir, einem relativen Neuling, das Gefühl, in ihrem Reich willkommen zu sein. Das gilt auch für Robin Waterfield, der mich freundlicherweise auf neue oder wenig zugängliche Publikationen in unserem gemeinsamen Arbeitsgebiet hinwies. Er stellte mir zudem das Manuskript seines neuen Buches zur Verfügung, das ich allerdings nicht mehr berücksichtigen konnte, da mein eigenes Buch bereits fertig war, als es eintraf.

Dankbar bin ich für die großzügige Unterstützung, die mir die Guggenheim Foundation und das National Endowment for the Humanities in verschiedenen Stadien dieses Projekts gewährten. Meine eigene Einrichtung, das Bard College, gestattete mir, selbst während des hektischen Vorlesungsbetriebs einen Teil meiner Zeit für die Arbeit an diesem Buch abzuzweigen. Ich hätte das Projekt nicht beginnen können ohne die Hilfe zweier guter Freunde: Daniel Mendelsohn brütete mit mir im Verlauf vieler indischer Abendessen Ideen aus, und Dan Akst tat dasselbe bei japanischen Mittagessen. Dank schulde ich auch jenen, die das Manuskript kritisch gegengelesen haben – allen voran Jim Ottaway, dessen spitze Feder jede Seite korrigiert hat, aber auch Ken Marcuse, Jake Nabel, Eve Romm und Alex Zane. Paul Cartledge, für mich und viele andere eine stete Quelle der Inspiration, las das Manuskript und befreite es von zahlreichen Fehlern; für die verbleibenden übernehme ich allein die Verantwortung.

Ich hatte das Glück, bei diesem Buchprojekt mit einer Lektorin zusammenzuarbeiten, die mir stets das Gefühl gab, es sei unserer größtmöglichen Mühe wert. Vicky Wilson, mit der ich die Liebe zum Radfahren teile, verhalf mir zu der Einsicht, dass eine gute historische Erzählung die Qualitäten eines guten Rennrads besitzen sollte: Sie sollte windschnittig sein und von allem überflüssigen Ballast befreit. Danken möchte ich auch Vickys liebenswürdiger Assistentin Carmen Johnson für ihre Hilfe bei dem Manuskript und den Illustrationen. Des Weiteren schulde ich folgenden Menschen Dank: meinem Literaturagenten Glen Hartley, meiner Kartographin Kelly Sandefer von Beehive Mapping, Ingrid Magillis, die sich um Rechte und Genehmigungen für den Abdruck der Illustrationen kümmerte, meiner Schlussredakteurin Ingrid Sterner sowie Laurie Nash, Evelyn Krueger und Jane Hryshko vom Bard College, Sara Roemer und Jessica Shapiro vom Institute for the Study of the Ancient World und meinem Schwager Victor Liu für technische Hilfe und Tipps.

Meine Frau Tanya Marcuse hat zu diesem Buch mehr beigetragen, als sich an dieser Stelle sagen lässt. Mein Leben an der Seite dieser klugen und liebevollen Frau hat mir geholfen, zu verstehen, worauf es beim Studium der antiken Welt – und überhaupt im Leben – ankommt.

Widmen möchte ich dieses Buch Sydney und Victor Reed, meiner Mutter und meinem Stiefvater. Ich hoffe, die Lektüre bereitet ihnen wenigstens einen Bruchteil der Freude, die sie täglich aneinander haben.

VORWORT

Das Makedonische Reich war eines der größten, die es weltweit und durch die Zeiten je gab, aber es war zweifellos auch das kurzlebigste. Es erreichte seine größte Ausdehnung im Jahr 325 v. Chr., als Alexander der Große nach einem zehnjährigen Eroberungszug durch Europa, Asien und Nordafrika im Industal (im Osten des heutigen Pakistans) einmarschierte, und es begann zu zerfallen, als er im Sommer 323 plötzlich und unerwartet starb. Als vollständiges und relativ stabiles Staatswesen bestand es nur zwei Jahre.

Die Geschichte von Alexanders Eroberungszug ist den meisten Lesern vertraut; weit weniger bekannt ist ihre ebenso dramatische wie folgenreiche Fortsetzung. Es ist eine Geschichte, die vor allem von Verlusten erzählt, und sie beginnt mit dem größten Verlust, dem Tod eines Königs, der dem Reich Halt und Mitte gab. «Er starb in dem Moment, als die Menschen seiner am meisten bedurften», schrieb Arrian, einer der antiken Historiker, die sich mit der Zeit Alexanders beschäftigten, und er meinte nicht nur, dass Alexanders Führungsqualitäten gebraucht wurden, um das Reich zusammenzuhalten, sondern auch, dass der König in seinen letzten Lebensjahren zu einem Objekt der Verehrung, ja der Anbetung geworden war. Für die Epoche nach seinem Tod war kennzeichnend, dass es keine alle anderen überragende Persönlichkeit gab, während in der vorhergehenden Epoche gerade seine Präsenz prägend gewesen war. Es war, als habe sich die Sonne plötzlich aus dem Sonnensystem verabschiedet, so dass Planeten und Monde in ein konfuses Trudeln gerieten und immer wieder mit schrecklicher Wucht aufeinanderprallten.

Die hellsten Himmelskörper in diesem neuen sonnenlosen Kosmos waren Alexanders höchste Offiziere, die teilweise auch seine engsten Freunde gewesen waren. Moderne Historiker sprechen von ihnen häufig als «den Nachfolgern» (oder mit einem griechischen Wort, das praktisch dasselbe bedeutet, «den Diadochen»). Hinsichtlich der ersten sieben Jahre nach Alexanders Tod ist dieser Begriff jedoch ein Anachronismus, denn zunächst erhob keiner dieser Männer den Anspruch, Nachfolger des Königs zu werden – sie kämpften um seine Macht, aber nicht um seinen Thron. Während des gesamten Zeitraums, den ich in diesem Buch abdecke, gab es lebende Argeaden (Mitglieder der königlichen Familie in Makedonien), und nur sie hatten das Recht, den makedonischen Thron zu besteigen. Deshalb spreche ich mit Blick auf die Männer, die oft als «Nachfolger» bezeichnet werden, einfach nur von den Feldherren Alexanders; sie kämpften mehr um die militärische Vorherrschaft als um königlichen Vorrang. Viele von ihnen sollten irgendwann einen Thron besteigen, aber erst nach 308 v. Chr., als klar war, dass die Epoche der Argeaden endgültig vorüber war.

Die Konflikte, die diese Heerführer austrugen, fanden an weit verstreuten Schauplätzen innerhalb von Alexanders Reich statt, oft auf zwei oder gar drei Kontinenten gleichzeitig. Um die disparaten, aber miteinander verbundenen Ereignisse zu strukturieren, stelle ich sie vom dritten Kapitel an in historischen Momentaufnahmen dar, die fast Schnappschüssen ähneln; jede von ihnen wurde mit einer Überschrift versehen, die dem Leser den Ort, die Zeit und die wichtigsten Protagonisten in Erinnerung ruft. Dabei ist zu beachten, dass die Datierung, die ich in den Überschriften verwende, umstritten ist und einzelne Daten um ein Jahr von den Angaben abweichen können, die man anderswo findet. Historiker debattieren kontrovers über zwei konkurrierende Zeitraster, die man als lange und kurze Chronologie bezeichnet; die Daten, die ich hier angegeben habe, gehören zur «langen Chronologie», die Brian Bosworth kürzlich in seiner meisterlichen Studie The Legacy of Alexander befürwortet hat. Es ist die Kompetenz Bosworths, welche die Frage für mich entschieden hat, auch wenn ich der Meinung bin, dass es für beide Zeitraster gute Argumente und triftige Belege gibt, ebenso wie für eine jüngst vorgeschlagene Synthese beider.

Die antiken Aufzeichnungen über diese Zeit sind frustrierend lückenhaft, auch wenn zwei fähige griechische Historiker Werke über sie verfassten und einer von ihnen sogar Zeuge der wichtigsten Ereignisse war. Hieronymos von Kardia war ein griechischer Glücksritter, der die Machtkämpfe nach dem Tod Alexanders hautnah miterlebte. Sein Bericht aus erster Hand, der zeitweise unter dem Titel Geschichte der Diadochen bekannt war, war vermutlich eine der großen historischen Erzählungen, die in der Antike verfasst wurden, ging aber im Zuge des darwinistischen Prozesses verloren, in dem manche vielfach kopierte Texte das Ende der antiken Welt überlebten, andere dagegen nicht. Bevor er verschwand, wurde der Bericht jedoch von Arrian von Nikomedien, einem intelligenten griechischen Autor des 2. nachchristlichen Jahrhunderts, für seine ausführliche Chronik der Jahre 323 bis 319 ausgewertet. Zwar ging auch dieses Werk verloren, aber einer seiner Leser, Photios, der Patriarch von Konstantinopel, fertigte im 9. Jahrhundert einen Abriss seines Inhalts an. Diese Kurzdarstellung Arrians, die Photios für seinen persönlichen Gebrauch und nicht im Hinblick auf die Bedürfnisse der Nachwelt erstellte, ist erhalten geblieben und trägt heute den Titel Ereignisse nach Alexander; es ist letztlich nicht mehr als ein zweifach destillierter, schwacher Abglanz des Berichts von Hieronymos.

Allerdings existiert eine griechische Darstellung der Zeit nach Alexander, die uns die verlorengegangenen Primärquellen näherbringt, und sie ist vollständig erhalten. Im ersten vorchristlichen Jahrhundert stellte der auf Sizilien lebende Grieche Diodor eine griechische Universalgeschichte zusammen, die häufig als seine Historische Bibliothek bezeichnet worden ist. Diodor, der leidlich schreiben konnte, aber kein Historiker war, gab dem Material, das er vorfand, eine gewisse künstlerische Form, brachte jedoch Datierungen durcheinander, reduzierte die Detailfülle und ließ Vorgänge unter den Tisch fallen, die ihm nicht ins Konzept passten. Mängel weist sein Werk mehr als genug auf, doch dort, wo er das Ringen um die Herrschaft über Alexanders Reich beschreibt (in den Büchern 18 bis 20 seiner Bibliothek), gelangen ihm seine besten Partien, nicht zuletzt weil er sich stark auf Hieronymos stützte.

Ungefähr um dieselbe Zeit wie Diodor verfasste ein römischer Autor namens Pompeius Trogus unter dem Titel Historai Philippikai (Philippische Geschichte) eine umfassende Abhandlung über das Makedonische Reich, die freilich vollständig verlorengegangen ist. Wie Arrians Ereignisse nach Alexander kennen wir sie nur durch ein dünnes Exzerpt, das ein anderer Römer namens Justin vermutlich im 3. nachchristlichen Jahrhundert erstellte.

Die farbigsten Berichte über diese Geschichtsperiode, die aber zugleich am wenigsten einer geradlinigen Chronologie folgen, finden wir in Plutarchs Lebensbeschreibungen. Auch Plutarch, der große griechische Essayist und Biograph des späten 1. und frühen 2. nachchristlichen Jahrhunderts, bediente sich bei den historischen Abhandlungen des Hieronymos sowie bei anderen Primärquellen, aber er tat dies meist, um Persönlichkeitsstudien zu betreiben, nicht um einen Ereignisbericht vorzulegen; sein Interesse galt eher ethischen als historischen Fragen. Gleichwohl zitiere ich ihn in diesem Buch häufig, ebenso aber auch andere unkonventionelle Quellen: Polyainos, den Verfasser der Strategemata, einer Abhandlung über auf Kriegslisten basierende militärische Strategien, Athenaios, den Sammler von Gerüchten und Anekdoten, sowie den anonymen Verfasser der Leben der zehn Redner, in denen es um die zehn bedeutendsten attischen Rhetoren der klassischen Zeit geht. Diese Autoren vermitteln Einsichten zu den Persönlichkeiten der behandelten Zeit – auch wenn diese nicht verifiziert werden können –, und ich greife auf sie zurück, um die betreffenden Persönlichkeiten anschaulich werden zu lassen – wie Plutarch bin ich davon überzeugt, dass wir historisches Geschehen nicht verstehen können, ohne den Charakter der beteiligten Personen zu berücksichtigen.

Urteile über die Eigenart von Menschen zu fällen, ist freilich eine subjektive Angelegenheit. Schon die Lektüre von Biographien über die an den Machtkämpfen beteiligten Akteure – allein in englischer Sprache sind neuere Biographien über Lysimachos, Ptolemaios, Eumenes, Phokion, Olympias, Seleukos und Antigonos erschienen – zeigt, wie viele Fragen zu deren Absichten und Beweggründen noch kontrovers diskutiert werden. Es ist eine Erfahrung, die an den aus dem japanischen Spielfilm Rashomon (1950) bekannten Effekt erinnert: dass nämlich ein und derselbe Ereigniskomplex von verschiedenen Beobachtern unterschiedlich wahrgenommen wird. Die Perspektive verändert sich nicht nur mit der jeweiligen historischen Schwerpunktsetzung, sondern auch mit jedem Autor, denn einige Autoren neigen dazu, ihren Protagonisten vornehmlich die schlimmsten Motive zu unterstellen, bei anderen ist es genau umgekehrt.

In der oben genannten Gruppe wurde eine Gestalt besonders kontrovers interpretiert. Die Berichte über den griechischen Feldherrn Eumenes, die sich bis heute erhalten haben, urteilen über ihn ausgesprochen positiv, aber sie sind offenkundig von der Parteinahme des Hieronymos von Kardia beeinflusst, der Eumenes’ Freund und Landsmann und vielleicht sogar mit ihm verwandt war. Eumenes wird nicht nur als ein glänzender Taktiker dargestellt, der aus einem großen Fundus an Finten, Erfindungen und Kriegslisten schöpfen konnte, sondern auch als ein Mann mit einem edlen Anliegen: die makedonische Königsfamilie zu beschützen, insbesondere den gefährdeten kleinen Sohn Alexanders. Moderne Historiker haben dieses ritterliche Porträt verworfen und Eumenes als bloßen Opportunisten gezeichnet. Ich messe in diesem Buch dem Urteil der antiken Quellen größeres Gewicht bei. Nach meiner Überzeugung war Eumenes tatsächlich der letzte Verteidiger der Argeaden, und sei es nur, weil diese ihrerseits für sein politisches Überleben die größten Chancen boten.

An Stellen, an denen die antiken Autoren den Ablauf eines Ereignisses übereinstimmend schildern oder an denen kein Anlass besteht, die Darstellung Diodors (der ergiebigsten Quelle) anzuzweifeln, habe ich mir nicht die Mühe gemacht, in den Anmerkungen zu erläutern, aufgrund welcher Belege eine historische Tatsache rekonstruiert wurde. Wer die jeweilige Beweislage eingehend prüfen möchte, konsultiert am besten Waldemar Heckels Who’s Who in the Age of Alexander the Great, ein Buch, das eine biographische Struktur mit einem klaren und umfassenden Zitiersystem verbindet. Wenn Informationen dagegen aus obskureren Quellen stammen oder Aussagen über das private Leben und die persönlichen Überlegungen historischer Persönlichkeiten gemacht werden, verweise ich in den Anmerkungen durchaus auf die entsprechende Literatur. Da sich derartige Aussagen nicht in demselben Maß verifizieren lassen wie öffentliche Ereignisse, versuche ich auf diese Weise, dem Leser die Sicherheit zu geben, dass sie nicht aus der Luft gegriffen sind, jedenfalls nicht von mir.

Personen- und Ortsnamen wurden in der amerikanischen Originalausgabe dieses Buches in ihrer latinisierten Form geschrieben; die vorliegende Ausgabe folgt den im Deutschen gebräuchlichen Formen. Wenn eine historische Figur unter mehr als einem Namen bekannt ist, verwende ich denjenigen, der weniger leicht verwechselt werden kann; Adea, die nach ihrer Heirat Eurydike wurde, bleibt in diesem Buch Adea, weil in der Darstellung eine zweite Eurydike vorkommt. Im Fall von Alexanders Halbbruder Arrhidaios, der als König den Namen Philipp erhielt, ließen sich Überschneidungen nicht vermeiden, und so nenne ich ihn bis zu seiner Inthronisierung Arrhidaios und danach Philipp.

Die Bibliographie wurde in einzelne Abschnitte unterteilt, deren Grundlage der Schwerpunkt der aufgeführten Werke ist, und diese Schwerpunkte folgen in etwa der Chronologie der erzählten Ereignisse. Ich hoffe, dass diese Systematik wenigstens teilweise den Anmerkungsapparat ersetzt, der in einer stärker wissenschaftlichen Darstellung zu finden wäre. Der Leser kann auf einen Blick erkennen, auf welche Sekundärliteratur ich mich vorwiegend gestützt habe, ohne sich durch zahllose Anmerkungen kämpfen zu müssen. Die Unterteilung in Abschnitte ist als Erleichterung für diejenigen gedacht, die sich mit einem bestimmten Teilthema eingehender befassen möchten, kann aber eine Erschwernis für die Leser darstellen, die vollständige bibliographische Angaben zu einem in den Anmerkungen angeführten Buch suchen; sie müssen unter Umständen in mehr als einem Abschnitt der Bibliographie suchen, um einen bestimmten Titel zu finden. Ich hoffe aber, dass die Überschriften zu den Abschnitten eine Erleichterung darstellen.

Alle in diesem Buch enthaltenen Übersetzungen hatte ich für die Originalausgabe selbst aus dem Griechischen und Lateinischen besorgt; die vorliegende Ausgabe folgt den im Anhang genannten Übersetzungen der Quellen.

EINLEITUNG

Die Öffnung der Gräber Vergina (Nordgriechenland)

1977–1979

«Ruhe jetzt!», mahnte Manolis Andronikos seine Mitarbeiter, während er bedächtig eine ins Dunkel führende Öffnung erweiterte. Es war der 8. November 1977, nachmittags am Rande des Dorfes Vergina im nördlichen Griechenland, und Andronikos stand kurz davor, den großartigsten Fund in der modernen Geschichte der Archäologie im Ägäisraum zu machen.

Seit 25 Jahren leitete er Grabungen am großen Tumulus bei Vergina, einem 13 Meter hohen runden Hügel aus Sand, Erde und Schotter. Er hatte Tausende Tonnen Material bewegt, um herauszufinden, was darunter war. Nach seiner Überzeugung befand er sich dort, wo einst die antike Hauptstadt Makedoniens, Aigai, gelegen hatte – und an der Grabstätte von Makedoniens Königen. Er hatte auch diese Grabungssaison beinahe schon als ergebnislos abhaken wollen, als er unter einem noch unerkundeten Teil des Hügels auf die Mauern zweier Bauwerke stieß. Das eine hatte sich als bereits geplünderte Grabkammer mit prachtvollen Wandmalereien erwiesen; der Boden war übersät mit jenen menschlichen Überresten, welche die antiken Grabräuber zurückgelassen hatten. Doch neben dieser Grabkammer, unter einer sieben Meter dicken Erdschicht, war Andronikos auf die Decke eines zweiten Bauwerks gestoßen und nun im Begriff, über eine Leiter in diese Kammer hinabzusteigen.

Als er durch die Deckenöffnung verschwand, rief er seinen Assistenten einen außergewöhnlichen Befund hinauf: «Alles intakt!» Das Licht seiner Taschenlampe fiel auf glänzendes Silber und strich über das matte Grün oxydierter Bronze. Dutzende kostbarer Objekte, deren jedes ein Jahr Grabungsarbeit gerechtfertigt hätte, blitzten im Licht auf: Rüstungen und Waffen, die unverzichtbaren Utensilien eines jeden makedonischen Kriegers, lehnten an den Wänden und in den Ecken; am Boden lagen aufgehäuft fein ziselierte Trinkgefäße, und in der Mitte des Raumes fand Andronikos eine Marmorkammer, die mit einem Deckel verschlossen war. Als man sie später öffnete, sollten die Ausgräber darin zu ihrem Erstaunen eine exquisite Larnax, eine kleine Truhe aus Gold entdecken, welche die Knochen eines erwachsenen Mannes enthielt, den man seinerzeit eingeäschert hatte. Eine ähnliche goldene Schatulle, in der sich die Überreste einer Frau im Alter von 20 bis 30 Jahren fanden, wurde in einer kleinen Nebenkammer entdeckt.

Am Boden der Grabkammer sah Andronikos zwischen den zerfallenen Resten der antiken hölzernen Liege, die sie einst geschmückt hatten, fünf aus Elfenbein geschnitzte Köpfe – am Ende sollte man noch neun weitere bergen. Diese meisterhaft ausgeführten Miniaturskulpturen bildeten eine Galerie männlicher Heroen, darunter zwei mit Bart und von ernster Ausstrahlung, während die anderen glattrasiert waren und zart und jugendlich wirkten (bei einigen nimmt man an, dass es sich um Frauen handeln könnte). Es ist frappierend, wie stark die Skulpturen das Wesen der Porträtierten zum Ausdruck bringen.

Auf der Grundlage der Keramikdatierung ließ sich die Entstehungszeit der Grabkammer auf den Zeitraum zwischen 350 und 315 v. Chr. eingrenzen, und so zögerte Andronikos nicht, einen der bärtigen Porträtierten als Philipp II., den Vater Alexanders des Großen, zu identifizieren, der 336 v. Chr. ermordet worden ist. Bei einem anderen Kopf, der einen schlanken, bartlosen Jüngling mit eigenartig abgewinkeltem Nacken zeigt, lag die Vermutung nahe, darin ein Abbild des großen Alexander selbst zu sehen. Andronikos nahm die Skulpturen mit in seine Unterkunft; in fiebriger Erregung verbrachte er eine schlaflose Nacht damit, in diesen Gesichtern zu lesen, die vielleicht die Abbilder der beiden bedeutendsten makedonischen Könige und ihrer Gefährten waren.

Gefährten Alexanders

Elfenbeinköpfe, von Manolis Andronikos in Grab Zwei gefunden

An der Fassade der Grabkammer (die man heute Grab Zwei nennt) fand das Andronikos-Team einen bemerkenswerten bemalten Fries. Nachdem er gereinigt und stabilisiert worden war, kam eine Jagdszene zum Vorschein, in der zehn kräftige Gestalten mit Dolchen und Speeren mehrere Arten von Wildtieren erlegen. Auch die Gesichter auf diesem Fries wirkten ausdrucksstark und lebensecht – wie individuelle Porträts. Und auch hier glaubte Andronikos, Philipp und Alexander zu erkennen, und zwar in Gestalt eines etwa 40-jährigen Mannes und eines Knaben von zwölf oder 13 Jahren. Die übrigen Jäger, bartlose Jünglinge, die etwas älter waren als «Alexander», identifizierte er als königliche Pagen, Söhne von Adligen, die, wie wir wissen, an Philipps Hof aufwuchsen und später Alexanders Busenfreunde wurden.

Fassade von Grab Zwei mit Fries, der königliche Jagdszenen zeigt

Die Funde von 1977 gaben genug Rätsel für ein ganzes Forscherleben auf, einschließlich der auch nach mehr als 30 Jahren noch nicht abschließend beantworteten Frage nach der Identität derer, die in dem Grab bestattet worden waren. Aber Andronikos war mit der Erkundung des großen Tumulus noch nicht fertig. 18 Monate später grub er an einer anderen Stelle des Hügels noch ein drittes Bauwerk aus, Grab Drei, das er später das Fürstengrab nannte. Auch dieses war im Inneren unversehrt, geschützt durch die Mächtigkeit der darüber aufgehäuften Erdschicht. Die Artefakte, die sich in diesem Grab fanden, waren zwar nicht so prunkvoll wie die aus Grab Zwei, aber gleichwohl nach allen archäologischen Maßstäben sensationell. Es barg die Überreste eines einzelnen Menschen, die allerdings nicht in einer goldenen Truhe, sondern in einem großen silbernen Gefäß, einer Hydria, aufbewahrt wurden. Eine Analyse ergab, dass sie wohl von einem höchstens 15 Jahre alten Jugendlichen stammen. Da sich dieses Grab auf das späte 4. Jahrhundert v. Chr. datieren ließ, konnte es sich nur um den Sohn und Nachfolger Alexanders des Großen handeln, der 309 oder 308 v. Chr. von seinen politischen Gegnern getötet worden war.

Nach diesen Funden bestand kein Zweifel mehr, dass der große Tumulus über zwei Jahrtausende hinweg gleichsam eine Momentaufnahme aus der stürmisch bewegten Zeit nach dem Tod Alexanders konserviert hatte: Da war ein Thronfolger im Kindesalter, dessen Bestimmung es gewesen war, die Nachfolge des fähigsten Eroberers anzutreten, den die Welt je gesehen hatte, der aber aufgrund seiner Abstammung in einen Mahlstrom dynastischer Machtkämpfe und Umwälzungen geriet. Und da waren die Porträts der Gefährten Alexanders – gemalt sowie als Elfenbeinschnitzerei –, seiner Freunde und Vertrauten, die mit ihm aufgewachsen waren und unter seinem Befehl gekämpft hatten, die ihn dann überlebten und zu seinen nur allzu gelehrigen Schülern wurden und die – in dem Bemühen, es unter ihrer Kontrolle zu halten – das Reich ein um das andere Mal mit Blut tränkten. Wenn wir einer der maßgeblichen Theorien über die in Grab Zwei Bestatteten folgen, so birgt es zudem die sterblichen Überreste von Alexanders Halbbruder und seiner Nichte, zweier Mitgliedern der königlichen Familie, die den Versuch, sich als die einzig rechtmäßigen Erben von Alexanders Thron zu gerieren, mit dem Leben bezahlten. Es scheint, als könnten die Knochen dieses Paares Zeugnis ablegen von dem stürmischen Charakter der Epoche, in der sie lebten, denn ein Experte kam zu dem Schluss, beide seien «trocken» eingeäschert worden, das heißt, nachdem die fleischlichen Bestandteile ihrer Körper bereits verwest waren. Waren sie also dort, in diesem prachtvollen Grab, erst beigesetzt worden, nachdem man sie zuvor anderswo hatte verwesen lassen?

In jedem Fall waren jene, deren Knochen und Porträts der große Tumulus preisgab, Zeitgenossen Alexanders des Großen, und ihr Ruhm ist von dem seinen bei weitem überstrahlt worden. Und doch gehören ihre Geschichten zu den stürmischsten und tragischsten, die je eine historische Grabstätte zu erzählen hatte. Sie waren die Protagonisten in einem gigantischen Drama des Niedergangs – sie erlebten die Aufspaltung eines Reiches, den Zusammenbruch einer politischen Ordnung und das Erlöschen einer Dynastie, die bis zu diesem Zeitpunkt fast vier Jahrhunderte überdauert hatte. Wir können ihre Gesichter heute in Vergina, dem einstigen Aigai, bestaunen, in dem Museum, das die Funde von Manolis Andronikos beherbergt. Es ist ihre Geschichte, die in den folgenden Kapiteln erzählt werden soll.

1. LEIBWÄCHTER UND GEFÄHRTEN

Babylon

31.Mai – 11. Juni 323 v. Chr.

Alexander war todkrank, und niemand wusste, was ihm fehlte. Manche glaubten, er sei unsterblich, schließlich waren die Eroberungen, die ihm während seiner zwölfjährigen Regierungszeit gelungen waren, eher die Taten eines Gottes als die eines Sterblichen gewesen. Es ging sogar das Gerücht, sein wirklicher Vater sei gar nicht Philipp, sein Vorgänger auf dem makedonischen Thron, gewesen, sondern der ägyptische Gott Amun. Als Alexanders Krankheit sich jetzt, in der ersten Juniwoche des Jahres 323, verschlimmerte, schien es, als könne, ja würde er doch sterben. Diejenigen, die ihm am nächsten standen, seine sieben Leibwächter und der größere Kreis seiner sogenannten Gefährten, beobachteten hilflos seine Agonie und belauerten einander aufmerksam. Sie waren fähige Heerführer, führende Köpfe des erfolgreichsten militärischen Eroberungszuges aller Zeiten, und sie waren geübt in der Bewältigung von Krisen. Nach den späteren Ereignissen zu urteilen, wusste in diesem Augenblick aber keiner, was zu tun war, was die anderen vorhatten oder was als nächstes geschehen würde.

In der düsteren Stimmung, die am Totenbett herrschte, wanderten ihre Gedanken zurück ins Vorjahr, zu einem Vorfall, dem damals niemand Bedeutung beigemessen hatte. Alexanders Heer hatte sich auf dem Rückmarsch aus Indien befunden (dem östlichen Teil des heutigen Pakistan), der entferntesten Region seiner Feldzüge. (Karten am Anfang und Ende des Buches zeigen die wichtigen Teilgebiete von Alexanders Reich.) Ein heiliger Mann aus dem Osten namens Kalanos hatte sich den Truppen angeschlossen, ein älterer Weiser, der für einige hohe Offiziere zu einer Art Guru geworden war. Als das Heer die Persis erreichte, war Kalanos erkrankt und hatte, da er ein langsames Dahinsiechen vor sich sah, beschlossen, seinem Leben durch Selbstverbrennung ein Ende zu bereiten. In einer feierlichen Zeremonie hatte er sich von jedem seiner Jünger verabschiedet, aber als sich Alexander näherte, hatte er ihn auf Abstand gehalten und den kryptischen Ausspruch getan, er werde den König erst beim Wiedersehen in Babylon umarmen. Dann hatte er vor den Augen der gesamten makedonischen Streitmacht einen hohen Scheiterhaufen bestiegen, und alle 40.000 Mann hatten zugesehen, wie er, reg- und lautlos inmitten der lodernden Flammen sitzend, verbrannte.

Digitale Rekonstruktion des antiken Babylon, von Norden her gesehen (wie Alexander es bei seinem ersten Einzug gesehen haben dürfte)

Jetzt waren sie in der reichen Stadt Babylon (im Süden des heutigen Irak) einmarschiert, und Kalanos’ Worte schienen plötzlich einen Sinn zu bekommen. Auch andere Vorfälle aus jüngerer Zeit gewannen eine unheilvolle Bedeutung. Wenige Tage bevor Alexander erkrankte, stürmte ein Eindringling, den niemand je zuvor gesehen hatte, in den Thronsaal des Palasts, setzte sich das Diadem auf, legte das königliche Gewand an – das Alexander abgelegt hatte, als er zum Training gegangen war – und setzte sich auf den Thron. Beim Verhör behauptete er, auf Anweisung eines ägyptischen Gottes namens Serapis gehandelt zu haben, einer anderen Darstellung zufolge hatte er es vielleicht aus einer Laune heraus getan. Doch Alexander vermutete ein Komplott und befahl die Hinrichtung des Mannes. Was immer die Beweggründe des Fremden waren – der Vorfall hatte etwas Bedrohliches an sich und erschien als ein böses Vorzeichen, das Gefahr für den Staat signalisierte.

Der Thronsaal, in dem sich die bizarre Episode abspielte, war berüchtigt für derartige Menetekel. Der bedeutende babylonische König Nebukadnezar hatte diesen Raum fast drei Jahrhunderte zuvor als großen zentralen Saal seines Palasts errichten lassen. Hier veranstaltete Belsazar, ein Nachfahre Nebukadnezars, ein großes Bankett, in dessen Verlauf die Gäste sahen, wie eine Geisterhand eine rätselhafte Botschaft an die Wand schrieb: mene mene tekel upharsin. Der Seher Daniel (einer der hebräischen Gefangenen, die aus Jerusalem nach Babylon verschleppt worden waren), entschlüsselte die Worte: Belsazar sei gewogen und zu leicht befunden worden; sein Reich werde zerfallen und unter den neuen Mächten, die in Asien um die Vorherrschaft rangen, den Medern und den Persern, aufgeteilt werden. Nach der biblischen Version der Geschichte erfüllte sich die Prophezeiung noch in derselben Nacht: Belsazar wurde getötet, als seine Feinde ohne Vorwarnung einfielen; mehr als 200 Jahre lang saßen in der Folge persische Könige – Kyros der Große, Dareios, Xerxes und andere – auf seinem Thron.

Jetzt war auch die persische Herrschaft Geschichte, und der große Thronsaal gehörte den neuen Herren Asiens, den Makedonen, und ihrem König Alexander. Und auch wenn die Schrift an der Wand längst verblasst war, schien dem neuen Omen, dem Fremden auf dem Thron, eine ähnlich unheilvolle Bedeutung innezuwohnen. Alle, die den Zwischenfall miterlebten, wussten, dass es niemanden gab, der als Erbe für den Thron bereitstand, niemanden, der prädestiniert war, die Herrschaft über ein Reich zu übernehmen, das sich 5000 Kilometer weit von den Küsten der Adria bis zum Tal des Indus erstreckte. Und außer Alexander selbst war niemand imstande, das Heer, die furchteinflößend zerstörerische Kampfmaschine, die dieses Reich erobert hatte, zu befehligen. In den vorausgegangenen zwei Jahren war es selbst Alexander kaum noch gelungen, sie zu bändigen. In welches Chaos mochte sie, ihres Führers beraubt, eine Weltordnung stürzen, die erst noch im Entstehen war?

Einer Legende zufolge, die sich in diversen antiken Quellen findet, wurde Alexander auf seinem Totenbett gefragt, auf wen seine Herrschermacht übergehen solle. Er antwortete: «Auf den Stärksten.» In manchen Versionen fügte der Eroberer hinzu, er sehe ein erbittertes Ringen an seinem Grab voraus – eine makabre Anspielung auf den griechischen Brauch, beim Begräbnis eines Helden sportliche Wettkämpfe abzuhalten. Vielleicht wurden Alexander die Worte nachträglich in den Mund gelegt, dennoch bergen sie eine grundlegende Wahrheit. In Ermangelung eines unbestrittenen Thronfolgers oder einer Nachfolgeregelung würde Alexanders Tod einen Machtkampf auslösen, wie die Welt ihn noch nie gesehen hatte, einen Kampf, dessen Siegprämie die gesamte bekannte Welt – die Herrschaft über Asien, Afrika und Europa – sein würde.

Die Leichenspiele für Alexander sollten in der Tat zu einem der heftigsten und komplexesten Wettkämpfe der Geschichte werden. In den Jahren nach dem Tod des Königs rang ein halbes Dutzend Feldherren miteinander in Kämpfen, die auf drei Kontinenten geführt wurden; und ein halbes Dutzend Mitglieder der königlichen Familie wetteiferte um den Thron. Feldherren und Monarchen taten sich zu wechselseitigem Vorteil zusammen, wechselten aber die Seiten und kämpften gegeneinander, wenn sie sich davon mehr versprachen. Der Wettstreit entwickelte sich zu einem generationenübergreifenden Staffellauf, in dem Militärbefehlshaber ihre Standarten an ihre Söhne, Königinnen ihre Zepter an die Töchter weitergaben. Es dauerte fast ein Jahrzehnt, bis sich Gewinner abzuzeichnen begannen, und das waren dann ganz andere als jene, die am Anfang des Wettkampfs – in Babylon, an der Seite des sterbenden Königs – an den Start gegangen waren.

Alexanders Rückkehr nach Babylon im Frühjahr 323, als chaldäische Prediger ihn warnten, ihm drohe Unheil, wenn er in die Stadt einziehe, stand in ernüchterndem Kontrast zu seinem ersten Besuch vor siebeneinhalb Jahren. Damals war er 25 Jahre alt gewesen, ein Mann mit scheinbar übermenschlichen Kräften und Ambitionen. Ein paar Wochen zuvor hatte er in der größten Schlacht, welche die Welt bis dahin gesehen hatte, die Perser besiegt und dabei persönlich eine Reiterattacke gegen den großen persischen König Dareios angeführt und diesen in die Flucht geschlagen. Da er seinen neuen asiatischen Untertanen noch nicht über den Weg traute, beließ Alexander sein Heer in Kampfbereitschaft, als er sich Babylon näherte, doch die Babylonier begrüßten ihn als Befreier von der persischen Herrschaft, nicht als neuen Eroberer. Sie drängten sich auf der Straße, um ihn willkommen zu heißen, bestreuten seinen Weg mit Blumen, sangen Hymnen und entzündeten entlang der gesamten Strecke bis zum großen Ischtar-Tor silberne Weihrauchlampen. Wollte man den Tag des größten Triumphes benennen, den die makedonische Streitmacht während ihres elfjährigen Eroberungszugs durch Asien erlebte, würde jener Tag im Oktober 331, an dem sie zum ersten Mal in Babylon einzog, zu den Top-Favoriten gehören.

Ein Monat des Prassens und Feierns gab den Truppen Alexanders einen ersten Eindruck von den Wundern des Ostens. Die Makedonen kamen aus rückständigen Gegenden – die meisten von ihnen waren Schafhirten und Bauern; wenige waren je aus ihrer steinigen Heimat herausgekommen, bevor Alexander sie nach Asien geführt hatte. Sie standen staunend vor den großen Palästen und Türmen – einem Vermächtnis Nebukadnezars – und vor den gewaltigen, mit Löwen-, Stier- und Drachenreliefs verzierten Mauern, die die Stadt in einem dreifachen Ring umschlossen. Die Kommandeure, die Alexander in dem großen Südpalast unterbrachte, wohnten nun in einem Labyrinth aus mehr als 600 Zimmern, von denen viele auf riesige hallende Innenhöfe sahen. In seinem Zentrum befand sich der große Thronsaal Nebukadnezars, auf dessen Wänden aus dunkelblau glasierten Ziegelsteinen Palmen und Löwen zu sehen waren. Hier erlebten sie, wie Alexander zum ersten Mal auf einem asiatischen Herrscherthron Platz nahm.

Alexander hatte erreicht, was er sich vorgenommen hatte: Mit 20 Jahren zum König von Makedonien gekrönt, hatte er keine Zeit verloren und dort weitergemacht, wo sein Vater Philipp, der zum Zeitpunkt seiner Ermordung zu einem Feldzug gegen das Perserreich hatte aufbrechen wollen, aufgehört hatte. Mit einer Streitmacht von 45.000 Mann setzte Alexander über den Hellespont (den man heute als die Dardanellen kennt), lieferte sich mit den Persern drei Schlachten innerhalb von drei Jahren und schlug sie jedes Mal vernichtend. Zwischen den Schlachten fand er Zeit für einen sechsmonatigen Abstecher nach Ägypten, wo er als Befreier begrüßt wurde und der ägyptische Gott Amun ihn als Sohn reklamierte, so berichten es jedenfalls einige Darstellungen seines Besuchs bei dem Orakel des Gottes in der nordafrikanischen Wüste. Vielleicht glaubte Alexander mit der Zeit selbst an seine göttliche Abstammung, hatte er doch in einem Ausmaß Macht und Reichtum errungen, das alle menschlichen Maßstäbe sprengte. Mit der Niederwerfung des Perserreichs hatte er eine sprudelnde Gold- und Silberquelle erschlossen: Schätze, welche die Perser im Lauf von Jahrhunderten zusammengetragen und in den Palästen von Susa und Persepolis gehortet hatten. Alexanders scheinbare Unbesiegbarkeit zog mächtige Verbündete auf seine Seite, darunter viele frühere Feinde der Perser.

Hier hätte Alexander Halt machen können, zufrieden mit seinen schon jetzt epochalen Erfolgen, doch er hatte erst die Hälfte seines Wegs zurückgelegt. Von Babylon aus führte er seine Streitmacht nach Norden und Osten, nach Baktrien und Sogdien (dem heutigen Afghanistan, Usbekistan und Tadschikistan), denn er verfolgte den geflohenen König Dareios und andere, die Ansprüche auf den persischen Thron erhoben. Zwei Jahre verbrachte er unter den aufsässigen Nomaden dieser Regionen und erlitt dabei durch Hinterhalte und Fallen schlimmere Verluste als in jeder seiner offenen Feldschlachten. Von alledem ließ er sich nicht abschrecken und überquerte 327 den Hindukusch in Richtung Indien (des heutigen Ostens von Pakistan); da er die über 2000 Meter hohen Gebirgspässe im zeitigen Frühjahr anging, litten seine Truppen Hunger, und die Pferde mussten sich durch brusthohe Schneeverwehungen quälen.

Nachbau des Ischtar-Tors von Babylon, Pergamonmuseum Berlin

Weitere zwei Jahre wurden in Indien verbracht, Jahre, die an Alexanders Truppen zehrten. Hatten sie bei ihrem Einzug nach Babylon die Wunder des Ostens gekostet, so kannten sie jetzt auch dessen Schrecken: wilde Guerillakämpfer, doppelzüngige Stammesfürsten, sengende Wüstenhitze und, furchterregender als alles andere, abgerichtete indische Kriegselefanten, eine verheerende Waffe, der sie nie zuvor begegnet waren. Am östlichsten der Induszuflüsse, dem Hyphasis (dem heutigen Beas), war die Grenze ihrer Leidensbereitschaft erreicht. Zwar befahl Alexander seinen Truppen weiterzumarschieren, doch zum ersten Mal rebellierten sie. Seine Männer wollten keine neuen Welten mehr erobern und weigerten sich, den Fluss zu überqueren. Zähneknirschend führte er sie zurück nach Westen. Doch ihre Meuterei machte ihn wütend, und so warf er seine Truppen in kräftezehrende Schlachten gegen indische Widerstandsnester, Schlachten, zu denen seine Männer kaum noch zu bewegen waren.

Vor den Toren einer Rebellenstadt in Indien führte Alexander selbst einen Sturmangriff an – mit katastrophalen Folgen: Er bestieg eine Sturmleiter, an die sich seine Männer nicht heranwagten, und posierte, wie um sie zu beschämen, auf der Mauerkrone, ohne Deckung dem feindlichen Beschuss ausgesetzt. Ein Trupp Fußsoldaten eilte ihm nach, doch brach die Leiter unter ihrem Gewicht zusammen. Unbeeindruckt sprang Alexander, nur von drei Kampfgefährten begleitet, von der Mauer ins Stadtinnere. In dem folgenden Handgemenge durchschlug der 90 Zentimeter lange Pfeil eines indischen Bogenschützen Alexanders Rüstung und bohrte sich in seine Lunge. In panischem Schrecken sprengten seine Truppen die Stadttore auf und schleppten ihren verwundeten Führer nach draußen; ein Offizier zog den Pfeil heraus, doch herausspritzendes Blut und zischend entweichende Luft verhießen nichts Gutes; der König verlor das Bewusstsein.

Die Soldaten ergriff Angst und Schrecken, als sich das Gerücht verbreitete, Alexander sei gefallen. Als nach kurzer Zeit ein Brief Alexanders in Umlauf war, unterstellten die Männer den Kommandeuren, sie hätten ihn gefälscht. Ordnung und Disziplin begannen sich aufzulösen, bis Alexander so weit zu Kräften kam, dass er sich seinen Männern zeigen konnte. Man brachte ihn auf ein Schiff und ließ ihn einen nahen Fluss hinabtreiben, dessen Ufer die Soldaten säumten; von Zeit zu Zeit hob der König kraftlos einen Arm, um zu zeigen, dass er bei Bewusstsein war. Als das Schiff am Flussufer anlegte, befahl er seinen Begleitern, sein Pferd zu bringen und ihn auf dessen Rücken aufzurichten. Das führte zu ekstatischen Freudenausbrüchen: Als er abstieg, umringten ihn Soldaten, warfen Blumen und griffen nach seinen Händen, Knien und Kleidern.

In Indien war Alexander dem Tod von der Schippe gesprungen – es war die Generalprobe für seinen Tod, und sie verlief nicht gut. Er hatte einen überragenden Führungsstab herangezogen, aber niemanden eindeutig zum zweiten Mann gemacht; er hatte höchste Aufgaben auf viele übertragen und damit bewusst unklare Machtstrukturen geschaffen. Ohne ihn im Zentrum hatten in den Mannschaften Verzagtheit und Argwohn um sich gegriffen, und man suchte vergeblich nach klaren Befehlswegen. Nur der Umstand, dass der König sich zeigte, hatte den völligen Kollaps verhindert.

Alexander erholte sich langsam von seiner Lungenverletzung. Im Sommer 325 zog er sein Heer aus Indien ab; einen Teil schickte er auf dem Landweg über die Berge, einen anderen auf dem Seeweg über das Arabische Meer, wie es heute heißt. Er selbst führte ein Kontingent durch eine Wüstenregion namens Gedrosien (das heutige Belutschistan in Südiran); als die Versorgungs- und Nachschubwege versagten, waren die Männer entsetzlichen Entbehrungen und sengender Hitze ausgesetzt. Am Ende kam nur eine ausgemergelte und dezimierte Kolonne durch die Wüstenei und sah das fruchtbare Kernland des alten Perserreichs wieder. Als sie sich erholt hatten und wieder mit ihren Kameraden vereint waren, folgten sie Alexander auf dem Weg zurück zum Schauplatz ihrer sieben Jahre zurückliegenden glorreichen Siegesfeier – zurück in die Stadt Nebukadnezars, in die Heimat der hängenden Gärten, in das reiche Babylon.

Am 17. Tag des makedonischen Monats Daisios, nach moderner Zeitrechnung am 1. Juni 323 v. Chr., erhielten die makedonischen Truppen in Babylon den ersten sichtbaren Hinweis, dass Alexander krank war. Der König kam aus dem Palast Nebukadnezars, um – wie es seine Pflicht als Oberhaupt des makedonischen Volkes war – die Opferzeremonie für die Götter zu leiten, die an diesem Tag vorgesehen war, aber er musste auf einer Bahre getragen werden. Am Abend zuvor hatte er bei einer Feier mit seinen ranghöchsten Gefolgsleuten gezecht und nach der Rückkehr in seine Privaträume Fieber bekommen. Am Morgen fühlte er sich zu krank, um gehen zu können.

Nach seinem kurzen und beunruhigenden Auftritt zog Alexander sich in den Palast zurück und ruhte aus. Am Abend ließ er seine Offiziere zu sich rufen, um einen Feldzug gegen die Araber zu besprechen, der drei Tage später beginnen sollte. Bis zu diesem Zeitpunkt war noch keine Rede davon, dass man die Pläne ändern müsste, nichts deutete darauf hin, dass Alexanders Verfassung sie infrage stellen könnte.

Die Männer, die an dieser Besprechung teilnahmen, gehörten Alexanders innerstem Kreis an; mit dabei waren vor allem seine sieben somatophylakes, seine Leibwächter. Sie waren weit mehr als Wachleute, sie waren seine engsten Freunde; sie gehörten zu seinen Beratern, und in den Schlachten übernahmen sie höchste Kommandoposten. Die meisten waren etwa in seinem Alter, mehrere waren mit ihm aufgewachsen. Nicht alle waren bedeutende Feldherren oder Taktiker. Das mussten sie auch nicht sein, denn Alexander formulierte die Taktik für sie aus. Was sie vor allem auszeichnete, war ihre felsenfeste Loyalität zu Alexander und dem, wofür er stand. Sie kannten die Ziele des Königs und unterstützten sie vorbehaltlos, standen in jeder Krise fest an seiner Seite, trotzten Widrigkeiten und Gegnern. Alexander konnte ihnen blind vertrauen, auch wenn sie sich untereinander nicht immer trauten oder mochten.

Ptolemaios war einer von ihnen, ein enger Vertrauter Alexanders seit Kindertagen, vielleicht ein paar Jahre älter als der 32-jährige König. Ptolemaios hatte den Asienfeldzug von Anfang an mitgemacht, aber jahrelang kein höheres Kommando innegehabt; von seinem Naturell und Temperament her war er kein geborener Krieger. Alexander hatte ihn im Verlauf des Feldzugs zum Leibwächter ernannt, ausschließlich aufgrund ihrer persönlichen Bindung, und danach begonnen, ihm auch militärische Aufgaben zu übertragen. In Indien hatte er ihn erstmals mit schwierigen Aufgaben betraut und seinen Jugendfreund damit zunehmend größeren Gefahren ausgesetzt. Bei einem Gefecht wurde Ptolemaios von einem Pfeil getroffen, dessen Spitze angeblich in Gift getaucht worden war. Einer späteren Legende zufolge verabreichte Alexander ihm persönlich das Gegengift, gewonnen aus den Blättern einer Pflanze, die er in einem Traum erblickt hatte. Wie seine spätere Laufbahn zeigen sollte, war Ptolemaios kaum der fähigste unter Alexanders Offizieren, aber er war vielleicht der schlaueste.

Im Gegensatz zu Ptolemaios hatte Perdikkas von Anfang an dem Kreis der obersten militärischen Befehlshaber angehört und hatte von allen, die jetzt in Babylon dabei waren, die größten militärischen Meriten erworben. Als Alexander sich in Indien von seiner Lungenverletzung erholte, hatte er, vermutlich auf eigene Initiative, die Führung übernommen. Perdikkas war vielleicht einige Jahre älter als der König, einer der jugendlichen Aristokraten, die als Pagen im Palast von Alexanders Vater, König Philipp, aufgewachsen waren. Den ersten Beweis seiner Tapferkeit hatte er schon als Teenager geliefert, als er als Ehrengardist Philipps bei dessen letztem öffentlichen Auftritt dem Mann, der den tödlichen Anschlag auf Philipp verübte, nachsetzte und ihn tötete. Perdikkas war Sprössling einer der königlichen Familien, die einst in den Bergregionen Makedoniens selbstständige Königreiche regiert hatten. Diese Familien hatten an Macht verloren, als Philipp sein Reich vergrößerte, aber ihre Nachkommen nahmen an Alexanders Hof eine privilegierte Stellung ein, solange sie ihm treu ergeben waren, und das war Perdikkas fraglos.

Ein weiterer ehemaliger Page Philipps war Leonnatos, auch er ein junger Mann von königlichem Geblüt; er hatte Perdikkas geholfen, den flüchtenden Mörder des Königs zu töten. Im Asienfeldzug war er erst spät in Führungspositionen gelangt, doch hatte er sich bei der Belagerung, die Alexander in Indien fast das Leben gekostet hätte, ausgezeichnet: Er war einer der drei Männer, die mit dem König in der belagerten Stadt abgeschnitten waren, und war schwer verwundet worden, als er den am Boden liegenden Alexander mit seinem Körper schützte – eine fabelhafte Demonstration von Heldenmut und Hingabe. Ein anderer Kampfgefährte, Peukestas, hatte bei gleicher Gelegenheit dasselbe getan; Alexander belohnte ihn, indem er ihn in seine Leibwache beförderte, die er damit – und das war präzedenzlos – auf acht Mann aufstockte.

Anwesend war ferner Nearchos, ein Grieche und einer von Alexanders ältesten und engsten Freunden, der aber nicht Mitglied der Leibwache war (in den Augen der Makedonen waren die Griechen ein zwar verwandtes, aber doch fremdes Volk und hatten daher keinen Zutritt zu dem ganz besonderen Kreis der Sieben). Alexander hatte Nearchos von einer Aufgabe in der Nachhut abgezogen und nach Indien kommen lassen, wo er ihm nach einer gewissen Zeit den Oberbefehl über die riesige Flotte übertrug, die den Indus hinab und nach Persien zurück segelte. Es war das schwerste Kommando, das Alexander je einem Untergebenen übertrug. Die Reise ging von Anfang an schief, und die Besatzungen mussten oft längere Zeit ohne Verpflegung und Wasser auskommen. Als die Flotte und das Landheer schließlich wieder zusammentrafen, erkannte Alexander seinen abgemagerten und wettergegerbten Freund erst nicht wieder, dann ergriff er seine Hand und vergoss Tränen der Erleichterung.

Noch ein Grieche gehörte zu den Teilnehmern der Besprechung: der 37-jährige Eumenes mit seinem Knabengesicht und der schlanken Figur, der Alexander ebenfalls von Kindesbeinen an kannte, ihm aber Dienste anderer Art geleistet hatte. Vor langer Zeit hatte Alexanders Vater Eumenes zum königlichen Sekretär gemacht und ihm damit eine Stelle übertragen, die man geschaffen hatte, um den vielfältigen Schriftverkehr eines expandierenden Reiches zu erledigen. Einem Bericht zufolge hatte Philipp an dem Jungen schlicht Gefallen gefunden, als er bei einem pankration auf ihn aufmerksam wurde, einem Ringerturnier im freien Stil, das Eumenes als Sieger beendete; Philipp stellte ihn vom Fleck weg an. Während des Asienfeldzugs mokierten sich andere Gefährten darüber, dass Eumenes Alexander mit Griffel und Schreibtafel folgte anstatt mit Schwert und Schild, und machten ihm, gelegentlich auch unsanft, klar, wo sein Platz sei. In Indien erfuhr Eumenes eine schmerzliche Demütigung, als Hephaistion, Alexanders Favorit, das für ihn bestimmte Quartier kurzerhand einem einfachen Flötenspieler zuwies. Eumenes beklagte sich heftig bei Alexander, und dieser gab ihm zunächst recht und tadelte Hephaistion; später wechselte Alexander aber die Seiten und schimpfte, dass Eumenes versucht habe, sich königliche Protektion zu sichern. Niemand wusste so richtig, wo man einen griechischen Ausländer, noch dazu einen Nichtkombattanten, in einer makedonischen Hierarchie einordnen sollte, die auf Tapferkeit aufbaute.

Zu guter Letzt entschied Alexander, dass auch Eumenes soldatische Tugenden haben könnte oder doch die Chance verdiente, seinen Mut unter Beweis zu stellen. In Indien betraute er seinen Sekretär mit einem kleineren Kavalleriekommando: Er beauftragte ihn, einen Reitertrupp gegen zwei rebellische Städte zu führen und ihre Unterwerfung zu verlangen. De facto suchte die Stadtbevölkerung das Weite, bevor Eumenes und seine Reiterei eintrafen, doch gab ihm das Kommando immerhin die Gelegenheit, auf feindlichem Territorium eine Mannschaft zu führen, und es erlaubte ihm zu zeigen, dass die makedonische Kavallerie einen Griechen als Kommandeur akzeptierte, wenn Alexander es anordnete. In seinem letzten Lebensjahr traf Alexander dann eine sehr viel weiter reichende Entscheidung: Er ernannte Eumenes zum Befehlshaber einer Eliteeinheit der Kavallerie, die bis dahin unter dem Befehl des großen Perdikkas gestanden hatte. Kein Grieche hatte in Alexanders Heer je einen so herausragenden Posten bekleidet. Der kleine Eumenes hatte es weit gebracht – und sollte es noch weiter bringen.

Die meisten der Männer, die mit Alexander zusammensaßen, waren durch Ströme von Blut gewatet, bis sie ihre Kommandeursposten errungen hatten. Der Indienfeldzug war besonders brutal gewesen: Alexander hatte Zivilisten und sogar Kriegsgefangene abschlachten lassen in der Hoffnung, diese ferne Provinz durch Terror zur Unterwerfung zwingen zu können. Seine Kommandeure hatten die blutigen Befehle befolgt, weil sie überzeugt waren, der Zweck heilige die Mittel. Nachdem Alexander die Perser unterworfen und den Stämmen jenseits des Kaspischen Meeres und des Hindukusch jegliche Angriffslust ausgetrieben hatte, glaubte er sich seinem Ziel nahe, die ganze bekannte Welt in einem einzigen Staat zu vereinen. Religiöse und kulturelle Freiheiten, Wirtschaftsentwicklung und sogar, wo immer möglich, lokale Autonomie würden dafür sorgen, dass sich die Völkerschaften des Reiches aktiv beteiligten, statt unwillige Untertanen zu sein. Mit dem sorgfältig aufgebauten und gepflegten Image dessen, der für Toleranz, Harmonie und Fortschritt stand, wäre Alexander selbst das Banner, unter dem sich die Völker zusammenfänden.

Alles, was nötig war, um diese schöne neue Welt Wirklichkeit werden zu lassen, sei die Vernichtung jener, die sie bedrohten, sei es durch Angriffe von außen oder durch Aufstände im Inneren. Die Kommandeure, die halfen, Alexanders Massaker durchzuführen, waren keine Schlächter, sondern unterstützten loyal seine beherrschende Vision. Sie waren bereit, mit ihm die Verwirklichung seines multiethnischen Weltstaats zu betreiben, weil sie fest überzeugt waren, eines Tages ihren Anteil an der Herrschaft zu erhalten. Alexander hatte deutlich gemacht, dass sie eine große Rolle spielen würden. In dem königlichen Pavillon, den er in seinem letzten Jahr in Persien errichten ließ – ein prachtvolles Festzelt, um das sich in konzentrischen Kreisen Tausende seiner Elitetruppen gruppierten –, platzierte er die Leibwächter auf Liegen mit silbernen Füßen unmittelbar um seinen eigenen goldenen Thron: Sie bildeten die innerste Umlaufbahn des Kosmos, in dessen Zentrum er stand.

Jetzt bereiteten diese zuverlässigen Kommandeure einen Feldzug gegen die Araber vor, ein Volk, von dem keine direkte Bedrohung für das Reich ausgegangen war. Während freilich viele nicht unterworfene Völkerschaften Botschaften an Alexander schickten, als dessen Heer nach Babylon zurückgekehrt war, und ihre Unterwerfung anboten, taten die Araber dies nicht. Ihr Schweigen gab Anlass zur Sorge, weil sie entlang der Wasserwege lebten, welche die asiatischen Kernlande des Reiches mit Afrika und Europa verbanden. Als Gegner konnten sie Alexanders Städte vom einträglichen Handelsverkehr abschneiden oder die Reichweite seiner Kriegsschiffe begrenzen. Wären sie hingegen unter makedonischer Kontrolle, fänden die Schiffe, die nach Alexanders Plänen zwischen dem Mittelmeer und dem Osten verkehren sollten, an den Küsten Arabiens Häfen und Ankerplätze.

Die Gespräche, die in jener ersten Nacht nach Ausbruch von Alexanders Krankheit geführt wurden, kreisten um strategische und logistische Fragen. Das Heer war für die vor ihm liegenden Aufgaben bestens gerüstet. Die Phalanx zu Fuß, eine dicht gestaffelte Formation von Kämpfern, die mit Sarissen bewaffnet waren, rund fünfeinhalb Meter langen Lanzen, würde den Kern des Expeditionskorps bilden. Auch die Elitetruppe der Gefährten zu Pferde, der für den Angriff wichtigste Truppenteil, würde mit von der Partie sein; Belagerungstechnik aller Art – massive fahrbare Türme mit eingebauten Rammböcken und Zugbrücken, Katapulte und neuartige, von genialen Ingenieuren konstruierte Artilleriewaffen – würde in ihre Bauteile zerlegt und mit dem Schiff transportiert werden. Die Flotte würde außerdem Proviant für die Bodentruppen und Material für den Bau der Garnisonsstädte mitführen, die entlang des Persischen Golfs entstehen sollten, sobald die Araber unterworfen waren.

Sicherlich ernannte Alexander die Kommandeure, die jede Truppeneinheit befehligen würden. Perdikkas, einer der anwesenden hohen Offiziere, hätte das Kommando über das Landheer erhalten, da Alexander mit der Flotte des Nearchos zu reisen plante. Eumenes sollte seinen entscheidend wichtigen neuen Posten als Kommandeur einer Kavallerieeinheit der Gefährten übernehmen. Niemand konnte sicher sein, wie gut ein Grieche diese Rolle ausfüllen würde, selbst wenn es ihm nicht wirklich an Erfahrung gefehlt hätte, doch Alexander schien entschlossen, es herauszufinden.

Nach Abschluss der Besprechung wurde Alexander aus dem Palast getragen, an Bord eines Schiffes gebracht und wahrscheinlich in den kleinen Sommerpalast gefahren, der flussaufwärts im nördlichen Viertel Babylons lag. Hier gab es das, was die Perser pairi-daçza nannten (paradeisos bei den Griechen, die Wurzel unseres «Paradieses»), einen Natur- und Wildpark, der als Lustgarten achämenidischer Könige angelegt worden war, zugleich aber für Kühlung sorgte und so Erholung von der brütenden Hitze Mesopotamiens gewährte. Alexander hoffte, dass das Fieber nachließe, das ihn schon einen ganzen Tag quälte, aber er wollte sich wohl auch abschotten. Eingedenk dessen, was nach seiner lebensgefährlichen Verwundung in Indien passiert war, schien es wichtig, sicherzustellen, dass nur wenige erfuhren, wie krank er war.

Die ranghohen Gefährten, die an jenem ersten Tag mit Alexander konferierten, trafen sich zwei Tage später erneut, dieses Mal in der Abgeschiedenheit des Sommerpalasts. Der Zustand des Königs hatte sich leicht gebessert. Sein Fieber war mal gestiegen, mal gefallen, zeitweise hatte er sogar essen und Gespräche führen können. Der Feldzug nach Arabien, dessen Start in zwei Tagen anstand, sollte planmäßig beginnen.

In diesen Tagen müssen sich die Kommandeure darüber unterhalten haben, wie es weitergehen würde, falls sich Alexanders Gesundheitszustand verschlechterte. Sie hatten Grund zur Sorge. Im Herbst des Vorjahres war Hephaistion, ein hoher Offizier, der vor Gesundheit und Kraft strotzte, binnen sieben Tagen einem Fieber erlegen, das demjenigen ähnelte, an dem Alexander litt. Zudem war das Fieber bei beiden Männern nach einem Zechgelage ausgebrochen, was die Frage nach einer Vergiftung aufwarf. Früher oder später dürften die Kommandeure – im Gespräch oder jeder für sich – die Möglichkeit erwogen haben, dass Alexander das Opfer eines Mordanschlags war. Es gab viele, die Alexander nur zu gern tot gesehen hätten. Die unterworfenen Perser waren ihm schwerlich in Zuneigung verbunden, obgleich sie im Großen und Ganzen ein passives Volk waren und mit dem – ziemlich großen – Anteil an der Regierungsmacht zufrieden, den Alexander ihnen zugewiesen hatte. Alexanders griechische Untertanen waren vergleichsweise aufsässiger und nicht so leicht zu befrieden. Von ihren Stadtstaaten in Europa aus hatten sie bereits zwei Aufstände begonnen und trafen, wie bald deutlich werden sollte, aktuell Anstalten für eine dritte Rebellion. Alexander war von griechischen Lehrern ausgebildet worden, nicht zuletzt von dem Philosophen Aristoteles, und war bemüht, sich zu hellenischen Idealen zu bekennen, doch regierte er oft eher im Stil eines Autokraten als in dem eines Philosophenkönigs. Ein griechischer Philosoph hatte es tatsächlich gewagt, ihm zu widersprechen, als er die persische Sitte einführen wollte, wonach die Höflinge ihn mit einem Fußfall begrüßen sollten, und er hatte später einen Vorwand gefunden, den Mann verhaften oder sogar (wie manche Quellen behaupten) hinrichten zu lassen. Dieser Mann war Kallisthenes, Alexanders Hofhistoriker und, wie der Zufall wollte, ein Verwandter und Schützling des Aristoteles. War es denkbar, dass Aristoteles, der damals in Athen lebte, einen Giftanschlag auf seinen ehemaligen Schüler eingefädelt hatte, um Kallisthenes zu rächen?

Dann gab es noch die Konservativen unter den makedonischen Untertanen des Königs, Männer, die seine seltsamen Vorstellungen dezentraler Herrschaft und kultureller Verschmelzung ablehnten. Viele dieser Reaktionäre hatte Alexander kaltgestellt, doch einer hatte seine Machtposition bewahrt: der alte Antipater, der mittlerweile über 70 war und – unterstützt von seinem Sohn Kassander, der nahezu gleich alt war wie Alexander – als loyaler Statthalter des Königs zwölf Jahre lang die makedonische Heimatfront abgesichert hatte. Gleichwohl hatte der König beschlossen, Antipater abzusetzen, sei es durch dessen Rücktritt oder durch extremere Mittel. Alexander ließ ihm die Order überbringen, seinen Posten zu räumen und zum Rapport nach Babylon zu kommen, aber aus unbekannten Gründen blieb der alte «General» in Makedonien und schickte an seiner Stelle seinen Sohn. Kassander, dessen Antipathie gegen Alexander kein Geheimnis war und der die neuen Hofsitten mit ihren asiatischen Anleihen verachtete, traf kurz vor Alexanders Erkrankung in Babylon ein. Könnten er und sein Vater – sei es aus Abscheu über die Entwicklung, die Alexander genommen hatte, sei es aus Angst um ihre eigene Sicherheit – ein Komplott zur Ermordung ihres Königs geschmiedet haben?

Viele Griechen und Makedonen beantworteten die Fragen mit ja; insbesondere die letztere. Gerüchte, die zur Zeit von Alexanders Tod kursierten, wollten wissen, Kassander habe auf Geheiß seines Vaters einen tödlichen Trank nach Babylon mitgebracht, den Aristoteles aus einer Quelle geschöpft hatte, die angeblich den Ursprung des Flusses Styx bildete. Diesen Gerüchten zufolge war das betäubend kalte Gift im Huf eines Maultiers transportiert worden: Angeblich wirkte es so ätzend, dass jedes andere Gefäß, und sei es aus solidem Eisen, zersetzt worden wäre. Dann habe Kassanders Bruder Iolaos, der damals – welch ein Zufall! – Mundschenk des Königs war, das Gift heimlich in Alexanders Becher getan. Die Geschichte erschien im Hinblick auf Motiv, Mittel und Gelegenheit plausibel, und so viele glaubten sie, dass, wie wir noch sehen werden, Alexanders Mutter später die sterblichen Überreste des Iolaos ausgraben und zur Strafe für seine Beteiligung an dem Komplott in alle Winde verstreuen ließ.

Welchen Wahrheitsgehalt man diesen Gerüchten zumessen kann, ist schwer zu entscheiden. Diejenigen, die dem König in seinen letzten Tagen beistanden, waren dieselben, die in der Folge das öffentliche Bild Alexanders steuerten und die um seine Macht konkurrierten; sie manipulierten die Darstellung seines Todes – ja seiner gesamten Herrschaft – so, wie es ihren eigenen Zwecken diente. Sie scheuten nicht einmal davor zurück, Unwahrheiten zu lancieren mit dem Ziel, Rivalen in Verruf zu bringen. (Die Erzählungen in dem sogenannten Liber de Morte oder Buch von dem Tod, eine Räuberpistole, die vorgab, das Giftkomplott zu enthüllen, entstanden offenbar in diesem Kontext.) In den Jahren nach 323 fabulierten viele bei der Frage, wer Alexander auf dem Gewissen hatte oder ob er eines natürlichen Todes gestorben war, und neigten entsprechend ihrer jeweiligen Interessenlage der einen oder der anderen Version zu, so dass sich die Wahrheit nur schwer ergründen lässt.

Ein Dokument hat moderne Interpreten besonders in Verwirrung gestürzt. Die Ephemeriden oder Hoftagebücher sind heute verschollen, standen aber sowohl Plutarch als auch Arrian für ihre Darstellung der letzten Tage Alexanders zur Verfügung. Dieser Quelle zufolge erlag Alexander einem lange andauernden Fieber und starb keineswegs den schnellen, gewaltsamen Tod eines Giftopfers, zudem erwähnt sie ein von anderen Quellen überliefertes verdächtiges Detail – dass Alexander, nachdem er einen großen Kelch Wein geleert hatte, einen stechenden Schmerz im Rücken gespürt und laut aufgeschrien habe – nicht. Man nimmt an, dass das Dokument von Alexanders griechischem Schreiber Eumenes verfasst wurde, der die geschilderten Vorgänge persönlich miterlebte und für manche daher ein glaubwürdiger Zeuge ist. Es könnte freilich auch eine Fälschung sein, oder Eumenes könnte es selbst manipuliert haben, um ein Komplott zu vertuschen. Noch komplizierter wird die Sache dadurch, dass die Zusammenfassungen, die Arrian und Plutarch von den Ephemeriden überliefern, etliche zum Teil erhebliche Unterschiede aufweisen. Ganz offenkundig benutzte einer der beiden Autoren – oder auch beide – ein umgearbeitetes Exemplar.

Der Streit unter den Zeitgenossen Alexanders über die Ursache seines Todes macht es schwer, Belege zum Nennwert zu akzeptieren. Wir bewegen uns hier in einem Spiegelkabinett, in dem gilt: Je überzeugender eine Version wirkt, desto mehr drängt sich der Verdacht auf, dass sie das Machwerk raffinierter Verschwörer ist, die ihre Verbrechen vertuschen wollten. Aber Geschichtsforschung muss schließlich irgendwo ansetzen; wenn keinem Sachverhalt zu vertrauen ist, kann man auch nichts wissen. Die nachfolgende Schilderung stützt sich auf Arrians Zusammenfassung der Hoftagebücher, ist sich aber immer bewusst, dass keine unserer Quellen einen absoluten Wahrheitsanspruch erheben kann.