Der Kalte Krieg der Generationen - Pantel Johannes - E-Book

Der Kalte Krieg der Generationen E-Book

Pantel Johannes

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Beschreibung

Unsere Gesellschaft altert unaufhaltsam. Diese Entwicklung birgt Sprengstoff, nicht nur für unsere Versorgungssysteme, sondern für den gesellschaftlichen Zusammenhalt insgesamt. Bisher konnten wir nach ähnlichen Warnungen wieder zur Tagesordnung übergehen. Mit dem bevorstehenden Eintritt der Babyboomer in den Ruhestand, mit den Protesten der jungen Klimaschützer gegen den Lebenswandel der Alten und mit den Folgen der Coronapandemie sind diese Zeiten endgültig vorbei. Es droht ein Ressourcenkampf, der nicht nur die Solidarität zwischen Jung und Alt, sondern auch die Lebens- und Überlebenschancen alter Menschen massiv bedrohen könnte. Johannes Pantel analysiert diesen Konflikt, skizziert die drohende Eskalation und zeigt Lösungswege für ein gelingendes Bündnis zwischen den Generationen auf.

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Johannes Pantel

Der Kalte Krieg

der Generationen

Wie wir die Solidarität zwischen Jung und Alt erhalten

© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2022

Alle Rechte vorbehalten

www.herder.de

Umschlaggestaltung: © Sabine Hanel, Rohrdorf

E-Book-Konvertierung: Carsten Klein, Torgau

ISBN Print: 978-3-451-39082-1

ISBN E-Book (EPUB): 978-3-451-82699-3

ISBN E-Book (PDF): 978-3-451-82704-4

Für meine Eltern

Inhalt

Vorwort

Teil 1: Nicht mehr beste Freunde?

Kapitel 1: Jung gegen Alt – nichts Neues unter der Sonne?

Kapitel 2: Von Boomern und Zoomern – klare Sache?

Kapitel 3: Das schleichende Gift der Gerontophobie – oder: Das Aufrüsten beginnt in den Köpfen

Kapitel 4: Die Hofübergabe – was heißt hier schon gerecht?

Kapitel 5: Meine Oma ist ’ne alte Umweltsau – was uns Fridays for Future lehrt

Kapitel 6: Corona und die Generationen – ein Virus bringt die Fronten in Stellung

Kapitel 7: Triage – wer darf ans Beatmungsgerät?

Kapitel 8: No country for old men? – Der Countdown läuft

Teil 2: Schleichend entsorgt – Was den Boomern blühen könnte

Kapitel 9: Über die Tötung der Alten – ein kleiner Ausflug in Literatur und Geschichte

Kapitel 10: Von der Gerontophobie zum Gerontozid

Kapitel 11: Droht der gesundheitspolitische Senizid? – Wenn alte Menschen hinten runterfallen

Kapitel 12: Sollen wir sterben wollen? – Wie die moralisch saubere Selbstentsorgung funktioniert

Kapitel 13: Am rutschigen Hang – ein Exkurs über die Tötung Demenzkranker in den Niederlanden

Kapitel 14: Darf man das? – Das ethische Bollwerk bröckelt

Teil 3: Was zu tun ist – Noch ist der Zug nicht abgefahren

Kapitel 15: Altersbilder korrigieren – Generationen zusammenführen

Kapitel 16: Nicht hinters Licht führen lassen!

Kapitel 17: Alte Menschen besser schützen

Kapitel 18: Gerecht sollte es schon sein

Kapitel 19: Gemeinsame Interessen in den Blick nehmen – der neue Dialog der Generationen

Epilog

Literaturverzeichnis

Über den Autor

Vorwort

In Medien und sozialen Netzwerken ist das Thema schon eine Weile präsent: Die Jungen begehren auf. Sie graben das Kriegsbeil aus, um gegen die Alten zu Felde zu ziehen. Millennials gegen Boomer! Sie haben noch nichts davon gehört? Sie wissen nicht einmal genau, was ein Boomer ist? Dann sind Sie vielleicht selbst einer und sollten dieses Buch unbedingt lesen.

OK Boomer, um dies gleich am Anfang klarzustellen: Diese Anrede ist meist nicht als Kompliment gemeint. Sie hat etwas Spöttisches, Ausgrenzendes, Sarkastisches. Denn Boomer, so die verbreitete Ansicht, blicken – bei aller Herablassung, mit der sie jüngeren Menschen begegnen – nicht wirklich durch. Sie sind langsam, altmodisch, uncool, peinlich, mit anderen Worten: Boomer sind cringe!

Boomer oder Babyboomer ist eine Fremdbezeichnung. Im engeren Sinne steht sie für die Mitglieder der geburtenstarken Jahrgänge, also für diejenigen, die in den Jahren 1955 bis 1969 das Licht der Welt erblickten. Im weiteren Sinne wird sie abfällig für alte Menschen im Allgemeinen verwendet, für alle über 50 oder wahlweise für diejenigen, die graue Haare haben, schon etwas länger auf der Welt sind und damit zu »den Alten« gehören, die bekanntlich den Planeten an die Wand gefahren haben.

Und »die Alten« werden immer mehr. Unsere Gesellschaft altert unaufhaltsam. Oft schon wurde – teils in alarmistischen Pamphleten, teils in seriösen wissenschaftlichen Publikationen – auf die möglichen sozialen Folgen des demografischen Wandels hingewiesen. Diese Entwicklung berge Sprengstoff, so hieß es, nicht nur für unsere sozialen und medizinisch-pflegerischen Versorgungssysteme, sondern auch für den gesellschaftlichen Zusammenhalt insgesamt. Doch die Katastrophen blieben aus und die Kassandrarufe verhallten. Bisher konnten wir danach stets wieder zur Tagesordnung übergehen.

Mit Eintritt der Babyboomer in den Ruhestand sind diese Zeiten endgültig vorbei: Die Stimmung beginnt zu kippen und das lauernde Konfliktpotenzial könnte endgültig scharf gestellt werden. Denn die unangenehme Wahrheit ist: Aufgrund der schieren Größe der Boomer-Generation handelt es sich bei dem drohenden Generationenkonflikt wie kaum je zuvor um einen Ressourcenkonflikt, der nicht nur die Solidarität zwischen Jung und Alt, sondern auch die Lebens- und Überlebenschancen alter Menschen zur Disposition stellen könnte.

Das klingt bedrohlich. Und doch ist dies kein Buch, das vor der angeblichen »Überalterung« oder »Vergreisung« unserer Gesellschaft warnt. Denn davon gibt es schon zu viele. Vielmehr möchte ich dazu anregen, über die Gefahren einer Militarisierung im Verhältnis der Generationen nachzudenken, über die Gefahren einer Aufrüstung in den Köpfen, eines »Kalten Krieges« der Generationen gar. Denn sollten sich die Feindbilder verfestigen, so stünde dies nicht nur allen konstruktiven Lösungen des heraufziehenden Generationenkonfliktes im Weg, sondern könnte bald schon zulasten derjenigen gehen, die der Solidarität unserer Gesellschaft in besonderer Weise bedürfen. In diesem Sinne habe ich dieses Buch für Menschen jeden Alters geschrieben, denen an einem friedlichen und solidarischen Miteinander gelegen ist.

Johannes Pantel im Frühjahr 2022

Teil 1: Nicht mehr beste Freunde?

Warum erleidet ein ganzes Land durch Corona Einschränkungen, wenn neun von zehn Todesopfer der Krankheit über 60 sind? Wer muss umziehen, wenn durch den Klimawandel die ersten Städte überschwemmt werden? Wer bezahlt die Milliardenschulden, die wir heute machen, morgen zurück? Und was passiert, wenn aufgrund des demografischen Wandels das Rentensystem zusammenbricht?

Tassilo Hummel und Jan Karon (beide Jahrgang 1992) am 15.9.2020 in Deutschlandfunk Kultur

Schiebt ab! Es ist genug!

Karolin Würfel (Jahrgang 1986) an die Adresse der Babyboomer im Februar 2018 in Jetzt, dem Online-Magazin der Süddeutschen Zeitung

Kapitel 1: Jung gegen Alt – nichts Neues unter der Sonne?

»Bereichern sich die Alten auf Kosten der Jungen?«, fragt die Zeit und sieht düstere Wolken am Generationenhimmel aufziehen.1 Das österreichische Lifestyle-Magazin Wiener sieht gar einen Krieg der Jungen gegen die Alten2 herannahen und kennt auch den Grund: Die ältere Generation habe ihren hemmungslosen Konsumfetischismus ohne Rücksicht auf die Nachgeborenen ausgelebt. Diese müssten jetzt die Zeche zahlen. Die Alten hätten das Land zubetoniert, die Flüsse vergiftet, die Atemluft verpestet, kurzum, unsere Welt ruiniert und den Jungen damit die Zukunft genommen. »Jetzt kommt ein gnadenloser Krieg!«, titelt kurz darauf der Spiegel, und macht einen »zunehmenden Altenhass« unter jungen Deutschen aus.3 Ein demografischer Umsturz ohnegleichen habe die Stimmung der jüngeren Generation verhagelt: Die Menschen lebten immer länger, aber von unten wachse wenig nach. So sei der Kollaps des herkömmlichen Rentensystems absehbar, da immer weniger Junge für immer mehr Alte aufkommen sollen. Erbarmungslose Verteilungskämpfe seien die Folge. In den USA habe man hierfür bereits deutliche Worte gefunden: »Age wars«.

Krieg den Alten?

Hier findet der gerade aufbrechende Generationenkonflikt seinen journalistischen Niederschlag, könnte man glauben. Aufgebrachte Millennials, die gegen Babyboomer im Vorruhestand zu Felde ziehen. Rhetorisch überzogen, aber topaktuell.

Tatsächlich stammen die düsteren Kriegsprognosen aus dem Jahr 1989, sie sind also über dreißig Jahre alt. Menschen, die man heute als »Boomer« verunglimpfen würde, wurden damals abfällig »Gruftis« genannt. Ich selbst war sechsundzwanzig, studierte Medizin und durfte mich, gemeinsam mit den anderen Babyboomern meiner Generation, zu den Jungen zählen. Mit zunehmendem Unwohlsein – schließlich ging es auch um meine eigene Zukunft – verfolgte ich, wie die Debatte »Deutschland gegen Methusalem«4 noch im selben Jahr an Fahrt aufnahm: Der Generationenkonflikt breche als »Altersklassenkampf«, als »Bürgerkrieg zwischen Jungen und Alten« neu auf, konstatierte etwa der Soziologe Reimer Gronemeyer in seinem viel beachteten Essay »Die Entfernung vom Wolfsrudel«.5 Die Jungen würden anfangen, ihr Verhältnis zu den Alten neu zu betrachten, eine »smarte Rohheit« gegenüber den Alten komme auf. Alte Menschen würden nicht mehr als integrationsbedürftige Randgruppe gesehen, sondern als kostenträchtige Problemgruppe. Respekt vor den Alten? Wieso denn, aus welchen Gründen? Teure, nutzlose, konsumgierige Menschen in großer Zahl seien zu besichtigen.6

Die demografischen Entwicklungen seien »alarmierend«, »dramatisch«, gar »explosiv«, stellte auch der Fernsehjournalist und ZDF-Gesundheitsexperte Hans Mohl in seinem wenig später erschienenen Bestseller »Die Altersexplosion« fest. Die demografische »Zeitbombe« müsse entschärft, der »Explosionsherd abgesichert« werden, sonst drohe die Gesellschaft am »Problem ihrer Überalterung« zu scheitern.7

Fast zeitgleich setzte der Deutsche Bundestag eine Enquete-Kommission ein, die den Namen »Demografischer Wandel – Herausforderungen unserer älter werdenden Gesellschaft an den Einzelnen und die Politik« trug. Insbesondere das »Verhältnis zwischen den Generationen« verlange eine eingehende Analyse, heißt es in dem 2002 publizierten Abschlussbericht.8 Denn der demografische Wandel sei immens und mache es erforderlich, über die Veränderung im Bevölkerungsaufbau intensiv nachzudenken. Mögliche Konsequenzen seien aufzuzeigen. Es folgte eine Reihe von Handlungsempfehlungen an Politik und Wirtschaft, verbunden mit der Hoffnung, dass diese die »notwendigen Veränderungen initiieren und positiv beeinflussen« werden. Die eine oder andere – etwa die Erhöhung des Renteneintrittsalters – wurde in der Folgezeit umgesetzt. Aber war die »Zeitbombe« damit wirklich entschärft?

Ein wenig verzagt las ich kurze Zeit später Frank Schirrmachers »Methusalem-Komplott«9. Der »wirkliche Schock« werde sich vermutlich zwischen 2010 und 2020 ereignen, prognostizierte der Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung in seiner viel beachteten Streitschrift. Dieser »Alterungsschock« sei mit dem Schock der Weltkriege vergleichbar und werde mit einer nie da gewesenen »rassistischen Diskriminierung« alter Menschen einhergehen. Nur ein Komplott der Alten gegen den biologischen und sozialen »Terror der Altersangst«, eine »militante Revolution unseres Bewusstseins«, könne diese dramatische Entwicklung noch abwenden. Bleibe dieser aus, so werden die Jungen von heute im Alter in die »seelische Sklaverei« gehen.

Weitere achtzehn Jahr später – wir schreiben das Jahr 2022 – gehöre ich selbst zu »den Alten« oder bin zumindest auf dem besten Weg dorthin. Der angeblich kurz bevorstehende, spätestens jedoch ab 2010 über uns hereinbrechende Krieg der Generationen ist ausgeblieben.10 Auch der bereits vor dreißig Jahren prognostizierte volkswirtschaftliche Ruin selbst so reicher Nationen wie den USA, die unter der Last der Kosten zur »Verlängerung des Lebens von unheilbar Kranken und Alten«11 kollabieren würden, lässt weiterhin auf sich warten.

Also, so frage ich mich, war das alles nur falscher Alarm? Führt der demografische Wandel am Ende doch nicht in die vielfach angekündigte Katastrophe? Waren das Schüren der »Methusalem-Angst« und die Warnungen vor dem drohenden Generationenkrieg Teil einer medial inszenierten »Alterslüge«,12 die neoliberalen Politikern dazu diente, mithilfe von Privatisierungsprogrammen die Axt an die Grundfeste unserer sozialen Sicherungssysteme zu legen? Oder waren sie gar hysterische Dramatisierungen? Es wäre natürlich beruhigend, diese Frage mit Ja beantworten zu können, aber leider ist diese Geschichte noch nicht zu Ende erzählt.

Die demografische Urangst der Deutschen

Die sorgenvolle Beschäftigung mit der Altersstruktur unserer Bevölkerung sowie die Warnung vor einem hieraus gespeisten Krieg der Generationen sind zumindest nicht neu. Angeregt durch diese Beobachtung beginne ich, mich mit der Geschichte des demografischen Diskurses in Deutschland zu beschäftigen, und stelle bald fest: Die Demografie war schon immer eines der großen Angstthemen der Deutschen.13 Bereits in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden die Gefahren eines »Volks ohne Jugend« publizistisch heraufbeschworen und Warnungen vor einer »biologischen Selbstvernichtung« der Deutschen durch »die drohende Schrumpfung und Überalterung des Volkskörpers«14 ausgesprochen. Entsprechend war die Steuerung der demografischen Entwicklung ein zentrales Anliegen der Nationalsozialisten, u. a. mit tödlichen Folgen für alte, kranke und pflegebedürftige Menschen, die als »unproduktive Ballastexistenzen«15 galten. Wenige Jahre später warnte der erste Bundeskanzler der neu gegründeten Bundesrepublik, Konrad Adenauer, vor den Gefahren einer »wachsenden Überalterung« und nannte die Bevölkerungsbilanz des deutschen Volkes erschreckend.16 Und, siehe da, die Deutschen erhörten ihren Kanzler und die Zahl der Geburten schoss nach oben! In den folgenden Jahren erblickten die Babyboomer das Licht der Welt. Bald schon machten Begriffe wie »Geburtenschwemme« die Runde und um das Thema Demografie wurde es eine Weile still.

Erst zu Beginn der 1980er Jahre – der »Pillenknick« hatte längst seine drastischen Spuren in den Kurven der Demografen hinterlassen – nahm die Diskussion wieder Fahrt auf. Von nun an lässt sich dieser nicht selten unter völkisch-rassistischen Vorzeichen (»Deutschland ohne Deutsche!«) stehende Diskursstrang, einmal stärker, einmal schwächer ausgeprägt, bis in die Gegenwart verfolgen.17

Neben der Angst vor dem vermeintlichen »Genosuizid«, dem »Volksselbstmord«, drängte dann Ende der 1980er Jahre – als man allmählich begriff, dass die Babyboomer auch einmal das Rentenalter erreichen werden – eine zweite demografische Angst in die öffentliche Wahrnehmung: Diese hat weniger das »Aussterben der Deutschen« zum Gegenstand als vielmehr eine angebliche »Überalterung« bzw. »Vergreisung« unserer Gesellschaft und die damit verbundenen Bedrohungen für den gesellschaftlichen Frieden. Die »Methusalem-Angst« war geboren, von der oben schon die Rede war.

Und doch: Die Deutschen werden immer älter

Aber was ist dran an der gefühlten Bedrohung? Ein Blick auf die aktuellen Statistiken macht deutlich: Tatsächlich hat die »Methusalem-Angst« einen wahren Kern, aus dem sie, bei aller überzogenen Rhetorik, ihre Plausibilität bezieht: Der demografische Wandel ist real, unabwendbar und wird sich in den kommenden Jahren weiter beschleunigen. Dies besagen zumindest die Vorausberechnungen, die demografische Experten im Auftrag der Bundesregierung zuletzt im Jahr 2021 vorgenommen haben:18 Bedingt durch das Altern der geburtenstarken Jahrgänge, vulgo der Babyboomer, wird in den vor uns liegenden zwei Jahrzehnten insbesondere die Zahl der über 67-Jährigen (d. h. der Ruheständler) deutlich zulegen, während die Zahl der unter 67-Jährigen ebenso drastisch zurückgehen wird (vgl. Abbildung 1).19 Konkret bedeutet dies: Die ältere Bevölkerungsgruppe wird zwischen 2020 und 2035 um 4 Millionen auf 20 Millionen (+22 %) und in den darauffolgenden fünf Jahren um weitere 2 Millionen auf dann über 22 Millionen Menschen anwachsen.

Abb. 1: 14. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung für Deutschland, Variante 1: Moderate Entwicklung bei niedrigem Wanderungssaldo (2022 und 2040). Quelle: Statistisches Bundesamt (Destatis), Wiesbaden 2022, https://service.destatis.de/bevoelkerungspyramide (abgerufen am 25.11.2021). Die waagerechte Linie markiert das 67. Lebensjahr.

Dabei wird zunächst die Zahl der 67- bis 79-Jährigen stark steigen. Diese lag in den vergangenen Jahren relativ stabil bei 10 Millionen und wird nun innerhalb weniger Jahre auf über 14 Millionen (+40 %) hochschnellen (vgl. Abbildung 2). Im Anschluss daran werden die Babyboomer nach und nach das 80. Lebensjahr überschreiten. Dadurch wird ab den 2030er Jahren vor allem die Gruppe der über 80-Jährigen starken Zuwachs bekommen, und zwar von 6 Millionen im Jahr 2022 auf beinah 9 Millionen Menschen im Jahr 2050 (+50 %).

Betrachtet man den Anteil der über 67-Jährigen an der Gesamtbevölkerung, so wird dieser durch die skizzierte Entwicklung bis zum Jahr 2040 von 19 % (2018) auf bis zu 27 % steil ansteigen, um im Jahr 2060 schließlich etwa ein Drittel der Bevölkerung zu umfassen. Dagegen wird der Anteil der Menschen im Erwerbsalter – d. h. der 20- bis 66-Jährigen – im gleichen Zeitraum stark sinken und bereits im Jahr 2037 nur noch etwas mehr als die Hälfte der Gesamtbevölkerung betragen.

Selbst nüchtern betrachtet muss man feststellen: Eine so rasche und ausgeprägte Verschiebung hat es im Zahlenverhältnis der Generationen noch nie gegeben.

Abb. 2: Bevölkerung im Alter ab 67 Jahren (Prognose ab 2019). Quelle: DESTATIS – Statistisches Bundesamt, Bevölkerung im Wandel. Annahmen und Ergebnisse der 14. Koor­dinierten Bevölkerungsvorausberechnung, Wiesbaden 2019, Schaubild 8, S. 25.

Demografischer Wandel, Generationenvertrag und Generationenverhältnis

Es ist plausibel, dass sich eine so tief greifende demografische Veränderung mehr oder weniger stark auf das Verhältnis zwischen den Generationen auswirken wird. Die Konflikte erscheinen geradezu vorprogrammiert. Dies wird umso deutlicher, wenn man die Finanzierungsstrukturen unserer Sozialversicherungssysteme näher betrachtet. Diese sind nämlich in Deutschland im Wesentlichen umlagefinanziert gestaltet. Dabei wird Geld von der jüngeren zur älteren Generation umverteilt. Bei der Rentenversicherung geschieht dies auf direktem Weg, insofern als dass die Rentenbeiträge der Erwerbstätigen, d. h. der jungen und mittelalten Menschen, unmittelbar zur Finanzierung der Altersrenten verwendet werden. Dadurch erwirbt sich der Beitragszahler eine Anwartschaft auf eine spätere Rente, deren Höhe allerdings nicht garantiert ist.

Bei der gesetzlichen Kranken- und der sozialen Pflegeversicherung findet die Umverteilung indirekt statt. Zwar werden die eingezahlten Beiträge zur Finanzierung der Krankheitskosten aller Versicherten verwendet, aber alte Menschen nehmen im Durchschnitt mehr Gesundheits- und Pflegeleistungen in Anspruch als junge Menschen,20 sodass sie insgesamt einen etwas größeren Teil des Kuchens abbekommen.

Damit diese Umverteilung zwischen den Generationen von den Jüngeren nicht von vornherein als ungerecht empfunden wird, gibt es den sogenannten Generationenvertrag. Dabei handelt es sich um eine teilweise auf gesellschaftlichen Werten und Normen basierende, teilweise auf Gesetzen (z. B. der Sozialgesetzgebung) beruhende Übereinkunft, die im Idealfall nach den Prinzipien von Solidarität und Gerechtigkeit zwischen den Generationen ausgestaltet ist.21 Im Kern dieser Übereinkunft steht die Bereitschaft der mittleren (erwerbstätigen) Generation, für den Unterhalt sowohl der jüngeren, noch nicht erwerbstätigen als auch der älteren, nicht mehr erwerbstätigen Generation aufzukommen. Dafür erhält sie das Versprechen, im Alter ebenso versorgt zu werden.

Die Belastung, die die jeweils mittlere Generation dabei zu tragen hat, wird üblicherweise durch eine Verhältniszahl dargestellt. Diese verrät, wie viele Personen im nicht erwerbsfähigen Alter durch insgesamt 100 Personen im erwerbsfähigen Alter »versorgt« werden müssen (vgl. Abbildung 3). Setzt man die Zahl der Personen im Erwerbsalter in Beziehung mit der Zahl der unter 20-Jährigen (d. h. der Kinder und Jugendlichen) dann erhält man den sogenannten Jugendquotienten. Bezieht man die Zahl der Personen im Erwerbsalter auf die Zahl derjenigen Personen, die sich bereits im Rentenalter befinden, so resultiert daraus der »Altenquotient«. Durch die Addition beider Quotienten ergibt sich der »Gesamtquotient«, der letztlich zum Ausdruck bringen soll, welche »Versorgungslast« die Generation im erwerbsfähigen Alter zu tragen hat.

In der letzten Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Bundesamtes aus dem Jahr 2019 wird der Eintritt in die Erwerbsfähigkeit mit 20 Jahren und der Eintritt in den Ruhestand mit 67 Jahren angenommen.22 Demnach liegt der Jugendquotient für die Bundesrepublik Deutschland zu Beginn der 2020er Jahre bei 29 und der Altenquotient bei 31, woraus ein Gesamtquotient von 60 resultiert. Konkret bedeutet dies, dass 100 Personen im Erwerbsalter potenziell für insgesamt 60 Personen im nicht erwerbsfähigen Alter aufkommen mussten, davon 29 Kinder und Jugendliche sowie 31 Ruheständler.

Historisch betrachtet leben wir mit einem aktuellem Gesamtquotienten von 60 noch in einer relativ komfortablen Situation, was auch eine Erklärung dafür sein mag, dass der demografisch bedingte »Bankrott« unserer sozialen Sicherungssysteme nebst dem mehrfach beschworenen »Krieg der Generationen« bisher ausgeblieben ist.23 Bedingt durch den damals hohen Jugendquotienten lag der Gesamtquotient in den 1970er Jahren sogar eine Weile lang über 70, sank in den 1980er Jahren ab, um seit etwa 2010 mehr oder weniger unverändert auf dem heutigen Niveau zu verharren.24 Leider sind diese demografisch gemütlichen Zeiten jedoch endgültig vorbei, denn betrachtet man die zukünftige Entwicklung des Gesamtquotienten, so fällt auf, dass dieser bis Ende der 2030er Jahre deutlich auf über 80 ansteigen wird.25 Dies ist vor allem auf den steilen Anstieg des Altenquotienten zurückzuführen, der bis 2038 auf knapp 50 klettern wird, während der Jugendquotient durch das Nachrücken der relativ schwach besetzten jungen Jahrgänge in das erwerbsfähige Alter auf ca. 35 nur moderat ansteigen wird.

Abb. 3: Jugend-, Alten- und Gesamtquotient mit den Altersgrenzen 20 und 67 ­Jahren (Prognose ab 2019). Quelle: DESTATIS - Statistisches Bundesamt, Bevölkerung im ­Wandel. Annahmen und Ergebnisse der 14. Koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung, Wiesbaden 2019, Schaubild 10, S. 28.

Das entspricht einer Steigerung um 58 %, die – Sie ahnen es – im Wesentlichen auf das Konto der Babyboomer-Jahrgänge geht. Im Jahr 2055 wird der Altenquotient dann die Marke von 50 knacken, um erst in der Folgezeit wieder abzufallen, wenn die Babyboomer zum großen Teil schon verstorben sein werden.

Wie alle modellbasierten Prognosen sind natürlich auch die Vorausberechnungen der Bundesregierung mit einer gewissen Unsicherheit behaftet, da einige wichtige Einflussvariablen nur geschätzt werden können. Hierzu zählen etwa die Entwicklung der Lebenserwartung und der Geburtenhäufigkeit oder die Zahl der Ein- bzw. Auswanderer. Festzuhalten bleibt jedoch, dass in allen durchgerechneten Varianten der Altenquotient (und damit auch der Gesamtquotient) ab den 2030er Jahren auf einen Rekordwert ansteigen wird, um danach auf hohem Niveau zu verharren.

Wer soll das bezahlen?

Zwar sieht eine »Altersexplosion« anders aus, denn wir sprechen hier nicht von einer plötzlich über uns hereinbrechenden Katastrophe. Auch nicht über einen Prozess, der jenseits eines bestimmten »Kipppunktes« in den unaufhaltsamen Niedergang führen wird, so wie dies womöglich beim Klimawandel der Fall ist. Gleichwohl ist Entdramatisierung nicht die richtige Strategie, verleitet sie doch dazu, die Größe der Herausforderung zu unterschätzen. Denn die dargestellte demografische Entwicklung wird unweigerlich dazu führen, dass die Ausgaben in allen drei Zweigen der Sozialversicherung deutlich ansteigen werden.26 Dies gilt zumindest, wenn die Politik bisher gegebene Leistungsversprechen (»Die Rente ist sicher!«) nicht wesentlich einschränken möchte. Aber auch bei Gesundheit und Pflege wächst der finanzielle Druck. Die Ausgabensteigerungen werden womöglich nur teilweise durch höhere Einnahmen (z. B. durch eine Steigerung der Arbeitsproduktivität und damit einhergehende Lohnsteigerungen) kompensiert werden können.

Unter Beibehaltung der gegenwärtigen Rahmenbedingungen werden es vor allem die ab etwa 1990 Geborenen sein, die das Risiko hierfür tragen und – falls es schiefgeht – die Zeche zu zahlen haben. Ihre Abgabenlast wird steigen, um den Unterhalt, die Gesundheit und die Pflege der alternden Babyboomer zu finanzieren.

Damit ist, zumindest was die Funktionsfähigkeit unserer sozialen Sicherungssysteme betrifft, der Grundkonflikt zwischen den Generationen skizziert. Im Kern handelt es sich um einen Verteilungskonflikt. In einer Gesellschaft, die auf Kooperation und sozialen Ausgleich ausgerichtet ist, muss das nicht unausweichlich in aggressiv ausgetragene Verteilungskämpfe oder gar einen Generationenkrieg münden. In einer idealen Welt sind viele Antworten auf die Frage nach einer gerechten Verteilung der Kosten des demografischen Wandels denkbar. Und, klar, dabei sollte es nicht nur um die faire Verteilung zwischen Jungen und Alten gehen, sondern auch zwischen anderen sozialen Interessengruppen: Arbeitnehmer versus Arbeitgeber, Beitragszahler versus Steuerzahler, Bürger versus Staat, arm versus reich. Auch bei der Auswahl der Steuerungsinstrumente stünden zahlreiche Optionen zur Verfügung, die von einer Erhöhung der Beitragssätze über Steuerfinanzierung und Bürgerversicherung bis hin zu Leistungseinschränkungen reichen können. Und gab es nicht bereits zahlreiche Reformen, die sich die Lösung des geschilderten Problems auf die Fahne geschrieben hatten?

Das dicke Ende kommt noch

Die Initiierung, Moderation und Gestaltung der notwendigen Reformen zur Bewältigung des demografischen Wandels ist Aufgabe der Politik. Gewiss wäre es unfair, zu behaupten, die Politik sei angesichts des demografischen Wandels untätig gewesen: Schon 1999 wurde die bereits erwähnte Enquete-Kommission »Demografischer Wandel« eingesetzt, die zwei Zwischenberichte (1994 und 1998) und 2002 ihren Abschlussbericht vorlegte, 2003 erarbeitete die »Herzog-Kommission« Vorschläge zur Reform der sozialen Sicherungssysteme, bei denen die demografischen Veränderungen eine zentrale Rolle spielten. Im Jahr 2011 erstellte die Bundesregierung einen »Demografiebericht«, dem 2012 eine »Demografiestrategie« und 2015 eine »weiterentwickelte Demografiestrategie« folgten. An vielen sozialpolitischen Stellschrauben wurde und wird gedreht, und zu gern möchte man glauben, dass wir auch deswegen bislang einigermaßen glimpflich durchgekommen sind.

Aber es bleibt das mulmige Gefühl, dass dies bestenfalls die halbe Wahrheit ist, dass die Angst vor Methusalem doch nicht so unangemessen war, wie von manchen erhofft. Denn, wie oben dargestellt, das dicke Ende steht uns noch bevor. Und offenbar haben wir bisher noch keine nachhaltige Lösung dafür gefunden. Die bisherigen Strategien sind einseitig am Wirtschaftswachstum orientiert, wie Kritiker bemerken. Sie setzen auf stetiges Wachstum, einen brummenden Arbeitsmarkt, auf Schuldenabbau und eine Konsolidierung der Staatsfinanzen. Damit wird jedoch die zukünftige Finanzierbarkeit der Sozialsysteme sehr anfällig für kaum kontrollierbare (welt-)wirtschaftliche Konjunktureinbrüche und andere nicht vorhersagbare Krisen.

Aber selbst unter günstigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen ist nicht garantiert, dass die zukünftig erwerbstätige Generation bereit sein wird, den Babyboomern eine auskömmliche Rente und eine angemessene Gesundheitsversorgung zu finanzieren. Vielleicht könnte das System die unausweichlichen Kostensteigerungen dann »abfedern«, aber teuer wird’s trotzdem und dafür muss auf Dauer die politische Bereitschaft vorhanden sein.

Solidarität zwischen den Generationen ist keine Selbstverständlichkeit, sie lebt von Einstellungen, Werten und Normen, letztlich auch von gegenseitiger Wertschätzung. Ob sie Bestand haben wird oder ob die Stimmung kippt, hängt daher auch von der emotionalen Großwetterlage am Generationenhimmel ab. Dies gilt umso mehr, wenn man bedenkt, dass z. B. aufgrund von Fachkräftemangel das Problem der wachsenden Zahl von Pflegebedürftigen allein durch Geld nicht gelöst werden kann. Denn wenn die Kapazitäten in der institutionellen Pflege allein schon aufgrund eines Mangels an qualifiziertem Personal erschöpft sein werden, ist umso mehr die Pflege und Fürsorge im engeren familiären Rahmen gefordert, d. h. die gelebte Solidarität der Generationen innerhalb der Familien. Aber wer bringt das Opfer, sich um den pflegebedürftigen Vater zu kümmern, wenn alle Kinder (einschließlich der Töchter und Schwiegertöchter) berufstätig sind, berufstätig sein müssen, um trotz der hohen Sozialabgaben den eigenen Lebensstandard einigermaßen halten zu können?

Hinzu kommt, dass die Folgen des demografischen Wandels über Fragen der sozialpolitischen Verteilungsgerechtigkeit weit hinausgehen. Wie der Sozialgerontologe Jürgen Wolf schon vor über dreißig Jahren analysierte, betreffen sie die Gesellschaft als Ganzes:27 die Bereitstellung von öffentlicher Infrastruktur, Konsum- und Arbeitsmärkte, politische Machtverhältnisse. Noch gibt die »gerontokratische« Mehrheit der Boomer den Ton an, während junge Menschen in ihren Sorgen und Zukunftsängsten nicht ernst genommen werden. So sieht es zumindest die Mehrheit »der Jungen«, schenkt man Umfragen und Medienberichten Glauben. Nimmt es daher wunder, wenn die Solidarität zwischen den Generationen allmählich zu bröckeln beginnt? Wenn zunehmend mehr Junge »den Alten« mit Ressentiments begegnen? Dass die Älteren unter dem Verdacht stehen, den Jüngeren durch eine verfehlte Klimapolitik ein ökologisches Problem von beängstigender Größe hinterlassen zu haben, trägt sicher auch nicht zu einer besseren Stimmung bei. Eine Emotion, die mit Greta Thunbergs Ausruf »How dare you! You have stolen my dreams!« ihren sinnbildlichen Ausdruck gefunden hat.

Kommt der abgeblasene Generationenkrieg doch noch?

Wird also das vielfach beschriebene Horrorszenario doch noch Realität? Die Jungen kündigen den Generationenvertrag auf, sie pfeifen auf die Solidarität und drehen den Alten den Hahn ab. Oder sollte man treffender sagen: Die Millennials drehen den Boomern den Hahn ab. Denn – sehen wir der Wahrheit ins Auge – aus Sicht der Jüngeren sind alte Menschen per se nicht das eigentliche Problem. Viele pflegen eine enge Beziehung zu ihren eigenen Großeltern. Das Problem ist, dass es bald zu viele von ihnen gibt. Das Problem sind die geburtenstarken Jahrgänge, die Boomer.28

Was also wird geschehen?

Der offene Bruch mit dem Solidaritätsversprechen, die »Alten­apartheid«, der »Rassismus gegen die Alten«, so wie Frank Schirrmacher es prophezeite, all das scheint noch in weiter Ferne zu liegen, zumindest, wenn man den Blick auf die Beziehungen von Alt und Jung in den Familien richtet. Auf der gesellschaftlichen Ebene jedoch zeigen sich im Verhältnis der Generationen bereits die ersten Risse. Und selbst wenn der Kampf der Generationen kein Krieg sein wird, der mit offenen Schlachten und krachenden Granaten einhergeht, sondern ein Kalter Krieg, in dem mit Herabwertungen, gehässigen Anfeindungen und dem schleichenden Entzug von Ressourcen gekämpft wird, werden die Leidtragenden vor allem die Babyboomer sein, meine Generation, die Alten von morgen. Denn in zwanzig Jahren, wenn sie in ihrer letzten Lebensphase angekommen sein werden, werden sie mehr denn je auf die Solidarität der Jüngeren angewiesen sein. Und wenn Ressentiment in Wut und Wut schließlich in Hass umschlägt, hat Solidarität keine Chance mehr. In den folgenden Kapiteln soll daher ein genauerer Blick auf die emotionale Befindlichkeit der Generationen geworfen werden.

1 Christoph Conrad, Gierige Gruftis. Bereichern sich die Alten auf Kosten der Jungen?, in: Die Zeit, Nr. 39 vom 23.9.1988.

2 Arnold Seul, Krieg den Alten!, in: Wiener, März (1989), S. 3–6.

3 Jetzt kommt ein gnadenloser Krieg, in: Der Spiegel, Nr. 16 vom 16.4.1989, https://www.spiegel.de/politik/jetzt-kommt-ein-gnadenloser-krieg-a-c89f7070-0002-0001-0000-000013494746?context=issue (abgerufen am 24.11.2021).

4 Bryant 2011, Alterungsangst und Todesgefahr.

5 Gronemeyer 1991, Die Entfernung vom Wolfsrudel.

6 Ebd.

7 Mohl 1993, Die Altersexplosion, S. 14–19.

8 Deutscher Bundestag 2002, Enquête-Kommission Demographischer Wandel, S. 13.

9 Schirrmacher 2004, Das Methusalem-Komplott, S. 28–35 und S. 63–66.

10 Wolf 1990, Krieg der Generationen?, S. 99.

11 Mohl 1993, Die Altersexplosion, S. 16.

12 Amann 2004, Die großen Alterslügen.

13 Bryant 2011, Alterungsangst und Todesgefahr.

14 Burgdörfer 1932, Volk ohne Jugend, S. 89.

15 Bryant 2011, Alterungsangst und Todesgefahr, S. 2.

16 Ebd.

17 Siehe z. B. Thilo Sarrazin, Deutschland schafft sich ab, München 2010.

18 DESTATIS – Statistisches Bundesamt 2019, Bevölkerung im Wandel und DESTATIS – Statistisches Bundesamt 2021, Mittelfristige Bevölkerungsvorausberechnung.

19 DESTATIS – Statistisches Bundesamt 2019, Bevölkerung im Wandel, S. 24–26.

20 Kochskämper 2017, Sozialversicherungen, S. 158.

21 Deutscher Bundestag 2002, Enquête-Kommission Demographischer Wandel, S. 37.

22 DESTATIS – Statistisches Bundesamt 2019, S. 27.

23 Kistler 2006, Methusalem-Lüge, S. 211–215.

24https://service.destatis.de/bevoelkerungspyramide/index.html#!y=2022 (abgerufen am 24.11.2021).

25 DESTATIS – Statistisches Bundesamt 2019, S. 27–28.

26 Kochskämper 2017, Sozialversicherungen, S. 162–167.

27 Wolf 1990, Krieg der Generationen?, S. 99 f.

28 Tassilo Hummel/Jan Karon, OK Boomer! Der neue Generationenkonflikt, in: Deutschlandfunk Kultur vom 15.9.2020, https://www.deutschlandfunkkultur.de/ok-boomer-der-neue-generationenkonflikt-100.html (abgerufen am 24.11.2021).

Kapitel 2: Von Boomern und Zoomern – klare Sache?

Wenn von Generationenkonflikten oder – rhetorisch zugespitzt – von einem »Krieg der Generationen« die Rede ist, wird meist unhinterfragt vorausgesetzt, dass man die Mitglieder einer Gesellschaft in klar abgrenzbare Generationen einteilen kann. Innerhalb einer Familie oder eines Stammbaumes ist dies noch einfach, denn die Zugehörigkeit zur Generation der Kinder, Eltern, Großeltern etc. ist hier durch die Abstammungsverhältnisse klar definiert (»familiärer Generationenbegriff«). So bilden die Geschwister einer Familie gemeinsam mit ihren Cousinen und Cousins die Generation der Kinder, deren Eltern die Elterngeneration und deren Eltern wiederum die Generation der Großeltern.

Schwieriger wird es, wenn man den Generationenbegriff auf die ganze Gesellschaft überträgt, so wie dies bei der Rede von Generationengerechtigkeit, Generationenvertrag oder Generatio­nenkonflikten geschieht. Denn allein die gemeinsame Zugehörigkeit zu einem Geburtsjahrgang (bzw. zu einer Jahrgangskohorte) schweißt Individuen noch lange nicht zu einer Generation zusammen. Vielmehr müssen gemeinsame zeitgeschichtliche Erfahrungen hinzukommen, die eine Jahrgangskohorte in besonderer Weise prägen und damit deren Einstellungen, Werte und Verhaltensweisen nachhaltig beeinflussen (»sozialer Generationenbegriff«). Historiker und Soziologen1 sprechen daher auch von einer Generation als »Erfahrungsgemeinschaft«. Zu solchen Erfahrungen, deren prägender Einfluss in der Jugend und im frühen Erwachsenenalter besonders groß ist, zählen Kriege, Wirtschaftskrisen, aber auch soziale und kulturelle Umbrüche oder technische Innovationen. Die geteilten Einstellungen und Werte können darüber hinaus zur Ausbildung eines Identitätsgefühls in dieser Jahrgangskohorte führen.

Allerdings unterliegen Menschen neben den zeitgeschichtlichen Erfahrungen sehr vielen anderen bedeutsamen Einflüssen (z. B. Geschlechtszugehörigkeit, Bildungshintergrund, ­sozialer Schichtzugehörigkeit etc.), die unter Umständen viel stärker prägen können als die Zugehörigkeit zu einer Jahrgangskohorte. Daher sollte man nicht der Versuchung erliegen, Mitgliedern einer Generation pauschal bestimmte Charaktereigenschaften oder Werthaltungen zu unterstellen, die auf diese Individuen womöglich gar nicht zutreffen oder mit denen sie sich gar nicht wirklich identifizieren können.

Hinzu kommt, dass viele der durch Medien, Unternehmensberatungen und andere selbst ernannte Experten gerne verbreiteten Fremdzuschreibungen durch sozialwissenschaftliche Studien gar nicht oder nur unzureichend belegbar sind. Bei Sätzen wie »die Generation der Boomer ist auf Konkurrenzverhalten, auf Aufmerksamkeit und Individualität fokussiert« oder »die Generation Z konzentriert sich nur auf ihre eigenen persönlichen Ziele, dadurch sind sie Einzelkämpfer und Individualisten« ist also Vorsicht geboten, will man sich nicht mit simplen Klischees und Vorurteilen zufriedengeben.2

Nicht zuletzt geht bei den öffentlich kursierenden Typologien der Generationen aufgrund der unzureichenden wissenschaftlichen Datenlage so manches drunter und drüber. In den verschiedenen Darstellungen stimmen schon teilweise die Bezeichnungen der Generationen, die Abgrenzung der Geburtsjahrgänge und erst recht die zugeordneten »typischen« Charaktereigenschaften nicht überein, sodass insgesamt ein unklares und widersprüchliches Bild entsteht. Es darf daher gefragt werden, inwieweit es sich bei einigen dieser Zuschreibungen um populäre Klischees und bei der Postulierung klar voneinander abgrenzbarer Generationstypologien eher um Mythen als um Fakten handelt.3 Dass bereits heute die »Generation Alpha« (Geburtsjahre 2010 bis 2025) als Nachfolgegeneration der Generation Z ins Leben gerufen und hinsichtlich ihres möglichen Konsumverhaltens durchleuchtet wird,4 obwohl deren Angehörigen zum Teil noch gar nicht geboren wurden, gibt in dieser Hinsicht zu denken. Jedenfalls sollte man sich davor hüten, Menschen nur aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten Jahrgangskohorte voreilig in eine Schublade zu packen.

Andererseits sind wir alle auch Kinder unserer Zeit und die Kenntnis der gängigen Generationstypologien kann dabei helfen, die in den jeweiligen Generationen vorherrschenden Werthaltungen und Einstellungen gegenüber den Angehörigen der anderen Generationen besser zu verstehen. Nicht zuletzt kann der Fortbestand von Generationenvertrag und Generationensolidarität von diesen Einstellungen und Werthaltungen abhängig sein. Im Folgenden möchte ich daher einen kurzen Abriss der für die deutsche Gesellschaft gängigen Generationentypologien geben.

Die Kriegskinder und Nachkriegskinder (Geburtsjahr ca. 1930 bis 1955)

Die Kriegskinder (Geburtsjahr ca. 1930 bis 1945) mussten einen Teil ihrer Kindheit in den Jahren des Zweiten Weltkrieges oder in der unmittelbaren Nachkriegszeit verbringen. Die Nachkriegskinder (Geburtsjahr 1945 bis 1955) wurden zwar erst nach Kriegsende geboren, haben jedoch teils ähnlich prägende Erfahrungen wie die Kriegskinder gemacht: Hierzu zählen insbesondere die traumatisierenden Eindrücke des Krieges und der Kriegsfolgen mit all ihren Zerstörungen, Gräueln und Entbehrungen, aber auch die totalitäre und menschenverachtende nationalsozialistische Erziehungskultur, die noch bis in die 1960er Jahre hineinwirkte. Diese Kindheitserfahrungen können bei einigen von ihnen noch im hohen Alter seelisches Leid und manifeste psychische Störungen verursachen. Die Kriegskinder werden als eine Generation der mehrheitlich »Unauffälligen« und Angepassten beschrieben, die (zumindest in Westdeutschland5) nach Kindheit und Jugend in politischer Unsicherheit und materieller Not als junge Erwachsene den ökonomischen Aufschwung des deutschen »Wirtschaftswunders« und die Anfänge des neuen demokratischen Staates unmittelbar erlebten, mitgestalteten und in vielfacher Hinsicht davon profitierten.

Allerdings zählen auch die Angehörigen der »68er-Generation« zu den Kriegskindern, so etwa die 1940 geborene Galionsfigur der Außerparlamentarischen Opposition (APO) Rudi Dutschke. Ihr politisches und kulturelles Aufbegehren wird als eine Reaktion auf die in der Nachkriegszeit vorherrschende Verdrängung und Verleugnung der Naziverbrechen gewertet, als eine überfällige Revolte gegen die reaktionären, autoritären und rassistischen Weltbilder der Eltern- und Großelterngeneration, die Hitler und den Holocaust möglich gemacht hatten und die im neuen demokratischen Staat immer noch wirksam waren. Den Kriegskindern gebührt daher die Ehre, den bisher einzigen Generationenkonflikt der deutschen Nachkriegsrepublik angezettelt und durchgefochten zu haben, der nennenswerte historische, politische und kulturelle Auswirkungen zeitigte. Auch an der Gründung der Grünen waren Kriegskinder maßgeblich beteiligt (so z. B. der Rechtsanwalt Otto Schilly oder der Bundeswehrgeneral Gert Bastian). Die Etablierung dieser Partei, die ihre wesentlichen Impulse aus der Umweltschutz-, der Friedens- und der Frauenbewegung erhielt, ist jedoch im Wesentlichen als die politische Großtat der Nachkriegskinder zu betrachten.

Die heute noch lebenden Mitglieder der Generation der Kriegs- und Nachkriegskinder sind oft schon seit vielen Jahren im Ruhestand, sind Großeltern oder Urgroßeltern und überwiegend materiell abgesichert. Die Mehrheit von ihnen nimmt aktiv am gesellschaftlichen Leben teil, viele sind ehrenamtlich engagiert. Sie stellen jedoch auch den Großteil der heute Pflegebedürftigen. Nicht wenige haben sich gleichwohl Wohlbefinden, Fitness und Selbstständigkeit bis ins hohe Alter bewahrt.

Die Babyboomer (Geburtsjahr ca. 1955 bis 1969)

Die Babyboomer (Synonym »Boomer«) sind die Kinder der Kriegskinder und werden daher gelegentlich auch als »Kriegsenkel« bezeichnet. Im Vergleich zu den USA und anderen europäischen Ländern setzte der »Babyboom« in Deutschland etwas später ein und erreichte 1964 mit beinah 1,4 Millionen Lebendgeborenen seinen bisher unübertroffenen Höhepunkt (vgl. Abbildung 4).6 Das Nachholen von in der Nachkriegszeit aufgeschobenen Eheschließungen und Familiengründungen und das wirtschaftliche Erstarken Westdeutschlands mag dabei eine Rolle gespielt haben. Dafür spricht auch die Entwicklung in der DDR, in der es zeitgleich nur zu einer leichten Zunahme der Geburtenrate kam, die man kaum als Babyboom bezeichnen kann.

Abb. 4: Lebendgeborene in Deutschland, 1946 bis 2007. Quelle: Sonja Menning/Elke Hoffmann 2009, Die Babyboomer. Ein demografisches Porträt (Report Altersdaten, Nr. 2), Berlin, Abb. 2, S. 10.

Fragt man nach den prägenden Erfahrungen, die die Babyboomer als Generation geformt haben, so besteht heute zumindest in einem Punkt große Übereinstimmung:7 Es ist die Erfahrung, viele und womöglich zu viele zu sein, Teil einer Masse, in der es auf den Einzelnen gar nicht mehr so sehr ankommt. In einem Thesenpapier des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung heißt es hierzu: »Historisch teilen die Babyboomer das Erlebnis, gemeinsam mit einer großen Zahl Gleichaltriger aufgewachsen zu sein und stets in Konkurrenz zu vielen anderen zu stehen.«8

Schon im Kindergarten trat meine Generation in großen Rudeln in Erscheinung und das setzte sich in den Schulen fort. Über vierzig Schülerinnen und Schüler pro Klasse waren normal, heute kaum vorstellbar.

Im Gegensatz zu ihrer Vorgängergeneration wuchsen die Babyboomer weitgehend im Wohlstand auf, wenngleich nicht im Überfluss wie ihre Kinder und Enkel. Teure Markenklamotten waren die Seltenheit, eher trug man die Garderobe der älteren Geschwister auf. Schließlich mussten die Eltern den Bausparvertrag bedienen, um bei horrenden Hypothekenzinsen von über 10 % irgendwann doch den Traum vom Eigenheim erfüllen zu können.

Nach der Schule (etwa jeder Vierte schaffte das Abitur) war der Weg in den Beruf nicht gerade mit Rosen bestreut. In vielen Ausbildungsbranchen war es zwecklos, sich ohne Abi zu bewerben, so groß war der Andrang auf die knappen Lehrstellen. Wer an die Uni ging, bekam vom ersten Tag des Studiums an zu spüren, was der Begriff Massenuniversität tatsächlich bedeuten kann, und wurde von den Profs mit der Prognose eingeschüchtert, dass jeder Zweite einmal arbeitslos werden würde. Dass dies selbst in vermeintlich »krisensicheren« Studiengängen wie etwa der Medizin geschah, schlug mächtig auf die Stimmung.

In vielen anderen Studiengängen, so bei den Geistes- und Naturwissenschaften, den Juristen oder im Lehramt, war es üblich, die Regelstudienzeit weit zu überschreiten, weil der Studentenstatus allemal attraktiver war als die Arbeitslosigkeit. Der Arbeitsmarkt für Akademiker hatte nämlich in der Zwischenzeit seinen einstigen Glanz verloren und für manchen mündete das Studium zunächst auf dem Fahrersitz eines Taxis oder hinter dem Tresen einer Kneipe. Traumberuf ade! Denn noch während die Babyboomer die Schulbank drückten, erlahmte das deutsche Wirtschaftswunder und eine Ahnung von Krise keimte auf: Wettrüsten und der ständig drohende Atomkrieg, Waldsterben, Ölpreisschock und der »Deutsche Herbst« weckten in ihnen das Gefühl, dass es so nicht weitergehen würde. Bei einigen wurde dadurch das Interesse an Politik geweckt, sie engagierten sich in der Umwelt- und Friedensbewegung und verweigerten den Wehrdienst. Dafür mussten sie ihr Gewissen in strengen Verfahren von staatlichen Kommissionen durchleuchten lassen und wurden mit einer fünf Monate längeren Dienstzeit bestraft. Andere landeten desillusioniert bei der Losung »No Future« des Punk, was angesichts der manchmal aussichtslosen Stimmung durchaus verständlich war.

Die Idee, uns gegen die Eltern zu erheben und sie für unsere Lebenssituation verantwortlich zu machen, kam uns nicht in den Sinn. Mit verstohlener Bewunderung blickten wir auf die Alt-68er – eine echte Protestgeneration, die wir nicht waren und niemals werden würden. Nicht zuletzt lebten wir in dem Bewusstsein, dass wir uns auf unsere Hinterbeine stellen mussten, da es in der Menge auf den Einzelnen nicht ankam. Wer sich querstellte oder ausscherte, wurde schnell aus dem Ring geboxt. Die Schlange derjenigen, die den frei werdenden Ausbildungs-, Studien- oder Arbeitsplatz mit Freude eingenommen hätten, war lang.

Der typische Babyboomer verfolgte keinen durchgestylten und reibungslos umsetzbaren Lebensentwurf, die Devise war Durchwurschteln, Gelegenheiten ergreifen, das Beste draus machen. Flexibel zu bleiben, war hilfreich, aber es hatte auch seinen Preis: Häufiger als in den vorhergehenden Generationen sind ihre Erwerbsbiografien von Brüchen, prekären Beschäftigungen und Zeiten der Arbeitslosigkeit geprägt.9 Und so sind sie heute stärker als ihre Eltern von Altersarmut bedroht. Viele blieben Singles oder sind schon geschieden, was die Chancen auf soziale Unterstützung im Alter nicht gerade verbessert. Ein paar Kinder haben die Babyboomer schon in die Welt gesetzt, sonst gäbe es ja die Nachfolgegenerationen nicht, aber sie gönnten sich die Freuden der Elternschaft erst spät, wenn überhaupt. Ihre schlappe Reproduktionsrate ist vielleicht das größte Problem, das sich die Babyboomer selber geschaffen haben. Und wenn sie nicht aufpassen, wird es ihnen noch einmal richtig auf die Füße fallen.

Und doch können sie mit ihrer Lebensleistung bisher ganz zufrieden sein: Sie bekleiden heute in vielen Bereichen Führungspositionen oder haben für die Funktion ihrer Betriebe zentrales Wissen,10