Der kleine Fürst Classic 5 – Adelsroman - Viola Maybach - E-Book

Der kleine Fürst Classic 5 – Adelsroman E-Book

Viola Maybach

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Beschreibung

Viola Maybach´s Topseller. Alles beginnt mit einem Schicksalsschlag: Das Fürstenpaar Leopold und Elisabeth von Sternberg kommt bei einem Hubschrauberunglück ums Leben. Ihr einziger Sohn, der 15jährige Christian von Sternberg, den jeder seit frühesten Kinderzeiten "Der kleine Fürst" nennt, wird mit Erreichen der Volljährigkeit die fürstlichen Geschicke übernehmen müssen. Viola Maybach hat sich mit der reizvollen Serie "Der kleine Fürst" in die Herzen der Leserinnen und Leser geschrieben. Der zur Waise gewordene angehende Fürst Christian von Sternberg ist ein liebenswerter Junge, dessen mustergültige Entwicklung zu einer großen Persönlichkeit niemanden kalt lässt. Viola Maybach blickt auf eine stattliche Anzahl erfolgreicher Serien zurück, exemplarisch seien genannt "Das Tagebuch der Christina von Rothenfels", "Rosenweg Nr. 5", "Das Ärztehaus" und eine feuilletonistische Biografie. "Der kleine Fürst" ist vom heutigen Romanmarkt nicht mehr wegzudenken. "Ich glaube", sagte Eckhart von Strieben nachdenklich zu Baron Friedrich von Kant, "ihr solltet dem kleinen Fürsten einen Hund kaufen." Friedrich sah seinen Gast erstaunt an. Eckhart war bedeutend jünger als er, was ihrer Freundschaft jedoch keinen Abbruch tat, im Gegenteil. "Einen Hund?", fragte er gedehnt. "Hast du dich mal umgesehen hier, Eckhart? Auf dem Schloßgelände leben mindestens fünf Hunde. Dazu haben wir Pferde, einige Katzen, und eine unserer Küchenhelferinnen hält sich einen Kanarienvogel. Meinst du nicht, daß es hier auf Sternberg genügend Tiere gibt?" Eckhart lächelte. Er war ein hochgewachsener Mann, dessen dichte blonde Haare sich nur mit Mühe in eine Frisur zwängen ließen. Irgendeine Strähne stand immer vorwitzig ab und verlieh ihm ein verwegenes Aussehen. Seine blauen Augen blickten offen in die Welt und gaben Auskunft darüber, daß Eckhart Humor besaß. Er konnte sehr unterhaltsam sein, aber im Umgang mit Fremden war er zurückhaltend, beinahe schüchtern. Das wurde ihm manchmal als mangelnder gesellschaftlicher Schliff ausgelegt, denn er konnte sehr schweigsam werden, wenn ihn ein Gespräch langweilte. Belangloses Geplauder haßte er, und so war es kein Wunder, daß man ihn nur selten auf Partys oder Abendeinladungen sah, die hauptsächlich einem Zweck dienten: zu sehen und gesehen zu werden. Wenn er aber jemanden fand, mit dem er sich gern unterhielt, dann sprühte er vor Geist und Temperament. Sofia und Friedrich von Kant gehörten zu Eckharts Freunden. Er hatte auch das Fürstenpaar gut gekannt – Elisabeth und Leopold von Sternberg, die erst wenige Monate zuvor bei einem entsetzlichen Unglück gemeinsam den Tod gefunden hatten.

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Seitenzahl: 115

Veröffentlichungsjahr: 2019

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Der kleine Fürst Classic – 5 –

Liebe Gäste – böses Blut

Gabrielas Glück steht auf dem Spiel

Viola Maybach

»Ich glaube«, sagte Eckhart von Strieben nachdenklich zu Baron Friedrich von Kant, »ihr solltet dem kleinen Fürsten einen Hund kaufen.«

Friedrich sah seinen Gast erstaunt an. Eckhart war bedeutend jünger als er, was ihrer Freundschaft jedoch keinen Abbruch tat, im Gegenteil. »Einen Hund?«, fragte er gedehnt. »Hast du dich mal umgesehen hier, Eckhart? Auf dem Schloßgelände leben mindestens fünf Hunde. Dazu haben wir Pferde, einige Katzen, und eine unserer Küchenhelferinnen hält sich einen Kanarienvogel. Meinst du nicht, daß es hier auf Sternberg genügend Tiere gibt?«

Eckhart lächelte. Er war ein hochgewachsener Mann, dessen dichte blonde Haare sich nur mit Mühe in eine Frisur zwängen ließen. Irgendeine Strähne stand immer vorwitzig ab und verlieh ihm ein verwegenes Aussehen. Seine blauen Augen blickten offen in die Welt und gaben Auskunft darüber, daß Eckhart Humor besaß. Er konnte sehr unterhaltsam sein, aber im Umgang mit Fremden war er zurückhaltend, beinahe schüchtern. Das wurde ihm manchmal als mangelnder gesellschaftlicher Schliff ausgelegt, denn er konnte sehr schweigsam werden, wenn ihn ein Gespräch langweilte. Belangloses Geplauder haßte er, und so war es kein Wunder, daß man ihn nur selten auf Partys oder Abendeinladungen sah, die hauptsächlich einem Zweck dienten: zu sehen und gesehen zu werden. Wenn er aber jemanden fand, mit dem er sich gern unterhielt, dann sprühte er vor Geist und Temperament.

Sofia und Friedrich von Kant gehörten zu Eckharts Freunden. Er hatte auch das Fürstenpaar gut gekannt – Elisabeth und Leopold von Sternberg, die erst wenige Monate zuvor bei einem entsetzlichen Unglück gemeinsam den Tod gefunden hatten. Eckharts Vorschlag, einen Hund zu kaufen, bezog sich auf Elisabeths und Leopolds Sohn, Prinz Christian, der allgemein liebevoll ›der kleine Fürst‹ hieß. Jetzt war er fünfzehn, aber mit dem Tag seiner Volljährigkeit würde er der nächste Fürst von Sternberg werden.

»Natürlich gibt es bei euch, objektiv betrachtet, genug Tiere«, beantwortete Eckhart die Frage des Barons. »Aber davon rede ich nicht. Seit ich bei euch bin, beobachte ich Christian. Er bemüht sich sehr tapfer, sich von der Trauer um seine Eltern nicht niederdrücken zu lassen – und zum Teil gelingt ihm das auch. Dazu trägt sicherlich bei, daß er offenbar jeden Tag auf den Hügel steigt, zu ihrer Gruft, um dort Zwiesprache mit ihnen zu halten.«

Friedrich nickte. »Ja, das tut er. Zuerst hat uns das Sorgen bereitet, aber mittlerweile denken wir, daß es gut für ihn ist. Wenn er zurückkommt, ist er meistens ganz gelassen. Er braucht das.«

»So sehe ich das auch«, erwiderte Eckhart lebhaft. »Jeder Mensch muß seine eigene Art und Weise finden, mit Trauer und Verlust umzugehen.« Er verstummte ganz plötzlich.

Friedrich legte ihm eine Hand auf den Arm. »Du vermißt deine Großmutter auch noch immer sehr, nicht wahr, Eckhart?«

»Ja, und das wird sich auch wohl nie ändern. Sie war zeit meines Lebens der einzige Mensch, der immer für mich da war. Meine Eltern waren viel zu beschäftigt, um sich meine kleinen Kümmernisse anzuhören, aber meine Oma hatte Zeit – und wenn sie keine hatte, nahm sie sie sich trotzdem. Ihr Tod hat in meinem Leben eine große Lücke hinterlassen, Fritz. Deshalb glaube ich auch zu wissen, wie Christian sich jetzt fühlt, obwohl ich mir nicht anmaße, meinen Verlust mit seinem zu vergleichen. Ich bin wenigstens erwachsen und hatte viele gemeinsame Jahre mit meiner Großmutter. Er ist erst fünfzehn und bereits Vollwaise. Das ist eine ganz andere Situation, für ihn muß es viel schlimmer sein.«

»Warum denkst du, wir sollten ihm einen Hund kaufen?«

»Damit er noch jemanden hat, dem er sich anvertrauen kann«, antwortete Eckhart nachdenklich. »Er spricht auch viel mit Anna, die beiden haben ein inniges Verhältnis zueinander, und das hilft ihm ebenfalls, glaube ich. Konrad ist dagegen schon auf dem Sprung in die Erwachsenenwelt – er hat wohl gerade ganz andere Interessen als seine Schwester und sein Cousin.«

Anna und Konrad waren die Kinder von Friedrich und seiner Frau Sofia. Die Familie von Kant war bereits vor über zehn Jahren nach Sternberg gezogen, auf Bitten des Fürstenpaares. Damals hatte sich herausgestellt, daß Christian ein Einzelkind bleiben würde, Elisabeth und Leopold wünschten sich aber, daß ihr Sohn gemeinsam mit anderen Kindern aufwuchs. Was lag also näher, als Elisabeths Schwester Sofia und ihre Familie nach Sternberg zu holen? So waren die drei Kinder wie Geschwister groß geworden, und auf diese Weise hatte Christian, trotz des Todes seiner Eltern, nicht zugleich seine ganze Familie verloren.

»Konrad macht uns Sorgen«, murmelte Friedrich. »Er ist jetzt sechzehn und interessiert sich für alles, nur nicht für die Schule. Seine Leistungen sind stark abgefallen, ich glaube, er trinkt und raucht heimlich. Das haben wir in dem Alter natürlich auch getan, aber wir haben irgendwann auch wieder damit aufgehört.«

»Das wird er auch tun«, tröstete Eckhart. »Wie ist es denn

mit Mädchen? Hat er eine Freundin?«

»Wenn er eine hat, dann wissen wir jedenfalls nichts davon. Er hat erklärt, er hätte ein Recht auf sein Privatleben, wir sollten das bitte respektieren.«

»Dann tut das auch«, sagte Eckhart. »Ich war in dem Alter genauso – und du vermutlich auch.«

Friedrich lachte. »Bei dir liegt das ja noch nicht so lange zurück wie bei mir. Ich bin nicht sicher, ob ich mich richtig an diese Zeit erinnere, Eckhart.«

»Also, zurück zu dem Hund. Christian redet mit Anna, er hält Zwiesprache mit seinen Eltern, aber abends, wenn er im Bett liegt, ist er allein mit seinen Gedanken. Wenn ein Hund vor seinem Bett läge, wäre er das nicht. Er könnte mit ihm reden, statt alles nur in seinem Kopf und mit sich selbst abzumachen. Du wirst mir entgegenhalten, daß das kaum einen Unterschied macht, weil ein Hund ja auch nicht antwortet, aber ich sage dir: Das stimmt nicht. Ein Hund lebt, atmet, fühlt. Er ist anhänglich, er wird ihn überallhin begleiten, und er wird weder die Beziehung zu seinen Eltern, noch die zu seiner Cousine stören.« Er machte eine kurze Pause und setzte dann leiser hinzu: »Ich weiß, wovon ich spreche, Fritz. Eine gute alte Freundin hat mir nach dem Tod meiner Großmutter eine Katze geschenkt. Das Tier hat sich meinen ganzen Kummer anhören müssen, aber es scheint ihm nichts ausgemacht zu haben. Bella ist sehr verschmust und bringt mich öfter zum Lachen. Sie hängt an mir, und ich verdanke ihr viel, weil sie einfach immer da war, wenn ich mich wieder einmal gefragt habe, warum andere Menschen uralt werden dürfen, während meine Großmutter mit zweiundsiebzig Jahren sterben mußte.«

Friedrich dachte eine Zeitlang über Eckharts Worte nach. »Aber er scheint sich gar nicht für Hunde zu interessieren«, wandte er schließlich ein. »Wie gesagt, wir haben ja ein paar Hunde hier, aber ich habe noch nie gesehen, daß Christian sich näher mit ihnen beschäftigt hätte.«

»Es sind ja auch nicht seine Hunde, das ist der Unterschied. Er braucht einen jungen Hund, den er aufwachsen sieht. Nicht gerade einen Welpen, aber doch einen jungen Hund. Und es muß nicht unbedingt ein Wachhund sein. Boxer sind zum Beispiel sehr verspielte und liebenswürdige Hunde. Oder ein Berner Sennenhund, der käme auch in Frage.«

»Die werden doch riesig!«

Eckhart lachte. »Platz habt ihr hier doch wahrhaftig genug, daran kann es bestimmt nicht scheitern.«

»Da hast du auch wieder recht. Laß uns heute abend noch einmal über die Angelegenheit sprechen, ich wüßte gern, was Sofia von deinem Vorschlag hält.«

»Natürlich. So etwas will gut überlegt sein. Es ist ja auch möglich, daß ich falschliege.«

Friedrich warf seinem jüngeren Freund einen raschen Blick zu. Lächelnd bemerkte er: »Du liegst meistens richtig, Eckhart, weil du ein guter Beobachter bist. Erzähl mir, was dir sonst noch aufgefallen ist.«

»Nichts«, antwortete Eckhart. »Ich hatte damit gerechnet, daß auf Sternberg etwas gedrückte Stimmung herrscht, wegen des Trauerfalls, aber ihr scheint mir alle miteinander einen guten Weg gefunden zu haben, der Trauer Raum zu lassen und darüber das Leben trotzdem nicht zu vergessen.«

»Ja, wir bemühen uns«, stimmte Friedrich zu. »Für Christian ist es am schwersten, aber auch um Sofia mache ich mir manchmal Sorgen. Sie vermißt ihre Schwester jeden Tag von neuem. Lisa und sie hatten ein sehr enges Verhältnis zueinander, sie waren wie Freundinnen, konnten über alles reden. Da klafft eine Lücke, und es ist leider so, daß es ihr, je länger der Unfall zurückliegt, desto deutlicher zu Bewußtsein kommt. Ich ertappe sie manchmal dabei, wie sie weinend am Fenster sitzt und hinüber zum Familienfriedhof blickt. Sie versucht, ihren Kummer nicht allzu deutlich zu zeigen, wenn wir mit den Kindern zusammen sind.«

»Vielleicht sollte sie das ruhig tun«, meinte Eckhart. »Ich glaube nicht, daß es ihnen dadurch schlechterginge. Manchmal wirkt Trauer zwar ansteckend, aber es kann ja auch schön sein zu wissen, daß andere das gleiche empfinden wie wir.«

Friedrich nickte. Wieder einmal stellte er fest, wieviel Lebensklugheit Eckhart bereits besaß, trotz seiner Jugend. »Wollen wir zurückkehren?«, fragte er und rieb seine Hände aneinander. »Jetzt ein schöner warmer Tee vor dem Kamin in der Bibliothek – wie wäre das?«

»Sehr verlockend«, antwortete Eckhart. »Vielleicht bekommen wir dieses Jahr sogar wieder einmal weiße Weihnachten. Ich finde, es riecht nach Schnee.«

»Du meinst: Auf den unfreundlichen Sommer folgt vielleicht ein kalter Winter? Na, mir soll es recht sein.«

Sie kehrten um. Es dämmerte bereits, dabei war es den ganzen Tag über noch gar nicht richtig hell geworden. Das Schloß jedoch, das vor ihnen lag, war anheimelnd erleuchtet und machte einen

rundum einladenden Eindruck. Sie beschleunigten ihre Schritte, um es so schnell wie möglich zu erreichen.

*

Anna von Kant und ihr Cousin Christian von Sternberg saßen in der Ecke des letzten Pferdestalls, in der sie immer saßen, wenn sie allein sein wollten. Im Vergleich zu der eisigen Kälte, die draußen herrschte, war es hier drin gemütlich warm. Aber vor allem war dies der Platz, an dem sie in der Regel ungestört blieben. Der letzte Stall war nur im vorderen Drittel belegt, hier hinten, wo sie saßen, standen keine Pferde und folglich kam auch keiner der Pfleger bis hierher – von gelegentlichen Ausnahmen natürlich abgesehen.

»Wie konnte sie sich bloß diesen gräßlichen Mann aussuchen?«, fragte Anna fassungslos. »Ich habe Mama angesehen, daß sie das auch gedacht hat.«

Christian mußte zugeben, daß Anna, die gelegentlich zu Übertreibungen neigte, in diesem Fall recht hatte. »Sie bleiben ja nicht lange«, sagte er. »Bis morgen halten wir das schon aus. Schade, daß Gabriela nicht allein gekommen ist.«

»Papa wird gucken, wenn er mit Eckhart zurückkommt, und dann sind neue Gäste da. Ich glaube, Gabriela war es ein bißchen peinlich, einfach so bei uns hereinzuschneien, aber dieser blöde Graf Otto fand offenbar nichts dabei. Und dann redet er auch noch so laut!«

Sie sprachen von Gabriela von Römnitz, einer guten Freundin der Familie, und ihrem neuen Freund und offenbar baldigen Verlobten Graf Otto zu Solburg, die vor einer Stunde überraschend auf Sternberg eingetroffen waren, wo sie allerdings nur Baronin Sofia, Christian und Anna angetroffen hatten. Über Gabrielas Besuche freuten sich immer alle, aber dieses Mal war das Vergnügen von Anfang an getrübt gewesen, denn Graf Otto hatte sich rücksichtslos in den Vordergrund gedrängt und das Gespräch sofort an sich gerissen.

Anna und Christian hatten sich, sobald es die Höflichkeit erlaubte, mit der Begründung entschuldigt, sie hätten noch Hausaufgaben zu machen. Sofia wußte, daß das eine glatte Lüge gewesen war, aber sie hatte sie durchgehen lassen, weil sie zum einen vollstes Verständnis für die Flucht der beiden aufbrachte, zum anderen war sie fest entschlossen, dem hohlen Geschwätz des jungen Grafen auf höfliche Art und Weise so bald wie möglich ein Ende zu bereiten.

»Wie gesagt, bis morgen halten wir es aus. Sollen wir nicht zurückgehen? Ich habe ein schlechtes Gewissen Tante Sofia gegenüber.«

»Ach, Mama macht das schon«, meinte Anna unbekümmert. »Wahrscheinlich hat sie sie erst einmal in ihre Gästesuite geschickt, damit sie sich ein bißchen erfrischen können nach der Reise. Und dann müssen sie sich zum Abendessen umziehen – das dauert auch seine Zeit. So wie dieser Graf sich aufgespielt hat, braucht er bestimmt eine Stunde, bis er mit seinem Aussehen zufrieden ist. Hast du schon mal so einen eitlen Menschen gesehen?«

Sie entlockte Christian ein Lächeln. Er war schmal geworden in den letzten Wochen, er wirkte reifer und älter, seit er seine Eltern verloren hatte. Die dunklen Haare trug er länger als zuvor, manchmal ließ er sie über die Augen fallen, als wäre es ihm gerade recht, daß er seine Blicke wie hinter einem Vorhang verstecken konnte. »Wenn du jemanden nicht leiden kannst, dann läßt du aber auch kein gutes Haar mehr an ihm, Anna«, erwiderte er. »Vielleicht war er nur unsicher – schließlich kennt er hier niemanden. Manche Menschen reagieren dann so. Sie reden zu laut und zu viel und vor allem von sich selbst. Sie merken gar nicht, daß sie genau das Falsche tun.«

»Er ist nicht unsicher«, widersprach Anna. »Du wirst es ja beim Abendessen sehen.«

Da Christian die stille Befürchtung hegte, daß sie recht haben könnte, widersprach er ihr nicht. Er sprang auf und reichte ihr die Hand, um sie ebenfalls in die Höhe zu ziehen. Ihnen war jetzt doch kalt geworden, und die Vorstellung, ins Schloß zurückzukehren, erschien ihnen sehr verlockend.

*

»Ganz nett, der alte Kasten hier«, bemerkte Graf Otto zu Solburg herablassend, nachdem Eberhard Hagedorn, der Butler von Schloß Sternberg, Gabriela und ihn zu ihrer Gästesuite geleitet, ihnen alles gezeigt und sich dann zurückgezogen hatte.

»Ganz nett?«, lachte sie. »Dies ist eins der schönsten Schlösser des ganzen Landes, Otto. Du mußt ziemlich lange suchen, bis du ein schöneres findest. Und selbst in denen, die vielleicht noch ein bißchen schöner sind, findest du nicht so große und so elegant eingerichtete Gästesuiten, das mußt du zugeben.«