Der König von Mallorca - Michael Tillmann - E-Book

Der König von Mallorca E-Book

Michael Tillmann

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Beschreibung

Tillmann gilt als facettenreich. Eigentlich nennt er seine wilderen Geschichten Heavy-Metal-Phantastik.Andererseits sind auch Einflüsse der klassischen Gespenstergeschichte, des Social Beats und manchmal ein satirischer Unterton spürbar. Neuerdings interessiert er sich sogar verstärkt für Weird Western.All das macht auch seinen neusten Erzählband zu einem bunten Reigen des Grauens.Ein frommer König mit fehlerhafter Logik.Ein sich im Kampf mit höheren Mächten wiederfindender Varieté-Zauberer.Ein Werwolf am Rande des Nervenzusammenbruchs.Die seltsame Reise der Maske Maharsak.Gespenster vs. Zombies.Eine übersinnliche Sitzgelegenheit.Die wahre Sünde von Amsterdam.Die utopischen Schrecken von Mallorca.Und vieles mehr.

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Michael TillmannDER KÖNIG VON MALLORCA

In dieser Reihe bisher erschienen

01 Geisterstunden vor Halloween von Stefan Melneczuk

02 Drachen! Drachen! von Frank G. Gerigk & Petra Hartmann (Hrsg.) 

03 Schattenland von Stefan Melneczuk

04 Der Struwwelpeter-Code von Markus K. Korb05 Die weißen Hände von Mark Samuels06 Bio Punk‘d von Andreas Zwengel

07 Xenophobia von Markus K. Korb08 Nachtprotokolle von Anke Laufer09 Reiche Ernte von Matthias Bauer

10 Das Tor von Matthias Bauer

11 Fantastic Pulp 1 von Michael Schmidt & Matthias Käther (Hrsg.)

12 Wenn die Welt klein wird und bedrohlich von Felix Woitkowski (Hrsg.)

13 Geisterstunden von Stefan Melneczuk

14 Fantastic Pulp 2 von Michael Schmidt & Matthias Käther (Hrsg.)

15 Cosmogenesis von Jörg Kleudgen

16 Haschisch von Oscar A. H. Schmitz

17 Spuk des Alltags von Alexander M. Frey

18 Schattenschwarz von Torsten Scheib19 Der König von Mallorca von Michael Tillmann

Michael Tillmann

Der König von Mallorca

Michael Tillmann wurde im Sommer der Liebe 1969 in der ehemaligen Bergbaustadt Gelsenkirchen geboren. Nach einer Ausbildung zum Elektro­installateur absolvierte er die Abendschule. Neben Arbeit/Schule verpflichtete er sich für acht Jahre im Katastrophenschutz bei den Johannitern. Es folgten Studien zur Ökologie und Chemie an der Universität Essen, welche er als Dipl.-Umweltwissenschaftler abschloss. Heute arbeitet er als Qualitäts­manager (zeitweise auch als Umwelt- und Energie­manager) im Bereich Lebens- und Futtermittel. Inzwischen lebt er in Köln und wurde 2020 Vater eines Sohnes.Tillmann hat ca. fünfundsechzig Erzählungen in einschlägigen ­Phantastik-/Fantasy- und Science-Fiction-Publikationen wie zum Beispiel EXODUS, ZWIELICHT oder phantastisch! veröffentlicht, aber auch Social Beat Stories in Obdachlosenmagazinen und Jugendgeschichten bei BELTZ/GULLIVER. Bei MEDUSENBLUT sind zwei Bücher aus seiner Feder erschienen Ein ­Gänsekiel aus Schwermetall. Heavy-Metal-Phantastik (2010) und Schatten suchen keine Ewigkeit. Postmoderne Gespenstergeschichten (2013). 2012 war er mit Das Himmelreich der Autisten für den Vincent-Preis nominiert. Es gibt Leute, die halten Tillmann scheinbar für gefährlicher als zum Beispiel Donald Trump. Wie sonst könnte man erklären, dass Twitter zuerst nur zeitlich begrenzt gegen Trump vorging, aber das Phantastik-Forum Tillmann wegen Störung der Harmonie (Originalzitat) direkt final rauswarf? Respekt! Was für ein Teufelskerl!

Diese Reihe erscheint als limitierte und exklusive Sammler-Edition!Erhältlich nur beim BLITZ-Verlag in einer automatischen Belieferung ohne ­Versandkosten und einem Serien-Subskriptionsrabatt.Infos unter: www.BLITZ-Verlag.de© 2022 BLITZ-Verlag, Hurster Straße 2a, 51570 WindeckRedaktion: Jörg KaegelmannTitelbild: Mario HeyerUmschlaggestaltung: Mario HeyerSatz: Harald GehlenAlle Rechte vorbehaltenISBN 978-3-95719-324-7Dieses Buch ist als Taschenbuch in unserem Shop erhältlich!

„Lass dich nicht unterkriegen,

sei frech und wild und wunderbar!“

ASTRID LINDGREN

Mein herzlicher Dank gilt meiner Monika, Dirk Pressert, Monika Arlik und René Moreau.

Und die zwei Horror-Western-Stories wären natürlich nicht ohne die Musik von Ghoultown möglich gewesen.

Dieses Buch ist leider zu pessimistisch, zu doomy, um es meinen Sohn zu widmen.

Daher widme ich es stattdessen allen Leuten in der Phantastik-Szene, die sich mit political correctness, sensitivity reading, wokeness, Triggerwarnungen, Zigeunerschnitzel und so weiter beschäftigen:

Ihr guten Menschen werdet niemals verstehen, was Phantastik wirklich bedeutet!

Ich kann und will eure moralische Überlegenheit niemals erreichen.

Und dann kam das Baby

„Nicht alle von ihnen sind Fleisch.

Einige sind nächtliche Labyrinthe.“

Die Anatomie der toten Götter

ANONYMUS

„Das Leben sollte keine Reise zum Grab sein mit der Absicht,

sicher und in einem hübschen und wohlerhaltenen ­Körper dort anzukommen,

vielmehr sollte man in eine Rauchwolke gehüllt

und völlig verbraucht und abgekämpft dort ­hineinschlittern

und laut ausrufen: Wow! Was für eine Fahrt!“

HUNTER S. THOMPSON

Es gab einmal einen Schriftsteller, der war wie alle anderen Schriftsteller auch. Er stieß ständig seinen lieben Mitmenschen mit seinen bissigen Wahrheiten vor den Kopf und lebte außerdem mit der ebenso ständigen Angst, ihm könnten die brillanten Ideen ausgehen. Wenn er sich in einer solchen Phase der Ideenlosigkeit befand, trank er billigen Bourbon, hörte Musik, die kaum jemand außer ihm gut fand, und hoffte, eine dicklippige Muse würde ihn wenigstens im Traum küssen. Da unser Schreiberling sich als Phantastik-Autor bezeichnete, hätten es auch gerne Albträume sein können. Da zeigte er sich beruflich bedingt hart im Nehmen.

Als Problem offenbarte sich nur: Er hatte generell sehr selten Träume beziehungsweise Träume, an die er sich beim Aufwachen noch erinnern konnte. Seine Nächte blieben in der Regel ruhig und friedlich. Er träumte überhaupt nur dann, wenn er Samstag oder Sonntag, vielleicht auch Neujahr, noch einmal nach der Zeit einschlafen konnte, zu der in der Woche sein Radiowecker schellte und die verhasste Lohnarbeit als Elektriker unerbittlich rief.

Denn er wachte robotisch an solchen freien Tagen natürlich zum gleichen Zeitpunkt auch ohne Phil ­Collins aus der Plärrkiste auf, deckte seine Frau liebevoll zu, ging zur Toilette, pinkelte hustend und warf sich hinterher wieder aufs durchgelegene Bett. Neben sich auf dem geerbten Nachttisch ein verchromter Kugelschreiber und ein lila Notizbuch mit asiatischen Mustern, falls er wirklich hinter der Wall of Sleep fündig werden sollte, dort wo die Schatten der Grabsteine länger sind als der Schatten der Bäume. Dort wo aus diffusen Ängsten greifbare Symbole wurden.

Doch diese Gelegenheiten blieben zu selten. Oft wurde er Samstag in der Früh von seiner Frau mehr oder minder aus dem Bett geworfen, damit er den Rasenmäher reparieren, die Außenbeleuchtung instand setzen, neue Vorhänge anbringen oder die verdammte Hainbuchenhecke noch vor dem Winter schneiden konnte. Oder er trank in der Nacht von Samstag auf Sonntag so viel, um seine Qualen als Handwerker und seine stupiden Kollegen zu vergessen, dass sein Schlaf komatös und schwarz wurde. Sein feines Notizbuch blieb nahezu leer in solchen alltäglichen Zeiten. Ein ständiger Fluss mit trüben Wellen aus Trivialität und Stumpfsinn, der alle Kreativität vertrocknen ließ, das schien sein Leben, sein Fluch zu sein. So viele Hoffnungen; so wenig Träume.

*

Und dann kam das Baby!

Ein süßes Baby, mit einem herzerweichenden Lächeln, blauen Augen, Papas runder Nase, viel Hunger, einer kräftigen Stimme und sehr, sehr unruhigem Schlaf. Das sollte ausschlaggebend sein. Denn von diesem Tag an, als des Babys erster Schrei im heimischen Schlafzimmer erklang, befand der Schriftsteller sich in den Nächten quasi ständig in der Phase des erneuten Einschlafens. Mindestens fünf bis sechs Mal pro Nacht. Selbst in den Nächten, wenn seine Frau Babyschicht hatte, schreckte er immer wieder durch das Geschrei auf. Ein ständiges Auf und Ab zwischen Traum und Realität. Ein ständiges Hin- und Herwälzen im Bett. Der eigene Kopf wurde schließlich zu einer Art von Pendel zwischen den tosenden Gestaden der Wahrnehmung.

Die Übergänge zerflossen zu einem Brei aus Haltlosigkeit. Und aus Haltlosigkeit wurde alsbald Zügellosigkeit. Es schien, als würden wilde, kreischende Furien den erstaunten Mann durch sich immer weiter verzweigende Altstadtgässchen treiben. Alles zerschmolz in diesen Stunden zu einem chaotischen Labyrinth aus Phantastereien, Babyschreien, Nachtmahren, Milchflaschen, unheilvollen Verkündigungen, Schnullern, gespenstischen Schatten, Stramplern, Hexensabbat, Wiegenliedern, Trommelschläge bei Randalen in der Walpurgisnacht, das Geräusch von Babyrasseln, Wechselbälgern und immer wieder grüngelbem Kacka.

Doch das Meer aus knöchelhohem Kacka machte das Fallen auf mittelalterliche Pflastersteine nicht weicher, es vermehrte nur die Stürze. Es blieb ein harter Lauf. Die Furien des Kopflabyrinths immer im Nacken. Hackten schon mit ihren stählernen Schnäbeln in seinen Hinterkopf und rissen Haare aus. Aus den verklebten Augenwinkeln heraus glaubte er, staubige Geschäfte in den Fachwerkhäusern zu erkennen. Dort verkauften sie alpenländische Perchtenmasken, die irgendwie des Schriftstellers müde Züge trugen. Und in den bleigefassten Schaufensterscheiben erblickte er die Spiegelungen der Furien und ihrer kilometerlangen, bunten Federschwänze. Manchmal sah er diese Anhängsel auch in Nebenstraßen und an Kreuzungen vor sich dahinhuschen. Dann wusste er, der Kreis hatte seinen Lauf längst schon gefangen und er die Schwänze seiner Verfolger.

Es ging nicht um den blutigen Nacken, auch nicht um die schmerzenden Beine oder die pfeifenden Lungen. Das konnte man irgendwie ertragen. Wenn nur diese verdammte Müdigkeit nicht gewesen wäre. Man glaubt ja, man wisse, was Müdigkeit ist. Doch das ist nicht mit Schlafmangel nach wilden Partynächten zu vergleichen. Kinderpflege war das wahre wilde Leben. Auch Überstunden brachten eine andere Art von Erschöpfung. Selbst Nachtschichten und nächtliche Übungen beim Militär schienen etwas anderes zu sein. Denn dort brachte man sich nicht so ein wie im Schlafzimmer für das eigene Kind. Die Müdigkeit ging mehrdimensional über das Körperliche hinaus.

Richtig müde ist man erst, wenn man Baby- und Furienschreie nicht mehr unterscheiden kann und der Lauf durch die ständig abbrechenden Träume nicht mehr endet. Ein Leben im Rausch. Auch ohne Whiskey hatte der Autor alsbald morgens Kopfschmerzen und Sodbrennen. Wenn er eine Stegleitung auf der Arbeit verlegte, dann traf er seine Finger statt der Nägel. Wenn er in einer Pause nur kurz die Augen schloss, dann musste er geweckt werden. Und im Auto schlief er nur nicht ein, weil er in Höchstlautstärke Highway to hell hörte.

*

Schließlich kam nach Monaten der Morgen, da wachte der Wortsucher auf und fühlte sich erstaunlicherweise nicht wie durch Stephen Kings Maschinerie aus dessen Geschichte The Mangler gedreht. Solch billiges Wortspiel war zu entschuldigen, denn der Kerl kannte es nicht anders, wohnte er doch in Köln. Tätärätärä! Auch ein Schicksal.

Jedenfalls, ausgeschlafen aber gänzlich verwirrt ging er zur Toilette, setzte sich auf die Brille und wurde sich schließlich beim Pinkeln ganz langsam bewusst, was sich eigentlich in den letzten Stunden scheinbar zugetragen hatte. Oder träumte er noch jenseits der grausamen Furien? Konnte es wirklich sein? Nach all diesen Nächten der Flucht? Konnte es wirklich sein? Der unglaubliche Gedanke perlte leise und zart hoch, wie die Kohlensäure in einem kühlen Weizenbierglas in einem sommerlichen Biergarten. Herrlich! Ja, es war wahr! Es gab keinen Zweifel.

Ein unglaublicher Fakt:

Teufel im Himmel, Gott in der Hölle, das Baby hatte zum ersten Mal im Leben durchgeschlafen!

*

Alles würde sich nun wieder ändern. Ein neues Zeitalter brach an. Der Kosmos ordnete sich neu. Die Planeten änderten ihre Drehrichtung. Die Sternennebel spielten schmeichelnd Saxofon in ihren langsamen äonenlangen Bewegungen, wo eben noch eine blecherne Flöte das Lied von den Furienschwänzen geblasen hatte. Es würde Schlaf geben. Aber nicht nur das. Da gab es noch einen Gedanken.

Der Gedanke wurde ebenfalls Bewegung; der Mann sprang wie durch einen Rattenbiss aufgeschreckt von der Schüssel auf, nicht beachtend, dass einige Tropfen Pipi im grünen Frotteenachtgewand landeten. Auch das Licht vergaß er auszuschalten. Er stürmte geradezu ins Schlafzimmer. Seine Frau schlief noch, das Baby auch.

Ja, das Baby auch!

Es sah aus wie eine kleine Waldfee, die gerade einen Menschen einen Wunsch erfüllt hatte und nun nach getaner Arbeit zurück zwischen die wilden Rosenblätter sank. Mehr Frieden und Ruhe ging gar nicht!

Der Autor ergriff das lila Notizbuch vom Nachtisch, öffnete es, fiel auf die Knie und weinte vor Glückseligkeit. Er begriff, dass das blutige Schnabelhacken der nächtlichen Furien der unter Schmerzen erkaufte Kuss der Musen der Horror-Autoren ist. Denn das Buch schien über und über voll mit phantastischen Einfällen, die er wohl im Halbschlaf zu Papier gebracht hatte. Ein Rausch an guten Ideen und großartigen Szenarien, wie er in aller künstlerischen Bescheidenheit feststellte. Die Freudentränen liefen über seine Wangen wie vormals das Blut über seinen Nacken. Hier lag ein Fundus an Eingebung niedergeschrieben: ein frommer König mit fehlerhafter Logik, ein sich im Kampf mit höheren Mächten wiederfindender Varieté-Zauberer, ein Werwolf am Rande des Nervenzusammenbruchs, die seltsame Reise der Maske Maharsak, Rockerbanden vs. Gespenster vs. Zombies, eine übersinnliche Sitzgelegenheit, die utopischen Schrecken von Mallorca und vieles mehr.

Die Tränen der Freude waren noch nicht getrocknet, da hörte er, wie seine Frau erwachte. Noch mit halb geschlossenen Augen meinte sie: „Guten Morgen! Es ist aber sehr gut, dass du schon so früh aufgewacht bist. Denn wir müssen ja heute zusammen den Keller aufräumen und die Halloween-Deko verstauen. Es ist ja schon bald Weihnachten.“

Doch der Mann antwortete nicht sofort. Langsam richtete er sich mit flammenden Augen und schwankenden Knien auf, holte tief Luft und verkündete, sein lila Notizbüchlein liebevoll an seine Brust drückend: „Ich bedauere, mein Schatz! Die Halloween-Deko wird noch etwas warten müssen.“

Die Dame stemmte sich hoch, öffnete wenig überrascht die Augen und fragte: „Ach, warum denn?“

Der entflammte Künstler aber rannte bereits zur Bibliothek, brachte dabei jedoch noch keuchend den triumphieren Ausruf heraus: „Der Tag ist da! Heute werde ich mein neues Buch beginnen! Einen Bestseller! Ganz gewiss ein Bestseller!“

Und so nahm alles seinen Lauf …

Die Gebete der Kriegspriester

„Too late to call for the priest

he is not here anymore“

Save Us

HELLOWEEN (sic!)

Ein Szenario, welches den roten Faden der Weltgeschichte darstellt: Schwarzer Rauch zog über das Feld einer absurden Schlacht; die Schwerter, Lanzen und Glieder zerbrochen; die Fahnen zerrissen; der Krieg vorbei. Nun musste nur noch der Führer der unterlegenen Partei den neuen Herrscher offiziell anerkennen, die Papiere unterschreiben. Krieg ist Blut. Frieden ist Tinte?

Doch es machte sich das Gerücht breit, dass die Siechenärzte des untergegangenen Königreichs auf dem Schlachtfeld etwas gefunden hätten, was es dem geschlagenen König unmöglich machen würde, die abschließenden Verträge zu ratifizieren.

Zwar würde eine solche Weigerung seinen Tod bedeuten, aber der Monarch glaubte, mehr verlieren zu können als nur sein armseliges Leben. Denn er sah seine unsterbliche Seele in Gefahr, wenn er wissentlich einen Vertrag mit einer Partei unterzeichnen würde, die scheinbar mit dem Feind Gottes in Verbindung stand. Die Ärzte hatten nämlich mit zitternden Zungen kaum hörbar geflüstert, dass sie dort unter all den blutüberströmten Leichen und abgetrennten Gliedern auch Körperteile gefunden hatten, die weder von Menschen noch von irgendwelchen Tieren stammten: blasphemische Bestandteile von unvorstellbaren Kriegern, die nur der Tiefe der Hölle entsprungen sein konnten.

Dammas der Siegreiche betrat das große Zelt. Sein wertvolles Kettenhemd klirrte nicht, da die feinen Kettenglieder durch Unmengen von geronnenem Blut steif geworden waren, so wie aus süßem Teig festes Brot wird.

Dammas’ Gefolge bestand aus zwei waffenstarrenden Leibwächtern und einem Henker mit feuerroter Maske und einer schwergewichtigen Axt. Dieser blieb im Eingang der Unterkunft stehen, stellt sich breitbeinig hin und stützte sich auf sein monströses Werkzeug auf. Ein Könner der Pose. Ein begnadeter Schauspieler unter den Handwerkern. Ein fleißiger Handwerker unter den Scharfrichtern.

„Ich sehe, dass Eure hochwohlgeborene Exzellenz leider immer noch nicht unterschrieben hat“, stellte Dammas der Siegreiche nüchtern fest. Woraufhin der Henkersmann leise hüstelte, um dann aber sofort wieder zu verstummen. Es war nicht des Künstlers erste Aufführung. Gewiss nicht ...

„Ha, die Niederlage einer ehrlichen Schlacht könnte ich sicherlich eingestehen, aber ich würde meine gefallenen Ritter unsäglich beleidigen, wenn ich dieses satanische Gemetzel anerkennen würde“, antwortete König Gustav laut und trotzig. Dann spuckte er auf den Boden. Nicht viel, denn sein Hals war trocken.

„Meine hochgeschätzte Exzellenz, ich wundere mich. Ihr kennt doch die diplomatischen Gepflogenheiten: Dieser simple Vertrag ist nur eine bloße Formalität, um Euer Leben zu schonen. Wir spielen das sinistere Spiel, das die windigen Schergen aller Höfe Politik nennen. Ich will den Völkern der Welt damit zeigen, ich bin ein gnadenreicher Herrscher. Bin ich nicht?“

„Niemand wird das jemals glauben! Sie wissen, Ihr seid ein verdammter Teufel. Sie wissen, Dämonen führten Eure Waffen. Man kann die Nachricht nicht mehr aufhalten. Von Ohr zu Ohr wird sie mit warmem Atem getragen werden. Sie wird alle Ländergrenzen und Stände überwinden. Auch die Knechte haben Ohren und ein Herz in der Brust.“

„Kolportage! Jämmerliche Kolportage! Was interessiert mich das?“

„Gerade noch habt Ihr anders gesprochen! Ihr strebtet nach Sympathie. Was aber haben die Menschen von uns erwartet, Dammas? Ich sage es Euch: Die Völker wollten einen gerechten Kampf!“

Dammas setzte sich auf einen Stuhl. Krümel des geronnenen Blutes aus seinem Kettenhemd fielen zu Boden. Er ließ sich ein Glas Wein bringen. Nachdem er genussvoll getrunken hatte, fragte er König Gustav: „Und wenn Euch die Engel des Herrn geholfen hätten? Wäre das denn gerecht gewesen?“

„Uns haben die Engel nicht geholfen!“

„Ach, was höre ich? Hat Euer gnadenreicher Gott Euch also alleine gelassen in dieser Schlacht?“

König Gustav schwieg.

Aber Dammas fragte erneut: „Wenn – ich sage hier extra wenn – Euch die Engel Eures ach so geliebten Gottes geholfen hätten, wäre das gerecht gewesen? Wäre das ein fairer Kampf gewesen?“

König Gustav befragte sein klopfendes Herz und antwortete: „Nein, es ging um eine Auseinandersetzung zwischen zwei Menschenvölkern. Es war eine weltliche Angelegenheit. Ihr habt das Wort schon benutzt: Politik. Wenn uns also die Engel geholfen hätten, so wäre dies auch nicht fair gewesen. Weder Engel noch Dämonen sollten sich in solche Kämpfe einmischen! Ich kann Euch nicht widersprechen. Ja, ihr habt recht: Auch das Eingreifen von Engeln wäre nicht fair gewesen!“

„Aber haben Eure höchsten Priester denn nicht gebetet, der Himmel und seine Heerscharen mögen Euch beistehen? Haben sie den nicht die Schwerter, Lanzen, Morgensterne und Streitäxte gesegnet? Habe ich denn nicht über das weite Feld die heiligen Glocken Eurer Messe gehört? Sind die Choräle nicht in der Morgensonne mit dem Wind über die Äcker gezogen? Und habt Ihr nicht auch mitgesungen, meine hochgeschätzte Exzellenz? Hörte ich nicht Eure Stimme besonders laut und deutlich über den anderen schweben?“

„Ja, aber ...“

„Still! Kein Aber, König Gustav! Nein, kein Aber mehr! Religion ist wie Politik: Überall findet man ein Aber zur rechten Zeit. Das Aber als Schlüssel zum Hintertürchen. Ich kann es nicht mehr hören. Euer Winden ermüdet mich. Es gibt heute keine Entschuldigung, keine Rechtfertigung. Meine hochgeschätzte Exzellenz, wir haben mit gleichen Mitteln gekämpft!“

„Ihr gebt also zu, dass Ihr den Satan angerufen habt, um Waffenbrüder zu erhalten, die nicht von dieser Welt sind?“

„Ich sagte schon: Wir haben mit gleichen Mitteln gekämpft!“

Dammas hielt König Gustav einen Becher mit Wein hin. Doch der Gastlehnte angewidert ab. Da lachte Dammas: „Ihr, mein gottesfürchtiger Mann, glaubt immer noch, Ihr seid etwas Besseres, was?“

König Gustav antwortete nicht. Ein letzter Rest von Stolz versteinerte sein bärtiges Gesicht. Er wollte nicht wahrhaben, dass seine Gebete eine Sünde gewesen waren. Und er wollte nicht wahrhaben, dass Gott sie missachtet hatte.

Seine Kehle war trocken. Sein trockenes Schlucken war das einzige Geräusch in der Stille.

Plötzlich rief Dammas laut nach hinten: „Bringt die Säcke herein!“

Der schwergewichtige Henker trat zur Seite. Eine sehr elegante Bewegung. War er auch Tänzer? Ein Tänzer unter den Kolossen?

König Gustav blickte zum Eingang. Da wurden zwölf große Säcke, aus denen Blut tropfte, von vierundzwanzig muskulösen Männern ins Zelt getragen.

Dammas lachte und befahl: „Schüttet sie vor die Füße dieses gerechten Mannes, damit er die Wahrheit erkenne!“

Während die Träger die schwere Last vor König Gustav ausschütteten, sprach Dammas beim Verlassen des Zeltes: „Oh, ich kann Euch beruhigen: Euer Gott hat Eure kriecherischen Gebete erhört! Euer Gott hat alles versucht, was in seiner Macht stand, ha, ha!“

Die vierundzwanzig Diener zogen sich ebenso zurück, leise wie Katzen. Nur der Henker blieb vor Ort. Er atmete tief durch. Dann erhob er zum ersten Mal das Wort: „König Gustav, schaut und versteht! Es wird Euer Leben retten! Das käme mir gerade recht. Denn ich bin faul. Töten ist anstrengend.“

König Gustav schaute sich die Leiberreste vor seinen Füßen an, zögerte, wollte nicht verstehen, verstand jedoch und weinte schließlich, als er die goldenen Locken, die wunderschönen, aber leider gespaltenen Gesichter, die geschlechtslosen Unterleiber und die zerstückelten, silbernen Flügel erblickte, die dort vor seinen verdreckten Stiefelspitzen lagen wie zerschlagene Juwelen. Der Blutgeruch schien irgendwie honigartig und alt. Alt, wie das Versprechen auf Erlösung.

Als der König keine Tränen mehr hatte, trank er den roten Wein des Siegers. Er schmeckte bittersüß. Trotzdem füllte er sein Glas immer und immer wieder. Die Kehle durfte nun ruhig feucht sein. Es gab keinen Grund mehr, sich selber zu kasteien.

Als aller Wein getrunken war, griff er sich an die Brust, riss das goldene Kreuz ab und warf es auf die Leiber der gefallenen Engel. Es glühte kurz grell auf wie eine sterbende Sonne im Schattenwurf der Zeit. Es stank nach Jod.

Der Henker nickte, er wusste, was nun folgen würde. Daher richtete er sich vollends auf, verließ das Zelt und trat in die Nacht hinaus. Beim Heraustreten nahm er seine grelle Kapuze ab. König Gustav schaute den dargebotenen, haarlosen Hinterkopf. Ein mächtiges, lidloses Auge mit violetter Iris blickte ihn an. Dann schloss sich der samtene Vorhang des Zeltes, als wäre es der Mantel der Nacht persönlich.

Irgendwo begann ein Baby zu weinen.

Irgendwo heulte ein Hund.

Der Gefangene, der sich niemals wieder König nennen würde, blickte erneut auf die Engel. Die Verwesung schritt nun unnatürlich rasch voran. Die Haut zog sich zusammen. Die trockenen Lippen wichen von wunderschönen Perlmuttzähnen zurück. Ein breites Grinsen bot Lüge feil. Die liebreizenden Augen kullerten aus den Höhlen. Weihrauchartige Gase stiegen aus diesen neuen Körperöffnungen empor.

Der Erniedrigte hielt sich ein fleckiges Taschentuch vors gerötete Gesicht, kämpfte gegen einen Würgereiz an. Er hustete, bis er Sterne sah. Es dauerte, bis sich der Mann endgültig gefangen hatte.