Der kranke Gesunde - Hans Lieb - E-Book

Der kranke Gesunde E-Book

Hans Lieb

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Beschreibung

<p><strong>Wenn Ihr Arzt nichts findet</strong><br></p><p>Rückenschmerzen, Kopfschmerzen, Herzprobleme, hohe Blutdruckwerte oder Blasenentzündung: Körperliche Beschwerden haben nicht immer organische Ursachen. Auch Stress, Ärger und Angst können zu verschiedenen körperlichen Symptomen führen. Viele solcher Störungen sind daher psychosomatisch. Der Schlüssel zur Heilung findet sich in dem Wechselspiel zwischen Körper und Psyche.<br></p><ul><li><b>Was Ihr Körper Ihnen sagt:</b> Kopf, Herz, Bauch und Rücken stellen sich selbst vor und erzählen, warum sie mit Beschwerden reagieren.<br></li><li><b>So finden Sie Zugang zu Ihrem „Problem-Organ“:</b> Das Buch zeichnet am Beispiel von vier Betroffenen sehr anschaulich den Weg zur Heilung.<br></li><li><b>»Anschubhilfe«: </b>Tipps und Informationen für ein rundum besseres Lebensgefühl<br></li></ul><p><b>So werden Körper und Psyche wieder Freunde.</b><br></p>

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Seitenzahl: 268

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Der kranke Gesunde

Psychosomatische Beschwerden: Was mir die Signale meines Körpers sagen

Dr. phil. Hans Lieb, Dr. med. Andreas von Pein

7. Auflage 2024

Widmung

Psychosomatische Heilung bedeutet aus unserer Sicht, an die Stelle eines Kampfes zwischen körperlichen und geistig-seelischen Vorgängen eine heilsame Begegnung dieser Bereiche zu setzen. Das gelingt aber nur, wenn sich auch aufseiten der Behandlung Medizin und Psychologie gleichwertig begegnen. Jochen Sturm hat diesen wechselseitigen Respekt vielfach gefördert: in seiner Betreuung von Betroffenen, in seinen Veröffentlichungen und schließlich in seiner Gestaltung von psychosomatischen Einrichtungen. Um das, was wir dabei von ihm gelernt oder übernommen haben, zu würdigen, widmen wir ihm dieses Buch:

Für Jochen Sturm

Liebe Leserin, lieber Leser

Sie haben körperliche Beschwerden und sind deshalb schon öfter zum Arzt gegangen, ohne dass dieser etwas Organisches feststellen konnte? Möglicherweise hat er Sie zu einem Facharzt überwiesen, der aber auch keine körperliche Krankheit diagnostizierte? Es könnte sein, dass Sie auf diese Weise schon von Arzt zu Arzt gegangen sind – Ihre Beschwerden sind immer noch da, Ihre Sorgen und Fragen ebenfalls; und irgendwann vermutet ein Arzt oder auch Sie selbst, dass die Symptome – da sich nichts Körperliches finden lässt – psychisch bedingt oder »psychosomatisch« seien.

Was aber sind »psychische Ursachen körperlicher Symptome«? Was ist Psychosomatik? Und wie kann man psychosomatische Krankheiten heilen? Auf diese Fragen werden viele Antworten gegeben. Manche sind falsch, oberflächlich oder sie erzeugen nur neue Probleme. In diesem Buch erhalten Sie Antworten, die einerseits wissenschaftlich fundiert sind und andererseits praktische Hilfen zur Lösung anbieten.

Damit Sie nicht »die Katze im Sack kaufen müssen«, wollen wir Ihnen das Buchkonzept und unsere therapeutische Denk- und Arbeitsweise ein wenig vorstellen. Wir beschreiben sowohl die körperliche als auch die psychische Seite psychosomatischer Beschwerden sowie – für uns ganz wichtig – das Zusammenspiel von Seele, Körper und sozialer Welt. Wir vereinen dabei das Wissen und die Erfahrungen von zwei Psychotherapierichtungen: die eine ist die Verhaltenstherapie, die andere die Systemtherapie.

Unser Buch geht von folgenden Grundannahmen aus:

Wir meinen, dass medizinisches Wissen einen wichtigen Stellenwert in der Psychotherapie haben kann und muss und dass Medizin und Psychotherapie Ergänzungen und keine sich ausschließenden Alternativen sind.

Wir interessieren uns mehr für die Frage, wie Probleme zu lösen sind als dafür, wie man sie erklären kann.

Probleme können nur in der Gegenwart und bei Erwachsenen am besten durch die Betroffenen selbst gelöst werden. Dadurch erhöht sich die Eigenverantwortung jedes Menschen für die Linderung oder Beseitigung seiner Beschwerden.

Psyche und Körper sind ein Paar, das selbst Mitglied sozialer Gemeinschaften ist.

Um diese Gesichtspunkte zu verwirklichen, haben wir uns für eine etwas ungewöhnliche Form entschieden: Sämtliche Beteiligten am Gesamtkomplex psychosomatischer Erkrankungen kommen nicht nur selbst zu Wort, sondern sprechen auf der Bühne des Buches auch zueinander. Manche Kapitel widmen sich einzelnen dieser Beteiligten, andere deren Zusammenspiel.

Sie können das Buch von vorn bis hinten durchlesen oder, was die Abschnitte über einzelne Körperbereiche betrifft, auch in dem Kapitel »einsteigen«, das Sie am meisten interessiert und von dort Zugang zu anderen finden.

Wir stellen zunächst alle Beteiligten vor: das sind vier verschiedene Betroffene, die typische psychosomatische Symptome haben, deren Körper und dessen Organe, die Angehörigen, die Experten.

Danach erläutern wir, was unter »Psychosomatik« verstanden wird.

Weiter geht es mit dem Zusammenspiel der Organe und ihrer Steuerung durch das Nervensystem.

Dann stellen sich Kapitel für Kapitel jene Organe vor, über die die meisten Beschwerden berichtet werden.

Im letzten Teil geht es um den Zusammenhang gestörter – man könnte auch sagen »störender« – Organe mit der Seele, dem Lebensstil der Betroffenen und deren Platz in der sozialen Welt. Bei der Darstellung dieser verschiedenen Ebenen richten wir den Blick manchmal in einer Art »Nahaufnahme« direkt auf das Organ oder die Psyche des Einzelnen, manchmal betrachten wir eher übergeordnete Zusammenhänge zwischen Seele, Körper und der sozialen Welt. In diesem dritten Teil stellen wir dar, wie man seine psychosomatische Krankheit überwinden kann. Zum Heilungsprozess gehören fünf Phasen, die wir Ihnen Schritt für Schritt vorstellen, dabei kommen auch immer wieder die vier Betroffenen zu Wort, die schildern, wie das bei ihnen war.

Indem wir über Psychosomatik und Psychotherapie schreiben, kann das Geschriebene beim Leser sogar selbst zur Therapie werden – zur Bibliotherapie, d. h. Selbstbehandlung durch Lesen. Der entscheidende Unterschied zwischen direkter Psychotherapie und Bibliotherapie ist der: Wir (die Autoren) lernen Sie (den Leser) nicht persönlich kennen und umgekehrt Sie uns nicht. Wird in der Psychotherapie die persönliche Begegnung oft zu einem tragenden Element der Behandlung, ist das beim Lesen allein der Inhalt des Buches. Ersteres hat den Vorteil, dass wichtige Themen persönlich vertieft und Missverständnisse im Gespräch korrigiert werden können. Lesen ohne persönliche Begegnung hat aber auch Vorteile: Sie haben mehr Freiräume in der Art, wie Sie die Inhalte verwenden. Sie können sich Zeit nehmen, eine Seite noch mal zu lesen und Sie können lesen, wann und wo es Ihnen passt. Sie können das Buch selbstverständlich auch »einfach so« lesen, ohne das gleich auf sich oder andere anzuwenden, das liegt ja ganz in Ihrer Hand. Wir hoffen natürlich, dass die Lektüre für Sie hilfreich sein möge und wünschen Ihnen nun viel Freude beim Lesen.

Hans Lieb, Edenkoben Andreas von Pein, Bad Dürkheim Januar 2009

Inhaltsverzeichnis

Titelei

Widmung

Liebe Leserin, lieber Leser

1 Grundlagen Wie sich Körper und Seele beeinflussen

Körperliches Leiden ohne organische Ursache

Die Akteure

Worunter leiden die vier Betroffenen?

Welche Organe sind beteiligt?

Die Angehörigen sind ebenfalls mit-betroffen

Die Experten – Mediziner und Psychotherapeuten

Martin und sein Herz

Beginn meiner Krankheit und erste Untersuchungen

Der zweite Anfall und seine Folgen

Von Arzt zu Arzt

Und nun lande ich auch noch beim Psychiater!

Der Hausarzt: der erste Experte

Notwendige Untersuchungen oder ›Diagnose-Karussell‹?

Ich will auf keinen Fall eine ernstliche Krankheit übersehen!

Was nun?

Was ist Psychosomatik?

Psychosomatik im Zustand der Gesundheit

Gefühle, Reaktionen und Verhalten sind eng verzahnt

Umgekehrt beeinflusst der Körper auch das Gefühlsleben

Die Psyche als Beobachterin ihres Körpers

Was ist bei psychosomatischen Patienten anders?

Die »medizinische Herangehensweise« ist nicht immer sinnvoll

Wovon hängt die Art unserer Körperbeobachtung ab?

Die Beziehung zwischen Psyche und Körper ist gestört

Der »Wiederholungszwang«

Die Wiederholungszwänge der Psyche

Was meinen Martin, Nora, Oliver und Doris?

Gehirn und Nervensystem

Aufbau und Struktur des Gehirns

Im Großhirn findet das Denken, Lernen und bewusste Wahrnehmen statt

Das Zwischenhirn ist die Gefühlsschaltzentrale

Das Stammhirn steuert die elementaren Lebensfunktionen

Das Kleinhirn koordiniert unsere Bewegungen

Rechts- und Linkshirnigkeit – Gefühl kontra Logik?

Rückenmark und peripheres Nervensystem

Die Funktionen des Nervensystems

Das motorische Nervensystem steuert die Muskulatur

Das sensible Nervensystem leitet Sinnesreize weiter

Das vegetative Nervensystem steuert die inneren Organe

Sympathikus und Parasympathikus sind natürliche Gegenspieler

Wie man das vegetative Nervensystem beeinflussen kann

Wie die verschiedenen Teile zusammenspielen

Gedanken, Bilder, Gefühle und körperliche Reaktionen sind eng verzahnt

Die Hypophyse als Bindeglied zwischen körperlichen und geistigen Regungen

Ein Geruch kann vergessen geglaubte Erinnerungen zutage fördern

Welche Schlüsse kann man ziehen?

Schmerz – ein ungeliebter Bote

Wie entsteht Schmerz?

Bestimmte Nervenbahnen sind für Schmerz zuständig

Die Schmerzsignale werden im Rückenmark (vor)verarbeitet

Eine besondere Rolle spielt die gefühlsmäßige Bewertung des Schmerzes

Chronische Schmerzen

Wie entsteht ein Schmerzgedächtnis?

Wie kann man das Schmerzerleben beeinflussen?

Schmerzmittel sind nur kurzfristig sinnvoll

Wie wird das Schmerztor geöffnet und geschlossen?

2 Beschwerden Beschwerden psychosomatisch betrachtet

Die Familie der Organe

Die Organe beeinflussen sich gegenseitig

Störung oder sinnvolles Signal?

Ein Organ als Beschwerdeführer anderer Organe

Die »familiären Beziehungen« der Organe

Lunge und Atmung

»Da bleibt mir die Luft weg«

Was brauche ich?

Haben Sie genug Freiraum?

Herz- und Kreislaufbeschwerden

Herz und Kreislauf stellen sich vor

Das Herz

Die arteriellen Gefäße

Die venösen Gefäße

Flexibilität ist unsere besondere Stärke

Training steigert unsere Leistungsfähigkeit

Porsche oder Traktor?

Unsere funktionellen »Störungen«

Herzklopfen

Funktionelle Herzschmerzen, Kloßgefühl, Luftnot

Flaues Gefühl im Magen, Übelkeit

Weiche Knie, Zittern

Kreislaufbedingter Schwindel

Angst und Angstbewältigung

Welche Medikamente beeinflussen uns?

Was erwarten wir von Martin?

Wir arbeiten gerne auch einmal hart!

Was soll ich denn bei Schmerzen und Schwindel machen?

Es gibt keine hundertprozentige Sicherheit!

Kopfschmerz

Was gehört zum Kopf?

Welche Arten von Schmerzen erzeuge ich?

Spannungskopfschmerz

Meine Muskeln sind ständig verspannt

Migräne

Die Schmerzen hängen mit der Gefäßverengung und -erweiterung zusammen

Bei einigen Menschen können auch bestimmte Nahrungsmittel Migräne auslösen

Toxischer (durch Gifte bedingter) Kopfschmerz

Regelmäßiger Schmerzmittelgebrauch führt selbst zu Kopfschmerzen

Kombinationskopfschmerz

Mit welchen Medikamenten werde ich behandelt?

Medikamente gegen den akuten Migräneanfall

Medikamente zur Migränevorbeugung

Was erwarte ich von Doris?

Ich will beweglich bleiben und vielseitig eingesetzt werden

Ich brauche aber auch immer wieder Ruhe und Entspannung

Wir sollten nicht mehr gegeneinander kämpfen!

Magen- und Darmstörungen

Wir sind »rund um die Uhr« tätig

Wie funktionieren wir?

Wir haben ein eigenes Nervensystem!

Wir funktionieren meist am besten, wenn man uns in Ruhe lässt

Was läuft ab, wenn wir Störungen haben?

Kloßgefühl im Hals, Schluckbeschwerden, Aufstoßen

Übelkeit, Erbrechen

Sodbrennen

Magenkrämpfe

Diffuser Magenschmerz

Magendrücken

Verstopfung

Durchfall

Blähungen (Meteorismus)

Reizdarm

Welche Medikamente gibt man uns?

Nora im Gespräch mit ihrem Magen

Druck und Drang – die Harnblase

Meine Beziehung zum Nervensystem

»Mach dir doch nicht in die Hose«

Störungen meiner Funktion

Störungen bei der Frau

Störungen beim Mann: Prostatadynie

Was brauche ich?

Scham ist ein natürliches Gefühl, das respektiert werden will

Eine befriedigende Sexualität tut mir gut!

3 Heilung Der Weg aus der psychosomatischen Krankheit

Erkennen und Handeln

Die Diagnose wirkt bereits heilsam

Doris’ »Brummelerkenntnis«

Wer sind die möglichen Heiler?

Experten, die direkt in den Körper eingreifen

Die Selbstheilungskräfte des Körpers

Der engste Partner des Körpers: die Psyche

Psychotherapeuten, als Unterstützer der Psyche

Angehörige

Heilsame Veränderungsschritte

Wie ging es mit Nora und ihrer Übelkeit weiter?

Welche Veränderungsschritte waren für Nora wichtig?

»Ich stelle mir nur vor, wie mir schlecht wird, und mir wird tatsächlich übel!«

»Ein Gesetz ihrer Psyche lautete: ›Denk immer zuerst an andere!‹«

1. Schritt: Neue Fragen stellen

Zwiegespräch mit dem Symptom

Beispielgespräche zwischen Patient und Symptom

Warum ist so ein Dialog hilfreich?

Wie antworten Symptome?

»Eine neue Frage hat meinem Mann und mir eine ganz neue Sichtweise eröffnet«

2. Schritt: Eine neue Sichtweise einnehmen

Was geht dem Symptom typischerweise voraus?

Wann und warum schmerzt Olivers Rücken?

Welche Faktoren kommen bei Oliver zusammen?

Soziale Belastungen als Auslöser von Symptomen

Was geschieht danach?

»Entlastung gibt es nur, wenn man leidet«

Welche Vorteile bringen Olivers Rückenschmerzen?

Psyche und Körper in der sozialen Welt

Doris’ Kopfschmerz als »Familienmitglied«

Fabian hat Schuldgefühle, Doris hat Angst

(Unausgesprochene) Regeln für das Zusammenleben

Typische einengende Familienregeln

»Vermeide Konflikte!« – sie bedrohen das System

»Die Fürsorge-Pflicht: Jeder ist für jeden da«

»Lassen wir’s beim Alten«: Veränderungen sind bedrohlich

Regeln zu Nähe und Distanz

Kranken- und Gesundenrolle

Die »Tücken« der Krankenrolle

Probleme, die aus der Krankenrolle erwachsen können

Und nun ein Blick auf die »Gesundenrolle«

3. Schritt: Neue Beobachtungen machen

Die Aufmerksamkeit auf etwas anderes richten

Achtsamkeitsmeditation

Angstabbau durch Aufmerksamkeitsverschiebung

4. Schritt: Neue Namen – neu bewerten

Dem Symptom eine neue Bedeutung geben

Name, Bedeutung und Bewertung hängen eng zusammen

»Neubewertung« war für Martin eine heilsame Strategie

5. Schritt: Neues Verhalten

Welche neuen Erfahrungen hat Martin gemacht?

Angstbewältigungstraining

Entscheiden und Handeln

Sowohl-als-auch statt Entweder-oder

Das Prinzip der kleinen Schritte

Veränderung ist nicht nur Sache eines Einzelnen

Welche Änderungsprozesse hat Bettina durchlaufen?

Wir fragen jetzt direkt, was der andere erwartet, statt herumzurätseln

Ich kam dahinter, warum mir die ›Gesundenrolle‹ so gut gefiel

Schlusswort

Danksagung

Bücher zum Weiterlesen

Autorenvorstellung

Sachverzeichnis

Impressum/Access Code

1 Grundlagen Wie sich Körper und Seele beeinflussen

Die Ärzte finden nichts und sagen: »Sie sind gesund!«, aber Ihr Körper schlägt beständig Alarm und zeigt beunruhigende Krankheitssymptome. Wie kann das sein? Was ist da los? Um diese Zusammenhänge geht es im ersten Buchteil.

Körperliches Leiden ohne organische Ursache

Dieses Buch handelt von körperlichen Beschwerden, von denen angenommen wird, die Ursache liege »im Psychischen«. Zu den Beteiligten um diese Beschwerden herum gehören zuerst die Menschen, die sie in ihrem Körper haben. Oft können sie – auch nach etlichen Untersuchungen – kaum glauben, dass ihrem Leid keine organische Krankheit zugrunde liegen soll. Sie sehen sich aber gezwungen (wenn auch widerwillig), das zu akzeptieren. Es gibt heute auch eine kleinere Gruppe von Patienten, die gleich von sich aus an eine »seelische Verursachung« denkt.

Körperliche Beschwerden ohne organische Krankheiten sind an sich kein Problem. Jeder kennt sie – sie kommen und gehen. Kommen sie immer wieder oder gehen gar nicht mehr, machen sich manche »Hartgesottene« einfach nichts daraus. Manche haben gelernt, ganz gut damit zu leben. Manche benutzen sie sogar als körperliche Signale – z. B. zur Beseitigung ungesunder Lebensumstände. Den anschwellenden Kopfschmerz sehen sie z. B. als Zeichen einer Überforderung und ergreifen Gegenmaßnahmen. Aus der Begegnung mit körperlichen Beschwerden ziehen sie hilfreiche Erkenntnisse und leiten heilsame Veränderungen in die Wege.

Die Akteure

Die Reaktion auf immer wiederkehrende körperliche Beschwerden ohne erkennbare organische Ursache kann aber auch ganz anders aussehen: Man leidet, fühlt sich krank und hilflos – und das am Ende andauernd. Obwohl die einen trotzdem selten oder nie einen Arzt aufsuchen, wird es bei anderen zur Regel: Ein erfolgloses Wandern von Arzt zu Arzt auf der Suche nach einer medizinischen Erklärung und Behandlung. Manche werden irgendwann auf dieser Wanderung auf einen Psychotherapeuten verwiesen. Mit dem Gegenstand unseres Buches – körperliches Leid ohne organische Erkrankung – beschäftigen sich also in der Regel eine ganze Reihe von Beteiligten – und jeder auf seine Weise. Diese Akteure stellen wir Ihnen nun nacheinander vor, zunächst die Betroffenen selbst.

Worunter leiden die vier Betroffenen?

Martin: Er leidet unter Herzrasen, Schwindel und Schmerzen in der Brust, vor allem in der Herzgegend. Seine ihm unerklärlichen »Attacken« machen ihm Angst, oft Todesangst.

Doris: Sie hat Kopfschmerzen. Früher waren es gelegentliche Migräneanfälle, die wieder vergingen. Jetzt hat sie die Schmerzen sehr häufig – ein Stechen und Pochen, das ihr manchmal das Leben verleidet.

Oliver: Er hat es im Kreuz. Manchmal sind die Schmerzen so heftig, dass er nicht mehr weiß wie er sitzen oder gehen soll. Er hat sich von vielem zurückgezogen – sein Gesicht spiegelt seine Verfassung wider.

Nora: Sie leidet unter Übelkeit, gelegentlich verbunden mit Magendruck und Durchfall. Diese Beschwerden treten vor allem auf, wenn Reisen oder Auswärtsübernachtungen anstehen.

Welche Organe sind beteiligt?

Martin und seine Leidensgenossen machen sich viele Sorgen um ihren Körper. Sie erleben ihn als gestört oder krank. Manchmal möchten sie ihre betroffenen Körperorgane am liebsten austauschen wie einen defekten Motor. Sie haben deshalb zu diesen Körperteilen eine ganz besondere Beziehung: Ihnen gilt ein Großteil ihrer Aufmerksamkeit, meist mit Ärger, Unmut oder Angst verbunden. Sie empfinden sie als »Störer« in einem sonst gut funktionierenden Organismus. Nun sind diese aber da und können nicht ausgetauscht werden – deshalb treten die Körperorgane in unserem Buch selbst als Beteiligte gesondert auf:

das Herz und sein Kreislauf,

der Kopf, seine Muskeln und seine Gefäße,

der Bewegungsapparat (insbesondere der Rücken),

Magen und Darm.

Die Angehörigen sind ebenfalls mit-betroffen

Manche Patienten leiden still und sprechen nicht viel über ihre Beschwerden, andere lassen ihre Umgebung wissen, was mit ihnen los ist. Den einen sieht man ihren Zustand auch ohne Worte an, die anderen können das gut verbergen. Auf die Dauer bekommt die Umwelt beider Gruppen etwas von diesen Leidenszuständen mit und wird dann auch selbst davon berührt: Wenn Unternehmungslust, Lebensfreude, Zuwendung oder Leistungsfähigkeit eines Betroffenen abnehmen, gehen auch den Angehörigen wichtige Bereiche oder Stützen verloren. Arbeitskollegen müssen geringere Leistungen oder Fehlzeiten ausgleichen. Je enger der Kontakt zum Betroffenen ist, umso stärker ist das Mit-Leiden oder manchmal auch die unterschwellig verärgerte oder frustrierte Reaktion darauf – unabhängig davon, ob der Kranke darüber spricht oder nicht. Psychologen sagen: »Man kann nicht nicht reagieren.« Arbeitskollegen, Familienangehörige, Kinder oder Partner können gar nicht anders, als in Gedanken, Gefühlen und auch im Verhalten auf den Betroffenen zu reagieren. Da sie also Mit-Betroffene sind, und dabei eine wichtige Rolle spielen, sollen sie in unserem Buch selbst zu Wort kommen: die Angehörigen.

Bettina (die Frau von Martin) steht dem Leid ihres Mannes zwiespältig gegenüber: Manchmal ist sie voller Mitleid, manchmal hilflos und manchmal zornig. Zwei Dinge haben der Kranke und die Angehörige gemeinsam: Ihre Ohnmacht dem Leid gegenüber und deshalb ihre große Hoffnung auf Hilfe durch Experten.

Die Experten – Mediziner und Psychotherapeuten

Die Experten gehören auch zu den Beteiligten wie die anderen. Am Anfang werden in der Regel Mediziner aufgesucht, später Psychotherapeuten.

Wir – die Autoren dieses Buches – gehören selbst dieser Gruppe an. Am Anfang suchen Betroffene meistens ihren Hausarzt auf, der sie später zu Fachärzten überweist. Ein Kennzeichen bei der Behandlung aller »psychosomatischer Patienten« ist, dass eine reine »Körpermedizin« gar nicht oder nur kurzfristig hilft. Gerade diese Erfolglosigkeit führt irgendwann zu der Idee, dass die Beschwerden »psychosomatischer Natur« seien. Dieser Idee folgt dann oft die Überweisung zu einem Psychotherapeuten.

Ein sinnvolles Buch über Psychosomatik muss sich nun mit jeder dieser Gruppe des »Psychosomatischen Systems« und vor allem mit den Besonderheiten ihres Zusammenspiels beschäftigen.

Martin und sein Herz

Wie sehr sich die beklagten Beschwerden psychosomatisch Kranker auch unterscheiden: ihre Leidenswege sind erstaunlich ähnlich. Sie gehen über mehrere Jahre und haben schon viele Experten auf den Plan gerufen. Als Beispiel wollen wir hier den Weg von Martin nachzeichnen. Dazu soll er selbst zu Wort kommen.

Martin: »Ich leide seit sechs Jahren unter immer wiederkehrenden Schmerzen in der Herzgegend. Dabei habe ich auch starkes Herzklopfen, Schwindel und einen Druck über der Brust. Manchmal glaube ich, nicht mehr genügend Luft zu bekommen. Mich überfällt dann schreckliche Angst, weil ich nicht weiß, was mit mir los ist. Ich habe dann Angst, dass das Schlimmste passiert: dass mein Herz aussetzt! Ein Kollege von mir ist vor einigen Jahren ganz plötzlich an einem Herzinfarkt gestorben und hat Frau und Kinder hinterlassen. Deren Schicksal habe ich dann vor Augen.

Die Beschwerden überfallen mich von ›jetzt auf gleich‹, das kann an jedem Ort und zu jeder Tageszeit geschehen. Manchmal habe ich nur leichte Druckgefühle oder leichteren Schwindel, was wieder vergeht, ohne dass ich mich groß darum kümmern muss. Manchmal halte ich das nicht mehr aus und gehe zum Arzt. Ich weiß aber auch danach nie, was wirklich mit mir los ist und was mir noch blüht.

Beginn meiner Krankheit und erste Untersuchungen

Das erste Mal hatte ich das an einem Wochenende nach einer ziemlich anstrengenden Woche. Ich hatte plötzlich ein Herzrasen, wie ich es bis dahin nicht kannte, bekam deshalb Angst und rief schließlich den Notarzt an. Dieser untersuchte meinen Körper, das heißt Herz, Atmung und Blutdruck. Er konnte aber nichts feststellen. Er war sich seiner Sache aber wohl nicht ganz sicher, denn er schickte mich ins Krankenhaus zu einer gründlicheren Untersuchung. Dort wurden dann meine Herzströme mittels eines EKGs aufgezeichnet und Blut abgenommen. Die Ärzte berieten sich und teilten mir mit, dass sie ›keinen krankhaften Befund‹ feststellen könnten und damit entließen sie mich wieder. Sie erwähnten noch beiläufig, dass die Beschwerden vielleicht mit Aufregung zusammenhängen könnten.

Ich war zunächst erleichtert, meine Beschwerden hatten inzwischen ja auch wieder nachgelassen. Ich war aber doch verunsichert, weil mir keiner wirklich sagen konnte, was da in mir los gewesen war. Die Bemerkung, dass dies von ›Aufregungen‹ käme, verstand ich nicht, da ich sie ja gerade am Wochenende hatte. So ging ich am nächsten Tag zu meinem Hausarzt, um die ganze Angelegenheit nochmals mit ihm durchzusprechen. Dieser machte nochmals ein EKG und er bestätigte das Gleiche, was die Klinikärzte gesagt hatten: ›Alles in Ordnung‹. Er erklärte mir, dass die Beschwerden wohl eher von Verspannungen der Muskulatur herrühren dürften, was unter Stress schon mal vorkomme. Er riet mir, mich bei der Arbeit nicht so zu verausgaben.

Der zweite Anfall und seine Folgen

Etwa ein halbes Jahr später, ich hatte das Ganze schon fast vergessen, bemerkte ich eines Morgens wieder ein unangenehmes Druckgefühl über der Brust, und mir war schwindelig. Ich bemühte mich zuerst, darüber hinwegzusehen, es nicht zu ernst zu nehmen, stand auf, frühstückte und ging zur Arbeit. Als die Beschwerden aber anhielten, ging ich doch sicherheitshalber zu meinen Hausarzt. Dieser untersuchte mich wieder, fand aber nichts.

Was ist da los in meinem Körper? Diese Frage ging mir nicht mehr aus dem Kopf! Ich dachte wieder an den verstorbenen Kollegen und bekam Angst! Erst im Laufe der nächsten Tage ging es dann wieder besser. Eines Abends schüttete ich Bettina mein Herz aus. Sie hörte mir zu, ihre Besonnenheit beruhigte mich. Wir gingen dann früh zu Bett und ich spürte, wie wichtig Bettina für mich ist.

Nur wenige Tage später hatte ich ihn wieder ›diesen Anfall‹ – so nenne ich mittlerweile dieses Herzrasen und diesen Schwindel. Ich dachte an die beruhigenden Worte des Hausarztes und an Bettina – aber das half jetzt nichts mehr. Ich bekam dann sogar Schmerzen in der Herzgegend. Nun wurde ich wirklich panisch. Mit Angst und auch etwas Scham, dass ich schon wieder komme, ging ich erneut zum Hausarzt. Diesmal überwies er mich – wohl halb genervt von mir und halb selbst verunsichert – weiter zu einem Internisten (Facharzt für Innere Krankheiten). Er meinte, weitere Untersuchungen dort sollten eine Herzkrankheit sicher ausschließen. Dort wurden die mir nun schon bekannten Untersuchungen nochmals wiederholt und zusätzlich ein EKG unter Belastung abgeleitet (ich musste dabei kräftig Fahrrad fahren). Herz und Lunge wurden geröntgt und eine sogenannte Herzschalluntersuchung durchgeführt, mit der – wie ich später im Internet nachgelesen habe – meine Herzgröße und die Funktionsfähigkeit meines Herzens bildlich dargestellt und geprüft wurden. Nach all diesen Untersuchungen, hatte ich ein langes Gespräch mit dem Doktor. Er erklärte mir wieder mal, dass im Wesentlichen alle Befunde normal, lediglich Puls und Blutdruck ›grenzwertig erhöht‹ seien.

Auch könne er durch die Ultraschalluntersuchung des Herzens nicht sicher ausschließen, dass ich eine geringfügige Klappenveränderung (dabei nannte er ein mir unverständliches Fremdwort) hätte. Er würde mir deshalb eine medikamentöse Behandlung mit einem sogenannten Betablocker verschreiben, der mein Herz vor übermäßiger Erregung schützen und meinen Blutdruck senken solle. Nach diesem Gespräch fühlte ich mich wieder sicherer: Nun war ich ja wirklich gründlichst von einem Facharzt untersucht: Und der Facharzt hatte mich ernst genommen! Er hatte beruhigende Worte für mich und ich so die Hoffnung, meine Beschwerden nun mit Medikamenten in den Griff zu bekommen. Ich nahm mir vor, mich doch mehr zu schonen – immerhin hatte der Arzt dieses komische Fremdwort genannt.

Von Arzt zu Arzt

Und tatsächlich blieb ich unter der regelmäßigen Einnahme dieses Medikaments einige Monate komplett beschwerdefrei. War jetzt alles vorbei? Nein: Eines Abends ging es wieder los: Herzrasen, Schwindel, Brustschmerz. Und vor allem: Angst! Ich war entsetzt! Auch mein Hausarzt, der mir die Betablocker ja weiter verschrieben hatte, war ratlos. Wie befürchtet, blieb es auch nicht bei diesem einen ›Rückfall‹. Wegen des Schwindels dachte der Hausarzt, vielleicht sei das Gleichgewichtsorgan betroffen und überwies mich zum Hals-Nasen-Ohren-Arzt. Aber auch dieser fand keine Erklärung und meinte, man solle das Ganze nicht überbewerten. Schwindelzustände seien weit verbreitet. Schließlich besuchte ich auf seinen Rat auch noch einen Orthopäden, der röntgenologisch leichte Verschleißerscheinungen an der Wirbelsäule feststellte und mir Massage, Wärme und Krankengymnastik verordnete. Ich machte – obwohl mich die Vielfalt der Erklärungen und vorgeschlagenen Maßnahmen nun doch einigermaßen verwirrte – auch dies bereitwillig mit, verspürte mal wieder eine vorübergehende und dann doch wieder wegbleibende Besserung. Inzwischen quälten und verunsicherten mich meine Beschwerden doch so sehr, dass dieses Thema ständig in meinen Gedanken herumspukte. Ich verlor meine Lust am Sport und zog mich vom Sportverein und später auch von meinem Stammtisch zurück. Vor unseren Wochenendausflügen mit Bettina und den Kindern hatte ich mittlerweile regelrechte Angst und Widerwillen: Ich befürchtete, mitten im Ausflug von meinen Beschwerden – fernab jeglicher ärztlicher Hilfe – überrascht zu werden. Schließlich gab ich solche Ausflüge, nicht ohne schlechtes Gewissen, ganz auf.

Mein Hausarzt bemerkte meine zunehmende Niedergeschlagenheit und verschrieb mir zur ›Entlastung‹, wie er sagte, ein Beruhigungsmittel. Das brachte eine Art Dämpfung meiner Ängste und Sorgen, aber ich war ebenso wie mein Hausarzt dagegen, diese Mittel längerfristig einzusetzen. Uns beiden war die Gefahr einer Gewöhnung klar. Und die Ursache all dessen war damit ja weder gefunden noch beseitigt.

Und nun lande ich auch noch beim Psychiater!

Zuletzt kam, was kommen musste: Man überwies mich auch noch zum Psychiater! Der unterhielt sich ebenfalls lange mit mir. Auch er meinte dann, ich solle mir nicht so viele Sorgen machen, mich nicht zurückziehen, mein Leben durch Sport und Freizeit aktiver gestalten! Um mir das zu erleichtern, verschrieb er mir ein ›Antidepressivum‹, das meine Stimmung aufhellen und meinen Antrieb steigern sollte. Da ich mich bei ihm wohl und verstanden fühlte, hoffte ich auf die Wirkung dieses von ihm verschriebenen Mittels. Darin wurde ich aber wieder enttäuscht. Alle Versuche, mich zu Sport und sonst was aufzuraffen, machte die Wiederkehr von Herzrasen, Schwindel, Schmerzen und Angst zunichte. Der Psychiater hatte mir auch noch ein Entspannungstraining empfohlen, das ich zuerst bei ihm in einer Gruppe lernte und dann zu Hause weiter anwenden sollte. Aber offen gesagt – damit kam ich nicht zurecht und das brachte mir gar nichts.

Ganz ehrlich: Auch wenn alle Ärzte sagen, ich hätte keine ›wirkliche Krankheit‹, glaube ich, dass sie etwas übersehen haben müssen! Zuletzt sagten Psychiater und Hausarzt – ich vermute, sie waren am Ende ihrer Künste – ich sollte mich einer psychotherapeutischen Behandlung unterziehen.«

Der Hausarzt: der erste Experte

Diese Geschichte von Martin zeigt neben vielem anderen, wie wichtig Hausärzte für viele psychosomatische Patienten sind. Diese sollen hier deshalb selbst zu Wort kommen. Hier stellvertretend für sie der Hausarzt von Martin.

Hausarzt: »Die von Martin beschriebenen Beschwerden können vielfältige Ursachen haben. Deshalb ist es immer wichtig, die Möglichkeit einer organischen Erkrankung zu bedenken. Eine Herzkranzgefäßverengung oder ein Herzinfarkt können von einem psychosomatischen Beschwerdebild nur unterschieden werden, wenn gründliche organische Untersuchungen durchgeführt werden. Meistens reichen dafür das Abhören des Herzens, die Blutdruckmessung, die Ableitung eines EKGs, eventuell auch unter Belastung, und eine Blutuntersuchung. Übrigens: Das von Martin erwähnte Fremdwort heißt ›Mitralklappenprolaps‹ und benennt eine leichte Wölbung der Verschlussklappen zwischen Vorhof und Hauptkammer des Herzens. Das ist meist eine harmlose Angelegenheit, auch wenn das Wort beeindrucken kann.

Notwendige Untersuchungen oder ›Diagnose-Karussell‹?

Um meiner Sache ganz sicher zu sein, wiederhole ich einige dieser Untersuchungen bei solchen Patienten regelmäßig. Manchmal muss ich Spezialisten aus anderen Fachgebieten hinzuziehen. Von diesen Kollegen werden dann oft kleinere Befunde erhoben, die jeweils zu ganz speziellen Behandlungsversuchen führen: Manchmal mit guter Wirkung, viel öfter aber ohne anhaltende Erfolge. Fachärzte sehen den Patienten ja immer nur kurz und untersuchen nur ihr spezifisches Fachgebiet. Meine Aufgabe ist es dann, alle Befunde zusammenzutragen, sie mit dem Patienten zu erörtern und entsprechende Konsequenzen zu ziehen. Das könnte auch mal das Ende des ›Diagnose-Karussells‹ sein. Das ist für uns aber immer eine riskante Entscheidung. Es ist überhaupt schwierig, hier eine gute Gesamtentscheidung zu treffen, vor allem weil jeder Fachkollege sein Gebiet natürlich etwas überbetont. Manchmal ergeben sich sogar widersprüchliche Aussagen für den Patienten: Zum Beispiel bei der Frage, ob er sich nun körperlich schonen oder belasten, ob er aktiver oder passiver werden soll. Uns Ärzten wird oft im Nachhinein vorgeworfen, wir hätten viel zu viel Diagnostik betrieben. Es gibt aber Gründe, die das verständlich machen und nicht wenige kommen von unseren Patienten selbst. Die meisten wollen ja eine organmedizinische Erklärung und Behandlung, manche verlangen sogar vehement danach. Geben wir ihren Ersuchen nicht nach und verordnen keine weiteren Maßnahmen, sind sie enttäuscht, erklären uns für inkompetent und wenden sich dann anderen Ärzten zu. Oft beginnt dort dann der ganze Kreislauf wieder von vorne.

Ich will auf keinen Fall eine ernstliche Krankheit übersehen!

Andere Gründe dafür, dass manchmal zu viel an (oft kostspieliger) Diagnostik betrieben wird, liegt an uns Medizinern selbst: Wir lernen in der Ausbildung viel eher, organische Krankheiten zu suchen und zu finden als den Körpern unserer Patienten zu trauen. Eine Art krankheitsorientiertem Misstrauen dem Körper gegenüber ist Teil unseres beruflichen Selbstverständnisses. Wir machen das Medizinstudium ja nicht, um dadurch dem Körper zu vertrauen, dass dieser seine Beschwerden mit der Zeit von alleine beseitigt. Im Gegenteil: Wir sollen doch herausfinden, wo und warum er das nicht kann. Und im Zweifelsfalle ist es ja auch weniger riskant, einen Gesunden krank als einen Kranken gesund zu schreiben! In diesem Zusammenhang befürchte ich mit vielen meiner Kollegen, dass uns Unwissenheit oder Fahrlässigkeit vorgeworfen oder im Extremfall sogar der Prozess gemacht wird, wenn wir eine ernste Krankheit übersehen haben.«

Was nun?

Patienten wie Martin am Ende einer solchen »Karriere« zu helfen, ist nicht leicht. Zum einen ist es notwendig, das diagnostische Karussell zu stoppen, auch wenn das einige der Betroffenen ängstigt und verunsichert. Das heißt aber nicht, sie damit alleine zu lassen. Im Gegenteil:

Sie brauchen nun eine andere Art von Hilfe: Eine, die ihre körperlichen Beschwerden ernst nimmt und ihnen hilft, diese auch ohne »organischen Befund« zu verstehen und zu bewältigen. Dazu gehört erst einmal, die bisherigen Befunde und Diagnosen so zu erklären, dass man sie auch verstehen kann. Und dann brauchen Betroffene eine ganz andere Art von »Diagnose« und »Therapie« – eben eine psycho-somatische. Was das ist, wird in den nächsten Kapiteln vorgestellt.

Info

Martins »Karriere« ist kein Einzelfall

Wissenschaftlichen Untersuchungen zufolge gelangen solche Patienten erst nach durchschnittlich fünf bis sieben Jahren Erkrankungsdauer zur Diagnose »psychosomatisch« und zu einer Psychotherapie. In dieser Zeit haben sie 70 bis 80 Arztkontakte, oft mit mehreren Krankenhauseinweisungen hinter sich. Es ist auch bekannt, dass wegen psychosomatischer Beschwerden die meisten Beruhigungsmittel verschrieben werden. Es gibt Hinweise, dass fast die Hälfte aller Beschwerden, wegen derer Patienten einen Allgemeinarzt aufsuchen, als »psychosomatische Reaktionen« eingeschätzt werden müssen.

Typisch für Betroffene ist folgende Kette: Beschwerde – Arztbesuch – Erleichterung – Beschwerde – Arztbesuch – Erleichterung usw. Dieser Ablauf hat notgedrungen eine ängstliche Selbstbeobachtung zur Folge und diese mit ihrer Fixierung auf das Negative fördert am Ende selbst die Entwicklung von Symptomen. Diese führen zu erneuten Arztbesuchen: Ein Teufelskreis, den irgendwann irgendjemand unterbrechen muss. Und das tut oft die neue Diagnose »psychosomatisch«.

ÜBUNG

Wie sieht Ihre Situation aus?

Bevor wir uns mit dem Phänomen »Psychosomatik« beschäftigen, laden wir Sie ein, Ihre eigene Situation zu betrachten. Die folgenden Fragen können Ihnen dabei als Anregung dienen. Haben Sie sich in einigen Passagen aus Martins Schilderungen wiedergefunden? Welche seiner Gedanken und Gefühle kennen Sie von sich selbst? Über welche Art von Behandlung waren Sie enttäuscht? Haben Sie deshalb Hilfe bei Experten außerhalb der Schulmedizin gesucht? Welche Erfahrungen haben Sie mit diesen gemacht? Waren Sie auch bei einem Psychotherapeuten? Waren Sie von diesem enttäuscht? Wie viele Ärzte haben Sie schon aufgesucht? Hat sich das, was Ihnen empfohlen wurde, manchmal widersprochen? Hatten Sie wegen Ihrer Krankheit Schuldgefühle? Haben Sie sich für etwas geschämt? Waren Sie zornig, weil keiner Sie versteht? Hat jemand Ihnen wegen Ihres Leidens psychische Probleme unterstellt? Hat sich im Verlauf dieser Zeit die Beziehung zu Ihrem Partner, Ihren Kindern oder Ihren Arbeitskollegen verändert?

Was ist Psychosomatik?