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Ein durchtriebener Spaßvogel, zu eulenspiegelhaften Scherzen aufgelegt, der sich gern als französische Kurtisane verkleidete – Richard Wagner war überraschend anders als die verbreitete Vorstellung von ihm, die nur den bierernsten und egomanischen Künstler kennt. Der ausgewiesene Wagner-Experte Joachim Köhler führt uns die bis heute unbekannte Seite des Bayreuther Genies vor: den komödiantischen Tragiker, der gern lachte, nicht nur über andere, sondern mit Vorliebe auch über sich selbst und seine eigenen Werke – eine äußerst erhellende und höchst vergnügliche Lektüre!
Der »schnupfende Gnom aus Sachsen mit Bombentalent«, wie Thomas Mann den Bayreuther Meister nannte, stand mit seiner Kunst überwiegend einer verständnislosen und ablehnenden Mitwelt gegenüber. Um sich seine Kritiker – und oft genug die eigenen Verehrer, die Wagnerianer – vom Leib zu halten, wappnete Richard Wagner sich mit allen erdenklichen Arten von Humor. Er war (selbst-)ironisch, sarkastisch, ja zynisch bis hin zu Schadenfreude und bitterem Hohn, aber er konnte auch naiv und lustig wie ein Kind sein: Brillant imitierte er – zum Ärger seiner auf Würde bedachten Frau Cosima – seine Zeitgenossen, mimte die eigenen Theaterfiguren bis zur grotesken Übertreibung, vollführte noch im Alter akrobatische Kopfstände und kletterte mit atemberaubender Geschwindigkeit auf Bäume. Joachim Köhler zeigt, wie viel versteckt Humoristisches auch in seinen Bühnenwerken zu finden ist, und eröffnet fundiert und unterhaltsam eine völlig neue und sehr private Perspektive auf Wagners Leben, das – wie Nietzsche schon wusste – »sehr viel von der Komödie an sich hat«.
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Seitenzahl: 285
JOACHIM KÖHLER
DER LACHENDE
WAGNER
DAS UNBEKANNTE LEBEN
DES BAYREUTHER MEISTERS
Redaktion: Matthias Michel
Copyright © 2012 by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Umschlaggestaltung: Hauptmann & Kompanie Werbeagentur, Zürich
Satz: EDV-Fotosatz Huber/Verlagsservice G. Pfeifer, Germering
ISBN 978-3-641-09103-3
www.heyne.de
Meinen Eltern
PROLOG
Dieses Buch wagt sich auf unbetretenes Terrain. Wagners Humor gilt als heikel, die Forschung meidet ihn wie ein Minenfeld. Schon aus Prinzip findet man den Bayreuther Meister nicht lustig, und noch weniger jene, die ihn lustig finden. Ein lachender Wagner kommt im Kanon seiner Verehrer nicht vor, und ebenso wenig in den Anklageschriften seiner Verächter.
Nur ungern sieht man ihn heiter, auch aus Furcht, Humor könnte das moralische Urteil relativieren, das in seinem Fall streng genug ausfällt. Wagners Antisemitismus, wer wollte das bezweifeln, kann durch nichts aus der Welt geschafft werden und schon gar nicht durch sein Lachen. Das soll er auch nicht. Andererseits vermögen es selbst Wagners unverzeihliche Schwächen nicht, sein Lachen aus der Welt zu schaffen.
Wer Wagner ernst nehmen will, ob im Guten oder im Bösen, muss auch seinen Humor ernst nehmen, sein Lachen ertragen. Dabei kann es geschehen, dass man unwillkürlich mitlacht. Das Bild, das man sich von ihm zurechtgelegt hat – unversehens entgleitet es einem. Man traut seinen Augen und Ohren nicht mehr: Ist er das wirklich?
Der Wagner, der hier auf die Komödienbühne tritt, hat die bis zum Überdruss vertraute Klassikermaske abgenommen. Seine Miene hellt sich auf, sein Gesicht verzieht sich zum spöttischen Lächeln. Es lohnt sich zuzuhören, wenn dieser große Ironiker, der festgelegten Rolle ledig, frei zu sprechen beginnt und weder das Publikum noch sich selbst mit seinem Witz verschont. Ein großer Unbekannter, halb Kyniker und halb Zyniker, soll hier vorgestellt werden oder vielmehr: Lachend stellt er sich selbst vor.
Das Buch will nicht richten, sondern berichten. Man könnte es als Versuch einer »fröhlichen Wissenschaft« bezeichnen, wie Friedrich Nietzsche sie entworfen hat. Mit ihr wollte Wagners berühmtester Schüler ein Gegenmodell zur Bayreuther Ideologie schaffen, deren Bierernst er lächerlich fand. Dabei bot der Tonkünstler und Festspielhausherr selbst das Gegenmodell zum Bayreuther Bierernst. Wagner selbst war der Anti-Wagner, der Nietzsche gern gewesen wäre. Das Lachen, das der Philosoph dem Bayreuther Kult entgegensetzen wollte, hätte er bei seinem geliebt-gehassten Meister lernen können.
Aus der Perspektive einer solchen »fröhlichen Wissenschaft« entpuppt sich Wagner, vermeintlich ein unausstehlicher Egomane, als unwiderstehlicher Dauerkommunikator, der selbst in seinen Schwächen noch kreativ, selbst im Groll noch selbstironisch bleibt. »Inmitten der Bitterkeit«, so sein Eigenkommentar, »funkelt der Witz!«1
An der Selbstironie, die mit ihrem Gegenüber ebenso spielt wie mit sich selbst, hat er immer Gefallen gefunden. Nie konnte sich seine Frau Cosima, Bayreuths Gralshüterin, an sein »schnelles Übergehen vom Ernst zum Humor«2 gewöhnen, das auch seine Jünger ratlos ließ: War das, was der Meister höchstselbst äußerte, nun ernst gemeint, oder amüsierte er sich auf anderer Kosten? Geriet er in Ekstase oder spielte er nur Komödie? Warum kroch er, nachdem er Isoldes Liebestod gespielt hatte, unter den Bechstein und heulte wie ein Hund?
Obwohl Cosima sich für die größte Wagner-Kennerin hielt, fand sie keine Antwort auf seine blitzartigen Peripetien, mit denen er die Kultstätte Bayreuth gelegentlich in eine derbe Komödienbühne verwandelte. Dieser »ihm so eigene unvermittelte Übergang von Ernst zum Humor« zeichnete sich unmittelbar auf seinem Gesicht ab: »Wie ein Blitz blickt der Humor hervor, da, wo schwülen Wolken gleich die Schwermut auf dem Auge lastete.«3
An seiner Neigung, alle Welt und auch sich selbst zum Besten zu haben, scheiterten die Verständnisversuche seiner devoten Jünger ebenso wie die Erziehungsversuche seiner Frau. Wagner ließ sich nie auf die steife Erhabenheit Cosimas und deren endlose Reproduktion durch die Wagnerianer festnageln, bei der einem auf Dauer das Lachen vergeht. Stattdessen nahm er sich die Freiheit, das hehre Bild zu verspotten, das man sich von ihm zurechtgelegt hatte. Wagner bot die perfekte Verkörperung der »fröhlichen Wissenschaft«, bevor Nietzsche sie gegen ihn erfunden hat.
Diese schillernde Figur mit den wechselnden Masken wollte sich von niemandem erziehen lassen. Dem prätentiösen Ernst seiner Umwelt rückte er mit den Waffen des Spaßmachers zu Leibe, wie Nietzsche übrigens selbst erfahren konnte: Schon nach ihrer ersten Begegnung charakterisierte er Wagner als »fabelhaft lebhaften und feurigen Mann, der sehr schnell spricht, sehr witzig ist und eine Gesellschaft der privatesten Art ganz heiter macht«.4 Oft glaubten seine Gäste einem Naturschauspiel beizuwohnen, bei dem sich die Trennlinien zwischen Fantasie und Wirklichkeit verwischten – wo Wagner war, war Theater.
»Sein ganzer Körper«, so berichtete der Schriftsteller Louis de Fourcaud, »war durch die Nerven beherrscht und barg in sich eine Elektrizität, die sich seinem Hörer mitteilte. Ich sehe ihn noch auf seinem Stuhle unruhig werden, sich erheben, beim Sprechen auf und abgehen; ich höre ihn noch sich ergießen, sich zurückhalten, ungeduldig werden, in Lachen ausbrechen, ernste Gedanken mit scherzhaften Wendungen unterbrechen, von einer frappanten Anekdote zu großen Gedanken überspringen. Er verbreitete sich nicht in anhaltenden Entwicklungen über einen und denselben Gegenstand …, sondern ergötzte sich in tausend Einfällen.«5
Die Frage, ob dieser tragische, mit so viel historisch-moralischem Ballast überladene Künstler tatsächlich komisch gewesen ist und nicht, wie die Bayreuther Tradition es wollte, mit verbissenem Klassikerernst durchs Leben stolzierte, lässt sich eindeutig beantworten. Er war es und, wie gezeigt werden wird, in allen Tonarten. Selbst in seinen Bühnenwerken wird ausgiebig gelacht. Mal leiser, mal lauter, mal spöttisch, mal schadenfroh. Mal »lacht« die Liebeswonne, mal »gellt« das Hohngelächter. Und zur »leuchtenden Liebe« gesellt sich, nach paradoxer Logik, »der lachende Tod«.
Viele finden ihn selbst zum Lachen. Über keinen Künstler wurde ausgiebiger gespottet, keiner hat sich als Witzfigur breiterer Bekanntheit erfreut: Der Mann von kleinem Wuchs und mit großem Kopf, von Thomas Mann als »schnupfender Gnom aus Sachsen« karikiert, wurde zum Inbegriff pompöser Selbstdarstellung und lächerlicher Selbstüberschätzung. Dass er selbst ein begnadeter Spaßvogel war, sollte unbemerkt bleiben. Dass er dem »lachenden Tod« seines Heldenpaars Siegfried und Brünnhilde das eulenspiegelhafte Gegenbild vom »weinenden Leben«6 zur Seite gestellt hat, wurde nicht registriert.
Ebenfalls kaum aufgefallen ist die enge Beziehung zwischen dem meistverspotteten Genie der Deutschen und deren spottlustigstem: Wagner, bevorzugte Zielscheibe aller Satiriker, lernte in Paris den Großmeister aller Satiriker, Heinrich Heine, kennen und schätzen. Bei dem jüdischen Dichter fand der Antisemit nicht nur die mythologischen Vorlagen für viele seiner Bühnenwerke, sondern lernte auch mit gespitzter Feder zu schreiben und zu begreifen, dass sich mit ihr über alles, selbst die ernsteste Sache, scherzen lässt.
Wie dem spöttischen Dichter war auch seinem Bewunderer »nichts heilig«, nicht einmal er selbst: So reizte ihn Heines berühmtes Gedicht mit dem ironisch-pathetischen Vierzeiler
Im wunderschönen Monat Mai,
Als alle Knospen sprangen,
Da ist in meinem Herzen
Die Liebe aufgegangen
zu einer Parodie, in der Wagner neben seinen Widersachern auch sich selbst auf die Schippe genommen hat:
Im wunderschönen Monat Mai
Kroch Richard Wagner aus dem Ei;
Es wünschten Viele, die ihn lieben,
er wäre lieber drin geblieben.7
Wagner wäre nicht Wagner, wenn er in seine Selbstgratulation – er wurde am 22. Mai 1813 geboren – nicht auch eine Anspielung versteckt hätte. Mit dem »Ei«, aus dem er bei der Geburt gekrochen ist, dürfte er auf die angebliche Vaterschaft seines Stiefvaters Geyer angespielt haben, dessen Namen er noch als Kind trug. »Sein Vater war ein Schauspieler namens Geyer«, behauptete auch Nietzsche, womit der Philosoph nahelegte, dass sein einstiges Idol von dem Mann mit dem Vogelnamen im Ehebruch gezeugt worden sei.
Schlimmer noch, so meinte Nietzsche: »Ein Geyer ist beinahe schon ein Adler …«8, was besagen wollte, dass der antijüdisch eingestellte Musiker selbst jüdische Vorfahren habe. Obwohl es sich dabei, wie bei der Vaterschaft Geyers, um eine Ente handelte, führte die genealogische Unterstellung dem Streit um Wagner unerschöpfliche Nahrung zu. Und gestritten wurde immer über ihn. Dem Fanatismus seiner Widersacher – jener »Vielen, die ihn lieben« – stand von Anfang an der seiner Anhänger gegenüber, die ihm und seiner Musik kultische Verehrung entgegenbrachten.
Auch darüber hat sich der Angebetete in einem weiteren Geburtstagsgedicht auf sich selbst lustig gemacht:
Ja, ja, es war im Mai,
Da war ich auch dabei.
Man zog mich bei den Ohren,
Drum bin ich musikalisch geboren.9
Im Gegensatz zu seinen omnipräsenten Dramen und zu Recht vergessenen Traktaten blieb Wagners komödiantische Seite so gut wie unbekannt. Entsprechend humorlos geht es noch heute zu, wenn über ihn geschrieben, gesprochen und gestritten wird. Der bittere Ernst, der jede Beschäftigung mit Wagner prägt, scheint sich auch auf seinen Bildnissen widerzuspiegeln. Ob man ihn nun mit Lorbeeren schmückt oder mit faulen Eiern bewirft – allen hält er dieselbe Maske entgegen, die so undurchdringlich scheint wie der Marmor, aus dem sie gemeißelt wurde. Lachen sieht man ihn nie.
Man hat auch nie versucht, sich ihn lachend vorzustellen: die Verehrer nicht, weil es ihnen das Bild ihres »Meisters« verdorben hätte; die Kritiker nicht, weil er damit, Gott behüte, menschlich erschienen wäre. Man wollte ihn gerade so ernst, wie man sich einen Lieblingsklassiker und einen Lieblingsfeind vorstellt. Und so übernahmen beide Seiten das strenge Marmorbild, das der Bayreuther Heiligenkult für den »einzig wahren Wagner« ausgab.
Doch gab es den überhaupt? Wer den Komponisten persönlich kannte, zeigte sich um eine klare Antwort verlegen. Wann immer man den »wahren« Wagner zu sehen glaubte, traten einem über kurz oder lang eine Vielzahl gegensätzlicher Persönlichkeiten gegenüber, die alle den Anspruch erhoben, der einzig wahre Wagner zu sein.
Wenn man ihn betrachtete, so verriet sein Schwager Emile Ollivier, »vermengten sich in Wagners Gesicht der Prophet mit dem Possenreißer«10, mithin also Gegensätze, wie sie krasser kaum vorstellbar sind. Der Regisseur Eduard Devrient wiederum beschrieb Wagners »spitzes Advokatengesicht«, dem das unvermeidliche Samtbarett, da »ungeschickt aufgesetzt, drollig stand«.11 Dagegen fühlte sich Wagners französischer Verehrer Edouard Schuré an gleich zwei klassische Vorbilder erinnert: Von vorn betrachtet gleiche Wagner dem Faust, während er im Profil wie Mephistopheles aussehe.12
In Wagners Hausblatt Bayreuther Blätter wurde einmal, nicht ohne leises Grauen, seine »wahrhaft dämonische Gabe« beschrieben, »sich in alle möglichen Gestalten zu verwandeln«, wobei er »wie mit einem Zauberschlage jeden beliebigen Charakter annehmen« konnte.13 Diese »dämonische« Wandlungsfähigkeit fiel auch seinem Bewunderer Edouard Schuré auf, zu dessen Amüsement Wagner einmal seine Theaterhelden imitierte – »die schwarze Melancholie des Holländers, die zügellose Begierde Tannhäusers, den unzugänglichen Stolz Lohengrins, die eisige Ironie Hagens und den Zorn Alberichs« sowie die »beiden Pole seiner Natur, Wotan und Siegfried« –, und zwar allein durch blitzschnellen Wechsel seines Gesichtsausdrucks.14
Wagners darstellerisches Talent, dem er bewusst etwas Komödiantisches, selbst Jahrmarkthaftes beimischte, sprang nach Laune zwischen Theater und Wirklichkeit hin und her, um seine eigene Vielseitigkeit und zugleich deren Austauschbarkeit zu demonstrieren: Als wären es wirkliche Menschen, durchlitt er die Qualen des sterbenden Tristan und des mitleidenden Kurwenal – »wie wenn er jeder wäre«, notierte Cosima gerührt15 –, und im nächsten Augenblick entlarvte er die lächerlichen Posen des gesellschaftlichen Rollenspiels, das seine vermeintlich echten Mitmenschen zu Marionetten degradierte.
Als er einmal unter Wahnfrieds Gästen hochrangige Offiziere entdeckte, verkleidete er sich mit dem Helm eines Oberstleutnants und dem Säbel eines Generals, um vor versammelter Gesellschaft die Waffe blankzuziehen, und zwar »mit so scherzhafter Miene, dass alles hell auflachte«. Ob sich die Heiterkeit auch auf die Offiziere übertrug, die der Gastgeber auf die Schippe genommen hatte, ist nicht überliefert.16
An seiner multiplen Persönlichkeit, die Wagner selbst einmal als »Gemisch von Hamlet und Don Quixote«17 bezeichnete, verzweifelten auch die Künstler, die ihn im Porträt festhalten wollten. Frustriert begnügten sie sich mit der Wiederholung des maskenhaften Gesichts, das zu seinem Markenzeichen wurde.
Als der Ehemann von Wagners einstiger Geliebten Mathilde Wesendonck ein Ölporträt des Komponisten in Auftrag gab, um seine Frau nach einer glücklichen Entbindung damit zu beschenken, durfte Kunstmaler Cäsar Willich mit dem Genius einschlägige Erfahrungen sammeln. Kaum hatte der erfahrene Porträtist in Wagners luxuriösem »Bibernest« in Biebrich am Rhein seine Staffelei aufgestellt und dessen venezianischen Samtschlafrock bewundert, als er bereits an die Grenzen seiner Kunst stieß. Denn das Gesicht, das er festhalten sollte, gab es nicht, und jede Skizze musste verändert werden, weil der Porträtierte, dessen humoristische Ader Willich nicht kannte, zwischenzeitlich ein anderes Aussehen angenommen hatte.
»Ein Bild nach dem anderen wurde entworfen und gleich wieder verworfen«, erinnerte sich ein Augenzeuge, »weil das Original von einer Sitzung zur anderen einen gänzlich veränderten Gesichtsausdruck mitbrachte. Der unglückliche Maler war in Verzweiflung und gestand mir einmal: ›Ein solcher Fall ist mir in meiner ganzen Praxis noch nicht vorgekommen: Herr Wagner macht ja jeden Tag ein anderes Gesicht.‹«18 Wie die schöne Mathilde, die Wagner als Opern-Isolde verewigt hat, auf das Konterfei reagierte, ist unbekannt. Der Dargestellte selbst nannte es ein »schreckliches Bild«.19
Kaum besser erging es dem Bildhauer Gustav Adolph Kietz, der für Wagners Alterssitz Haus Wahnfried die Meisterbüste modellieren durfte. Auch Kietz sah sich, wie ein Besucher notierte, mit den »sehr beweglichen Gesichtszügen« des Originals konfrontiert, in denen sich »jeder Ausdruck der seelischen Empfindung mit Blitzesschnelle widerspiegelte«.20
Als der Künstler einmal die Augen vom Tonmodell aufhob, erblickte er »zu seinem Entsetzen eine fürchterliche Grimasse mit verdrehten Augen, den Mund mit beiden Fingern weit aufgerissen«.21 Selbst wenn Wagner auf die herausgestreckte Zunge verzichtet haben sollte, dürfte sein Bewunderer Kietz begriffen haben, was gemeint war: dass in der edel gekleideten Hülle des Weltgenies ein Spaßmacher steckte, der vor keiner Hanswurstiade zurückschreckte. Oder hatte er drastisch demonstrieren wollen, dass er nicht mit seiner Totenmaske verwechselt werden wollte?
Der Mann, der seiner Mit- und Nachwelt gern Gesichter schnitt, hat sich auch eine eigene Grabschrift verfasst, die den Erwartungen seiner Verehrer kaum entsprochen haben dürfte – den Weg auf seinen Grabstein hat sie auch nie gefunden:
Hier liegt Wagner, der nichts geworden,
nicht einmal Ritter vom lumpigsten Orden;
nicht einen Hund hinterm Ofen entlockt er,
Universitäten nicht mal ’nen Dokter.22
Hier bricht der Reimschmied ab, sein Eigenepitaph nach Meistersinger-Art ist Fragment geblieben. Es war auch nicht allzu ernst gemeint, denn um äußerliche Ehren hat er sich nie bemüht: Lorbeerkränze verulkte er, einen exotischen Orden, der ihm verliehen wurde, nutzte er als Dekoration seines Kasperltheaters, und als man ihm die Ehrendoktorwürde antrug, lehnte er dankend ab. Selbst mit den Hunden lag der Nachruf schief: Sie kamen gern hinterm Ofen hervor, denn bei Vierbeinern weckte der Komponist außerordentliche Sympathiegefühle, die er gern erwiderte. Wo er heute liegt, im Garten von Wahnfried, sind auch seine Hunde begraben.
Nein, sie war nicht ernst gemeint, diese Grabschrift. Und eben das sollte sie wohl dem Leser vermitteln, dem geneigten wie dem abgeneigten: dass nämlich alles, was Wagner betraf, nicht ganz so ernst gemeint war, wie Wagnerianer und Anti-Wagnerianer es wollten.
Liebe Verehrer und Verächter, so gab sie zu verstehen, liebe Gemeinde der Weihrauchstreuer und der Giftmischer! Der, für den ihr mich haltet, bin ich nicht. Und der, der ich bin, den kennt ihr nicht. Im Übrigen bin ich fest überzeugt, »dass mich niemand ernstlich hassen kann, außer wenn er sich über mich irrt, – was mir dann am Ende Humor erweckt und so die einzige Freude gewährt, deren ich fähig bin«.23
1 Cosima Wagner, Die Tagebücher. Editiert und kommentiert von Martin Gregor-Dellin und Dietrich Mack, 2 Bände, München/Zürich 1976/77, Bd. 2, S. 379
2 Ebenda, Bd. 2, S. 907
3 Ebenda, Bd. 2, S. 162
4 Dieter Borchmeyer und Jörg Salaquarda (Hrsg.), Nietzsche und Wagner. Stationen einer epochalen Begegnung, Frankfurt/Leipzig 1994, Bd. 1, S. 311
5 Friedrich Glasenapp, Das Leben Richard Wagners in sechs Büchern dargestellt, 6 Bände, 4. Auflage, Leipzig 1905, Bd. 6, S. 249
6 Cosima Wagner, Tagebücher, Bd. 2, S. 302
7Richard Wagner, Sämtliche Schriften und Dichtungen, Volksausgabe, Bände 1–12 und 16, Leipzig o.J. [1911], Bd. 12, S. 374
8Friedrich Nietzsche, Sämtliche Werke, Kritische Studienausgabe in 15 Bänden (KSA). Hrsg. Giorgio Colli und Mazzino Montinari, München 1980, Bd. 6, S. 41
9Wagner, Sämtliche Schriften und Dichtungen, Bd. 12, S. 374
10Werner Otto(Hrsg.), Richard Wagner.Ein Lebens- und Charakterbild in Dokumenten und zeitgenössischen Darstellungen, Berlin 1990, S. 38
11Eduard Devrient, Aus seinen Tagebüchern, Karlsruhe 1852–1870, Weimar 1964, S. 382
12Edouard Schuré, Souvenirs sur Richard Wagner, Paris 1900, S. 54
13Herbert Bart/Dietrich Mack/Egon Voss, Richard Wagner, Leben und Werk. München 1982, S. 461
14Schuré, S. 56
15Cosima Wagner, Tagebücher, Bd. 2, S. 618
16Sophie Rützow, Richard Wagner und Bayreuth, München 1943, S. 156
17Cosima Wagner, Tagebücher, Bd. 2, S. 156
18Wendelin Weißheimer, Erlebnisse mit Richard Wagner, Franz Liszt und vielen anderen Zeitgenossen, Stuttgart 1898, S. 128
19Richard Wagner, Mein Leben 1813–1868. Vollständige, kommentierte Ausgabe. Herausgegeben von Martin Gregor-Dellin, München/Leipzig 1994, S. 706
20Adolph Kohut, Der Meister von Bayreuth, Berlin 1905, S. 184
21Erich Kloss, Wagner-Anekdoten, Leipzig 1908, S. 120
22Wagner, Sämtliche Schriften und Dichtungen, Bd. 12, S. 368
23Richard Wagner, Sämtliche Briefe, Leipzig und Wiesbaden 1967ff., Bd. 9, S. 206
Erster Akt
»EIN ETWAS VERRÜCKTES GENIE«
»Wäre ich ein Schafskopf, hieße ich nicht Wagner, denn alle Wagners sind besonders geniale Leute, wie man schon im ›Faust‹ sehen kann.«24
1. Szene
»Flügelknabe aus olymp’schen Zonen«
Etwa zur gleichen Zeit, als die Menschheit sich die Träume vom Gespräch mit der Ferne und vom Kutschfahren ohne Pferde erfüllte, ging auch für Richard Wagner ein lebenslang gehegter Traum in Erfüllung: der von einem Theater, in dem nur sein eigener Name auf dem Programm stand. So leicht sich vorstellen ließ, dass man irgendwann über ein eigenes Telefon und Automobil verfügen würde, so ungewohnt schien der Gedanke, dass ein Künstler eine Bühne besitzen könnte, auf der nur seine eigenen Werke gespielt wurden. Fast alle, die davon hörten, dachten wie Kaiser Wilhelm I., der ihm gestand: »Ich habe nicht geglaubt, dass Sie es zustande bringen würden.«25
Aber er brachte es zustande. Im selben Jahr 1876, als Alexander Bell den Fernsprecher und August Otto den gleichnamigen Motor erfand, eröffnete Wagner ein Opernhaus, wie die Welt noch keines gesehen hatte. Auf einer Anhöhe über Bayreuth errichtet, ähnelte es eher einer Scheune als einem gründerzeitlichen Prunkbau, und statt säulen- und figurengeschmückten Fassaden sah man nur Backsteinmauern, die von Holzbalken zusammengehalten wurden.
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