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Der dritte Kriminal-Roman mit Detective Chief Inspector Karen Pirie von Val McDermid, Englands »Queen of Thrill« – Ein vielschichtiger Krimi über Schuld, Sühne und späte Rache Verborgen in der Turmspitze eines viktorianischen Gemäuers in Edinburgh wird eine skelettierte Leiche mit einem Einschussloch im Schädel gefunden. Um wessen sterbliche Überreste handelt es sich? Detective Chief Inspector Karen Pirie soll den rätselhaften Fall aufklären. Ihre Nachforschungen führen sie zurück in die Balkan-Kriege der neunziger Jahre. In einem Labyrinth aus falschen Identitäten, politischen Konflikten und sorgsam gehüteten Geheimnissen scheint sich die Spur zu verflüchtigen. Doch manchmal ist die Vergangenheit erbarmungslos ... »Neue grandiose Krimi-Unterhaltung von der Großmeisterin der Spannungsliteratur.« Literaturmarkt »Die Schottin Val McDermid zeigt millionenfach erfolgreich, dass sich in Krimis ein akkurater Blick auf die Gesellschaft werfen lässt.« Salzburger Nachrichten Und hier die Kriminal-Romane rund um Cold-Case-Expertin Karen Pirie in der richtigen Reihenfolge: - »Echo einer Winternacht« - »Nacht unter Tag« - »Der lange Atem der Vergangenheit« - »Der Sinn des Todes«
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Val McDermid
Der lange Atem der Vergangenheit
Kriminalroman
Aus dem Englischen von Doris Styron
Knaur e-books
Verborgen in der Turmspitze eines baufälligen viktorianischen Gemäuers in Edinburgh wird eine skelettierte Leiche mit einem Einschussloch im Schädel gefunden. Detective Chief Inspector Karen Pirie und ihre Cold Cases Unit sollen den rätselhaften Fall aufklären. Um wessen sterbliche Überreste handelt es sich? Karen hat kaum Anhaltspunkte, aber einen zielsicheren Instinkt. Ihre Nachforschungen führen sie zurück in die neunziger Jahre, in die Erbarmungslosigkeit der Balkankriege. In einem Labyrinth aus persönlichen und politischen Konflikten, aus falschen Identitäten und sorgsam gehüteten Geheimnissen droht sich die Spur zu verlieren. Doch manchmal will die Vergangenheit einfach nicht ruhen …
Für meine Jo:
»Doch diese Widmung wird von anderen gelesen:
Es sind vertrauliche Worte, die in der Öffentlichkeit an dich gerichtet werden.«
In der Geographie geht es um Macht. Obwohl oft angenommen wird, dass sie unschuldig und rein ist, ist die Geographie der Welt nicht von der Natur hervorgebracht worden, sondern durch Kämpfe zwischen konkurrierenden Herrschern um die Macht, das Land zu überwältigen, zu besetzen und zu verwalten.
Critical Geopolitics
Geróid Ó Tuathail
Im Yachthafen von Chania auf Kreta bieten Sonnenuntergänge oft ein grandioses Schauspiel. Zwischen den Rümpfen der Boote von Tagesauflüglern, den mittelgroßen Yachten und den Kajütbooten spiegeln sich Gold, Rot und Rosa. Die alten, wuchtigen Mauern des äußeren Hafenbereichs ragen vor dem zarten Himmel empor wie auf Leinwand projizierte Schatten, und auf den Uferstraßen flaniert entspannt der Strom der Touristen vom Straßenmaler zum Stand mit Schmuck, vom Restaurant zum Laden mit Souvenirs.
Um den Hafen herum zur Stadt hin drängen sich in wildem Durcheinander die Häuser, manche scheinen den Hang hochzuklettern, manche sind wie römische Mietskasernen aneinandergedrängt. Ferienwohnungen und Seniorenresidenzen schauen auf die Schar der von den letzten trägen Sonnenstrahlen gestreiften Boote und Menschen hinunter.
An einem der Tische im Freien sitzt ein Mann und beobachtet mit ausdruckslosem Gesicht die Touristen, den Rest eines großen Sieben-Sterne-Metaxa vor sich. Seinem Aussehen nach scheint er Anfang sechzig zu sein. Er ist breitschultrig und hat ein paar Kilo Übergewicht. Zu den dunkelblauen Shorts trägt er ein flaschengrünes Polohemd, das seine muskulösen Unterarme sehen lässt. Sie sind so tiefbraun wie sein Getränk. Er trägt eine getönte Brille, die deutlich modischer ist als der Rest seiner Kleidung. Sein silbriges Haar ist kurz geschnitten, ab und zu fährt er mit dem Handrücken über seinen mächtigen Schnurrbart. Diese Geste führt er häufiger aus, als es das Trinken verlangen würde, so, als wäre der Schnurrbart vielleicht etwas, das ihn befangen macht. Er ist das einzige Merkmal, das einen am Anschein seiner absoluten, unerschütterlichen Ruhe zweifeln lässt.
Er ist sich überhaupt nicht bewusst, dass er beobachtet wird, was überrascht, denn er verhält sich wie ein wachsamer Mensch.
Er trinkt sein Glas aus, wischt sich ein letztes Mal über den Mund und steht dann auf. Mit festem Schritt geht er die Uferstraße entlang. Die Leute weichen ihm aus, aber nicht aus Furcht, sondern, wie es scheint, aus Respekt. Nur etwa zwei Meter hinter ihm geht jemand anderer. Ein Schatten, der sich die Menge zunutze macht, um ihm auf den Fersen zu bleiben.
Einige Straßen vom Hafen entfernt biegt der Mann in eine schmale Seitenstraße ein. Er schaut sich rasch um und betritt dann ein modernes Wohnhaus. Nicht zu schick, nicht zu bescheiden. Genau die Art von Wohnung, die sich ein pensionierter Geschichtslehrer kaufen würde, um das Leben auf Kreta zu genießen. Und genau dafür halten ihn seine Nachbarn auch.
Die Person, die ihn beobachtet, schlüpft hinter ihm ins Haus und folgt ihm auf der Treppe lautlos nach oben. Unbemerkt zu bleiben ist diesem Menschen bei derartigen Aktionen in Fleisch und Blut übergegangen, und auch heute Abend ist es nicht anders. Eine Klinge wird lautlos aus ihrer Scheide gezogen. Sie liegt ruhig in der abwartenden Hand. Sie ist so scharf, dass man damit ein Blatt Papier zerschneiden könnte.
Der Mann bleibt vor seiner Wohnungstür stehen, den Schlüssel schon in der Hand, bereit, rasch einzutreten. Er steckt den Schlüssel ins Schloss, dreht ihn um und stößt die Tür auf. Als er über die Schwelle treten will, sagt eine Stimme ungehörig nah an seinem Ohr einen Namen, den er schon jahrelang nicht mehr gehört hat. Er ist schockiert, will sich umdrehen und macht dabei einen Schritt in seine Wohnung.
Aber es ist zu spät. Ohne Zögern fährt die glänzende Klinge in einem Bogen auf ihn zu und schlitzt die Kehle des Mannes vom einen Ohr zum anderen auf. Ein Schwall von Blut schießt hervor und verspritzt verschiedene Rottöne auf die Tür, die Wände und den Boden.
Bis er schließlich tot ist, hat sein Mörder sich schon wieder unter die Touristen gemischt und geht auf eine Bar zu, wo er einen wohlverdienten Drink zu sich nehmen will. Einen Sieben-Sterne-Metaxa, vielleicht. Den er erheben will auf diesen einen Tod, der in keiner Weise eine Buße sein kann für all jene anderen Tode.
Fraser Jardine wäre am liebsten gestorben. Sein Magen krampfte sich zusammen, in seinen vor Panik erstarrten Eingeweiden rumorte es. Ein Schweißtropfen rann an seiner linken Schläfe herab. Die Stimme in seinem Kopf verspottete ihn wegen seiner Schwäche, genau so wie schon damals in seiner Kindheit. Fraser biss sich vor Scham auf die Lippe, stieß das Dachfenster auf und drückte es nach draußen. Die letzten drei Sprossen der Leiter stieg er einzeln hinauf und trat vorsichtig auf das Giebeldach hinaus.
Wenn auch Touristen für diese sensationelle Aussicht auf eine Stadt, die als Weltkulturerbe galt, gezahlt hätten, war Fraser doch nur wichtig, wie weit entfernt vom Erdboden er war.
Höhen hatte er noch nie gemocht. Als Kind hatte er versucht, sich vor der großen Rutsche im Park zu drücken. Vor der schwindelerregenden Leiter, die bei jedem Schritt dröhnte wie eine unheilvolle Glocke. Das kalte Geländer war feucht an seiner schwitzenden Handfläche. Beim Geruch nach Schweiß und Metall hatte er das Gefühl, er müsse sich übergeben. (Und wie schrecklich das gewesen wäre, einen vielfarbigen Schauer von Erbrochenem über die Kinder und Eltern da unten zu versprühen.) Aber manchmal war es einfach nicht möglich gewesen zu entkommen. Er hatte oben auf der winzigen Stahlplattform gestanden mit einem Gefühl, als schrumpfe seine Blase, und er wusste, dass er gefährlich nahe daran war, sich in die Hose zu machen. Dann schloss er die Augen, ließ sich auf den Hintern fallen und sauste ohne einen weiteren Blick hinunter, bis er am Ende der glänzenden stählernen Bahn auf dem festgetretenen Sand landete. Sich die Knie aufzuschürfen kam ihm wie ein Segen vor, denn es bedeutete, dass er wieder Verbindung mit dem festen Boden hatte.
Diese Höhenangst war sein einziger Vorbehalt gewesen, als er über seine Berufswahl nachdachte. Sicher konnte doch ein Baukostenanalyst bei einer Abrissfirma es kaum vermeiden, dass er sich hin und wieder auf Dächern bewegen musste? Man konnte die Tatsache nicht außer Acht lassen, dass manche Gebäude Gefahren für die Arbeiter selbst darstellten oder zusätzliche Kosten verursachten. Er war ja nicht blöd. Er hatte sich bei der Firmenkontaktmesse ausdrücklich danach erkundigt. Der Mann, der die Bauberufe vertrat, hatte es heruntergespielt und behauptet, es komme nur selten vor. Erst drei Monate nach Beginn der Ausbildung hatte Fraser begriffen, dass dieser Berufsberater keine Ahnung gehabt hatte. Aber auf dem Arbeitsmarkt sah es schlecht aus, besonders wenn man ein junger Mann mit einem mittelmäßigen Abschluss von einer unbedeutenden Uni war. Also hatte er den Stier bei den Hörnern gepackt und war geblieben.
Im Lauf der letzten sechs Jahre hatte ihn die Erfahrung gelehrt, auszuknobeln, welche Aufträge die schlimmsten Risiken mit sich zu bringen versprachen, und war ihnen dann geschickt ausgewichen. Er war gerade beschäftigt mit einer anderen Begutachtung oder musste zum Zahnarzt wegen eines Backenzahns, der Schwierigkeiten machte, oder er musste an einem Fortbildungslehrgang teilnehmen. Diese Ausweichmanöver hatte er zu einer hohen Kunst entwickelt, und soweit er wusste, hatte es niemand bemerkt.
Aber an diesem Morgen, einem Samstag, um das Ganze noch schlimmer zu machen, hatte sein Chef ihm diese Sache aufgedrückt. Ein eiliger Auftrag für einen neuen Kunden, dem sie Eindruck machen wollten. Und alle anderen waren schon irgendwo anders im Einsatz. Die Aufgabe, die neugotischen Mauerzinnen, Erker und Turmspitzen der John Drummond School unter die Lupe zu nehmen, war an Fraser hängengeblieben.
Mit trockenem Mund und Händen, die in seinen Arbeitshandschuhen schweißnass und glitschig waren, bewegte er sich behutsam auf den steilen Schieferziegeln schräg nach unten. »Es könnte schlimmer sein«, sagte er sich laut, während er automatisch den Zustand des Daches kontrollierte und Lücken bemerkte, wo sich die Ziegelsteine aus ihrer Verankerung gelöst hatten oder sogar ganz verschwunden waren. »Es könnte viel schlimmer sein. Es könnte regnen. Es könnte so glatt sein wie eine verdammte Eisbahn.« Seine aufgesetzte gute Stimmung hätte nicht einmal seine zweijährige Tochter überzeugt. Zumindest Fraser selbst täuschte sie nicht.
Der Trick bestand darin, langsam und gleichmäßig weiterzuatmen. Das – und nicht nach unten zu schauen. Niemals nach unten schauen!
Er erreichte die relativ sichere, flache, mit Blei beschichtete Dachrinne hinter der mit Zinnen verzierten Umfassungswand und konzentrierte sich auf die Aufgabe, die er vor sich hatte. »Es ist ja nur eine Mauer. Es ist nur eine Mauer«, murmelte er. »Eine ziemlich beschissene Mauer«, fügte er hinzu, als er den bröckelnden Mörtel bemerkte. Der Druck auf seine Blase wurde schlimmer, als er sich vorstellte, wie sehr die Bausubstanz vom Wetter geschädigt war. Von unten konnte man den Schaden nicht erkennen. Was stand ihm noch alles auf diesem halbverfallenen Scheißdach bevor?
Fraser war unzählige Male an der John Drummond School vorbeigefahren und hatte die Tatsache bestaunt, dass sie aus der Ferne immer noch so eindrucksvoll wie eh und je aussah, selbst nachdem sie bereits fast zwanzig Jahre leer gestanden hatte. Sie war eine Edinburgher Sehenswürdigkeit, deren raffinierte Fassade den kleinen Park neben einer der nach Süden führenden Ausfallstraßen beherrschte. Jahrelang hatten die hohen Kosten einer Sanierung der aufgegebenen Privatschule die Bauträger abgeschreckt. Aber die rasant wachsende Anzahl der Studenten in der Stadt hatte den Bedarf an Unterkünften drastisch erhöht und versprach für Bauunternehmer, die den Mumm hatten, größere Projekte anzugehen, größere Gewinne.
Und deshalb war Fraser an einem kalten Samstagvormittag auf diesem kaputten Dach gestrandet. Er begann zögernd, an der Mauer entlangzugehen, widmete seine Aufmerksamkeit einerseits dem Geländer, andererseits dem Dach und murmelte dabei hin und wieder Notizen in den Digitalrekorder, den er an seine signalfarbene Warnweste geklemmt hatte. Als er zu dem ersten der hohen neugotischen Türmchen kam, die alle vier Ecken des Daches krönten, blieb er stehen und begutachtete es sorgfältig. Es war ungefähr vier Meter hoch, unten an der Basis, von wo ein steiler Kegel bis zur Spitze aufragte, war es kaum breiter als einen Meter. Außen war es mit extravaganten Steinornamenten verziert. Warum hatte man die angebracht, wunderte sich Fraser. Selbst im Viktorianischen Zeitalter musste es bessere Möglichkeiten gegeben haben, sein Geld auszugeben. Warum machte man so etwas? All diese übertriebenen Details hier oben, wo niemand sie jemals aus der Nähe sehen würde, Kugeln und Schnörkel, die sich kontrastreich gegen den Himmel abhoben. Manche waren im Lauf der Jahre abgefallen. Glücklicherweise hatte niemand unten gestanden, als das geschah. Wo das Türmchen unten auf dem Dach aufsaß, war ein kleiner bogenförmiger Ausschnitt im Stein, der wahrscheinlich Zutritt zum Inneren des Türmchens gewährte. Zutritt für die jüngsten und kleinsten Lehrlinge des Steinmetzen, vermutete Fraser. Er glaubte nicht, dass er auch nur mit den Schultern durch die breiteste Stelle des Bogens passen würde. Aber trotzdem sollte er einen Blick hineinwerfen.
Er legte sich in die Regenrinne, schaltete die Lampe auf seinem Helm an und schob sich langsam vorwärts. Als er den Kopf hineingesteckt hatte, konnte er eine erstaunlich genaue Beurteilung des Inneren vornehmen. Auf dem Boden waren Backsteine im Fischgrätmuster verlegt; die Innenwände waren ebenfalls aus Backsteinen, an manchen Stellen, wo der Mörtel abgebröckelt war, hingen sie leicht durch, wurden aber durch das von oben drückende Gewicht fixiert. Ein Federbündel in einer Ecke zeigte an, wo eine Taube ihrer eigenen Dummheit zum Opfer gefallen war. In der Luft lag ein beißender Geruch, den Fraser dem Ungeziefer zuschrieb, das sich hier aufgehalten hatte. Ratten, Fledermäuse, Mäuse. Was auch immer.
Fraser war zufrieden, dass es hier sonst nichts Besonderes gab, schob sich rückwärts wieder raus und richtete sich langsam auf. Dann zog er seine Weste zurecht und setzte seine Untersuchung fort. Die zweite Seite, das zweite Türmchen. Nicht runterschauen. Dritte Seite. Ein Teil des mit Zinnen verzierten Geländers war so beschädigt, dass es nur noch an einem seidenen Faden zu hängen schien. Fraser war froh, dass niemand da war, der sehen konnte, wie ihm die Schweißtropfen von den Haaren in den Nacken rannen. Er ließ sich auf alle viere nieder und kroch an der gefährlichen Stelle vorbei. Dieses Stück Mauer würde als Erstes abgetragen werden müssen, bevor es von alleine hinunterfiel. Hinunter. O Gott, schon bei dem Wort allein wurde ihm so hoch oben schwach.
Das dritte Türmchen ragte auf wie ein sicherer Ort. Noch auf Händen und Knien schaltete Fraser wieder seine Helmlampe an und streckte den Kopf in die Öffnung. Diesmal sah er etwas, das ihn so plötzlich zurückweichen ließ, dass er sich an dem Bogen den Kopf anstieß, so dass sein Helm auf den Boden fiel und das Licht der Lampe wild in alle Richtungen leuchtete, bevor der Helm hin und her schaukelnd schließlich zur Ruhe kam.
Fraser stieß einen Klagelaut aus. Letztendlich hatte er auf einem Dach etwas gefunden, das gruseliger war als die Höhe. Ein Schädel grinste ihm von der anderen Seite entgegen; er lag auf einem Knochenhaufen, der offensichtlich einmal ein Mensch gewesen war.
Das soll wohl ’n Witz sein?« Detective Chief Inspector Karen Pirie legte den Kopf in den Nacken und starrte hinauf zu dem Ecktürmchen hoch oben. »Man erwartet doch wohl nicht im Ernst, dass ich auf dem Dach eines Gebäudes herumkrieche, das eigentlich schon auf der Abrissliste steht? Alles wegen eines Skeletts?«
Detective Constable Jason »Minzdrops« Murray blickte zweifelnd auf die Dachverkleidung, dann wieder zurück zu seiner Chefin. Sie sah, wie sich in seinem Kopf die Rädchen drehten: Zu dick, zu steif, ein zu hohes Risiko. Aber obwohl er zweifellos etwas unterbelichtet war, hatte der Minzdrops unter Karens Fittichen gelernt, sich vernünftig zu verhalten. Es wäre ihm zwar schwergefallen, die entsprechenden Wörter richtig zu schreiben, aber im Lauf der Jahre hatte er sich Rudimente von Diskretion angeeignet. »Ich versteh sowieso nicht, wieso das ein Fall für uns sein soll«, sagte er. »Ich meine, wie kann es ein alter ungelöster Fall sein, wenn er erst heute früh gefunden wurde?«
»Nur um das festzuhalten: Wir wissen nicht sicher, dass es ein Er ist. So lange nicht, bis jemand, der sich mit Knochen auskennt, die Sache angeschaut hat. Und außerdem … Jason, für wen arbeiten Sie?«
Der Minzdrops sah verwirrt aus. Das war sein standardmäßiger Gesichtsausdruck. »Die Polizei von Schottland«, sagte er im Tonfall einer Person, die das Selbstverständliche ausspricht, aber weiß, dass sie trotzdem einen Anschiss abbekommen wird.
»Genauer, Jason.« Karen bereitete sich genüsslich auf die Rüge vor.
»Ich arbeite für Sie, Boss.« Einen Augenblick schien er mit sich zufrieden.
»Und was ist meine Arbeit?«
Darauf gab es viele mögliche Antworten, aber dem Minzdrops kamen sie alle unpassend vor. »Sie sind der Boss, Boss.«
»Und wovon bin ich der Boss?«
»Von den ungelösten Fällen.« Jetzt war er zuversichtlich.
Karen seufzte. »Aber was ist der richtige Name unserer Abteilung?«
Jetzt fiel der Groschen. »HCU. Historic Cases Unit.«
»Und deshalb gehört der Fall uns. Wenn die Leiche so lange da oben gelegen hat, dass sie jetzt ein Skelett ist, dann haben wir die Arschkarte.« Da Karen jetzt die Lehre erteilt hatte, wandte sie ihre Aufmerksamkeit wieder dem Mann in Helm und Warnweste zu, der neben ihr stand. »Ich nehme an, es handelt sich da oben um einen engen Raum?«
Fraser Jardines Kopf hob und senkte sich wie der eines nickenden Esels im Schnellvorlauf. »Absolut. Man hätte Mühe, zwei von Ihnen da rein zu kriegen.«
»Und der Zugang? Ist der auch ziemlich eingeschränkt?«
Fraser zog die Stirn in Falten. »Was? Sie meinen schmal?«
Karen nickte. »Ja, schon. Aber auch - also, wie viele Zugänge gibt es? Gibt es nur einen sichtbaren Weg nach drinnen und wieder heraus?«
»Na ja, es ist an einer Ecke, ich nehme also an, dass man theoretisch auch von beiden Seiten kommen könnte. Wenn man durch die Dachluke auf das Dach klettert und dann nach links geht, wäre es das zweite Türmchen. Ich war zuerst nach rechts gegangen, deshalb war es dann der dritte Turm.«
»Und diese Eingänge, ich vermute, dass sie offen und dem Wetter ausgesetzt sind, Wind und Regen?«
»Es ist ein Dach. Da gehört das dazu.« Er seufzte kurz. »Tut mir leid, ich will hier nicht den Besserwisser geben, bin nur ’n bisschen mitgenommen. Und mein Boss, der fragt jetzt: ›Hält dich die Sache von deinen Gutachten ab?‹ Ich hab also Zeitdruck, verstehn Sie?«
Karen klopfte ihm leicht auf den Arm. Selbst durch seinen Arbeitsanzug hindurch spürte sie die strammen Muskeln. Ein Mann wie Fraser, der würde kein Problem haben, eine Leiche in ein Dachtürmchen hoch zu schaffen. Aber bei einem solchen Fundort ließ sich der Kreis der Verdächtigen schon ziemlich eingrenzen. Wenn das Opfer irgendwo anders gestorben war.
»Dafür habe ich schon Verständnis. Wie ist das Gebäude innen? Haben Sie Anzeichen gesehen, dass schon jemand anders vor Ihnen da war?«
Fraser schüttelte den Kopf. »Ich hab nichts bemerkt. Aber ich weiß nicht, ob es leicht zu erkennen wäre. Da drin herrscht ein ziemliches Durcheinander. Das Gebäude ist schon lange versiegelt, und es hat reingeregnet. Es ist also feucht und schimmelig, und aus den Wänden wachsen Pflanzen. Ich weiß nicht, wie lange es dauert, bis eine Leiche zum Skelett wird, aber ich nehme an, ein paar Jahre?«
»Das kommt hin«, sagte sie selbstsicherer, als ihr zumute war.
»Wenn also vor Jahren ein ganzes Team da durchgegangen wäre, wüsste man nichts davon. Die Natur übernimmt das Ruder und löscht die Spuren, die wir hinterlassen. Manchmal dauert das nur ein paar Monate, da merkt man kaum noch, dass es mal ein Ort war, an dem Menschen gelebt oder gearbeitet haben.« Er zuckte mit den Achseln. »Deshalb ist es nicht überraschend, dass ich keine Fußspuren oder Blutflecken oder so was gesehen habe.«
»Aber Sie haben doch ein Loch in dem Schädel gesehen?« Man musste sie aufscheuchen, damit sie sich mit der Geschichte nicht allzu wohl fühlten. Karen konnte das gut, ihrem Gegenüber bei Befragungen den sicheren, festen Boden entziehen.
Fraser schluckte heftig und bewegte wieder ruckartig den Kopf, sein flüchtiges Selbstvertrauen war verflogen. »Ungefähr hier«, sagte er und deutete über der rechten Augenbraue auf seine Stirn. »Kein großes Loch, eigentlich nicht viel größer als ein Hemdknopf.«
Karen nickte ermutigend. »Nicht besonders drastisch, ich weiß. Aber es genügt. Und Kleider? Haben Sie an der Leiche oder auf dem Boden Kleider bemerkt?«
Fraser schüttelte den Kopf. »Ehrlich gesagt, hab ich gar nichts anderes angeschaut, nur den Schädel.« Er fröstelte. »Davon werd ich Scheißalpträume bekommen.« Er schaute sie schuldbewusst an. »Tut mir leid, entschuldigen Sie, dass ich mich so ausdrücke.«
Karen lächelte. »Da hab ich schon Schlimmeres gehört.« Sie glaubte, dass Fraser Jardine nichts weiter Brauchbares wegen seiner aufregenden Entdeckung hinzuzufügen hatte. Es gab jetzt für sie andere, wichtigere Gespräche zu führen. Sie wandte sich wieder an den Minzdrops. Bei einem Zeugen, dessen Beitrag zur Ermittlung so begrenzt war, konnte er nicht viel Schaden anrichten. »Jason, setzen Sie sich mit Mr. Jardine in den Wagen und protokollieren Sie die vollständige Aussage.«
Sobald der Minzdrops Fraser außer Hörweite geführt hatte, rief Karen den diensthabenden Kollegen an, der die Tatortarbeit leitete. Karen hatte schon oft mit Gerry McKinlay zusammengearbeitet und wusste, dass sie nicht jede Einzelheit, die einbezogen werden sollte, ausdrücklich erwähnen musste. Heutzutage kam es einem vor, als ob vor allem der Papierkram korrekt erledigt werden musste, die Verfolgung von Kriminellen schien weniger wichtig zu sein. Manche Ermittlungsleiter verlangten für jeden Teil der Untersuchung Anforderungsscheine in dreifacher Ausführung. Karen verstand die Überlegungen dahinter, aber der Zeitverlust für die Ermittlungen machte sie immer wütend. »Welches Problem haben Sie damit?«, hatte ein Ermittlungsleiter mal herausfordernd entgegnet. »Die Leichen, mit denen Sie zu tun haben, sind ja schon so lange tot. Ein paar Tage mehr oder weniger machen da keinen Unterschied.«
»Sagen Sie das mal den trauernden Angehörigen und Freunden«, war Karens schnippische Antwort gewesen. »Für sie ist jeder Tag eine Ewigkeit. Jetzt bewegen Sie Ihren Hintern und machen Sie Ihre Arbeit so, als würde Ihnen was dran liegen.« Ihre Mutter wäre über ihre Ausdrucksweise entsetzt gewesen. Aber Karen hatte auf die harte Tour gelernt, dass einem bei der Polizeiarbeit an vorderster Front niemand Beachtung schenkte, wenn man zimperlich war.
»Gehört das Skelett Ihnen, Karen?«, fragte Gerry mit dem näselnden Tonfall Nordirlands, der auch schon in der Verkürzung ihres Namens auf eine Silbe zu hören war.
»Genau, Gerry. Laut dem Zeugen ist es in einem ganz engen Raum, der schwierig zu begehen ist. Zum Ein- und Ausgang kommt man über ein Dach, das jahrelang Wind und Wetter ausgesetzt war. Ich denke deshalb, dass wir einen Tatortermittler mit Erfahrung in Mordfällen brauchen, der die Bilder machen und die Suche nach Fingerabdrücken im Inneren des Tatorts durchführen kann. Es ist Ihre Entscheidung, ob Sie möchten, dass die gleiche Person sich das Dach anschaut, oder ob Sie meinen, dass man noch einen weiteren Mann braucht. Für meinen Teil, ich würde einfach den armen Kerl nehmen, der sowieso da raufklettern muss. Ich lasse einen Uniformierten den Zutritt zur Dachluke überwachen, die zu dem Dach hoch führt, es ist also nicht so, als gäbe es auch noch Publikumsverkehr, mit dem man fertig werden müsste.«
»Wie steht’s mit dem Weg zur Dachluke?«
Karen blies die Backen auf und ließ einen Luftstoß entweichen. »Ich weiß nicht, wie viel Wert man den Beweisen beimessen kann, die es eventuell gibt. Das Gebäude steht seit zwanzig Jahren oder so leer. Es ist nicht mutwillig beschädigt oder mal besetzt worden, aber das Innere ist laut unserem Zeugen ziemlich verfallen. Hört sich an wie die Fotos von Detroit, die man immer wieder sieht. Ich gehe gleich rein, um mir selbst ein Bild zu machen. Schicken Sie doch jemand rüber. Wenn er dann findet, es würde sich lohnen, mehr zu machen, als mal kurz drüberzuschauen, dann sprechen wir uns wieder.«
»Okay. Können Sie alles verpacken und beschriften lassen, während wir noch da sind? Damit wir sehen können, ob sich darunter etwas verbirgt?«
»Ich tue mein Bestes, Gerry. Aber Sie wissen ja, wie es an einem Samstag in der Fußballsaison ist. Erstaunlich, wie viele Telefone gestört sind.«
Gerry lachte. »Viel Erfolg. Bis später, Karen.«
Ein weiterer Anruf war zu erledigen. Sie rief eine Nummer von ihrer Kontaktliste auf und wartete auf die Verbindung. Sie hätte den diensthabenden Pathologen kommen lassen können. Aber alte Knochen – das hieß für Karen eins: Dr. River Wilde, die forensische Anthropologin und die Person, die für Karen einer besten Freundin am nächsten kam. Mit einem Namen belastet, den ihre Hippie-Eltern ihr gegeben hatten und den niemand ernst nehmen konnte, hatte River härter und geschickter gearbeitet als alle ihre Kollegen, um sich unbestrittenen Respekt zu verschaffen. Die Frauen hatten bei verschiedenen wichtigen Fällen zusammengearbeitet, aber für Karen war die Freundschaft fast genauso wichtig wie Rivers unkomplizierte Professionalität. Wenn man als Polizistin tätig war, wurde der Kontakt zu anderen Frauen schwieriger. Es war nicht leicht, mit jemandem, der nicht im gleichen Arbeitsbereich beschäftigt war, eine Beziehung aufzubauen, die tiefer ging. Zu viel Vertrauen konnte gefährlich werden. Und außerdem verstanden die Nichteingeweihten einfach nicht, was der Beruf alles mit sich brachte. Also war man angewiesen auf andere Polizistinnen, die ungefähr den gleichen Dienstgrad hatten wie man selbst. Es gab nicht viele, die schon so weit aufgestiegen waren wie Karen, und sie hatte sich niemals auf Anhieb mit einer von ihnen verstanden. Oft hatte sie sich gefragt, ob es damit zu tun hatte, dass die anderen Hochschulabsolventinnen waren, wogegen Karen sich Schritt für Schritt hochgearbeitet hatte. Worin der Grund auch liegen mochte, Karen hatte jedenfalls vor ihrer Bekanntschaft mit River nie jemanden getroffen, der im Bereich Strafverfolgung arbeitete und mit dem sie wirklich gern Zeit verbrachte.
River nahm beim dritten Klingeln ab. Sie klang, als sei sie nur halb wach. »Karen? Sag bloß, du bist in der Stadt und willst mich zum Brunch treffen.«
»Ich bin nicht in der Stadt, und es ist zu spät zum Brunchen.«
River stöhnte. Durchs Telefon klang es, als liege River im Bett. »Verdammt, ich hab Ewan doch gesagt, er solle mich wecken, bevor er weggeht. Ich bin erst gestern aus Montreal zurückgekommen, mein Körper weiß nicht mal, welchen verflixten Tag wir haben.«
Es würde später noch Zeit sein, sich zu unterhalten. Karen wusste, dass River es ihr nicht übelnehmen würde, wenn sie gleich zur Sache kam. »Hier in Edinburgh ist es Samstagmittag. Ich habe ein Skelett mit einem Loch im Kopf. Hast du Interesse?«
River gähnte. »Natürlich bin ich interessiert. Drei Stunden? Ich kann’s wahrscheinlich in drei Stunden schaffen, oder? Eine Stunde nach Carlisle, zwei nach Edinburgh?«
»Du vergisst das Duschen und den Kaffee.«
River kicherte. »Stimmt. Sagen wir drei Stunden und fünfzehn Minuten. Schick mir die Koordinaten, ich seh dich dann dort.« Und die Verbindung brach ab.
Karen lächelte. Freunde zu haben, die den Job genauso ernst nahmen wie man selbst, war ein Bonus. Sie zog die Tasche auf ihre Schulter hoch und ging auf die Seitentür der John Drummond School zu, wo ein uniformierter Polizist verdrießlich auf den Kiesweg vor einem Rhododendronbeet starrte. Kaum war sie drei Schritte gegangen, als sie hörte, dass der Minzdrops ihren Namen rief. Einen Seufzer unterdrückend drehte sie sich um und sah ihn auf sich zutraben. Es erstaunte sie immer wieder, dass jemand, der so dünn war, es schaffte, sich mit der Grazie eines Grizzlybären zu bewegen.
»Was gibt’s, Jason?« Würde es zum ersten Mal eine tolle Idee sein? Hatte er etwas entdeckt, das sich anzuhören lohnte? »Hat er was Interessantes zu bieten?«
»Mr. Jardine hat etwas über das Gebäude hier gehört. Also, schon vor langer Zeit.« Er hielt inne, erwartungsvoll, mit seinen glänzenden Augen wurde er der Herkunft seines Spitznamens gerecht, der auf einen Werbespruch zurückging. Dieser behauptete: »Murray Minzdrops, so gut, dass man sie einfach langsam auf der Zunge zergehen lassen muss.«
»Haben Sie vor, es mir zu sagen? Oder soll das ein Ratespiel werden?«
Ungerührt fuhr der Minzdrops fort. »Was ihn darauf brachte … Als er hier rüber gefahren ist, hat er einen von seinen Freunden angerufen, um ihm zu sagen, dass er es nicht zum Pub schaffen würde, um das Nachmittagsspiel zu sehen.« Er sah einen Moment bekümmert aus. »Und dabei spielt Liverpool gegen Man City.«
»Sie sollten Ihre einheimischen Mannschaften unterstützen, Herrgott noch mal. Was hat denn Liverpool jemals für Sie getan, Jason?«, entrüstete sich Karen. »Und jetzt haben Sie mich so weit, dass ich hier zwischen den Häusern herumirre, statt zur Sache zu kommen. Und die wäre?«
»Als Mr. Jardine sagte, er würde das Dach der John Drummond School begutachten, fragte ihn sein Freund, ob er außen oder innen hochsteigen würde. Und das hat ihn daran erinnert, dass er früher mal etwas über die John Drummond gehört hatte, von einem anderen Typen, mit dem er öfter zusammen ist. Da gibt es nämlich was, das Kletterer mit derartigen Gebäuden machen. Sie klettern anscheinend ohne Seile und alles außen hoch.«
»Freiklettern?«
»Heißt das so? Na ja, offenbar ist die John Drummond School unter Kletterern ganz bekannt als ein Gebäude, wo es Spaß macht, hochzuklettern, außerdem gibt es keinen Sicherheitsdienst, der einen wegjagt. Unser Toter könnte also auch gar nicht durch die Dachluke gekommen sein. Vielleicht ist er hochgeklettert.«
Professor Maggie Blake ließ den Blick durch den Seminarraum wandern, denn sie wollte Augenkontakt mit allen Teilnehmern herstellen. Sie war erfreut zu sehen, dass ihr alle aufmerksam folgten. Na ja, alle außer dem nerdigen Mädchen ganz hinten in der Ecke, das nie den Blick von seinem Tablet hob, nicht einmal, während es seine Meinung äußerte. Es gab immer jemanden, der ihren Bemühungen widerstand, das Interesse aller zu wecken. Selbst bei einer besonderen Veranstaltungsreihe wie dieser, bei der die Teilnehmer freiwillig am Wochenende an Vorträgen und Seminaren teilnahmen. »Was wir heute behandelt haben, lässt sich also dahingehend zusammenfassen, dass gerade die Beschreibung einer geopolitischen Beziehung diese selbst hervorbringen kann«, erklärte sie, wobei ihre warme Stimme eine Abschlussbemerkung mit Leben erfüllte, die andernfalls nach der lebhaften Diskussion, die vorausgegangen war, wie eine Enttäuschung gewirkt hätte. Das Unterrichten hatte etwas von einer Theatervorstellung, hatte sie immer gefunden. Und in ihrer Rolle als Hauptdarstellerin gab sie stets eine mit Sorgfalt ausgearbeitete Vorstellung. Sie war überzeugt, dass dies einer der Gründe war, dass sie bereits mit Mitte vierzig auf einen Lehrstuhl in Oxford berufen worden war.
»Wir haben gesehen: Wenn ein Konflikt durch die Medien zum Kampf zwischen Guten und Bösen polarisiert wird, prägt das die Art und Weise, wie wir die Beteiligten sehen. Die Sprache selbst schafft geopolitische Gegebenheiten. Wir können es jetzt im Ukraine-Konflikt beobachten. Weil der Westen Putin dämonisieren muss, wird ein Regime, das in vieler Hinsicht nicht besser ist als Russland, zum Opfer und damit zur guten Seite gemacht. In Wirklichkeit gibt es immer eine Diskrepanz zwischen dem Bedürfnis nach einem Gegensatzpaar von Gut und Böse und der tatsächlichen Situation.«
Eine Hand schoss hoch und, ohne auf eine Aufforderung zum Sprechen zu warten, unterbrach sie der Student. »Ich verstehe nicht, wie Sie in der Sache so dogmatisch sein können«, sagte er angriffslustig.
Natürlich war es Jonah Peterson, dachte Maggie. Jonah mit dem sorgfältig frisierten Haar, seinen tiefsitzenden Hüft-Jeans, die die Marke seiner Unterwäsche sehen ließen, seiner Designerbrille und seinem höhnischen Elvis-Grinsen. Sie mochte Studenten sehr, die Gedanken anzweifelten, über das nachdachten, was sie lasen und hörten, und logische Widersprüche fanden, denen sie nachgehen wollten. Jonah war jedoch auf Widerspruch um seiner selbst willen aus. Schon seit Beginn des Kurses, und das war anstrengend und störte. Aber heutzutage waren Studenten auch Kunden, und sie sollte sich auf Nervensägen wie Jonah einlassen, statt sie abzuwatschen, so wie ihre eigenen Tutoren und Dozenten es gewöhnlich angesichts mutwilliger Dummheit getan hatten. »Das Beweismaterial der Geschichte belegt diese Interpretation«, sagte sie, entschlossen, sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr er sie irritierte.
Jonah dachte offensichtlich, er könne sie vor sich her treiben. Er gab nicht auf. »Aber manchmal ist es doch offensichtlich, dass die auf einer Seite die Bösen sind. Zum Beispiel im Balkankonflikt. Wie kann man die Serben nicht als die Bösen charakterisieren, wo sie doch die überwältigende Mehrzahl der Massaker und Greueltaten verübt haben?«
Maggies Seminare und Vorlesungen waren immer äußerst genau geplant: Mit einer klaren Struktur baute sie Stück für Stück ein stabiles Fundament und fügte alles zu einem übersichtlichen und belegten Abschluss zusammen. Aber Jonahs Worte versetzten ihr einen Stoß und brachten sie aus der Bahn. Sie wollte nicht an den Balkan denken. Gerade heute nicht. Da Maggie es gewohnt war, sich zu beherrschen, sah man ihrem Gesicht nichts an. Die eiskalte Reaktion war nur ihrer Stimme anzuhören. »Und woher wissen Sie das, Jonah? Alles, was Sie über den Balkankonflikt wissen, ist von den Medien oder von Historikern einer bestimmten geopolitischen Richtung vermittelt worden. Sie haben keine direkte Kenntnis, die der heute Nachmittag von uns diskutierten Theorie widerspricht. Sie können die Nuancen der Wirklichkeit nicht kennen. Sie waren nicht dabei.«
Jonah streckte trotzig das Kinn vor. »Ich lag noch in den Windeln. Also war ich nicht dabei. Aber wieso wissen Sie, dass es Nuancen gab? Vielleicht hatten die Medien und die Historiker recht. Vielleicht trifft die Schilderung in den Medien manchmal das Richtige. Sie können es genauso wenig wissen. Meine Sicht ist genauso zulässig wie Ihre Theorie.«
Normalerweise vermied es Maggie, sich durchzusetzen, indem sie ihre Autorität herauskehrte. Aber heute war das anders. Heute waren ihre Reaktionen nicht vollkommen sachlich. Heute hatte sie keine Lust, sich mit Spielchen abzugeben. »Nein, Jonah, das stimmt nicht. Ich kann es wissen und weiß es tatsächlich. Weil ich dort war.«
Maggie war sich der verblüfften Stille bewusst, als sie ihre Notizen, die Anwesenheitsliste und ihr iPad mit einer Bewegung zusammenraffte und den Raum verließ. Sie hatte schon die Hälfte des Korridors hinter sich, als ein Gespräch aufkam, dessen undeutliche Bruchstücke sie bis zur Vordertür des Chapter House begleiteten. Dieser viktorianische Nachbau eines achteckigen mittelalterlichen Klostergebäudes wurde jetzt für Tagungen und Seminare genutzt. Sie ließ die schwere Eichentür hinter sich ins Schloss fallen und steuerte auf das Flussufer zu, das die östliche Begrenzung des St. Scholastica’s College bildete. Selbst so zeitig im Frühling boten die Blumenbeete, die den Pfad säumten, Farbe und Struktur, auch wenn Maggie an diesem Nachmittag keinen Blick dafür hatte. Im Gehen atmete sie tief durch und versuchte, sich zu beruhigen. Wie hatte sie es zulassen können, dass Jonahs unhöfliche Bemerkungen ihre Abwehrmechanismen durchbrachen?
Die Antwort war einfach. Heute wurde sie fünfzig. Ein halbes Jahrhundert, der traditionelle Zeitpunkt, um Bilanz zu ziehen. Ein Tag, an dem sie die Ereignisse, die sie geprägt hatten, nicht ignorieren konnte. Auch wenn sie einen Teil ihres Lebens der Geschichte überantwortet hatte, sollte er heute trotzdem aus den Schatten der Vergangenheit hervortreten. Es wäre kleinlich, so zu tun, als hätte sie nicht vieles zu feiern. Aber dank Jonah waren ihre Versuche, sich auf die positiven Seiten zu konzentrieren, fehlgeschlagen. Als Maggie den Weg zur Magnusson Hall hinaufging, fühlte sie nur den Schmerz über ihren Verlust.
Sie hatte befürchtet, dass es so sein würde. Deshalb hatte sie die verschiedenen Vorschläge aus ihrem Freundeskreis beiseitegeschoben, zusammen mit ihr zu feiern. Keine Party. Kein Dinner. Keine Geschenke. Nur ein ganz normaler Tag, was den Rest der Welt anging. Und war es erst mal morgen, würde es nichts geben, an das man sich erinnern müsste, und sie könnte die Vergangenheit in ihre Schublade stecken und sie wieder der Dunkelheit übergeben.
Maggie hielt auf den Senior Common Room, den Gemeinschaftsraum der Dozenten, zu. Zu dieser Tageszeit würde er mehr oder weniger leer sein. Niemand würde eine Unterhaltung von ihr erwarten. Wie sonst auch immer nach einem Seminar würde sie sich einen Cappuccino vom Automaten holen und sich dann in ihr Zimmer zurückziehen, um zu arbeiten. Sich mit etwas Anspruchsvollerem als einem Seminar von ihren Erinnerungen ablenken. Sie stieß die Tür auf und stutzte. Statt eines ruhigen, leeren Raums war eine Schar vertrauter Gesichter im Halbkreis um die Tür herum gruppiert. Sie hatte kaum Zeit, die Musik und Ballons wahrzunehmen, da rief schon jemand »Happy Birthday«, und man ließ sie hochleben.
Ihr erster Impuls war, auf dem Absatz kehrtzumachen und zu flüchten. Sie hatte sich doch wirklich klar ausgedrückt, was für eine Art Geburtstag sie sich wünschte. Und dies hier entsprach dem eindeutig nicht. Aber bei einem zweiten Blick dachte sie daran, dass dies ihre Freunde waren. Ihre Kollegen. Menschen, die sie mochte, respektierte, und manche davon bewunderte sie sogar. Wie bedrückt ihr auch zumute sein mochte, ihre Freunde verdienten es nicht, wegen etwas zurückgestoßen zu werden, das sie aus Zuneigung und Liebenswürdigkeit getan hatten. Und so setzte Maggie ein Lächeln auf und trat ein.
Der Nachmittag schleppte sich hin, und Maggie lächelte, bis ihr das Gesicht weh tat. Für einen Außenstehenden hätte die Party wie die perfekte Feier zu Ehren einer Frau ausgesehen, die offensichtlich sowohl eine sehr geschätzte Freundin als auch eine angesehene Dozentin, produktive Autorin und beliebte Betreuerin der Studenten war und zusätzlich das Geschick besaß, Forschungszuschüsse anzuwerben. Nur Maggie wusste, dass ihr Vergnügen nicht echt war. Sie wünschte, sie könnte locker sein und sich so amüsieren, wie die anderen Gäste es offensichtlich taten. Aber sie konnte die Traurigkeit nicht abschütteln, die der ständige Kontrapunkt zur Partylaune war.
Die Musik wechselte von Dexys Midnight Runners zu Madness. Jemand hatte eine Playliste aus den Jahren vor ihrem Examen zusammengestellt, was ein Segen war. Da gab es nichts, das eine neuerliche Attacke von unwillkommenen Erinnerungen hätte auslösen können. »Welcome to the house of fun« – von wegen! Wie gerufen trat durch die Verandatüren, die auf den Rasen hinter dem Gebäude und zum Fluss führten, der letzte Gast ein. Rabenschwarzes Haar mit Silbersträhnen, die im Licht leuchteten, als seien sie strategisch und um des Effekts willen dort plaziert worden. Blasse Haut, hohe Wangenknochen und so tief in den Höhlen liegende Augen, dass man ihre Farbe erst erkannte, wenn man nur noch wenige Zentimeter von ihnen entfernt war. Tessa Minogue betrat mit ihrer üblichen Selbstsicherheit den Raum, nickte, lächelte und bahnte sich einen Weg durch die Gruppen von Gästen, die sich am Rande der Party aufhielten, um die frische Abendluft genießen zu können. Tessa, die über dunkle Orte mehr wusste als sonst jemand. Tessa, die ihre beste Freundin, dann etwas mehr gewesen und jetzt wieder ihre beste Freundin war.
Maggie trat etwas weiter in den Raum hinein und wandte den Blick nicht von ihr ab. Ein zufälliger Beobachter hätte meinen können, dass Tessa zwischen den Partygästen umherwanderte und im Vorbeigehen immer wieder nach allen Seiten grüßend lächelte. Maggie wusste jedoch Bescheid. In ein paar Augenblicken würde Tessa bei ihr sein, ihre Lippen würden die weiche Stelle unter Maggies rechtem Ohr streifen, sie würde ihren warmen Atem verströmen, und ihre Wange würde etwas zu lange an Maggies ruhen.
Und sie behielt recht. Bevor man bis fünfzig zählen konnte, war Tessa da und flüsterte ihr leise Worte ins Ohr: »Du siehst wunderbar aus.« Das klang noch charmanter wegen des leichten Anklangs des Dubliner Dialekts, den Zeit und Entfernung geglättet hatten und weich klingen ließen.
»Du hast Bescheid gewusst.« Maggies Tonfall war schonungslos.
»Es war nicht meine Idee. Und ich dachte, wenn ich es dir verrate, dann würdest du nicht erscheinen, und alle kämen sich wie Deppen vor. Und das hättest du dir nicht verzeihen können«, erwiderte Tessa, hängte sich bei Maggie ein und nahm sich mit der freien Hand ein Glas Prosecco.
Maggie spürte, wie sich die Knochen von Tessas Arm gegen ihr eigenes molliges Fleisch pressten. Du meine Güte, noch ein bisschen dünner, und sie würde bei einer Umarmung zerbrechen. »Darauf würde ich mich nicht verlassen. Und du hattest nicht den Mumm, gleich von Anfang an da zu sein.«
»Ach, ich war in einem Meeting im Außenministerium und konnte nicht weg. Eine Sache mit dem Internationalen Strafgerichtshof. Wie oft sind unsere Pläne schon ins Wasser gefallen wegen langatmiger Anwälte?«
»Vergiss nicht, dass du auch Anwältin bist.«
»Aber keine von den langatmigen.« Tessa hatte recht. Einer der Gründe, weshalb Maggie ihre Gesellschaft so mochte, war ihr unkompliziertes Wesen, was überraschte bei einer Anwältin, die sich mit heiklen moralischen Problemen der Menschenrechte befasste. Jetzt erhob Tessa mit einer ausladenden Bewegung ihr Glas und wies damit auf den Raum voller Menschen. »Jedenfalls bin ich jetzt hier, und nur das ist wichtig. Ich weiß, du könntest jetzt aus all den verschiedenen Erinnerungen in diesem Raum einen Patchwork-Quilt deiner Geschichte zusammenstellen, aber erst durch mich wird es eine zusammenhängende Erzählung.«
»Einer fehlt, Tessa.« Und diese Person, die nicht da war, war die einzige, auf die es ankam. Sein Bild stand ihr vor Augen und hatte ihren Blick getrübt, seit Jonah sie aus der Fassung gebracht hatte. Niemand war so unsensibel gewesen, seinen Namen auszusprechen, aber Maggie hatte gespürt, dass er mehr als einmal in der Luft hing. Natürlich war er nicht eingeladen worden. Denn er hatte keine Adresse für einen Nachsendeauftrag hinterlassen. Damals nicht, als er vor acht Jahren ohne Abschied gegangen war, und auch danach nicht. Dimitar Petrovic war ohne einen Blick zurück gegangen. Maggie hatte sich schon tausendmal gesagt, dass er versucht hatte, sie zu schützen. Aber sie hatte sich immer gefragt, ob es vielleicht mehr damit zu tun hatte, dass er sich selbst vor den Komplikationen eines emotionalen Lebens schützen wollte.
Tessas Mund verzog sich zu etwas, das halb Lächeln und halb spöttisches Grinsen war. »Er hätte Blumen schicken können.«
»Mitja hat mir nie Blumen gekauft.« Maggie streckte das Kinn vor und stellte sich ihren Gästen, das falsche Lächeln hatte nun seinen Platz auf ihrem Gesicht wiedergefunden. »Er hatte nie ein Talent für Klischees, Tessa. Das weißt du doch.«
»Aber er hat eine Tendenz, sich zu wiederholen«, erwiderte Tessa rasch.
Maggie drehte sich halb um und fasste ihre Freundin scharf ins Auge. »Und was soll das bedeuten?«
»Er reist immer noch auf dieselbe Tour.« Tessa zog ihren Arm zurück. »Jemand von der Anklagevertretung hat es mir gestern Abend erzählt. Miroslav Simunovic dieses Mal. Erinnerst du dich an ihn?«
»Einer von Radovan Karadzic’ Handlangern. Der bis über beide Ohren in den Morden von Srebrenica steckte? Der Simunovic?«
»Genau der. Er ist dem Strafgerichtshof entkommen, musst du wissen. Sie nehmen keine neuen Fälle mehr an. Simunovic muss geglaubt haben, er sei frei und unbelastet. Er hatte sich neu erfunden und lebte als pensionierter Geschichtslehrer. Wohnte auf Kreta in einer Wohnung mit schöner Aussicht auf den Hafen von Chania. Sein Nachbar aus der Wohnung schräg gegenüber fand ihn vor drei Tagen. Er lag auf der Schwelle, die Kehle vom einen Ohr zum anderen aufgeschlitzt.«
Maggie schloss die Augen. Als sie sie wieder aufschlug, wirkten ihre dunkelblauen Augen hart wie Kieselsteine. »Du weißt nicht, ob es etwas mit Mitja zu tun hat«, sagte sie schmallippig.
Tessa hob eine Schulter zu einem leichten Achselzucken. »Die gleiche Vorgehensweise wie bei all den anderen. Schau dir doch den zeitlichen Ablauf an, Maggie. Milosevic stirbt, bevor der Internationale Strafgerichtshof für das frühere Jugoslawien ihn schuldig sprechen kann. Mitja verbringt drei Tage im Rausch und wütet gegen meinesgleichen, weil wir seine Leute im Stich gelassen hätten. Der erste Mord passiert sechs Wochen, nachdem er dich verlassen hat, ganz erfüllt von seiner Mission, das zu richten, was wir in Den Haag nicht geschafft haben. Wenn es nicht Mitja ist, dann ist es jemand anders mit der gleichen Namensliste von Beschuldigten.«
»Das grenzt es nicht ein. Es ist ja nicht so, als wären diese Namen geheim, Tessa.«
»Drei oder vier fallen in den Bereich des Expertenwissens. Wenn er nicht da draußen seinen eigenen Rachefeldzug inszeniert, was ist es dann, das ihn die letzten acht Jahre aus deinem Bett ferngehalten hat, Maggie?« Die Worte waren herb, aber Tessas Augen waren voller Mitgefühl.
Die Musik ging über in David Bowies »Let’s Dance«. Ein Mann mittleren Alters, der es hätte besser wissen müssen, als sich in Röhren-Jeans zu quetschen, küsste Maggie auf die Wange, ohne die Spannung zu bemerken, die zwischen den beiden Frauen herrschte. »Komm, Maggie«, drängte er. »Wie der Typ meint, let’s dance.«
»Später, Lucas«, sagte sie und rang sich ein zerstreutes Lächeln in seine Richtung ab. Schmollend schlängelte er sich wieder in die Menge auf dem Tanzboden zurück und winkte ihnen mit den Fingern zu. Maggie holte tief Luft und fuhr sich mit der Hand durch ihren dichten braunen Haarschopf, dessen leichte, versteckte Andeutung von Grau sie lieber verbarg. »Du redest, als sei ich unwiderstehlich. Und wir wissen beide, dass das nicht stimmt.«
Tessa legte eine Hand auf die Schulter der anderen Frau und schmiegte sich an sie. »Ich hätte nichts dagegen, es noch mal zu versuchen.«
Maggie stieß ein bitteres, schnaubendes Lachen aus. »Deine Begeisterung ist ja überwältigend.« Sie tätschelte Tessas Hand. »Als Freundinnen sind wir besser dran. Wir sind nur zusammen ins Bett gefallen, weil wir beide Mitja so sehr vermissten. Ich hatte den Mann verloren, den ich liebte, und du hattest deinen besten Freund eingebüßt.«
»Was hab ich dir gesagt darüber, dass du dich selbst klein machst? Du warst für Mitja nie die zweite Wahl. Du und ich, wir waren befreundet, als er sich in dein Leben drängte, und du bist immer noch meine beste Freundin.« Tessa stieß ein kurzes, sarkastisches Lachen aus. »Manchmal denke ich, du bist meine einzige Freundin. Die Sache ist doch die, dass Mitja dich liebte. Nichts außer einem Einmann-Kreuzzug gegen Kriegsverbrecher hätte ihn von dir fernhalten können.«
Maggie schüttelte den Kopf und lächelte dabei immer noch höflich den Raum mit den Gästen an. »Du weißt ja, wie ich das sehe.«
»Aber du irrst dich.«
»Und du bist eigensinnig. Schau, Tess. Mitja war kein Junge mehr, als wir uns kennenlernten. Er war sehr erwachsen und zweiunddreißig Jahre alt, als wir uns 1991 in Dubrovnik begegneten. Ich bin nicht dumm. Ich wusste, dass er ein Vorleben gehabt haben musste. Eine Geschichte. Ein Leben. Aber wir kamen überein, dass wir uns nicht auf das, was vorher war, reduzieren lassen wollten.«
Tessa stieß einen spöttischen Laut aus. »Praktisch für ihn.«
»Praktisch für uns beide. Ich selbst hatte ja auch nicht gerade Mangel an einem Vorleben. Aber wir sprechen hier nicht über mich, sondern über Mitja. Ich habe immer angenommen, dass es irgendwo versteckt in einem kroatischen Provinznest eine Frau gab. Vielleicht sogar Kinder. Ich wollte einfach nicht wissen, was er aufgegeben hatte, um mit mir zusammen zu sein.«
Tessa kippte den Rest ihres Glases hinunter. »Warum hätte er dann dorthin zurückkehren wollen? Wenn er dich hatte? Er hatte sie ja schon deinetwegen verlassen. Er hätte dich nicht ihretwegen verlassen, er hätte dich höchstens verlassen, wenn er eine Mission hatte, die unabweisbar war. Übermächtig.«
Maggie trat einen Schritt von Tessa zurück und ließ die Hand ihrer Freundin von ihrer Schulter gleiten. »Ich finde es toll; du hältst so viel von mir, dass du eine hochherzige Theorie erfinden musst, um zu erklären, warum mein Geliebter mich verlassen hat.« Sie schaute sich im Raum um, betrachtete diejenigen, die tanzten, sich unterhielten, tranken. Aber der Anblick der Menschen, die sie liebten und respektierten, bot keine Hoffnung, den Kummer zu vertreiben. »Was immer ich ihm war, Tessa, es war nicht die Heimat. Deshalb ist er gegangen. Mitja ist einfach nach Haus zurückgekehrt.«
Alan Macanespie hatte einmal einem Freund anvertraut, dass er niemand sei, der zur Nabelschau neige. Sein Kamerad hatte schallend gelacht und sich fast an seinem Bier verschluckt. Als sich sein Hustenanfall gelegt hatte, sagte er: »O Mann, wenn ich wie du aussehen würde, dann wäre mir Nabelschau allemal lieber als der Blick in den Spiegel.« Das war eine Sicht der Dinge, die an Gewicht gewann, als Macanespie zwei Jahre später von seiner langjährigen Freundin verlassen wurde.
»Wenn ich wieder mit einem rothaarigen Schwein zusammenleben will, dann besorg ich mir lieber ’n Tamworth-Ferkel«, war ihre Abschiedsbeleidigung gewesen. Und wenn er in seinen Rasierspiegel schaute, fand er es immer schwieriger, dem zu widersprechen. Sein rotes Haar war heller und dünner geworden, die Bartstoppeln dicker. Seine Augen schienen eingelaufen zu sein, weil sein Gesicht fülliger geworden war. Wie der Rest seines Körpers aussah, daran wollte er lieber nicht denken, es gab dieser Tage keinen Ankleidespiegel mehr in seiner Wohnung. Als sie ging, hatte sie ihm vorgeworfen, er hätte sich aufgegeben. Und er hatte den leisen Verdacht, dass sie auch damit recht gehabt hatte.
Macanespie mochte die Stimmung nicht, in die ihn das versetzte. Ihm war klar, dass seine Karriere in einer Sackgasse steckte, aber das hieß nicht, dass er sich vor seiner Arbeit am Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien, dem ICTFY, gedrückt hätte. Na gut, gegen Kriegsverbrecher zu ermitteln und zu helfen, sie aufzuspüren, war nicht das Ziel, das er sich vorgestellt hatte, als er sein juristisches Staatsexamen ablegte, aber es war besser als Testamente aufzusetzen und sich in irgendeiner dreckigen Kleinstadt in der schottischen Provinz mit Liegenschaftsübertragungen rumzuschlagen. Er hatte sich eine nette kleine Nische in einer der Grauzonen zwischen dem Außenministerium und dem Justizministerium geschaffen, und das kam ihm sehr zupass. Das einzig wirklich Schlimme war, dass er sich ein Büro mit diesem elenden walisischen Blödmann Proctor teilen musste.
Aber all das würde unwichtig werden, wenn die Sache heute in die Hose ging. Seine frühere Chefin, Selina Bryson, hatte eine Einstellung gegenüber ihren ICTFY-Mitarbeitern, die ein wohlwollenderer Mensch als Macanespie vielleicht lax genannt hätte. Macanespie beschrieb sie prägnanter: »Sie schert sich einen Dreck darum, was wir machen, solange wir Ergebnisse liefern, für die sie die Lorbeeren einheimsen kann, und solange wir bei den Stehempfängen des Botschafters keinen Furz lassen.« Aber Selina war Geschichte, und heute kam der neue Mann, um vor ihm und Proctor seinen großen Knüppel zu schwingen. Er hatte sie an einem Samstag ins Büro zitieren lassen, einfach weil er die Macht dazu hatte.
Macanespie mochte faul sein, aber dumm war er nicht, und er wusste, ist die Gefahr erkannt, so ist sie gebannt. Deshalb rief er einen seiner Trinkgenossen in London an und erkundigte sich über den neuen Chef. Jerry war gern bereit, Informationen zu liefern, da Macanespie ihm eine Flasche holländischen Genever mitzubringen versprach, wenn er nächstes Mal von Den Haag nach London flog.
»Wilson Cagney«, sagte Macanespie. »Erzähl mir von ihm.«
»Was hast du schon gehört?«
Macanespie blickte spöttisch drein. »Zu jung, zu schick gekleidet, zu schwarz.«
Jerry lachte. »Er ist älter, als er aussieht. Geht auf die vierzig zu. Er hat genug Erfahrung, dass er jede Menge Ärger machen kann. Seine Garderobe stammt aus der Savile Row, aber man erzählt sich, dass er in einem Schuppen in Acton in einer Einzimmerwohnung lebt und kein Auto fährt. Er gibt all sein verfügbares Geld für gute Anzüge aus und verbringt seine ganze Freizeit im Fitnessstudio des Büros. Im Grunde ein bedauernswerter, karrieregeiler Kerl.«
»Wie ist er die Leiter hochgefallen? Leistung? Intrigen? Oder profitiert er davon, dass er schwarz ist?«
Jerry atmete hörbar ein. »Ich hoffe, dass das hier eine verlässliche Verbindung ist, mein Freund, wenn du solche Dinge sagst. Die Personalstelle hat heutzutage ihre Ohren überall. Er hat Qualifikationen, Abschluss in Rechtswissenschaften in Manchester, dann einen Master in Wertpapierhandel und Internationalem Recht, laut unserem überwältigten IT-Assistenten. Aber in seinem Dienstgrad ist er das einzige schwarze Gesicht, mach also draus, was du willst. Sagen wir mal so, Alan. Er ist keiner von uns. Du wirst ihn niemals Freitagabends unten im Bay Horse antreffen.«
»Er wird also nicht herkommen, uns auf die Schulter klopfen und sagen: ›Weiter so, Jungs!‹«
»Man hört, dass er auf ein Sparprogramm aus ist. Wobei einiges aussortiert werden soll. Nimm dich bloß in Acht, Alan.«
Und also beschloss Macanespie sich nicht als Opferlamm zur Schlachtbank führen zu lassen. Ein Waliser als Lamm, das war eine viel bessere Wahl. Er würde das rote Schwein mit blitzenden Eckzähnen als Warnzeichen sein für jeden, der ihn für ein leichtes Opfer hielt. Er war zu Proctors Erstaunen recht früh gekommen und machte sich daran, seinen Schreibtisch und seinen Teil des Büros aufzuräumen.
»Willst du den Musterschüler geben?«, fragte Proctor.
»Ich hab mir das Büro hier gerade mal mit den Augen eines anderen angeschaut und fand, es muss nicht unbedingt wie ein Schweinestall aussehen«, antwortete er, packte drei schmutzige Becher und stellte sie in seine untere Schreibtischschublade. Proctor war davon offenbar verunsichert und begann seinerseits, Ordnung in seine Akten und die Papiere auf seinem Schreibtisch zu bringen.
Bevor er viel erreicht hatte, kam jemand mit einer Thermoskanne und einer Tasse von der Kantine herauf. Die Frau schaute prüfend auf ein Blatt Papier. »Wer von Ihnen ist Wilson Cagney?«
»Er ist noch nicht hier. Und Sie brauchen noch zwei Tassen.« Proctor klang immer wie ein übereifriger Scheißkerl, dachte Macanespie.
»Nein, brauche ich nicht.« Sie wedelte mit dem Blatt Papier. »Schauen Sie: ›Bestellung für Wilson Cagney. Kaffee, schwarz, für eine Person.‹ Kann jemand von Ihnen unterschreiben?«
»Ich sehe nicht ein, wieso ich unterschreiben soll, wenn ich den Kaffee nicht trinken darf«, nörgelte Proctor.
»Geben Sie her«, sagte Macanespie und kritzelte seine Unterschrift drauf. »Wir trinken ihn nicht, versprochen.« Als sie wegging, öffnete er den Schraubverschluss und roch daran. »Ja, das ist was Feines«, sagte er.
»Herrgott noch mal, Alan, mach die Kanne zu. Das riecht er doch.« Proctor schien in Panik, aber Macanespie verzog nur den Mund zu einem spöttischen Lächeln, während er die Kanne verschloss.
Fünf Minuten später betrat ein dunkelhäutiger Mann in einem makellosen grauen Nadelstreifenanzug das Büro, ohne anzuklopfen. Sein Haar war kurz geschnitten, wodurch seine schmale Kopfform und die überraschend feinen Gesichtszüge betont wurden. »Guten Morgen, Gentlemen«, sagte er und goss sich dann einen Kaffee aus der Thermoskanne ein. Nach einem flüchtigen Blick auf die beiden wies er mit der Tasse in der Hand auf Proctor. »Sie müssen Proctor sein.« Theo nickte. Cagney schien zufrieden mit sich. »Das heißt dann also, dass Sie Macanespie sind.« Diesmal lag ein leicht angewiderter Ton in seiner Stimme.
Cagney setzte sich und zog seine Hose an den Knien hoch, bevor er die Beine übereinanderschlug. »Ich vermute, Sie wissen, warum ich hier bin?«
»Sie sind Selina Brysons Nachfolger«, sagte Macanespie. »Und Sie machen einen Rundgang bei den Mitarbeitern mit Publikumskontakt.« Er setzte ein Lächeln auf, sorgte sich aber sofort, dass er vielleicht zu breit grinsen könnte und dadurch seine Nervenstärke zu sehr betonte.
Cagney senkte den Kopf. »Richtig. Und auch wieder nicht. Es stimmt, dass ich Selinas Stelle übernommen habe. Aber ich bin nicht hier, um Hände zu schütteln und Ihnen zu sagen, welch ausgezeichnete Arbeit Sie leisten. Denn in Ihrer beider Fall trifft das nicht zu.«
Proctor begann, vom weißen Hemdkragen ausgehend sich dunkelrot zu verfärben. »Wir sind ja nur ein kleiner Teil einer großen Institution. Sie können uns nicht die Schuld an allem geben, was schiefgegangen ist.«
Cagney nippte an seinem Kaffee, der ihm sichtlich mundete. »Die britische Regierung sieht sich der Idee des internationalen Rechts verpflichtet. Das ist der Hauptgrund, weshalb wir die UNO bei der Einrichtung des Internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien unterstützt haben. Deshalb haben wir Leute wie Sie für die Arbeit am Strafgerichtshof abgestellt. Jedermann weiß, dass er zum Ende dieses Jahres geschlossen wird, wir haben also alle nur noch eine letzte Chance. Und manchen Leuten gefällt das nicht. Würden Sie das als eine angemessene Beschreibung der Lage sehen?«
Macanespie hielt sich zurück, denn er wollte sehen, welche Richtung sein Kollege einschlagen würde. Proctor streckte das Kinn vor, sein Gesichtsausdruck war angriffslustig. »Ein solcher Gerichtshof wird es niemals schaffen, das Verlangen der Leute nach Gerechtigkeit zu befriedigen. Das leuchtet ein. Man kann nicht erwarten, nach so langer Zeit das Beweismaterial zusammenzubekommen, das in jedem Fall der Überprüfung vor Gericht standhalten wird.«
Cagney setzte seine Tasse ab. »Das sehe ich ein. Was mir Sorge bereitet, das sind die Fälle, die es nie geschafft haben, vor Gericht verhandelt zu werden. Diejenigen, für die ein Dossier zusammengestellt und eine Suche geplant war, um den mutmaßlichen Kriegsverbrecher zu verhaften. Aber die Verhaftungen wurden nie durchgeführt, weil rein zufällig das Zielobjekt der Aktion ermordet wurde, bevor wir handeln konnten.« Daher also wehte der Wind. Jemand hatte kalte Füße bekommen wegen der verdeckten Operationen eines anderen. Macanespie zuckte mit den Schultern. »Hartes Vorgehen um der Gerechtigkeit willen. Es werden nicht viele Tränen vergossen werden um ihresgleichen. Aber so läuft es eben manchmal.«
Cagney schlug so heftig mit der Hand auf den Tisch, dass Tasse und Kaffeelöffel klirrten. »Lassen Sie das. Es war nichts Zufälliges an diesen Todesfällen. Mindestens zehn. Der letzte, Miroslav Simunovic, gerade erst letzte Woche.«
»Es gibt noch jede Menge Killer auf dem Balkan«, warf Proctor ein.
Cagney starrte ihn an. »Erinnern Sie mich, dass ich Sie nicht für eine Diplomatenstelle empfehle. Was ich meine, ist: Auch wenn meine Vorgängerin vielleicht bereit gewesen sein sollte, diese Selbstjustiz-Serie zu ignorieren, ich bin es nicht.«
»Wie Sie sagten, bis zum Jahresende wird Gras darüber gewachsen sein«, meinte Macanespie verdrießlich.
»Na und? Sie denken, ich sollte keine schlafenden Hunde wecken?« Cagney machte eine dramatische Pause. Seine beiden Mitarbeiter wechselten einen Blick. Das genügte, um übereinstimmend zu der Ansicht zu kommen, dass es sich um eine rhetorische Frage handelte. Sie starrten Cagney mit dem Ausdruck trotziger Sturheit an. Er schüttelte den Kopf, wirkte ungeduldig. »Sie verstehen das einfach nicht, oder? Jetzt kommt das Ende des Gerichtshofs. Wir ziehen einen Schlussstrich. Wir sagen zu Bosnien und Kroatien und Montenegro und dem Kosovo und dem Rest: ›Es ist vorbei. Kommt zur Ruhe und versucht, euch zu benehmen wie Menschen des einundzwanzigsten Jahrhunderts und nicht solche des zwölften.‹ Wir erklären ihnen, dass wir unser Bestes getan haben, den Bösewichten Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Und jetzt müssen sie weitermachen. Lasst die Vergangenheit ihre Toten begraben.«
Proctor brachte etwas heraus, das halb wie Husten und halb wie ein trockenes, bitteres Lachen klang. »Ich möchte nicht unhöflich sein, aber es ist offensichtlich, dass Sie sich in dem Teil der Welt nicht so gut auskennen. Man schlägt dort immer noch die uralten Schlachten. Man redet davon, als sei das alles gestern gewesen. Wir mögen glauben, es sei ein für alle Mal vorbei. Aber dort vor Ort denkt niemand so.«
»Na, dann werden sie es eben lernen müssen. Wenn sie zum modernen Europa gehören wollen, werden sie lernen müssen, wie moderne Europäer zu leben, nicht wie die Privatarmeen mittelalterlicher Kriegsherren.«
Macanespie rutschte mit seinem massigen Körper auf dem Stuhl herum und griff nach der Kaffeekanne. »So einfach ist es nicht. Es hängt alles zusammen mit Ethnien und Religion und Völkergruppen. Es ist wie Nordirland multipliziert mit zehn. Rangers und Celtic vervielfacht mit Irrwitz.« Er nahm einen Becher aus seiner Schublade und goss sich Kaffee ein. Cagney sah für einen Moment wütend, dann aber leicht belustigt aus. Doch es reichte nicht, um ihn von seinem Leitgedanken abzubringen.
»Und wie sonst wird es sich ändern, wenn wir nicht mehr von ihnen erwarten? Sie glauben, dass es keine neue Generation junger Leute auf dem Balkan gibt, die wollen, dass die Dinge sich ändern? Die die Welt durch das Prisma von Facebook und Twitter betrachten und einen anderen Lebensstil sehen? Die die alte Manier satt haben, wie man in ihrem Hinterhof Geopolitik betreibt?«
Ein weiterer Blick wurde getauscht. Macanespies Schultern sackten ab, da er wieder mal mit der Ignoranz eines Londoner Schlipsträgers konfrontiert war, der keine Ahnung hatte, wie diese Welt funktionierte. »Vielleicht. Aber ich verstehe nicht, was das mit uns zu tun hat.«
Cagney presste vor Ärger die Lippen zu einem dünnen Strich zusammen. »Das Töten muss aufhören. Diese Morde, darum geht es nämlich, wir wollen sie nicht schönreden mit Worten wie ›hartes Vorgehen‹, sie müssen ein Ding der Vergangenheit sein.«
»Das sehe ich ein«, sagte Macanespie. »Aber warum ist das unser Problem? Wir haben die Morde nicht verübt oder in Auftrag gegeben. Nicht einmal daran gedacht.«
»Weil sie alle eines gemeinsam haben«, entgegnete Cagney. »Jeder dieser Morde ist ein Fall, an dem wir in vorderster Front beteiligt waren. Wir, dieses Büro. Wir sind der gemeinsame Nenner. Entweder meint jemand in unserem Team, Charles Bronson nacheifern zu müssen, oder es gibt einen Maulwurf, der das Ergebnis unserer Ermittlungen an einen Dritten weitergibt, der seinerseits sein eigenes Programm für die Säuberung des Balkans laufen hat.«
Proctor sah erschrocken drein, und Macanespie argwöhnte, dass auch er selbst nicht anders aussah. So hatte er das noch nie betrachtet. Sie tauschten einen weiteren Blick, diesmal bestürzt. »Verdammt noch mal«, zischte Macanespie leise.
»Wie er schon sagte. Wir sind keine Mörder«, setzte sich Proctor empört zur Wehr.
Cagneys Mundwinkel zuckten von einem Lächeln, das er kaum unterdrücken konnte. »Jetzt, da ich Sie kennengelernt habe, muss ich Ihnen zustimmen. Aber jemand ist der Mörder. Und ich erwarte von Ihnen, dass Sie herausfinden, wer es ist.«
Er stieß sich vom Tisch ab und stand auf.
»Wir sind Anwälte, keine Kriminalbeamten«, warf Mac anespie ein.
»Sie waren vielleicht einmal Anwälte. Aber im Lauf der letzten Jahre haben Sie Hunde gejagt und den Aufenthaltsort einer Bande von Schlächtern eruiert. Dies ist Ihr letzter Auftrag. Finden Sie den Rächer. Sie können gleich morgen früh anfangen.«
»Morgen ist Sonntag«, protestierte Macanespie.
»Sie klingen wie ein Bürohengst.« Cagneys Verachtung war nur allzu deutlich. »Je früher Sie anfangen, desto eher können Sie liefern. Dann werden Sie vielleicht einen Arbeitsplatz haben, zu dem Sie zurückkehren können.«
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